Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser. Erbrecht. 4 Pflichtteilsrecht (V.+VI.)

Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser Erbrecht § 4 Pflichtteilsrecht (V.+VI.) V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung) 1. Allgemeines • Enterbung heisst e...
Author: Klemens Krause
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Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser

Erbrecht § 4 Pflichtteilsrecht (V.+VI.)

V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung) 1. Allgemeines • Enterbung heisst expliziter Entzug des Pflichtteils (und meist Entzug der Erbenstellung). • Die Enterbung ist nur zulässig, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. • Die Enterbung muss in einer Verfügung von Todes wegen erfolgen. Erbrecht, HS 2014

§ 4 (2)

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

• Des Gesetz kennt zwei Arten der Enterbung: Die Strafenterbung als Sanktion gegen den pflichtteilsberechtigten Erben (Art. 477 ZGB) und die Präventiventerbung zum Schutz des Vermögens zu Gunsten der Familie (Art. 480 ZGB). • Wird die pflichtteilsberechtigte Person einfach übergangen oder der gesamte Nachlass Dritten vermacht, d.h., nur implizit „enterbt“, dann liegt keine Enterbung im Sinne von Art. 477 ZGB vor (trotzdem i.d.R. Pflichtteilsverletzung, grundsätzlich keine Erbenstellung und Notwendigkeit der Herabsetzungsklage). Erbrecht, HS 2014

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

2. Strafenterbung (Art. 477 ZGB) • Motiv der Strafenterbung ist die Sanktionierung des Pflichtteilsberechtigten. • Voraussetzungen der Strafenterbung: -

muss durch Verfügung von Todes wegen angeordnet werden.

Erbrecht, HS 2014

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

-

-

der Enterbungsgrund muss in der Verfügung von Todes wegen angegeben werden (→ Funktionen; monierte Handlung des Enterbten muss bestimmbar sein, Verweis auf Art. 477 ZGB genügt nicht). Zulässiger Strafenterbungsgrund: (1) Schwere Straftat gegenüber Erblasser oder einer diesem nahe verbundenen Person oder (2) schwere Verletzung familienrechtlicher Pflichten gegenüber Erblasser oder dessen Angehörigen (→ reziprokes Verhältnis zwischen Nähe und Schwere; vgl. Kasuistik bei BSK ZGB II-Bessenich, Art. 477 N 1).

Erbrecht, HS 2014

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

-

es liegt keine Verzeihung des Erblassers vor (Form?).

• Solange die Enterbung nicht erfolgreich angefochten wurde, ist sie gültig. Grundsätze der Anfechtung der Strafenterbung:

-

die durch die Enterbung begünstigten Personen tragen Beweislast für das Vorliegen des Enterbungsgrundes (→ Beweisschwierigkeiten; Achtung: Enterbte Person muss Verzeihung beweisen).

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

- soweit die Anfechtung wegen der Unrichtigkeit des Enterbungsgrundes, der mangelnden Qualifikation des angeführten Grundes als Enterbungsgrund oder wegen fehlender Grundangabe erfolgt, ist Herabsetzungsklage zu erheben (→ gesetzliche Konversion in Art. 479 Abs. 3 ZGB → Folgen). - richtet sich die Anfechtung gegen die Verfügung von Todes wegen als solcher (mangelnde Verfügungsfähigkeit, Formmangel) oder stützt sie sich auf einen offenbaren Irrtum über den Enterbungsgrund, ist ausnahmsweise die Ungültigkeitsklage zu erheben (→ Folgen). Erbrecht, HS 2014

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

- Abgrenzung mitunter schwierig. Sofern Erblasser irrtümlich eine Handlung dem Enterbten zuschreibt, dann Ungültigkeitsklage. Qualifiziert er die tatsächlich vorgefallene Handlung zu Unrecht als zulässigen Enterbungsgrund, dann Herabsetzungsklage.

3. Präventiventerbung (Art. 480 ZGB) • Motiv ist Erhalt des Vermögens des Erblassers zu Gunsten der Familie („Erbschaft soll nicht in den Rachen der Gläubiger des Pflichtteilserben geworfen werden!“).

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

• Voraussetzungen der Präventiventerbung: -

muss durch Verfügung von Todes wegen angeordnet werden.

-

nur gegenüber Nachkommen (nicht also Ehegatten oder Eltern).

-

nur die Hälfte des Pflichtteils kann entzogen werden.

-

entzogener Anteil muss den vorhandenen und später geborenen Kindern des Enterbten zugewendet werden.

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

-

im Zeitpunkt der Eröffnung des Erbgangs müssen Verlustscheine zu Lasten des Enterbten bestehen, welche mind. ¼ seines gesetzlichen Anspruchs betragen.

• Für die Anfechtung und Beweislast gelten analog die Bestimmungen der Strafenterbung (vgl. auch Art. 524 ZGB, Klagelegitimation der Gläubiger).

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

4. Folgen der Strafenterbung (Art. 478 ZGB) • Der Enterbte hat keine Erbenstellung (→ Konsequenzen). • Der Enterbte ist so zu betrachten, wie wenn er vorverstorben wäre, ausser der Erblasser hat anders verfügt.

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V. Entzug des Pflichtteils (Enterbung)

• Der Erblasser kann nur dann Anordnungen über den frei werdenden Teil treffen, wenn nicht wegen des Repräsentationsprinzips andere Personen in die Stellung des Enterbten eingetreten sind und selbst Pflichtteilsansprüche besitzen. • Der allenfalls frei werdende Teil vergrössert die Verfügungsfreiheit des Erblassers. Die Pflichtteile anderer Pflichtteilserben werden nicht grösser.

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung) 1. Allgemeines • Unter der Herabsetzung versteht man das Instrument zur Wiederherstellung der Pflichtteile (und zusätzlich Verschaffung der Erbenstellung, vgl. aber Art. 522 ZGB). Die Herabsetzung ist mittels der Herabsetzungsklage durchzusetzen.

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung) • Die Pflichtteile können durch Verfügungen von Todes wegen oder durch lebzeitige Zuwendungen (und durch Intestaterwerb) verletzt werden. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen und nach bestimmten Regeln „herabgesetzt“ werden, bis der Pflichtteil wieder hergestellt ist.

2. Herabsetzbare Verfügungen • In erster Linie sind sämtliche Verfügungen von Todes wegen (vgl. Art. 522 Abs. 1 ZGB und Art. 532 ZGB), in zweiter Linie Verfügungen unter Lebenden herabsetzbar (vgl. Marginalie zu Art. 527 ZGB sowie Art. 532 ZGB). • Umstritten ist, ob über den Gesetzeswortlaut hinaus auch Intestaterwerb herabsetzbar ist (vgl. Bsp. unten VI. 5. sowie Steinauer, Rz. 811 ff.; Tuor/Schnyder/Schmid/Rumo-Jungo, § 68 N 45; Weimar, Berner Kommentar, Vorb. vor Art. 470 N 10, 13). Erbrecht, HS 2014

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

• Nur die in Art. 527 ZGB definierten Verfügungen unter Lebenden sind herabsetzbar: 1.

Ganz oder teilweise unentgeltliche Zuwendungen als Heiratsgut, Ausstattung oder Vermögensabtretung, wenn sie nicht der Ausgleichungspflicht unterworfen sind (→ gemischte Schenkung? → Quotenmethode und massgebender Zeitpunkt? → Ausstattung? → nur, wenn wegen Ausschlagung, Vorversterben, Enterbung oder Erbunwürdigkeit die Ausgleichung entfällt, oder auch, wenn der Erblasser dispensiert hat? → Zuwendungswille notwendig? Vgl. BGE 116 II 667, 126 III 171, 5A_587/2010 E. 3).

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

2.

Erbabfindungen und Auskaufsbeträge, d.h., wenn der Erblasser als Gegenleistung zum Verzicht eine Abfindung leistet (vgl. Art. 495 Abs. 1 ZGB). Die den Pflichtteil übersteigende Abfindung unterliegt der Herabsetzung (Art. 535 Abs. 2 ZGB).

3.

frei widerrufbare Schenkungen (ohne zeitliche Limitierungen) oder Schenkungen in den letzten fünf Jahren vor dem Tod (→ vgl. zu den lebzeitig errichteten Stiftungen Art. 82 ZGB).

4.

ganz oder teilweise unentgeltliche Vermögensentäusserungen ohne zeitliche Limitierung, wenn sie offenbar zur Umgehung der Verfügungsbeschränkung vorgenommen wurden.

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

3. Durchführung der Herabsetzung • Nicht alle Verfügungen und lebzeitigen Zuwendungen, die herabsetzbar sind, werden im Ergebnis auch wirklich herabgesetzt. Es erfolgt nur eine Herabsetzung, bis der Pflichtteil „aufgefüllt“ bzw. wiederhergestellt ist. • 3 wichtige Grundregeln für die Herabsetzung (Art. 532, Art. 523 und Art. 525 Abs. 1 ZGB): -

es werden zuerst die Verfügungen von Todes wegen herabgesetzt und erst anschliessend die Zuwendungen unter Lebenden.

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

-

bei Zuwendungen unter Lebenden werden die späteren vor den früheren herabgesetzt (also zuerst die näher am Todestag liegenden).

-

die zeitlich auf gleicher Stufe stehenden Verfügungen werden proportional zueinander herabgesetzt (→ Diff., ob eingesetzte bzw. nichtpflichtteilsgeschützte Erben oder pflichtteilsgeschützte Erben).

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

4. Beispiel für die Herabsetzung • Der unverheiratete Erblasser X hat zwei Söhne A und B. Der Nachlass beträgt 140'000.–. Seiner damaligen Lebenspartnerin D hat X 3 Jahre vor seinem Tod Fr. 20’000.– geschenkt. Bei seinem Tod hat er eine neue Partnerin C. In einem Testament hat X seine Partnerin C zu einem Fünftel des Nachlasses als Erbin eingesetzt und des Weiteren bestimmt, sein Sohn A solle auch einen Fünftel und sein Sohn B solle drei Fünftel erhalten.

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

1.

Zur Berechnung der Pflichtteile ist zum Nachlass von Fr. 140'000.– die Schenkung von Fr. 20'000.– an D hinzuzurechnen (Art. 475 i.V.m. Art. 527 Ziff. 3 ZGB). Die Berechnungsmasse beträgt Fr. 160'000.–. Die Pflichtteile der beiden Söhne betragen ¾ von ½ (Art. 457 Abs. 2 i.V.m. Art. 471 Ziff. 1 ZGB), womit beide mindestens Fr. 60'000.– als Pflichtteil erhalten müssten.

2.

Gemäss Testament sollen A und B sowie C folgende Anteile des Nachlasses (Fr. 140'000.–) erhalten:

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

A B C

3.

1/

5

3/

5

1/

5

Fr. 28‘000.Fr. 84‘000.Fr. 28‘000.-

(Fr. 32‘000.- unter Pflichtteil) (Fr. 24‘000.- über Pflichtteil) (Fr. 28‘000.- nicht pflichtteilsgeschützt)

Der Pflichtteil von A ist um Fr. 32'000.– verletzt. Als herabsetzbare Verfügungen kommen die testamentarischen Anordnungen zu Gunsten von B und C sowie die Schenkung an D in Frage. In erster Linie sind aber die Verfügungen von Todes wegen herabzusetzen (Art. 532 ZGB), erst dann die Zuwendungen unter Lebenden, soweit der Pflichtteil nicht schon wieder hergestellt wurde.

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

4.

Herabgesetzt werden muss der Betrag von Fr. 32'000.–, weil der Pflichtteil von A um diesen Betrag verletzt ist. Die Verfügungen von Todes wegen zu Gunsten von B und von C sind zuerst und proportional herabzusetzen. Zur Berechnung der Proportionen sind die über den Pflichtteil zugekommenen Beträge bei B und der gesamte Betrag von C heranzuziehen. Damit erfolgt die Herabsetzung im Verhältnis

24'000.– (B) zu 28'000.– (C) bzw. 6:7 Die Fr. 32'000.– als herabzusetzender Betrag sind nun auf B und C im Verhältnis 6:7 zu verteilen, d.h. der Anteil von B wird um Fr. 14'769.25 und der Anteil von C um Fr. 17'230.75 herabgesetzt. Erbrecht, HS 2014

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VI. Wiederherstellung des Pflichtteils (Herabsetzung)

5.

6.

Somit erhalten A B

Fr. 60'000.– Fr. 69'230.75

C

Fr. 10'769.25

genau Pflichtteil (84'000.– minus 14‚769.25) (28'000.– minus 17'230.75)

Die Schenkung an D wird nicht herabgesetzt, weil der Pflichtteil von A bereits durch Herabsetzung der Verfügungen von Todes wegen zu Gunsten des B und der C wieder hergestellt werden konnte.

• Vgl. die weiteren Beispiele bei Breitschmid/Eitel/Fankhauser/Geiser/Rumo-Jungo, Kap. 3 N 58 ff. sowie Rumo-Jungo, Tafeln 61 und 63. Erbrecht, HS 2014

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5. Beispiel für Herabsetzung von Intestaterwerb Verfügung von Todes wegen: 3/8 (bzw. 6/16) meines Nachlasses an X (eine Dritte), ansonsten keinerlei Anordnungen. → Es bleiben 5/8 (bzw. 10/16), die sich gemäss der gesetzlichen Erbfolge verteilen. X= 6/ 16

½ = 5/16 PT= ½ von ½ (GQ) = ¼ = 2/8 = 4/16

Herabsetzungsmöglichkeiten (1/16):

½ =

5/

16

PT= ¾ von ½ (GQ) = 3/8 = 6/16

Erbrecht, HS 2014

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-

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Verfügung von Todes wegen → X muss 1/16 von 6/16 abgeben. Intestaterwerb des EF → EF muss 1/16 von 5/16 abgeben (hätte noch 4/16 = PT) oder Herabsetzung des Intestaterwerbs und der Verfügung von Todes wegen (Reihenfolge?) Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser