Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

2 Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie In diesem Kapitel wird der Diskussionsstand zur Schulentwicklung und zu ihrer Theoriebildung betrach...
Author: Rolf Böhmer
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Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

In diesem Kapitel wird der Diskussionsstand zur Schulentwicklung und zu ihrer Theoriebildung betrachtet. Die Aufmerksamkeit wird damit auf eine Thematik gerichtet, die in der Erziehungswissenschaft vergleichsweise jung ist. Im europäischen Raum hat sich die Schulentwicklung seit Ende der 1960er Jahre als professionelles Praxis- und eigenständiges Forschungsfeld herausgebildet (Arnold 2010); konkret im deutschsprachigen Raum setzten entsprechende Entwicklungen erst etwa zehn Jahre später ein (Tillmann 2011). Das Thema Schulentwicklung hat hier seit den 1990er Jahren einen rasanten Bedeutungszuwachs erfahren; als Leitkategorie dominiert es heute den schulpädagogischen Diskurs (Bohl 2009).

2.1  Grundlegende Klärungen Der Begriff der Schulentwicklung wird in der Literatur nicht einheitlich verwendet (Maag Merki 2008a). Zudem wird Schulentwicklung oftmals mit Schulqualität in Zusammenhang gebracht. Hierauf wird in den nachfolgenden Abschnitten eingegangen, indem der Begriff der Schulentwicklung definiert und in seinem Verhältnis zur „Schulqualität“ betrachtet wird. Zuvor scheint es jedoch geboten, jenen Gegenstandsbereich zu umreißen, auf den sich der Entwicklungs- und der Qualitätsbegriff beziehen: Der Blick wird deshalb zunächst auf die Schulen und das Schulsystem in Deutschland gerichtet. Schulen und Schulsystem in Deutschland  Moderne Gesellschaften sind darauf angewiesen, besondere Institutionen zur Vorbereitung der nachwachsenden Generationen auf ihre Kultur vorzuhalten. Dazu muss die Vorbereitung planmäßig organisiert, systematisiert und auf Dauer gestellt werden. Dies erfordert, dass das Schulsystem arbeitsteilig und hierarchisch gegliedert und in seiner Funktionsweise K. Dedering, Steuerung und Schulentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-19534-6_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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unabhängig vom wechselnden Personal auf längere Zeit eingerichtet wird (Tillmann 1999). Damit sind ganz unterschiedliche Aspekte der schulischen Organisation angesprochen: die zeitliche Bindung der Lernenden (Schulpflicht), die Schaffung materieller Voraussetzungen (Schulräume), die Herausarbeitung einer professionellen Lehrerrolle (Lehrerbildung), die Fixierung von Lerninhalten (Fächer, Lehrpläne), die soziale Organisation des Lernens (Lerngruppen, Klassen), die Festlegung von Gratifikationen (Schulabschlüsse) und schließlich die Kontrolle der Abläufe (Schulaufsicht). (ebd., S. 28)

Ein Schulsystem, das diese Aspekte der schulischen Organisation in allen Einrichtungen bereitstellt, hat sich in Deutschland in den vergangenen 300 Jahren nach und nach herausgebildet. Über die Besonderheiten der einzelnen Bundesländer hinweg (s. hierzu auch den Exkurs „Zuständigkeits- und Kompetenzverteilung in Bildungspolitik und Bildungsadministration in der Bundesrepublik Deutschland“ in Kap.  3.1) umfasst das Schulsystem heute zwei unterschiedliche Bereiche: den Primar- und den Sekundarbereich (Döbert 2010). Der Primarbereich enthält die Klassenstufen 1–4 (in den Bundesländern Berlin und Brandenburg 1–6). Alle Kinder, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, treten in die für alle gemeinsame Grundschule ein. Im Schuljahr 2009/2010 wurden 2.914.858 Schülerinnen und Schüler in 16.305 Grundschulen unterrichtet (DeStatis 2012). Der Sekundarbereich umfasst die Klassenstufen 5–13 und ist nochmals in zwei Bereiche untergliedert: Im Sekundarbereich I (Klassenstufen 5–10) steht den Schülerinnen und Schülern ein vielfältiges Angebot unterschiedlicher Schulformen zur Verfügung. Dieses Angebot, das die Schülerinnen und Schüler je nach Leistungsvermögen nutzen können, variiert zwischen den Bundesländern allerdings stark. In den einzelnen Bundesländern existieren bis zu fünf unterschiedliche Schulformen nebeneinander (van Ackeren und Klemm 2011). Hierbei handelt es sich um folgende: • die tradierten Schulformen der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums (z. B. in Bayern), • die drei tradierten Schulformen und die Gesamtschule (z. B. in Hessen), • das Gymnasium und eine Schulform, die den Hauptschul- und Realschulbildungsgang integriert (z. B. in den neuen Bundesländern) und • die drei tradierten Schulformen, die Gesamtschule und eine den Hauptschulund Realschulbildungsgang verbindende Schulform (z. B. in Rheinland-Pfalz). Neben den Förderschulen wird derzeit nur eine einzige Schulform über alle Bundesländer hinweg angeboten: das Gymnasium (ebd.).

2.1  Grundlegende Klärungen

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Die überwiegende Mehrheit der Schulen im Sekundarbereich I ist als Halbtagsschule organisiert. Zudem handelt es sich bei den meisten Schulen um Schulen in öffentlicher Trägerschaft (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010). Im Schuljahr 2009/2010 besuchten 4.942.006 Schülerinnen und Schüler den Sekundarbereich I (ebd.). Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf stehen im Primar- und Sekundarbereich I verschiedene Typen von Förderschulen (auch: Sonderschulen, Förderzentren, Schulen für Behinderte) mit spezifischen Schwerpunkten – etwa Lernen, Hören, körperliche und motorische Entwicklung – zur Verfügung (van Ackeren und Klemm 2011). Im Schuljahr 2009/2010 besuchten 387.792 Schülerinnen und Schüler 3.306 Förderschulen (DeStatis 2012). Der Sekundarbereich II (Klassenstufen 11–13) eröffnet den Schülerinnen und Schülern – je nach erworbener Zugangsberechtigung – die Möglichkeit, entweder weiterhin eine Vollzeitschule zu besuchen oder eine Ausbildung im dualen System zu absolvieren. In Bezug auf die Vollzeitschulen kann zwischen allgemeinbildenden Schulen (z. B. dem Gymnasium (gymnasiale Oberstufe)) und beruflichen Vollzeitschulen (z. B. der Berufsschule) gewählt werden. Es können dabei spezifische Abschlüsse erworben werden (van Ackeren und Klemm 2011). Aktuell finden sich 3.369.904 junge Erwachsene in allgemeinbildenden Vollzeitschulen und 446.614 in beruflichen Vollzeitschulen des Sekundarbereichs II (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010). Alle Schulen haben vielfältige pädagogische und gesellschaftliche Aufgaben und Funktionen zu erfüllen. Mit Blick auf die Gesellschaft unterscheidet Fend (1980) drei wesentliche Funktionen: 1) Ihrer Qualifikationsfunktion entsprechend besteht die Aufgabe der Schule (als Instanz zur Erzeugung wirtschaftlich verwertbarer Qualifikationen) darin, Kenntnisse und Fertigkeiten an den Nachwuchs zu vermitteln, damit dieser im Beschäftigungssystem eingesetzt und am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. 2) Ihrer Selektions- bzw. Allokationsfunktion nach ist die Schule eine Instanz für die Zuteilung des Nachwuchses zu sozialen Positionen und zur Stabilisierung sozialer Strukturen. Die Selektion meint dabei die Aussortierung der Schülerinnen und Schüler für diesen Zuteilungsprozess durch unterschiedlich hohe Qualifikationen (dokumentiert durch die verschiedenen Schulabschlüsse). Die Allokation meint die Zuführung der unterschiedlich qualifizierten Absolventen zu den jeweiligen Ebenen des Beschäftigungssystems. 3) Ihrer Legitimations- bzw. Integrationsfunktion gemäß besteht die Aufgabe der Schule (als Instanz zur Reproduktion zentraler gesellschaftlicher Wertstrukturen) darin, bestehende gesellschaftliche Normen und Werte (z. B. die Menschenrechte) zu rechtfertigen und den Nachwuchs in die Normen und Werte der Gesellschaft zu integrieren (ebd.).

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Die pädagogischen und die gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen führen zu einer doppelten Verpflichtung der Schule: Sie ist zum einen den Heranwachsenden mit ihren psychologischen Vorgaben beim Lernen und ihrem Recht auf individuelle Förderung gegenüber verpflichtet. Zum anderen steht sie den Inhalten der Kultur gegenüber in der Pflicht, die sie – um die Identität der Gesellschaftsmitglieder zu gewährleisten – bewahren und weiterentwickeln muss (Wiater 2009). Das dabei erkennbare Spannungsverhältnis kann nicht aufgelöst werden, auf die Anforderungen können die Schulen aber auf unterschiedliche Art und Weise reagieren, etwa bei der Ausgestaltung des Schullebens oder der Schulkultur – oder mit Blick auf Fragen der Schulentwicklung (van Ackeren und Klemm 2011). Um eben diese Schulentwicklung wird es nun im Folgenden gehen. Begriff der Schulentwicklung  Nach einem im deutschsprachigen Raum weithin geteilten Verständnis lässt sich Schulentwicklung als die systematisierte Weiterentwicklung von Einzelschulen verstehen. Im Gegensatz zu der Veränderung, die sich – etwa aufgrund einer sich wandelnden Schülerklientel – an Schulen ohnehin vollzieht, wird mit dem Begriff der Schulentwicklung eine bewusste und absichtsvolle Veränderung angesprochen, die von den Mitgliedern der Einzelschulen selbst vorgenommen wird. Der Begriff beinhaltet dabei eine prospektive, also auf die Zukunft hin ausgerichtete Blickrichtung und schließt einen fortlaufenden, dauerhaften Prozess (Oelkers 2008) auf eine verbesserte Situation hin ein. Schulentwicklung kann anhand von Aktivitäten in unterschiedlichen Bereichen erfolgen (u. a. Holtappels 2003; Rahm 2005; Rolff 2010): Sie kann sich im Bereich der Schulorganisation, etwa in Form von Teambildungsprozessen im Kollegium, vollziehen (Holtappels 2003). Schulentwicklung ist dann als Organisationsentwicklung (OE) zu verstehen. Darüber hinaus ist sie im Bereich der Lernkultur in Unterricht und Schule möglich – wenn sich das Kollegium beispielsweise auf einheitliche Kriterien der Leistungsbeurteilung verständigt und diese in die Praxis umsetzt (ebd). Schulentwicklung stellt dann Unterrichtsentwicklung (UE) dar. Schließlich ist sie auch im Bereich des Personals realisierbar, etwa als Entwicklung einer Kommunikations- und Konfliktkultur. Schulentwicklung vollzieht sich dann als Personalentwicklung (PE) (ebd.). Das übergeordnete Ziel – im Sinne eines Meta-Ziels (Altrichter und Helm 2011) – der Schulentwicklung besteht darin, Schulen zu schaffen, die sich selbst steuern, selbst reflektieren und selbst organisieren (Rolff 2002). In diesem Sinne sollen Schulen „lernende Schulen“ oder „lernende Organisationen“ darstellen, die über eine eigene Problemlösefähigkeit verfügen (Esslinger-Hinz 2006; Holtappels und Rolff 2004; Rahm 2005). In mehreren Definitionen wird darüber hinaus darauf verwiesen, dass die Einzelschulentwicklung in den jeweiligen administrativen Gesamtzusammenhang eingebunden ist. Das bedeutet, dass die an den Schulen

2.1  Grundlegende Klärungen

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stattfindenden Entwicklungsaktivitäten nicht losgelöst von Vorgaben des Gesetzgebers und seiner nachgeordneten Instanzen ablaufen. Neuere Definitionen beziehen so externe Zielvereinbarungen ein (wie z. B. Bildungsstandards) und definieren Schulentwicklung als „Austauschprozess zwischen internen (z.  B. Schulprogramm) und externen Vorgaben“ (Maag Merki 2008a, S. 25; zum Schulprogramm s. Kap. 4.1.3). Darüber hinaus wird in der jüngeren Vergangenheit in Definitionen auf die Notwendigkeit einer Einbeziehung von internen und externen Messverfahren (wie z. B. Leistungstests und Schulinspektionen, s. hierzu Kap. 4.2.1 und 4.2.3) hingewiesen, deren Ergebnisse dann im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen verarbeitet werden (ebd.). Schulentwicklung erfolgt in diesem Sinne datengestützt. Dabei geht es letztlich um eine Professionalisierung der Lernumgebung und um Auswirkungen auf den Bildungsprozess der Schülerinnen und Schüler (ebd.). Gelingende Schulentwicklung habe zum „ultimativen Ziel, die Lerngelegenheiten der Schülerinnen und Schüler zu verbessern“ (Rolff 2010). Mit dieser Betonung der Funktionalität der Schulentwicklung für den Bildungsprozess der nachwachsenden Generation wird an den internationalen Kontext angeknüpft, wo dieser Aspekt – neben dem Rekurs auf die Einzelschule und deren Verortung im Systemzusammenhang – bereits seit längerem zum Grundverständnis von Schulentwicklung gehört (z. B. Creemers et al. 2007; Hopkins 2005). Neuere Definitionen erweitern schließlich den Begriff der Schulentwicklung von den Einzelschulen auf Schulnetzwerke und Bildungsregionen (Maag Merki 2008a). Danach bilden die Ebene der Einzelschule, des Schulnetzwerkes und der Bildungsregion den Dreh- und Angelpunkt von Schulentwicklungsaktivitäten. Schulentwicklung und Schulqualität  Wie gesagt, bezeichnet Schulentwicklung Prozesse, an deren Ende sich selbst steuernde, selbst reflektierende und selbst organisierende Schulen stehen sollen. Dabei wird jedoch nicht näher angegeben, auf welche pädagogischen Ziele hin diese Weiterentwicklung ausgerichtet sein soll. Eine solche Zielorientierung wird mit dem Begriff der Schulqualität bereitgestellt. In inhaltlicher Hinsicht wird Schulqualität also als Zieldimension von Schulentwicklung betrachtet (Tillmann 2011); dabei ist der Begriff Schulqualität sowohl normativ als auch empirisch ausgerichtet (Holtappels 2009; Terhart 2000). Normative Bestimmungsversuche bemühen sich um eine systematisch-reflektierende Festsetzung der inhaltlichen Zieldimension von Schulentwicklung. Dabei geht es immer um die höchste Stufe von Qualität, es geht um die „gute Schule“. Die Grundlage stellen Leitbilder bzw. Ziel- und Aufgabenbeschreibungen dar (Dubs 2004; Fend 1989), die – etwa aufgrund von Traditionen oder sozial- und bildungspolitischen Überzeugungen (Terhart 2000) – ganz unterschiedlich ausfallen können. Dies lässt sich an zwei sehr unterschiedlichen Leitbildern von Schule veranschaulichen: der Schule als „Lebenshilfeschule“ von Struck (1996) und der Schule als „Wissenschaftsschule“ von Giesecke (1996). Während Schule im ersten Fall als

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familienergänzende Einrichtung betrachtet wird, die dazu beitragen soll, Erziehungsdefizite der Eltern auszugleichen, wird sie im zweiten Fall ausschließlich als Ort der Wissensvermittlung gesehen. Unterricht und Erziehung sind hier klar voneinander getrennt. Je nach Leitbild werden der Schule ganz unterschiedliche Aufgaben und Funktionen zugeschrieben – und es lassen sich ganz unterschiedliche Kriterien von Schulqualität ableiten: Nach dem Leitbild der „Lebenshilfeschule“ ist jene Schule eine „gute Schule“, die dem Anspruch, Erziehungshilfe zu leisten, gerecht wird und – wo erforderlich – die Unterrichtsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern herstellt. Nach dem Leitbild der „Wissenschaftsschule“ ist hingegen jene Schule eine „gute Schule“, die den Schülerinnen und Schülern Wissen vermittelt. Damit ist klar: „Die“ gute Schule gibt es in normativer Hinsicht nicht; es existieren vielmehr mehrere, sich mitunter auch ausschließende Vorstellungen von Schule (Dedering und Tillmann 2012). Die konkretisierten Merkmale von Schulqualität fließen in empirische Bestimmungsversuche des Begriffes ein. Aussagen werden dabei auf der Basis erfahrungswissenschaftlicher Befunde (die mit geeigneten Instrumenten gewonnen wurden) und deren Umwandlung in differenzierte Kennwerte gemacht (Terhart 2000). Es sind zwei Forschungsrichtungen zu unterscheiden, die mit mehr oder weniger umfassenden Begriffen von Schulqualität arbeiten: die in angelsächsischer Tradition stehende School Effectiveness Research und die Schulqualitätsforschung im deutschsprachigen Raum (Dedering 2007). Die School Effectiveness Research, die bereits in den 1950er Jahren entstanden ist und in den letzten Jahren einen starken Bedeutungszuwachs erfahren hat, beschäftigt sich mit der Frage, welche Faktoren die Effektivität einer Schule konstituieren. Dabei wird mit dem Begriff der Wirksamkeit gearbeitet, der sich auf Aussagen über den Zusammenhang zwischen Zielvorstellungen und Maßnahmen sowie Prozessen, die zu deren Erreichen erforderlich sind, stützt (Holtappels 2003; Kotthoff 2003). Insofern hier das Ergebnis von Bildungsprozessen betrachtet wird, kommt es zu einer Engführung des Begriffs auf wenige schulische Wirkungen. Im Mittelpunkt zahlreicher Untersuchungen stehen fachliche Schülerleistungen. Mortimore (1991) z.  B. bezeichnet diesem Begriffsverständnis entsprechend eine Schule dann als wirksame Einrichtung, wenn die in Schülerleistungen zum Ausdruck kommenden Lernfortschritte besser ausfallen als nach der Lernausgangslage der Schülerinnen und Schüler zu erwarten gewesen wäre. In anderen Definitionen wird Wirksamkeit als das Ausmaß verstanden, in dem Schulen ihre Ziele bei effizientem Einsatz von Ressourcen und Mitteln erreichen (Terhart 2000). In Folge der Rezeption angelsächsischer Studien zur Schulwirksamkeit (z.  B. von Rutter et al. 1979) entstand die Schulqualitätsforschung in den deutschsprachigen Ländern zeitlich versetzt etwa ab Anfang der 1980er Jahre. Sie geht der Frage nach, wodurch sich „gute“ von „schlechten“ Schulen unterscheiden und nutzt dabei

2.1  Grundlegende Klärungen

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einen breiter gefassten Qualitätsbegriff, der über die fachlichen Schülerleistungen deutlich hinausreicht. Berichte über Studien zur Schulqualität haben zu zahlreichen Zusammenstellungen von empirisch ermittelten Merkmalen „guter“ bzw. „wirksamer“ Schulen geführt (u. a. Aurin 1990; Dubs 2004; Fend 1989; Purkey und Smith 1990; Steffens und Bargel 1993). Eine integrierende Zusammenstellung sollte nach Bonsen, Bos und Rolff (2008) wenigstens folgende zentrale Bereiche umfassen: • Leistungsorientierung: Eine hohe, aber trotzdem angemessene Erwartung, sowohl an Lehrkräfte als auch an Schülerinnen und Schüler gerichtet, soll die pädagogische Arbeit an der Schule positiv stimulieren. • Professionelle Kooperation im Kollegium: Im Kollegium herrscht Konsens bezogen auf die Ziele der pädagogischen Arbeit; gemeinsam planen und entwickeln die Lehrkräfte den Unterricht. • Pädagogische Führung: Die Schulleitung spielt eine zentrale Rolle in der Qualitätsentwicklung der Schule. Dieses Führungsverständnis umfasst einerseits eine unterrichtsbezogene Führung, andererseits eine eher auf die Schulebene und die Rahmenbedingungen von Unterricht abzielende Gestaltung. • Qualität des Curriculums: Der Abgleich zwischen intendiertem und implementiertem Curriculum dient der Reflexion der eigenen pädagogischen Arbeit auf Schulebene und sollte als notwendiger Bestandteil von Qualitätsentwicklung im schulischen Bereich betrachtet werden. • Geordnete Lernatmosphäre: Eine Atmosphäre der Sicherheit und ein geordnetes Umfeld bilden eine Lernumwelt, in der sich Schülerinnen und Schüler ohne Angst und weitgehend ungestört auf den Unterricht und ihren persönlichen Lernerfolg konzentrieren können. Hierzu gehören neben geordneten Arbeitsbedingungen auch ein positives Sozialklima zwischen den Schülern, zwischen Schülern und Lehrern sowie innerhalb des Kollegiums. • Evaluation: Auf unterschiedlichen Ebenen kommen verschiedenartige Evaluationsmethoden zum Einsatz. Hierzu gehören das systematische Monitoring der Schülerleistung, Unterrichtsfeedback sowie die Selbst- und Fremdevaluation auf organisationaler Ebene. (ebd., S. 16)

Im Hinblick auf eine theoretische Konzeptionalisierung von Schulqualität hat sich in der wissenschaftlichen Debatte nach Holtappels und Voss (2008) inzwischen eine Sichtweise etabliert, die die drei Dimensionen der System- und Steuerungsqualität (Input) (1), der Gestaltungs- und Prozessqualität (2) und der Ergebnisqualität (Output) (3) unterscheidet (u. a. Creemers et al. 2000; Ditton 2000, 2007; Holtappels 2003; Holtappels und Voss 2008; Scheerens und Bosker 1997). Die Merkmale auf der Inputdimension beziehen sich auf die in das System einnegehenden Faktoren und beschreiben als Rahmenbedingungen, Ressourcen und Vorgaben die Voraussetzungen schulischer Prozessabläufe. Dazu zählen etwa die Qualifikation von Lehrkräften oder auch die verfügbaren Lehrpläne und Lehrbü

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cher. Auch die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft und das Schulumfeld können hier genannt werden (Altrichter und Buhren 1997; Dubs 2004; Holtappels 2003). Die auf der Prozessdimension zu verortenden Qualitätsmerkmale betreffen die schulspezifische Lernumgebung und die pädagogische Schulgestaltung (Holtappels 2003). Zu ihnen gehören u.  a. formale Leistungsanforderungen und Prüfungen, Schul- und Klassengröße, Sozialformen, Fördermaßnahmen und die Lehrer-Schüler-Interaktion (ebd.). Die Einzelschule kann diese Faktoren beeinflussen und moderieren. Im Hinblick auf die Outputdimension beziehen sich die Qualitätsmerkmale auf die Resultate schulischer Lehr- bzw. Lern- sowie Erziehungsprozesse, „also auf Kompetenzen, Haltungen, Einstellungen, Dispositionen und Verhaltensmuster der Schülerinnen und Schüler“ (Holtappels und Voss 2008, S. 67). Theoretische Modelle, die Schulqualität auf der Basis theoretischer Vorüberlegungen wie empirischer Erkenntnisse darstellen wollen, liegen seit Ende der 1960er Jahre vor. Als einer der Ersten konzipierte Stufflebeam (1967) das so genannte CIPP-Modell, das nach den Anfangsbuchstaben der vier Dimensionen Context, Input, Process und Product (Output) benannt ist und das davon ausgeht, dass diese in einem linearen Zusammenhang angeordnet sind. In den letzten Jahren sind mehrere Rahmenmodelle vorgelegt worden, die auf diesem Modell aufbauen und einer Systematisierung der Entstehungsprozesse von Schulqualität dienen (u.  a. Ditton 2000; Scheerens 1990; Scheerens und Bosker 1997). Exemplarisch sei hier auf das integrierte Modell von Schulwirksamkeit von Scheerens (1990) eingegangen (vgl. Abb. 2.1): Ihm liegt die Sichtweise zu Grunde, dass das Schulsystem aus mehreren Ebenen besteht: der Systemebene, der Schulebene, der Klassenebene und der Ebene der Lehrenden und Lernenden (vgl. hierzu auch Kap.  3.4). Merkmale auf den höheren Ebenen wirken auf die entsprechenden Merkmale auf der untergeordneten Ebene. Demnach kann beispielsweise eine Ausrichtung der Schule an gemeinschaftlichen Werten den Einsatz kooperativer Lernformen im Unterricht der einzelnen Lehrkraft befördern. Das Modell veranschaulicht den Zusammenhang von vorgeordneten, moderierenden sowie nachgeordneten Faktoren und führt zudem die Bedeutung der Prozessdimension, die in die Schul- und Unterrichtsebene unterteilt wird, vor Augen (van Ackeren und Klemm 2011; Bonsen et al. 2008). Im Sinne einer Ausdifferenzierung dieses Modells sind in den letzten Jahren so genannte Angebot-Nutzen-Modelle vorgelegt worden. Sie konzipieren den Lehr-/ Lernprozess als ein in sich hoch strukturiertes Angebot und grenzen von diesem die Nutzung durch die Adressaten klar ab (Fend 2004; Helmke 2003). Die Modelle enthalten die Annahme, dass das beste Angebot zu suboptimalen Effekten führen kann, wenn die Bedingungen der Nutzung defizitär sind oder nicht beachtet werden (Fend 2004):

2.1  Grundlegende Klärungen

Abb. 2.1   Integriertes Modell von Schulwirksamkeit. (Quelle: Scheerens 1990)

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Abb. 2.2   Rahmenmodell für Schulqualität. (Quelle: Holtappels und Voss 2008) Schulleistungen sind in diesem Rahmen das Ergebnis von Qualität und Quantität des Angebots. Allerdings kommt die Nutzungsseite hinzu. Da das Angebot nicht schlicht aufgezwungen oder mechanisch vermittelt werden kann, bestimmen die Nutzungsfaktoren wie kognitive Lernvoraussetzungen und Motivation mit, welcher ‚Ertrag‘ letztlich im Bildungswesen erzielt wird. (ebd., S. 17)

Jüngst wurde von Holtappels und Vos (2008) ein Qualitätsmodell präsentiert, das zusätzlich zu den bisher genannten Komponenten die Schulentwicklungsaktivitäten der Schulen mit einbezieht (vgl. Abb. 2.2). Damit wird die Schulentwicklungsarbeit mit systematischen und zielbezogenen Verfahren, Strategien und Maßnahmen (z. B. bei der Schulprogrammarbeit oder der Evaluation) erstmals ausdrücklich berücksichtigt. Schulentwicklung fungiert dabei als Einflussfaktor auf Schulqualität. In zeitlicher Perspektive stellt Schulentwicklun sowohl das Ergebnis als auch den Ausgangspunkt von Schulqualität dar (Maag Merki 2008a). So ist Schulent-

2.2  Schritte der Theoriebildung

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wicklung zentrales Mittel, um die Qualität der Einzelschule (eines Schulnetzwerkes oder einer Bildungsregion) zu verbessern. Wie im oben erwähnten Qualitätsmodell (Holtappels und Voss 2008) kommt ihr demnach die Funktion eines verursachenden Faktors für Schulqualität zu. Umgekehrt übt das Ausmaß der Schulqualität einen Einfluss auf die Gestaltung der Schulentwicklung aus. So ist es möglich, zwischen Entwicklungsprozessen an Schulen mit einem vergleichsweise hohen Qualitätsniveau und Entwicklungsprozessen an Schulen, deren schulische Qualität einen geringen Stand aufweist, qualitativ zu differenzieren (ebd.). Hier wird deutlich, dass Schulentwicklung und Schulqualität in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen.

2.2  Schritte der Theoriebildung Trotz der bereits seit Ende der 1970er Jahre unternommenen Bemühungen um eine Theorie der Schulentwicklung (s. hierzu etwa Bauer und Rolff 1978; Rolff und Tillmann 1980) sieht sich die Schulentwicklungsforschung auch heute noch dem Vorwurf ausgesetzt, über keine hinreichende theoretische Grundlegung zu verfügen (Holtappels und Rolff 2010; Maag Merki 2008a; Rahm 2008). Dies gilt im Übrigen auch für den internationalen Bereich (Townsend 2007). Allerdings hat die Anzahl der Beiträge zu einer Theoriebildung in den letzten Jahren deutlich zugenommen (u. a. Bätz und Scheunpflug 2006; Esslinger-Hinz 2006; Helsper et al. 1998; Holtappels 2003; Koch-Priewe 2000). Diese Beiträge folgen [zumeist] weniger strengen Kriterien des Theoriebegriffs (z.  B. innere und äußere Widerspruchsfreiheit, eigene Begriffsbildung, empirisch bzw. wissenschaftlich geprüfte Sätze. (Bohl 2009, S. 554)

Versuche, die bisher vorliegenden Theorieansätze in einem umfassenden Aussagengebäude zusammenzuführen und somit eine komplexere Theorie der Schulentwicklung zu konzipieren, wurden bisher erst vereinzelt unternommen (Maag Merki 2008a; Rahm 2005, 2008). In diesem Abschn. (2.2) stehen nun zunächst Ansätze der Schulentwicklung im Mittelpunkt, die keinen umfassenden Gesamtentwurf einer Schulentwicklungstheorie vorlegen, sondern sich auf Ausschnitte eines solchen Entwurfs beschränken. Weiterreichende Beiträge zu einer komplexen Theoriebildung in der Schulentwicklung werden dann in Abschn. 2.3 vorgestellt. Mit dieser Reihenfolge wird zugleich dem historischen Verlauf der Diskussion zur Theoriebildung in der Schulentwicklung gefolgt. Die Ansätze der Schulentwicklungstheorie richten sich in aller Regel

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

an Bezugstheorien aus benachbarten Wissenschaftsbereichen aus. Dadurch weisen sie ganz unterschiedliche theoretische Rahmungen auf (s. hierzu Bohl et al. 2010). Ihrer dominierenden Rolle im Schulentwicklungsdiskurs entsprechend werden im Folgenden jene Ansätze dargestellt, die Schulentwicklung im Bereich von Organisationsentwicklung verorten (Abschn. 2.2.2). Sie basieren auf der Vorstellung einer Schulentwicklung als Entwicklung der Einzelschule (Abschn. 2.2.1), die dann erweitert wird auf die Vorstellung einer Schulentwicklung als Entwicklung der Einzelschule im Systemzusammenhang (Abschn. 2.2.3).

2.2.1  D  er Ausgangspunkt: Schulentwicklung als Entwicklung der Einzelschule Seit den 1990er Jahren – darauf wurde zuvor bereits hingewiesen – wird der Einzelschule im Rahmen der Schulentwicklung eine besondere Bedeutung zugewiesen (Maag Merki 2008a; Rolff 2007b; Wenzel 2008). In Folge eines Perspektivenwechsels vom Schulsystem zur Einzelschule, der in den 1980er Jahren in der Erziehungswissenschaft und in der Bildungspolitik vollzogen wurde, erhielt die Einzelschulentwicklung gewissermaßen eine „Vormachtstellung“ vor der Systemkoordination (Rolff 1998; Wenzel 2008). Die Gründe für diesen Perspektivenwechsel sind vielfältig: In der wissenschaftlichen Forschung waren empirische Erkenntnisse vorgelegt worden, die darauf hindeuteten, dass Unterschiede zwischen Schulen derselben Schulform (etwa zwischen zwei Gymnasien) vielfach größer ausfallen als zwischen Schulen unterschiedlicher Schulformen (beispielsweise zwischen Gymnasien und Gesamtschulen). In der wissenschaftlichen Theoriebildung (Systemtheorie) war gezeigt worden, dass Erneuerungen von Subsystemen als autopoietische (d. h. sich selbst wiederherstellende) Systeme nicht wie beabsichtigt umgesetzt wurden. In der Bildungspolitik wurde – auch in Folge der wissenschaftlichen Erkenntnisse – eine Diskussion über eine größere Autonomie (also Gestaltungsfreiheit) von Schulen geführt. Gemeinhin wurde die bis dahin präferierte Steuerung des Gesamtsystems als gescheitert angesehen; die Außensteuerung befand sich gewissermaßen in der Krise (Tillmann 2011, ausführlich hierzu auch Kap. 3). Die neue Prioritätensetzung ist dabei eine doppelte: Sie zeigt sich zum einen darin, dass die Schulentwicklung in der einzelnen Schule beginnen muss, und zum anderen darin, dass die Entwicklung der einzelnen Schule nicht mehr als eine vom Gesamtsystem hervorgebrachte und somit lediglich abgeleitete Aktivität, sondern als eigentliche Grundlage betrachtet wird (Rolff 2010). Das Konzept der Schulentwicklung als Entwicklung der Einzelschule wird in der Literatur mit zwei Leitbildern in Verbindung gebracht: Zum einen wird die

2.2  Schritte der Theoriebildung

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Schule als „pädagogische Handlungseinheit“ (Fend 1986) bezeichnet. Das bedeutet, dass einzelnen Schulen die Fähigkeit zugesprochen wird, eigenständig handeln zu können. Zum anderen wird die Schule als „Motor der Entwicklung“ (Dalin et al. 1990) charakterisiert. Die Wirkungsweise bzw. die Wirkungskraft dieses Motors wird insbesondere von den Lehrerinnen und Lehrern und den Leitungspersonen einer Schule selbst beeinflusst (Rolff 1998). Über die Implementierung jener Maßnahmen, die für eine Verbesserung der schulischen Situation erforderlich sind, haben die schulischen Akteure also weitgehend selbst zu befinden (Wenzel 2008). Andere Instanzen treten hingegen eher in unterstützender bzw. ressourcensichernder Weise auf.

2.2.2  S  chritte zur theoretischen Fundierung I: Schulentwicklung als Organisationsentwicklung Die Akteure der Schulentwicklung richteten sich zunächst an Konzepten der Organisationsentwicklung aus, die aus dem Wirtschaftsbereich stammten. Die Organisationsentwicklung lässt sich ganz allgemein als eine „methodische Interventionsstrategie“ (Wiegand 1998, S. 143) betrachten, die auf die „gestalterische Veränderung von Organisationen ausgerichtet“ (ebd.) ist. Eine weitergehende Definition des Begriffs erweist sich als schwierig, da die Organisationsentwicklung in den letzten zwanzig Jahren konzeptionell stark ausdifferenziert worden ist (ebd.). Als übereinstimmendes Kennzeichen der insgesamt recht heterogenen Ansätze kann die grundlegende Überzeugung gelten, dass die Veränderung von Organisationen von ihren Mitgliedern selbst – und damit von innen heraus – möglich ist. Die Organisationsmitglieder agieren in eigener Verantwortung, wobei der Leitung ein zentraler Stellenwert zukommt (French und Bell 1994). Eine Unterstützung erfahren die Organisationsmitglieder durch externe Berater (Wiegand 1998). Das Ziel besteht dabei in einer gleichzeitigen Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation (Effektivität) und der Qualität des Arbeitslebens (Humanität). Es lassen sich zwei Wurzeln der Organisationsentwicklung nennen: Zum einen geht sie auf die Human-Relations-Bewegung zurück, in deren Zusammenhang Sozialwissenschaftler in den 1930er Jahren die Bedeutung menschlicher Beziehungen für Einstellungen und Verhaltensweisen der in Betrieben arbeitenden Menschen entdeckten. Nicht materielle Aspekte wie die Beleuchtungsanlagen, sondern das Interesse von Forschern für die Arbeit der Beschäftigten waren relevant für die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Unternehmen (Koch-Priewe 2000). Zum anderen basiert die Organisationsentwicklung auf Kurt Lewin, der die Ergebnisse der Human-Relations-Bewegung in den 1940er und 1950er Jahren auf-

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nahm und erweiterte. Im Zuge seiner Forschungen u.  a. zur Gruppendynamik und zu Führungsstilen in amerikanischen Wirtschaftsunternehmen konzipierte und erprobte er Trainingskonzepte, um die sozialen Beziehungen in Organisationen zu verbessern. Über die optimierten Sozialbeziehungen sollte zum einen eine Leistungssteigerung der Organisation erreicht werden; zum anderen sollten die Arbeitsbedingungen und damit verbunden die Zufriedenheit der Organisationsmitglieder erhöht werden (Wenzel 2008). Lewin (1963) stellte in seinen Arbeiten den Sachverhalt heraus, dass sich Veränderungsprozesse stets in Form von zyklischen Phasen vollziehen. Er unterschied in diesem Zusammenhang die drei Phasen von Unfreezing, Moving und Refreezing (French und Bell 1994). Damit eine Bereitschaft für Veränderungen entstehen könne, müssten Organisationen zunächst einmal aus ihrem Gleichgewichtszustand gebracht werden. Als Auslöser könnten hier beispielsweise die Ergebnisse von Organisationsanalysen fungieren. Auf diese Phase des „Auftauens“ (Unfreezing) folge eine Phase der Bewegung (Moving), in der die Organisationen Veränderungen vornehmen. Abschließend müsse die Organisation wieder stabilisiert werden und die Veränderungen müssten in den Organisationsablauf integriert werden; dies sei die Phase des „Einfrierens“ (Refreezing) (ebd.). Phasenschemata und die daran geknüpfte Vorstellung eines sequentiellen Vorgehens liegen auch aktuellen Ansätzen der Organisationsentwicklung zu Grunde (Holtappels und Rolff 2010). Organisationsentwicklung wird nun verstanden als ein zusammenhängendes, systematisch geplantes und über einen längeren Zeitraum aufrecht erhaltenes Bemühen zur (Selbst-)Erkundung und Verbesserung der eigenen Organisation. (Wenzel 2008, S. 433)

Anhand dieses reflexiven Verfahrens soll eine „Veränderung des Sozialverhaltens von Organisationsmitgliedern, bei gleichzeitiger oder vorhergehender Veränderung der Organisationsstrukturen“ (Rolff 1993, S. 152) erreicht werden. Organisationsentwicklung ist dabei „keine nur technokratische, sondern betont personenorientierte Strategie“ (ebd.). Sie geht von der Voraussetzung aus, dass der Mensch mündig ist. Im Sinne des bereits erwähnten sequentiellen Vorgehens nehmen die Mitglieder einer Organisation bei der Organisationsentwicklung zunächst einmal eine Analyse der eigenen Situation und potenzieller Probleme vor und formulieren in Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Selbstuntersuchung und den festgestellten Stärken und Schwächen Ziele und Schwerpunkte für die Entwicklung der Organisation (Wenzel 2008). Mit Blick auf diese Ziele erstellen und realisieren sie anschließend Handlungspläne und überprüfen nach einer gewissen Zeit selbst oder

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unter Beteiligung Außenstehender, ob die zur Problemlösung oder Profilbildung gedachten Aktivitäten auch die gewünschten Ziele erreichen (ebd.). Wenngleich der Mensch als wichtiges Element von Organisationen betrachtet wird, ist der Fokus nicht primär auf die Einzelperson gerichtet (Wiegand 1998). Es wird vielmehr die Organisation als soziales System mit seinen Normen, Rollen, Interaktions- und Kommunikationsprozessen in den Blick genommen (Wenzel 2008). Im Mittelpunkt steht also die Weiterentwicklung der Organisation als Ganze. Um die Durchführung der Entwicklungsarbeit zu erleichtern, könne durchaus zunächst nur an Teilbereichen oder Einzelproblemen angesetzt werden oder mit Subeinheiten (z. B. Schulleitung, Fachbereiche, Teams) gearbeitet werden (Rolff 1998). Langfristig genüge eine solche Begrenzung allerdings nicht (Holtappels 2003). Schulentwicklung als pädagogische Organisationsentwicklung  In den USA waren Konzepte der Organisationsentwicklung bereits in den 1960er Jahren auf den Schulbereich übertragen worden (hierzu Schmuck und Runkel 1985). In Deutschland wurde ein Transfer der wesentlichen Annahmen und Vorgehensweisen der Organisationsentwicklungsansätze in den 1990er Jahren vorgenommen und maßgeblich von Rolff (1993, 1995), Rolff und Dalin (1990), Schley (1991) und Philipp (1992) vorangetrieben. Dabei wurden die Besonderheiten der Organisation Schule herausgestellt: Sie unterscheide sich in einigen Systemkomponenten von anderen Organisationen, in der Summe sogar wesentlich (Rolff 2012). Bezug genommen wird in diesem Zusammenhang auch auf Mintzberg (1992), der zur Beschreibung von Organisationen eine Klassifikation mit fünf so genannten Archetypen (als Zusammenstellungen einer Reihe von Strukturmerkmalen, s. unten) vorgelegt hat. Mintzberg (1992) bezeichnet die Schule als Profibürokratie. Als solche stellt sie eine Organisation dar, die hochspezialisierte und professionelle Mitarbeiter beschäftigt, welche ihre Arbeit weitgehend selbst und unabhängig voneinander kontrollieren. Die Mitarbeiter arbeiten jedoch in engem Kontakt zu ihren Kunden bzw. Klienten (ebd.) – in der Schule: zu den Schülerinnen und Schülern. Als einziger Kontrollmechanismus greift bei Organisationen dieses Typs jener der Standardisierung der Qualifikationen, die von den ausführenden Mitarbeitern erwartet werden: In der Schule haben die in ihr arbeitenden Lehrerinnen und Lehrer eine anerkannte universitäre und schulpraktische Ausbildung absolviert. Profibürokratien stellen häufig Organisationen dar, die auf die Bearbeitung von komplexen und dauerhaften Aufgaben in einer komplexen, aber stabilen Umwelt ausgerichtet sind. Die Schule als Profibürokratie lässt sich nach jenen fünf Strukturelementen darstellen, die Mintzberg (1992) zur Beschreibung von Organisationen für grundlegend hält: 1) den betrieblichen Kern als Funktionsstelle, in der produziert wird, 2) die strategische Spitze als höchste verantwortliche Person der Organisation,

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3) die Mittellinie, die alle Führungsfunktionen unterhalb der strategischen Spitze umfasst, 4) die Technostruktur, die Funktionsstellen umfasst, in denen Prozesse und Arbeitsabläufe überwacht werden und 5) den Hilfsstab im Sinne aller zusätzlichen Funktionen außerhalb der wertschöpfenden Prozesse. In der Schule stellt der betriebliche Kern (1) den größten Organisationsteil dar. Er umfasst den Unterricht – die Lehrtätigkeit der Lehrpersonen und das Lernen der Schülerinnen und Schüler (Rolff 2012). Professionelle Mitarbeiter sind hier also in bürokratisch organisierten Kontexten tätig. Die strategische Spitze (2) wird von der Schulleitung gebildet. Die Mittellinie (3) fehlt in kleinen Schulen gänzlich, in großen Schulen findet sie sich nur in Ansätzen (z. B. in Form von Abteilungsleitern). Die Technostruktur (4) ist eher klein, während sich der Hilfsstab (5) bestehend aus Sozialpädagogen, Schulpsychologen etc. inzwischen zunehmend vergrößert (Rolff 2012). Mintzberg (1992) schreibt dem Organisationstyp der Profibürokratie Schwierigkeiten im Bereich der Innovationen zu: Vorhandene Methoden oder Programme lassen sich von einzelnen Spezialisten perfektionieren. Doch neue Verfahren passen gewöhnlich nicht in das vorhandene Kategorienschema, so dass interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich ist. Infolgedessen führt die Zurückhaltung der professionellen Mitarbeiter im Hinblick auf kooperative Zusammenarbeit mit den Kollegen zu Innovationsproblemen. (ebd., S. 281)

Dies gilt es für die Weiterentwicklung von Schulen in Erinnerung zu behalten. Rolff (2012) weist in seiner jüngsten Veröffentlichung noch einmal auf die spezifischen Ziele und die begrenzte Technologisierbarkeit der Schule hin: Die Ziele der Schule seien zum einen entweder durch das Curriculum und durch Bildungsstandards bis ins Detail vorgegeben oder aber äußerst vage formuliert – dies veranschauliche etwa das Beispiel „individuelle Förderung“. Zum anderen stellten sie abstrakte Größen dar, die direkt gar nicht angestrebt werden könnten, sondern zum Großteil eigene Erziehungsleistungen der zu Erziehenden voraussetzten. Rolff (2012) führt hier das Ziel der „Erziehung zur Mündigkeit“ an: Mündig könne man nicht „gemacht“ werden, sondern zur Mündigkeit könne man sich letztlich nur selbst emanzipieren, wozu die Schule anregen könne. Die Schule weise zudem eine begrenzte Technologisierbarkeit auf: Sie sei nicht nur durch ein Technologiedefizit (Luhmann und Schorr 1979) gekennzeichnet, sie vertrage auch keine durchgreifende Technologie. Es gehe in der Schule um Lern,- Erziehungs- und Bildungsprozesse, also um pädagogisches und nicht nur technisches Handeln. Gelingendes pädagogisches Handeln setze Offenheit für bisher Ungehörtes, Verstehen, Perspektivenverschränkung, Achtsamkeit oder Empathie voraus. Dies seien allesamt Handlungsvoraussetzungen, die nicht von technischen Apparaten vollzogen werden könnten (ebd.).

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Auch Sozialtechnologien, die nach dem Muster von Wenn-Dann-Beziehungen funktionieren, haben ihre Grenzen im pädagogischen Prozess, weil keine Garantie auf eine Dann-Wirkung besteht, die von einem Wenn-Impuls ausgeht: Individuen sind im Prinzip frei, anders zu reagieren, als es statistisch ermittelte Zusammenhänge vermuten lassen. (ebd., S. 1001f.)

Die hier beschriebenen Charakteristika der Schule als soziale Organisation gilt es zu berücksichtigen, sie bedingen Grenzen der Übertragbarkeit von Prinzipien und Theorien aus dem Bereich der Organisationen, Management und Personalführung auf den Bereich der Schule. Das Konzept der pädagogischen Organisationsentwicklung wurde in den letzten Jahren deutlich ausdifferenziert und praktisch erprobt (ebd.). Ein etabliertes und in Deutschland weit verbreitetes Verfahren stellt der Institutionelle Schulentwicklungsprozess (ISP) dar, der zunächst die Bezeichnung Institutionelles Schulentwicklungsprogramm trug (Dalin et al. 1990, 1995). Mit der Änderung der Bezeichnung wurde intendiert, das „Prozessuale, die Flexibilität und die Lernoffenheit des ISP zu betonen“ (Dalin et al. 1995, S. 7). Dieses Verfahren, das in den 1970er Jahren aus Aktivitäten der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) in mehreren Ländern Westeuropas entstanden ist (Wenzel 2008), soll hier exemplarisch für die Vielzahl der vorliegenden Ansätze genauer dargestellt werden. Das Ziel des ISP besteht nach Aussage seiner Begründer Dalin, Rolff und Buchen darin, den schulischen Akteuren die Bedingungen bereitzustellen, damit sie sich selbst und ihre Organisation besser verstehen (Dalin et al. 1995). Letztlich geht es um die Fähigkeit der Schule, internen oder von außen kommenden neuen Anforderungen in der Weise zu begegnen, dass sie die tatsächlichen Bedürfnisse treffen und die Entwicklungskapazität der Schule stärken. (ebd., S. 40)

Es wird dabei nicht auf kurzzeitige Erfolge, sondern vielmehr auf eine langfristig und nachhaltig wirkende Veränderung der Kommunikations- und Organisationsstruktur abgezielt. Das Verfahren basiert auf einer Reihe von Annahmen: Neben der Bedeutung der einzelnen Schule als Ort der Veränderung (Annahme 1) und Motor der Entwicklung (Annahme 2) wird die Notwendigkeit einer Konfrontation der subjektiven Realität der schulischen Akteure mit einer objektiveren, an Daten belegbaren Realität (Annahme 3) herausgestellt. Die Thematisierung der verschiedenen Wahrnehmungen der Beteiligten und die daraus erwachsende Erzeugung eines Problembewusstseins werden hier als Voraussetzung dafür betrachtet, dass Lern- und Veränderungsprozesse in Gang gesetzt werden. Darüber hinaus wird der Stellenwert einer Kooperation der schulischen Akteure in Gruppen betont (Annahme 4). Eine solche Zusammenarbeit sei erforderlich, um die Zielsetzungen des Verfahrens zu erreichen; sie erscheine jedoch nicht sofort nutzbringend, sondern

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müsse an den Schulen vielmehr erst entwickelt werden. Auch die Bedeutung von Konflikten für die Initiierung von Veränderungsprozessen (Annahme 5) wird von den Verfahrensbegründern betont: Konflikte könnten auch positiv gewendet und dabei als Chance betrachtet werden. Sie bergen mitunter Energien, die sich produktiv nutzen lassen, und tragen dazu bei, „Schlüsselfragen hinsichtlich der Wahrnehmung von Wirklichkeit zu erheben“ (ebd., S. 42). Dem Verfahren – darauf wird von Dalin, Rolff und Buchen (1995) selbst hingewiesen – liegen normative Grundannahmen über die anzustrebende gute Schule zu Grunde; es ist in dieser Hinsicht nicht wertfrei. Mit ihm werden jedoch keine bestimmten inhaltlichen Ziele verfolgt; diese müssen von den schulischen Akteuren (zumeist vom Kollegium) im Prozess selbst festgelegt werden. Das Verfahren richtet sich eher an Meta-Zielen (Prozess- oder Programmzielen) aus (Annahme 6). Ferner wird die Begrenztheit einer Übertragbarkeit von allgemein gültigen Lösungen (Annahme 7) erwähnt. Bei der Suche nach Lösungen sind stets die spezifischen Bedingungen der einzelnen Schule zu berücksichtigen; oder wie Dalin, Rolff und Buchen (1995) es ausdrücken: Effektivität sei situationsbedingt (ebd.). Abgehoben wird von den Autoren außerdem auf die institutionelle Einbindung der Einzelschule: Betont wird dabei, dass sich der Schule trotz ihrer Einbindung in eine hierarchische Bürokratie zahlreiche Freiräume bieten, dass also trotzdem eine „Freiheit zu handeln“ (ebd., S. 43) besteht, die von den schulischen Akteuren jedoch nicht immer wahrgenommen wird (Annahme 8) (ebd.). Auch eine möglichst frühzeitige und anhaltende Beteiligung der Lehrkräfte am Veränderungsprozess – gewissermaßen von der Identifikation mit den anstehenden Bedürfnissen bis zur Einführung der Neuerungen (Annahme 9) – wird für unabdingbar gehalten. Die Planung und Ausführung von Entwicklungsvorhaben sind hier untrennbar miteinander verknüpft: Nur wer plane, könne auch zielgerecht ausführen (ebd.). Schließlich wird die Lernfähigkeit der Schule als Organisation herausgestellt (Annahme 10). Mit dieser Sichtweise gehen die Autoren über die klassische Organisationsentwicklung und deren Elemente hinaus: Sie erweitern sie um den Rahmen Organisationalen Lernens, in den Organisationsentwicklungsmaßnahmen eingebettet sind (Feldhoff 2011). Dies wird im Abschnitt über Schulentwicklung als Weg zur „lernenden Schule“ noch einmal aufgegriffen. In seiner idealtypischen Variante umfasst der ISP zehn Stationen (s. Abb. 2.3), die hier in den folgenden sechs Abschnitten zusammengefasst werden. Die mit der Abfolge der Stationen suggerierte Linearität kommt in der Schulpraxis allerdings nicht vor; die individuellen Bedingungen in der Schule führen zu ganz unterschiedlichen Verläufen. 1. Initiation und Einstieg: Zu Beginn der Entwicklungsarbeit besteht an einer Schule ein – möglicherweise auch nur vages, nicht immer klar sichtbares und

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Abb. 2.3   Der Institutionelle Schulentwicklungsprozess. (Quelle: Dalin et al. 1995)

auch dynamisches – Bedürfnis nach Veränderung. Dieses kann zum einen über die Wahrnehmung eines Problems – also einer vermuteten oder erkannten Schwäche – entstanden sein. Zum anderen kann es aus der Absicht einer Schule herrühren, vorhandene Stärken auszubauen. Am Ende dieser Phase steht die Schaffung eines Kontraktes zwischen Schule und externem Schulentwicklungsberater (s. hierzu Kap. 4.3.3), in dem u.  a. festgeschrieben wird, welche Rolle der externe Berater im Entwicklungsprozess übernehmen soll und in welchem Umfang finanzielle und zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen. 2. Gemeinsame Diagnose: Auf der Grundlage einer Erhebung neuer und einer Auswertung bereits vorhandener Daten ( Datensammlung) wird – zumeist von der Steuergruppe (s. hierzu Kap. 4.3.1) mit Unterstützung des externen Beraters –

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eine Datenanalyse vorgenommen. Sie geht in eine Datenrückmeldung ein, die als Dialog mit allen Beteiligten konzipiert wird. Dabei erlangen die Daten erst durch die Wahrnehmung der schulischen Akteure eine Bedeutung. 3. Zielklärung/ Zielvereinbarung und Prioritätensetzung: Es schließt sich die Phase der Zielklärung an: Die schulischen Akteure sind angehalten, ihre Intentionen zu artikulieren und dabei auch alternative Vorstellungen zu formulieren. In einem nächsten Schritt sind dann bestimmte Prioritäten zu setzen ( Prioritätensetzung) – ein Schritt, der als relativ schwierig gilt. Die externen Berater unterstützen die schulischen Akteure, indem sie zum einen bei der Zielvereinbarung – also der pragmatischen Auswahl von konsensfähigen Zielen und der vorläufigen Zurückstellung von kontroversen Zielen – und zum anderen bei der Werte-Klärung – also der Verhandlung von Werten zur Konsenserreichung – tätig werden. 4. Maßnahme- bzw. Projektplanung: In dieser Phase werden die vorrangigen Ziele in konkrete Planungen überführt und diese schließlich in der Praxis umgesetzt. Hier werden Projektideen zunächst mitunter als Pilot-Vorhaben realisiert, an denen nur wenige schulische Akteure beteiligt werden, bevor die Ideen in die Breite getragen und damit tatsächliche Veränderungen in den Organisationsstrukturen angegangen werden. Hier kommt Trainings in unterschiedlichen Meta-Bereichen wie dem Projektmanagement, der Evaluation und der Teambildung ebenso wie in spezifischen Inhaltsbereichen eine Bedeutung zu. 5. Institutionalisierung: Diese Phase stellt das vorläufige Ende des ISP dar: Die Arbeit der Akteure an den vorgenommenen Veränderungen muss zum normalen Teil der Schule werden, damit der Schulentwicklungsprozess institutionalisiert wird. 6. Evaluation: Nach einer gewissen Zeit ist auf der Basis eines systematischen, datengestützten Vorgehens eine Überprüfung der Realisierung der zuvor formulierten Zielsetzungen erforderlich. Über den Austausch über die Evaluationsergebnisse kann ein tieferes Verständnis für Veränderungsnotwendigkeiten erreicht werden; eine Generalisierung von Neuerungen wird dadurch erleichtert (ebd.). Die Bildung von schulischen Steuergruppen, die als Instanz zur Koordinierung des innerschulischen Entwicklungsprozesses eingesetzt werden, stellt eine Besonderheit des ISP dar. Sie findet in seinem Kontext erstmals Erwähnung in der Literatur (Feldhoff 2011). Zusammenfassend lässt sich nun feststellen, dass der ISP die Veränderung von Schulstrukturen mit der Veränderung des Schulmanagements, mit der Demokratisierung der Beziehung zwischen Leitung und Kollegium und mit Veränderungen

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der Einzelpersonen und ihrer Kooperations- und Kommunikationsverhältnisse verbindet (Koch-Priewe 2000). Pädagogische Schulentwicklung  Im Unterschied zu Konzepten der pädagogischen Organisationsentwicklung stellt die Pädagogische Schulentwicklung (PSE) den Unterricht in den Mittelpunkt der innerschulischen Entwicklungsarbeit (Bastian 2010; Wenzel 2008). Verfolgt wird dabei das Ziel, „die Veränderung des Unterrichts über systematische Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer bei Veränderungsprozessen zu befördern“ (Bastian 2007, S. 24) und damit einen Beitrag zur Entwicklung der Schulkultur bzw. der Lehr-/ Lernkultur zu leisten. Dazu wird ein Angebot gezielter Qualifizierungen durch externe Berater unterbreitet, die speziell geschult werden und selbst praktizierende Lehrkräfte sind. Prozessen der Diagnose und Zielfindung kommt eine geringere Bedeutung zu. Bastian (2010) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Straffung der langwierigen Prozesse im Vorfeld der eigentlichen Innovationsarbeit“ (S. 93). Als Begründer der Pädagogischen Schulentwicklung, die u. a. aus einer Auseinandersetzung mit Konzepten der pädagogischen Organisationsentwicklung entstanden ist (s. hierzu den nachfolgenden Exkurs „Kritik an den dargestellten Ansätzen), gilt der Lehrerfortbildner Heinz Klippert. Er legte in den 1990er Jahren Publikationen zum Methodentraining (1994), zum Kommunikationstraining (1995) und zur Teamentwicklung (1998) vor (Klippert 2007a, b, 2009), die in Deutschland an vielen Schulen als Grundlage für die Durchführung einer unterrichtsbezogenen Entwicklungsstrategie verwendet wurden. Im Mittelpunkt dieser Strategie steht die Ausrichtung des Unterrichts am eigenverantwortlichen Arbeiten und Lernen der Schülerinnen und Schüler, die nicht nur eine zeitgemäße Qualifizierung der Heranwachsenden ermöglichen, sondern auch deutliche Entlastungsperspektiven für die verantwortlichen Lehrkräfte eröffnen soll (Klippert 1997, 2000). Die Schülerinnen und Schüler sollen eine Reihe von „Schlüsselkompetenzen“ erwerben, die das Lernen effektivieren, die Schülerpersönlichkeiten stärken, ihre Selbstständigkeit fördern und ihr soziales Miteinander verbessern. (Klippert 1997, S. 16)

Dazu wird ein Qualifizierungsprogramm eingesetzt, das als fachunabhängige bzw. überfachliche Methodenschulung angelegt ist. Diese beinhaltet zum einen das Einüben basaler Lern- und Arbeitstechniken (z. B. bezüglich der effektiven Textarbeit oder der strukturierten Gruppenarbeit) und zum anderen die systematische Förderung der Kommunikations-, Präsentations- und Teamfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Durch eine konsequente Verzahnung von Übungs-, Reflexions- und

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Anwendungsphasen und durch eine systematische Weiterführung des Erlernens und der Pflege der Methoden von Jahrgang zu Jahrgang gilt die Methodenschulung in zweifacher Hinsicht als systematisiert (Klippert 2003): Die Schulen können auf vorgefertigte Ablauf- bzw. Trainingspläne zurückgreifen, in deren Mittelpunkt so genannte Trainingsspiralen – also mehrstufige Klärungsprozesse zum jeweiligen Methodenfeld durch die betreffenden Schülerinnen und Schüler – stehen: Das beginnt bei der Mobilisierung methodenzentrierter Vorkenntnisse und Vorerfahrungen und reicht über eine erste Übung mit anschließender Reflexion und Regelerarbeitung bis hin zu weiteren regelgebundenen Übungen und Reflexionen, die der vertiefenden Klärung des jeweiligen methodischen Verfahrens dienen. (ebd., S. 39)

Die Schülerinnen und Schüler bauen damit einen methodischen Grundstock auf, der im Fachunterricht in möglichst vielfältigen Anwendungssituationen ausgebaut und gefestigt werden soll. Um das eigenverantwortliche Arbeiten und Lernen der Schülerinnen und Schüler zu befördern, können zudem so genannte Lernspiralen eingesetzt werden, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit einer Thematik beschäftigen und dabei inhaltliche Klärungs- und methodische Pflegearbeit leisten (ebd.). Um nun eine schulweite Veränderung der unterrichtlichen Lehr-/ Lernkultur zu erreichen, wird es als erforderlich erachtet, auch die Lehrkräfte im Hinblick auf die neuen Aufgaben und Methoden umfassend zu qualifizieren (Wenzel 2008). Im Rahmen des hierfür vorgesehenen Fortbildungsprogramms arbeiten die Lehrerinnen und Lehrer in Klassen-, Fach- und Steuerteams zusammen. Sie trainieren dort die Arbeitstechniken und Methoden zunächst selbst, um sie dann im eigenen Unterricht konsequent einzusetzen. Über die sukzessive Einbeziehung größerer Teile des Kollegiums wird in gestufter Weise allmählich die gesamte Lehrerschaft der Schule erfasst (ebd.). Bei Teamfortbildungen und Teambesprechungen auf Klassen-, Fach- und Führungsebene, bei der Vorbereitung von Lern- und Trainingsspiralen und zahlreichen anderen Gelegenheiten wird die Zusammenarbeit in den Kollegien gefördert und gefordert (Klippert 2003). Einige Lehrkräfte der Schulen werden darüber hinaus in Managementstrategien geschult, um die Entwicklungsprozesse anzuleiten bzw. zu koordinieren (Wenzel 2008). Bei allen Fortbildungssträngen wird die Entwicklungsarbeit stark vorstrukturiert; angeboten werden „praxisbezogene Trainingsseminare und korrespondierende.[r] Materialservice“ (Klippert 1997, S. 1). Seit ihren Anfängen in den 1990er Jahren hat die Pädagogische Schulentwicklung einige Ausdifferenzierungen erfahren (Bastian 1997, 2007; Bastian und Combe 1998). Spezifische Konzepte wurden beispielsweise im Rahmen von zwei Modellprojekten entwickelt, die vom Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bertelsmann Stiftung in gemeinsamer

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Verantwortung durchgeführt wurden: den Projekten „Schule & Co“ (1997–2002) und „Selbstständige Schule“ (2002–2008). Mit dem „Interesse an einer Erneuerung des Unterrichts und den daraus folgenden institutionellen und individuellen Veränderungen“ (Bastian 1997, S. 8) werden inzwischen die Auswirkungen der Unterrichtsentwicklung auf den organisatorischen und personellen Bereich von Schule mitgedacht. Der Zusammenhang von Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung, der unten im Konzept der „Schulentwicklung als Systemzusammenhang“ herausgearbeitet wird, ist hier also bereits einbezogen. 77

Exkurs: Kritik an den dargestellten Ansätzen  Die Pädagogische Schulentwicklung entstand auch aus einer Kritik an dem ISP heraus, der seinerzeit für die Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen an Einzelschulen nahezu konkurrenzlos war: Herausgestellt wurde dabei insbesondere die Eigengesetzlichkeit der Veränderungsprozesse an Schulen gegenüber jenen in Industrie und Verwaltung, die eine Übertragbarkeit der Konzepte auf den Schulbereich erschwere (u. a. Bastian 1997). Die mitunter scharfe Kritik bezog sich vor allem auf die hohe Komplexität des Verfahrens, die in der Ganzheitlichkeit der Perspektive auf Schule und der Langfristigkeit der durchzuführenden Diagnose-, Analyse-, Entscheidungs-, Umsetzungs- und Evaluationsprozesse gesehen wurde (Klippert 1997). Die daraus erwachsenden "Arbeits-prozesse stellten – so die Kritiker – an die schulischen Akteure einen hohen Anspruch, der zwangsläufig zu einer Überforderung führen müsse. In Folge der hohen Zeit- und Arbeitsbelastung entstünden selbst bei den motivierten und innovationsbereiten Lehrkräften Vorbehalte und Ablehnung gegenüber schulischen Innovationen und schließlich eine Distanzierung großer Teile der Kollegien (ebd.). Darüber hinaus wurde die Distanz der Prozesse, die durch das Verfahren angeleitet wurden, zum Unterricht kritisiert; pädagogische Organisationsentwicklung führte vielfach zu Veränderungen im außerunterrichtlichen Bereich (Bohl 2009). Das Hauptinteresse von Lehrerinnen und Lehrern bestehe aber in einer schulinternen Verbesserung der Lernkultur; die PSE knüpfe an diese Interessen an (Bastian 1997). Doch auch die Ansätze der Pädagogischen Schulentwicklung blieben nicht ohne Kritik. In Frage gestellt wurde vor allem die Engführung der Unterrichtsentwicklung auf einen einzigen Faktor – den Methodenaspekt: Den Inhalten komme in den Trainingseinheiten eine eher geringe Bedeutung zu. Zudem wird angemerkt, dass eine inhaltliche Bestimmung dessen fehlt, was unter Schulkultur oder Lehr-/ Lernkultur

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

verstanden wird. Damit unterbleibe eine Definition der Dimension, auf deren Verbesserung die Bemühungen ausgerichtet sind (Wenzel 2008). Die Einwände gegen die pädagogische Organisationsentwicklung – in Gestalt des ISP – und die Pädagogische Schulentwicklung wurden zunächst wechselseitig von ihren jeweiligen Vertretern hervorgebracht. Die Ansätze wurden darüber hinaus auch in der Fachdiskussion kritisch betrachtet. So erkennt beispielsweise Koch-Priewe (2000) in beiden Ansätzen eine verkürzte Auffassung von Lehrerprofessionalität. Diese zeige sich zum einen bei beiden Konzepten in einer zu einseitigen Ausrichtung der Unterrichtsentwicklung an methodischen Aspekten (wie der Schülerorientierung oder dem Methodenlernen). Zum anderen erkennt die Autorin einen fehlenden schulpädagogisch-didaktischen Bezug jener Aspekte, die im ISP der Personalentwicklung zu Grunde liegen (ebd.). Zwar beziehe sich der Ansatz auf das „fachlich-didaktische Handlungsrepertoire“ sowie auf „Reflexion und Feedback“ als kontinuierliche Aufgaben von Lehrkräften, richte diese allerdings zu wenig an zentralen, allgemeindidaktischen Reflexionsaufgaben aus. Schulpädagogischen und didaktischen Reflexionen der Lehrkräfte werde in den Beschreibungen von Schulentwicklungsprozessen insgesamt zu wenig Raum gegeben. Vor dem Hintergrund der vorgebrachten Kritik entwickelt KochPriewe (2000) ihr Konzept für einen schulpädagogisch-didaktischen Ansatz in der Schulentwicklung (ebd.).

Schulentwicklung als Systemzusammenhang  In ihrer Zielsetzung, Schulen als Ganzes von innen heraus weiterzuentwickeln, stimmen die Konzepte der pädagogischen Organisationsentwicklung und der Pädagogischen Schulentwicklung überein; in Bezug auf den jeweils als richtig erachteten Ansatzpunkt vertreten sie allerdings deutlich unterschiedliche Positionen. Aus der Ende der 1990er Jahre geführten Diskussion zwischen den Protagonisten beider Positionen (Wenzel 2008) ging das Konzept der Schulentwicklung als Systemzusammenhang hervor. Dieses Konzept geht davon aus, dass die Weiterentwicklung von Einzelschulen ganz vielfältige Aktivitäten umfasst, die sich drei unterschiedlichen Bereichen zuordnen lassen (s. auch Kap. 2.1): Als Entwicklung des Schulmanagements mit einer effektiven Leitung, einer intensiven Kooperation und Teambildung im Kollegium und einer Kooperation mit den Eltern bzw. außerschulischen Partnereinrichtungen ist die schulische Weiterentwicklung im Bereich der Schulorganisation möglich (Holtappels 2003). Sie ist dann als Organisationsentwicklung (OE) zu verstehen. Darüber hinaus kann sich die schulische Weiterentwicklung u. a. in Form kooperativer Lehrplankonzipierungen, fächerübergreifender Projekte oder einheitlicher Kriterien der Leistungsmessung im Bereich der Lernkultur in Unterricht und Schule vollziehen (ebd.) Sie stellt dann Unterrichtsentwicklung (UE) dar. Schließlich ist Schulentwick-

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lung auch im Bereich des Personals realisierbar – als individuelles Lernen der Lehrkräfte (in Bezug auf Sach- und Fachkompetenzen sowie die Selbstkontrolle oder Wahrnehmungsfähigkeit) und als kollegiales Lernen (in Bezug auf die Entwicklung einer Kommunikations- und Konfliktkultur etc.). Sie vollzieht sich dann als Personalentwicklung (PE) (ebd.). Das Konzept der Schulentwicklung als Systemzusammenhang geht von der Auffassung aus, dass die drei genannten Bereiche „in vielfältigem und interdependentem Zusammenhang mit wechselseitiger Beeinflussung“ (ebd., S. 141) stehen und systemisch miteinander verbunden sind. Es schreibt demnach keinem von ihnen eine zeitliche oder sachliche Priorität zu. Im Idealfall wird Schulentwicklung so im Zusammenhang von Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung realisiert. Aktivitäten in einem Bereich haben in jedem Fall Auswirkungen auf die beiden anderen Bereiche – oder pointierter formuliert: „Keine UE ohne OE und PE, keine OE ohne PE, keine PE ohne OE und UE“ (Rolff 2010, S. 35). Diese inzwischen weit verbreitete Sichtweise (Wenzel 2008) kann wie in Abb. 2.4 visualisiert werden. Der in ihr umrissene innerschulische Systemzusammenhang muss durch einen außerschulischen Systemzusammenhang ergänzt werden. Das Umfeld der Schule wird dabei insbesondere von den Eltern, den abnehmenden Betrieben und Universitäten sowie der Schulaufsicht gebildet. Die Schule stellt somit gleichzeitig ein geschlossenes (im Unterrichts- und Erziehungsbereich) und ein offenes System dar (ebd.). Das Konzept der Schulentwicklung als Systemzusammenhang lässt sich als Verständigung der beiden zuvor dargestellten Positionen verstehen (Tillmann 2011), die trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte für die innere Schulreform grundlegende Gemeinsamkeiten aufweisen, etwa die Betrachtung der schulischen Akteure als Prozessverantwortliche und Entwicklungsmotoren, die durch Moderatoren oder Schulungen extern unterstützt werden (Wenzel 2008). Schulentwicklung als Weg zur „lernenden Schule“  Schulentwicklung kann sich am Konzept der „Schule als lernender Organisation“ (Bildungskommission NRW 1995) bzw. der „Lernenden Schule“ (Schratz und Steiner-Löffler 1998) ausrichten. Wird dieses als oberstes Ziel formuliert, lässt sich Schulentwicklung als Weg dorthin begreifen. Im deutschsprachigen Raum wurde die Debatte zur „Schule als lernender Organisation“ bzw. zur „Lernenden Schule“ in den 1990er Jahren insbesondere durch Dalin, Rolff und Buchen (1990, 1995), Krainz-Dürr (1999), Schley (1998) sowie Schratz und Steiner-Löffler (1998) geprägt. Die Grundidee besteht darin, dass Schulen nicht nur Lernorganisationen darstellen, sondern als Organisationen auch selbst zu Lernprozessen in der Lage sind (Rolff 2012). In Schulen als lernenden Organisationen lernen also nicht nur die

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Abb. 2.4   Drei-Wege-Modell der Schulentwicklung. (Quelle: Rolff 1998)

Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Lehrkräfte und letztendlich die Einrichtungen als Ganze (Holtappels und Rolff 2004). Dazu ist es erforderlich, die zum Lernen relevanten Strukturen und Kapazitäten zunächst einmal aufzubauen und anschließend zu pflegen. Der pädagogischen Selbsterneuerungsfähigkeit wird dabei eine besondere Relevanz beigemessen. Holtappels (2003) definiert diese als die Fähigkeit [der Schule] zur ständigen Überprüfung ihres Entwicklungsstands und ihrer Wirksamkeit sowie zu notwendigen Korrekturen, Erweiterungen oder gar Neu-

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anfängen…, um auf neue oder veränderte Gegebenheiten innerhalb der Schule oder ihres sozialen Umfelds angemessen reagieren zu können. (S. 116)

Dem entspricht die schon oben getroffene Feststellung, dass eine lernende Schule eine Organisation ist, die sich – mit dem Ziel, ihre Problemlösekapazität zu erhöhen und ihr Handlungsrepertoire zu verbessern – selbst steuert, reflektiert und organisiert (Rolff 2002). Bei einer solchen Betrachtungsweise von Schule werden umfassende Anleihen im Bereich der Organisationstheorie und -entwicklung gemacht (ein anderer theoretischer Bezugsrahmen für innerschulische Entwicklungsarbeit ist die Systemtheorie, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll). Hierfür liegen zahlreiche Ansätze und Konzepte des Organisationslernens vor, die jeweils unterschiedliche Definitionen liefern und Akzentsetzungen vornehmen (s. etwa Argyris und Schön 1978; Duncan und Weiss 1979; Hedberg 1981; March und Olsen 1976 sowie Levitt und March 1988). Eine einheitliche Systematisierung der Ansätze konnte bisher nicht geleistet werden (Wiegand 1998). Die vorliegenden Ansätze gehen jedoch allesamt von einer generellen Lernfähigkeit von Organisationen aus und basieren auf einem scheinbaren Paradox: Lernen im unmittelbaren Sinne ist letztendlich Individuen vorbehalten, aber Individuen lernen fast immer im Rahmen einer Organisation, die Lernen überhaupt erst ermöglicht. Umgekehrt wird unter der Lernkapazität einer Organisation mehr als die Summe der Lernpotentiale der Mitglieder verstanden, und dennoch besteht sie nur aus ihren Mitgliedern (Rolff 2012). Lernen im Sinne des Organisationslernens findet nun auf verschiedenen Ebenen statt: Unterschieden werden zumeist die Ebene des individuellen, kollektiven und organisationalen Lernens –, wobei die Lernergebnisse auf den einzelnen Ebenen anschließend auf die nächst höhere Ebene transformiert werden (Feldhoff 2011). Lernen auf der individuellen Ebene wird als Basis und notwendige Voraussetzung organisationalen Lernens betrachtet (u. a. Argyris und Schön 1978; Duncan und Weiss 1979; Senge 1990). Lernen kann dabei verstanden werden als eine Form der Verhaltensänderung von Personen. In der Interaktion mit der Umwelt nimmt das Individuum neue Informationen auf und fügt sie seinem bereits vorhandenen Wissen zu (Geißler 2003). Die Organisation mit ihrer Struktur und Kultur stellt einen Rahmen dar, der sich förderlich oder hinderlich auf das individuelle Lernen auswirken kann (March und Olsen 1976). Auch das Lernen auf der nächst höheren – der kollektiven – Ebene ist Voraussetzung für organisationales Lernen. Es erfolgt in Gruppen bzw. in Teams, die gewissermaßen das Bindeglied zwischen dem Individuum auf der einen und der Organisation auf der anderen Seite darstellen. Das Teamhandeln bezieht sich auf die Organisation und ihm liegt ein gemeinsam zu verfolgendes Ziel zu Grunde.

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

Dabei findet ein Prozess der kollektiven Sinnkonstruktion statt (Weick und Roberts 1993). Die Teams sind Stellvertreter der Organisation. Auf der Basis von Lernprozessen auf den beiden beschriebenen Ebenen kann Lernen auf der organisationalen Ebene stattfinden. Damit ist ganz allgemein die Veränderung bzw. Weiterentwicklung des Steuerungspotenzials einer Organisation gemeint (Geißler 1995). Einige Ansätze des Organisationslernens sind auf den Aspekt des Wissens ausgerichtet (u. a. Hedberg 1981; Duncan und Weiss 1979). Organisationslernen beinhaltet dann die Weiterentwicklung des Wissens über die Ziele, die in einer Organisation verfolgt werden, sowie die internen und externen Bedingungen (Holtappels 2003). Das Organisationswissen stellt auf der einen Seite das Produkt des Organisationslernens dar; auf der anderen Seite ist es die Voraussetzung dafür, dass weitere organisationale Lernprozesse realisiert werden können. Anhand des gemeinsamen Wissens in einer Organisation können komplexe Situationen bewältigt und Problemlösungen erkannt werden. Das Organisationswissen wird durch Prozesse des organisationalen Lernens – durch Handlungen und Erfahrungen – verändert, um auf einer höheren Stufe als Ausgangsbasis für weitere Entwicklungen zu fungieren (ebd.). Die Weitergabe des relevanten Wissens, die Anschlussfähigkeit des Wissens und ein Konsens der Organisationsmitglieder über die Wichtigkeit und den Nutzen des Wissens werden als Einflussfaktoren auf das Organisationslernen betrachtet (Duncan und Weiss 1979). Dies gilt auch für die gemeinsame Entwicklung von Erkenntnissen über die Realität durch die Organisationsmitglieder (March und Olsen 1976). Hedberg (1981), der in seinem Ansatz auf die Informationsverarbeitungsprozesse in Organisationen Bezug nimmt, spricht von einem Organisationsgedächtnis als einem Wissen, das von breiten Kreisen der Organisationsmitglieder gemeinsam geteilt wird. Dieses Wissen muss nicht zwangsläufig mit der Realität übereinstimmen. Da es für die Organisationsmitglieder jedoch eine orientierende und handlungsleitende Funktion besitzt, kommt ihm eine Bedeutung zu. In ähnlicher Weise gehen Argyris und Schön (1978) in ihrem Ansatz des Organisationslernens von so genannten Lernsystemen aus. Darunter verstehen sie komplexe Bündel von Annahmen, Normen und Handlungsstrategien, die das Lernpotential kollektiver Interaktionen ausmachen. Lernsysteme ermöglichen also das Lernen, sind zugleich aber selbst Gegenstand von Lernprozessen – im Sinne von organisationalen Entwicklungsprozessen. Lernsysteme besitzen eine kognitive Seite oder Wissensseite: Die Autoren verwenden hier den Begriff der kognitiven Landkarten, mit denen sie die von allen Mitgliedern geteilten Beschreibungen des Aufbaus und Ablaufs der Organisation bezeichnen. Insofern sich die Mitglieder die kognitiven Landkarten nicht nur aneignen, sondern sie auch konstruieren (können), ist Organisationslernen selbstbezogen bzw. reflexiv (Holtappels 2010a; Rolff

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2012). Für Argyris und Schön (1978) stellen kognitive Landkarten die eigentlichen Medien des Organisationslernens dar. Zum Zwecke einer genaueren Beschreibung des Organisationslernens unterscheiden die beiden Autoren drei Niveaus der Lernkapazität von Organisationen: das Einfachschleifen-Lernen (single-loop-learning), das Doppelschleifen-Lernen (dooble-loop-learning) und das Deutero-Lernen (deutero-learning) (ebd.): Beim „Einfachschleifen-Lernen“ werden Fehlentwicklungen ohne eine Veränderung von Zielen, Normen und Handlungsstrategien der Organisation erkannt und korrigiert. Angeführt wird hier häufig das Beispiel eines Thermostats, der lernt, wann es zu heiß oder zu kalt ist und die Heizung entsprechend an- oder abschaltet; der also Abweichungen erkennt und weiß, wie diese korrigiert werden können (Holtappels 2003, 2010a; Rolff 2012). Das „Doppelschleifen-Lernen“ hingegen schließt auch die Analyse von Zielen, Normen und Strategien der Organisation selbst sowie deren Veränderung ein. Nach einer passenden Lösung wird folglich nicht nur innerhalb der bestehenden Handlungstheorie gesucht, es wird vielmehr nach einem neuen Problemlösungssystem Ausschau gehalten. Bezogen auf das angeführte Beispiel bedeutet dies, dass die Regelung durch den Thermostat in Frage gestellt und unter Umständen geändert oder abgeschafft wird (ebd.). Die dritte Stufe, das „Deutero-Lernen“ bezieht sich auf die beiden vorhergehenden Stufen. Es stellt eine Art von Meta-Lernen oder Lernen des Lernens dar, um Problemlösungskapazitäten aufzubauen. Das Ziel besteht darin, zu lernen, wie Einfachund Doppelschleifen-Lernen angemessen praktiziert werden, wie Kontexte von Lernprozessen zu klären und wie Lernbarrieren abzubauen sind. Im Rahmen seines Ansatzes – der in der Literatur mitunter als theoretische und praktische Ausdifferenzierung des Konzepts des Organisationslernens bezeichnet wird (Holtappels 2010a) – unterscheidet Senge (1990) insgesamt fünf Kerndisziplinen, die die Mitglieder einer Organisation im Sinne (organisationaler) Fähigkeiten bzw. Kompetenzen beherrschen müssen (Wiegand 1998). Sie stellen demnach Voraussetzungen und Bedingungen einer lernenden Organisation dar. Es handelt sich bei ihnen um die folgenden Disziplinen: Persönlichkeitsentwicklung (Personal Mastery): Die persönliche Entwicklung der einzelnen Organisationsmitglieder stellt die Voraussetzung von Organisationslernen dar. Um ihre eigenen Ziele zu erreichen, erweitern die Organisationsmitglieder ständig ihre Fähigkeiten. Die Aufgabe der Organisation besteht darin, sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und ihnen den Raum für die persönliche Entfaltung zu geben. Mentale Modelle (Mental Models): Tief verwurzelte Annahmen, kognitive Landkarten und Konstruktionen sowie Alltagstheorien sollen den Organisationsmitgliedern bewusst werden. Darüber hinaus sollen sie mentale Haltungen für ein

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

bewusstes Lernen herausbilden. Auf diese Weise sollen hinderliche Alltagskonzepte überwunden und mentale Modelle aufgebaut werden, die für ein auf die Organisation bezogenes Lernen förderlich sind. Gemeinsame Visionen (Shared Visioning): Auf der Grundlage individueller Vorstellungen über die Gestaltung der Organisation sollen die Organisationsmitglieder gemeinsame Visionen entwickeln. Der Austausch über gemeinsame Werte und Ziele befördert das Engagement und die Beteiligung der Mitglieder. Team-Lernen (Team Learning): Die Organisationsmitglieder sollen einen zielorientierten Dialog führen und eine gemeinsame Analyse von Sachverhalten vornehmen, indem sie sich mit den Anforderungen an ihre Organisation und unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzen. Weiterhin sind die Zusammenarbeit und das gemeinsame Lernen der Mitglieder einer Organisation wichtig. Systemisches Denken (Systems Thinking): Die Mitglieder einer Organisation sind dazu in der Lage, in Systemzusammenhängen und somit in ganzheitlicher Perspektive zu denken. Sie können das Organisationshandeln analysieren, verstehen und weiterentwickeln und berücksichtigen dabei Merkmale der Organisation selbst sowie Merkmale von deren Umwelt. „Systemdenken beinhaltet auch die Analyse der wechselseitigen Beeinflussung der anderen Disziplinen untereinander“ (Holtappels 2010, S. 101). Lernende Organisationen besitzen Senge (1990) zufolge eine bestimmte „Architektur“, die sich als Dreieck mit den Komponenten Leitgedanken, Innovation der Infrastruktur und Methoden und Werkzeuge beschreiben lässt (s. Abb. 2.5). Wie die Konzepte zur Organisationsentwicklung sind in Deutschland in den 1990er-Jahren auch die Vorstellungen des organisationalen Lernens auf den Schulbereich übertragen worden. Nutzbar gemacht wurde dabei zum einen die bereits erwähnte „Architektur“ lernender Organisationen nach Senge (1990). Mit Blick auf die Schule bringen die Leitgedanken in Form eines Schulprogramms Visionen bzw. Zielklärungen des Kollegiums zum Ausdruck und fungieren als Zielvereinbarung und als Folie für die Prioritätensetzung zukünftiger Entwicklungsschwerpunkte. Die Innovationen der Infrastruktur beziehen sich zum einen auf die Arbeitsorganisation (etwa neue Formen der Teamarbeit oder eine veränderte Zeitorganisation) und zum anderen auf die Prozesssteuerung (beispielsweise die Einrichtung von Steuergruppen als Infrastruktur für die Koordination und Durchführung von Schulentwicklungsaktivitäten). Die Methoden und Werkzeuge sind als Methoden und Techniken der Evaluation auf die Selbstreflexion und u. a. als Diagnosen oder Budgetverwaltung auf die Selbstorganisation ausgerichtet (Holtappels 2010a). Rolff (2002) fügt den – seiner Ansicht nach zentralen – Bereich der Lernkultur hinzu, als deren ideale Merkmale er eine unterstützende Atmosphäre, akzeptierte Normen und Regeln sowie Austausch, Beratung und kollegiales Feedback betrachtet (ebd.). Mit Rekurs auf Geißler (1995) stellt er in diesem Zusammenhang das

2.2  Schritte der Theoriebildung

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Abb. 2.5   Architektur der lernenden Organisation. (Quelle: Rolff 1998)

gemeinsame Wissen der Schule heraus, das im Zuge der innerschulischen Entwicklungsarbeit entstehen und als „Gedächtnis“ der Organisation gespeichert werden kann. Nähere Ausführungen zum konkreten Entstehungsprozess und Speicherungsprozess finden sich hier allerdings nicht. Holtappels (2007) liefert vor dem Hintergrund theoretischer Reflexionen und empirischer Erkenntnisse eine Ausdifferenzierung der drei Komponenten der Organisationsarchitektur (Holtappels 2007, 2010a). Dabei hat er sich an modernen Schulentwicklungsansätzen für erfolgreiche Innovation in der Schule orientiert. Nutzbar gemacht wurden zum anderen die drei zuvor dargestellten Niveaus der Lernkapazität von Organisationen nach Argyris und Schön (1978): Die Unterscheidung von Einfachschleifen-Lernen (single-loop-learning), DoppelschleifenLernen (dooble-loop-learning) und Deutero-Lernen (deutero-learning) diente Dalin, Rolff und Buchen (1995) zur Orientierung bei der Konzipierung dreier Stadien, anhand derer sich der jeweilige Entwicklungsstand von Schulen beschreiben lässt: 1) In der fragmentierten Schule, die als Normalzustand betrachtet wird, stehen die Mitglieder in einer losen Beziehung; teamartige Kooperationen fehlen ebenso wie gemeinsam geklärte Ziele und eine bewusst entfaltete Organisationskultur. 2) Die Projektschule zeichnet sich durch die Existenz einzelner Projekte und

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

Ansätze von Teamlernen aus; eine Integration der Projekte in ein Gesamtkonzept steht hier allerdings noch aus. 3) Die Problemlöseschule erhebt Schulentwicklungsprozesse selbst zum Lerngegenstand; Veränderungen grundlegender Abläufe und Strukturen sowie von Einstellungen und Verhaltensweisen der schulischen Akteure lassen auf Organisationslernen schließen. Ähnliche Unterscheidungen von schulischen Entwicklungsniveaus finden sich bei Marx und van Ojen (1992) und Posch (1996). In einigen Arbeiten zur „Lernenden Schule“ stellt das Organisationale Lernen nur einen von mehreren Bezugspunkten dar. So hat die „Lernende Schule“ nach dem Verständnis von Schratz und Steiner-Löffler (1998) „noch eine Reihe anderer wichtiger geistiger Wurzeln“ (ebd., S. 33), und sie verweisen auf Ansätze von Dewey, von Hentig, Klafki, Luhmann u.  a. Auf dieser Basis formulieren sie sieben Grundsätze (so genannte Axiome) einer „Lernenden Schule“, die deren Lernpotenzial begründen. Genannt wird hier z. B. die wechselseitige Bedeutsamkeit von Schulentwicklungsprojekten und Unterricht: Die „Lernende Schule“ sei daran zu erkennen, dass sich ihre Entwicklung förderlich auf die Qualität des Unterrichts auswirke. Blieben Veränderungen – verstanden als Veränderung von Verhalten aufgrund der Veränderung von Haltungen – aus, verfehlten Schulentwicklungsmaßnahmen ihren Zweck (ebd.). Ein weiterer Grundsatz geht auf die Bedeutung von Kooperation ein: Die Qualität der „Lernenden Schule“ sei abhängig von der Qualität der Kooperation ihrer Mitglieder, diese wiederum hänge von der Qualität der Kommunikationsprozesse zwischen ihnen ab (ebd.). Schulentwicklung als Change Management  Unter der Bezeichnung Change Management hat in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen, insbesondere aber im Bereich der Organisationsberatung (Feldhoff 2011), ein Konzept an Popularität gewonnen, das sich auf das Management von Veränderungsprozessen in (lernenden) Organisationen bezieht, und alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten beinhaltet, die umfassende Veränderungen in Organisationen bewirken sollen (etwa zur Umsetzung neuer Strategien, Strukturen oder Verhaltensweisen). Es geht dabei um die Frage, wie die mit Veränderungen einhergehenden Prozesse optimal gestaltet werden können (Holtappels und Feldhoff 2010). Change Management wird in der Literatur mitunter auch als Weiterentwicklung der weiter vorn dargestellten Organisationsentwicklung verstanden. Der Begriff subsummiert eine Reihe unterschiedlicher Ansätze mit je spezifischen Akzentuierungen, stellt also kein einheitliches Konzept dar (Feldhoff 2011). Nach Trebesch und Kulmer (2007) geht Change Management deutlicher als die Organisationsentwicklung von der Notwendigkeit eines kontinuierlichen, langfristigen Veränderungsprozesses aus. Zudem weist es eine ökonomischere Ausrichtung

2.2  Schritte der Theoriebildung

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auf: Die Verbesserung der Effizienz eines Unternehmens ist das vordringliche Ziel des Change Managements, der Fokus liegt weniger auf der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Organisationsmitglieder. Schließlich ist beim Change Management eine stärkere Ausrichtung auf die Führungskräfte der Organisationen zu erkennen, denen die Verantwortung für die Steuerung der Veränderungsprozesse obliegt (ebd.). Das bedeutet allerdings nicht, dass auf eine Beteiligung der anderen Organisationsmitglieder verzichtet werden sollte. Nach Schubert (2003) werden im Change Management klassische Elemente der Organisationsentwicklung mit einer längerfristigen Veränderungsperspektive und Elementen des strategischen Managements verbunden. Die Nähe zur Organisationsentwicklung zeigt sich auch in den Prinzipien, die dem Change Management zugestanden werden. Es handelt sich bei ihnen um Zielorientierung, Diagnose als Grundlage, Ganzheitlichkeit im Denken und Handeln, Partizipation der Betroffenen, Unterstützung und Absicherung durch die Leitung, Hilfe zur Selbsthilfe, prozessorientierte Steuerung, Auswahl von Schlüsselpersonen. (Holtappels 2007, S. 22)

Insgesamt verlangt Change Management zielgerichtete, planvolle und umfassende Organisations- und Koordinationsaktivitäten (Holtappels und Feldhoff 2010). Auf den Schulbereich übertragen stellt Change Management ein Konzept dar, das Schulen aufzeigen kann, wie sie Veränderungsprozesse im Rahmen von systematischer Schulentwicklung initiieren, steuern und implementieren können. (ebd., S. 160)

Im Rahmen dieses schulinternen Managements kommt zunächst der Schulleitung eine besondere Bedeutung zu, die weitreichende Führungsaufgaben übernehmen muss. Sie muss eine aktive Rolle im Innovationsprozess übernehmen und dazu bereit sein, hier Verantwortung zu übernehmen (ebd.). Zu ihren Aufgaben gehört es – unter Beteiligung der Lehrkräfte – Visionen zu entwickeln, Aufgaben zu delegieren und Lösungen für Probleme zu konzipieren. Da die Aktivitäten der Schulentwicklung in den letzten Jahren an vielen Schulen zugenommen haben, müssen die Leitungsmitglieder zudem über Managementfähigkeiten verfügen (ebd.). Eine wichtige Rolle bei der Koordination der schulinternen Veränderungsprozesse spielen darüber hinaus schulische Steuergruppen (Holtappels 2007; s. auch Kap. 4.3.1). Bei einer Übertragung des Konzepts auf den Schulbereich sind nach Holtappels (2007) drei unterschiedliche Dimensionen von Management hervorzuheben: 1. Change Management beinhaltet Wissensmanagement: Das in der Schule vorhandene individuelle Erfahrungswissen der einzelnen Lehrkräfte wird geordnet,

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

mit dem Kollegium reflektiert und für geplanten organisatorischen Wandel verfügbar gemacht. Eine intensive Kooperation wird hierbei ebenso als wichtig erachtet wie die Entwicklung einer Feedback- und Evaluationskultur in den Schulen (ebd.). 2. Change Management umfasst steuerndes Prozessmanagement: Es hält in den verschiedenen Phasen von Veränderungsprozessen Aktivitäten der Organisation, Moderation und Evaluation von Abläufen bereit. Darüber hinaus umfasst es auch Tätigkeiten einer Meta-Steuerung, wie die Reflexion über Prozessverläufe, Etappenziele etc. 3. Zum Change Management gehört eine koordinierende Vernetzung: Die Aktivitäten der in Schulen häufig lose gekoppelt agierenden Teilgruppen – wie Arbeitsteams, informell agierende Gruppen oder auch Fraktionen in Lehrerkollegien – werden koordiniert und zu einer Gesamtkonzeption zusammengeführt (ebd.). Mit dem Change Management als „Konzept zur zielgerichteten Steuerung von Veränderungsprozessen im Rahmen von Schulentwicklung“ (Holtappels und Feldhoff 2010, S. 159) wird bereits der Bogen zur zweiten, im Rahmen dieses Buches relevanten Kategorie gespannt – zur Steuerung. Sie wird in Kap. 3 als zentrale Dimension der Schulentwicklung differenziert betrachtet.

2.2.3  S  chritte zur theoretischen Fundierung II:   Entwicklung der Einzelschule im Systemzusammenhang Die große Bedeutung der Einzelschule als „pädagogische Handlungseinheit“ (Fend 1986) und als „Motor der Entwicklung“ (Dalin et al. 1990) wurde in der Schulentwicklungsdebatte der letzten 30 Jahre nicht in Frage gestellt. Diese Betrachtungsweise ist Ende der 1990er Jahre aber erweitert worden, indem erneut die Relevanz des bildungspolitischen Kontextes in den Blick geriet: Die Entwicklung von Einzelschulen – so die Auffassung – setze eine Steuerung des Gesamtzusammenhangs voraus, die Rahmenbedingungen festlege, die Schulen bei ihrer Entwicklung unterstütze und ein Evaluationssystem aufbaue. Die Perspektivenerweiterung gründet dabei auf der Einsicht, dass Aktivitäten der einzelschulischen Selbststeuerung eine Verletzung allgemein akzeptierter und gesellschaftlich notwendiger Standards beinhalten können (Rolff 1998). Die Entwicklung der Einzelschulen (die Selbststeuerung) wird hier an die Entwicklung des Gesamtsystems (die Systemsteuerung) gekoppelt oder – mit anderen Worten – in den bildungspolitischen Gesamtzusammenhang eingebettet. Dies wird auch als „Schulentwicklung 3. Ordnung oder als komplexe Schulentwicklung“ (ebd., S. 326) bezeichnet.

2.2  Schritte der Theoriebildung

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Abb. 2.6   Koppelungsmodelle. (Quelle: Rolff 1998)

Die Koppelung der Entwicklung der schulischen und der zentralen Ebene gestaltet sich mitunter problematisch, da die Schulen relativ frei entscheiden können, wie sie mit den auf der zentralen Ebene beschlossenen Vorgaben umgehen. Im Sinne unterschiedlicher „Steuerungsarchitekturen für das Schulsystem“ (Berkemeyer 2010) präsentiert Rolff (1998) fünf Modelle einer möglichen Koppelung der Einzelschul- und der Gesamtsystementwicklung. Diese zeigt Abb. 2.6. Modell 1 stellt die konventionellste Steuerung dar. Es ist hierarchisch aufgebaut und steuert durch Gesetze und Erlasse. Durch weniger detaillierte Gesetze und flachere Hierarchien entsteht für die Schulen ein Entwicklungskorridor, in dessen Rahmen ein relativ selbstständiges Agieren möglich ist. Falls der Entwicklungskorridor jedoch zu wenig Spielraum für die Schulen bereithält, treten Probleme auf. Modell 2 bezieht sich demgegenüber auf die Einführung von Standards im Sinne von Benchmarks (Steuerung durch Tests und Benchmarks). Ob die operative Ebene der Einzelschule im intendierten Sinne erreicht wird – wie also Schulen die Benchmarks für ihre Weiterentwicklung nutzen – bleibt hier allerdings unklar.

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

Modell 3 (Vorsteuerung) stellt eher ein Missverständnis in Bezug auf neuere Steuerungsansätze dar, da es den Schulen gewährte Gestaltungsspielräume durch zusätzliche Vorgaben nachträglich wieder einengt. Modell 4 beabsichtigt, die Koppelung durch eine Verbindung der internen Evaluation der Einzelschule (Selbstevaluation) mit einer externen Evaluation durch die Administration zu erreichen. Als bei diesem Modell auftretende Probleme lassen sich zum einen vielfach fehlende Bezugsnormen für die Evaluationen und zum anderen solche in der potenziellen schulischen Wahrnehmung der externen Evaluation als Kontrolle nennen. Modell 5 (Nachsteuerung) setzt auf die Selbstorganisationsfähigkeit der Einzelschule. Die Qualitätskontrolle erfolgt hier zunächst über Netzwerke oder Regionalkonferenzen; erst bei deren Scheitern müsste die Schulaufsicht im Sinne einer Nachsteuerung eingreifen. Auch mit der Einbettung der Einzelschulentwicklung in den bildungspolitischen Gesamtzusammenhang wird bereits auf die zentrale Kategorie der Steuerung verwiesen, die in Kap. 3 näher betrachtet wird. Wie oben bereits angekündigt, wird der Blick zunächst jedoch auf solche, in der Literatur zu findende Beiträge gerichtet, die sich als Bemühungen um eine komplexe Theoriebildung zur Schulentwicklung begreifen lassen.

2.3  E  ntwürfe zu einer komplexen Schulentwicklungstheorie Beiträge zu einer komplexen Theorie der Schulentwicklung liegen bisher nur vereinzelt vor. Einen vergleichsweise frühen Versuch unternahm Dalin (1999), der als erster die im Kontext von Schulentwicklung relevanten Bezugstheorien (Organisations-, Führungs- und Veränderungstheorien) zusammenstellte und um praktische Strategien der personalen, organisationalen und systemischen Entwicklung ergänzte (Warnken 2000). Er legte damit ein „umfassendes Kompendium“ (Thiel 2008, S.  39) bzw. ein „‚Frühwerk‘ der Schulentwicklungstheorie“ (Berkemeyer 2010, S. 66) vor. Erstmals stand so ein Baukasten unterschiedlicher Theorien zur Verfügung, deren systematische Verbindung allerdings noch ein Desiderat blieb (ebd., Thiel 2008). Gesamtentwürfe einer Schulentwicklungstheorie wurden erst in jüngerer Zeit konzipiert. Nachfolgend werden zwei Beiträge skizziert: die Konzepte von Rahm (2005) und Maag Merki (2008a). Die Darstellung umfasst jeweils die Ziele und Funktionen der Schulentwicklungstheorie, ihre Bezugstheorien und das Verhältnis zur Schultheorie. Herausgearbeitet werden auf diese Weise die wesentlichen Elemente bzw. Konturen der jeweils präsentierten Schulentwicklungstheorie.

2.3  Entwürfe zu einer komplexen Schulentwicklungstheorie

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2.3.1  D  ie  „Theorie der Schulentwicklung als Theorienverbund“ von Rahm (2005) Rahm (2005, 2008) entwickelt den „Umriss eines ‚Theorienverbundes‘, … der existierende Modelle und Ansätze zur Schulreform ordnet, den kontinuierlichen Zuwachs an empirischen Forschungsbefunden sichtet und sich dennoch in einem stetigen ‚Theoriengenerierungsprozess‘ befindet.“ (van Ackeren 2006, S. 515). Die Autorin präsentiert damit also noch keine in sich geschlossene Schulentwicklungstheorie. 1. Ziele und Funktionen der Schulentwicklungstheorie Die Theorie der Schulentwicklung als Theorienverbund strebt an, wissenschaftliche Aussagen über die Reformpraxis an Schulen zu machen. Diese Aussagen bilden einen Ordnungszusammenhang. Sie beziehen sich auf ein breites Spektrum; sie werden „sowohl zu pädagogischen, didaktischen, soziologischen, psychologischen, medizinischen, ökonomischen als auch zu juristischen, politischen, historischen und organisationstheoretischen Gesichtspunkten“ (Rahm 2005, S. 147) getroffen. Als Gegenstandsbereiche der Schulentwicklungstheorie werden (allerdings ohne weiterführende Erläuterungen) „Einzelschulen als soziale Systeme im Erziehungssektor; Schulreformmethoden; Reformziele[.]; Lehrerbildungsmaßnahmen; Steuerungsmöglichkeiten“ (ebd., S. 150) genannt. Die Schulentwicklungstheorie strebt dabei nicht nur an, die pädagogische Praxis zu erforschen und dadurch zu ihrer Erklärung beizutragen; das Ziel besteht darüber hinaus in der Weiterentwicklung dieser Praxis: Es gehe darum, „die Qualität von Bildungsangeboten und die Professionalisierung von Lehrkräften voranzutreiben“ (ebd., S. 147). Erst wenn eine Theorie der Schulentwicklung ihren Nutzen für die Praxis unter Beweis gestellt habe und zu einer Verbesserung der Schule beitrage, sei sie als fruchtbar einzuschätzen. Damit wird die Schulentwicklungstheorie als Handlungswissenschaft konzipiert, die zwischen Theorie und Praxis angesiedelt ist (Bohl 2009). In der Literatur ist diese Auffassung nicht ohne Kritik geblieben: Eine Theorie müsse sich vor allem an ihrem Erklärungspotenzial und nicht an ihrem Wirkungsgrad für die Verbesserung der Praxis messen lassen (Berkemeyer 2010). 2. Bezugstheorien und deren Verhältnis zur Schulentwicklungstheorie Der komplexe Theorienverbund des vorgelegten Entwurfs umfasst unterschiedliche Bezugstheorien. Genannt werden die Systemtheorie, die Systembiologie und der Konstruktivismus (Rahm 2005). Diese Theorien beschreiben die sozialen Systeme als komplexe Gebilde und berücksichtigen die Veränderlichkeit bzw. den Prozesscharakter von Ereignissen. Ein Einfluss auf die Generierung einer Theorie

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

der Schulentwicklung wird zudem der Bildungstheorie, der Professionstheorie und der Organisationstheorie zugeschrieben (ebd.). Die Relevanz dieser Bezugstheorien wird jeweils konkretisiert: Während beispielsweise aus der Systemtheorie Anleihen zur Bestimmung der Prinzipien und Abläufe in Organisationen getätigt werden können, stellt die Systembiologie Möglichkeiten zur Reflexion von Anpassungen bereit. Der Konstruktivismus als Ansatz, der davon ausgeht, dass die Art der Wahrnehmung von Wirklichkeit immer vom jeweiligen Beobachter abhängt, kann zur Annäherung an den Forschungsgegenstand auf unterschiedlichen Theorieebenen beitragen (ebd.). Unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen im Schulentwicklungsdiskurs wird in einer neueren Veröffentlichung von Rahm (2008) auch die Forschung zu Governance einbezogen: ein Ansatz, der unter einer erweiterten sozialwissenschaftlichen Systemperspektive Handlungskoordinationen in Organisationen untersucht (vgl. hierzu auch Abschn.  3.4). Indem hier das gesamte Bildungssystem mit seinen unterschiedlichen Akteuren betrachtet werde, ermögliche die Governanceforschung die Erfassung multikausaler Zusammenhänge in Bildungseinrichtungen und eine Sensibilisierung für die Koproduktion von Leistungen (Rahm 2008). Die verschiedenen Bezugstheorien sollen in die Schulentwicklungstheorie integriert werden (ebd.). Insofern sie Reflexionsangebote für die Theorie der Schulentwicklung bereitstellen und somit zur Erhellung pädagogischer Sachverhalte funktionalisiert werden, besitzen sie einen eher dienenden Charakter. Ausdrücklich wird herausgestellt, dass ihre Reichweite dort ende, wo erziehungswissenschaftliche, sich aus der Geschichte ergebende Ansprüche verlassen werden (ebd.). 3. Verhältnis von Schultheorie und Schulentwicklungstheorie Im hier skizzierten Entwurf einer komplexen Theoriebildung wird die Theorie der Schule, die „die Entstehung der Schule, ihre Funktionen innerhalb der Gesellschaft, die kontinuierlich vorgetragene Schulkritik, Schulprogrammatiken und Steuerungsmodelle“ (Rahm 2005, S. 145) thematisiert und sämtliche Ebenen des Schulsystems in den Blick nimmt, als Ausgangspunkt konzipiert. Indem die Schulentwicklungstheorie systematisch als Teil der Schultheorie aufgefasst und deshalb unterhalb derselben verortet wird, werden die bisher eher nebeneinander laufenden Theorie- und Forschungsperspektiven unter dem gemeinsamen Dach einer Theorie der Schule zusammengeführt. Diese stellt folglich den Rahmen der Schulentwicklungstheorie dar. Bei einer solchen Zuordnung thematisiere die Theorie der Schule „die Entstehung der Schule, ihre Legitimation, ihre Funktion innerhalb der Gesellschaft“ (ebd., S. 147), entwerfe also ein Gesamtbild. Die Theorie der Schulentwicklung ordne sich dort ein als ein Aussagensystem über „systematische Reformen“ (ebd.) und „fundierte Steuerungen“ (ebd.) der Schule. Im Mittelpunkt stehen demnach Erkenntnisse zur Veränderung von Schule. Damit ist zugleich das

2.3  Entwürfe zu einer komplexen Schulentwicklungstheorie

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Abb. 2.7   Theorie der Schulentwicklung als Teil einer Theorie der Schule. (Quelle: Rahm 2005)

Besondere einer Theorie der Schulentwicklung innerhalb einer Theorie der Schule umrissen. In Abb. 2.7 wird das Verhältnis beider Theorien dargestellt. 4. Wesentliche Elemente bzw. Konturen der Schulentwicklungstheorie Der vorgelegte Theorieentwurf von Rahm (2005) zeichnet sich weiterhin durch einige Elemente aus, die nachfolgend knapp umrissen werden sollen. Zu erwähnen ist zunächst die Priorität der Einzelschulbetrachtung. Die Schulentwicklungstheorie wird als ein Aussagensystem über die Einzelschule als lernendes System verstanden (ebd.), womit das Augenmerk auf eine bestimmte Ebene des Schulsystems – die Mesoebene – gerichtet wird. Insofern die Schulentwicklungstheorie jedoch – wie zuvor herausgestellt – Teil einer alle Ebenen des Schulsystems einbeziehenden Schultheorie ist, werden auch die Makro- und die Mikroebene des Bildungsbereiches in den Blick genommen (ebd.). Kennzeichnend ist ferner die historische Verortung der Schulentwicklungstheorie: Insofern die Schulentwicklung – ausgehend von reformpädagogischen Vorstellungen – seit der Ausdifferenzierung des staatlichen Schulwesens auf den Wandel

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

hin zur „guten Schule“ angelegt gewesen sei, könne sie schultheoretisch als Fortschreibung eines historischen Reformanliegens verstanden werden (Rahm 2008). Charakteristisch ist zudem die bildungstheoretische Fundierung: Gemeinsamer Nenner aller Ansätze zu einer Theorie der Schulentwicklung sei der Bildungsgedanke als normativer Entwurf, er stelle den Bezugsrahmen dar, ohne dessen begriffliche Klärung Schulentwicklungsprozesse ziellos blieben (van Ackeren 2006). Eine Theorie der Schulentwicklung bewahre dementsprechend ihre Normativität; sie bleibe Vorstellungen von idealer Praxis verpflichtet, die als historisch entwickeltes Produkt verstanden werden müssen. Trotzdem müssten existierende Konzepte von Bildung und Erziehung einer strittigen Debatte ausgesetzt werden, um die Vorstellungen zu hinterfragen und damit weiterzuentwickeln. Die Diskussion diene dabei der Selbstvergewisserung der Schulentwicklungstheorie (Rahm 2005). Schließlich sei auf die empirische Fundierung der Theorie der Schulentwicklung hingewiesen. Richtungsweisend seien einerseits Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung und andererseits Resultate der internationalen empirischen Bildungsforschung und Schulqualitätsforschung (ebd.). Auf der Basis empirischer Daten werde damit Wissen um Genese, Funktion und Steuerung des Schulwesens hin zu einer „guten Schule“ erweitert (ebd.). Rahm (2005, 2008) unternimmt eine Theorieentwicklung, die mit der Formulierung von „Perspektiven einer Kritischen Schulentwicklungstheorie“ zunächst abgeschlossen wird. Die Grundlage ihres Theorieansatzes bildet die Auseinandersetzung mit zwei bedeutenden Denkschulen in der Pädagogik – der geisteswissenschaftlichen und der empirischen Pädagogik (van Ackeren 2006). Es wird dabei vor einer einseitigen Ausrichtung auf die empirische Bildungsforschung und vor der Reduktion des wissenschaftlichen Bildungsverständnisses gewarnt – auch, weil der komplexe Qualitätsbegriff als zentrale Bezugsgröße von Schulentwicklungsprozessen normativ gesetzt und deshalb diskussionsbedürftig sei (van Ackeren 2006).

2.3.2  D  ie „Architektur einer Theorie der Schulentwicklung“ von Maag Merki (2008a) Dieser Entwurf einer Schulentwicklungstheorie stellt einen im Vergleich zu den Versuchen von Dalin (1999) und Rahm (2005) in sich deutlich geschlosseneren Ansatz der Theoriegenerierung dar. 1. Ziele und Funktionen der Schulentwicklungstheorie Maag Merki (2008a) schreibt einer Theorie der Schulentwicklung als Aussagensystem drei unterschiedliche Funktionen zu, die im Sinne einer analytischen Betrachtungsweise von Schulentwicklung als Strukturanalyse, als Prozess- bzw.

2.3  Entwürfe zu einer komplexen Schulentwicklungstheorie

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Entwicklungsanalyse und als Wirkungsanalyse verstanden werden können (ebd.). So benenne eine Schulentwicklungstheorie zunächst einmal die wesentlichen Dimensionen von Schulentwicklung und ihre Beziehungen zueinander. Sie beschreibe außerdem die Prozesse und Entwicklungen zur Professionalisierung der relevanten Akteure hinsichtlich ihres schulischen Handelns in den einzelnen Dimensionen und benenne die Voraussetzungen und Bedingungsfaktoren der als relevant bezeichneten Dimensionen und ihrer Entwicklung. Schließlich ermögliche sie die Bildung von Hypothesen und eine empirische Überprüfung der ihr zu Grunde liegenden Annahmen und erfahre dementsprechend gegebenenfalls Modifikationen (ebd.). Die Theorie der Schulentwicklung habe den Anforderungen einer sozialwissenschaftlichen Theorie zu genügen, indem sie u. a. regelmäßig anhand empirischer Methoden an der Realität überprüft werde. Anders als bei Rahm (2005) werden hier keine Ansprüche formuliert, die sich auf eine praxisorientierte Verwendung theoretischer Konzepte beziehen. 2. Bezugstheorien und deren Verhältnis zur Schulentwicklungstheorie Auch Maag Merki (2008a) stützt sich in ihrem Entwurf auf unterschiedliche Bezugstheorien. Als relevant erachtet werden Schuleffektivitätstheorien bzw. LehrLerntheorien, Organisationstheorien und Schultheorien (ebd.). Die Theorie der Schulentwicklung nimmt jeweils bestimmte Erkenntnisse aus den genannten Bezugstheorien auf. Sie analysiert diese unter einem spezifischen Blickwinkel und verarbeitet sie in einem eigenen Theoriemodell. Dabei geht sie jeweils über die Leistungen der Bezugstheorien hinaus – etwa indem sie Wege zum Erreichen von Dimensionen schulischen Handelns aufzeigt, welche von Schuleffektivitäts- oder Lehr-Lerntheorien als relevant betrachtet werden – oder arbeitet den spezifischen Gehalt der Bezugstheorien für Bildungsinstitutionen heraus. Auf diese Weise vollzieht die Theorie der Schulentwicklung in Abgrenzung zu anderen Theorien spezifische Leistungen. Im Gegensatz zu Rahm (2005) wird der Schulentwicklungstheorie ein eigenständiger Charakter in der theoretischen Verortung zugeschrieben. Konkret macht sich die Schulentwicklungstheorie die Bezugstheorien folgendermaßen zunutze: Unter Bezugnahme auf Theorien der Schule habe eine Schulentwicklungstheorie Faktoren und Prozesse zu benennen, um herauszustellen, welche Ziele mit welchen Verfahren erreicht werden können. Den Erkenntnissen der Schuleffektivitätstheorien entsprechend müsse eine Schulentwicklungstheorie zum einen den Mehrebenencharakter des Schulsystems in Rechnung stellen und mehrebenenanalytisch strukturiert sein. Zum anderen habe sie Bedingungs- und Prozessfaktoren zur Sicherstellung von Gelingensbedingungen für Schuleffektivität anzugeben. Unter Bezugnahme auf Organisationstheorien müsse sie zudem dynamisch sein und damit die Abbildung von Entwicklungen

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

im Längsschnitt ermöglichen. Eine Schulentwicklungstheorie habe schließlich – Organisations- und Schuleffektivitätstheorien berücksichtigend – Wirkungen von Schulentwicklung zu beschreiben (Maag Merki 2008a). 3. Verhältnis von Schultheorie und Schulentwicklungstheorie In den vorhergehenden Ausführungen wurde das Verhältnis von Schultheorie und Schulentwicklungstheorie bereits thematisiert: Anders als bei Rahm (2005) wird die Theorie der Schule – die pädagogische Überlegungen zu den Aufgaben, Zielen und Funktionen von Schule bereitstellt – bei Maag Merki (2008a) nicht als theoretischer Ausgangspunkt bei der Theorieentwicklung betrachtet und auch nicht zum Rahmen einer Theorie der Schulentwicklung erhoben. Die Schultheorie wird vielmehr als eine Bezugstheorie gesehen, die insofern nutzbar gemacht wird, als Erkenntnisse zu den Zielen von Schule aufgegriffen werden, um sie in der Schulentwicklungstheorie mit Verfahren zum Erreichen dieser Ziele in Verbindung zu bringen. Im Kanon aller Bezugstheorien wird ihr zudem keine herausragende Position zugesprochen, sie ist eine von mehreren gleichberechtigt nebeneinander stehenden Theorien. Damit wird also deutlich: Schultheorie und Schulentwicklungstheorie stehen in diesem Entwurf in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander, in dem die eine Theorie unter die andere subsummiert wird. 4. Wesentliche Elemente bzw. Konturen der Schulentwicklungstheorie Vor dem Hintergrund der zuvor angesprochenen Nutzung von Erkenntnissen unterschiedlicher Bezugstheorien wird im Folgenden die Theorie der Schulentwicklung in ihrer Architektur umrissen. Einen Überblick stellt Abb. 2.8 bereit. Mehrebenenstruktur: Der Entwurf von Maag Merki (2008a) sieht einen, mehrere Ebenen des Schulsystems umfassenden Aufbau vor. Dabei wird eine idealtypische Unterscheidung dreier Ebenen vorgenommen, um die spezifischen Orte und Instrumente des Handelns der Akteure und der Handlungskoordination zwischen den Akteuren zu beschreiben: Auf der Makroebene der Ministerien bzw. der Schulaufsicht werden durch die zuständigen Akteure wichtige Rahmenbedingungen für die auf den nachgeordneten Ebenen stattfindenden Schulentwicklungsaktivitäten geschaffen – etwa über die Verabschiedung von Vorgaben und Gesetzen. Eine Schulentwicklungstheorie gibt Auskunft über die Einflussnahme der Inhalte und Akteure auf das Handeln und die Handlungskoordination zwischen den Akteuren auf den anderen Ebenen einerseits und deren Verarbeitung und Umsetzung von den Akteuren auf den anderen Ebenen andererseits (ebd.). Damit wird deutlich: Die Makroebene wird hier als Kontextfaktor und unabhängige Variable zur Erklärung von Befunden auf den anderen Ebenen betrachtet.

2.3  Entwürfe zu einer komplexen Schulentwicklungstheorie

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Abb. 2.8   Architektur einer Theorie der Schulentwicklung. (Quelle: Maag Merki 2008a)

Auf der Intermediären Ebene der Bildungsregionen (im Sinne institutionalisierter regionaler Zusammenschlüsse von Schulen und außerschulischen Partnern zur Verbesserung der Bildungsqualität innerhalb einer Region), einer von Maag Merki (2008a) neu eingeführten Ebene, beschreibt die Schulentwicklungstheorie zum einen die Positionierung und Handlungskoordination von Akteuren und zum anderen den Einfluss institutionalisierter Netzwerkbildungen auf Schulentwicklungsaktivitäten in der Einzelschule (ebd.). Auf der Mesoebene der Einzelschule und individueller Netzwerke stellt die Schulentwicklungstheorie vor allem das Handeln der schulischen Akteure bei der Durchführung von Schulentwicklungsprozessen dar (ebd.). Unterhalb dieser Mesoebene wird keine weitergehende Unterteilung in Ebenen vorgenommen. Die Einzelschule wird so also nicht etwa in eine Mikroebene (des Unterrichts bzw. der interpersonalen Beziehungen) und eine intrapersonale Ebene aufgegliedert. Durch diesen Verzicht soll die Komplexität überschaubar gehalten werden (ebd.). Längsschnittstruktur: Ein weiteres wesentliches Merkmal dieses Theorieentwurfs stellt die als Längsschnitt konzipierte Struktur dar. Weil Schulentwicklung als Prozess betrachtet wird und sich Aktivitäten der Schulentwicklung folglich im

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2  Schulentwicklung und Schulentwicklungstheorie

Idealfall über einen längeren Zeitraum erstrecken, wird eine dynamische Dimension in die Theorie aufgenommen. Die ablaufenden Entwicklungsprozesse könnten dabei – so Maag Merki (2008a) – zum einen in Bezug auf ihren Prozesscharakter und zum anderen hinsichtlich der Zielerreichung betrachtet werden (ebd.).

2.4  Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde die aktuelle Diskussion über Schulentwicklung und ihre Theoriebildung dargestellt. Schulentwicklung wurde definiert als dauerhafte, bewusste und absichtsvolle sowie systematisierte Weiterentwicklung (im Sinne einer Verbesserung) von Einzelschulen. Als inhaltliche Zieldimension von Schulentwicklung wurde (die normativ wie empirisch zu bestimmende) Schulqualität herausgestellt, die in zeitlicher Hinsicht zugleich Ausgangspunkt und Ergebnis von Schulentwicklung ist. Es wurden darüber hinaus Schritte der Theoriebildung im historischen Verlauf präsentiert, wobei Schulentwicklung als Entwicklung der Einzelschule als Ausgangspunkt dargestellt und die große Bedeutung der Einzelschule im Rahmen der Schulentwicklung herausgearbeitet wurde. Als Schritte zur theoretischen Grundlegung wurden zunächst – im Kontext einer Betrachtung von Schulentwicklung als Organisationsentwicklung – die Ansätze der pädagogischen Organisationsentwicklung, der Pädagogischen Schulentwicklung und der Schulentwicklung im Systemzusammenhang von Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung sowie der „Lernenden Schule“ präsentiert. Sodann wurde auf Schulentwicklung als Entwicklung der Einzelschule im Systemzusammenhang eingegangen und bereits auf die Kategorie der Steuerung verwiesen. Schließlich wurden zwei aktuelle Entwürfe zu einer komplexen Schulentwicklungstheorie dargestellt – die „Theorie der Schulentwicklung als Theorienverbund“ von Rahm (2005), in dem die vorliegenden Modelle und Ansätze zur Schulreform sowie die vorliegenden empirischen Befunde geordnet werden, und die „Architektur einer Theorie der Schulentwicklung“ von Maag Merki (2008a), die zur Beschreibung der spezifischen Orte und Instrumente des Handelns der Akteure und deren Handlungskoordination mehrere Ebenen des Schulsystems unterscheidet. Beide Entwürfe weisen dabei einen unzulänglichen Steuerungsbezug auf. Hierauf wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.

http://www.springer.com/978-3-531-19533-9