Science Fiction Roland Innerhofer – SS 2014 13.03.2014 Entstehung und Ursprünge Zum Genre SCIENCE FICTION ist Genreliteratur, die sich eines abgrenzbaren Repertoires von Themen, Motiven, Stilen,… bedient, das sich aus diesen schöpft und neu entsteht Was ist SCIENCE FICTION als Antwort hierauf werden meist Prototypen genannt wie bestimmte Romane z.B. von H.G. Wells, Orwell, Bradburry, Gibbson Darunter fallen auch Heftchen wie Perry Rhoden oder TV Serien bzw. Filme (2001 - Odyssee im Weltall, Bladerunner, Inception, Star Wars,…) Die Definition aus der Empirie: was kommt alles unter SCIENCE FICTION auf den Markt, was wird von Lesern und Verlegern dem zugeordnet, es ist eine sehr wandelbare Gattung Entstehung: Hier gibt es 2 Positionen: minimalistische Position: beginnt 1926 in den USA mit dem Magazin „Amazing Stories“, von dem Herausgeber Hugo Bernsbeck wird der Begriff SCIENCE FICTION zum ersten Mal verwendet maximalistische Position: meint, SCIENCE FICTION sei bereits in den ersten Schöpfungsgeschichten von 3000 v. Chr. Wie Gigalesch enthalten, zumindest die zentralen Motive der SCIENCE FICTION, was bedeutet, dass letztlich alle Literatur irgendwo utopisch ist und somit SCIENCE FICTION und das wiederum ist keine sehr hilfreiche Definition Wir fangen irgendwo dazwischen an mit der zweiten Hälfte des 19., Jahrhunderts. Genre entstehen ja nicht von einem Tag auf den anderen, die entwickeln sich langsam aus anderen Gattungen, fließen zusammen und formen sich Industriezeitalter In dieser Zeit sind die Industrialisierung, Modernisierung und Alphabetisierung sehr wichtig und die Vorsprünge der Technik fordern auf gewisse Weise eine literarische Reaktion, eine literarische Verarbeitung, hier spielt aber auch ein gewisses Marktkalkül mit ein – was will gelesen werden, das wird geschrieben Es werden Werke als „naturwissenschaftliche“ „wissenschaftliche“ oder „technische“ Märchen veröffentlicht als Vorbegriff zu SCIENCE FICTION In diesen werden die Themen wie Modernisierung und Technik entschärft, familiärer gemacht und weniger bedrohlich Genre als Markenzeichen Im deutschsprachigen Raum und in Frankreich war Jules Verne einer der großen ersten Mehr ein Zufallstreffer war sein fiktionaler Reisebericht mit detaillierten technischen Beschreibungen „5 Wochen im Ballon“ 1

Sein Verleger hat hier großes Potential gewittert und Jules Verne wurde daraufhin unter Vertrag genommen und sollte pro Jahr 2 bis 4 derartige Romane schreiben, immer mit dem Schwerpunkt auf technische Darstellungen und den Erkenntnissen der Naturwissenschaften Jules Verne war immer techniknah JulesVerniaden als Gattungsbegriff Hierbei wurden ein etabliertes Genre wie der Reisebericht, der Reiseroman, der fantastische Reisebericht mit Technik verbunden und damit ergab sich ein neuer Heldentypus: der Wissenschaftler, der Ingenieur, der Techniker (im !9. Jhdt. Alles Männer) Jules Verne meint selbst, Edgar Allan Poe sei sein Vorbild gewesen, dieser wäre aber fantastischer und er selbst sei besser da er prognostisch sei. Poe hingegen hätte auch eine irrationale da parapsychologische Komponente wie Telepathie, Telekinese,… was von denen, die SCIENCE FICTION als zukunftsweisend sehen, gänzlich abgelehnt wird Auch ist bei Poe das Rätsel zentral und die Schauergeschichte, was wiederum zur SchauerSCIENCE FICTION geführt hat mit der Figur des künstlichen Menschen von Robotern bis Simulationen. Als Mutter dieses Motivs gilt Mary Shelley mit den bekannten Werken „Frankenstein“ (1818) und „The last man“ (1826, Ende der Menschen durch eine Seuche, Apokalypse) Mehrere Ursprünge: • Tradition der Utopie: Vergleich zur Utopie wird oft in den Mittelpunkt gestellt, v.a. um zu veredeln, da Utopie eine hoch angesehene Gattung, SCIENCE FICTION hat da eher paraliterarischen Ruf. SCIENCE FICTION ist angewiesen auf gewisse narrative Charakteristika. Utopie ist dagegen recht fad weil wenig Handlung und recht statisch, anders bei Dystopien siehe unten, SCIENCE FICTION näher an Dystopie, wie Wells, Bradburry beidem zuordenbar • Fantastischer und exotischer Abenteuerroman Jules Verne, technischer Abenteuerroman • Wissenschaftliche Rätsellösung Poe mit Nähe zum Kriminalroman • Vorliebe für Parawissenschaftliches und Okkultes - Schauerroman • Dystopie: Spannend weil kleine Gruppe kämpft gegen Weltuntergang, SCIENCE FICTION Eigenschaften • Haltung, dass etwas wissenschaftlich plausibel sein könnte ist zentral, anders als im Märchen, in dem das nicht der Fall ist, das ein anderes Weltensystem beschreibt und die Frage nach Plausibilität sich gar nicht erst stellt. o Ist aber nicht immer ganz geglückt wie bei Friedrich Wilhelm Marder: 1812: Weltraum betrachten die Protagonisten eine Explosion eines Planeten während sie mit Überlichtgeschwindigkeit wegfliegen UND spüren die Erschütterungen der Druckwelle nicht unbedingt plausibel • Nähe zu Populärwissenschaft: war früher eine Allianz, von der Vermarktung her gegenseitig in die Hände gespielt, SCIENCE FICTION hatte didaktischen Anspruch als unterhaltende Belehrung bzw belehrende Unterhaltung, sind oft in Familienzeitschriften erschienen wie z.B. Jules Verne in einem Bildungs- und Unterhaltungsmagazin zuerst veröffentlicht wurde bevor in Buchform herausgegeben, heute eher weniger eng

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Darwinismus aus Evolutionstheorie wird eine Zukunftsprognose abgeleitet, z.B. als sozialer Darwinismus in „The Time Machine“ von 1895, in dem soziale Unterschiede in der Zukunft sich auch auf biologischer Ebene niederschlägt Zeitreise und Zeitmaschinen wie bei H.G.Wells Kurd Lasswitz: der ältere Planet Mars ist in der Evolution weiter entwickelt, die Marsianer kommen auf die Erde und geben Entwicklungshilfe für Menschen Apokalyptische Visionen wie im „The Island of Dr. Moreau“ von 1896 – erschafft Mischformen zwischen Tier und Mensch oder „War ofworlds“

Weitere Wurzeln sind • Satire (Swift und Voltaire): Perspektive von außerhalb der Erde ermöglicht einen distanzierteren Blick, einem verzerrten Blick auf die eigene Gesellschaft. Z.B. in Gullivers Reisen (hier zwar umgekehrt der Mensch in fremden Ländern, doch die sind bei näherem Hinsehen eine Variante der Gesellschaft. Das Fremde als Korrektiv der Gegenwart • Wells und Lasswitz: Fremde nicht mehr das Fremde, das Andere, sondern eine Zukunft, das Fremde wird auf die Zeitachse verschoben, das Fremde spielt in einer anderen ZEIT nicht an einem anderen ORT. Fremde wird dadurch zwar weniger fremd aber ist eine stärkere Warnung • Zukunftsspekulation: was wäre wenn, Warnung vs. Hoffnung • Kolonisierung des Fremden wie in 5 Wochen im Ballon • Komplementärerscheinung zum historischen Roman, die sich die Vergangenheit aneignen, SCIENCE FICTION hat die Zukunft • Paul Scheerbart: Alternative Lebensformen als Kritik der irdischen Verhältnisse – radikal andere Lebensformen Geschichte Vergessene Autoren: oft nicht gesammelt worden weil nicht als wertvoll angesehen worden. So bei den meisten deutschsprachigen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts einige waren zugegebenermaßen auch nicht aufhebenswert Amazing Stories Aber es waren bei diesen alle Motive, Themen,… (mediale Speicherung, Weltraum, Kollisionen,…) da Erste Blütezeit zwischen den Weltkriegen: sehr viele erfolgreiche und produktive Autoren in dieser Zeit wie Assimoff oder Otto Willi Geil Große Fangemeinden entstanden, erkennbar an SCIENCE FICTION-Cons, gibt großen Austausch zwischen Produzenten und Konsumenten SCIENCE FICTION vermeintlich als marktschädigendes Label – kommt halt auf Publikum an SCIENCE FICTION als Medien- und Produktverband, z.B.: waren Illustrationen von Anfang an wichtig, bei Jules Verne 90 bis 100 Bilder pro Buch, sehr aufwändig 1960: USA dominant in SCIENCE FICTION, Medien- und Produktverband bildet sich aus, in TV, PC, Buch, Comic, Hörspiel, T-Shirts, Figuren,… Film ist heute das primäre Medium

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Aber in Literatur eher Veränderungsprozesse möglich: weil Sprache beweglicher ist, weil die Produktionskosten sehr viel geringer sind als bei Filmen und damit eine größere Experimentierfreudigkeit Die nächsten Termine 20.03.2014: Jules Verne und Paul Scheerbart 27.03.2014: H.G. Wells: Timemachine, Oswald Levett „Verirrt in den Zeiten“ – alternatehistory, Heterochronismen 03.04.2014: Biotechnik, Alfred Döblins Berge, Meere und Giganten 10.04.2014: künstlicher Mensch: Thea von Harbours Metropolis 08.05.2014: künstliches Leben, Ernst Jüngers Gläserne Bienen 15.05.2014: Philip K. Dick: Ubik, do androids dream of electric sheep 22.05.2014: Ursula K. LeGuin: The Dispossessed 05.06.2014: DDR-SCIENCE FICTION (wissenschaftliche Fantastik, kompatibel mit Marxismus) Johanna und Günter Braun, Angela und Karlheinz Steinmüller 12.06.2014: Tendenzen der jüngeren deutschen SCIENCE FICTION 26.06.2014: schriftliche Prüfung: 7 Fragen über die gesamte Vorlesung: Zusammenhänge, Hintergründe, Modelle, mit Texten auseinandersetzen und mitdenken

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20.03.2014 Jules Verne und Paul Scheerbart als die zwei Autoren der Anfänge der Science Fiction, Zwei Paradigmen früher Science Fiction Jules Verne (1828-1905) war vor allem durch seine dramatisierten Werke, also die Bühnenaufführungen bekannt, dadurch ein breiteres Publikum angesprochen, Teile der Bücher von Kolporteuren zu kaufen, billiger als Prachtausgabe

5 Wochen im Ballon 1863 Das war der Grundstein für seinen Ruf als Autor von exotischen Abenteuerromanen Nähe zum Genre journalistischer Expeditionsbericht Prachtausgabe, heute so 100€ pro Band Gleichzeitig wurde in den Zeitungen von der Suche nach den Nilquellen berichtet, was die Motivation für dieses Buch war Sensations- und Aktualitätswert wissenschaftlicher Entdeckungen und technischer Erfindungen Verwischung der Grenzen zwischen Fiktion und Fakten Inhalt: Reise von Ost nach West, beginnt in Sansibar und endet an der Westküste Afrikas Ballonreise ist das Innovative im Vgl zu den journalistischen Berichten dieser Zeit Er bewegt sich nah an der Technik und Forschung seiner Zeit, Ballonreise da gerade neu und auch die Forschungsreisen in das Innere von Afrika gerade neu Bewusste Verwischung zwischen Fiktion und Fakten Beginnt mit einer Rekapitulation des Forschungsstandes der Geographie und Ethnographie Afrikas, wissenschaftliche und journalistische Kapazität wird simuliert Kommt in der Werbung wieder, als unterhaltsame Belehrung für alle Schichten und alle Altersgruppen als Verkaufsargument Unterhaltung stand zwar im Vordergrund aber durch Belehrung noch einen Mehrwert dazu. Die Mondromane von Jules Verne (die noch mehr SF sind), sind bald nachher erschienen De la terre à la lune (1865, Von der Erde zum Mond) Autour de la lune (1870, Von der Reise zum Mond) Das Neue ist, dass die Reise zum Mond als technisch verwirklichbar erscheint, das Thema gabs schon vorher

Geschichte der fantastischen Mondreise: Lukian von Samosata (120): Vera Historie (Wahre Geschichte): als Parodie, weil sich die wahre Geschichte als Lüge entpuppt. Wird gleich am Anfang betont, nimmt die Bücher der Zeit auf die Schaufel, parodiert die zeitgenössischen Geschichten über Planeten Im MA: wenn es Himmelfahrten gibt, sind die sehr stark religiös geprägt und weniger wissenschaftlich Johannes Kepler (1634): Somnium (Traum), Reise zum Mond fantastisch dargestellt, als den Mond projiziert, vermittelt das, was er über den Mond weiß, im Traum

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Francis Godwin (1638): The man in themoon, gezämte Gänse als Transportmittel zum Mond, die auf dem Mond überwintern, auch hier ist klar, dass man nicht davon ausgegangen ist, dass das wer glaubt Cyrano de Bergerac (1657): Histoirecomique des Ètats et Empires de la lune: Held fliegt mit stufenartig aufgebauten Rakete zum Mond, die aber jetzt nicht sehr genau beschrieben ist, nennt auch andere Methoden, um zum Mond zu gelangen (Tau in Flaschen, der von der Sonne angezogen wird,…) Im 17. und 18. Jahrhundert ist die Reise zum Mond nicht zentral Poe (1835): The unparalleled adventure of One Hans Pfaall. Unzählige mathematische Berechnungen, die aber nicht wirklich stimmen Ein Lügenindikator ist übertriebene Detailfreude oder ständige Wahrheitsbeteuerungen Der Bericht stammt von einem entflohenen Blasebalgflicker (flieht vor seinen Gläubigern), der einen Brief an die astronomische Fakultät in Rotterdam (im nächsten Satz als unfähig beschimpft) schreibt und auf den Mond flieht

Jules Verne: de la terre à la lune (Hartlebenausgabe verwenden, die von Fischer ist weit weg vom Original) Nimmt die vorigen Autoren alle auf, lobt v.a. Poe, der sich viele Gedanken dazu gemacht hat Literarische Motivation des Mondfluges Spielt in Nordamerika, der Präsident des Gunclubs (Barbicane) langweilt sich, weil sie keinen Krieg haben und suchen jetzt was, was in ihrem Interessengebiet liegt Die meisten haben nicht mehr alle Körperteile Amerikanischer Fortschrittsoptimismus karikariert, aber liebevoll Bewunderung schwingt mit Technik als Produkt des Krieges dargestellt, also Barbicane ist durch militärische Tugenden ausgezeichnet, vereinigt drei Typen: Soldaten, Ingenieur und Unternehmer Zeichnet sich durch starke Disziplin aus Barbicane arbeitete im Krieg an möglichst durchschlagskräftigen Geschossen Sein Gegner Nicholl stellt immer bessere Panzerplatten her Duell wird durch dritte Figur verhindert: der romantische Abenteurer, ein Franzose Michel Ardan: wenn man schon Projektil zum Mond schießt, warum den dann nicht auch gleich bemannen? Idee führt dazu, dass die beiden Gegner statt eines Duells eine Wette abzuschließen, Barbicane wettet dass er es schafft, Nicholl hält dagegen, aber witzigerweise steigt er mit den beiden anderen mit in das Projektil ein (würde er die Wette gewinnen, würde er ja damit sterben, aber er hofft trotzdem, dass er die Wette gewinnt…) Ardan ist ein Anagramm von Nadar, der ein befreundeter Fotograf von Jules Verne war Im Namen steckt auch das Wort „glühend“ drinnen Jules Verne nimmt romantische Heldenfiguren wie der romantische Abenteurer her und kombiniert das mit der neuen Figur des kalten Ingenieurs

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In dieser Reisegruppe sieht man die ideale Verbindung von Künstler und Wissenschaftler, nur aufgeteilt auf mehrere Personen Angleichung des Technikers an das von ihm hergestellte Produkt Anpassung des Gegners an die feindliche Projektion Krieg und Industrie: das Unternehmen, eine derart große Kanone zu bauen (steht übrigens in Florida, in der Nähe von Cape Canaveral) Indianer werden zuerst vertrieben, Arbeiter werden dort angesiedelt und eine Stadt für sie gebaut Krieg und Industrie arbeiten zusammen, um das durch zu führen bedarf es die straffe militärische Organisation Zeitdruck, da Rakete dann abgeschossen werden muss, wenn der Mond am nächsten ist zur Erde – Kampf gegen die Zeit ist auch der Versuch, die räumliche Distanz hin zum Ziel zu überwinden Und dafür braucht es eine ganz bestimmte Form der Bewegung – in gerader Linie Die Fortbewegung mit der Kutsche war ja nicht gerade, die Eisenbahn noch eher, aber auch die an die Landschaft angepasst Projektil als kosmischer Eisenbahnzug (Illustration im Internet), am Ende des Romans wird auch eine fixe Verbindung angedacht Aufhebung des Raums in Geschwindigkeit Man muss die Geschwindigkeit erreichen, die es erlaubt die Anziehungskraft der Erde zu überwinden, eine bestimmte Strecke soll durch Energie überwunden werden In dieser Zeit bedeutet das eine Störung der Natur – beim Abschuss wird ein künstliches Erdbeben und ein künstlicher Tsunami hervorgerufen Es wird eine neue, technische Ordnung der Dinge geschaffen Jules Verne beschreibt, wie die alten Kultstätten (Kirche und Börse) werden durch die Druckwelle beim Abschuss zerstört Industriegebäude, Fabrikanlagen werden die neuen Tempel, schöner als die vorigen beschrieben Technische Produktionen werden als magisches Spektakel beschrieben, Volksmassen schauen dem wie passive Konsumenten zu, als Sensation mit großer Zuschauermasse, die auch Publikum des Abschusses ist, die jubeln Phallische Symbolik: Kanonenschuss… Konnotation mit phallischer Gewaltsamkeit und Penetration, auch im Film mit dem Auge der Frau, das vom Projektil getroffen wird Sonst kommen in der Reise zum Mond keine Frauen vor (bei anderen Werken dann aber schon wie ‚Das grüne Leuchten’, ein romantischer Reiseroman) Illustration des Inneren des Projektils Wird von Ardan nach bürgerlichem Interieur (Bibliothek, Speisezimmern,…) also das bürgerliche Wohnzimmer in Kombination mit dem Burgzimmer oder der wissenschaftlichen Zimmerchen Auch Tiere sind mit, die am Mond angesiedelt werden sollen Viele technische Gerätschaften Boden ist durchsichtig, sie können durch den Boden auf die Erde zurückschauen 7

Illustrationen sind immer sehr frei, wird dann nicht unbedingt auch beschrieben Der erste Roman endet mit der Nachricht, dass das Projektil sein Ziel verfehlt hat Und dann kam erst 5 Jahre später der zweite Roman raus: Autour de la lune Man erfährt, dass das Projektil nicht falsch abgeschossen wurde sondern durch ein Objekt im Raum (Komet) abgelenkt wurde, Narrative Dynamik entsteht durch Unfälle, die überhaupt erst zur Handlung führen, wenn Plan aufgehen würde, wäre es ja langweilig Geradlinige Bewegung wäre nur in einem objektfreien Raum möglich, nicht mal im All ist das Die Helden sind auf ihren Sehsinn beschränkt, Dominanz dessen, sie können nicht eingreifen sondern müssen schauen, was auf sie zukommt Blick zurück auf die Erde, Erde wird immer kleiner, erscheint verloren im Weltall und völlig bedeutungslos, Nichtigkeit Der Gedanke des 18. Jhd., dass die Menschen besonders gut sein müssen damit sie Gott überhaupt erst auf sich aufmerksam machen können, weil es so viele andere Planeten gibt, um die er sich kümmern muss Zwei Spannungen: Erfahrung der Relativität, der Nichtigkeit der Erde vs. Einzigartigkeit der Mission wird betont Sensorische Deprivation vs. Kosmisches Spektakel: sie können zwar nur sehen, aber dieser Sehsinn verschafft ihnen großartige kosmische Spektakel Als das Projektil auf die Rückseite des Mondes gelangen, in dem Finsternis herrscht Als zwei Kometen zusammenstoßen, entsteht ein Blicklicht, in dem die Reisenden auf die Rückseite des Mondes sehen können Und sie glauben, Pflanzen, Berge,… zu sehen, und als das Licht weg ist, sind sie sich nicht mehr sicher, ob sie das wirklich gesehen haben Jules Verne hält sich damit zurück, lässt es offen Versucht Glaubwürdigkeit zu bewahren, indem er sich nicht allzu weit vom aktuellen Wissenstand entfernt (auf der Rückseite des Mondes kann ja gar nichts leben) Der Leser wird insofern eingebunden, als dass Ardan der naive Frager ist und die Fragen stellt, die der Leser stellen würde Barbicane meint, dass der Mond früher bewohnt war, er nur mittlerweile abgekühlt ist und daher keine Atmosphäre mehr hat, ähnliche Tiere, intelligente Wesen dort waren Mond als Beispiel für unsere Zukunft Raumfahrt als Fahrt in die Zukunft des Menschen, als evolutionäre Determination, was der Erde bestimmt ist Frage der Bewegung mit zwei großen Gefahren Kollision und Stillstand (Linie, an der sich die Gravitationskräfte der Erde und des Mondes aufwirken, würde den Tod bedeuten, wie lange reicht der Proviant), ‚Bewegung ist Leben

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Gefahr auch in den Übergängen vom Stillstand zur Bewegung wie beim Abschuss, da drohen die Helden zerquetscht zu werden (durch Wasser gelöst) Und ebenso Landung auf Erde – Kapsel fällt ins Wasser Zuerst verfehlen sie das Ziel, Gefahr, um den Mond als Trabant zu kreisen (Kreisbewegung wäre auch Stillstand, Bewegung ist nur von Start zu Ziel) Wieder Kollision mit Himmelskörper, der sie auf eine Bahn zurück zur Erde schießt

Paul Scheerbart 1863-1915 Geboren als Jules Verne seinen literarischen Durchbruch hat Wurde vollkommen vergessen und erst in den 1950er Jahren wiederentdeckt und auch da nur in sehr kleinen Auflagen, z.B. bei Suhrkamp Online zu lesen Differenz zu Jules Verne in der Schreibweise, bilden zwei gegensätzliche Pole die das Feld der wissenschaftlichen Fantastik vor dem WK abdecken Naturwissenschaft und Technik dient zur Modernisierung des Abenteuerromans bei Jules Verne Bei Scheerbart: Wissenschaft und Technik sind Mittel radikaler Veränderung der Weltsicht, wird in neue Form der Weltsicht eingegossen Nicht Interpretation des Vorhandenen sondern metaphysisches Werkzeug Die große Revolution (1902) Spielt auf dem Mond, wo die Mondbewohner, Seleniten, die Menschen durch Teleskop beobachten und stellen fest, dass es auf der Erde sehr grausam zugeht Kontrast zwischen kontemplativen Friedlichkeit des Mondes und der rohen Gewalt der Erde, wo sich die Menschen in Kriegen gegenseitig abschlachten Abneigung der Mondbewohner gegen die Menschen Im Mond werden Kristalle gefunden, die als Teleskope genutzt werden können als riesiges Auge, mit dem sich die Mondbewohner von der Erde abwenden und in den Weltraum blicken Mondbewohner können ihren Körper aufblasen und damit fliegen, sie können den Kopf einziehen und sich Abhänge hinunterrollen lassen, ihre Haut wechselt mit der Stimmungslage die Farbe physiologische Wandelbarkeit Beim Sterben erwächst aus dem Sterbenden ein neues Lebewesen hinaus, gibt einem Moment, in dem es zwei Köpfe gibt, und der erste Kopf teilt dem neuen Kopf alles wissenswerte über die Mondwelt mit Lesabéndio (1913) Planet der Palasianer Fantastische Körperkonstruke, Augen in Teleskope verwandeln, Nahrung durch Haut aufnehmen, spannen sich selber auf und bilden einen Ballon, in dem sie schlafen Fortpflanzung: werden als Nüsse zwischen dem Gestein gefunden, die geknackt werden und ein neuer kommt raus Wenn ein alter müde wird, wird man von einem anderen aufgesogen 9

Menschen kommen nur noch marginal vor, gibt nur Berichte von kannibalistischem Verhalten der Menschen Werden durch Scheerbarts Privatmythologie eingebunden, in einem Turm, den sie bauen, wird ein Kopfsystem des Planeten integriert Planeten selbst als Lebewesen mit Sinnesorganen, Mond mit Augen schon bei anderen – Verschmelzungsfantasien Gegenüberstellung Verne und Scheerbart Verne Die wilden in Afrika in „5 Wochen im Ballon“

Kannibalismus

Identifikation mit den Helden, aktive Ruhe

Lektüreprozess

Geborgenheit, organische Materialen wie Stein und Holz Gartenstadt, organische Umwelt als Hygiene

Interieur

Reise ins Unbekannte Das technisch Machbare aktive Veränderung

Hygienevorstellung Umgestaltung der Natur Alternativen zur Psychologe Aneignung des Unbekannten Technik Utopische Horizonte Aber bei beiden Autoren beide Elemente

Scheerbart Vorschlag, dass man kleine Kinder mit 1 Jahr verspeisen sollte mit dem Vorteil das Problem der wachsenden Weltbevölkerung lösen (Satire) vernünftiger als Massenschlachtung im Krieg Figuren eher mythologisch motiviert, Konstrukte, metaphysische Ideen verkörpern Transparenz der Glasarchitektur Glas ist Sauberkeit

Beginnt gleich im Unbekannten märchenhafte Technik Kontemplative Hineinblicken in den Weltraum

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27.03.2014 H. G. Wells - The Time Machine The Time Machine war ein gattungskonstituierender Roman. Er: • • • •

beinhaltet eine Zeitreise ist wissenschaftlich plausibel beinhaltet eine Fortschrittsidee beinhaltet einen darwinistischen Evolutionsgedanken

Das neue ist, dass die Frage der Technik wissenschaftlich diskutiert wird. Verschiebung vom Raum-Zeitparadigma. Zu Beginn der Moderne um 1800 wird die alternative Gesellschaft in die Zukunft verlegt und nicht mehr auf einer einsamen Insel dargestellt, wie z. B. in Thomas Morus Utopia. Dies geschieht aus 2 Gründen: Grund 1: Die weißen Flächen auf der Weltkarte verschwinden immer mehr. Es gibt keine Gebiete mehr auf die man eine alternative Gesellschaft verlegen könnte. Grund 2: Dynamisierung – Die Zeit bringt schnell Veränderungen Wells war vor der Veröffentlichung seines Romans unbekannt. Danach wurde er schlagartig berühmt. Er verfasste eine in die Zukunft verlegte Dystopie, die wissenschaftlich plausibilisiert ist. Die zentralen Merkmale im 19. Jhdt. sind Glaube und Kritik am Fortschritt. Im Roman wird der Fortschrittsgedanke in Frage gestellt. Darwinismus: Darwins Evolutionstheorie ist rein auf Tiere bedacht. Darwin beschäftige sich mit der Vergangenheit, nicht mir der Zukunft. Dieser Gedanke wird aber nun auf die Zukunft projeziert und auch auf den Menschen. Zum Inhalt: Im Haus des Zeitreisenden wird darüber diskutiert, was denn eigentlich die Zeit sei. Welches Verhältnis besteht zwischen Raum und Zeit? Das Rau Zeit Kontinuum wird später zu einem Topos der SciFi. •Zeit = eine Form des Raums •Bewegung im Raum → Bewegung in der Zeit •Verne: Zeit = unhintergehbar und irreversibel •Verfügbarkeit der Zeit: Überschreitung der Grenzen konventioneller Empirie und Logik •Allmachtsphantasie: göttliche Omnipräsenz Die Inszenierung der Zeitmaschine Es wird nicht erklärt wie die Zeitmaschine funktioniert, aber es wird genau und detailliert beschrieben wie sie aussieht. Die Zuhörer sind dem Zeitreisenden gegenüber sehr skeptisch. Der Zeitreisende verschwindet in die Zukunft und erklärt seine Zeitreise durch die Dinge die er aus der Zukunft mitbringt. Durch die Skepsis der Freunde des Zeitreisenden ist es dem Leser möglich, sich mit ihnen zu identifizieren. Dadurch wird die Authentizität gesteigert. •Funktionsweise wird nicht erklärt 11

•Beschreibung der Konstruktionsmaterialien •Zuhörer des Erzählers = skeptisch •Aus der Zukunft mitgebrachte Objekte •Authentizitätssteigerung Stationen des Zeitreisenden Station 1: Der Zeitreisende reist ins Jahr 802701 n. Chr. Er bleibt auf der Erde, der Ort bleibt also gleich, nur die Zeit ändert sich. Zu Beginn sieht der Zeitreisende nur die Hälfte der Welt der Zukunft. Er trifft auf die Eloi-Menschen, die auf der Oberfläche leben. Sie sind sehr kindlich und wirken verweiblicht. Sie ernähren sich vegetarisch und leben scheinbar ohne Sorgen. Sie haben kein Eigentum, was an einen scheinbar kommunistischen Hintergrund erinnert. Sie sind sorglose musische Lebewesen. Das Leben der Elois liest sich wie eine Parodie auf die Rückkehr in ein vorindustrielles Zeitalter. •Jahr 802.701 •Eloi: Degeneration und Regression •Kommunismus •Sozialdarwinismus •Parodie auf die Utopie der Rückkehr in ein vorindustrielles Zeitalter (William Morris: News fromNowhere, 1891) Station 2: Die andere Hälfte (andere Seite) der Welt der Zukunft wird von den Morlocks bewohnt. Sie leben in der Unterwelt und werden dadurch erst später vom Zeitreisenden entdeckt. Die Morlocks sind sehr maschinenorientiert, hart und diszipliniert und ihr äußeres ist lemurenhaft, fast ekelhaft. Sie ernähren die Elois. Der Grund dafür wird klar, als der Zeitreisende herausfindet, dass die Warlocks in den Vollmondnächten Jagd auf die Elois machen. •Morlocks: Unterwelt •Das Weiche, Diffuse, Verschwimmende, Lustbetonte, Spielerische, Weibliche vs. das Harte, Disziplinierte, Geordnete, Feste •Ruinenlandschaft •Vitalität der produktiven Klasse •Evolutionspessimismus (Thomas Henry Huxley) •Umkehrung des Herrschaftsverhältnisses parasitäre Kapitalisten – produktive Arbeiterklasse Die Erde ist eine Ruinenlandschaft, eine sehr bildliche Darstellung für den Verfall der Zivilisation auf der Oberfläche. Die Evolution hat aus dem Menschen die beiden Unterrassen der Elois und Warlocks entwickelt. Wells Vorschlag ist also eine soziale Spaltung, ein Dualismus zwischen den parasitären Kapitalisten und den Arbeitern, der sich mit der Zeit in der Zukunft biologisiert. Die Arbeiter werden zur herrschenden Klasse. Die Morlocks stehen über den Elois und halten sie wie Schlachtvieh. Wells verfolgt also einen evolutionären Ansatz in welchem die Dystopie sozial bedingt ist. Es wird keine rassistische, sondern rein die soziale Differenz dargestellt.

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Station 3: Der Zeitreisende verlässt die Zeit der Morlocks und Elois und reist weiter in die Zukunft. Er landet in einer Ödnis, einer desolaten Situation. Die Erde rotiert nicht mehr und der Zeitreisende erlebt einen Schreckensmoment als sich ein riesiges krebsartiges Lebewesen aus dem Meer erhebt. Diese 3. Station liegt 30 Mio Jahre nach unserer Zeit. Es gibt kein Leben mehr (Wärmetod). Es herrscht vollkommener Stillstand und Trostlosigkeit. Die Dystopie ist durch die Natur gegeben. Diese apokalyptische Zukunftsvision wird noch einmal zurück in die Gegenwart gebracht, dann verschwindet der Zeitreisende in der Zukunft. •Fernere Zukunft: Stillstand der Natur •Letzte Station: Wärmetod (Entropie) •Zeitreisender kehrt mit apokalyptischer Vision in die Gegenwart zurück •Devolution •Determinismus •Warndystopie H. G. Wells war folgender Gedanke wichtig: Nach einem bestimmten Höhepunkt kehrt sich die Evolution um und es entsteht eine Devolution, also eine Rückentwicklung. Determinismus - die Zukunft kann nicht verändert werden. Dieser Ansatz ist jedoch schwierig, da, wenn der Roman als Warnung gelesen wird, der Autor ja damit rechnet, dass die Rezipienten durch die Funktion des Romans zum Umdenken gebracht werden. Die Botschaft ist ein Warnhinweis – Wir können etwas ändern! In vielen Romanen nach 1945 finden wir das Motiv der Reise in die Zukunft – wie würde die Zukunft aussehen, wenn der Lauf der Geschichte nicht geändert wird. Daraus entsteht die Grundfrage die bei Zeitreisen auftritt: Ist der Verlauf der Geschichte in Vergangenheit und Zukunft änderbar oder vorherbestimmt?

Egon Friedell: Die Reise mit der Zeitmaschine (begonnen 1910, erschienen postum 1946) Ausgabe bei Diogenes: Die Rückkehr der Zeitmaschine (1974), also neuer Titel Roman ist deutlich jünger als der von Wells, er knüpft direkt an den von Wells an und bemüht sich um die Klärung offener Fragen. Es handelt sich bei diesem Roman um eine Metafiktion, eine Fiktion 2. Grades, da Friedell und Wells beide im Roman vorkommen. Auch sogenannte Authentizitätsfiktion. Wells ist eine in den Roman integrierte Person, die komplett gleichberechtigt neben dem Zeitreisenden steht. Friedell selbst tritt nur als Herausgeber der Briefe auf. •Ausgabe bei Diogenes: Die Rückkehr der Zeitmaschine (1974) •Anknüpfung an Wells •Metafiktion •Briefroman: wechselnde Perspektiven •Autor als Herausgeber und Briefschreiber •Ironisches Spiel der Zitate und Spiegelungen 13

Friedell stellt die folgenden Fragen: Welche Konsequenzen resultieren aus Wells Zeitmaschine? Welche Folgen haben wissenschaftliche Entdeckungen für die Welt der Menschen? Es ist also keine spezielle Form der SciFi. In der SciFi werden mit Fantasie Technik und Wissenschaft kombiniert. Wenn man es genau betrachtet, könnte man sagen, dass Friedell gar keine SciFi schreibt. Bei Friedell liegt eine Verschiebung des Technischen ins Literarische vor. Topos SciFi: Techniker aber mehr Fantasie als Literaten. Polemik gegen die Fantastereien der Literaten, aber die Übertechnisierung wird parodisiert. Es herrscht eine Art Schwebezustand mit einer Portion Skepsis auf beiden Seiten. Technische vs. literarische Intelligenz •Verhältnis Literatur – technischer Fortschritt •Persiflage des wissenschaftlichen Diskurses •Dualismus von humanistischer und polytechnischer Kultur •Polemik gegen vage Phantastereien der Literaten – Parodie auf die Umpolung der Wertehierarchie zugunsten einer technischen Kultur •Inversion: Mangel an Phantasie führt zu Geisteskrankheit •Ablehnung der Versuchs, technische Phantasien durch sprachliche Manöver plausibel erscheinen zu lassen Zum Inhalt: Friedell schreibt an Wells, Wells Sekretärin antwortet. Sehr übertrieben. Wer die Existenz der Zeitmaschine bestreitet wird von der Sekretärin als dumm hingestellt. →Mangel an Fantasie führt zu Geisteskrankheit Friedell lehnt es ab, sprachliche Fantasien technisch plausibel zu machen. Er nimmt also Kontakt zu einem Journalisten auf der bei den Zeitreisen zugegen war, der ihm mehr über die Zeitreise erzählen soll. Es kommt zu Reisen in die Vergangenheit. Dafür muss man mit der Zeitmaschine in der Zukunft Schwung holen um in die Vergangenheit zu gelangen. •Zeitreisender ist nicht an Zukunft, sondern an Vergangenheit interessiert •Muss in der Zukunft Schwung holen, um „Widerstand der Erdzeit“ zu überwinden •London 1995: liegt in der Luft; technische Beseitigung der Körperfunktionen •London 2123: durch Krieg ausgelöscht →Bei Friedell taucht bereits die Idee auf, dass Veränderungen in der Vergangenheit durch Zeitreisen auch die Gegenwart beeinflussen. Er ist einer der ersten der sich mit dieser Idee auseinander setzt. Demnach gibt es 3 Möglichkeiten: • • •

es ändert sich nichts Änderung der Vergangenheit löscht andere Vergangenheit aus Paralleluniversen entstehen aus verändertem Zeitablauf

Probleme der Reise in die Vergangenheit •Aufspaltung des vergangenen Geschichtsverlaufs: Paralleluniversen •Paradoxie: Der Zeitreisende begibt sich in eine Vergangenheit, in der die Zeitmaschine noch nicht existiert hat. (Er muss 1 Jahr warten bis die Zeitmaschine endlich gebaut wird.) 14

•Fazit: Eroberungen in Raum und Zeit lohnen sich nicht, wenn man darüber das einzig Wesentliche, die Eroberung des eigenen Ichs, versäumt. Zeitreise als Kulturgeschichte Für Friedell ist durch das Raum/Zeit-Kontinuum ein linerarer Zeit/Geschichtsverlauf nicht mehr möglich. (Stanislav Lem führt diesen Gedanken der Verschachtelung der Zeit in den Sterntagebüchern weiter). →durch diese Infragestellung werden sprunghafte Änerungen erklärbar Die materielle Zeitreise ist eine Flucht vor sich selbst. •Bezug zu FriedellsKulturgeschichte der Neuzeit •Wells: A Short Historyofthe World (1922) •Linearer Geschichtsverlauf wird in Frage gestellt •Dynamisches Zeitverständnis: statt gradueller Entwicklung Sprünge und Umbrüche •Zeitreise als Flucht vor sich selbst Oswald Levett: Verirrt in den Zeiten (1933) Der Autor und der Roman sind in Vergessenheit geraten. Levett war ein Wiener Autor der 1942 im KZ ermordet wurde. Zum Inhalt: Auch hier wird eine Zeitmaschine bearbeitet, das sogenannte Tempomobil. Es wird ausschließlich für Reisen in die Vergangenheit benutzt. Levett lässt die Maschine von der Mutter des Erfinders beschreiben und drückt sich so erfolgreich vor technischen Details ☺. Das Motiv des Erfinders für die Entwicklung der Zeitmaschine ist die Überwindung des Todes. •Ausschließlich Reise in die Vergangenheit •Beschreibung der Maschine beschränkt sich auf äußeres Erscheinungsbild •Erfinder als Magier •Motiv: Überwindung des Todes Levett sagt, dass nur der der Fantasie hat die Realität erkennt wie sie ist. Die Borniertheit macht realitätsblind. Mehrere Motive werden von Levett innerhalb des Romans amalgamiert: •Zeitreise mit Parallelwelten, Persönlichkeitsspaltung, Vorfahren, etc. •Ewiger Jude : Figur die ruhelos durch die Zeit wandert und nicht sterben kann – ewige Wanderung •Historischer Roman : fingierte historische Quellen •Kaspar Hauser: Fremdheit in der Zeit •Stigmatisierung & Eliminierung des Störenfrieds: Tod des Zeitreisenden •Hybris des genialen Erfinders , der von Gott bestraft wird •Schicksal, Determinismus: Katastrophen lassen sich nicht verhindern •Kriminalroman: Zeitreisende die aus einem geschlossenen Raum verschwinden Was ist mit dem Zeitreisenden passiert? 15

Rolle des Detektives übernimmt ein Historiker Alternativweltgeschichte Was wäre wenn? Z.b. die Mayas Spanien besiegt hätten, Hitler gewinnt, DDR Deutschland übernimmt? Historismus: Wenn geschichte Fiktion ist, lässt sich die Geschichte dann ändern? Ist die Zeit überwindbar, ist auch die Realität überwindbar. •Komplementarität SF – Historischer Roman •Geschichte als Fiktion •Irreversibilität der Zeit •Zwiespältigkeit der Zeitauffassung •Geschichtsverlauf lässt sich nicht beschleunigen Bei Levett wird die Unumkehrbarkeit der Zeit widerlegt und bestätigt. Die Zeiterfassung im Roman ist zwiespältig. Irritation des Zeitreisegedankens in die Vergangenheit stark spürbar. Der Zeitreisende kann die Vergangenheit nicht ändern und die Zeit nicht beschleunigen. Psychologische Erklärung → Reise in die Vergangenheit – Depression → dann wäre das Romangeschehen die Fantasie eines Depressiven Philosophische und psychologische Fragestellungen •Messianismus, kritisch gebrochen •Umschlagen der Sehnsucht nach Vergangenheit in Depression •Romangeschehen als Phantasieprodukt eines seelisch Verstörten •Wunscherfüllung und Trost über Unerfüllbarkeit der Wünsche Geschichtsphilosphische Ebene Konsistente Geschichte: Vergangenheit unveränderbar, Willensfreiheit des Zeitreisenden → Illusion Der Glaube an das wunderbare spielt eine wichtige Rolle. Nicht alles wird aufgeklärt. Geschichtsphilosophie •Konflikt Willensfreiheit – vorgegebener Geschichtsverlauf •„Konsistente Geschichte“: Unveränderbarkeit der Vergangenheit macht Willensfreiheit des Zeitreisenden zur Illusion. •Rätselhaftigkeit: Glaube an das Wunderbare Position der Zeitreisenden •Wells, Friedell: Beobachter •Levett: vergeblicher Versuch, in Geschichtsverlauf einzugreifen •Spätere Zeitreiseerzählungen: erfolgreicher Eingriff in die Vergangenheit •Verzweigung der Geschichte, parallele Geschichtsvarianten •Geschichte als narrativer Text, analog zur SF •SF-Historiker als Metahistoriker

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03.04.2014 Biotechnik: Alfred Döblin - Berge, Meere und Giganten Geschichtskonzepte Infragestellen des linearen Geschichtsverlauf Mehrdimensionale Erzähltechnik Simultaneität Massenbewegungen vs. Handelnde Einzelmenschen Verschiedene Kräfte, die ineinander verflochten sind und sich auch teilweise widersprechen, Geschichte besteht aus individuellen Akteuren, die eigentlich nicht individuell sind, auch Dinge sind Akteure Außermenschliche Welt spielt auch in Geschichtsverlauf eine wichtige Rolle Massenbewegungen schreiben Geschichte, nur selten tauchen Einzelpersonen auf, die dann auch wieder verschwinden Natürlich haben diese Personen einen gewissen Handlungsspielraum aber sind in erster Linie Verkörperung Kräfte und keine abgerundeten, psychologisierten Personen

Berge, Meere und Giganten 1924 Breites Spektrum verschiedenartiger SF-Elemente – Genre bereichert Er versucht auch eine neue Sprache und neue Erzählstrategien zu finden Sprengung der generischen Muster Handlungsverlauf: nicht linear, Vielzahl eigenständiger Episoden Handlungsträger: nicht einzelne Figuren sondern Massen Autoren nicht auf SF beschränkt, z.B. Musil hatte Entwürfe für SF Romane – nicht unbedingt ein SF Autor aber er hat sich auch in diesem Genre versucht Gibt noch eine zweite Fassung von 1930, die weniger radikal war, Versuch, dem Publikum entgegenzukommen In VO erste Fassung interessanter, auch für die Sprengung des Genres SF Handlungsverlauf nicht linear, nicht zielgerichtet, offenes Ende, es werden viele eigenständige Episoden miteinander verwoben, immer wieder Abschweifungen, einzelne Geschichten, die die Handlung nicht weitertreiben, werden dann oft seitenlang ausgeführt Nicht alles ist funktional auf ein bestimmtes Ziel in dem Roman ausgerichtet Viele Bilder, Aspekt der Bildlichkeit, Kohärenz wird nicht nur durch eine bestimmte Narration sondern auch durch bestimmte Bildcluster hergestellt. Handlungsträger: nicht einzelne Figuren, sondern Massen Der Roman teilt sich in 9 Kapitel, die Bücher genannt werden, davor ist Zueignung (=Widmung), die nicht an eine Person gerichtet ist sondern eine Ansprache an die allgewalte Natur, darin wird die Nichtigkeit des einzelnen Menschen und des Menschen als Spezies angesichts der Übermacht der Naturkräfte

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Inhalt: Zueignung und erstes Buch: Übermacht überindividueller Naturkräfte Beginn mit Rückblick ins 20. Jahrhundert, der letzte Überlebende des 1. WK ist gestorben ( ~ unsere Jetztzeit) Zunehmende Verstädterung und Industrialisierung, Aufhebung nationaler Grenzen, Vermischung der Rassen, riesige Stadtstaaten wie NY, London, Berlin,… Auf der technischen Ebene wird v.a. auf die Anwendung der Elektrizität im militärischen Rahmen beschrieben – elektrische Schutzschilder um Stadtstaaten aber auch als tödliche Strahlen Herrschaft der WissenschaftlerInnen und TechnikerInnen, Technokratie hat sich durchgesetzt, Produktion läuft automatisiert ab Wissenschaft hat sich etabliert Prognose mit den üblichen blinden Flecken wie die fortlaufende Industrialisierung – die ja tatsächlich mehr in Schwellenländern ist, USA etc Information Erstes Buch Sozialdarwinismus (Survivalofthe fittest) und Massenpsychologie: bei Döblin geht es auch immer sehr stark um die Frage, wie kann man Massen steuern, statt Führerkult ist es so, dass Möchtegern-Führer fast immer scheitern, Massen sind eben nicht kontrollierbar Masse wird hier durchaus als etwas Gefährliches dargestellt, damit liegt er im Trend der Zeit, Brot und Spiele auch in Zukunftsgesellschaft, Orgien werden dargestellt, die von Frauen angeführt werden – Männerfantasien, dass Frauen besonders anfällig sind für orgiastische Grausamkeiten? Merkwürdige Frauenbilder – Frauen haben viel Macht und machen diese den Männern streitig aber gleichzeitig kippt diese Machtlust ins Grausame um. Gibt aber auch andere Frauenbilder bei Döblin Auch Religion spielt eine Rolle mit zwei religiösen Positionen (wurde verwunderlicherweise zu einem überzeugten Katholiken): 1. Maschinenkult vs. 2. Technikfeindliche Siedler Die auch immer wieder zu Gewaltausbrüchen neigen Wasser- und Sturmlehre Setzt sich ganz bewusst gegen den Individualismus und für den Sozialismus ein, nicht im Sinne des Kommunismus sondern als religiöse Gesellschaftslehre Ameisenstaat Staat ist übergeordneter Organismus, der Einzelne ist nur Teil darin, Leben des Einzelnen ist nicht viel wert, weil es jederzeit durch einen anderen ersetzt werden kann Staat ist wichtig und nicht der Einzelne Technischer Fortschritt und Machtkonzentration Synthetische Nahrung, erhöht Bedeutung der Städte und macht sie vom Land unabhängig. Nahrungsproduktion in automatisierten Betrieben in den Städten, führt dazu, dass die Massen (Arbeitermassen Döblins Zeit, die ja da eine wichtige Rolle hatten) entmachtet werden, weil sie nichts mehr zur Produktion beitragen, es entsteht dadurch das Problem der

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Langeweile, dadurch entstehen Aggressionen – Wie werden gesellschaftliche Spannungen im Inneren werden kanalisiert, indem man einen Außenfeind sucht Krieg wird entfacht

Zweites Buch Krieg als Kanalisierung gesellschaftlicher Spannungen Eurasischer Krieg zwischen Europa und Asien, Weite der asiatischen Landschaft kommt ihnen zu Gute. Gerade in dieser Weite zeigt sich, dass sich die Natur nicht so leicht unterwerfen lässt, in diesem Krieg entstehen Naturkatastrophen (Überflutungen,… Machtdemonstration der Natur) und Massenvernichtungsmittel – Menschenmassen sterben Dieser Krieg führt dazu, dass sich die menschlichen und materiellen Ressourcen erschöpfen (wie es auch im 1. WK so war)

Drittes Buch Konsul Marke im Stadtstaat Brandenburg regierend zu Beginn des 27. Jahrhunderts, der seine Macht dadurch konsolidiert indem er sich von seiner Umgebung zurückzieht Wiederherstellung der Verbindung zu Natur und Religion, doch es zeigt sich, dass Menschheit nicht ohne Technik überlebt, weil die Nahrungsmittel ja so produziert werden, Abhängigkeit von synthetischer Nahrung Nach Tod von Konsul Marke (verschwindet einfach aus dem Roman) regiert Konsul Marduk im 27. Jahrhundert, seine Gegner sind die Eisenfreunde (Technikbefürworter) die in Wald hineingelockt werden zu einer angeblichen Besprechung. Dieser Wald wächst besonders schnell und erdrückt die in ihm gefangenen Menschen – brutale Beseitigung der Gegner durch die entfesselte Natur Stadtbevölkerung wird zu therapeutischen Zwecken in regelmäßigen Abständen in die Wildnis geschickt

Viertes Buch Kampf zwischen Technik und Natur geht immer weiter und es kommt zu einer Enthemmung und Brutalisierung (inkl. Kannibalismus) Scheitern des Ausgleichs zwischen notwendiger Technik und Wiedererwecken des Natürlichen Im Natürlichen ist das Aggressive Spirale der Gewalteskalation Gesellschaftliche Widersprüche spiegeln sich im Privatleben Marduks, in der Figur. Diese Figur spielt über längere Zeit eine wichtige Rolle, nicht als eigenartige Figur sondern als exemplarische Figur, als Verkörperung

Fünftes Buch „Das Auslaufen der Städte“ Städte sind nicht dauerhaft überlebensfähig, die Siedler bekommen eine stärkere Bedeutung, betreiben wieder Landwirtschaft und sind unabhängig von synthetischer Nahrung, viele suchen dort Zuflucht – Naturnahes Leben der Siedler 19

Handlung schwenkt rüber nach London, in dem zwei Politiker auftreten White Baker vs. Francis Delvil Wie Disput zwischen Siedlern und Technik lösen? Enteisung Grönlands als großes Projekt

Sechstes und Siebtes Buch Flotte reist nach Island um dort Energie zu gewinnen, alle Isländer, die sich diesem Plan widersetzen, werden ermordet Aus Vulkanen wird Energie gewonnen, die in Turmalin gespeichert wird und so transportiert werden kann nach Grönland Diese Energie hat auf die Psyche der Seefahrer Auswirkungen mit berauschender und erotisierender Wirkung Mit dieser Energie wird die Eisdecke Grönlands abgeschmolzen Man weiß eigentlich nicht genau, wozu das genau gut sein soll, aber es ist ein großes Projekt Die Wirkung der Abschmelzung ist bemerkenswert – das Leben beginnt unkontrolliert zu wuchern und ausgestorbene Lebensformen wie Dinos,… kehren zurück Es ist eine Art von evolutionärer Rückkehr älterer Formen

Achtes Buch Bedrohung durch Untiere, bedroht werden Europa und die Menschen Zunächst schaut es so aus, als wäre der Kampf dieser Tiere aussichtslos, da ihre abgetrennten Glieder sich zu neuen Tieren entwickeln und die Untiere weiterleben Entfesselung des Lebens als Horrorvision Deswegen bekämpft man sie mit den gleichen Mitteln, man versucht neue Lebensformen zu konstruieren, die diesen Untieren Paroli bieten können - Organische Konstruktion von Wächterfiguren, die entlang der Küste aufgestellt werden, Turmwesen in Verteidigungslinie. In diesen werden Steine, Erde und organische Stoffe verbunden, sollen sich die Untiere einverleiben und dadurch stärker werden, Verbindung von organischen und anorganischen Stoffen Wohnraum wird unter die Erde verlegt, die große Masse lebt unterirdisch – Rückkehr zum Höhlenbewohner. Technisierung wird Urleben gegenübergestellt Herrschende Klasse versucht mit sich selber zu experimentieren und sich in Übermenschen zu verwandeln – Turmmenschen, Vögel, Bäume,… man versucht selbst zu mutieren – Wachstum ins Gigantische Faszination durch das Gigantische im 19./20. Jahrhundert – heute ist das Winzige interessant Physisches Wachstum und geistige Verkümmerung, Giganten wachsen immer mehr aber mit der Größe verkümmern sie und werden immer mehr zur Natur, verfallen allmählich, werden zu Geröll, zu pflanzenartigen Wesen und verkümmern geistig immer mehr, bis sie schließlich von der Erde verschlungen werden und zur Erde werden (recht biblisch) Verschlingung der Giganten durch die Erde Hybris ist zum Verschwinden verdammt

Neuntes Buch 20

Die weibliche Führerfigur Venaska, die sich sehr stark von den kalt berechnenden und Orgien führenden Technikerinnen abhebt, als Verkörperung der grenzenlosren Liebesfähigkeit und einen Neubeginn, den sie auch versucht in die Wege zu leiten Venaska kommt von Venus Hatte sich vor dem Untergang auf die Seite der Giganten geschlagen, sie hat dann gelernt, dass es nicht der richtige Weg ist, aber so werden die Giganten von ihr nicht vollkommen verdammt, sondern sie bewundert ihre Leistung aber empfindet Abscheu Gegengewicht zur allgemeinen Verrohung Venaska ist nicht Erlöserin sondern Verkünderin eines Neubeginns, der auf ethisch bestimmte soziale Gemeinschaft aufbauen soll Nicht um metaphysische Liebe sondern auch körperliche Liebe, keine Missionarin Neue Siedlerbewegung unterstützt sie und lassen sich in Frankreich nieder und verbünden sich mit Grönlandfahrern (Überlebenden der Grönlandreise) die Techniker waren Lebensfreundlicher Ausgleich zwischen Naturverbundenheit und –beherrschung Expressionistische Vision des Neuen Menschen, in den 20er Jahren ein wiederkehrendes Topos – der neue Mensch

Keine Utopie ausgestaltet, am Ende wird eine Bewegung gezeigt, aber nicht gezeigt ob sie erfolgreich sein wird, nur Möglichkeit wird beschrieben

Wichtige Aspekte: Neuer Heldentypus Nicht Individuen sondern Massen – nicht nur Menschenmassen sondern auch Naturkräfte wie der Wald oder Tiere, nur wenige Menschen treten hervor wie Venaska, Marke und Marduk, aber sie sind nicht unbedingt Subjekte sondern Verkörperung der Kräfte Venaska ist Frau auch von ihrer Körperlichkeit Figuren sind von ihrem biologischen Substrat bestimmt Vertreter anthropologischer, menschheitsgeschichtlicher Kräfte Vermeidung individualpsychologischer Motivation Auflösung des bürgerlichen Subjektbegriffs Flut von Bildern und Ereignissen Döblin nennt Epos als Vorbild für seine Erzählung, bei dem Kräfte, die aufeinander treffen wichtig sind Handlung ist aus romantischen, realistischen Tradition des 19. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden sondern Flut von lose miteinander verketteten Bildern Natur vs. Zivilisation Luxuriöses, abgesichertes Leben vs. Naturnahres Leben, als dialektisches Verhältnis, Geist nicht als Gegensatz zur Natur wie bei Descartes, sondern Geist ist Teil der Natur, Durchdringung von Geist und Materie

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Technik bewirkt nicht nur die Zerstörung und Beherrschung der Natur, sondern führt eigentlich erst recht zur Entfesselung der Natur wie bei der Grönlandreise Vorstoß in die Zukunft ist eine Rückkehr in die Vergangenheit, vergangene Lebensformen, Energien und Möglichkeiten werden wiedererweckt, die schon ausgestorben waren Hier tut sich die Ambivalenz von Archaik und Moderne, in unterirdischen Städten verbindet sich der Höhlenmensch mit hoch technisierten Menschen Es zeigt sich immer wieder, dass technische Allmachtsfantasien der Menschen schlagen ins Primitive, in primitive Lebensformen um

Reflex auf den 1. WK Hat einen ungeheuren Schock ausgelöst, Unsicherheiten und Ängste hervorgerufen Die Produktivkräfte sind in Destruktivkräfte umgeschlagen (wie z.B. enorme Luftverschmutzung in London durch Industrialisierung) Die ganze technologische Entwicklung war auf die Vernichtung der Menschen hin fokussiert – Schockerfahrung Katastrophen schaffen Raum für einen Neubeginn: z.B. nach 2. WK gab es viel Platz für neue Bauten – zwar recht zynisch aber trotzdem – neues blüht aus den Ruinen Neuheit ist bei Döblin nicht nur in den Objekten, in der Umwelt, sondern Modernisierung ergreift auch die Menschen, bei Katastrophen entstehen neue Menschenbilder, die jetzt intensiver leben, die überdimensionierte, übermächtige Emotionen verkörpern – poetologische Funktion

Neue Sprache Sprache als Spiegel der gesellschaftlichen Dynamik Sprache vermittelt Ruhelosigkeit, Verben, Adjektive,… ohne Interpunktion – Beschleunigung der Lesewirkung, man wird atemlos weitergetrieben, spiegelt die dargestellte gesellschaftliche Dynamik wieder Aufhäufen der Bilder versuche Maßlosigkeit im Formalen abzubilden Thomas Mann: epische Distanz zu dem und zu der Art, wie der Erzähler erzählt Döblin macht das eben nicht, versucht Leser in Roman hineinzuziehen, aber nicht über Identifikation – übliche Strategie sondern durch epische Penetranz (von Volker Klotz beschrieben) Epische Penetranz 1. der Erzähler durchdringt das, was er erzählt 2. Die Gegenstände durchdringen sich gegenseitig 3. Die Gegenstände durchdringen ihren Autor 4. Die epische Penetranz soll den Leser zwingen, im erzählten Geschehen auch sich selbst mitzuerleben und mitzuleben Beispiel in der Zueignung „ Was tue ich, wenn ich von dir spreche. Ich habe das Gefühl, als dürfte ich kein Wort von dir verlauten lassen, ja, nicht zu deutlich 22

an dich denken. Ich nenne dich »du«, als wärst du ein Wesen, Tier Pflanze Stein wie ich. Da sehe ich schon meine Hilflosigkeit und daß jedes Wort vergebens ist. Ich will nicht wagen euch nahe zu treten, ihr Ungeheuren, Ungeheuer, die mich auf die Welt getragen haben, dahin, wo ich bin und wie ich bin. Ich bin nur eine Karte, die auf dem Wasser schwimmt. Ihr Tausendnamigen Namenlosen hebt mich, bewegt mich, tragt mich, zerreibt mich.“ (S. 9) „Jetzt spreche ich – ich will nicht du und ihr sagen – von ihm, dem Tausendfuß Tausendarm Tausendkopf. Dem, was schwirrender Wind ist. Was im Feuer brennt, dem Züngelnden Heißen Bläulichen Weißen Roten. […] Jede Minute eine Veränderung. Hier wo ich schreibe, auf dem Papier, in der fließenden Tinte, in dem Tageslicht, das auf das weiße knisternde Papier fällt. Wie sich das Papier biegt, Falten wirft unter der Feder. Wie die Feder sich biegt, streckt. Meine führende Hand wandert von links nach rechts, nach links vom Zeilenende zurück. Ich spüre am Finger den Halter: das sind Nerven, sie sind vom Blut umspült. Das Blut läuft durch den Finger, durch alle Finger, durch die Hand, beide Hände, die Arme, die Brust, den ganzen Körper, seine Haut Muskeln Eingeweide, in alle Flächen Ecken Nischen. So viel Veränderung in diesem hier. Und ich bin nur ein Einzelnes, ein winziges Stück Raum.“ (S. 9) Lebensenergie Schreibprozess als natürliche Energie, als Energiestrom, stark verbunden mit Materialien, Energiequellen, Licht, Schreibfeder,… - Zueignung an du – namenloses du. Du ist Natur,…? Lebensenergie = Totalität, in die mit dem Autor auch der Leser unwiderstehlich hineingezogen wird Nicht harmonisches Ganzes, sondern Vielfalt konkreter Einzelheiten Brüche, Widersprüche, Dissonanzen

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10.04.2014 Der künstliche Mensch: Thea von Harbou: Metropolis Antagonismus Technik vs. Natur Bei Döblin letzte Woche festgestellt, dass die Natur eine Kraft ist, die durch die Technik entfesselt werden kann. Damit werden die kulturellen Oppositionen (Natur vs. Technik) unterlaufen. Dieser Roman und der Film dazu unterstreichen das noch mal. Während Döblin keine Breitenwirkung hatte - Roman (Thea von Harbou, 1926) und Film (Fritz Lang, 1927) repräsentativ für die Populärkultur der Zwischenkriegszeit anzusehen. Aus heutiger Sicht verschiebt sich das Bild. Die Qualitäten des Berge, Meere und Giganten werden erst entdeckt, während Metropolis durch die Monumentalität und Klischees beinahe unerträglich ist. Thea von Harbou wurde als Autorin fast vergessen, der Film hat das Buch überschattet. Ruhm des Films – wurde als erster Film in des Weltdokumentenerbe des UNESCO aufgenommen (Vorsicht – NICHT Weltkulturerbe, oft falsch angegeben) Roman beinahe vergessen, Film: Weltdokument der UNESCO Fritz Langs Verfilmung als Meilenstein der Filmentwicklung und für viele ein Kultfilm. Roman: Schlüsselstellung in der Mentalitätsgeschichte der Zwischenkriegszeit Heute Beschäftigung mit dem Roman Thea von Harbou 1888 – 1954 Schon als Jugendliche Prosa veröffentlicht, zuerst als Schauspielerin, nach 1914 nur noch Bücher, Harbous Karriere ist symptomatisch für zunehmende Einbindung der Literatur in Kulturindustire 1918 -1933Zusammenarbeit mit Fritz Lang 1922-1933 verfasste sie sämtliche Drehbücher von Fritz Lang Quasi die einzige SCIENCE FICTION-Autorin des Zwischenkriegszeit: Romane: Die Insel der Sterblichen (1926), Metropolis (1926), Frau im Mond (1928)

Metropolis „Mutterstadt“ Paradigma eines völlig von Technik dominierten Zukunftsstadt, künstliche Stadt aus der alles natürlich verdammt ist Tagesrhythmus ist durch 10 Stundenschichten geregelt, Sonne durch Scheinwerfer ersetzt Es gibt im Roman keine natürlichen Landschaften Schauplatz ist auf Stadt begrenzt Vertikale Struktur Struktur der Stadt ist durch die Vertikale bestimmt, ist zugleich eine soziale Hierarchie – wer reich ist wohnt oben, dort auch die Vergnügungsviertel der Reichen Die Arbeiter wohnen unterirdisch (Erinnert an H.G. Wells Timemachine) Im Roman wird überhaupt nicht erwähnt, wer zwischen ganz oben und unterirdisch lebt, es gibt keine Mittelschicht, es wird nicht gesagt, wer dort lebt 24

Aber es geht um Modelle und nicht um realistische Darstellungen Mit der räumlichen Schichtung korreliert auch ein Hell-Dunkel-Kontrast: Reich – hell und Aussicht, Arm – dem Tag-Nacht-Wechsel entzogen (Höhle vs. Nest) Künstlich beleuchtete Räume: moralische Verkommenheit Unterirdische Produktionsstätten Analogie zu Timemachine hat eine weitere Implikation Der unterirdische Wohnbereich ist in der Zeit in SCIENCE FICTION ein Zeichen einer Dystopie Der Herrscher Das Gehirn der Stadt ist der Jo Fredersen, der wohnt im höchsten der Hochhäuser und ganz oben ist die Kommandozentrale Hauptsächlich drückt er alle 10 Stunden einen Knopf – und da ertönt die Sirene als Zeichen für den Schichtwechsel. Was der sonst macht, weiß man nicht, es gehen Sekretäre ein und aus. Nur einmal drückt er ihn nicht, und das aus Vaterliebe weil er seinen Sohn nicht wecken will. Es gibt keine politische Herrschaft sondern eine ökonomische Herrschaft, das Gehirn kontrolliert Eigentlich eine Tätigkeit, die man einem Timer überlassen könnte, alle 10 Stunden den Knopf zu drücken – auch zu der Zeit vorstellbar Die Stadt ist ein riesiger Maschinenorganismus Reproduktion der Menschen zu Bestandteilen des Produktionsmechanismus Arbeiter sind uniformiert und bewegen sich in Gleichschritt, Uniformierung nicht nur die Kleider sondern auch die Körper und die Gesichter der Menschen Nummern statt Namen Maschine als Dämon, wird als Lebewesen dargestellt, als übermenschlichen Wesen, als M Menschen verschlingendes Ding. Heißt Paternoster. „Sei uns geheiligt, Maschine, Pater noster,… Dein Reich komme... Dein Reich komme. Maschine… Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden… Was ist dein Wille mit uns, Maschine, Pater noster? Bist du auch im Himmel, wie du auf Erden bist?“ (S. 32) Beziehung zwischen Mensch und Maschine erfährt eine doppelte Inversion • Herr-Knecht-Verhältnis ist umgekehrt • Der Mensch erscheint maschinisiert, führt standardisierte Bewegungen aus, entbehrt jede Individualität. Zugleich eine Anthropomorphisierung der Maschine (künstlicher Mensch) Anthropomorphisierung in zweifacher Hinsicht 1. Erotisierende Darstellung der Produktionsmaschinen, Pater noster ist männlich Produktion 2. Maschine als Menschimitat, die künstliche Maria, weiblich Reproduktion Lebende Tote und totes Leben Moloch Maschine saugt dem Menschen das Leben aus. 25

Handlungsstruktur Gegensatz Oberschicht – Arbeiterschaft als erste Darstellung Vater-Sohn-Konflikt: löst die eigentliche Handlung aus. Der Sohn des Diktators verliebt sich in Maria, die edle Samariterin, die sich um die verwahrlosten Proletarierkindern kümmert und einen Vermittler verkündet. Freder begibt sich aus Liebe in das Leben der Arbeiter Rollentausch Freder-Georgi. Während Freder in die Arbeiterhölle kommt, genießt Georgi den Luxus Der Vater beauftragt Rotwand, der verruchte Erfinder, der eine Kopie von Maria bestellt. Maria, die Parodie und Provokateurin Vater hat einen doppelten Plan, erst seinen Sohn holen, und nebenbei noch gleich einen Aufstand so auszulösen und so einschreiten zu können und die Menschen durch Maschinen ersetzen zu können. Auf der Suche nach Maria entdeckt Freder endlich das Double, dass er für Maria hält, und zwar in den Armen seines Vaters und fällt in eine todähnliche Ohnmacht Ein paar Tage später bricht der Aufstand aus, aufgewiegelt von Maria und einem Mönch Revolte breitet sich explosionsartig aus und richtet sich in erster Linie gegen die Maschine Als die große Maschine – die Produktionszentrale – zerstört wird, droht die Stadt unterzugehen Freder wacht wieder auf und erkennt die mechanische Maria als Parodie und flüchtet und rettet mit Maria die Arbeiterkinder im letzten Moment aus der unterirdischen Stadt Der Automat Maria wird von den Massen verbrannt Zweikampf zwischen Rotwang und Maria auf dem Dach der Kathedrale – Rotwang stürzt in die Tiefe Maria und Freder heiraten mit dem Segen des geläuterten Vaters, der schwört, von nun an ein guter Herrscher zu sein Mit dieser wundervollen Verwandlung erfüllt sich der Wunsch der Mutter von Jo Fredersen, die ständig dafür gebetet hatte Neues Aufleben der Stadt

Wechselbad Idylle – Katastrophe Leser wird dem raschen Wechsel unterzogen und dabei Dinge vermittelt • Ursache für soziale Missstände ist die fehlende Herzenswärme • Arbeiterrevolte als Ergebnis der Aushetzung durch einen Automaten • Tyrannische Herrschaft vs. Anarchie • Katastrophenbewusstsein und Heilserwartung, Mischung zwischen Religion und Technik in die Nähe des faschistischen Regime rücken lassen • Der gute und starke Führer Göbbels rief Fritz Lang zu sich mit dem Angebot, zukünftig alle Filme für das Dt. Reich zu machen Daraufhin floh der Jude Fritz Lang Großstadtroman

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In Metropolis wird das Thema Großstadt mit konventionellen Mustern abgehandelt während moderne Romane wie Manhatten Transfer (Bezugslose Nebeneinander zeigen und formal Totalität auflösen) Menschenmassen als Statisterie für die Handlungen heroischer Einzelfiguren Mythologie statt Psychologie, schwülstige Seelenschau, Figuren konstruiert, die sehr grobschlächtig sind, wenn auch Anführer Die Massen als Paket, die man hin und her schieben kann, die manipulierbares Material Neue Führerfigur Führer und Masse Gefühlsmäßige Bindung an den Führer Doppelte Maria: Barmherzigkeit vs. Verführung Am Anfang beklagt sich Frederson über die Mangelhaftigkeit des Menschenmaterials, das an den Maschinen zu schnell verschleißt Der Mittler zwischen Hirn und Hände muss das Herz sein – Motto des Romans, gefühlsmäßige Bindung an den Führer Herz durch Maria verkörpert, die nur für die Barmherzigkeit und Liebe lebt Kontrastiert durch die künstliche Maria, die kalt, künstlich, verführerisch ist, die echte Maria wird durch die künstliche Maria vernichtet, künstliche Maria wirkt elektrisierend auf die Massen Gefühl vs. Sexuelle Erregung die weibliche Androide erscheint als verführerische Tänzerin, die Masse verfällt in eine besinnungslose Trance, in der masochistische Lust an der Unterwerfung und sadistische Rachegelüste aufkommen vs. Verherrlichung von Herz und Gefühl: Illusion einer Lösung der bedrohlichen politischen Gegensätze Harbou stellt die weibliche Sexualität als destruktiv dar – klassische patriarchale Modell Die echte Maria als Mutter, die sich um die Kinder kümmert = gut, erotische, künstliche Maria = böse, teuflisch, dämonische Maschine In einer künstlichen Welt werden die Körper nur noch als Material verstanden Romantische Motive • Doppelgänger • Dämonischer Mönch Desertus mit Erlöserwahn • E.T.A. Hoffmann: Figur des Automaten nicht nur tote Mechanik bürgerlicher Subjektivität, sondern auch Manifestation der auf das Innere des Menschen zugreifenden Macht- und Manipulationstechniken. Automat ist der Spiegel des Menschen, die Art, wie man Automaten lenken kann ist der Spiegel dessen, wie man Menschen lenken kann, ohne dass sie es selbst mitbekommen und denken, sie würden selbst entscheiden können. • Anders Harbou: schematischer Dualismus von Lebendigem und Totem. Seelenmechanik auf der einen Seite und die Grazie des Automaten in dem sie beseelenden Betrachters, das getäuschte Publikum auf der anderen Seite. Keine Auflösung der Grenzen zwischen Menschen und Maschine, es gibt eine echte und eine falsche, nur werden die manchmal verwechselt. Bei Hoffmann ist das abgründiger, weil man beginnt zu zweifeln, wer echt ist und ob es überhaupt noch einen echten Menschen gibt 27



Futuristische Faszination und expressionistische Skepsis gegenüber der Technik und Industrie zu einem pathetischen Klischee verkommen bei Harbou. Nicht nur die androide Maria sondern alle Figuren des Romans sind gewissermaßen Marionetten

Figuren Durch die Marionetten verschwimmt die Grenze zwischen Mensch und Maschine, unbeabsichtigte Ironie Schematische, eindimensionale, flächige Figuren Sprachliche Formeln und Floskeln konterkariert ? Komplexitätsreduktion wird stilistisch unterstrichen Der Roman spricht ganz grundlegende Sehnsüchte seines Publikums an – Mittler zwischen Hirn und Hände, einfache Figuren Berechtigtes Bedürfnis der Massen, die diese Art von Kunst konsumieren, dass sie eben für die schockhaften Erfahrungen der Industrialisierung der Moderne nach einer Lösung suchen, die eben wieder zur Natürlichkeit der Menschen und des Lebens führen. Metaphysik Umsetzung latenter kollektiver Ängste und Sehnsüchte in pathetisch und religiös überhöhte Bilder Verschwommene Metaphysik Ehrfurcht vor dem Gigantischen Biblische Figuren und heidnische Gottheiten (beschreiben die Macht der Maschinen) Verkitschung des Religiösen – Frederson als Gottvater, Freder als der Erlöser, Maria als die Vermittlerin Politische Führer erhalten Aura des Heiligen Tod als ästhetisches Spektakel inszeniert (Tod der Arbeiter beim Maschinensturm als ästhetisches Spektakel) – als Kennzeichen faschistischer Ästhetik, Verbindung zwischen Kitsch und Tod Katastrophe erscheint dabei als erhabenes Ereignis und als notwendiges, Einübung der Opferbereitschaft Die durch Katastrophen hervorgerufene Faszination Fortschritt und Katastrophe Katastrophe als Impuls für den Fortschritt Einübung der Opferbereitschaft Walter Benjamin: „Der geile Drang nach dem großen Ganzen“ Deutlich wurde wie sehr sie das Klima der weimarer Republik der Schwarz-Weiß-Kontraste: urbane Phanstasmaorgie unterstreicht Totale Künstlichkeit der Welt als Negativfolie der Forderung der Rückkehr zur Natur Roman als Vorlage zur Verfilmung konzentriert, Szenerie entsprechend aufgebaut Schwarz-Weiß-Kontraste: urbane Phantasmagorie Die großen Städte, hohe Häuser, horizontale und vertikale Verkehrsmittel gigantische und bildlich erfahrbare Technik (Anders als die unsichtbare Informationstechnologie von heute) verbunden mit Schauer der Katastrophe 28

Lust am Untergang, an der Apokalypse beim Publikum Und auf der anderen Seite etwas suggerieren, nämlich dass man unter diesen Bedingungen einer Hochtechnologie diese gefühlsmäßig akzeptieren kann und am Ende ist das verschmolzen, blühende Stadt, mit der sich die Arbeiter und die Massen identifizieren können Legitimes Bedürfnis der Massen, die die Technik im 1. WK nur als Destruktionsmittel erlebt haben, an eine positive Modernisierung glauben zu können Sehnsuchtspotential, auf das der Roman zugreift und das er versucht zu aktivieren

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8.5.2014 Künstliches Leben: Ernst Jünger: Gläserne Bienen (1957/1960) 1960 kam eine leicht veränderte Ausgabe auf den Markt, die den Bezug zur Nachkriegszeit verstärkt. Militär vs. Ökonomie •Ambivalenz der technischen Rationalität •Futurischer Charakter und Verortung in der Zwischenkriegszeit •Rittmeister als sozialer Anachronismus •Soldatischer Verhaltenskodex vs. ökonomische Nützlichkeit •Mechanisierung des Krieges •Neuer Soldatentypus Der Schlaf der Vernunft gebiert Unruhe. Dialektik der Aufklärung – Technik kann jederzeit in Wahn und Zerstörung umkippen. Das Schicksal des Rittmeisters erinnert an die Massenarbeitslosigkeit in der Zwischenkriegszeit. Richards (der Rittmeister) Beruf und seine Wertvorstellungen sind veraltet, obsolet. Seine Jugend ist geprägt von den Werten der Ehre und Ehrlichkeit. Diese Werte werden allerdings schon beim Wechsel vom Rittmeister zum Panzer ausgehöhlt. Die Menschen werden mehr und mehr ihrer Entscheidungsfreiheit enthoben – Menschmaschinen! Im Roman wird nie bestimmt um welchen Krieg es sich handelt, aber der 1. Weltkrieg drängt sich auf. Zum Inhalt: Richard sucht eine Stelle. Ein Freund empfiehlt ihn Zapparoni, der ein Roboterhersteller ist (auch Fabrikant von Spielzeugen und künstlichen Puppen die als Schauspieler in Unterhaltungsfilmen agieren). Zapparoni braucht einen Aufseher für den Produktionsprozess, vor allem braucht er jemanden der auf seine Mitarbeiter, also Erfinder achtet. Natur und Kunst •Roboter als Schauspieler •Produktionsstätte und Residenz Zapparonis am Stadtrand •Museum und Bibliothek •Klostergarten als locus amoenus und terribilis •Künstliche Bienen Richard wird zum Vorstellungsgespräch in Zapparonis Privathaus gebracht. Dort stellt sich heraus, dass Zapparoni privat auf jede Art des modernen Schnickschnacks verzichtet (Roboter etc.) Zapparoni legt sehr viel Wer auf historisches. Nach einem kurzen Gespräch wird Richard in den Garten geschickt um dort auf Zapparoni zu warten. Richard hat das Gefühl, dass sich im idyllischen Garten die Zeit beschleunigt, ein zunächst angenehmes Gefühl schlägt ins Gegenteil um. Im Garten entdeckt er die künstlichen, gläsernen Bienen und beobachtet diese mit einem Fernglas. Düstere Vorahnungen machen sich in Richards Gedanken breit. 30

„Ich schwenkte emsig das Glas, um seine [Zapparonis] Wesen zu verfolgen, die wie von starken Schleudern abgeschossene Diamanten durch den Raum fuhren. Ich hörte nun auch ihr zartes Pfeifen, das sich kurz überschlug, wenn sie hart vor den Blüten abbremsten.“ (87) Der Ich-Erzähler erkennt bei Betrachtung der Bienen den Triumph der Technik über die Natur an. Die Technik übertrifft die Natur •Feinmechanischer Triumph über die Natur •Effizientere Stoffumwandlung und Energieverteilung •Einsetzbarkeit als Waffen •Beschleunigung der technischen Abläufe – der Wahrnehmung •Habitualisierung des als schrecklich Erfahrenen •Traumbild als Signal In einem Teich entdeckt Richard sehr viele menschlich aussehende Ohren. „Blätter von Wasserpflanzen bildeten darauf [auf der Pfütze] ein Mosaik. Auf einem dieser Blätter lag der obszöne Gegenstand; er hob sich klar von ihm ab. Ich prüfte ihn noch einmal, aber es konnte kein Zweifel bleiben; es war ein menschliches Ohr.“ (101) Dieses künstliche Paradies erzeugt immer mehr Unbehagen in Richard. Künstliches Paradies •Abgetrennte Körperteile als Embleme einer Auflösung organischer Ganzheiten Der Mensch wird in seiner organischen Einheit überflüssig. Durch Teilbarkeit wird dies physisch vorgeführt. •Erkenntnis der Diskontinuität und des Persönlichkeitsverlusts •Verfließen der Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem Beschwichtigend wirkt die Entdeckung, dass die Ohren nur scheinbar menschlich, also künstlich sind. Aber es wirkt in keiner Form beruhigend. •Aufhebung der Vergänglichkeit Der Erzähler spricht von der Vorstellung einer schmerzfreien Automatenwelt. Der Eingang zur schmerzlosen Welt entspricht dem Eingang in die Welt der menschlichen Puppen. Es stellt sich heraus, dass das Warten auf Zapparoni ein gestelltes Warten war und ein Test Zapparonis für Richard. Zapparoni kommt in den Garten und erläutert Richard was es mit den Ohren auf sich hat. Einer von Zaparonis Erfindern war Spezialist für Ohren und als er Zapparoni verließ schnitt er all seinen Pupen die Ohren ab, auf solche Dinge hätte Richard in seinem zukünftigen Beruf achten sollen. Richard wird von Zapparoni nicht als Aufpasser eingestellt. Zapparoni bietet Richard aber eine andere Stelle als Schiedsrichter zwischen den Erfindern an. Richard fügt sich also trotzdem in Zapparonis Welt ein.

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Als Richard nach Hause kommt zu seiner Frau verblassen die Erinnerungen an die Automatenwelt. Also in der realen Welt verblasst die künstliche Welt. Die Kälte der Technik •Umschlagen des Behagens in Wut Als das Ohr mit der Hand von Richard untersucht wird entsteht ein Umschlagen der Sinne vom Sehen auf Tasten. Darin erkennt man, dass der Mensch vernichtet werden muss, so wie das Pferd, welches durch den Panzer ersetzt wurde. Diese Erkenntnis erzeugt Wut. •Rittmeister hat den Test auf moralische Skrupellosigkeit und emotionale Unbeteiligtheit nicht bestanden Richard nimmt das Angebot Zapparonis nicht an. •Rückkehr ins heimische Nest •1960 hinzugefügter Epilog als historische Relativierung Es wird ein Rahmen konstruiert. Innerhalb einer historischen Vortragsreihe wird die Geschichte des Rittmeisters erzählt. Im Epilog wird die Geschichte also als historischer Vortrag aufgearbeitet. Dadurch wird das Geschehen distanziert betrachtet und in die Vergangenheit gerückt. Die Schockmomente werden so relativiert und die Brisanz der Erzählung wird abgemildert. Unerbittlicher Fortschritt •Ritterlichkeit vs. technizistische Arbeitswelt •Irreversibler Wertezerfall •Vergebliches Martyrium •Überflüssigkeit des unteilbaren Individuums •Entbehrlichkeit des Menschen in der Arbeitswelt •Künstliche Bienen belegen die Überlegenheit der Technik über die Natur Der Zusammenprall des ritterlichen Wertesystems und der realistischen Arbeitswelt wird dargestellt. Es ist ein Bild der Herrschaft der Mechanisierung. Das Pferd wurde durch den Panzer abgelöst – Mechanisierung des Krieges, die Menschen wurden somit nur mehr zu Kriegsmaterial und spielen keine tragende Rolle mehr – Abschaffung der Menschen. Ein Freund Richards begeht (schon lang vor Richards Zusammentreffen mit Zapparoni) Selbstmord als Zeichen gegen die wachsende Mechanisierung. Das symbolisiert die Ausweglosigkeit und einen Abschied von der Zeit in der das Individuum wichtig war. Abschaffung des Menschen •Mangelhafte „organische Konstruktion“ des Menschen •Selbstorganisation der Technik •Produktion und Destruktion •Keine Versöhnung Technik – Natur •Evidenz der Bilder vs. tröstlicher Epilog •„Antiquiertheit des Menschen“ (Günther Anders)

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Der Mensch ist also entbehrlich. Die künstlichen Bienen sind wesentlich effizienter als die echten Bienen. Diese Darstellung des Triumphes über die Natur → Abschaffung des Menschen als Teil der Natur. Die Maschine wird als geistvoller als der Mensch dargestellt – Vision der Transhumanisten Überwinden des Körperlichen – Metaphysische Sicht auf die Überwindung der Materie. Hoffnung auf Transzendenz – Unsterblichkeitsvisionen Ambivalenz bei Zapparonis hergestellten Automaten. Bei Jünger gibt es keine Versöhnung zwischen Mensch und Maschine – anders al bei Thea von Harbou. Die wahre Bedrohung bei Jünger ist die sich selbst organisierende Technik. Kollisionsschock •Reduktion des Begriffs des Rationalen (nur mehr Mittel, nicht mehr Zweck) •Revision von Jüngers Position der 30er Jahre („Der Arbeiter“) •Zwiespalt: Faszination und Abscheu gegenüber dem technischen Fortschritt •Kollision Menschen – Maschinen: neue Abenteuer •Schockerfahrungen der Moderne Diktatorische, elitäre Steuerung – Technik – Mensch muss umgebaut werden, damit er reibungslos in der Gesellschaft funktioniert. Prozess der technischen Perfektionierung: vor 1930 Bejahung, nach 1945 der Zwiespalt zwischen Faszination und Abscheu. Was bleibt ist die Unaufhaltsamkeit des Prozesses und der Verlust der alten Werte (Loyalität,…). Alte Abenteurer werden durch neue ersetzt. Es entstehen neue Abenteuer auf dem Feld der Maschinen. Der Schock entsteht aus dem Zusammenstoß der veralteten Vorstellung von Individualität und beschleunigten mechanisierten Prozessen. Diese Schockerfahrung spielt im SciFi eine große, zentrale Rolle. SciFi setzt sich mit den Ängsten. Etc. des Individuums in der Moderne auseinander. Dieselbe Thematik finden wir auch bei Philipp K. Dick. Differenzierung von simulierter und realer Welt Im Epilog von 1960 wird unter anderem auch die Sinnfrage erörtert. In einem späteren Text von Jünger „Ideopolis“ sind die in „gläserne Bienen“ stark ausgeprägten gesellschaftlichen Brüche abgemildert.

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15.5.2014 Realität und Simulation: Philip K. Dick (1928-1982) Überblick •Postapokalypse •Ambivalenz der menschlichen und nichtmenschlichen Akteure •Illusion und Desillusion •Verschwörungstheorien •Entropie als Deutungszerfall •Prinzip der „Suspension“ Do Androids Dream of Electric Sheep? (1968) •Grundsätzliche Verunsicherung des Verhältnisses von Realität und Simulation •Menschen und Androiden als gleichwertige Akteure •Vermengung von Elementen des Kriminal-, Wildwest- und Liebesromans mit Mustern der Science Fiction Im Unterschied zu Jünger: Eine Welt in der die Katastrophe bereits passiert ist. Ein Weltkrieg hat stattgefunden, die Welt ist in einem Zustand der Verwüstung. Die Grenzen zwischen Reaität und Visualität sind verwischt. Menschen und Androiden treten als gleichwertige Figuren auf. Postapokalypse •Zukunft nach Atomkrieg: Tiere sind beinahe ausgestorben, Städte sind zu Ruinenlandschaften geworden, radioaktiver Staub bedeckt permanent den Himmel und die Luft. Die Sonne ist nicht mehr zu sehen. Alles ist grau. Fall Out Situation. Absolut lebensfeindlich. •Auswanderung der „normalen“ Menschen auf den Mars, die Zurückgebliebenen sind von Sterilität, Degeneration, Aussterben bedroht. Der Roman spielt ausschließlich auf der Erde. Um den Einfluss auf die Menschen die noch auf der Erde leben kämpfen 2 Personen: Wilbur Mercer als Erlöserfigur und Buster Friendly als Entertainer . Figuren •„Gefühlskasten“ zur Erzeugung von Mitgefühl •Wilbur Mercer als Erlöserfigur •Buster Friendly als Entertainer Er dient als Unterhalter – Belanglosigkeit. Die Zuschauer werden durch boshafte und banale Botschaften bei Laune gehalten. •Androiden zuerst synthetische Soldaten, dann Diener •Abtrünnige Androiden geben sich als Menschen aus.

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Es gibt einen sogenannten „Gefühlskasten“, der der Erzeugung von Mitgefühl dient. Wenn man in diesen Kasten fasst, tritt man in Kontakt mit der Erlöserfigur des Wilbur Mercer. Die Menschen die den Kasten benutzen verschmelzen mit einer Leidensfigur. Allerdings ist es nur Menschen möglich Mitgefühl mit der Leidensfigur zu empfinden. Dient also auch zur Unterscheidung Mensch und Android. Androiden waren zuerst gedacht als synthetische Soldaten, dann Diener der Menschen. Sie können wie schon erwähnt kein Mitgefühl empfinden. Abtrünnige Androiden geben sich in der Zeit nach dem Krieg als Menschen aus. Die Auswanderung auf den Mars ist nur Gesunden erlaubt. Wer auswandert bekommt einen der früheren Soldatenandroiden als Diener. Es gibt ein neues Androidenmodell. Den sogenannten Nexus 6. Er ist den Menschen überlegen und es ist ihm auch optisch möglich sich als Mensch auszugeben. Um nicht weiter Diener der Menschen sein zu müssen fliehen die Nexus 6 oft zurück vom Mars auf die Erde und verstecken sich dort um nicht entdeckt und zurückgeschickt zu werden. Rick Deckart ist ein Androidenjäger. Seine Aufgabe ist es die abtrünnigen Androiden zu fangen. Für jeden gefangenen Androiden erhält er eine Prämie. Rick Deckarts Traum ist es genug Geld zu verdienen um sich statt seines Roboterschafes ein echtes Schaf kaufen zu können. Denn auch die meisten Tiere sind nur mehr synthetisch erhältlich. Um Androiden zu entlarven setzt er den Gefühlstest ein. Rachel Rosen wird von ihm durch ihre verzögerte Gefühlsreaktion als Android entlarvt. (Androiden können also Gefühle vorspielen, aber oft zeitverzögert, dadurch enttarnbar) Deckart sucht 6 entflohene Androiden. Es ist eine schwere Suche, die unter anderem ein Verwechslungsspiel beinhaltet in welchem Rick selbst zum Androiden erklärt wird. Auch Rasch, ein 2. Androidenjäger wird zum Androiden erklärt. Sie haben große Mühe darin den Beweis zu erbringen, dass es sich bei ihnen nicht um Androiden handelt. Nachdem die beiden Androiden töten die sich als Polizist und Opernsängerin ausgeben, beginnt Deckert Mitgefühl mit den Androiden zu empfinden. •Rick Deckards Sehnsucht nach einem echten Schaf •Der Gefühlstest •Androidenjagd als Spiel der Verwechslungen •Androidenjäger werden ihrerseits von den Androiden zu Androiden erklärt. •Deckards Mitleid mit den Androiden

Täuschung und Ent-Täuschung •Mercerismus als Gefühlsschwindel •Buster Friendly erweist sich als Androide •Intuitives Erkennen des Duplikats •Rachel Rosens Racheakt •Auch die elektrischen Dinge haben ihr Leben.

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Es stellt sich heraus, dass Androiden Mitgefühl mit anderen Androiden empfinden. Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte zwischen Deckard und Rachel Rosen. Die beiden schlafen miteinander und dann würde Deckard Rosen am liebsten töten, da sie sein Mitgefühl für die Androiden verstärkt. Er kann es aber nicht. Es sind nur mehr 3 Androiden übrig, die bei Isidor, einem Wissenschaftler, unterkommen. Dort entpuppt sich, dass der Mercerismus, also auch der Gefühlskasten ein reiner Gefühlsschwindel ist. Auch Buster Friendly ist nicht der der er zu sein scheint, er erweist sich als Androide. Deckard trifft auf einen Androiden den er zunächst für Rachel Rosen hält, dann aber intuitiv als Duplikat erkennt. Die echte Rachel Rosen nimmt trotzdem Rache und tötet das endlich erhaltene echte Schaf Deckards. Am Ende findet Deckard eine elektrische Kröte und freut sich über sie. Fazit: Auch elektrische Dinge haben ihr Leben. Verschwörungsparadigma •Flucht und Verfolgung •Verhältnis Realität – Virtualität •Verschwörungsnarrativ als Paranoia (Dick selbst war paranoid) Die Welt kann sich jederzeit als Hirngespinst herausstellen. •Behauptung und Scheitern des Einzelnen im Kampf gegen das untergründige Chaos (typisch für die Nachkriegszeit) •Nüchterne Rationalität vs. mystisch-intuitive Emotionalität Protagonist versucht menschliche Züge beizubehalten und scheitert doch immer wieder daran. Das Spannungsverhältnis zwischen natürlich und künstlich ist nicht starr, es ist eine Art Wechselverhältnis. Androiden können zwar gegenüber Mensch und Tier kein Mitgefühl empfinden, aber sie empfinden Sympathie und Solidarität gegenüber anderen Androiden. Bei der Ermordung der Opernsängerin Luba Luft wird dies gut sichtbar. Ein Android der intensive Gefühle bei den Menschen erzeugt, wird emotionslos und kaltblütig von Menschen erschossen. Die Androiden sind als bedrohte Minderheit zu betrachten. Auch andere menschliche Gefühle werden künstlich erzeugt. Es gibt eine sogenannte „Gefühlsorgel“, die zur Erzeugung von Gefühlen nach Wunsch dient. Diese kann als Designerdroge betrachtet werden. Die Stärke des Romans von Dick: Der Zweifel an der Gültigkeit des Gefühls zwischen Mensch und Android wird stark herausgearbeitet. Isidor ist geistig beschränkt, aber intuitiv eine besserer Mensch als andere Menschen. Inversionen 36

•Androiden: kein Mitgefühl, aber Solidarität und Sympathie füreinander •Kaltblütigkeit des Androidenjägers – Gefühlhaftigkeit der Androidin Luba Luft •„Stimmungsorgel“ regelt das Gefühlsleben der Menschen •Immunität der Gläubigen gegen Desillusionierung •Mystische Allbeseeltheit Auch einem elektrischen Apparat haftet der Abglanz des Lebens an! Ubik(1969) Im Jahr 1992 haben viele Menschen außerordentliche Kräfte. Sie können hellsehen und sind Telepathen. Auch die Spionage hat sich in diese Richtung etwickelt. Dick beschreibt eine Welt die weder eine Utopie, noch eine Dystopie darstellt. Er entwirft ein dynamisches Modell. Jede Fähigkeit bringt auch ihr Gegenteil hervor. •Spielt 1992 •Spionage mit parapsychologischen Mitteln •Telepathie und Präkognition •Agonale Konfiguration des parapsychologischen Personals Die Antipsychos (Inerten) überwachen die Psychos. Daraus entsteht eine Kapfsituation. •Figuren besitzen zwar außerordentliche Fähigkeiten, sind aber mittelmäßig in ihrem alltäglichen Verhalten Dick kreiert keine Übermenschen. Eher Looser, Tolpatsch, Unglücksraben. Dieser Kontrast macht Dicks Figuren sympathisch. Joe Chip ist der mittelmäßige Held in Ubik. Er arbeitet in New York für eine Firma die kriminelle Psychos (Spione) bekämpft und ausschaltet. Joe Chip testet parapsychologische Personen. Die Firma soll nicht von Spionagepsychos unterwandert werden. – Verschwörungsmechanik – In Details wie den Münzautomaten wird der fantastische Kapitalismus präsent. Man braucht für alles Münzen. Z.b. um irgendwo hinein oder hinaus zu kommen. •Joe Chip arbeitet für Firma Runciter: Schutz vor den Spionagetätigkeiten der „Psychos“ •Überprüfung der Zuverlässigkeit der Firmenmitarbeiter •„Phantastischer Kapitalismus“ •Tücken der Wohnungseinrichtung Zum Inhalt: •Bombenanschlag •„Halb-Leben“ in der „Kaltpackung“ •Kommunikation zwischen Lebenden und Halbtoten •„Veralten“ von Gegenständen und Menschen •Verlangsamung der Lebensformen •„Ubik“ als Gegenmittel 37

Mehrere Psychos verschwinden. Es besteht ein Verdacht auf kriminelle Handlungen auf dem Mond. Joe Chips Chef Runciter gerät auf dem Mond mit einem Team in eine Falle. Nur einer überlebt den Bombenanschlag. Der Chef. Er wird kaltgestellt und ist damit am sogenannten Halbleben. Joe Chip will nun Rache am Chef der Gegenfirma nehmen. Es geschehen ab dann komische Dinge. Normale Gebrauchsgegenstände scheinen sich historisch rückzuentwickeln bis zum Stand des Jahres 1939. Runciter versucht Chip in zu beraten und zu helfen. Er nennt ihm „Ubik“ als Gegenmittel gegen diese Rückentwicklung (Verlangsamung) und darin begriffenen Auflösung. Auch Chip selbst entwickelt sich zurück und beginnt sich aufzulösen. Kurz vor seinem Tod wird Chip dann mit Ubik besprüht und erfährt daraufhin viel von Runciter. •Wirklichkeit als Halluzination •Veränderung bereits stattgefundener Ereignisse •Kannibalismus •Das Rätsel „Ubik“ •Definition als pseudowissenschaftlicher Bluff Pat Conly, einer neuer Typ von Psycho, kann geschehenes durch Gedankenkraft ungeschehen machen, es ist keine Zeitreise. Er ist das letzte Mitglied dieser Gruppe und vielleicht ein Spion, der seine Kraft einsetzt und diesen Auflösungsprozess steuert. Er gesteht seine Schuld ein, war es aber nicht. Er wurde durch eine unbekannte Macht manipuliert. Ella Runciter, die eine halb tote Frau ist, erschgeint Chip immer wieder und versucht durch ihn an Ubik zu kommen. (Ziemlich konfus – Buch lesen!) Was Ubik im Endeffekt genau ist, bleibt ein Rätsel. Die Definition im Buch ist ein pseudowissenschaftlicher Bluff. •„Eine Spraydose UBIK […] ist ein tragbarer Negativionisator mit eingebauter Hochspannungs-Niedrigampère-Anlage, die mit einer Heliumspitzenleistungsbatterie von 25 kv aufgeladen wird. Die negativen Jonen werden in einer Beschleunigungskammer, die grundlegend vorgespannt ist, im Gegenuhrzeigersinn in eine Drehbewegung versetzt, was ihnen eine Zentripetaltendenz gibt, so daß sie eher zusammenhaften als auseinanderfallen.“ (211) Fiktionalisierung der Wissenschaft •Parodie auf wissenschaftliche Erklärung Die Erklärungsversuche sind voll parodistischer Züge. •Auch innerhalb der Romanfiktion wird diese Erklärung in Frage gestellt. •Teil einer halluzinatorischen Welt, in der alle Vorgänge scheinhaft und daher auch ihre wissenschaftlichen Erklärungen fiktional sind •Scheinerklärung einer Scheinwelt: Fiktionalität zweiten Grades

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Dick verabschiedet sich von der Science Fiction und des Versuches alles wissenschaftlich zu erklären. •„Ich bin UBIK. Mich gab‘s schon, bevor es das Universum gab. Ich habe die Gestirne gemacht, ich habe die Welt geschaffen. Ich habe Leben geschaffen und den Raum, in dem es existiert. Ich lenke es hierhin, ich lenke es dorthin. Es bewegt sich nach meinem Willen, es tut, was ich sage. Ich bin das Kennwort, mein Name wird nie ausgesprochen, mein Name, den niemand kennt. Ich werde UBIK genannt, aber das ist nicht mein Name. Ich bin. Ich werde immer sein.“ (213)

Allgegenwart •„Ubik“ als göttliches Prinzip, aus dem Lateinischen „ubique“ = überall. •Synthetisch produziertes Mittel als metaphysische Konstante: allgegenwärtige Lebenskraft •Suche nach Erlösung •Das Phantastische wird an einen allgegenwärtigen Stoff gebunden Ubik spricht als göttliches Prinzip. Es wird zu einer metaphysischen Konstante. Ubik ist das Ziel einer abenteuerlichen Suche nach Erlösung. Prinzip der „Suspension“ •Schwebezustand zwischen Rationalem und Irrationalem, Präzision und Magie Scheinpräzision •Verschwimmende Grenze zwischen Leben und Tod Halb-Leben •Unschlüssigkeit: Vorgänge in der Innenwelt oder in der Außenwelt? Was passiert? Wie ist es erklärbar? •Totaler Verdacht •Pseudowelt als Produkt sensorischer Deprivation Der Übergang zwischen Leben und Tod ist fließend und es stellt sich die Frage ob die historische Regression nur in der Innenwelt, oder auch in der Außenwelt stattfindet. Diese fundamentale Verunsicherung führt zu totalen Verdacht. Die Wirklichkeit wird aufgespaltet und am Ende entsteht reine Paranoia. Das Kältepack und die Halb-Toten scheinen eine Ersatzwelt darzustellen. Die Halluzinationen erschaffen eine Pseudorealität. Ironie •Entdramatisierung des Untergangs •Kälte und Entropie •Ironische Zurücknahme der wissenschaftlichen Rationalität in ihrer Rolle als Ersatzreligion •Abschied von profanen Erlösungserwartungen

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Der Untergang ist entdramatisiert. Alles ist schon passiert. Gekennzeichnet wird dies durch die Entropie. Ironische Reminiszenz. Die wissenschaftliche Rationalität als Ersatzreligion hat ausgespielt. Dick negiert jede Art von Geschichtsrelation. Die Thematik der Utopie geht mit dem 19. Jhdt zu Ende. Es entstehen starke Unterschiede innerhalb der SciFi. Die Dystopie wird mit der SciFi zu einer starken Verbindung. Die Übergänge zwischen Dystopie und SciFi sind fließend.

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22.05.2014 Ursula K. Le Guin (1929): The Dispossessd: Science Fiction als Sozialkritik Gehört zu den erfolgreichsten amerikanischen SF-Autorinnen, Publikum nicht nur SF-Fans. Literarische Qualität und Breitenwirkung müssen sich nicht ausschließen, wie auch schon letzte Woche bei Philip K. Dick gesehen. Le Guin ist recht populär und gehört zu den „guten“ Science Fiction-Autorinnen. Roman: The Dispossessed. An Ambiguous Utopia. (Planet der Habenichtse – Heyne, Die Enteigneten. Eine ambivalente Utopie – Phantasia) Wohl bekannteste Science Fiction-Utopie der 70er Jahre

Es werden die Qualitäten einer Utopie aufgezeigt ohne die Möglichkeiten Dynamisierung der Utopie: Keine schematische Gegenüberstellung. Paradiesvorstellung vs. Dystopie. Ambiguitäten der utopischen Zukunft. Vorläuferwerke: Looking Backward, News from Nowhere (antikapitalistisch, Geld wurde abgeschafft), Herland (Utopisches Land ist nur von Frauen bewohnt und damit perfekt geborgen, es gibt keine Macht, keinen Egoismus, man ist geborgen und mit der Umwelt wird schonen umgegangen) Le Guin Bipolarität Optimistischer Anarchokommunismus durch historische Erfahrungen gedämpft Held des Romans ist Shevek, genialer und verkannter Wissenschaftler, der in einer fernen Zukunft lebt auf dem Planet Anarras, die vom Nachbarplaneten Urras geflohen sind (quasi Nachbarplaneten im Sternzeichen Walfisch) um ihre anarchistischen Pläne umzusetzen. Wurde von Urras befürwortet. Urras wurde schon lange bevölkert, Anarras ist ein unwirtlicher Wüstenplanet Umkehrung des traditionellen Schemas utopischer Erzählungen Roman spielt auf beiden Planeten, immer kapitelweise abwechselnd – ermöglicht eine synchrone Gegenüberstellung zweier konträrer Systeme. Die Mängel werden so offensichtlich Urras – Reise von Shevek, Anarras – Sheveks Leben bis zum 40. Lbj. Urras – Shevek ist von Außen kommender Beobachter Eine Art Biographie, eine Lebensgeschichte, durch die die Planeten vorgestellt werden. Eine subjektive Position (anders als bei anderen Utopien, in dem der Fremde herumgeführt wird und die Fragen stellt, die der Leser braucht um das System zu verstehen) erzählerischer Einfall der Lebensgeschichte Sheveks 41

Nicht Fremder besucht Utopie, sondern Utopier besucht Urras Anarres Harte Lebensbedingungen Zentrale Planung und föderalistische Struktur, aber dezentrale Produktion Auch politisches System dezentral Gibt Komitee, das Bedürfnisse koordiniert Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit – jeder muss jeden 10. Tag unangenehme Arbeiten für die Kommune leisten (Müllabfuhr,…) Solidarität statt Privateigentum (ist verpönt). Es herrscht ein ausgewogenes Verhältnis. Keine Rückkehr zur Natur sondern ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Stadt und Land. Gleichgewicht zwischen städtischen und ländlichen Kommunen Gleichstellung von Frauen und Männern (in Erziehung und Beruf) Doch im Laufe der Zeit hat sich Zentrum zu einem bürokratischen Machtkomplex verwandelt. Dieser Machtkomplex dient nicht mehr den Interessen der Kommunen sondern verfolgt eigene Zwecke. Herrschaft von Mittelmaß und Intrigantentum, Misstrauen gegenüber Individualität Verknöcherung durch Privilegien, Gewohnheit, Angst Sheveks Entwicklung auf dem Anarras ist eine Geschichte der Enttäuschung Beschäftigt sich mit paradoxen (Strecke immer halbiert) Seine revolutionäre Theorie der Zeit weicht so sehr ab, dass selbst sein Mentor versucht sie zu unter Gesellschaft, die den Anspruch stellt, frei von Herrschaft zu sein, aber durch Privilegien, Gewohnheit, Angst verknöchert ist. In Sheveks Traum als Mauer symbolisiert Shevek muss auch erleben, die Geistesverwandte an ihrer Tätigkeit gehindert oder ins Irrenhaus gesteckt werden. Er wird seiner Gesellschaft fremd und erkennt, dass es viel Kraft braucht, als Revolutionär in einer Gesellschaft zu überleben, die sich selbst als Revolutionär versteht. Widerstand Findet Unterstützung in Biologin, und sie gehen eine monogame Beziehung ein obwohl Monogamie unüblich ist Monogamie als Widerstand Shevek wird von ihr getrennt, als sie zu weg muss Dürre führt zu verstärkter Machtausübung Neue, von der herrschenden Meinung abweichende Theorie der Zeit, veröffentlicht er unzensiert. Kommt zu Anfeindungen gegen Shevek und seine Familie. Widerstandsbewegung Gründet einen unabhängigen Verlag und nimmt Kontakt zu Urras auf. Wird von kapitalistischen Staat Aio auf Urras eingeladen. (Erinnert an Situation Sowjetunion vs. USA) Shevek nimmt Einladung an, Übersiedlung Sheveks auf den Urras um seiner Forschungstätigkeit willen. Bei Abflug wird er bedroht und mit Steinen beworfen, bei Ankunft von Reichtum beeindruckt 42

Urras Spaltung zwischen kapitalistischen A-Io und staatssozialistischen Thu (= Sowjetunion) Seine Gastgeber wollen ihn für seine Machtinteressen einspannen und sind nur an seiner Theorie interessiert, weil sie eine neue Art der Weltraumreise entwickeln wollen, die keine Zeit mehr benötigt, damit könnte ein Weltraumimperium entstehen Er überschätzt die Freiheit und Unternehmungslust und unterschätzt die Machtgier Als er auf einer Party trinkt und sich daneben benimmt, erkennt er das Machtstreben und solidarisiert sich mit Proletariern Wird in einen Konflikt zwischen Kapitalisten und Proletariern hineingezogen Bekommt die Theorie Einsteins zu lesen, die auf Anarras unbekannt ist Shevek stellt sich auf die Seite Einsteins und der Proletarier, Niederschlagung des Arbeiteraufstandes, Flucht Sheveks in die Botschaft der Terraner Die Erde ist längst durch Kriege und Umweltzerstörung verwüstet, nur ganz wenige Menschen sind übriggeblieben – halbe Milliarde, die auf der Erde ausharren Rückkehr Sheveks auf den Anarres Die Hainish Planet Hain und seine Bewohner ist ein durchgehendes Thema zahlreicher Romane und Erzählungen Le Guins Ein Raumschiff der Hainish bringt auch Shevek zurück auf den Anarres Repräsentieren eine andere Lebensform als die des Menschen und stehen ganz im Zeichen der Großzügigkeit, des Altruismus, der Behutsamkeit und der Bedächtigkeit (aufgrund ihrer dunklen Vergangenheit, die nie aufgeklärt wird) Streben Ekumen an, das ist die Vereinigung aller Völker des Weltalls auf der Grundlage von Solidarität und Anerkennung der Unterschiede – Le Guins Vorliebe für die thaoistische Religion sichtbar Sheveks Erfindung des Ansible als Mittel der universalen Simultankommunikation, ermöglicht Ekumen Endet damit, dass Keta, ein Hainish, beschließt bei Shevek zu bleiben und wird zu einem Begleiter und Unterstützer Sheveks Mit diesem offenen Ende endet der Roman (Deux ex machina-Lösung) Antagonismen Antagonismus zwischen Kapitalismus und Anarchismus Dynamik resultiert aus - Interaktion zwischen den beiden Modellen - Konflikt eines Außenseiters mit beiden Gesellschaften Strukturbilder statt Hintergrund Außensicht auf Kapitalismus Gegenwärtige Gesellschaftsverhältnisse auf satirische Weise dem Leser dargestellt: Profitinteresse, Nationalismus, Machtstreben, Diskriminierung der Frau, sorgloser Umgang mit Umwelt, Verschwendung, enorme Kluft zwischen Armen und Reichen, ritualisierte Umgangsformen, verstecktes Sprechen über Sexualität (auf Urras so, irritiert Shevek)

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Verhalten Sheveks auf der Party resultiert aus seiner Fremdheit, mit seinen offenen, direkten Umgangsformen schockiert und belustigt er seine Gastgeber Urras unterscheidet sich auch positiv durch Schönheit, Fruchtbarkeit und Vitalität von dem kargen, asketischen Anarres Sympathien liegen auf seinen des Anarchismus, dennoch Kritik daran geübt Wunsch nach festen Lebenspartner mit egoisierend bezeichnet (negativ) Bewohner werden so erzogen, dass sie Zwängen gehorchen wollen – als schlechtes Gewissen geäußert, steht Entfaltung der Individualität entgegen Kritik des Anarchismus Sheveks direkte Umgangsformen vs. ritualisierte Umgangsformen und verdecktes Sprechen auf Urras Kritische Töne auch gegenüber Anarres Hochbegabte werden zu Außenseitern Druck des Konformismus: Tabuisierung abweichenden Verhaltens Verinnerlichte Zwänge Gehorsam als Tugend

Kritik am Utopismus Innerer Konflikt befestigt Überzeugungen Die wahre Utopie kann nur eine kritische sein, lässt sich nicht zum Stillstand bringen. Gerade die Mauer führt zur Stagnation, zum Fremdenhass und zur Mittelmäßigkeit Die Ideale der Großzügigkeit, der Selbstlosigkeit, des Teilens und des Schenkens lassen sich nicht institutionell sichern sondern nur durch Rahmenbedingungen Unmöglichkeiten der Institutionalisierung von Tugenden Notwendigkeit einer permanenten Revolution: von unten (von der Masse) und vom Inneren der Menschen ausgehend, ständig die eigenen Vorraussetzungen reflektierend und in Frage stellt und zu unangenehmem Prozess, der dem folgt, bereit ist Neue Philosophie Auf Physik beruhend, begründet neue Ethik Sheveks Theorie begründet auf einem Paradox: Zeit zugleich als Pfeilbewegung und statischer Kreis: „So the time has to aspects. There is the arrow, the running river, without which is no change, no progress, or direction, or creation. And there is the circle of the cycle, without which there is chaos, meaningless succession of instants, a world without clocks or seasons or promises.“ (179) Sukzessivität und Präsenz Determinismus oder Indeterminismus (Heissenbergs Unschärfeprinzip) Fortschritt ist nur im Bereich des Unbeweisbaren möglich: Einreißen der Mauer (Physikalische Theorie mit Gesellschaftstheorie vereint) Transformationsserie und Intervall sollen miteinander verbunden werden, aber Lösung weniger wissenschaftlich als metapherologisch Sheveks Physik ist Physik der Relationen, spiegelt sich im Lebensvollzug. Synchronie (Einheit, Stabilität) vs. Diachronie (Fortschritt, ständiger Veränderung) 44

Zeitgeschichtlicher Hintergrund Ziel: Versöhnung von individueller Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung, der Weg dazu ist gewaltvoll und konfiktgeladen Mauer als Symbol der Kompromisslosigkeit, Trennung, Erstarrung und Lagerdenken Die Unterschicht bezahlt für die Systemfehler Antikriegsproteste, Studenten-, Bürgerrechts-, Ökologiebewegung, Protest gegen Konsumgesellschaft Frontier-Mythos und libertärer American Dream Binäre Romanstruktur Positive Heldenfigur Shevek evoziert Muster der Märchens Schema des Bildungs- und Entwicklungsromans Anklänge an die christliche Passionsfigur und Heilsgeschichte Widersprüche Starker, männlicher, weißer Held – politische und ökologische Utopie des Romans im Umfeld des Feminismus und der sub- bzw. gegenkulturellen Strömungen seit Ende der 60er Jahre Stilisierung Sheveks als Erlöserfigur – betonte Ambivalenz von utopischer Konstruktion und Utopiekritik Synthese von politischer Utopie und SF-Form Offenes Ende Keine Harmonisierung der Widersprüche Notwendigkeit individuellen Regelbruchs und permanenter Veränderung Narrativität und agonale Struktur der SF durchbricht die Statik der Utopie Interne Fokalisierung: statt utopischer Zentral- und Vogelperspektive bewegliche, immanente Perspektive handelnder Figuren Pluralität von Positionen und Netz permanenter Interaktionen Verbindung von politischer Utopie und Form der SF führt zu gegenseitiger Differenzierung und Verfeinerung Was sich als Utopie gibt, erscheint als Dystopie und umgekehrt, Gesellschaften haben Eigenschaften von beiden Varianten Die ambivalente Konzeption ist fundamentales Merkmal der DDR-SF – Form der Camouflage der Gesellschaftskritik Positiv angesehen, weil man im Sozialismus davon ausgeht, auf der Seite der Wissenschaft zu stehen und daher eine Form wie SF (die natürlich nicht so hieß, als amerikanischer Begriff – wissenschaftlicher Fantastik) Bot Möglichkeit für Autoren ihre kritische Haltung einzubringen in die Doppelsinnigkeit der Darstellung.

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05.06.2014 DDR-SF: Johanna und Günter Braun, Angela und Karlheinz Steinmüller Die Situation in der DDR SF hieß in der DDR wissenschaftliche Phantastik Offizielles Ziel des Genres: Zukunftsvisionen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Verlauf des technischen Fortschritts aber auch über den gesetzmäßigen Verlauf der Geschichte Nicht ästhetische Maßstäbe sondern Frage nach dem Grad der Wissenschaftlichkeit Man verstand sich als Verbündeter der Wissenschaft Historischer Materialismus als Teil wissenschaftlicher Stringenz und man sprach auch vom dialektischen Materialismus, die Menschheit schritt gesetzmäßig hin zur kommunistischen Idealgesellschaft Zwang zur optimistischen Zukunftsvisionen SF Autoren nicht viel Raum für eigenständige Inventionen Allerdings entwickelten die Autoren unterschiedliche Strategien, wie sie damit umgehen sollten • Techniken des verdeckten Schreibens, um Gefahr der Zensur zu umgehen o Doppelter Boden, auf der Oberfläche so harmlos, dass Zensur nicht auffällt o Kritik, die Zensur auffällt, gehört zu Recht verboten ;) o Dystopien und Utopien hatten keinen Platz (George Orwells 1984 zu illegalen Lektüre, Brave New World wurde 1982 auf Treiben eines Zensors veröffentlicht. Bei Orwell sind aber auch die kommunistischen Bezüge wesentlich offensichtlicher als bei Huxley) o Viele Autoren haben sich auch einfach angepasst • Selbstzensur: sich in Übereinstimmung bringen • Oberflächliche Anpassung: einfache Tricks um sich vor den Zensurbehören zu schützen, reichte schon, wenn Weltraumschiff einen sowjetischen Kommandanten hatte und einen afrikanischen Astronauten – damit waren sie zufrieden • Ausloten der Grenzen: Gibt auch Autoren, die die Grenzen immer wieder neu ausgetestet haben, dazu zählen Johanna und Günter Braun, versuchen zu testen, wie weit man in der DDR gehen konnte und was gerade noch als wissenschaftlich und korrekt verstanden werden konnte Überschreiten der Toleranzgrenze Johanna Braun, * 1929, t 2008 Günter Braun, *1928, t 2008 Das Kugeltranszendentale Vorhaben 1983 konnte nur in der fantastischen Bibliothek von Suhrkamp in der BRD erscheinen Verboten weil SF als zu offensichtliche Tarnung für Sozialkritik Kritik richtet sich gegen Misswirtschaft, Bürokratie, Verlogenheit Diskrepanz zwischen Großartigkeit der Rhetorik und der Schäbigkeit des Alltags auf der anderen Seite

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Satire Hauptfigur heißt Heinrich Schrims und empfängt in seiner Freizeit im Radio geheimnisvolle Stimmen und wird auf Kugel 39 versetzt Konditionierung durch Neologismen Verschwörungsszenario Alles existiert nur verbal und damit nur scheinbar, Gesellschaftssystem, das vollkommen auf Fiktionen beruht Von verbal existierenden Instituten, Arbeitsleistungen, Parodie auf real existierenden Sozialismus Es genügt, etwas zu sagen, man muss es nicht mehr tun, Verkehrung der materialistischen Ideologie in eine idealistische Betriebsamkeit als Leerlauf, jeder gibt vor, beschäftigt zu sein, ohne irgendwas zu tun Techniken der Machtausübung Fonformismus als Form der Entmündigung, Kunst des Euphemismus liegt dem zugrunde Realität wird hartnäckig geleugnet Interviewform ist Tautologie, Antworten in der Frage schon vorgegeben Vorauseilender Gehorsam als Selbstzensur, Internalisierung der Macht Menschen wollen aus Feigheit oder Faulheit manipuliert werden Gesellschaft beruht nicht mehr auf Konflikten sondern auf Regeln, Machtverhältnisse eingeschrieben Subjekte werden selbst zum Ziel ihrer eigenen Konstrukte Durch Internalisierung der Macht wird Herrschaftsgebäude allgegenwärtig Entwirklichung Alltag durch mangelnde Versorgungslage, was es in einem Geschäft nicht gibt, gibt es auch in allen anderen Geschäften nicht, Ökonomie des Mangels Damit kuriose Abkürzungen im Sprachgebrauch, die soll das unsinnige der Sprache kaschieren und den Anstrich wissenschaftlicher Objektivität verleihen – Anspielung auf Vorliebe der DDR für Abkürzungen Weiteres Merkmal ist paranoider Zug, Kultur des Verdachts, jeder ist Spitzel oder Denunziant, auch das ist Realität gewesen (IM – Inoffizielle Mitarbeiter, auch Spitzel in der Familie, Ehepaare sich gegenseitig, Kinder ihre Eltern,…) Als Schrims dann Stimmen hört im Radio – heimliches, illegales Hören von ausländischen Radiosendern – und auch das war Aufgabe der Spitzel Stimmen Hören ist auch Emblem für Paranoia, der Allgegenwart des Verdachts Auch bei Philip K. Dick keine Spezialität des Kommunismus Schrims sieht sich in Traumwelt versetzt, Traumwelt nicht als Fluchtraum sondern zur Kenntlichkeit gesteigerte Realität. Die Bewohner dieser Welt sind wie Zombies oder Marionetten, sie essen nur noch labbriges Zeug, wenn sie echtes Essen zu sich nehmen, fallen die Zähne aus, Sexualität findet nur noch verbal statt. Bewohner müssen unter der Erde wohnen und Schutzanzüge tragen (damit sie tagsüber nicht schmelzen und in der Nacht nicht frieren) Tunnelexistenz Unterirdische Stadt als Emblem für die Gleichzeitigkeit wissenschaftliches Fortschritts und der Regression zum Höhlenmenschen 47

Auch Symbol der Einebnung Sprachregelungen Verkommenheit der Gesellschaft zeigt sich in der Sprache, besteht nur noch aus fixen Formen und Sprechblasen – Verbalkonserven So steril geworden, dass von Wortabgaben und Spenden von Verbalien angewiesen Inversion des Verhältnisses von Menschen und Außerirdischen, Problem der Verständlichkeit wird in die Menschheit selbst verschoben, indem Außerirdischen in Traumwelt mit Schrims in Verbindung treten und das präsentieren, was in der DDR Alltag war, wird klar, dass Alltag selbst fremd und skurril ist Es ist schwer, alle Anspielungen des Textes zu Entschlüsseln, wenn man nicht den Alltag in der DDR genau kennt Der DDR Alltag ist eine der wichtigen Folien, zugleich aber auch Parabel auf totalitäre Systeme im Allgemeinen und damit auch ohne Vorkenntnisse gut lesbar Utopische Verfremdung, erzählte Vorgänge erweisen sich als Vision, als letzter Fiebertraum, sind also Visionen eines deformierten Bewusstseins eines Mannes, der vom System kaputt gemacht worden ist Analogien zwischen Angstvisionen eines Sterbenden und der Realität waren so offensichtlich, dass es zensiert wurde Real/Verbal existierender Sozialsmus/Fonformismus der Lächerlichkeit preisgegeben Gab Hilfestellungen, wie diese Texte zu lesen seien, z.B. in SF-Jahrbuch, erscheint immer noch jedes Jahr, da gibt es neue Texte und viel Sekundärliteratur (Muss für SF-Fans) In der DDR toleriert Angela *1941 und Karlheinz *1950 Steinmüller: Erzählband „Windschiefe Geraden“ im DDRVerlag das Neue Berlin 1984 erschienen in 4 Auflagen Hätten aber durchaus Gefahr laufen können, als defaitistisch qualifiziert zu werden (= die Überzeugung, dass keine Aussichten auf Erfolg gegeben sind und man deswegen aufgeben sollte) SF-Motive in 2 Gruppen 2 Gruppen von Erzählungen 1. Abwandlung genuiner SF-Motive a. Die Lieder vom Mond: Parodie auf Schlagertexte und Weltraumromantik. Protagonist verpasst Abflug, erfindet alles, Mond in Realität hässlich und Absteige der Kriminellen b. Organspende: Die Macht des Kyborgs, spielt in Stollensystem in dem Antarktis erschlossen wird und Mensch wird gezwungen, sich einen Arm amputieren zu lassen c. Sturz nach Atlantis: Technik und Verbrechen. Verbrecherband will Ressourcen der Erde unter die eigene Kontrolle bringen d. Der Trödelmond bei Toliman: Basar der SF-Versatzstücke. Die Marktatmosphäre auf Mond verlegt, was dort verkauft wird, sind Versatzstücke des SF, Erzählung endet Erzähler wird selbst verkauft e. Alle Erzählungen sehr handlungsreich und voller Wendungen 2. soziale und ethische Problemstellungen (auch im „Traum vom roten Fleck“ aufgenommen)

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a. Windschiefe Geraden: Langeweile während interstellarer Flüge, Androiden sorgen für simulierte Abenteuer, Begegnung mit fremdem Flugkörper, ist aber nur Simulation um Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit zu reißen, das Fazit ist, die Androiden sind eigentlich besser geeignet für Weltraumflüge und sollten die Menschen dabei ersetzen b. Reservat: Unsterblichkeit durch Persönlichkeitsverpflanzung von Menschen in Affenkörper, kann beliebig oft wiederholt werden und so wird die Unsterblichkeit erreicht, wird auf einer Insel durchgeführt (erinnert an das Buch „The Island of Dr. Morrau“) durch Körper regredieren und durch Langeweile c. Der schwarze Kasten: Computergesteuerte Gehirne, Shunt sind kleine Computer, die an das Gehirn der Menschen angeschlossen werden und Handlungsabläufe perfekt steuern, werden für das Leben verwendet und Menschen sind davon abhängig. Berufsrotation, Kommissar befindet sich auf der Jagd nach dem schwarzen Shunt, könnte Prinzip des gesamten Shuntsystems repräsentieren. Nullshunt ist ein leeres Gehäuse und der einzige, der klare Gedanken ermöglicht, also keine Kontrolle mehr d. Wolken, zarter als ein Hauch: Extremsport Wolkenschilauf. Skyer verbringt sein Leben damit, denen das Leben zu retten, die in ihrer Wolkensucht so lange in den Wolken bleiben, bis sie in den Tod stürzen e. Unter schwarzer Sonne. Zukunftsmenschen haben Technik entwickelt, von ihrem Originalgeist Kopien zu machen. Erzählung handelt von Fremdheit zwischen der Menschen der Zukunft und den Menschen der Vergangenheit, die einzige Verbindung ist das gemeinsame Gefühl der Fremdheit, f. Das Auge, das niemals weint. Spielt in lateinamerikanischem Land, in diesem Land wird die Gesellschaft geprägt durch hochtechnische Spezialisierung und durch Umweltzerstörung und durch Unterordnung unter militärische Interessen. Wird zwischen Systemen navigiert, wissenschaftlichermilitärischer Interessen der Kapitalisten, eindeutig zuordenbar. Kritischer Leser konnte auch auf die Idee kommen, dass sie Sowjetunion von militärischen Interessen geprägt wurde. Bananenstaat. Nukleare Monokultur, für hohen Profit Verstrahlung der Bevölkerung in Kauf genommen. Menschen besitzen ein drittes Auge, dass auf Gammastrahlen anspricht. Junge Frau benutzt das als Rauschmitteln und als sie gefasst werden, sticht sie sich das dritte Auge aus und damit endet die Erzählung. Probleme mehr angerissen als durchdacht, Pointe die Abschluss bildet, nicht wie bei Le Guin durchgespielt Erzählmuster Antagonismus: völlige Abhängigkeit von perfektionierter Technik, Freiheitsstreben, Zusammentreffen fremdartiger Räume und Zeiten, Scheitern in der Unmöglichkeit der Verständigung Pessimistische Grundstimmung als Berührungspunkt mit schwarzer SF, engl. New Wave der 1960er Jahre Unsterblichkeitsvisionen in SF wichtige Rolle und auch in neueren philosophischen Strömungen, selbst wenn sie erreicht wird, wird sie als Horrorvision dargestellt

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Legitimation des Pessimismus Angela und Karlheinz Steinmüller: naturwissenschaftliche-mathematische Ausbildung Erzählungen stärker von wissenschaftlichen Innovationen als von Gesellschaftssatire geprägt Soziale Misstände werden kapitalistischer Gesellschaft zugeordnet Vielfalt der Themen machen deutlich, dass die in den 50ern und 60ern Jahren Auflösung der eng gesteckten thematischen und theoretischen Grenzen der Gatung in der DDR seit 1970er Jahren Rechtfertigung der Darstellung von Schrecken als Warnung (Vorwurf zurückgewiesen, sie seien defaitistisch oder dekadent), Forderung eines positiven Helden immer weniger gerecht Auch bisher verpönte Themen sie Sexualität oder Umweltverschmutzung ließen sich mit dem Argument der Warnung rechtfertigen Emanzipation Karlheinz Steinmüller: Das Ende der Utopischen Literatur. Ein themengeschichtlicher Nachruf auf die DDF-Science-Fiction. In Fantasia: Allmähliche Emanzipation der wissenschaftlichen Phantastik aus der Funktionalisierung als utopische Literatur und aus der Bevormundung durch die marxistisch-leninistische Staatsideologie Doppelte Böden Versteckte Anspielungen Lebten aber auch von Spannung zur Gesellschaft. Mit der Auflösung der DDR wurde dieser Literatursorte der Boden entzogen Seit 1990er Jahren: Aufweichung der Gattungsgrenzen und generische Hybridisierung, Interesse an konventionellen SF-Literatur scheint zu stagnieren, jene gut, die Gattungsgrenzen sprengen Damit beschäftigen wir uns nächste Woche Motivinventar der SF vermischt sich mit Motiven anderer Gattungen, Ergebnis ist eine revitalisierte und transformationsfähige Gattung Weiterer Verlauf: nächste Woche ist letzte Vorlesung, Prüfung am 23. Juni im Audimax, dann wird es noch drei Termine geben (Anfang Oktober, Ende Jänner, März)

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12.06.2014 Tendenzen der jüngeren deutschsprachigen Science Fiction Perry Rhodan Seit 08. September 1961 wöchentlich durchgehend erschienen, 2755 Bände, ca. 160000 Seiten, Auflage 80000 Klischeehafte Heldenfigur Eigenes Textuniversum, lebt von der Fortsetzungsspannung Roman: genauso unsterblich wie der Titelheld Konventionelle SF Deutschsprachige Gegenwarts-SF Autoren Einige Vertreter der deutschsprachigen SF nach 1945 außerhalb der DDR • Wolfgang Jeschke • Herbert W. Franke • Jörg Weigand • Peter Schattschneider • Andreas Eschbach • Frank Schätzung • Marcus Hammerschmitt • Hartwig Hilfenstein • Dietmar Dath Männliche Dominanz in der deutschsprachigen SF-Literatur im Unterschied zur englischen SF-Literatur Herbert W. Franke Gehört zu den bedeutendsten Vertreter einer konventionellen SF, sichtbar an seinen Themen: interplanetarische Reisen, Kommunikation mit Außerirdischen, Probleme der Automatisierung „Der Orchideenkäfig“ 1961 – Ersetzung der Realität durch Scheinwelten, in Computerspiel schicken Spieler ihre Avatare auf einen anderen Planeten, stellt sich heraus, dass die Spieler körperlich verkrüppelt sind Auch die Erzählung ist weitgehend nüchterne Informationsvermittlung, Transportmittel für technische Einfälle und deren ethische und soziale Konsequenzen Bevorzugung konventioneller Erzählformen, setzt auf naturwissenschaftliche Glaubwürdigkeit insofern Mainstream Science Fiction Neuere Tendenzen Seit 1990er Jahren stärkere Tendenz der generischen Vermischung (Chance, das Genre lebendig zu halten) Frank Schätzing: Der Schwarm (2004) – SF-Thriller Gebrochenes, oft auch ironisch-parodistisches Verhältnis zum wissenschaftlichen Diskurs (wie auch schon bei Philip K. Dick) Deutsche SF-Literatur war lange nicht die innovativste, seit 2000 anders Phänomene der Revitalisierung eines transformationsfähigen Genres

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Marcus Hammerschmitt 1967 geboren, keine naturwissenschaftliche Ausbildung (Philosophie und Literaturwissenschaft) Erzählungssammlungen • Der Glasmensch und andere Science-Fiction-Geschichten (1995) • Nachtflug (2012) • Die Spiegelmacherin (2013) Romane • Wind. Der zweite Versuch. Zwei Romane (1997) • Target (1998) • Der Opal (2000) • Der Zensor (2001) • Polyplay (2002) • Pension Barbara (2013) Alternate History, kontrafaktische Geschichte, was wäre gewesen wenn (Beliebt, was wäre wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, Mayas die Spanier kolonialisiert hätten,…) anstatt was wäre wenn Stellte nie Reinheitsanspruch (SF Gattungsrein) Verfasste dazu auch einen Aufsatz (White Light, White Heat), am Anfang von der Glasmensch: Vitalität der Gattung erwächst aus grimmigem Humor Kritik ist die einzig mögliche Haltung der SF (laut Hammerschmitt) Grundproblem der Utopie: ungeheure Langeweile, spannend wird es erst, wenn es negativ wird

Roman: Target Expedition auf Planeten Target, auf dem sich geheimnisvoller Wald befindet Ungewöhnliche Erzählperspektive – Androide, der mehrere Kameras und Sonare zur Verfügung stehen, kann überwachen, was im Körper und Psyche der Expeditionsteilnehmer stattfindet Multiperspektivität durch verschiedene Beobachtungsapparate – auktorialer Erzähler als Rolle Möglichkeit der Identifikation des Lesers/der Leserin mit dem Androiden, womit die Trennungslinie zwischen künstlichen und natürlichen Menschen vermischt wird (Identifikation mit Automaten, Leser ist vl selbst so was wie Android, nur weiß es nicht) Alternative Intelligenz Eroberungszug gegen fremden Planeten ist nur eine Fassade, hinter der sich ein komplexes Beziehungsgeflecht versteckt Erforschung des Waldes ist zum Scheitern verurteilt Krieg zwischen zwei verschiedenen Menschenformen, dem Syndikat und den T’sai, erweist sich von den Mächtigen inszeniertes Spiel, aber Syndikat glauben, sie führen wirklich Krieg, T’sai wissen, dass sie mehr miteinander als gegeneinander kämpfen Der Wald, kann als eigentlicher Protagonist des Romans gesehen werden, als kybernetischer Organismus, Mischung aus Organischem und Technischem Stellt Imitationen organischen Lebens her und kann so Eindringlinge abwehren, 52

Seine Intelligenz besteht auf dichter Vernetzung aller seiner Bestandteile, ermöglicht blitzschnelles Reagieren Der Wald als ganz andere, geheimnisvolle Lebensform, tötet nach und nach alle Verunsicherung der Kategorien Geist, Seele, Körper, Maschine, ist Wald eine Person oder eine perfekte Maschine T’sai sind selbst zum Teil Androiden, Syndikat nur Menschen und damit unterlegen

Hartwig Hilgenstein: Digitale Tänzer 1998 erschienen im Argument-Verlag in der Reihe Ariadne – Social Fantasy Eingriffe des Verlags in das Manuskript: Vielschichtigkeit wurde zugunsten des Erzähltempos geopfert (100 Seiten wurden gestrichen) Spielt in Berlin der Zukunft Zukunftsberlin als streng in soziale Zonen aufgeteilte Stadtlandschaft Reiche („Paläster“ genannt) leben in keimfreier Umgebung, kommunizieren miteinander nur virtuell, auch Sex nur virtuell Unterschicht (Fleisch genannt) hat keinen Zugang zu Medien, übt wirkliche Arbeit aus, haben auch wirklichen Sex Verruchtes Vergnügungsviertel Kongo innerhalb des Fleisches, in dem ethnisch gemischte Unterschicht leben Befindet sich unter Glasdeckel, der vor saurem Regen und vor Sonnenschein (Reaktion auf Ozonloch) schützt, leben unter künstlichem Himmel Am Beginn erhält der Detektiv Pitch Auftrag, einen verschwundenen Angehörigen der Oberschicht zu suchen Partnerin Lisa unterstützt ihn Spur führt zu einem geheimen Bund von Neonazis Exact 17 (Figur aus der Techno-Szene) bringt Rettung Spiel mit Personen- und Motivinventar der Unterhaltungsliteratur Spielerischer Umgang mit Versatzstücken der Unterhaltungsliteratur Pitch ist nicht abgebrühter Detektiv sondern ängstlich und begeht ständig Fehler, eben nicht der harte Kerl Lisa ist mutiger, aktiver, energievoller Exact 17 als Parodie auf das Heldenklischee des Supermans (trägt abgewetzte Comboystiefel, Hut und durchsichtigen Slip, eingeölter brauner Körper), nicht der hartgesottene Actionheld, bewährt sich als Krankenpfleger und warmherziger Helfer Science Fiction als Zerrspiegel der Wirklichkeit Science Fiction-Elemente bestimmten Milieu, Charakter und Motivation der Figuren Entkörperlichung der Paläster vs. Körperkult des Fleisch (erinnern an House-Szene Berlins) Phantastische Architektur an das reale Berlin angelehnt Überdeckelung erinnert an die Abgeschlossenheit der Stadt vor dem Mauerfall Verunsicherungen als Stärke des Romans Auflösung der traditionellen Geschlechterrollen, Gebären nicht mehr an Weiblichkeit gebunden, da die künstlich stattfindet, Geschlecht kann gewählt werden Tendenz zur Denaturierung Umfunktionierung von Elementen der Unterhaltungsliteratur 53

Auflösung der Zentralperspektive, rascher Perspektivenwechsel, gebrochene Erzählperspektive (rasche Schnitte und Brüche, jeder Abschnitt ist in einer neuen Szenerie vorige brechen abrupt ab) Effekt des hektischen Erzählens Techniken des filmischen Schnitte und der kontrastiven Montage

Dietmar Dath: Die Abschaffung der Arten 2008 im Suhrkamp-Verlag Dietmar Daths (1970 geboren) Werk ist mehrheitlich nicht der SF zuzuordnen Mischung aus Tierfabel, Utopie bzw. Dystopie und SF Beginnt 500 Jahre nach unserer Zeit, erzählte Zeit dehnt sich über mehrere 1000 Jahre aus Großspuriger, expansiver Zug Eigentümliche Variante des Posthumanismus, Zeit der Menschen ist vorbei und wird als Zeitalter der Langeweile bezeichnetEnde der Zeitalters der Langeweile Menschen durch eigenes Verschulden fast vollständig ausgerottet, an deren Stelle denkende Tierwesen Gente= Herrschaft neuer Tiere: Produkte von Gentechnik, manipuliertem Erbgut und gesteuerter Evolution Vermischung der Arten, Wechsel von Geschlecht und Identität Kommunikation durch Gerüche und Telepathie Mit den wenigen übrig gebliebenen Menschen gehen die Gente um, wie diese früher mit Tieren Allerdings herrschen auch in dieser Welt feudale Herrschaftsverhältnisse Krieg und Liebe Überlegenheit organisch-maschineller Lebensformen Auswanderung auf andere Planeten Zusammenarbeit vs. Kampf ums Überleben als Motor der Evolution Liebe, Inzest und Geschlechtertausch Rückkehr zur Erde Grenzüberschreitungen – feste Grenzen abgeschafft, zwischen Mensch und Tier und zwischen Organischem und Künstlichem und zwischen den Geschlechtern Krieg ist eine Konstante, ohne Krieg geht es nicht, weitere Kriege der posthumanen Lebensformen, werden aber als weiteres Experiment dargestellt um festzustellen, ob der Kampf ums Überleben oder die Zusammenarbeit die Evolution vorantreibt Wer das Experiment veranstaltet erfährt man nicht Liebesgeschichte zwischen zwei Geschwistern eingebaut, Bruder ist auf der Venus, die Tochter auf dem Mars geboren, beide wechseln Geschlechter und unternehmen mit Hilfe von Musik ein mystisch anmutende Raum- und Zeitreise, die sie auf die Erde führt, wo sie Menschen antreffen Ende mit Rückkehr des Paars an den Anfang, wo sie die Erde erkundschaften Verfremdung durch Blick auf Menschen durch posthumane Lebensformen

Resümee 1. Hybridisierung SF – Krimi – Thriller – Fantasy – sozialer/utopischer Roman 2. Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Populär- und „Höhenkamm“literatur 54

3. Freie Verfügbarkeit und Montage von Materialien: Zitate, Anspielungen, Topoi, Motive Ironie, Parodie 4. Neue Helden/-innentypen 5. Neue Erzählformen: Polyperspektivität, gleitende Erzählperspektive, filmische Schnitt und Montagetechniken, offenes Ende 6. Oppositionspaare Kultur – Natur, Mann – Frau, Mensch – Maschine, menschliche – künstliche Intelligenz, Geist – Körper, Organisches – Anorganisches, Technik – Biologie werden in Frage gestellt Prüfung 7 Fragen, die man aufsatzförmig beantworten soll Zusammenhänge, Tendenzen wichtiger als Faktenwissen Auch eigene Erfahrungen mit der Lektüre kann man einbringen Offen gestellte Fragen Lektüre aller Texte ist nicht Voraussetzung aber gewisse Textkenntnis ist notwendig, damit man versteht, worum es überhaupt geht

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