Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung

Max Fuchs | Tom Braun (Hrsg.) Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung Grundlagen, Analysen, Kritik Band 3 Politische Rahmenbedingungen einer...
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Max Fuchs | Tom Braun (Hrsg.)

Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung Grundlagen, Analysen, Kritik Band 3 Politische Rahmenbedingungen einer erfolgreichen Implementierung

Max Fuchs | Tom Braun (Hrsg.) Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung

Max Fuchs | Tom Braun (Hrsg.)

Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung Grundlagen, Analysen, Kritik

Band 3 Politische Rahmenbedingungen einer erfolgreichen Implementierung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2016 Beltz Juventa · Weinheim und Basel Werderstr. 10, 69469 Weinheim www.beltz.de · www.juventa.de Satz: Marion Gräf-Jordan, Heusenstamm Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany ISBN 978-3-7799-3353-3

Inhalt

Vorworte

Winfried Kneip und Tobias Diemer (Stiftung Mercator) Gerd Taube und Tom Braun (Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung)

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Zur Einführung

Politische Strategien der Implementierung Max Fuchs

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Teil 1 Grundlagen

Der Governance-Ansatz in der Politikwissenschaft und Educational Governance Detlef Sack

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Der Lehrplan als politisches Gestaltungsinstrument Rudolf Künzli

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Wie kommt Neues in das Schulsystem? Governance-analytische Annäherungen an Neuerungsimpulse durch „externe“ Akteure Esther Dominique Klein

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Historische Perspektiven kultureller Schulentwicklung am Beispiel Weimarer Reformpädagogik Wolfgang Keim

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Kulturelle Bildungspolitik und Educational Governance Politische Rahmenbedingungen, neue Akteurskonstellationen und Motivationen Max Fuchs

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Teil 2 Verfahren, Instrumente, Akteure

Evaluation als politische und fachliche Institution Hermann Josef Abs

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Erschöpfung, Resonanz und das „Wunder von Bremen“ Reinhard Kahl

144

Rahmenbedingungen kultureller Schulentwicklung: Die Bildungs- und Jugendpolitik der Europäischen Union Helle Becker

163

Was haben Kommunen eigentlich mit kultureller Bildung zu tun? Wilfried Lohre und Dorothea Minderop

173

Bildung und Kultur als Aufgaben der UNESCO Christoph Wulf

193

Bildung und Bürgerschaft: Ein neuer Ansatz Rupert Graf Strachwitz

202

Die Rolle der Zivilgesellschaft: Ansprüche an Bildungskooperationen und -netzwerke/-landschaften Kerstin Hübner

212

Die Kultusministerkonferenz als Akteur und Arena der Bildungs- und Kulturpolitik Matthias Rürup

230

Teil 3 Beispiel Kulturagenten-Programm

Veränderungsprozesse brauchen Mut und Zeit Pia Hegener

250

Mehr Bildungschancen für Kinder und Jugendliche Erfahrungen und Ergebnisse zum Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“ in Thüringen (2011 bis 2015) Burkhard Stenzel

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6

Politische Rahmenbedingungen einer erfolgreichen Implementierung Marion v. Wartenberg

267

Teilhabegerechtigkeit lernen – Innovation und Anwaltschaft als Grundlagen verbandlichen Handelns Tom Braun und Gerd Taube

274

Zwischen allen Stühlen, allein vornweg oder innovativ hintendran? Zur Verortung von Staat und Stiftungen bei der Bewältigung bildungspolitischer Herausforderungen Heike Kahl

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Schlussbemerkungen

Implementierungsstrategien für kulturelle Bildung − Perspektiven und Handlungsnotwendigkeiten Tom Braun

304

Die Autorinnen und Autoren

310

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Vorworte Kulturelle Bildung ist Teil allgemeiner Bildung. Sie eröffnet Kindern und Jugendlichen einzigartige Möglichkeitenich selbst als Person und die gesellschaftliche und natürliche Welt um sich herum zu erfahren, zu verstehen und aktiv mitzugestalten. Dadurch fördert sie die Persönlichkeitsentwicklung und die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen, die für eine aktive und erfolgreiche Teilhabe an der Lebens- und der Arbeitswelt von heute und morgen wichtig und entscheidend sind. Deshalb sollte kulturelle Bildung zu jeder guten Bildung in der Schule nicht nur am Rand, sondern selbstverständlich und zentral als Teil des Selbstverständnisses guter Schule dazugehören. Es geht also um viel, und es geht um Wesentliches, wenn es um kulturelle Bildung geht. Mithin geht es immer auch um die Chance auf eine umfassende Teilhabe der Menschen an Politik, Kultur und Wirtschaft. Aus diesem Grund ist kulturelle Bildung neben den Themen Europa, Integration und Klimawandel ein zentraler Arbeits- und Förderschwerpunkt der Stiftung Mercator. Die Stiftung fördert dabei nicht bloß die Entwicklung erfolgreicher Praxismodelle und die notwendige Erforschung von Wirkungen kultureller Bildung und ihrer Rahmenbedingungen. Darüber hinaus versucht sie, Beiträge für eine bessere strukturelle und nachhaltige Implementierung kultureller Bildung im Bildungssystem zu leisten. Eine besondere Rolle spielt hierbei die allgemeinbildende Schule, da die Schule alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland erreicht. Dies ist ein erster Schritt, mit dem Problem ungleicher Zugangschancen zu kultureller Bildung umzugehen. Kulturelle Bildung fördert in unserem Verständnis die Entwicklung der Persönlichkeit und der Gestaltungskompetenz durch einen intensiven und aktiven Umgang mit den Künsten, wobei wir von einem weiten und offenen Begriff von Kunst ausgehen. Über die Förderung entsprechender Praxismodelle hinaus wollen wir dabei auch insofern bei der Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen helfen, als wir die zuständigen Ministerien in den Ländern dabei unterstützen, Kriterien kultureller Bildung in ihren Orientierungsrahmen für Schulqualität aufzunehmen. Unser Ziel ist dabei durchaus ambitioniert: Bis 2015 soll dies in Nordrhein-Westfalen und drei weiteren Bundesländern sowie bis 2025 in allen Bundesländern gelungen sein. Das erste herausragende Förderprojekt auf diesem Weg ist das zusammen mit der Kulturstiftung des Bundes verantwortete Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“. In diesem Projekt hatten 138 Schulen in fünf Bundesländern seit dem Jahr 2011 über vier Jahre die Gelegenheit, in der Kooperation mit außerschulischen Partnern (Kultureinrichtungen sowie Künstlerinnen und Künstler) ein kulturelles Profil zu entwickeln oder zu schärfen. 46 Kulturagentinnen und -agenten unterstützten die Schulen und

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Kultureinrichtungen bei der Entwicklung tragfähiger Kooperationsbeziehungen. Dieses Projekt hat sich nicht bloß für die beteiligten Schulen und Kultureinrichtungen als ausgesprochen ertragreich gezeigt: Es hat auch eine große Attraktivität für solche Schulen und Kultureinrichtungen entwickelt, die nicht an diesem Projekt beteiligt waren. Diese Ausstrahlung des Projektes wird in Zukunft durch die Bereitstellung praxisbezogener Informations- und Beratungsmaterialien verstärkt. Parallel zu diesen vielfältigen Initiativen in der Praxis hat die Stiftung Mercator zusammen mit der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), unter der Leitung von Professor Dr. Max Fuchs, das Projekt „Beratung und wissenschaftliche Vertiefung des Kulturagenten-Programms“ unterstützt. Im Rahmen dieses Projektes wurden einzelne Fragen zu den konzeptionellen Grundlagen kultureller Bildung und kultureller Schulentwicklung mit ausgewiesenen Expertinnen und Experten aus dem Wissenschaftsbereich aufgegriffen und diskutiert. Die Ergebnisse dieser Diskurse und Forschungsaktivitäten liegen nunmehr in den drei Bänden „Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“ vor, wobei sich der erste Band vornehmlich mit Fragen der Schultheorie und Schulentwicklung und der zweite Band mit der ästhetischen Dimension von Schule befassen. Den Fragen nach Voraussetzungen und Gelingensbedingungen für Implementierungsprozesse auf Ebene der Länder und in weiteren relevanten politischen Prozessen geht schließlich Band drei nach. 51 Expertinnen und Experten aus Schulpädagogik, unterschiedlichen Bereichen der Ästhetik und aus verschiedenen Fachdidaktiken zeigen, dass das Konzept einer kulturellen Profilierung von Schule und einer Vertiefung der Kooperation von Schulen mit Kultureinrichtungen nicht bloß in der Praxis funktioniert, sondern auch ein tragfähiges wissenschaftliches und theoretisches Fundament hat. Damit liefern die drei Bände für Politik und Praxis, und auch für die Arbeit der Stiftung Mercator, wichtige konzeptionelle Grundlagen für die Entwicklung und Gestaltung intelligenter Projekte, Programme und Strategien zur systematischen Verankerung kultureller Bildung in Schule. Winfried Kneip Geschäftsführer der Stiftung Mercator Dr. Tobias Diemer Leiter Bereich Bildung bei der Stiftung Mercator

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Das Subjekt im Mittelpunkt! Dieser Appell bringt den Auftrag und die zentrale Handlungsorientierung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) auf den Punkt. Als Spitzenverband der kulturellen Bildung in Deutschland setzt sich die BKJ mit dem Netzwerk ihrer 57 Mitgliedsorganisationen bundesweit und international dafür ein, dass an allen gesellschaftlichen Orten Voraussetzungen geschaffen werden, die allen Kindern und Jugendlichen von Anfang an und unabhängig von individuellen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen eine aktive Teilhabe am kulturellen Leben sowie eigene künstlerische und kulturelle Betätigung ermöglichen. Die aktuellen Lebenslagen der Jugendlichen und Kinder bilden das Bezugssystem für die Einschätzung von vorhandenen Möglichkeiten und Veränderungsbedarfen und damit die Grundlage der Verbandspolitik der BKJ. Wie können jugend-, kultur- und bildungspolitische Entscheidungen dazu beitragen, dass alle Kinder und Jugendlichen in der Vielfalt ihrer Lebenslagen in vollem Umfang an ästhetischer, künstlerischer und kultureller Praxis teilhaben können? Wie können diese Gelegenheiten so angelegt sein, dass sie für alle Heranwachsenden dauerhafte und verlässliche Handlungsräume darstellen? Welcher Voraussetzungen bedarf es mit Blick auf die Profile der professionell organisierten Lern- und Bildungsorte, ihre pädagogischen Konzepte und die Qualifizierung der Fachkräfte, damit sie als kreative, eigenverantwortliche und stärkende Möglichkeitsräume wirksam werden können? Die Schule wird im Zuge der Ganztagsschulentwicklung zunehmend zum zentralen Aufenthalts- und Lebensort für Kinder und Jugendliche. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Qualität von Schulen neu. Die Verschränkung individueller Persönlichkeitsentwicklung und einer gelingenden Bildungsbiografie mit Selbstbestimmung und pädagogischem Auftrag der Institution Schule rücken die Potenziale ästhetisch-kultureller Praxis für die Entwicklung einer veränderten Lern- und Lehrkultur in den Mittelpunkt. Kulturelle Bildung als ein unverzichtbarer Teil der Allgemeinbildung, der Kinder und Jugendliche vom Standpunkt der Subjektorientierung aus in ihren Stärken und Bedürfnissen anerkennt sowie ihnen Befähigungs- und Bildungsgelegenheiten systematisch zugänglich macht, kann dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. Die BKJ hat sich daher in den letzten Jahren in verschiedenen Praxis- und Forschungsprojekten für eine stärkere Verankerung von ästhetisch-kultureller Praxis in der Schule eingesetzt. Neben der systematischen Feldentwicklung für Kooperationen außerschulischer Einrichtungen der kulturellen Bildung mit Schulen und der Beforschung dafür relevanter Qualitätsverständnisse sowie der Bereitstellung geeigneter Praxismodelle hat die BKJ in den letzten Jahren das Konzept einer kulturellen

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Schulentwicklung in die nationale und internationale Fachdebatte eingebracht und weiter konturiert. Die bestehende Praxis sowie Theoriebildung in der kulturellen Kinderund Jugendbildung wurde mit dem Konzept der kulturellen Schulentwicklung erweitert. Damit werden die Theorie- und Praxiskonzepte der außerschulischen kulturellen Bildung, der Fachdebatten aus den künstlerischen Schulfächern sowie Fragen lokaler Bildungslandschaften mit dem bestens ausgewiesenen Forschungsfeld der Schulentwicklung verbunden. Mit dem Wunsch einer erhöhten Professionalisierung von Entwicklungs- und Implementierungsvorhaben für kulturelle Bildung in der Schule, verbindet sich zugleich das Aufspüren von Handlungsdesideraten und die Formulierung neuer Forschungsinteressen. Dazu gehört neben der Beschreibung der spezifischen Potenziale ästhetisch-kultureller Praxis im Kontext der Institution Schule, die Überprüfung der in Theorie und Praxis der Schulentwicklung enthaltenen Anknüpfungspunkte für eine Methodologie der kulturellen Schulentwicklung. Ein zentrales Entwicklungs- und Überprüfungsfeld war hierfür das Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“, an dessen Entwicklung die BKJ im Vorfeld entscheidend beteiligt war, und das sie als Kooperationspartnerin aktiv in der praktischen Umsetzung mitgestaltet hat. In den letzten vier Jahren konnten anhand des Modellprogramms die im Kontext der BKJ vorliegenden Konzepte und Modelle vor dem Hintergrund der Praxiserfahrungen der 138 beteiligten Schulen, der 46 Kulturagentinnen und -agenten sowie in den unterschiedlichen Realitäten der beteiligten fünf Bundesländer überprüft und weiterentwickelt werden. In dem das Modellprogramm begleitenden Projekt „Beratung und wissenschaftliche Vertiefung des Kulturagenten-Programms“ konnte die BKJ, gemeinsam mit der Stiftung Mercator, unter Leitung des BKJ-Ehrenvorsitzenden Prof. Dr. Max Fuchs und der Mitarbeit von Helga Bergers, die konzeptionelle Grundlegung der kulturellen Schulentwicklung ausbauen und im Dialog mit 51 wissenschaftlichen Expertinnen und Experten aus der Schulentwicklung, den Fachdidaktiken, den unterschiedlichen Bereichen der Schulpädagogik sowie der aktuellen Ästhetiktheorie auf Implementierungspotenziale überprüfen. Die Ergebnisse des gemeinsamen Projekts werden in drei Bänden veröffentlicht. Sie ergänzen nicht nur die bisherigen Überlegungen der BKJ zur kulturellen Schulentwicklung. Sie entsprechen darüber hinaus auch dem Anspruch der BKJ an ein wirksames und nachhaltiges Agieren für eine Weiterentwicklung der kulturellen Kinder- und Jugendbildung. Dies verlangt eine über den Nachweis gelingender Praxis deutlich hinausgehenden Ansatz. Die BKJ hat sich daher immer dafür eingesetzt, ihre eigenen Leitkonzepte theoretisch zu untermauern und auch immer wieder im Diskurs mit externen Expertinnen und Experten zu hinterfragen. Die kritische Diskussion der Praxis 12

im Feld der kulturellen Bildung und der eigene Anspruch an einen Erkenntnisgewinn durch ihre theoretische Reflexion haben dazu beigetragen, dass die BKJ mit ihrem bundesweit flächendeckenden Netzwerk ihrer Mitgliedsorganisationen für kulturelle Bildung in der Lage ist, für unterschiedliche Handlungsfelder, Einrichtungs- und Organisationsformen geeignete Praxissowie auch Steuerungsmodelle einzubringen. Dies belegen die Ergebnisse der Modell- und Forschungsprojekte sowie die breit aufgestellten Fachpublikationen der BKJ aus den letzten Jahren. Mit dem Projekt der wissenschaftlichen Vertiefung ihrer Konzepte der Kulturschule und der kulturellen Schulentwicklung konnte die BKJ gemeinsam mit der Stiftung Mercator neue Impulse für die aktuelle Praxis der kulturellen Bildung und ihre theoretische Reflexion generieren. Auf dieser Grundlage wird es besonders auch im Feld der kulturellen Schulentwicklung in den nächsten Jahren möglich sein, sowohl in Bezug auf die einzelne Schule und ihre Kooperationen als auch mit Blick auf die Entwicklungen in den Bundesländern sowie bundesländerübergreifend entsprechende Prozesse zu initiieren, zu begleiten und mitzugestalten. Prof. Dr. Gerd Taube Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Tom Braun Geschäftsführer der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung

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Zur Einführung Politische Strategien der Implementierung Max Fuchs

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Vorbemerkung

Im vorliegenden Band wird der Frage nachgegangen, wie Neues in das Bildungssystem kommen kann. Während die beiden vorangegangenen Bände das Problem diskutiert haben, wie Neues in die einzelne Schule kommen kann, das heißt, wie Prozesse der Schulentwicklung auf der Mikro- und der Mesoebene angeschoben werden können, geht es in diesem dritten Band darum, geeignete Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass innovative Ansätze in dem gesamten System der Schule zur Anwendung kommen (Makroebene). Der übliche Weg, Innovationen und neue Ideen auszuprobieren und im Hinblick auf ihre Praxistauglichkeit zu testen, besteht darin, in befristeten Modellprojekten eine Art Realitätstest durchzuführen, der in der Regel wissenschaftlich begleitet und ausgewertet wird. Man könnte nun annehmen, dass bei einem Erfolg solcher Modellprojekte deren Ergebnisse flächendeckend in die Praxis implementiert werden. Das möglicherweise überraschende Ergebnis besteht darin, dass gerade dies oft nicht der Fall ist. So haben Evaluationen von Modellprogrammen und Modellprojekten im Bereich der Bildungspolitik in den vergangenen Jahren (etwa zur demokratischen Schule oder zur Einbeziehung des Ziels der Nachhaltigkeit) gezeigt, dass durchaus erfolgreiche Modellprojekte flächendeckend kaum wirksam geworden sind. Es stellt sich daher nicht nur die Frage, warum man teure Modellprojekte durchführen lässt, wenn keine Absicht besteht, sie praktisch wirksam werden zu lassen: Man muss auch die Frage stellen, welche Gründe es für eine derartige Erfolglosigkeit gibt. Offensichtlich betrifft im Falle der Schulpolitik diese Frage nicht bloß die einzelne Schule, obwohl ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik darin besteht, die einzelne Schule als wesentlichen Akteur bei der Reform des Bildungswesens zu verstehen. Dies ist 15

eine Konsequenz aus dem Scheitern von Versuchen einer Top-Down-Steuerung des Bildungswesens, wie man sie etwa in den 1960er- und 1970er-Jahren versucht hat (Fend 2008; Hellekamps/Plöger/Wittenbruch 2011). Bei aller Relevanz der einzelnen Schule muss man jedoch sehen, dass die Rahmenbedingungen, in denen sich die Schule bewegt, ebenfalls einen wichtigen Einfluss ausüben. Die Gestaltung von Rahmenbedingungen wiederum ist eine Aufgabe der Politik. Daher steht in diesem Band die Frage im Mittelpunkt, welche Möglichkeiten einer politischen Steuerung es gerade bei der Umsetzung von innovativen Konzepten im Bereich der Bildungspolitik gibt, welche Strategien Erfolg haben, welche Werkzeuge zur Verfügung stehen und wer die Akteure sind, die eine solche bildungspolitische Innovation voranbringen können (van Ackeren/Klemm 2011; Ruep 2011).

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Bildung als Koproduktion – Bildungspolitik als Koproduktion

Seit einigen Jahren spricht man davon, dass Bildung nur als Koproduktion, nämlich als Zusammenspiel verschiedener Menschen und Institutionen verstanden werden kann. Dies bedeutet eine Abkehr von einer Sichtweise, die Bildungsprozesse eher als Einbahnstraße betrachtete, bei der die einen (die Lehrenden) die Bildungsprozesse steuern und die relevanten Inputs geben und die anderen mehr oder weniger passiv auf diese Impulse reagieren. Man sieht zudem immer mehr ein, dass in solchen Bildungsprozessen nicht bloß die Lehrenden und die Lernenden beteiligt sind, sondern dass eine Vielzahl weiterer Akteure Einfluss auf diese Prozesse haben. Dabei sind es nicht bloß menschliche Akteure, sondern man weiß inzwischen, wie stark der Einfluss der räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten auf den Erfolg von Bildungsprozessen ist. Bildung ist also ein komplexes Geschehen, an dem viele beteiligt sind. Diesen Tatbestand erfasst man heute mit den Slogans „Bildung als Koproduktion“ oder „Bildung als Ko-Konstruktion“. Dieser Gedanke hat nun nicht bloß für Bildungsprozesse, sondern auch für bildungspolitische Prozesse Gültigkeit. Dies sollte allerdings gerade im Bereich der Politik keine Überraschung auslösen, denn unsere demokratische Grundordnung hat genau dies als Basis: dass es viele, wenn nicht alle sind, die an der Willensbildung und dann auch an der Gestaltung unseres Gemeinwesens beteiligt sind. Demokratie kann so gesehen als Koproduktion der Beteiligten verstanden werden. In unserer ausdifferenzierten modernen Gesellschaft hat sich nicht nur diese Gesellschaft als Ganzes, sondern auch das Subsystem der Politik ausdifferenziert in zahlreiche, fachlich unterschiedene Politikfelder, in denen un-

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terschiedliche Handlungslogiken, unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten sowie unterschiedliche Diskussions- und Entscheidungsprozesse vorzufinden sind. So gibt es Politikfelder, die – als hoheitliche Aufgaben – sehr viel stärker in der unmittelbaren Hand des Staates sind, als dies bei anderen der Fall ist. Zu diesen staatsnahen Politikfeldern gehören etwa die Verteidigungs- oder Sicherheitspolitik. Es gibt allerdings auch Felder, in denen der Staat keine so große Rolle spielt oder wo er zumindest nicht der einzige entscheidungsrelevante Akteur ist. Aber selbst in den staatsnäheren Politikfeldern spielen weitere Akteure insofern eine Rolle, als sie das Geschehen beobachten, kommentieren und im Rahmen einer Lobbyarbeit Einfluss auf die Entscheidungen der staatlichen Gremien nehmen wollen. Es ist sogar ein wesentliches Kennzeichen einer demokratischen Grundordnung, dass es eine solche öffentliche Diskussion gibt. Die Entstehung einer politisch debattierenden Öffentlichkeit ist aufs Engste mit der Genese der parlamentarischen Demokratie verbunden (Habermas 1990). So diskutiert etwa der Berliner Philosoph Volker Gerhardt zum einen Partizipation als „das Prinzip der Politik“ (2007), womit genau die oben angesprochene Beteiligung aller bei der Gestaltung des Gemeinwesens gemeint ist. Diese gemeinschaftliche Gestaltung setzt voraus, dass die unterschiedlichen Akteure untereinander ins Gespräch kommen, geht also von einer gut entwickelten und organisierten Öffentlichkeit aus (Gerhardt 2012). Auch die Interessenvertretung und Lobbyarbeit gehört zu den legitimen Elementen demokratischer Willensbildung. In einzelnen Politikfeldern, wie etwa der Jugend- oder der Kulturpolitik, wird sogar eine noch stärkere Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Willensbildungs- und Gestaltungsprozess praktiziert und ist zum Teil – etwa auf der Basis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes in der Jugendpolitik – sogar gesetzlich abgesichert. Man spricht in der Jugendpolitik etwa von einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Trägern und es gibt auf der Basis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes mit dem Bundesjugendkuratorium ein offizielles Beratungsorgan der Bundesregierung. Auch in der Kulturpolitik hat sich eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Staat und zivilgesellschaftlichen Organisationen eingespielt und bewährt (Fuchs 1998, 2007). So wird der Dachverband im Bereich der Kulturpolitik, der Deutsche Kulturrat, sogar quasi-institutionell über ein Projekt mit dem programmatischen Titel „Politikberatung“ gefördert. In der Praxis sieht das so aus, dass sowohl in Gremien wie etwa den Fachausschüssen des Deutschen Kulturrats Vertreterinnen und Vertreter der Ministerien als Gäste mitdiskutieren als auch der Deutsche Kulturrat von den Ministerien

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und zum Teil vom Parlament bei akuten Regelungsbedürfnissen zurate gezogen wird. Natürlich bleibt die gesetzliche Kompetenz bei der Verabschiedung verbindlicher Regelungen bei dem Parlament, doch gibt es im Vorfeld der Beschlussfassung zahlreiche Möglichkeiten der Intervention durch diejenigen, die später von den Regelungen betroffen sind. In der Bildungspolitik wird eine solche partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Organen und zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht in dieser Form betrieben, obwohl auch hierbei das Instrument der Anhörung bzw. die Vergabe entsprechender Gutachten die Regel ist. Dies ist insofern ein Problem, als bei der Umsetzung des Mottos „Bildungspolitik als Koproduktion“ neben genuin bildungspolitischen Akteuren auch Akteure aus dem Bereich der Jugend- und Kulturpolitik eine Rolle spielen. Denn die drei Politikfelder Bildungspolitik, Jugendpolitik und Kulturpolitik funktionieren nach unterschiedlichen Handlungslogiken und es gibt unterschiedliche Traditionen einer Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Daher ist auch im beruflichen Habitus der Menschen, die in den jeweiligen Feldern arbeiten, entsprechend dieser Tradition eine mehr oder weniger große Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit vorhanden. Denn der jeweilige Habitus muss notwendigerweise mit der Handlungslogik des eigenen Feldes harmonieren, als Basis einer feldspezifischen Kompetenz.

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Der Staat und seine Partner

Da man sowohl im jugend- als auch im kulturpolitischen Bereich inzwischen innerhalb der Europäischen Union und auch darüber hinaus vielfältige internationale Kooperationen zwischen Schulen, Jugend- und Kultureinrichtungen pflegt, ist zu berücksichtigen, dass sich in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche Traditionen von Staatlichkeit entwickelt haben. So ist es für das föderal aufgebaute Deutschland durchaus ein Kontrast, das stark zentralistisch aufgebaute Frankreich zu betrachten. Dies ist relevant, da die jeweilige Staatlichkeit Rahmenbedingungen für die Kooperationen setzt. Ebenso gibt es einen Unterschied im Verständnis der Rolle des Staates zwischen den kontinentaleuropäischen Ländern und den angloamerikanischen Ländern. So ist es im politischen Leben Englands durchaus zu spüren, dass England nicht bloß dasjenige Land war, bei dem die Industrialisierung als Erstes eingesetzt hatte: Es ist auch das Land erfolgreicher bürgerlicher Revolutionen, wo also das Bürgertum dem König frühzeitig bestimmte politische Mitwirkungsrechte abgerungen hat. In den Vereinigten Staaten wiederum ist deutlich eine Skepsis gegenüber einem Zentralstaat zu spüren. Die ursprünglichen Siedler waren nämlich auf 18

sich gestellt, sodass sich eine große Selbstständigkeit nicht bloß bei den einzelnen Menschen und ihren Familien, sondern auch bei den entstehenden Communities ergeben hat. Bis heute ist man daher ausgesprochen vorsichtig im Hinblick auf die Kompetenzen, die man der Zentralregierung überlässt. Es ist auch in der Tat so, dass bei dem Selbstverständnis der Vereinigten Staaten (und bei der damaligen Formulierung der Unabhängigkeitserklärung und später der Verfassung) die individualistische und eigentumsbezogene (liberale) Philosophie John Lockes eine wichtige Rolle spielt, sodass die Rede von einem „Amerikanischen Traum“, dass es quasi jeder aus eigener Kraft vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen könne, durchaus lebendig ist. Meinungsunterschiede bei Fragen des internationalen Handels, wie etwa früher bei den Debatten über das GATS-Abkommen oder die UNESCOKonvention zur kulturellen Vielfalt und heute über das TTIP-Abkommen, haben sicherlich auch die Profitinteressen der großen amerikanischen Unternehmen als Hintergrund, als philosophisch-weltanschauliche Basis spielen aber auch diese philosophischen Grundüberzeugungen als mentale Basis eine Rolle, die auch die amerikanische Verfassung, das Politik-Verständnis und das amerikanische Rechtssystem entscheidend beeinflussen. Deutschland hat wiederum im Vergleich zu anderen Staaten eine spezifische Tradition auch im Bereich der Staatlichkeit (Reinhard 1999). Der Topos des Philosophen Helmuth Plessner (1974) von einer „verspäteten Nation“ ist von einer großen Überzeugungskraft. Denn zum einen ist es in der Tat dem deutschen Bürgertum im 19. Jahrhundert nicht gelungen, anders als in anderen Ländern, einen eigenen Einfluss bei der politischen Gestaltung des Staatswesens zu erkämpfen (weswegen der Bereich der Kultur als Kompensation eine so große Rolle spielt (Wagner 2009). Zum anderen hat die protestantisch-lutherische (hegelsche) Tradition im Staatsdenken einen großen Einfluss, bei der der Staat die unhinterfragte Autorität ist, gleichgültig, wer in diesem Staat die Macht hat („Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!“, so Martin Luther). In diesem protestantischen Kontext ist im 19. Jahrhundert im Anschluss an einen entsprechend verstandenen späten Hegel der Gedanke eines Kulturstaates entstanden, der zwar ursprünglich bloß die durchaus fortschrittliche Verantwortlichkeit des Staates für das Bildungssystem betonte (das zu der Zeit noch fest in der Hand der Kirche lag; vgl. Herrlitz/Hopf/Titze 1993), das man dann aber auch auf die Gestaltung des Kulturangebots bezogen hat. Kultur wurde bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als Mittel der inneren und äußeren Machtabsicherung verstanden (Reinhard 1999: 388 ff.). Der Kulturstaatsbegriff hat also in seiner historischen Genese und in seiner systematischen Begründung (Geis 1990) gerade keine demokratische Zielrichtung, deshalb ich die neuerliche Nutzung des Kulturstaatsbegriffs in den

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letzten Jahren kritisiert habe (Fuchs 2011: 87 f.). Natürlich ist in dieser aktuellen Nutzung des Kulturstaatsbegriffs (Scheytt 2008) nicht mehr gemeint, dass der Bereich der Kultur lediglich dazu dienen soll, staatliche Herrschaft zu legitimieren. Doch ist es eine Frage, ob es gelingt, einschlägig besetzte Begriffe in ihrem Bedeutungsgehalt zu verändern. Von dem Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik ist oben schon gesprochen worden, nämlich Steuerung nicht mehr als Handeln von oben nach unten zu betrachten, sondern die relative Autonomie der Institutionen vor Ort, also insbesondere der Schulen, zu berücksichtigen. In der Jugendpolitik hat es seit ihrer ersten gesetzlichen Regelung im Jahr 1922 (das Jugendwohlfahrtsgesetz) ebenfalls einen deutlichen Paradigmenwechsel gegeben. Waren die ersten Ansätze einer staatlichen Jugendhilfepolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr stark darauf gerichtet, einer zunehmend als wurzellos betrachteten Jugend im Interesse des Staates mit einem starken Impuls der Disziplinierung und Kontrolle eine neue Struktur geben zu wollen, so hat sich seither immer deutlicher ein pädagogisches Anliegen durchgesetzt. Wie im Paragraph 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes heute das Ziel formuliert ist, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit unterstützen zu wollen. Expertinnen und Experten kritisieren allerdings, dass bis heute das einschlägige Gesetz beide Dimensionen enthält: eine disziplinarische und eine pädagogische. Nun ist der Begriff der Governance keineswegs ein neuer Begriff, sondern vielmehr im internationalen Politikgeschehen schon seit über 25 Jahren im Gebrauch. Allerdings scheint er in den letzten Jahren in Deutschland und speziell in der Bildungspolitik (Educational Governance) eine gewisse Konjunktur zu erleben. Insbesondere bedeutet dies, dass verstärkt reflektiert wird, dass Politik auf unterschiedlichen Ebenen betrieben wird und dass sich auf jeder Ebene eine Vielzahl von Akteuren mit jeweils unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten tummeln. Während für die Kultur- und Jugendpolitik – wie oben erwähnt – diese Einbeziehung außerstaatlicher Akteure immer schon akzeptiert wurde, ist dies für die Bildungspolitik vergleichsweise neu. Allerdings muss man sehen, dass sich auch dort, wo man außerstaatliche Akteure, also etwa Organisationen der Zivilgesellschaft, als Mitdiskutanten und als Mitgestalter akzeptiert, sich möglicherweise die Zusammenstellung der relevanten Akteure ändert, was mit einer Veränderung der jeweiligen Einflussmöglichkeiten verbunden ist. Genau dies geschieht zurzeit im Bereich der kulturellen Bildung.

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Entwicklungen in der kulturellen Bildungspolitik: Zum vorliegenden Buch

Da dies von großer Bedeutung gerade für das in diesem Buch behandelte Problem einer Implementierung von Innovation in das Bildungssystem ist, lohnt es sich, den Ansatz der Educational Governance im Bereich der kulturellen Bildungspolitik zu analysieren. Dies geschieht in den drei Teilen des vorliegenden Buchs. So werden im ersten Teil eher grundsätzliche Fragen aufgegriffen: Detlef Sack informiert aus politikwissenschaftlicher Sicht über die entsprechenden fachlichen Diskurse des Governance-Ansatzes. Rudolf Künzli erinnert daran, dass nach wie vor der Lehrplan das entscheidende politische Gestaltungselement im Bereich der Schule ist. Esther Dominique Klein geht der Frage nach, wie Neues in die Schule kommt, wobei es nicht um Schulentwicklung, sondern um die systemische Ebene geht. Wolfgang Keim informiert darüber, dass es durchaus eine lange Tradition einer kulturellen Profilierung von Schule gibt, auch wenn man in den 1920erJahren diese Begrifflichkeit nicht verwendet hat. Max Fuchs wiederum ordnet den Begriff der Educational Governance in das Feld der bisherigen (kulturellen) Bildungspolitik ein. Im zweiten Teil dieses Buchs werden Verfahren, Instrumente und Akteure vorgestellt, die im Bereich der Bildungspolitik eine Rolle spielen. Neben traditionellen Akteuren wie der Kultusministerkonferenz (Matthias Rürup) werden die Aktivitäten der UNESCO (Christoph Wulf) und der Europäischen Union (Helle Becker) beleuchtet. Auch die Kommunen, die zwar als Träger von Schulen immer schon eine wichtige Rolle gespielt haben, wollen in den letzten Jahren verstärkt auch in inhaltlicher Hinsicht der Bildungspolitik mitwirken. Dies ist deswegen sinnvoll, weil viele Innovationen auf schulischer Ebene – etwa die Kooperation von Schulen mit außerschulischen Trägern – durch das Konzept einer kommunalen Bildungslandschaft erleichtert und auf Dauer gestellt werden können (Wilfried Lohre und Dorothea Minderop). Die Beiträge von Rupert Graf Strachwitz und Kerstin Hübner thematisieren die Rolle der Zivilgesellschaft als politische Akteure. Im Zuge einer evidenzbasierten Politik hat eine entsprechend ausgerichtete Erziehungswissenschaft eine neue Bedeutung für die politische Gestaltung gewonnen. Der Essener Erziehungswissenschaftler Hermann Josef Abs befasst sich daher mit den Möglichkeiten und Grenzen der Evaluation, womit zugleich eine weitere Möglichkeit einer Einflussnahme der Wissenschaft auf die Politik beschrieben wird.

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Die wichtige Rolle der Öffentlichkeit bei der gesamten politischen Gestaltung wurde oben schon angesprochen. Insbesondere erfahren immer wieder bestimmte bildungspolitische Themen (etwa dann, wenn es um die Struktur des Bildungswesens geht) ein verstärktes öffentliches Interesse. Mit derartigen Fragen setzt sich der Beitrag von Reinhard Kahl auseinander. In einem dritten Teil steht das Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ im Mittelpunkt. Dieses Programm ist das größte und ambitionierte Schulentwicklungsprogramm im Bereich der kulturellen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Wie in den beiden Vorworten erwähnt wird, geht es dabei darum, das Menschenrecht auf kulturelle Bildung für alle Kinder und Jugendliche besser durchzusetzen, als das bislang der Fall ist. Schulen sollen eine Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern bzw. mit außerschulischen Kultureinrichtungen eingehen und sich auf diese Weise ein kulturelles Profil erarbeiten. Von den fünf beteiligten Bundesländern haben drei Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Baden-Württemberg) einen Bericht zur Verfügung gestellt, der darüber informiert, welche Rolle das Kulturagenten-Programm in der jeweiligen Länderpolitik spielt und welche Maßnahmen ergriffen werden, um dieses Programm nicht nur fortzusetzen, sondern in das jeweilige Bildungssystem zu implementieren. Das Programm konnte nur dadurch zustande kommen, dass sich die Stiftung Mercator und die Kulturstiftung des Bundes zusammengetan haben. Die Ziele und Interessen der beiden Stiftungen werden in diesem Teil ebenfalls vorgestellt. Weitere Akteure in diesem Programm sind auf der Ebene der Umsetzung in den Ländern die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung. Entsprechende Beiträge informieren über das Selbstverständnis der beiden Organisationen und ihre Perspektiven im Hinblick auf die Implementierung der Ergebnisse. Tom Braun beschließt das Buch mit Überlegungen darüber, welche Rolle die Analysen und Impulse des vorliegenden Buchs für die Zukunft spielen. Literatur Ackeren, Isabell van/Klemm, Klaus (2011): Entstehung, Struktur und Steuerung des deutschen Schulsystems. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fend, Helmut (2006): Schule gestalten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fuchs, Max (1998): Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Fuchs, Max (2007): Kulturpolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fuchs, Max (2011): Leitformeln und Slogans in der Kulturpolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Geis, Max E. (1990): Kulturstaat und kulturelle Freiheit. Baden-Baden: Nomos.

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Gerhardt, Volker (2007): Partizipation. Das Prinzip der Politik. München: Beck. Gerhardt, Volker (2012): Öffentlichkeit. Die politische Form des Bewußtseins. München: Beck. Habermas, Jürgen (1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Hellekamps, Stephanie/Plöger, Wilfried/Wittenbruch, Wilhelm (Hrsg.) (2011): Schule. Paderborn: Schöningh. Herrlitz, Hans-Georg/Hopf Wulf/Titze, Hartmut (1993): Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart. Weinheim/Basel: Juventa. Plessner, Helmut (1974): Die verspätete Nation. Frankfurt a. M.: Fischer. Reinhard, Wolfgang (1999): Geschichte der Staatsgewalt. München: Beck. Ruep, Margret (2011): Bildungspolitische Trends und Perspektiven. Hohengehren: Schneider. Scheytt, Oliver (2008): Kulturstaat Deutschland. Bielefeld: transcript. Wagner, Bernd (2009): Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Bonn/Essen: Klartext.

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Teil 1 Grundlagen

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Der Governance-Ansatz in der Politikwissenschaft und Educational Governance Detlef Sack

In dem Aufgabenfeld der Bildung ist der Begriff der Educational Governance seit einigen Jahren en vogue (Maag Merki/Langer/Altrichter 2014; van Ackeren et al. 2015: 118 f.). Damit wiederholt sich hier eine Entwicklung, die etwa auch in der Sicherheits-, der Wirtschafts-, der Energie- oder der Arbeitsmarktpolitik stattgefunden hat. Es ist von Governance die Rede. Sofern es sich nicht schlichtweg um eine begriffliche Mode handelt, transportiert der Begriff eine bestimmte Beobachtung, die in unterschiedlichen Aufgabenfeldern gemacht werden kann (Benz 2004; Benz/Lütz/Schimank 2007): Eine Steuerung durch den Staat (als dem Zentrum von Regulierung und Güterallokation) wurde abgelöst durch eine gewisse Vielfalt von Arten der Handlungskoordination und gesellschaftlichen Akteuren, die an der Regulierung, Leistungserbringung und Mittelverteilung in einem Aufgabenfeld beteiligt sind. Für die Bildung heißt das beispielsweise, dass eine verstärkte Aufmerksamkeit veränderter Steuerung und Ressourcenallokation gewidmet wird. Dazu gehören so unterschiedliche Entwicklungen wie etwa die Gewährung von Schulautonomie und -profilierung, die Einführung des Zentralabiturs und der Ganztagsschule oder auch Benchmarking zwischen Schulen. Neben der Landesbildungspolitik und Ministerialbürokratie, den Lehrerinnen und Lehrern (wie auch ihren Verbänden), den Eltern(-beiräten) und den Schülerinnen und Schülern (und den Schülervertretungen) kommen weitere Akteure ins Spiel. Dazu gehören etwa Kulturinitiativen und Sportvereine bei der Gestaltung von Ganztagschulangeboten. Dazu gehören Stiftungen, die besondere Modellversuche an Schulen vorantreiben und verankern wollen. Und dazu gehören die Wirtschaftskammern, die eine engere Verbindung zwischen Schulen und Betrieben anstreben. Hinsichtlich der „Hardware“ der Schulen, nämlich ihrer (teils deutlich sanierungsbedürftigen) Gebäude, kommen mit Unternehmen, die Schulen im Auftrag der Schulträger sanieren und/oder erstellen und über einen langen Zeitraum (je nach Vertrag bis zu

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25 Jahren) betreiben, weitere Akteure hinzu, die auf die Schulentwicklung Einfluss nehmen (können). Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob dieses erweiterte Portfolio von Handlungskoordination und Akteuren mehr ist als das Beiwerk einer etablierten, mit der Macht zur Regulierung und Finanzmittelverteilung ausgestatteten Ministerialbürokratie in der Bildungspolitik. Dieser Streit aber, wenn er denn informiert ausgetragen werden soll, führt dazu, die realen Weisen der Handlungskoordination und die jeweilige Stellung der beteiligten Akteure zu untersuchen. Damit wird der Schritt in die analytische Governance-Forschung vollzogen. Es sind das Ziel und die Aufgabenstellung dieses Artikels, in die unterschiedlichen Varianten der Governance-Forschung einzuführen. Dabei ist zwischen einer normativen Perspektive des Good Governance (Dolzer 2007; Nuscheler 2009) als strategischem Konzept aufmerksam von analytischen Governance-Studien (Benz/Lütz/Schimank 2007; Benz/Dose 2010; Sack 2013) zu unterscheiden. Nach einer Klärung der Governance-Ansätze werden die analytischen Governance-Studien kritisch gewürdigt. Es ist das Anliegen des Beitrags, deren Fruchtbarkeit für Analytikerinnen und Analytiker wie auch für Praktikerinnen und Praktiker auszuweisen. Dabei werden auch die Grenzen des analytischen Ansatzes markiert.

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Die Governance-Perspektiven in der Politik(-wissenschaft)

In der knapp 20-jährigen Geschichte der Governance-Debatte wurden bereits einige Überblicksdarstellungen produziert (z. B. Christensen/Sørensen/ Torfing 2003; von Blumenthal 2014; Levi-Faur 2014). Als eine gängige Form der Übersicht zu den unterschiedlichen Begriffsverwendungen und den dahinterliegenden Konzepten hat sich die Aufzählung und Erläuterung wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Verwendungen des GovernanceBegriffs etabliert, zum Beispiel von Global Governance, von Corporate Governance oder von Good Governance (Rhodes 2000; Benz/Dose 2010). In anderen Überblicksdarstellungen werden Governance-Beiträge danach unterschieden, ob sie normativ oder analytisch orientiert sind oder ob sie einen eher engen oder weiten Begriff von Governance haben (Botzem 2002; Sack 2013; von Blumenthal 2005, 2014). Mit meinem folgenden Systematisierungsvorschlag schließe ich an derartige Darstellungen an. Das erste Unterscheidungskriterium ist demnach, ob Governance als etwas Gutes und Anstrebenswertes, also als eine vorzugswürdige Form der Gestaltung und Umsetzung von (Schul-)Politik angesehen wird. Der Blick richtet sich auf das „Sollen“ des Regierens. Dem steht (natürlich nicht immer in Rein27

form) das Erkenntnisinteresse gegenüber, sich analytisch mit den Funktionsweisen und den Effekten von Regierungstätigkeit zu befassen. Es geht hier also um das „Sein“ des Regierens. Das zweite Unterscheidungskriterium bezieht sich auf die Reichweite des Blicks. So kann etwa lediglich die Koordination und Kooperation zwischen Akteuren (in der Bildungspolitik) in den Fokus genommen werden. Es geht dann um die Propagierung oder Analyse von eng und lose gekoppelten Netzwerken. Ein gutes, analytisch angelegtes Beispiel im Rahmen der Debatte um Educational Governance ist das folgende Zitat: „Dabei meint Governance die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den unterschiedliche, kontroverse Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann.“ (van Ackeren et al. 2015: 119)

Deutlich wird hier, dass sich der Blick auf Formen der Zusammenarbeit richtet und von Interessenausgleich die Rede ist (mithin der Konflikt ins Hintertreffen gerät). Ein solches Verständnis von Educational Governance ist keineswegs zwingend, wie ein anderes Beispiel aus der Diskussion zeigt: „Im Zentrum [von Educational Governance, D. S.] steht die Analyse des Zustandekommens, der Aufrechterhaltung und der Transformation sozialer Ordnungen und Leistungen im Bildungswesen unter der Perspektive der Handlungskoordination zwischen verschiedenen Akteuren in und zwischen verschiedenen Ebenen im Mehrebenensystem.“ (Maag Merki/Langer/Altrichter 2014: 11)

Hier geht es somit eher um das Zusammenwirken unterschiedlicher Weisen der Handlungskoordination, die nicht zwingend auf Zusammenarbeit beschränkt sein müssen. Akteure können auch im Wettbewerb konkurrieren oder hierarchischen Anweisungen Folge leisten. Überdies wird von einer Mehrebenenstruktur gesprochen. Netzwerk/Kooperation

Vielfalt von Weisen der Interaktionsstrukturierung

Normativ

 Partnerschaften,  öffentlich-private Zusammenarbeit,  Dialogformen, Mediationen etc.

 Good Governance,  Selbstverpflichtungen, z. B. Corporate Governance Codex,  Benchmarking und Good Practices

Analytisch

 Funktionsweisen und Effekte von sektorübergreifenden Netzwerken

 Funktionsweisen und Effekte von Dialog, Verhandlung, Gemeinschaft, Wettbewerb und Hierarchie

Tab. 1: Stränge der Governance-Debatte

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1.1

Governance als strategisches Programm

Nimmt man die beiden Unterscheidungskriterien zum Ausgangspunkt, dann sind vier Stränge der Governance-Debatte zu identifizieren. Zunächst wird Governance als Programm der Politik verstanden. Dieses Programm kann sich zunächst – in einer schmalen Variante – darauf beziehen, dass die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Akteuren propagiert wird. Es werden hier Kooperationen zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft angestrebt. Im britischen Kontext hat sich besonders in der Regierungszeit von New Labour (1997 bis 2010) der Begriff der Partnerships durchgesetzt. Als Partner oder Stakeholder galten und gelten ein variables Set von Akteuren, die von lokalen und regionalen Angelegenheiten betroffen sind und deshalb einbezogen werden sollen. Der Begriff der öffentlich-privaten Partnerschaft hat auch in Deutschland Einzug gehalten (Sack 2009). Er steht aber mitnichten exklusiv für die Vielfalt von Netzwerken, Mediationen, Dialogforen, Entwicklungskonferenzen und anderes mehr, denen allen eigen ist, dass eine Beteiligung und Zusammenarbeit verschiedener Akteure angestrebt wird (Abels/Bora 2004). Warum soll eine solche Zusammenarbeit und Kooperation der wichtigen Stakeholder aus Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erfolgen? Dafür lassen sich drei Gründe ausweisen. Erstens gibt es das demokratiepolitische Postulat, diejenigen, die von einer Entscheidung betroffen sind, auch an dieser zu beteiligen und mitwirken zu lassen. Besonderes Augenmerk gilt dabei auch den eher benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen (Fischer 2003: 205–220). Zweitens ist das Motiv festzustellen, die unterschiedlichen Ressourcen von Akteuren zu bündeln. Hierbei geht es nicht allein um materielle Ressourcen, sondern ganz maßgeblich um den Austausch von (in der Gesellschaft verteiltem) Wissen und dessen Kombination. Bessere Problemlösung durch Dialog ist hier die Devise. Drittens wird angestrebt, durch die Einbindung von Entscheidungsbetroffenen die Akzeptanz für die jeweilige Maßnahme zu steigern und etwa öffentlichen Protest und langwierige Rechtsauseinandersetzungen zu vermeiden (Walk 2011). Kritisch wird dieser Variante eines Governance-Programms entgegengehalten, dass solche Formen der Beteiligung und Kooperation lediglich die letzten Stufen andernorts getroffener Vor-Entscheidungen sind, kaum etwas ausrichten können und lediglich ein post-demokratisches Placebo sind. Aus der kritischen politischen Bildung wird zudem eingewandt, dass es auch ein Recht geben müsse, sich nicht zu beteiligen (Hedtke/Zimenkova 2013). Die zweite Variante des normativen Governance-Programms oder von Governance als Politik rankt sich um den Begriff der Good Governance im Sinne der guten Regierungsführung. Die Domäne dieser Debatte ist die Entwicklungspolitik durch internationale Organisationen, allen voran der Weltbank. 29