Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung

Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung Fuchs | Braun (Hrsg.) Max Fuchs | Tom Braun (Hrsg.) Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklun...
Author: Hartmut Fried
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Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung Fuchs | Braun (Hrsg.)

Max Fuchs | Tom Braun (Hrsg.)

Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung Grundlagen, Analysen und Kritik Band 1 Schultheorie und Schulentwicklung

JUVENTA

Leseprobe aus: Fuchs/Braun (Hrsg.), Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung, ISBN 978-3-7799-4287-0 © 2015 Beltz Verlag, Weinheim Basel http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-4287-0

Leseprobe aus: Fuchs/Braun (Hrsg.), Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung, ISBN 978-3-7799-4287-0 © 2015 Beltz Verlag, Weinheim Basel http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-4287-0

Zur Einführung Die Konzepte der Kulturschule und der kulturellen Schulentwicklung Max Fuchs

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Ausgangspunkt und Ziele des Projektes

Das Forschungsprojekt „Beratung und wissenschaftliche Vertiefung des Kulturagenten-Programms“ wurde im Rahmen meiner Beratung des Modellprojektes „Kulturagenten für kreative Schulen“ von der Stiftung Mercator gefördert. Dieses Modellprojekt hat mit dem Schuljahr 2011/2012 an insgesamt 138 Schulen in fünf Bundesländern begonnen. „Insgesamt 46 Kulturagentinnen und Kulturagenten entwickeln über einen Zeitraum von vier Jahren gemeinsam mit den Schüler/innen, dem Lehrerkollegium, der Schulleitung, Eltern, Künstler/innen sowie Kulturinstitutionen ein umfassendes und fächerübergreifendes Angebot der kulturellen Bildung und bauen langfristige Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen auf. Ziel des Programms ‚Kulturagenten für kreative Schulen‘ ist es also, Möglichkeiten, Formate und Orte für die Auseinandersetzung mit Kunst und durch Kunst in den Schulen zu schaffen und das in der Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Kultureinrichtungen.“ (So die Zielformulierung auf der Homepage des Programms: www.kulturagenten-programm.de). Im Hinblick auf die Schule lässt sich die Zielstellung dieses Programmes auch so formulieren, dass sich die beteiligten Schulen während der Projektlaufzeit mithilfe externer Berater/innen ein kulturelles Profil erarbeiten. Schulen mit einem solchen kulturellen Profil bezeichnen sich inzwischen häufig selbst als „Kulturschulen“. Es findet zudem der Vorschlag zunehmend Verbreitung, diesen Prozess einer kulturellen Profilierung „kulturelle Schulentwicklung“ zu nennen (siehe Zeitschrift „Pädagogik“, 6/14). Zu beiden Konzepten gibt es seit einigen Jahren im Kontext der Akademie Remscheid intensive Überlegungen über ihre Ausformulierung und die notwendigen theoretischen Grundlagen. Zudem gibt es vielfältige Kontakte mit zahlreichen Schulen, etwa über das Landesbüro Nordrhein-Westfalen des Kultur-

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agentenprogramms als auch über die Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW“. Neben vielen praxisbezogenen Arbeitshilfen, die in den genannten Organisationen entwickelt werden, gibt es zudem fortlaufend theoretische Reflexionen, die sich in bislang drei Buchpublikationen niedergeschlagen haben (Braun/Fuchs/Kelb 2010, Braun et al. 2013 und Fuchs 2012). Eine Kulturschule im Verständnis dieser Überlegungen ist eine Schule mit einem ausgewiesenen kulturellen Profil. Ein ausgewiesenes kulturelles Profil zeichnet sich dadurch aus, dass das Prinzip Ästhetik in allen Qualitätsbereichen der Schule zur Anwendung kommt. Die nationale und internationale Diskussion über die Qualität von Schule stimmt weitgehend darin überein, dass man – mit Unterschieden in der Bezeichnung oder in der Zusammenstellung – im Wesentlichen die folgenden Qualitätsbereiche unterscheiden kann (hier in der Formulierung des Qualitätstableaus von Nordrhein-Westfalen): Ergebnisse der Schule (damit sind insbesondere die verschiedenen Abschlüsse gemeint), Lernen und Lehren, Schulkultur (mit den Bereichen Lebensraum Schule, soziales Klima, Ausstattung und Gestaltung des Schulgebäudes und -geländes, Partizipation, außerschulische Kooperation), Führung und Schulmanagement, Professionalität der Lehrkräfte und Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung. Unschwer finden sich in solchen Qualitätstableaus im Hinblick auf die Entwicklung der Schule die drei klassischen Elemente Personalentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung. Vor dem Hintergrund des Standes der Diskussion über Schulqualität wurde im Rahmen des oben genannten Arbeitskontextes ein eigenes (BKJ-) Qualitätstableau entwickelt, das die Dimensionen der Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität sowie die Evaluation auf die drei Ebenen Mikroebene der Lehr- und Lernsituation, die Mesoebene der Institution und die Makroebene des politischen Rahmens berücksichtigt. Im Mittelpunkt aller Überlegungen zur kulturellen Bildung und damit auch bei den Überlegungen zur kulturellen Bildung im Kontext von Schule steht das Subjekt. Letztlich kommt es darauf an, dass sich die Bildungseinrichtungen in der Verantwortung sehen, dazu beizutragen, dieses Subjekt mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten, sodass es ein gutes, gelingendes und glückliches Leben führen kann. Für die Realisierung dieses Lebenszieles ist natürlich die Schule nicht allein verantwortlich, allerdings ist auch sie in der Verantwortung, ihren Beitrag zu leisten. Diese konzeptionelle Setzung, dass das (lernende) Subjekt im Mittelpunkt steht, hat auch Folgen für die oben genannten drei Elemente der Schulentwicklung, nämlich für die Entwicklung des pädagogischen Personals, für die Entwicklung der Organisation und für die Entwicklung des Unterrichts.

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Für die Vertiefung der wissenschaftlichen Grundlagen einer so verstandenen Kulturschule ergibt sich so eine Reihe von Fragen und Themenstellungen, die allerdings nur zum Teil im Rahmen dieses begleitenden Forschungsprojektes aufgegriffen werden konnten, zum Beispiel: • Welche Rolle spielt eine ästhetische Praxis bei Lernprozessen? Welche Rolle spielen im Rahmen einer solchen ästhetischen Praxis die etablierten Künste und wie weit reicht das Verständnis des Ästhetischen? Was bedeutet es, das Prinzip Ästhetik im Hinblick auf die Gestaltung des Gebäudes, im Hinblick auf die Gestaltung der Schulkultur, im Hinblick auf die Organisation des Sozialen in der Schule anzuwenden? • Welche unterschiedlichen Theorien von Schule gibt es, in denen ähnliche Zielstellungen verfolgt werden? Welches sind die theoretischen Grundlagen, auf die sich solche verwandte Schultheorien beziehen? Welche Leerstellen im bislang entwickelten Konzept der Kulturschule können bei einem solchen Vergleich identifiziert werden? • Welche Verständnisweisen von Lernen und Lehren gibt es, die eine Affinität zum Ästhetischen haben? Wie muss die Professionalität der Lehrenden beschaffen sein, in denen solche ästhetiknahe Lehrund Lernformen praktiziert werden? Was bedeutet es insbesondere, wenn das Prinzip Ästhetik in nicht-künstlerischen Fächern zur Anwendung kommen soll? • Wie muss die Schule organisiert sein, damit sie in der Lage ist, nachhaltig und produktiv Kooperationsbeziehungen mit außerschulischen Expert/innen (vor allem mit Künstler/innen) und mit Kultureinrichtungen einzugehen? • Welche Konzeptionen von Schulentwicklung gibt es, die bei dem Prozess kultureller Schulentwicklung zugezogen werden können?

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Umsetzung und Arbeitsweise

Die Perspektive der bisherigen Konzeptentwicklung zur Kulturschule wurde dadurch erweitert, dass zum einen eine Reihe von vier Symposien zu ausgewählten Schwerpunktthemen aus den oben angeführten Fragestellungen durchgeführt wurde (Schultheorie, Unterrichtsentwicklung, pädagogische Ästhetik, Kunstbegriff). Zudem konnten drei Aufträge vergeben werden, den Sachstand zu relevanten Fragestellungen aufzuarbeiten (ästhetisches Lernen, ästhetisches Lehren, Sozialraumorientierung).

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Vor dem Hintergrund dieser Debatten und Arbeitsergebnisse wurde weiter an den grundlegenden Begriffen, Konzepten und Prinzipien gearbeitet, wobei durch Gespräche, Beratungen und Fortbildungen ein enger Kontakt mit der Praxis der betroffenen Schulen gehalten wurde. Eine systematische Evaluation der Kulturschulentwicklung war nicht Teil des Projektes. Diese wurde im Rahmen des Kulturagentenprogramms gesondert in Auftrag gegeben. Die durchgeführten Symposien waren geschlossene Veranstaltungen, an denen die Mitglieder einer seit Jahren existierenden „Arbeitsgruppe kulturelle Schulentwicklung“ in der Akademie Remscheid sowie gezielt eingeladene Expert/innen zu den diskutierten Fragestellungen teilgenommen haben. Eine weitere Facette der Forschungsarbeit war die Verstärkung der Beteiligung an der internationalen Diskussion. Insbesondere hat der mit Tom Braun gemeinsam verfasste Artikel „The development of culture schools“ (2015) für ein internationales Diskurs- und Handbuchprojekt (initiiert von Shifra Schonmann, Universität Haifa, Projekt „Wisdom of the Many“) mehrere interessante Arbeitskontakte zu Kolleg/innen in Norwegen, Kanada, England und Dänemark eröffnet, die an ähnlichen Fragestellungen arbeiten.

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Einige Ergebnisse

An dieser Stelle konzentriere ich mich auf die schulbezogenen Ergebnisse, so wie sie in dem vorliegenden Band durch die einzelnen Beiträge nahe gelegt werden. Der zweite Band wird mit seinem Schwerpunkt Ästhetik die zu dieser Thematik gehörenden Fragen und Ergebnisse aufgreifen. Es sollen dabei die einzelnen Beiträge nicht im Detail referiert werden, was auch deshalb schlecht möglich wäre, weil jeder einzelne von ihnen in einem umfangreichen Forschungskontext steht. Es sollen vielmehr einzelne Aspekte und Dimensionen herausgegriffen werden, bei denen ein unmittelbarer Vergleich mit den theoretischen Grundlagen der Konzeption einer Kulturschule der kulturellen Schulentwicklung nahe liegt.

Das Subjekt im Mittelpunkt und die Kulturschule als Schule der Person Ein roter Faden aller Beiträge kann in einer kritischen Haltung gegenüber einem eindimensionalen Verständnis von Schule gesehen werden, das diese einseitig sowohl auf eine kognitive Dimension reduziert, das die Schule zu stark an Bedürfnissen der Gesellschaft und insbesondere der Wirtschaft ori-

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entiert, und das zudem die kognitive Ausrichtung auch noch in einer unzureichenden Weise umsetzt. Dieses geteilte Grundverständnis findet sich auch in den Beiträgen im dritten Teil, in dem Vertreter/innen der so genannten MINT-Fächer Biologie und Mathematik sowie der Fächer Geografie, Sprachen und Sport sehr deutlich die kulturelle und ästhetische Dimension der jeweiligen Fachgebiete herausarbeiten und diese als Grundlage für ein nichtreduktionistisches Verständnis von Lernen und Lehren nehmen. Es geht in allen Beiträgen ebenso wie im Konzept der Kulturschule um eine Respektierung der Unhintergehbarkeit und Unverfügbarkeit der Individualität und der Subjektivität des/r Einzelnen, insbesondere des/r einzelnen Schülers/in. Gabriele Weigand verwendet in diesem Kontext das Konzept der Person für eine anthropologische Grundlegung der Institution der Schule. Sie entwickelt in ihrem Beitrag auf der Basis ihrer umfassenden Studien zu diesem Thema wesentliche Bestimmungen des Menschseins, auf die eine Schule der Person reagieren muss, und sie zeigt, dass der anspruchsvolle Begriff der Person, der mit den Leitbegriffen der philosophischen Ethik wie etwa Verantwortung und Freiheit aufs engste verbunden ist, in ganz praktischer Weise für die Entwicklung und Evaluation der Institution Schule verwendet werden kann. Dieser Beitrag erinnert daran, dass die Pädagogik ursprünglich ein Teil der praktischen Philosophie war und dass die alltägliche Arbeit der Lehrer/ -innen in besonderer Weise einem Ethos verpflichtet sein muss. Weigand kommt zu dem Ergebnis, dass auf konzeptioneller Ebene eine Kulturschule eine große Verwandtschaft mit einer Schule der Person in ihrem Sinne hat. Sie stellt zudem die wichtige Frage danach, wie sich das Verhältnis zwischen Ethik und Ästhetik in einer solchen Schule gestaltet. Diesen Aspekt findet sie in den von ihr verwendeten Texten zur Kulturschule zu wenig thematisiert. In der Tat scheint dies eine Lücke in der bisherigen Konzeptentwicklung zu sein, wobei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen wird, dass meine Einführung in die Ästhetik „Kunst als kulturelle Praxis“ (Fuchs 2011) ein langes Kapitel zu genau dieser Fragestellung hat und ich auch in mehreren Beiträgen immer wieder die Überzeugung vertrete, dass der Autonomiebegriff der Ästhetik oft zu leichtfertig in pädagogischen (und kulturpolitischen) Kontexten verwendet wird und gerade in der Pädagogik bei allem Respekt vor der Eigenständigkeit ästhetischer Fragen die ethische Dimension die relevantere ist (siehe Bd. 2 „Zur ästhetischen Dimension von Schule“). Eine vergleichbare kritische Auffassung über die derzeitige bildungspolitische Ausrichtung im Hinblick auf die Entwicklung von Schule vertritt Ludwig Duncker (2007). Er zeigt insbesondere im Hinblick auf die anstehende Bedeutung der Ganztagsschule im deutschen Schulsystem, dass eine Überwindung einer von ihm beobachteten Funktionalisierung der Schule einseitig zugunsten angeblich ökonomischer Bedürfnislagen unabdingbar 17

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ist, wenn die Interessen der Schüler/innen – durchaus als Personen im Sinne von Weigand – berücksichtigt werden sollen. Noch ein Stück näher an der konkreten Entwicklung einer Schule ist der Beitrag von Anne Sliwka und ihren Kolleginnen. Dieser Beitrag thematisiert die hohe Bedeutung der Schulkultur als Lernumgebung. Gerade bei einem Verständnis von Schule als Haus des Lernens, so wie es die Bildungskommission Nordrhein-Westfalen (1995) seinerzeit formuliert hat, muss das Verständnis des Lernens (verbunden mit einem angemessenen Konzept des Lehrens, vgl. die Texte von Kuschel in diesem Band, S. 26 ff. und Klepacki/ Klepacki/Lohwasser in Bd. 2: „Zur ästhetischen Dimension von Schule“) bei der Gestaltung von Schule eine zentrale Rolle spielen. Dies gilt insbesondere auch für den Beitrag von Johannes Bastian mit seinem Konzept einer pädagogischen Schulentwicklung. Dass zudem das Wesen des Menschen durch seine Fähigkeit zum Lernen zumindest mitbestimmt wird, ist Kernthema einer pädagogischen Anthropologie. Der Beitrag von Sliwka et al. erschließt zudem eine aktuelle Bestandsaufnahme der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), die in sieben Prinzipien des Lernens verdichtet wird (Dumont/ Istance/Benavides 2010). Der Beitrag untersucht, inwieweit das vorliegende Konzept einer Kulturschule dieser aktuellen Bestandsaufnahme über zeitgemäße Konzeptionen des Lernens entspricht – mit einem positiven Ergebnis. Die besondere Rolle leiblichen Lernens, die Bedeutung des Lernmilieus, die Bedeutung der Motivation, die insbesondere dann entsteht, wenn die von Edward L. Deci und Richard M. Ryan formulierten drei Bedingungen erfüllt sind (sich mit einem sozialen Milieu verbunden zu fühlen, in diesem Milieu effektiv zu wirken und sich dabei persönlich autonom und initiativ zu erfahren) sind kompatibel; nicht nur mit den Prinzipien einer Kulturschule und den dort realisierten kulturpädagogischen Arbeitsprinzipien, sie entspricht auch den Grundsätzen, die den Beiträgen von Bastian und Weigand zugrunde liegen. Hilfreich sind in diesem Kontext die Fragen, die Bastian auf der Basis der von ihm mitentwickelten Theorie der pädagogischen Schulentwicklung an die Kulturschule stellt. Kern dieses Ansatzes ist die Forderung, das Kerngeschäft von Unterricht in den Mittelpunkt der Schulentwicklung zu stellen („unterrichtzentrierte Schulentwicklung“). Dieser Gedanke entspricht den Erfahrungen mit der Umsetzung des Kulturschulkonzeptes in der Praxis, dass nämlich Entwicklung eines kulturellen Profils von Schule nur dann gelingt, wenn alle Beteiligten in ihrer alltäglichen Praxis erfahren, dass dieses Konzept von Nutzen für sie ist. Es handelt sich hierbei nicht um einen oberflächlichen Utilitarismus, sondern um einen legitimen Anspruch an die alltägliche Lebensführung in der Lebenswelt

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Schule für beide Seiten: für Lehrer/innen und für Schüler/innen. Die kritischen Rückfragen, die Bastian an das Kulturschulkonzept stellt, betreffen dabei nicht bloß eine kohärente Konzeption auf der theoretischen Ebene, sondern sie fragen, ob sich in der Praxis die in der Theorie formulierten Prinzipien und Leitlinien auch belegen lassen. Einzelne dieser Fragen lassen sich auf der Basis des bisher vorliegenden empirischen Materials bislang noch nicht beantworten (etwa die Frage nach einer Verschiebung der Schülerklientel bei der Entwicklung eines kulturellen Profils in Richtung Mittelschicht). Eine weitere Frage von Bastian, inwieweit das „Prinzip Ästhetik“ sich nicht nur in den künstlerischen Fächern, in den Arbeitsgemeinschaften und in den Kooperationen mit Künstler/innen sowie Kultureinrichtungen realisieren lässt, sondern inwieweit es insbesondere bei den nicht-künstlerischen Fächern eine Rolle spielt, beantwortet u. a. Teil drei dieses Buches. Es sind gerade kunstaffine Fachdidaktiker/innen aus den nichtkünstlerischen Fächern, die die Verbindung ihres jeweiligen Faches mit der Dimension des Ästhetischen nicht bloß auf theoretischer Ebene aufzeigen, sondern die auch veranschaulichen, inwieweit diese ästhetische Dimension Eingang in die entsprechende praktische Unterrichtsgestaltung finden kann. Hierbei ist es insbesondere die leibliche und ästhetische Wahrnehmung und Erfahrung (siehe Hasse, S. 178 ff., Klinge, S. 233 ff. und Wulff/Rappl, S. 199 ff. in diesem Band), die geradezu zu einem Kernbegriff der Didaktik wird und somit zwanglos eine Verbindung zu den im 2. Band „Zur ästhetischen Dimension von Schule“ thematisierten ästhetischen Fragestellungen herstellt (siehe auch den Text von Kuschel, S. 26 ff. in diesem Band sowie Göhlich/Zirfas 2007). Damit wird zumindest gezeigt, dass ein ästhetischer Weltzugang nicht auf die Künste im engeren Sinne begrenzt ist, sondern Teil der generellen Selbstund Weltverhältnisse des Menschen ist. Auch dieser Gedanke lässt sich mit einer entsprechenden Anthropologie, wie sie etwa von Gabriele Weigand entwickelt worden ist, begründen. Mir scheint hierbei die Philosophie der symbolischen Formen von Ernst Cassirer eine geeignete Anthropologie und Kulturphilosophie zu sein (Fuchs 2008). So wichtig es ist, dass man zeigen kann, dass im Grundsatz das Ästhetische ein Element jedes Weltzuganges ist, so genügt dies für die Alltagspraxis von Lehrer/innen nicht. Bedeutsam ist daher der Hinweis von Bastian, dass es notwendig ist, sehr viel umfangreicher als bisher mit Arbeitshilfen die Arbeit der Lehrer/innen zu unterstützen.

Einige Konsequenzen Wie oben erwähnt geht es in diesem begleitenden Forschungsprojekt nicht um eine Evaluation der Praxis kultureller Schulentwicklung. Es finden sich 19

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allerdings viele Hinweise für eine Ausgestaltung einer solchen empirischen Untersuchung in den vorgestellten Texten. Auf konzeptioneller Ebene lässt sich das vielleicht immer noch nicht für alle hinreichend deutlich gewordene Konzept einer Kulturschule durch weitere Bestimmungsmerkmale konkretisieren und präzisieren. So kann man die Kulturschule, gerade dann, wenn sie als Ganztagsschule einen größeren Platz im Leben, sowohl der Schüler/innen als auch der Lehrer/innen einnimmt (siehe Bastian 2007), als eine Lebenswelt mit eigenen Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten verstehen. Die Kulturschule ist ein eigenständiger Kulturraum, der ein anregungsreiches Milieu bereitstellt, in dem man vielfältige ästhetische Erfahrungen machen kann. Eine Kulturschule sollte ein Ort der Anerkennung und Wertschätzung sein, der Lust auf Lernen und Leben macht. Dabei ist insbesondere die Rolle der Teilhabe und Partizipation von großer Bedeutung, ganz so wie es der amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey beschrieben hat: die Schule sei eine demokratisch organisierte embryonic society. Die Kulturschule als Schule der Person ist ein Ort, in dem sich starke Subjekte entwickeln können, die nicht bloß mit vorgefertigtem Wissen konfrontiert werden, sondern die bei gemeinsamen Problemlösungen wichtige Impulse für ihre Entwicklung erhalten.

Die Entwicklung von Lebensführungskompetenzen in der Lebenswelt Schule Die Auseinandersetzung insbesondere mit den Arbeiten der Wissenschaftler/innen, die an dem Projekt beteiligt waren, hat dazu geführt, die eigenen konzeptionellen und theoretischen Grundlagen zu hinterfragen, zu konkretisieren und zu präzisieren. Es ist insbesondere der Gedanke, die praktische Philosophie als traditionelle Heimat der Pädagogik erneut zu ihrem Recht kommen zu lassen. Dies zeigt sich etwa daran, dass der Gedanke des Heranwachsenden als Subjekt seiner Verhältnisse (in meinen Augen von seinen Ergebnissen her weitgehend identisch mit dem Konzept der Person, so wie es Gabriele Weigand im Jahr 2004 entwickelt hat, allerdings mit zum Teil unterschiedlichen historischen und philosophischen Bezügen) durch entsprechende Untersuchungen im Bereich der Ethik und der Philosophischen Anthropologie präzisiert werden kann. Insbesondere ist es die systematische Grundlegung einer Ethik von Volker Gerhardt (1999), die den Einzelnen in seinem sozialen Kontext versteht („Das Prinzip der Individualität“, so der Untertitel seines Buches) und wesentliche Elemente der Personalität bzw. Subjektivität identifiziert: Selbsterkenntnis, Selbstständigkeit, Selbstherrschaft, Selbstbestimmung und Selbstzweck, Selbstorganisation, Selbstbewusstsein, Selbststeigerung, Selbstverantwortung, Selbstbegriff, Selbstgesetz20

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gebung und Selbstverwirklichung. Diese Begriffe werden zunächst auf einer philosophischen (und damit abstrakteren) Ebene eingeführt, sie finden sich aber auch als selbstverständliche Leitlinien und Prinzipien in den hier wiedergegebenen Texten. Mir scheint daher der Ansatz plausibel zu sein, diese zunächst noch abstrakten Begriffe auf in der Praxis handhabbare Konzepte zu transformieren, die auch als Basis für eine empirische Evaluation dienen können. Ansätze für eine solche Transformation in die Praxis habe ich in einigen Texten in den vergangenen Monaten vorgeschlagen (Fuchs 2015a, Teil 1). Es erscheint zudem ertragreich zu sein, an die Debatten anzuschließen, die wir seinerzeit im Rahmen der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) rund um das Konzept der „Lebenskunst“ geführt haben, bei denen es auch darum ging, eine Ethik individueller Lebensführung auf der Basis einer entsprechenden Anthropologie für eine kulturpädagogische Praxis nutzbar zu machen. Aus der damaligen Debatte, die sich zum Teil auch aus einem Widerstand gegen ein technokratisches Denken bei der Erfassung der Wirksamkeit von Bildungsangeboten ergeben hat (es ging um das damalige „Neue Steuerungsmodell“ und das damit verbundene Verständnis von Evaluation) hat sich die Idee entwickelt, die Qualität kulturpädagogischer Arbeit auf eine angemessenere Weise erfassen und bewerten zu können. Das Ergebnis war der Kompetenznachweis Kultur (KNK), ein außerschulischer Bildungspass, der auf der Realisierung des dialogischen Prinzips basierte: Der/die betroffene Jugendliche sollte mit dem/r pädagogisch-künstlerischen Experten/in seine persönlichen Entwicklungen in dem Kulturprojekt beschreiben und reflektieren. Ein Grundgedanke hierbei war, dass die betroffenen Jugendlichen selbst Subjekte ihres Lernprozesses sind und daher auch selbst über ihre Lernprozesse nachdenken können. Im Anschluss an diese Debatten habe ich das Konzept der Lebensführung und der Lebensführungskompetenzen erneut aufgegriffen, wobei ich zum einen auf theoretische Ansätze einer subjektorientierten Soziologie (Projektgruppe Alltägliche Lebensführung 1995), dem Alterswerk von Klaus Holzkamp (1995) sowie neuere Arbeiten etwa zur Kritik von Lebensformen (Jaeggi 2014) zurückgreifen konnte. Die bislang vorliegenden Arbeiten zu dieser Thematik, die sowohl philosophische und pädagogische Grundlagenfragen, die die Auseinandersetzung mit der ästhetischen Dimension pädagogischer Angebote und die schließlich Beobachtungen und Beratungen der konkreten kulturellen Schulentwicklungspraxis betreffen, wurden an verschiedenen Stellen veröffentlicht und sind jetzt gesammelt online verfügbar (Fuchs 2015a). Insbesondere scheint mir für die weitere Forschungsarbeit von Bedeutung zu sein, dass mit diesem Ansatz weitere relevante Diskurse und Forschungen rund um das Thema des Wohlbefindens und des guten, 21

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gelingenden und glücklichen Lebens nutzbar gemacht werden können, so wie es Olaf-Axel Burow bereits in seiner „Positiven Pädagogik“ (2011) tut oder wie es insbesondere im „13. Kinder- und Jugendbericht“ des Bundes (BMFSFJ 2009; Leitung: Heiner Keupp) geschieht. Dazu gehören etwa Konzepte wie Salutogenese (Aaron Antonovsky), das Konzept der Selbstwirksamkeit (Albert Bandura), das Konzept der positiven Entwicklung (R. Lerner), der capability-Ansatz (Matha Nussbaum und Amartya Sen), die Konzeption der „Big Five“ aus der Persönlichkeitspsychologie und die auch von Sliwka verwendeten Konzepte von Deci und Ryan (vgl. insgesamt Brandtstädter 2011 und Brandtstädter/Lindenberger 2007 sowie Fuchs 2015b). Literatur Bastian, Johannes (2007): Einführung in die Unterrichtsentwicklung. Weinheim/Basel: Beltz. Bildungskommission NRW (1995): Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft. Neuwied: Luchterhand. BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2009): 13. Kinderund Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. 2. Aufl. Berlin: Selbstverlag. Brandtstädter, Jochen (2011): Positive Entwicklung. Zur Psychologie gelingender Lebensführung. Heidelberg: Spektrum. Brandtstädter, Jochen/Lindenberger, Ulman (Hrsg.) (2007): Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Ein Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer. Braun, Tom/Fuchs, Max (2015): The development of culture schools. In: Schonmann, Shifra (Ed.): Wisdom of the Many. Key issues in arts education. Münster: Waxmann (in appear). Braun, Tom/Fuchs, Max/Kelb, Viola (Hrsg.) (2010): Auf dem Weg zur Kulturschule I. München: kopaed. Braun, Tom/Fuchs, Max/Kelb, Viola/Schorn, Brigitte (Hrsg.) (2013): Auf dem Weg zur Kulturschule II. München: kopaed. Burow, Olaf-Axel (2011): Positive Pädagogik. Weinheim/Basel: Beltz. Dumont, Hanna/Istance, David/Benavides, Francisco (Eds.) (2010): The Nature of Learning. Paris: OECD. Duncker, Ludwig (2007): Die Grundschule. Weinheim/München: Juventa. Fuchs, Max (2008): Die Macht der Symbole. Ein Versuch über Kultur, Medien und Subjektivität. München: Utz. Fuchs, Max (2011): Kunst als kulturelle Praxis. München: kopaed. Fuchs, Max (2012): Die Kulturschule. München: kopaed. Fuchs, Max (2015a): Kulturelle Bildung, die Schule und die Kunst. Aufsätze und Vorträge 2013/2014. Wuppertal [Download unter: www.maxfuchs.eu]. Fuchs, Max (2015b): Lebensführungskompetenzen und die Schule. In: Ders. (2015): Kulturelle Bildung, die Schule und die Kunst. Aufsätze und Vorträge 2013/2014. Wuppertal [Download unter: www.maxfuchs.eu]. Gerhardt, Volker (1999): Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität. Stuttgart: Reclam. Göhlich, Michael/Zirfas, Jörg (2007): Lernen. Ein pädagogischer Grundbegriff. Stuttgart: Kohlhammer.

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Leseprobe aus: Fuchs/Braun (Hrsg.), Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung, ISBN 978-3-7799-4287-0 © 2015 Beltz Verlag, Weinheim Basel http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-4287-0 Holzkamp, Klaus (Hrsg.) (1995): Lebensführung. Klaus Holzkamp zum Gedächtnis. Das Argument 212, Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, 37. Jg., Heft 6, November/Dezember 1995. Jaeggi, Rahel (2014): Kritik von Lebensformen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Pädagogik. Heft 6/14. Schwerpunkt: Kulturelle Schulentwicklung. Weinheim: Beltz. Projektgruppe Alltägliche Lebensführung (1995): Alltägliche Lebensführung. Opladen: Leske + Budrich. Weigand, Gabriele (2004): Die Schule der Person. Würzburg: Ergon.

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