Prof. Dr. iur. Anne Peters

Prof. Dr. iur. Anne Peters Universität Basel University of Basel Geboren 1964. Anne Peters studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Würzbur...
Author: Nadine Fuchs
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Prof. Dr. iur. Anne Peters Universität Basel University of Basel Geboren 1964. Anne Peters studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Würzburg, Lausanne und Freiburg i.Br. Der Promotion im November 1994 folgte ein Graduiertenstudium an der Harvard Law School. Im Dezember 2000 habilitierte Anne Peters an der Universität Kiel mit der Habilitationsschrift «Elemente einer Theorie der Verfassung Europas». Im Februar 2001 wurde sie zur Professorin für Völker- und Staatrecht an der Universität Basel als Nachfolge von Luzius Wildhaber gewählt. Zwischen 2004 und 2005 war sie Dekanin der juristischen Fakultät, seit 2004 ist sie Vorstandsmitglied der European Society for International Law und seit 2008 Mitglied des Nationalen Forschungsrates der Schweiz (Abteilung Geistes- und Sozialwissenschaften). Anne Peters lehrt und forscht hauptsächlich in den Bereichen Völkerrecht, Europarecht, schweizerisches Staatsrecht und Menschenrechte.

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Expertenpanel: Gibt es ein Menschenrecht auf saubere Umwelt? Menschenrechte und Umweltschutz: Zur Synergie völkerrechtlicher Teilregime ANNE PETERS

Gewährleistet das geltende Völkerrecht ein Menschenrecht auf saubere Umwelt? Wenn nicht, sollte ein solches Menschenrecht in international verbindlichen Rechtstexten verbrieft werden? Würde ein explizites Menschenrecht auf saubere Umwelt die internationale Rechtsstellung des Menschen substantiell verbessern? Wäre dem Umweltschutz damit gedient? Diesen Fragen geht der folgende Beitrag nach.

I.

Ökologische Menschenrechte

Auf der internationalen Ebene knüpfen die Staatenpraxis und die Rechtsprechung den Umweltschutz an gewisse Menschenrechte an. Diese umweltrelevanten Menschenrechte kann man in fünf Gruppen einteilen: Es sind Menschenrechte der so genannten ersten Dimension (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Privat- und Familienleben); Menschenrechte der so genannten zweiten Dimension (Gesundheitsschutz, gesunde Arbeitsbedingungen, Recht auf Nahrung, Recht auf sauberes Wasser und auf Abwasser); kollektive Menschenrechte der so genannten dritten Dimension, die ein Kollektivrecht auf eine saubere Umwelt einschliessen könnten; viertens Minderheitenrechte und Rechte indigener Völker (u. a. auf Nutzung von Land und Ressourcen) als Quelle von Ansprüchen auf Umweltschutz und schliesslich umweltbezogene Verfahrensrechte. Im Folgenden gebe ich einen kurzen Überblick über die einschlägigen völkerrechtlichen Kodifikationen und die Rechtsprechung.

1.

Regionale Kodifikationen eines kollektiven Menschenrechts auf saubere Umwelt

In den 1980er Jahren wurden, vor dem Hintergrund der Entwicklungsproblematik, in regionalen Menschenrechtsdokumenten in Afrika und in Lateinamerika spezifische Menschenrechte auf eine gute Umwelt normiert. Art. 24 der Afrikanischen Menschenrechtscharta legt ein Kollektivrecht «aller Völker»

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auf eine zufriedenstellende Umwelt nieder.1 Im Jahr 1996 erhoben zwei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erstmals auf der Grundlage von Art. 24 der Banjul-Charta bei der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker Beschwerde gegen Nigeria.2 Sie warfen der nigerianischen Militärregierung vor, durch eine direkte Beteiligung an der Erdölförderung in Zusammenarbeit mit dem Shell-Konsortium im OgoniGebiet die Umwelt derart geschädigt zu haben, dass die eingeborene OgoniBevölkerung Gesundheitsprobleme bekam. In ihrem Bericht von 2002 stellte die Afrikanische Menschenrechtskommission fest, dass Nigeria Art. 24 der Banjul-Charta verletzt habe.3 Sie forderte den Staat auf, zum Schutz der Umwelt im Ogoni-Land unabhängigen Ermittlern freien Zugang zum Gebiet zu gewährleisten, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sowie Umweltinformationen zu veröffentlichen. Das Protokoll von San Salvador zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) von 1989 statuiert für jeden Menschen das Recht, in einer sauberen Umwelt zu leben.4 Dieses Protokoll wurde jedoch von nur 14 der 34 Mitgliedstaaten der AMRK ratifiziert. Dementsprechend wurden in umweltbezogenen Menschenrechtsverfahren im Rahmen des Interamerikanischen Menschenrechtssystems vorrangig andere Menschenrechte aktiviert.5 Obwohl die Afrikanische Menschenrechtskommission im Ogoni-Land-Fall betonte, dass alle Rechte aus der Afrikanischen Menschenrechtscharta effektiv gemacht werden könnten, ist die juristische Operationalität eines Kollektivrechts auf eine zufriedenstellende Umwelt zweifelhaft.

2.

Umweltschutz über liberale Abwehrrechte

Anders als auf der regionalen Ebene hat in universellen, verbindlichen Menschenrechtsdokumenten ein spezifisches kollektives oder gar individuelles Menschenrecht auf eine saubere Umwelt keinen Eingang gefunden. Stattdessen wurde, insbesondere in Europa, das Anliegen des Umweltschutzes vorwiegend durch eine Anbindung an andere Menschenrechte verfolgt. Hierfür wurden zunächst die in Frage kommenden liberalen Abwehrrechte ökologisch

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Banjul-Charta Art. 24: «Alle Völker haben das Recht auf eine Umwelt, die insgesamt zufriedenstellend und ihrer Entwicklung günstig ist.» Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker, Mitteilung 155/96 31-44. Ebd., Rdn. 50 ff. Art. 11 des Zusatzprotokolls auf dem Gebiet der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte 161. Einschlägige Vorschriften in der Amerikanischen Menschenrechtserklärung von 1948 sind Art. I (Recht auf Leben und persönliche Freiheit und Sicherheit); Art. VIII (Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit); Art. XI (Recht auf Gesundheit).

Gibt es ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt?

ausgelegt, insbesondere das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Recht auf ein ungestörtes Privat- und Familienleben. a)

Ökologische Auslegung des Rechts auf Privat- und Familienleben durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Zur ökologischen Dimension der Rechte auf körperliche Unversehrtheit und auf ein ungestörtes Privat- und Familienleben nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gibt es seit den 1990er Jahren eine reiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).6 Vielfach wurden Mitgliedstaaten wegen Menschenrechtsverletzungen durch Umweltverschmutzung verurteilt. So bejahte der EGMR Verstösse gegen die EMRK in Situationen, in denen Müllkippen oder Minen in der Nähe von Wohnhäusern unterhalten wurden. Durch die Genehmigung solcher Anlagen, die giftige oder stinkende Emissionen erzeugen, verletzten Konventionsstaaten das Recht der Anwohner auf ungestörtes Privat- und Familienleben (Art. 8 EMRK).7 Auch ohne eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung kann eine Menschenrechtsverletzung begangen werden.8 Schliesslich kann die Nichteinhaltung von Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung zu einer Menschenrechtsverletzung führen.9 Im konkreten Fall Giacomelli ging es um die Rechte der Nachbarin einer Mülldeponie, auf der auch giftige Problemstoffe entsorgt wurden. Der EGMR hielt fest, dass vor Erteilung der Betriebsbewilligung für die Mülldeponie eine Umweltverträglichkeitsprüfung hätte vorgenommen werden müssen. Dadurch, dass die gefährliche Deponie während mehrere Jahre 30 Meter vor dem Haus der Beschwerdeführerin ohne entsprechende Prüfung in Betrieb war, war das Recht der Beschwerdeführerin auf Respektierung ihres Heims, ihrer Privatsphäre und ihres Familienlebens (Art. 8 EMRK) verletzt worden. b)

Die ökologische Dimension des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit

Der EGMR hat Lärmbelästigung durch den Betrieb des Flughafen Heathrow als Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 EMRK) verurteilt.10 Auch auf der universellen Ebene ist das Recht auf Leben (Art. 6 Abs. 1 UN-Pakt II) ökologisch relevant geworden, insbesondere im Zusam6

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Hierzu grundlegend Schmidt-Radefeldt, Menschenrechte; siehe auch Peters, Einführung, 201-212. EGMR, Lòpez Ostra v. Spain, Nr. 16798/90, Urteil vom 9. Dezember 1994; EGMR, Guerra et al. v. Italy, Nr. 116/1996/735/932, Urteil vom 19. Februar 1998; EGMR, Taskin et al. v. Turkey, Nr. 46117/99, Urteil vom 10. November 2004; endgültig am 30. März 2005. EGMR, Taskin et al. v. Turkey, Nr. 46117/99, Urteil vom 10. November 2004; endgültig am 30. März 2005, Rdn. 113. EGMR, Giacomelli v. Italien, Nr. 59909/00, Urteil vom 2. November 2006. EGMR, Hatton v. United Kingdom, Nr. 36022/97, Urteil vom 8. Juli 2003.

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menhang mit Nukleartests und nuklearen oder toxischen Abfällen. Schon in den 1980er Jahren hatten sich Anrainer einer Nuklearabfalldeponie in Kanada beim UN-Menschenrechtsausschuss beschwert und die Bedrohung des Lebens der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen von Anwohnern geltend gemacht. Der Menschenrechtsausschuss hielt fest, dass die Situation die Frage nach der staatlichen Pflicht zum Schutz des Lebens aufwerfe. Mangels Rechtswegerschöpfung war die Beschwerde jedoch unzulässig.11 In den 1990er Jahren beschwerten sich Einwohner von Tahiti gegen unterirdische Nukleartests auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik (französisch Polynesien) und machten unter anderem eine Bedrohung ihres Rechts auf Leben (Art. 6 Abs. 1 UN-Pakt II) geltend. Sie konnten jedoch die drohende Verletzung ihrer Rechte nicht nachweisen. Weil der Ausschuss ihnen die Beweislast für die Gefährlichkeit der Tests auferlegte, dieser Beweis jedoch mangels wissenschaftlicher Gewissheit nicht erbracht werden konnte, lehnte der Menschenrechtsausschuss seine Zuständigkeit ab.12 Im Bereich des Abfalltransports ist der Zusammenhang zwischen Umwelt und Menschenrechten offensichtlich. Ein UN-Sonderberichterstatter zum Thema «Nachteilige Auswirkungen der illegalen Verbringung und Ablagerung von giftigen und gefährlichen Abfällen und Stoffen für den Genuss der Menschenrechte» ist unter anderem damit beauftragt, Informationen über die Verletzung oder Tötung von Menschen durch illegale Abfalltransporte zu sammeln.13 Mehrere Berichte, zuletzt im Jahr 2008, thematisieren toxische und offenbar gesundheitsgefährdende Abfälle in Indien,14 Mexiko15 und Französisch-Guayana.16 11

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UN-Menschenrechtsausschuss, E.H.P. v. Canada, Mitteilung Nr. 67/1980, UN-Doc. CCPR/C/OP/1, 20 (1984), Zulässigkeitsentscheidung vom 27. Oktober 1982. UN-Menschenrechtsausschuss, Bordes and Temeharo v. France, Mitteilung Nr. 645/1995, UN-Doc. CCPR/C/57/D/645/1995, Zulässigkeitsentscheidung vom 22. Juli 1996. «Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on the adverse effects of the illicit movement and dumping of toxic and dangerous products and wastes on the enjoyment of human rights». Das Mandat wurde mit Resolution 1995/81 der damaligen UNMenschenrechtskommission eingerichtet und seither vier Mal verlängert (Resolutionen 1998/12, 2001/35 und 2004/17 der UN-Menschenrechtskommission sowie Entscheidung 2006/102 des UN-Menschenrechtsrats). Amtsinhaberin war von 1995-2004 Fatma Zohra Ouhachi-Vesely (Algerien); seit 2004 Okechukwu Ibeanu (Nigeria). In der stillgelegten Pestizidfabrik der Union Carbide India Ltd. in Bhopal, Indien verseuchten Abfälle offenbar die städtische Wasserversorgung und führten bei den Einwohnern zu Symptomen wie Magen- und Kopfschmerzen sowie Anämie und gynäkologischen Problemen. Bericht des Sonderberichterstatters Okechukwu Ibeanu vom 8. Dezember 2004, Case 2004/79 – India (UN-Doc. E/CN.4/2005/45/Add.1). Siehe zu Gesundheitsproblemen bei Angehörigen des Yaqui-Stammes in Mexico, die offenbar durch Pestizide verursacht wurden, den Bericht des Sonderberichterstatters Okechukwu Ibeanu vom 27. März 2006, Case 2004/76 – Mexico (UN-Doc. E/CN.4/2006/42/Add.1). Siehe die Hinweise auf angebliche illegale Aktivitäten von Goldwäschern in der Gemeinde Maripasoula in Französisch-Guayana: Die Verschmutzung des Flusses Waki-Tampok mit

Gibt es ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt?

Der Schutzbereich des Rechts auf Leben wurde in neuerer Zeit ausgedehnt und umfasst mittlerweile auch den Schutz vor langfristigen und latenten Gefahren, die gegebenenfalls zum Verlust des Lebens und/oder zu sehr schweren Verletzungen der körperlichen Integrität führen. Dadurch konnten z. B. Schäden infolge der Bhopal- oder Tschernobyl-Katastrophen als Verletzung des Menschenrechts auf Leben erfasst werden. Ausserdem wird bei der Anwendung dieses Menschenrechts vermehrt die Frage der Lebensqualität berücksichtigt. So umfasst nach der Rechtsprechung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission das Recht auf Leben (Art. XI der Interamerikanischen Menschenrechtserklärung und Art. 4 AMRK) auch das Recht, in einer sicheren Umwelt zu leben. Es verpflichtet die Vertragsparteien der AMRK auch zur Prävention von Umweltschäden.17 Dennoch reicht das Recht auf Leben wegen seiner Hochschwelligkeit als Ansatzpunkt für die Bekämpfung von Umweltverschmutzung nicht aus.18

3.

Rechte indigener Völker

Die Rechte indigener Völker sind vielfältig ökologisch relevant. Die Indigenenerklärung der UN-Generalversammlung von 200719 enthält mehrere Rechte in Bezug auf die Umwelt, z. B. ein Recht auf Erhaltung der Heilpflanzen für traditionelle Arzneimittel (Art. 24), eine Vorschrift über die spirituelle Beziehung der Indigenen zum Land (Art. 25)20 sowie eine klare und eindeutige Vorschrift: «Indigene Völker haben das Recht auf die Erhaltung und den Schutz der Umwelt».21

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Quecksilber bewirkt eine Verseuchung der Fische und gesundheitliche Beeinträchtigungen der fischkonsumierenden Bewohner. Auch wurde eine erhöhte Zahl von Geburtsfehlern festgestellt. Bericht des Sonderberichterstatters Okechukwu Ibeanu vom 5. März 2008 (UN-Doc. A/HRC/7/21/Add.1). Siehe z. B. Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (OEA/Ser.L/V/II.96, doc. 10 rev. 1, 24. April 1997) Kap. VIII «The human rights situation of the inhabitants of the interior of Ecuador affected by development activities», S. 5. Link (zu gesamtem Bericht): http://www.cidh.oas.org/countryrep/ecuador-eng/index%20%20ecuador.htm Asia Pacific Forum, Rights 6. UN-Declaration on the Rights of Indigenous Peoples. Vgl. auch Art. 26: «Gebiete und Ressourcen». Art. 29: Erhaltung und Schutz der Umwelt: «1. Indigene Völker haben das Recht auf die Erhaltung und den Schutz der Umwelt und der Produktivität ihres Landes oder ihrer Gebiete und Ressourcen. Zu diesen Zwecken richten die Staaten ohne Diskriminierung Hilfsprogramme für indigene Völker ein und setzen diese um. 2. Die Staaten ergreifen wirksame Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ohne die freiwillige und in Kenntnis der Sachlage erteilte vorherige Zustimmung der indigenen Völker in deren Land oder deren Gebieten keine gefährlichen Stoffe gelagert oder entsorgt werden. 3. Die Staaten ergreifen außerdem nach Bedarf wirksame Maßnahmen, um die ordnungsgemäße Durchführung von Programmen zur Überwachung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der von diesen Stoffen betroffenen indigenen Völker zu gewährleisten, die von diesen Völkern entwickelt und durchgeführt werden.»

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Meist treten indigene Völker zumindest mittelbar als Naturschützer auf. Vielfach wenden sie sich unter Berufung auf ihre Rechte auf traditionelle Lebensführung und Schutz ihrer Kultur aus Art. 27 UN-Pakt II oder unter Berufung auf ihr Recht auf Leben, Gesundheit und Wohnraum gegen die Abholzung von Wäldern, die Ölförderung oder andere Ausbeutung von Naturschätzen. An den UN-Menschenrechtsausschuss gelangten mehrere umweltbezogene Beschwerden indigener Gruppen. So beschwerten sich samische Rentierzüchter gegen die Entscheidung der finnischen Forstbehörde, im traditionellen Gebiet der Sami die Gewinnung von Naturstein zu bewilligen.22 Der Menschenrechtsausschuss wog die staatlichen Ziele der Entwicklungs- und Wirtschaftförderung gegen die staatliche Pflicht zum Schutz der Minderheiten nach Art. 27 UN-Pakt II ab und gestand den Vertragsstaaten diesbezüglich keinen «margin of appreciation» zu. Massnahmen, die zur Verneinung des Rechts, die eigene Kultur zu leben, führten, sind nicht mit dem UN-Pakt II vereinbar. Massnahmen, die nur eine beschränkte Auswirkung auf Lebensstil der Minderheit haben, verletzen jedoch den Menschenrechtspakt nicht. Im Fall Länsman hinderte der Steinbruch die Sami nicht daran, ihr kulturelles Leben zu pflegen, so dass der Menschenrechtsausschuss eine Verletzung von Art. 27 verneinte. Kanadische Indianer (die Lubicon Lake Band)23 reichten Beschwerde gegen Kanada ein, um sich gegen irreparable Schäden zu wehren, die sich aus der Erdöl- und Erdgasförderung sowie Holzschlag im Lubicon Territorium ergaben. Die kumulativen Auswirkungen dieser Landnutzung zerstörten die Grundlage für die traditionelle Jagd und Fischerei der Minderheit. Nach Auffassung des Menschenrechtsausschusses verletzte Kanada Art. 27 des UNPaktes II, weil die weitreichende Enteignung des angestammten Territoriums dieser indigenen Minderheit im Interesse privater Öl- und Gaskonzerne deren traditionellen Lebensstil und Kultur bedrohte. Kanada wurde dazu verpflichtet, die Lubicon Lake Band für die historischen Ungerechtigkeiten auch finanziell zu entschädigen.24 Im April 2006 wies der Menschenrechtsausschuss in seinen abschliessenden Bemerkungen zum kanadischen Staatenbericht darauf hin, dass die Bedrohung des Lebensstils und der Kultur der Lubicon Lake Band andauere und die geforderten Informationen zur Überprüfung der weiteren Verletzung von Art. 27 sowie Art. 1 des UN-Paktes II von Kanada nicht beigebracht worden seien.25 Im Frühling 2007 reichte die Nichtre22

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UN-Menschenrechtsausschuss, Ilmari Länsman et al. v. Finland, Mitteilung Nr. 511/1992, UN-Doc. CCPR/C/52/D/511/1992 (1994), Auffassung vom 26. Oktober 1994. UN-Menschenrechtsausschuss, Chief Bernard Ominayak and the Lubicon Lake Band v. Canada, Mitteilung Nr. 167/1984, UN-Doc. CCPR/C/38/D/167/1984, Auffassung vom 10. Mai 1990. Die Verhandlungen über eine Entschädigung waren im Juni 2008 noch nicht abgeschlossen. Abschliessende Bemerkungen des Menschenrechtsausschusses vom 20. April 2006, Rdn. 9, UN-Doc. CCPR/C/CAN/CO/5.

Gibt es ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt?

gierungsorganisation «Lubicon Lake Indian Nation» eine Eingabe an den Ausschuss zur Beseitigung von Rassendiskriminierung ein.26 In dieser erhob sie den Vorwurf, Kanada verletze durch sein Verhalten das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, und insbesondere die Allgemeinen Empfehlungen des Ausschusses zu Indigenen Völker.27 In Südamerika haben sich die Interamerikanische Menschenrechtskommission und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte seit den 1980er Jahren wiederholt mit den Auswirkungen der Erdölförderung auf die überwiegend indigenen Bewohner des Amazonasbecken befasst und hier auch Massnahmen erlassen. Schon 1985 hatte die Interamerikanische Menschenrechtskommission eine Petition der Yanomami Indianer zu beurteilen, in der sich die Yanomami über die Genehmigung eines Autobahnbaus und die Zulassung der Ausbeutung des Regenwaldes im Amazonasgebiet beschwerten.28 In der Kommissionsentscheidung wurde das Recht auf Leben und Gesundheit jedoch nur implizit mit der Qualität der Umwelt verknüpft. Im Jahr 2005 wandten sich kanadische und amerikanische Inuit mit einem Gesuch um vorsorgliche Massnahmen an die Interamerikanische Menschenrechtskommission wegen Verletzung ihrer Menschenrechte infolge der globalen Erwärmung.29 Die Petenten brachten vor, dass die USA durch ihre Energiepolitik und als grösste Kohlendioxid-Verursacherin verschiedene, in der AMRK, den UN-Pakten I und II sowie der UN-Klima-Rahmenkonvention verankerte Menschenrechte der Inuit verletze. Die Kultur der Inuit sei von ihrer physischen Umgebung nicht zu trennen, und die durch den Klimawandel bewirkten Umweltveränderungen würden das Recht der Inuit, ihre Kultur zu leben, beeinträchtigen. 2006 wies die Interamerikanische Menschenrechtskommission die Petition ab, führte jedoch 2007 eine Anhörung zur Frage der Beziehung zwischen globaler Erwärmung und Menschenrechten durch. 26

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70. Sitzung des UN-Ausschusses zur Beseitigung von Rassendiskriminierung vom 19. Februar – 9. März 2007 in Genf, Eingabe der Lubicon Lake Indian Nation betr. die Nichtbefolgung Kanadas von UN-Menschenrechtsentscheidungen und der Allgemeinen Empfehlung Nr. 23 «Indigene Völker» des Ausschusses. Allgemeine Empfehlung Nr. 23: «Indigene Völker» vom 18. August 1997, UN-Doc. A/52/18, Annex V. Die Aktivitäten führten zu einem Zustrom von Nichteinheimischen. Die Zuzüger brachten ansteckende Krankheiten mit, welche mangels Medikamenten nicht behandelt werden konnten. Nach Auffassung der Menschenrechtskommission verletzte Brasilien damit die Rechte der Yanomami auf Leben, Freiheit und persönliche Sicherheit, das Recht auf Wohnung und Bewegungsfreiheit sowie das Recht auf Erhaltung der Gesundheit und des Wohlbefindens. Interamerikanische Kommission für Menschenrechte, Yanomami Community v. Brazil, Fall 7615 (Brazil), Entscheid vom 5. März 1985, INTER-AM.CH.R., 1984-1985 Annual Report 24, OEA/Ser.L/V/II.66, Doc. 10, rev. 1 (1985). Gesuch der «Inuit Circumpolar Conference» vom 7. Dezember 2005 an die Interamerikanische Menschenrechtskommission 267-300, insbes. 285-295.

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Ansprüche ethnischer Minderheiten oder eingeborener Völker können auch mit dem Umweltschutz in Konflikt geraten. Diese Konstellation lag einer Beschwerde neuseeländischer Maori im Zusammenhang mit Fischereirechten zugrunde.30 Der Fischfang ist ein Bestandteil der traditionellen Maori-Kultur. Die Maori forderten eine intensivere Ausbeutung des Meeres als nach einem neuen staatlichen Naturschutzplan über den Umgang mit den Meeresressourcen zulässig war. Im Ergebnis drangen die Maori mit ihrer Individualmitteilung an den Menschenrechtsausschuss nicht durch, da sie ausreichend am Verfahren der Aufstellung des restriktiven Schutzplans beteiligt gewesen waren. Der Menschenrechtsausschuss verneinte eine Verletzung von Minderheitenansprüchen. Die Ablehnung der Sonderrechte diente hier dem Schutz der Ressourcen. Die letztgenannte Konstellation dürfte der seltene Ausnahmefall sein. Normalerweise decken sich die Interessen indigener Gruppen am Erhalt ihrer traditionellen, typischerweise sehr naturverbundenen und wenig invasiven Lebensweise mit denen an einem intakten Ökosystem. Auf diese Weise sind Minderheiten- und Indigenenrechte wirksame Vehikel des Naturschutzes.

4.

Sozialrechte

Soziale Menschenrechte sind ein Einfallstor für die Durchsetzung von Umweltanliegen. Zentrale Bedeutung hat hier das Recht auf Gesundheit, normiert in Art. 12 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Pakt I): «Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit an.»31 Das Recht auf Gesundheit erstreckt sich auch auf den Schutz der zugrundeliegenden Bestimmungsfaktoren und Determinanten der Gesundheit.32 Zu diesen Determinanten gehören die Umweltbedingungen. Somit bildet das Recht auf Gesundheit ein wichtiges Bindeglied zwischen Menschenrechten und Umwelt. Seit Beginn dieses Jahrtausends wird zudem ein Menschenrecht auf Wasser diskutiert. Ein derartiges Recht ist nicht ausdrücklich in den Menschenrechtspakten niedergelegt. Es wird aber mittlerweile aus Art. 11 UN-Pakt I (Recht auf Ernährung) in Verbindung mit Art. 12 UN-Pakt I (Recht auf Gesundheit) 30

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UN-Menschenrechtsausschuss, Apirana Mahuika et al. v. New Zealand, Mitteilung Nr. 547/1993, UN-Doc. CCPR/C/70/D/547/1993 (2000). Vgl. bereits Art. 25 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung; Rio Deklaration Grundsatz 14. Siehe auch Art. 7 UN-Pakt I (sichere und gesunde Arbeitsbedingungen); Art. 10 Abs. 3 und Art. 24 lit. c) Kinderrechtskonvention (1989). Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 22. Sitzung (2000), Allgemeine Bemerkung Nr. 14: «The right to the highest attainable standard of health (Art. 12 Convenant)»: Para 4: «…the right to health (…) extends to the underlying determinants of health, such as food and nutrition, housing, access to safe and potable water and adequate sanitation, safe and healthy working conditions, and a healthy environment.»

Gibt es ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt?

herausgelesen. Zahlreiche Dokumente des UN-Sozialausschusses33 und des Sonderberichterstatters über die Realisierung des Rechts auf Trinkwasser und Abwasserversorgung34 deuten auf eine allgemeine Anerkennung eines solchen Rechts hin. Die UNESCO hat zusammen mit dem Grünen Kreuz Grundprinzipien für ein Rahmenabkommen über das Recht auf Wasser erarbeitet, in der ein Menschenrecht auf Wasser niedergelegt wird.35 Seit 2007 liegt ein Resolutionsentwurf des UN-Menschenrechtsrats zum Thema «Menschenrechte und fairer Zugang zu sicherem Trinkwasser und Abwasserversorgung» vor.36 Alle diese UN-Dokumente erkennen die enge Verbindung zwischen den Rechten auf Wasser und Abwasser, Gesundheit und Umwelt an.

5.

Verfahrensrechte

Schliesslich sind Verfahrensrechte für die Realisierung von Umweltanliegen geeignet. Umweltbezogene prozedurale Rechte werden insbesondere in der auf Europa beschränkten Aarhus-Konvention von 1998 niedergelegt.37 Dieses Übereinkommen sieht drei Blöcke prozeduraler Ansprüche für Einzelne und Umwelt-NGOs vor: Zugang zu Informationen, Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Die Schweiz hat die Konvention bisher wegen der landesinternen Kritik am Verbandsbeschwerderecht nicht ratifiziert. Rechte auf Information und Öffentlichkeitsbeteiligung statuiert auch das Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen von 1991 (Espoo-Übereinkommen).38 Dagegen kann aus dem Menschenrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 10 EMRK kein

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Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 29. Sitzung (2002), Allgemeine Bemerkung Nr. 15: «The right to water (Arts. 11 and 12 Convenant).» «Realization of the right to drinking water and sanitation», Bericht des Sonderberichterstatters El Hadji Guissé, UN-Doc. E/CN.4/Sub.2/2005/25 vom 11. Juli 2005. UNESCO & Green Cross International, Principles. UN-Menschenrechtsrat, 6. Sitzung vom 10.-28. September 2007 und vom 10.-14. Dezember 2007; Resolutionsentwurf: «Human rights and equitable access to safe drinking water and sanitation», UN-Doc. A/HRC/6/L.13 vom 21. September 2007. Die Aarhus-Konvention ist ein Übereinkommen der UNECE (UN-Economic Commission for Europe). Sie wurde am 25. Juni 1998 in der dänischen Stadt Aarhus unterzeichnet (auch von der Schweiz) und ist am 30. Oktober 2001 in Kraft getreten. Ratifikationsstand im Juni 2008: 41 Staaten. Das Übereinkommen wurde am 25. Februar 1991 in Espoo abgeschlossen und ist für die Schweiz am 10. September 1997 in Kraft getreten. Ratifikationsstand im Juni 2008: 41 Parteien. Art. 2 Abs. 6 des Übereinkommens bestimmt: «Entsprechend diesem Übereinkommen gibt die Ursprungspartei der Öffentlichkeit in den voraussichtlich betroffenen Gebieten Gelegenheit, bei den Vorhaben an den jeweiligen Verfahren zur UVP mitzuwirken, und stellt sicher, dass die Öffentlichkeit der betroffenen Partei die gleiche Gelegenheit hierzu erhält wie die Öffentlichkeit der Ursprungspartei.»

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allgemeiner menschenrechtlicher Anspruch auf Umweltinformation abgeleitet werden.39 Die prozedurale Strategie ist in Europa am intensivsten verfolgt worden und hier wohl am stärksten ausdifferenziert, bleibt jedoch nicht auf diese Region beschränkt. Die regionalen Menschenrechtsinstanzen in Amerika und Afrika erkennen ebenfalls die umweltbezogenen Verfahrenspflichten an. So leitete die Afrikanische Menschenrechtskommission aus dem Recht auf eine zufriedenstellende Umwelt nach der Banjul-Charta eine staatliche Pflicht zur Anordnung oder zumindest Zulassung von unabhängiger wissenschaftlicher Beobachtung bedrohter Regionen ab sowie die Pflicht zur Durchführung und Veröffentlichung von Umweltverträglichkeitsstudien vor der Zulassung grosser industrieller Entwicklungsprojekte.40 Die Interamerikanische Menschenrechtskommission leitet aus den Rechten auf Information (Art. 13 AMRK), politische Teilnahme (Art. 23 AMRK) und Gerichtsschutz (Art. 25 AMRK) Individualansprüche auf Umweltinformation und Partizipation an umweltrelevanten Entscheidungsverfahren sowie auf Zugang zu Gericht im Fall der Missachtung der erstgenannten Rechte ab. Sie postuliert somit genau dieselbe Verfahrenstrias wie die Aarhus-Konvention.41 Insbesondere die Informations- und Beteiligungsrechte stärken den Umweltschutz, weil über diese Ansprüche öffentlicher Druck aufgebaut werden kann. Allerdings sollten die neuen Verfahrensrechte nicht unbedingt als Menschenrechte qualifiziert werden.42 Sie sind eher ein Element des demokratischen Prozesses,43 wenn auch die Bereiche Menschenrechte und Demokratie eng zusammen hängen, und das Recht auf politische Beteiligung ebenfalls als Menschenrecht angesehen wird. Zweifel an der menschenrechtlichen Qualifikation der Informations- und Beteiligungsrechte im Umweltbereich bestehen auch wegen ihrer dienenden Funktion. Der Einzelne wird hier für die Verfolgung von Gemeinwohlinteressen sozusagen instrumentalisiert. Die Rechte werden weniger um des Einzelnen willen eingeräumt als zugunsten eines verbesserten Umweltschutzes. Im Ergebnis sind es also solche sozusagen verwaltungsrechtlichen internationalen Ansprüche, die besonders umweltschützend wirken.

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EGMR, Guerra et al. v. Italy, Nr. 116/1996/735/932 (1998). Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker, Mitteilung 155/96, Rdn. 53. Vgl. nur als Beispiel den Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zu Ecuador von 1997, Kap VIII, Schlussfolgerungen (conclusions). Bejahend Epiney/Scheyli, Aarhus-Konvention 94. Hayward, Rights. Der Autor erachtet das in der Aarhus-Konvention verankerte Recht auf Information als eine Vorbedingung für eine wirkungsvolle demokratische Bürgerschaft («a prerequisite to effective democratic citizenship»), ibid. 143.

Gibt es ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt?

II.

Die Wechselbeziehung zwischen Umwelt- und Menschenrechtsschutz

Die vorangegangene Bestandsaufnahme erlaubt uns, die Komplexität des Verhältnisses zwischen Umweltschutz und Schutz der Menschenrechte zu würdigen.

1.

Harmonie und Zielkonflikte

Auf der einen Seite ist eine intakte Umwelt in vielfältiger Hinsicht Voraussetzung für den Genuss von Menschenrechten. In einer verschmutzten Umwelt können Menschenrechte nicht gewährleistet werden. Umweltzerstörung unterminiert somit im Prinzip alle Menschenrechte, die in den internationalen Rechtstexten anerkannt sind. Beispielsweise kann die Niederlassungs- und Aufenthaltsfreiheit bzw. das Recht auf Heimat in niedrig gelegenen und Atollstaaten durch den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet werden.44 Insbesondere die Rechte auf Privatleben, Gesundheit und auf frisches Wasser, in eingeschränktem Masse auch das Recht auf Leben, sind nur in einer nicht übermässig belasteten natürlichen Umwelt effektiv. Der Sicherheitsrat hat anerkannt, dass Umweltschäden eine Friedensbedrohung darstellen und damit prinzipiell eine humanitäre, vom Sicherheitsrat autorisierte Intervention rechtfertigen könnten.45 Auch im Kriegsvölkerrecht hat der Konnex zwischen humanitären und ökologischen Anliegen in geltenden Verträgen Niederschlag gefunden: Nach Art. 35 Abs. 3 des ZP I zu den Genfer Abkommen zum Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte46 sind Methoden und Mittel der Kriegführung verboten, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen. Auf der anderen Seite können Menschenrechte in Konflikt mit dem Umweltschutz geraten. Vor allem die Ausübung der Menschenrechte auf Eigentum und auf freie wirtschaftliche Betätigung wirken sich tendenziell zu Lasten der Umwelt aus. Dies zeigt sich insbesondere bei der Ausbeutung von Rohstoffen (z. B. durch Kiesgruben, Steinbrüche, Ölförderung oder Holzschlag). Auch die sozialen Menschenrechte auf Arbeit, Wohnung, und nicht zuletzt das Kollektivrecht auf Entwicklung stehen in einem Spannungsverhältnis zum Umweltschutz. Eine Einschränkung dieser Rechte unter Berufung auf den Umweltschutz als Gemeinwohlziel ist zulässig, aber nur, sofern diese verhältnismässig ist. Je höher das öffentliche Interesse am Umweltschutz bewertet 44

45 46

Mit Resolution des UN-Menschenrechtsrats vom 26. März 2008 «Human rights and climate change» (UN-Doc. A/HRC/7/L.21/Rev.1) gab der Menschenrechtsrat eine Studie zur Beziehung zwischen Klimaveränderung und Menschenrechten in Auftrag, die dem Rat vor seiner 10. Session (2011) vorgelegt werden soll. Dokument SC/9000. ZP I vom 8. Juni 1977 (SR 0.518.521).

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wird, desto weiter reichende Einschränkungen der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte sind erlaubt. Insofern führt die ökologische Interpretation dieser Menschenrechte und die Anerkennung z. B. der Ökologiepflichtigkeit des Eigentums zu Menschenrechtsverkürzungen. Mit der Formulierung der Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung und der Umweltgerechtigkeit («environmental justice»)47 wird eine Aussöhnung dieses Zielkonflikts angestrebt. Insbesondere die Idee der Umweltgerechtigkeit könnte eine rechtliche Leitlinie für die Verfolgung beider Ziele – Menschenund Umweltschutz – sein.

2.

Die lex lata: Kein verbrieftes internationales Menschenrecht auf saubere Umwelt

Ein eindeutiges, individuelles Menschenrecht auf eine Umwelt von bestimmter Qualität wird gegenwärtig weder in universellen Menschenrechtsdokumenten, noch im Völkergewohnheitsrecht, noch in der europäischen Praxis anerkannt.48 In Afrika und Lateinamerika existiert ein entsprechendes Kollektiv- bzw. Individualrecht zwar auf dem Papier. Der überstaatliche, regionale Menschenrechtsschutz ist in diesen Regionen jedoch wenig effektiv. Die momentan in Kraft stehenden Rechtsinstrumente sowie soft law im Umweltkontext erlauben noch nicht den Schluss auf die Existenz eines derartigen neuen, universellen Menschenrechts. Allerdings besteht ein Trend in diese Richtung. Teilweise wird deshalb angenommen, dass ein spezielles Menschenrecht auf eine intakte Umwelt in Entstehung begriffen sei.49 Diese These kann mit einem Verfassungsvergleich belegt werden: Nach einem Bericht der NGO EarthJustice aus dem Jahr 2005 an die frühere UN-Menschenrechtskommission sehen etwa 117 Staatsverfassungen der Welt den Schutz der Umwelt vor.50 109 Verfassungen, also mehr als die Hälfte aller Staaten, erkennen das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt an, z. B. die Verfassungen von Spanien, Portugal und Südafrika.51 Man könnte deshalb argumentieren, dass bereits ein diesbezüglicher völkerrechtlicher allgemeiner Rechtsgrundsatz52 besteht. Allerdings sind die bestehenden Verfassungsvorschriften sehr unterschiedlich konzipiert und formu47 48 49 50 51

52

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Hierzu Shelton, Rights 258. Ebenso Fitzmaurice/Marshall, Right 110; Asia Pacific Forum, ACJ-Reference 3. Vorsichtig Palmer, Right 142. EarthJustice, Report 37; in Fussnote 171 sind die betreffenden Staaten aufgezählt. «Jeder hat das Recht auf eine menschenwürdige, gesunde und ökologisch ausgewogene Umwelt, und ist verpflichtet für ihre Erhaltung Sorge zu tragen» (Art. 66 Abs. 1 der portugiesischen Verfassung vom 2. April 1976). «Alle haben das Recht, eine der Entfaltung der Persönlichkeit förderliche Umwelt zu genießen, sowie die Pflicht, sie zu erhalten (Art. 45 Abs. 1 der spanischen Verfassung vom 29. Dezember 1978). «Jedermann hat das Recht auf eine Umwelt, die nicht schädlich für seine Gesundheit oder sein Wohlbefinden ist» (Art. 24 lit. a) der südafrikanischen Verfassung vom 8. Mai 1996). Im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut.

Gibt es ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt?

liert, so dass ihnen insbesondere in Bezug auf die angestrebte Qualität der Umwelt kein eindeutiges Prinzip entnehmbar ist.

3.

De lege ferenda: Juristische Problematik eines Menschenrechts auf saubere Umwelt

Die Normierung eines spezifischen, egalitären und universellen Menschenrechts auf eine intakte Umwelt könnte eine Rechtslücke füllen. Denn obwohl verschiedene Menschenrechte gegen Umweltverschmutzungen mobilisiert werden können, existiert kein zusammenhängendes, umfassendes und wirksames Rahmenwerk zum Schutz des menschlichen Daseins vor Umweltbeeinträchtigungen. Die Normierung eines spezifischen universellen Menschenrechts auf eine intakte Umwelt wäre ein politisches Signal. Hierdurch würden Individuen, Gemeinschaften und Völker zumindest symbolisch ökologisch ermächtigt und emanzipiert.53 Auf der anderen Seite ist ein isoliertes Menschenrecht auf saubere Umwelt juristisch problematisch. Ein solches «Recht» ist in Bezug auf den Anspruchsinhalt und Anspruchsgegner zu unbestimmt, um als einklagbares Individualrecht fungieren zu können. Schwierig ist schon die Definition des genauen Anspruchsziels. Welche Qualität müsste die Umwelt haben (wie «gut» muss sie sein), um dem Menschenrecht zu genügen? Gerichte sind mangels Sachkunde kaum die geeignete Instanz, um festzustellen, dass diese Schwelle im Einzelfall unterschritten wurde, und aus Gründen der Gewaltenteilung und wegen ihrer schwächeren demokratischen Legitimation dürften Gerichte grundsätzlich keine allgemeinen Umweltstandards festlegen. Somit wäre ein solches «nacktes» Recht auf gute Umwelt kaum justiziabel. Selbst wenn wir die Rechtsidee nicht auf die Einklagbarkeit verengen sollten, so würde doch die Normierung eines notgedrungen primär symbolischen Rechts die Idee von Individualrechten insgesamt entwerten. Im Ergebnis sprechen somit aus meiner Sicht die besseren Gründe gegen die Normierung eines neuen spezifischen Menschenrechts auf eine intakte Umwelt.

4.

Möglichkeiten und Grenze der ökologischen Menschenrechtsinterpretation

Die ökologische Aufladung der anerkannten Individualrechte leistet einen wichtigen mittelbaren Beitrag zum Umweltschutz. Vor allem Verfahrensrechte, die speziell normiert oder aus den Menschenrechten auf Leben und Gesundheit abgeleitet wurden, sind umweltwirksam. Die prozedurale Trias von Information, Beteiligung und Zugang zu Gericht und die Verpflichtung zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen erhöht die Transparenz und Rechenschaftspflichtigkeit umweltbezogener politischer und behördlicher Entscheidungen. Die Stärkung dieser Verfahrensrechte ist deshalb die wich53

Vgl. ACJ, Observations 13.

227

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tigste individualrechtliche, wenn auch nicht unbedingt menschenrechtliche Strategie zum Schutz der natürlichen Umwelt. Allgemein gesehen fördert der menschenrechtliche Ansatz, also der «rightsbased approach» Umweltschutzziele auch deshalb, weil – anders als in den meisten Umweltregimen – im Rahmen der regionalen und universellen Menschenrechtssysteme mehr oder minder wirksame Beschwerdemöglichkeiten für Einzelpersonen bestehen. Vor allem können alle EMRK-Staaten ohne weiteres vor dem EGMR verklagt werden. Im Anwendungsbereich des UNPakts II sind Individualmitteilungen an den Menschenrechtsausschuss möglich.54 Durch die gerichtliche bzw. quasi-gerichtliche Durchsetzung von Rechten wird der Umweltschutz effektiviert. Auf dieser Ebene sind weitere Verbesserungen, z. B. Beweislastumkehr oder zumindest Beweiserleichterungen für den Nachweis von Risiken sowie eine stärkere Ausschöpfung des menschenrechtlichen Präventionsgedankens denkbar. Im Gegensatz zur bisher praktizierten ökologischen Menschenrechtsinterpretation ist die Begründung von Rechten der Natur, von Tieren oder Pflanzen moralphilosophisch und juristisch schwierig. Selbst wenn man solche Rechte bejahen wollte, müssten diese Rechte von handlungsfähigen Menschen, Naturanwälten oder NGOs juristisch vertreten und durchgesetzt werden.55 Insofern ist die Rechtsordnung zwangsläufig zumindest auf der technischen Durchsetzungsebene anthropozentrisch. Insgesamt jedoch müssen juristische Strategien zum Schutz der Umwelt über den menschenrechtlichen Ansatz hinaus gehen. Menschenrechtlich motivierter Umweltschutz reicht weder in der zeitlichen noch in der quantitativen Dimension aus. Geringfügige Beeinträchtigungen des menschlichen Wohlbefindens, die nicht die Schwelle der Menschenrechtsverletzung erreichen, können in der Summierung schwere Umweltschäden darstellen. Auch der Schutz zukünftiger Generationen kann nicht über den menschenrechtlichen Ansatz sichergestellt werden, weil die Schädigung noch nicht existierender Wesen nicht als Menschenrechtsverletzung erfasst werden kann. Eine übermässige Menschenrechtsfokussierung im Umweltkontext würde letztlich sowohl den Eigenwert der Umwelt missachten als auch die Idee der Menschenrechte entwerten. Als Gesamtfazit können wir festhalten, dass sich der internationale Menschenrechts- und Umweltschutz überwiegend gegenseitig unterstützen. Die hier sichtbaren Wechselwirkungen der Rechtsinstrumente sind ein Beispiel für das Synergie-Potential, welches die Ausdifferenzierung des Völkerrechts birgt. Diese Differenzierung führt jedenfalls in den hier betrachteten Berei-

54

55

228

Allerdings hat sich beispielsweise die Schweiz nicht der Zuständigkeit des Ausschusses zur Entgegennahme von Individualmitteilungen unterworfen. Grundlegend Stone, Trees 450-501.

Gibt es ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt?

chen nicht zu einer Fragmentierung, sondern im Gegenteil eher zu einer Stärkung des Völkerrechts. Literatur Asia Pacific Forum of National Human Rights Institutions, 12th Annual Meeting, Sydney, Australia, 24-27 September 2007, Human Rights and the Environment, Observations and Recommendations, ACJ-Reference on the Right to Environment 1-16 EarthJustice, Environmental Rights Report, Human Rights and the Environment, Geneva 2005 Epiney A./Scheyli M., Die Aarhus-Konvention: rechtliche Tragweite und Implikationen für das schweizerische Recht, Freiburg 2000 Fitzmaurice M./Marshall J., The Human Right to a Clean Environment – Phantom or Reality? The European Court of Human Rights and English Courts Perspective on Balancing Rights in Environmental Cases, in: Nordic Journal of International Law 76 (2007) 103-151 Hayward T., Constitutional Environmental Rights, Oxford 2005 Koivurova T., International Legal Avenues to Address the Plight of Victims of Climate Change: Problems and Prospects, in: Journal of Environmental Law & Litigation 22/2 (2007) 267-300 Palmer A., An International Right to Environment: a New Generation?, in: Interights Bulletin 15 (2006) 141-143 Peters A., Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, München 2003 Schmidt-Radefeldt R., Ökologische Menschenrechte, Baden-Baden 2000 Shelton D., Environmental Rights, in: Alston Ph. (Hg.), Peoples’ Rights, Oxford 2001, 185-258 Stone C., Should Trees Have Standing? Towards Legal Rights for Natural Objects, in: Southern California Law Review 45 (1972) 450-501

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