NT-Proseminar Leitung: Jens Börstinghaus WS 2016/17; Dienstag 12–14 Uhr Protokoll: Anna Hahn

Protokoll der 11. Sitzung vom 17. Januar 2017 Verlesung des Protokolls Anmerkung zur Formatierung von Word zu PDF: Schriftarten einbetten! Eine schönere Version des Protokolls der 10. Sitzung ist durch erneuten Ausdruck des Protokolls von der Homepage aus möglich.

Organisatorisches Themenausgabe für die, die eine Arbeit schreiben. Entscheidungsfrage fürs Plenum bezüglich der nächsten Sitzungen, da ein Rückstand im Ablaufplan festzustellen ist: Religionsgeschichtlicher Vergleich ausführlich und auf kurzen Einblick in Exegese eines Brieftextes verzichten oder schneller religionsgeschichtlicher Vergleich?  Meinungsbild durch Abstimmung: Mehrheit für Brieftext. Anmerkung von studentischer Seite, dass E-Mail-Adresse bzw. persönliche Daten auf der Homepage frei zugänglich sind. Der Bitte um Änderung wurde nachgekommen für diejenigen, die es stört.

Gattungen Kurze Wiedergabe der wichtigsten Informationen des Hausaufgabenblattes „Gattungen Allgemein“: -

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Jede Gattung hat bestimmte Merkmale, die eine Unterscheidung ermöglichen Bestimmung der Gattung wichtig, um Textaussage besser zu erfassen und Abgrenzung zu anderen Gattungen vollziehen zu können Aussage des Textes auch in Form (nicht nur Inhalt) Form hat Einfluss auf Rezeption/Leserlenkung Gattungswissen im Alltagsleben selbstverständlich, Rezeptionshaltung wird automatisch eingestellt Bei Beschäftigung mit Texten des frühen Christentums Gattungswissen nicht selbstverständlich, da nicht vertraut  Aufgabe: künstlich Gattungswissen erarbeiten Letztes Beispiel der Todesanzeigen aus Methodenbuch von Ebner/Heininger, Auffälligkeit: Form und Inhalt fallen auseinander, aber bekannte Form hat Einfluss auf Aussage und Rezeption

Bultmanns Ansatz in der Formgeschichte Bultmanns Einteilung der synoptischen Stoffe: Wortüberlieferung Apophthegmata a. Streit- und Schulgespräche b. Biografische Apophthegmata Herrenworte a. Logien 1. Grundsätze 2. Mahnworte 3. Fragen b. Prophetische und apokalyptische Worte c. Gesetzesworte und Gemeinderegeln d. Ich-Worte e. Gleichnisse

Erzählüberlieferung Wundergeschichten Geschichtserzählung und Legende

Anmerkungen: -

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Berger benutzt statt „Apophthegma“ den Begriff „Chrie“. Dieser Begriff knüpft mehr an philosophische Traditionen an. Beide Bezeichnungen benennen kleine Erzählungen, deren Kern ein Ausspruch eines berühmten Mannes ist. Der Begriff „Apophthegma“ soll gemerkt und richtig betont werden. Auch die korrekte Pluralbildung (Apophthegmata) ist relevant. In diesem Seminar liegt der Fokus auf den Apophthegmata. Wundergeschichten werden nur kurz angerissen werden.

Bezug zu Mk 2,23-28: -

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Unser Text wird zu dem Bereich der Wortüberlieferung gezählt, da Bultmann die These aufstellt, dass Mk 2,23-28 ein selbständig überliefertes Wort Jesu darstellt, dessen Erzählrahmen erst durch die Gemeinde hinzugefügt wurde bzw. es sich um eine „Mini-Erzählung“ (Börstinghaus) ohne eigenen erzählerischen Rang handelt. Zuordnung zu dem Bereich der Apophthegmata.

Diskussion bezüglich Bultmanns Ansatz Frage: Wie stellt sich Bultmann die Entstehung der „Mini-Erzählungen“/Apophthegmata vor? 1. Möglichkeit: Szene und Wort zusammen entstanden  einheitlich. 2. Möglichkeit: zuerst isoliert überliefertes Wort, dann passende Szene „erfunden“  sekundäre Bildung. 3. Möglichkeit: weitere Ergänzung passend zu Szenerie und Wort.

 Grafik dazu auf Seite 21 des Handouts „Formgeschichte I“ kann eventuell zum Verständnis beitragen, muss aber richtig entschlüsselt werden Frage zu Möglichkeit 1: Wie können Szene und Wort zusammen entstehen? Werden Worte dann erfunden und Jesus zugeschrieben? Lösungsversuche:  Erzählung geht auf ein tatsächliches Ereignis zurück, sodass Wort und Szene realistisch wären o Anmerkung durch Herrn Börstinghaus: Bultmann ist der Meinung, dass die Texte in ihrer Zusammenstellung ganz und gar Gemeindebildung sind, sodass sie keinen validen historischen Bezug haben, sondern in der frühen Gemeinde für bestimmte Zwecke entstanden sind  Texte nach 1. Möglichkeit Erfindungen der Gemeinde zur Verdeutlichung einer Idee.  Erzählungen gehen auf einen historischer Umstand zurück, die Essenz davon wurde vom Autor zusammengefasst, d.h. die Überlieferung bietet Material, der Autor spinnt Geschichte um Essenz. Frage: Wie argumentiert Bultmann, dass es sich nicht um historischen Jesus handelt?  Einschränkung des Diskussionsbereichs: unhistorische Entstehung nur zutreffend für Apophthegmata (im Gegensatz zu Geschichtserzählung und Legende mit historischen Bezügen),  Bultmanns Argumentation: Künstlichkeit und Schemahaftigkeit der Erzählung (Bezug auf Mk 2,23-28: Gegner ploppen auf, Erzählung schafft nur „Podest“ für Jesu Worte) Gegenargument: Erzählung könnte doch historisch sein und nur theologisch bearbeitet bzw. durch Überlieferung verändert  auch Bultmann-Kritiker bemängeln, dass Bultmann selbst zu schematisch und künstlich vorgehe Feststellung: Trotz Schema und Künstlichkeit: eventuell historische Reminiszenzen (z.B. Szene vorher: Speisen mit Zöllner scheint in Anknüpfung mit Überlieferung zu sein, ähnliches Motiv kommt immer wieder vor). Frage zu Möglichkeit 2: Gibt es Schriftfunde von selbständigen Logien ohne geschichtliche Rahmung, die die Basis von Möglichkeit 2 beweisen?  Q-Sprüche bei Lk, die z.T bei Mt als Erweiterung oder in Kompositionen benutzt werden (Möglichkeit 3).  Problem: keine Beweise für 2. Möglichkeit, Q auch nur imaginierte Größe, Befund: Einzellogien bei Lk; Mt macht damit etwas Neues.  Bei Möglichkeit 2: mündliche Überlieferung, nicht schriftlich festgehalten. Frage: War es damals üblich, einfach Rahmen dazu zu erfinden?  Zur Traditionsbewahrung wurden durchaus Mini-Erzählungen erfunden, um Aussprüche einer berühmten Person weiter zu erzählen.

Anmerkung von Herrn Börstinghaus: Für Bultmann war die Beobachtung der Künstlichkeit entscheidend. Der Faktor, dass es zunächst eine rein mündliche Überlieferung gab, die erst einige Jahre später verschriftlicht wurde, muss bedacht werden. Ein Mittel der mündlichen Überlieferung stellt das Apophthegma dar. Wichtig ist, dass bei der einheitlichen Komposition (1. Möglichkeit) Szene und Wort gemeinsam erfunden wurden, also keine ältere Tradition die Basis bildet. Die sekundäre Bildung ist durch ein älteres Wort fundiert, sodass hier die Möglichkeit besteht, dass das Wort aus einer älteren Tradition stammt und eventuell sogar vom historischen Jesus. Für Bultmann können also durch die mündliche Überlieferungsphase nur isoliert überliefertungsfähige Worte historische Worte sein. Traditionsgeschichte von Mk 2,23-28: Bultmann: -

Gattung: Wortüberlieferung, Apophthegma Szene und Schriftbeweis als einheitliche Komposition (Möglichkeit 1). Erweiterung durch älteres Wort V. 27 (Möglichkeit 3), d.h. V. 27 als erster Kern, isoliert überliefert. Beobachtung Bultmanns: Jesus wird gefragt nach Verhalten der Jünger  rechtfertigt; Übertragung: Jesus rechtfertigt Verhalten der Gemeinde.

Börstinghaus: - V. 27 als früheres Wort - V. 23-28 als Szene  Möglichkeit 2: Sekundäre Bildung Ein Problem wird von einem Seminarteilnehmer aufgezeigt: Wenn Mk 2,23-28 als Apophthegma nach Möglichkeit 2 entstanden ist, haben L. und Mt falsch gehandelt, indem sie die „Story“ überliefern, aber nicht das Wort.  Der „Blindfisch-Vorwurf“ ist jedoch zu radikal, da Mt und Lk nie Kontakt mit ursprünglichem Apophthegma, sondern nur mit erweiterter Fassung hatten, die bei Mk überliefert ist Kritik von Berger an Bultmann: Bultmann geht davon aus, dass es am Anfang eine „reine Form“ bestehend aus einer Szene und einer Antwort gab und rechnet immer mit einem Wachstumsprozess (d.h. wenn zwei Worte vorhanden sind ist es eine Erweiterung). Warum kann etwas nicht als Komposit erfunden werden? Fazit: genialer Entwurf Bultmanns, aber an vielen Punkten fraglich und kritikwürdig. Leseempfehlung bei Interesse an Kritik an Bultmann: Klaus Berger: mehrere Veröffentlichungen zur Formgeschichte; Die Geschichte der synoptischen Tradition (eine der neusten Auflagen)  Nachwort von Gerd Theissen.

Hausaufgabe (1) Studieren Sie die Arbeitsblätter zum religionsgeschichtlichen Vergleich (a) Zum ersten Blatt: Welche Relevanz haben die gebotenen Vergleichsstellen? Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede lassen sich zwischen den beiden rabbinischen Stellen und Mk 2,27 erheben? Wie ist das Verhältnis beider Vorkommen zu bestimmen? Was ergibt sich daraus für das Verständnis von Mk 2,27 und unserer Perikope insgesamt? (b) Zum zweiten Blatt: Wie sind die Heilungsinschriften von der Tiberinsel in ihrer Form und Wirkabsicht einzuschätzen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Verständnis neutestamentlicher Wundergeschichten? Berücksichtigen Sie bei Ihren Überlegungen auch und gerade Mk 8,22–26 sowie Joh 9,6f.!