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B: Zur wirtschafts- und strukturpolitischen Situation in der Grenzregion zwischen Lubuskie (PL), Zachodniopomorskie (PL), MecklenburgVorpommern (D) und Brandenburg (D) Prof. Dr. Hermann Ribhegge 1

Statistische und makroökonomische Daten ...............................................84 1.1 Die Grenzregion .................................................................................84 1.2 Wirtschaftszweige...............................................................................86 1.3 Niederlassungen von Unternehmen im Nachbarland .........................96 1.4 Grenzüberschreitender Handel...........................................................99 1.5 Trends der mittelfristigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung in der Grenzregion ..........................................................................................103 2 Geografische Parameter..........................................................................111 2.1 Verkehrsinfrastruktur ........................................................................111 2.2 Bevölkerung......................................................................................113 2.3 Geografische Mobilitätshindernisse ..................................................115 3 Spezifische lokale und regionale Parameter............................................116 3.1 Mobilitätshindernisse ........................................................................116 3.2 Arbeitsmarktengpässe und Komplementaritäten der Grenzregionen117 3.3 Grenzüberschreitender Partnerschaften...........................................118 3.4 Vorschlag zur Größe von Eures-T-Partnerschaften..........................119

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1 Statistische und makroökonomische Daten 1.1

Die Grenzregion

In Anlehnung an die „Aktualisierung der Raumordnerischen Leitbilder für den Raum entlang der deutsch-polnischen Grenze“ vom 15.02.2002 differenzieren wir in dieser Studie zwischen dem weiteren und engeren deutsch-polnischen Grenzraum (-region). Wir definieren den engeren Grenzraum anhand der Landkreise und der kreisfreien Städte entlang der Grenze, während der weitere Grenzraum auf der deutschen Seite durch die angrenzenden Bundesländer und auf der polnischen Seite durch die angrenzenden Wojewodschaften definiert wird. Dabei muss berücksichtigt werden – wie aus der Abbildung 1 ersichtlich wird, dass nur der die westliche Hälfte der Wojewodschaft Zachodniopomorskie zum weiteren Grenzraum auf der polnische Seite gehört. Wenn im Folgenden vom Grenzraum (-region) gesprochen wird, so ist der Grenzraum im engeren Sinne gemeint. Abbildung 1: Deutsch-Polnisch-TschechischerGrenzraum

Quelle: Zur Aktualisierung der Raumordnerischen Leitbilder für den Raum entlang der deutsch-polnischen Grenze, S.9.

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Unter dem regionalen Aspekt sind einige Bemerkungen zur Verarbeitung des statistischen Materials an dieser Stelle angebracht. Der Fokus der Analyse konzentriert sich auf die Untersuchung der Landkreise, die direkt auf beiden Seiten der Grenze liegen. Die Kreise entsprechen dem NUTS 3 Konzept von Eurostat. Leider liegt auf der Kreisebene oft nicht ausreichendes und zufrieden stellendes Datenmaterial vor, was besonders für die polnische Seite gilt. Dort liegen viele Daten nur auf der NUTS 2 Ebene der Wojewodschaften vor. Entsprechendes gilt eingeschränkt für die deutsche Seite, bei der die Raumordnungsregionen (ROR) bzw. – sofern vorhanden – die Regierungsbezirke die nächst höhere Aggregationsebene bilden, die aber nicht immer mit der NUTS 2 Ebene identisch sein müssen. Im Folgenden wird u. U. auf eine reine NUTS 3 Betrachtung verzichtet, wenn a) die höhere Ebene nur Grenzkreise umfasst, b) das statistische Material auf der Grenzkreisebene nicht ausreicht, c) sachliche Gründe für eine raumübergreifende Betrachtung sprechen. Für die Analyse von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg werden neben den Grenzkreisen die Raumordnungsregionen Vorpommern (9), Uckermark-Barnim (26), Oderland-Spree (27) und Lausitz-Sprewald (28) untersucht. Vorpommern umfasst neben den Grenzkreisen auch die an die Ostsee angrenzenden Landkreise Nordvorpommern und Rügen sowie die kreisfreie Stadt Stralsund, die aber durchaus dem engeren Grenzgebiet zuzuordnen sind.1 Hingegen liegen die Kreise Dahme-Spreewald, Oberspreewald-Lausitz, Elbe-Elster und die kreisfreie Stadt Cottbus nicht direkt an der Grenze, wobei aber Cottbus von dem Grenzkreis Spree Neiße umgeben ist. Zu den Raumordnungsregionen siehe die folgende Abbildung.

1 Die Einbeziehung dieser Landkreise bzw. der kreisfreien Stadt Stralsund ist schon deshalb angebracht, da sie der Euroregion POMERANIA angehören und unter das Anwendungsgebiet von INTERREG III A fallen. Siehe dazu im einzelnen: Regionale Arbeitsgruppe der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, des Wirtschaftsministeriums Polens und der Wojewodschaft Zachodniopomorskie (2004).

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Abbildung 2: Raumordnungsregionen im Grenzbereich

1.2

Wirtschaftszweige

Die engere Grenzregion von Mecklenburg-Vorpommern zu Polen umfasst die Landkreise Nordvorpommern, Ostvorpommern, Rügen, Uecker-Randow sowie die kreisfreien Städte Stralsund und Greifswald. Sie bilden gemeinsam die Raumordnungsregion Vorpommern (9). Diese Grenzregion stellt einen ländlichen Raum mit geringer Dichte dar. Tabelle stellt die fünf Branchen mit den höchsten Beschäftigungsanteilen in der Raumordnungsregion dar.

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Tabelle 1: Branchen mit relativ großen Beschäftigungszahlen in Vorpommern Branche

Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl i. v. H.

Gesundheits- und Sozialwesen

13,26%

Baugewerbe

10,80%

Öffentliche Leistungen

9,15%

Bildungswesen

8,33%

Gastgewerbe

8,16%

Quelle: IWH (2004b) S. 35f., eigene Zusammenstellung

Unter diesen Branchen haben die folgenden Branchen eine besonders hohe, überdurchschnittlichen Spezialisierungsrate2: Schifffahrt; Fischwirtschaft; Schiff-, Flugzeugund Eisenbahnbau; Gastgewerbe sowie Land- und Gartenwirtschaft, denen für die wirtschaftliche Entwicklung der Grenzregion eine besondere Bedeutung zukommt und von denen erwartet wird, dass sie ein überdurchschnittliches Innovationspotenzial besitzen. Im Kreis Rügen, dem drittwichtigster Schifffahrtsstandort in Ostdeutschland, übernimmt die Schifffahrt eine zentrale Innovationsrolle. Dies gilt auch für Stralsund, das an sechster Stelle der Schifffahrtsstandorte in Ostdeutschland steht. Der Schiff-, Flugzeug- und Eisenbahnbau konzentriert sich auf die Standorte „Volkswerft Stralsund“ und „Peenewerft Wolgast“. Hervorzuheben ist die sich entwickelnde Flugzeugtechnologie in Pasewalk. Eine überragende Bedeutung für MecklenburgVorpommern nimmt der Bereich Tourismus und Gastgewerbe ein. Dies gilt in ganz besonderer Maße für die Inseln Rügen und Usedom. Eine vorwiegend landwirtschaftliche ausgeprägte Orientierung findet man in den Kreisen Nordvorpommern, UeckerRandow und Ostvorpommern. Bedeutsame Netzwerkansätze findet man in den Bereichen des Schiff-, Flugzeug- und Eisenbahnbaus (NILA Netzwerk Innovative Laser-Anwendungen) sowie der Biotechnologie (Biocon Valley), das die Universitäten Greifswald und Rostock umgibt. Als weitere für die Wirtschaft relevante Wissenschaftseinrichtungen sind neben der Universität Greifswald, die Fachhochschule Stralsund, das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik sowie das Institut für Niedertemperatur-Plasmaphysik e.V. (beide in Greifswald) zu erwähnen. An die ROR Vorpommern schließt sich auf deutscher Seite die ROR UckermarkBarnim (26) an, die die beiden brandenburgischen Landkreise Uckermark und Barnin umfasst. Auch diese Kreise können wie Vorpommern als ländlicher Raum geringerer Dichte bezeichnet werden. Sie besitzen darüber hinaus einen Agglomerationsraum mit herausragenden Zentren. Damit ist der für diese Region wichtigste Standort Schwedt mit seiner Mineralölverarbeitung und seiner Papierproduktion angesprochen, der die 2 Die Spezialisierungsrate definiert sich „als Quotient aus dem Anteil einer bestimmten Branche an der Gesamtbeschäftigung in einem Teilraum … und dem Anteil der Beschäftigung in dieser Branche an der Gesamtbeschäftigung in der Gesamtregion, zu welcher der Teilraum gehört ...“ (IWH 2004a, 106, Fußnote 162)

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Wirtschaftskraft der Region wesentlich bestimmt. Diese beiden Wirtschaftsbereiche sind, wie die nachstehende Tabelle zeigt, die auf der Untersuchung des IWH (2004b, 48f.) aufbaut, nicht besonders beschäftigungsintensiv, so dass beide Branchen nicht zu den fünf beschäftigungsstärksten der Raumordnungsregion gehören.

Tabelle 2: Branchen mit relativ großen Beschäftigungszahlen in UckermarkBarnim Branche

Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl i. v. H.

Baugewerbe

13,34%

Gesundheitswesen

12,20%

Öffentliche Leistungen

9,13%

Einzelhandel

8,27%

Unternehmensdienstleistungen

5,90%

. . . Papiergewerbe

0,30%

Mineralölverarbeitung

0,22%

Quelle: IWH (2004b) S. 48f., eigene Zusammenstellung

Schaut man sich aber die Branchen an, die nach Ansicht des IWH (2004a) aufgrund ihrer Spezialisierungsrate eine günstige wirtschaftliche Entwicklung erwarten lassen, so identifizieren wir ein völlig anderen Branchenmix. Die fünf attraktivsten Branchen sind hier - wie zu erwarten: die Mineralölverarbeitung und das Papiergewerbe. Hinzu kommen aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten die Fischerei und Fischwirtschaft sowie die Forstwirtschaft und die Recycling-Branche. Darüber hinaus findet man eine gewisse Exportorientierung im Maschinenbau in Prenzlau und bei der Herstellung von Metallerzeugnissen in Eberswalde. Netzwerke sind nur schwach ausgeprägt. Zu erwähnen sind die Netzwerke: Ökologisches Bauen und regenerative Energie, Kompetenznetzwerk Armaturenindustrie und Maschinenbau Prenzlau sowie das Netzwerk Metall Eberswalde/Barnim. Als wissenschaftliche Einrichtung ist die Fachhochschule Eberswalde zu nennen. Günstiger stellt sich die sich die wirtschaftliche Situation für die sich an die ROR Uckermark-Barnin anschließende ROR Oderland-Spree (27) mit den Landkreisen Märkisch-Oderland und Oder-Spree und der kreisfreien Stadt Frankfurt (Oder) dar, auch wenn der mit dem Bau einer Chipfabrik in Frankfurt (Oder) erwartete Beschäftigungseffekt mit 3.000 neuen Arbeitsplätzen durch das Scheitern des Projektes ausgeblieben ist. Diese Region ist als Raumtyp als ein Agglomerationsraum mit herausragenden Zentren zu klassifizieren. Insbesondere der berlinnahe Raum der beiden Landkreise zeigt eine günstige industrielle Entwicklung auf. Als beschäftigungsstärkste Branchen lassen sich die folgenden Branchen identifizieren:

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Tabelle 3: Branchen mit relativ großen Beschäftigungszahlen in Oderland-Spree Branche

Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl i. v. H.

Baugewerbe

13,58%

Gesundheits- und Sozialwesen

11,47%

Öffentliche Leistungen

10,13%

Einzelhandel

7.27%

Unternehmensdienstleistungen

6,89%

Quelle: IWH (2004b) S. 56f., eigene Zusammenstellung

Vergleicht man diese Branchen mit denen mit den günstigsten Spezialisierungsraten, so stellt man auch in diesem Fall keine Überscheidung fest. Zu den spezialisierteren Branchen gehören Fischwirtschaft, Metallerzeugung und –bearbeitung, Forstwirtschaft, Recycling, Glas-, Keramik und Baustofferstellung sowie Energieversorgung. Einen zentralen industriellen Kern stellt in der Region das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt mit cirka 3.000 Beschäftigten dar. Im Bereich der Metallerzeugung und –bearbeitung ist der Oder-Spree-Kreis der wichtigste Standort in Ostdeutschland. Die für die Region wichtige Sparte Recycling verteilt sich auf die beiden Landkreise. Der Standort der Glas-, Keramik- und Baustoffherstellung konzentriert sich auf den Berlinnahen Bereich des Landkreises Märkisch-Oderland. Bei der Fischereiwirtschaft nimmt die Region den zweiten und bei der Forstwirtschaft den dritten Rang in Ostdeutschland ein. Die wichtigsten Netzwerke der Region sind im Bereich Metallerzeugung und – bearbeitung und Recycling im Umfeld des Stahlwerkes in Eisenhüttenstadt sowie im Bereich Mikroelektronik und Telemetrie zu finden. Dabei haben sich das Netzwerk Telemetrie und das Kompetenzzentrum Mikroelektronik Frankfurt (Oder) eine überregionale Bedeutung erarbeitet. In der Region werden diese Netzwerke sowie die Unternehmen durch folgende Wissenschaftseinrichtungen unterstützt: Europa-Universität Frankfurt (Oder), IHP-Frankfurt (Oder), das Leibnitz-Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung und das Leibnitz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner. Die sich südlich anschließende ROR Lausitz-Spreewald (28) mit den Landkreisen Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Obersprewald-Lausitz, Spree-Neiße und die kreisfreie Stadt Cottbus liegt nur zum Teil im Grenzgebiet. Nur Cottbus und Elbe-Elster gehören der Grenzregion und der Euroregion Spree-Neiße-Bober an und sind so über INTERREG III A förderfähig. Diese Region entspricht dem Raumtyp eines Agglomerationsraums mit herausragenden Zentren sowie einem verstädterten Raum mittlerer Dichte mit großen Oberzentren. Die Region ist durch den Braunkohleabbau und –verwertung gekennzeichnet. Entsprechend kommt der Energieversorgung in dieser Region ein besonderer Stellenwert zu. So findet man in Cottbus eine der zwei zentralen Standorte von Vattenfall Europe mit Sitz in Berlin, dem fünfgrößten Energieunternehmen in Europa, das als größter Ausbilder in Ostdeutschland sein Verantwortung für die Sicherung qualifizierten Nachwuchses nachkommt.

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Wenn man sich das Profil der Branchen mit großen Beschäftigungsanteilen anschaut, so stellt man – wie unten dargestellt fest – dass auch diese Region ein ähnliches Branchenprofil aufweist wie die bisher skizzierten Regionen: Tabelle 4: Branchen mit relativ großen Beschäftigungszahlen in Spreewald-Lausitz Branche

Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl i. v. H.

Baugewerbe

11,57%

Öffentliche Leistungen

10,13%

Gesundheits- und Sozialwesen

10.10%

Einzelhandel

7,90%

Unternehmensdienstleistungen

6,70%

Quelle: IWH (2004b) S. 54f., eigene Zusammenstellung

Die dargestellten Regionen divergieren hingegen gravierend im Branchenprofil, wenn es um die Branchen mit hoher Spezialisierungsrate geht. Dies sind in der ROR LausitzSpreewald die Branchen: Kohlebergbau, Luftfahrt, Energieversorgung, Chemische Industrie und Entsorgungsgewerbe. Hinzu kommen Erzbergbau und Recycling. Dabei muss für die uns interessierende Grenzregion berücksichtigt werden, dass die Branchen Luftfahrt und Chemische Industrie außerhalb der Grenzregion liegen. Von den bisher dargestellten Regionen hat die ROR Lausitz-Spreewald die größte Dichte an Unternehmensnetzwerken. Im Kohlebereich ist dies das Netzwerk Bergbau, Sanierung und Revitalisierung (BSR). Hinzu kommt ein an der technischen Universität in Cottbus angebundenes Energieressourcen-Institut, das als Netzwerk-Koordinator der größeren Energieversorger fungiert und in der angewandten Forschung im Bereich Kraftwerkstechnik sowie Energieverteilung und Hochspannungstechnik agiert. In der Region findet man einige wichtige Wissenschaftseinrichtungen. Von ihnen liegen die Fachhochschule Lausitz in Senftenberg, die Technische Fachhochschule Wildau außerhalb und die Brandenburgische Technische Universität Cottbus (BTU) und das Frauenhofer-Anwendungszentrum für Logistiksystemplanung in Cottbus innerhalb des Grenzgebiets. Aus der hier angestellten kurzen Branchenanalyse ergeben sich einige wichtige Ergebnisse, die berücksichtigt werden sollten, wenn es um die Schaffung eines integrierten Arbeitsmarktes in der Grenzregion geht. Unter dem Beschäftigungsaspekt ist die wichtigste Branche in der Grenzregion weitgehend die Bauwirtschaft. Ihr Beschäftigungsanteil ist signifikant höher als in Westdeutschland. Diese Branche ist aber - besonders unter dem Aspekt der Freizügigkeit von Arbeitnehmern - ein hoch sensibler politischer Bereich und eine Ausweitung der Freizügigkeit in diesem bisher besonders geschützten Bereich ist stark umstritten. Einen weiteren Bereich mit hohem Beschäftigungsanteil stellt das Gesundheitswesen dar. Gleichzeitig besteht in einigen Teilregionen eine Unterversorgung im Bereich der medizinischen Dienstleistungen. Es ist somit von einer gewissen Aufnahmefähigkeit

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dieses Beschäftigungsbereichs auszugehen. Durch eine Arbeitsmarktintegration sind hier durchaus positive Wohlfahrtseffekte zu erwarten. Die Branche öffentliche Leistungen ist ebenfalls mit einem hohen Beschäftigungsanteil ausgewiesen. Dieser Bereich, bei dem die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kernbereichen aufgehoben ist, ist mit einem erheblichen Personalabbau konfrontiert, so dass in diesem Bereich bei einer Öffnung des Arbeitsmarktes nur geringe Impulse ausgehen werden. Hingeben ergeben sich in den Branchen Unternehmensdienstleistungen, Gastgewerbe, die in einigen Raumordnungsregionen ein erhebliches Beschäftigungsvolumen haben, durchaus positive Effekte durch eine Öffnung es Arbeitsmarktes. Unter Berücksichtigung der Beschäftigtenzahlen gilt dies insbesondere für die Branche Einzelhandel. Durch die Beschäftigung polnischer Arbeitskräfte könnte der Einzelhandel in der Grenzregion ein eigenständiges Profil entwickeln und Käuferströme aus Polen, die sich bisher mit ihrer Nachfrage nach hochwertigen und beratungsintensiven Produkten in die großen Einkaufzentren um Berlin orientierten, in die Grenzregion umlenken. Eine besondere Herausforderung ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen der Gruppe der beschäftigungsstarken Branchen und der Gruppe der Branchen mit einer hohen Spezialisierungsrate, die als besonders wettbewerbsfähig und innovativ angesehen werden. Deren Beschäftigungsanteil ist meist gering, so dass man befürchten muss, dass die von ihnen ausgehenden wirtschaftsfördernden Diffusionseffekte eher gering ausfallen und ihre wirtschaftliche Basis eher schwach ist. Wäre dies anders, so wäre die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes nicht nur für einheimische, sondern auch für polnische Arbeitskräfte wesentlich höher. Schaut man sich die innovativen Netzwerke auf der deutschen Seite der Grenzregion an, so ist zusammenfassend festzustellen, dass diese meist nur einen regionalen Bezug besitzen. Wenn sie eine internationale Ausrichtung aufzeigen, so geht diese Ausrichtung im Wesentlichen in Richtung Westdeutschland und den EU-15 bzw. ist global ausgerichtet. Enge deutsch-polnische Netzwerkbeziehungen, die eine Integration der Arbeitsmärkte unterstützen und erleichtern würden, sind bisher nur in Ansätzen in der Grenzregion zu identifizieren. Wie schwierig sich die Situation der Grenzregion darstellt, wird deutlich, wenn man nach der Umsetzung der Lissabon-Strategie fragt. Bei der Realisierung einer wissensbasierten Gesellschaft weist die Grenzregion erhebliche Defizite auf. Dies verdeutlicht auch die in der folgenden Tabelle dargestellte Patentstatistik aus dem zweiten Forschrittsbericht zur wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland.3

3 Eine weiterführende Analyse dieser Verteilung der innovativen Aktivitäten in Ostdeutschland findet sich bei Dohse (2004).

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Tabelle 5: Patente pro 100.000 Einwohner 2000 und FuE-Personalanteil 1999 in Ostdeutschland nach Regionstypen Patente je 100.000 Anteil des FuE-Personals an Einwohner allen Beschäftigten in % Agglomerationsräume

27,6

0,84

Verstädterte Räume

18,3

0,38

Ländliche Räume

10,3

0,24

Agglomerationsräume mit herausragenden Zentren

27,6

0,84

Verstädterte Räume höherer Dichte

16,8

0,39

Verstädterte Räume mittlerer Dichte mit großen Oberzentren

19,8

0,37

14,0

0,45

Ländliche Räume höherer Dichte

12,3

0,41

Ländliche Räume geringerer Dichte

8,5

0,10

Ostdeutsche Wachstumspole1

34,9

0,84

Westdeutsche Wachstumspole1

79,9

2,01

Regionen mit Grenze zu Westdeutschland

16,6

0,41

Regionen mit Grenze zu Polen

12,5

0,24

Regionen mit Grenze zu Tschechien

26,5

0,79

Ostdeutsche Regionen insgesamt

21,2

0,58

49,2

1,10

Verstädterte Räume mittlerer Dichte ohne große Oberzentren

Nachrichtlich: Deutschland insgesamt 1)

Nach Annahme des Sachverständigenrates.

Quelle: DIW (2003) Zweiter Fortschrittsbericht wirtschaftswissenschaftlicher Institute über die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland, in: DIW-Wochenbericht, 70. Jg., S. 748.

In seiner Analyse macht aber Heimpold (2003) deutlich, dass es wenig Sinn macht, pauschale Urteile über die Leistungskraft und das Wachstumspotential der Grenzregion zu fällen. Es ist hingegen notwendig, die Grenzregion als eine sehr heterogene Re-

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gion zu sehen und die Situation in den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten genauer zu beleuchten. Bei einer differenzierten Betrachtung stellt sich, wie in der Tabelle 6 an mehreren Indikatoren aufgezeigt, heraus, dass die Grenzregion über starke und schwache Teilregionen verfügt, die sich in ihrer Ausstattung mit Wachstumsfaktoren erheblich unterscheiden.

Tabelle 6: Ausgewählte Indikatoren zur Charakterisierung der wirtschaftlichen Situation in den deutschen Kreisen entlang der Grenze zur Republik Polen [Tabelle in neuem Fenster öffnen] Quelle: Heimpold 2003, 218

Gerade in einer wissensbasierten Gesellschaft kommt den wissenschaftlichen Einrichtungen und ihrer Vernetzung eine besondere Stellung zu. Legt man die abgeschlossenen Kooperationsverträge zwischen den Hochschuleinrichtungen in der Grenzregion im weitern Sinne zugrunde, so zeigt sich, wie in Abbilldung 3 dargestellt, ein respektables Netzwerk einer deutsch-polnischen Wissenschaftslandschaft. Abbildung 3: Netzwerke zwischen Hochschulen, 2005

Quelle: HWWA (2005a), S. 26

Dabei ist aber kritisch zu fragen, inwieweit diese Abkommen mit Leben gefüllt sind. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass – sieht man vom Collegium Polonicum in

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Słubice ab – keine echten gemeinsamen Forschungseinrichtungen bestehen, die sich mit deutsch-polnischen Aspekten und grenzübergreifenden Fragestellungen auseinandersetzen. Darüber hinaus beklagt das Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2004, 35) in seiner SWOT-Analyse für die Region den ungenügenden Studentenaustausch über die Grenze hinweg. Leider liegt auf der polnischen Seite kein verlässliches Datenmaterial auf Ebene der Kreise vor.4 Damit kann ein grundlegendes Anliegen dieser Studie, das auch darin bestand die spezifischen Strukturprobleme auf der polnischen Seite der Grenzregion darzustellen, in diesem Abschnitt nicht ganz befriedigend erfüllt werden. Besonders schwierig stellt sich die Datenlagen in der dem weiteren und engeren Grenzraum in der Wojewodschaft Zachodniopomorskie dar, da auf der polnischen Seite nur der westliche Teil der Wojewodschaft Zachodniopomorskie den engeren Grenzraum bildet. Dieser Teil umfasst die Landkreise Police, Gryfino, Kamień Pomorski, Gryfice, Goleniów, Stargard Szczeciński, Pyrzyce, Myślibórz, Choszczno, Łobez (besteht seit 2002), Drawsko, Białogard, Kołobrzeg, Koszalin (Kreis), Sławno, Szczecinek, Świdwin und Wałcz sowie die kreisfreien Städte Szczecin, Świnoujście und Koszalin. Der weitere Grenzraum auf der polnischen Seite umfasst zusätzlich einige weiter östlich gelegene Landkreise, wie dies in Abbildung 1 auf Seite 84 deutlich wird. Trotz des eingeschränkten Dateninformationsstandes lassen sich einige Aussagen zur Situation im polnischen Bereich der Grenzregion treffen, die im hier verfolgenden Zusammenhang einige Aufschlüsse geben können. Die Wojewodschaft Zachodniopomorskie ist wirtschaftlich ähnlich strukturiert wie die deutsche Seite. Die Hauptwirtschaftszweige der Wojewodschaft bilden5: Landwirtschaft, Folgegewerke in Handwerk und Gewerbe, Nahrungsmittelindustrie, Dienstleistungsbranche, wobei dem Tourismus eine herausragende Bedeutung zukommt. Auf den Stettiner Raum konzentrieren sich die Bereiche: Schiffbau und Hafenwirtschaft, Schiffsdienstleistungen und Logistik, Metallverarbeitung, Energiewirtschaft, Bekleidungsindustrie, Chemieindustrie sowie Papier- und Möbelindustrie. Ansätze von industriellen Kernen findet man neben Szczecin in Police (Chemie) Stargard (Bekleidung, Nahrungsmittel) Świnoujście (Nahrungsmittel), Cedynia (Baustoffe, Keramik) sowie in Goleniów und Barlinek (Holz, Möbel). Die relativ geringe Wirtschaftskraft der Region zeigt das Umsatzvolumen der Industrieproduktion, das nach Angaben des Wirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommern (2005, 21f.) 3,1 % des gesamtpolnischen Umsatzes entspricht.6 Entsprechend gering fällt auch der Anteil der Beschäftigten im industriellen Bereich aus. Gerade 3,4 % aller Industriebeschäftigten in Polen finden sich in der Grenzregion.

4 So weist das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern (2005, 11), dem wohl am einfachsten das polnische Datenmaterial zugänglich sein müsste, darauf hin, dass es aufgrund der fehlenden Daten keine adäquaten polnischen Kennziffern für den Durchführungsbericht für INTERREG III A aufstellen kann. 5 Siehe dazu ausführlich Regionale Arbeitsgruppe der Länder Mecklenburg-Vorpommern u. a. (2004. 10ff.) sowie speziell für den Wirtschaftsraum Szczecin die umfassende Analyse von Maack u. a. (2005). 6 Während das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern (2005, 21) für 2003 von einem Industrieumsatz von 17.682,3 Mio. Zloty ausgeht, kommen Maack u. a. zu einem Volumen von 16.278 Mio. Zloty. Dies macht exemplarisch deutlich, wie schwierig die Datenlage ist.

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Außerhalb der industriellen Kerne kommt der Landwirtschaft eine wichtige wirtschaftliche Funktion zu. Diese ist sehr stark von kleinen privatwirtschaftlichen Betrieben geprägt. Der Beschäftigtenanteil liegt in diesem Bereich bei über 25 %, wobei nur 15,5 % der Beschäftigten ohne sonstige Einkommen sind. Zur Erzielung eines ausreichenden Einkommens ist die große Mehrheit auf eine Beschäftigung in anderen Sektoren angewiesen. Weiter kennzeichnet den polnischen Teil der Grenzregion eine starke Diskrepanz im Ausbildungsniveau zwischen dem ländlichen und dem urbanen Bereich. Der Wissenschaftsstandort Szczecin verfügt über 17 Hochschulen und in Koszalin finden sich vier weitere Hochschulen. Bis auf den Bereich Szczecin dominiert entlang der deutsch polnischen Grenze der landwirtschaftlich geprägte Bereich ohne Hochschuleinrichtungen, so dass in der engeren Grenzregion das Potential an hochqualifizierten Pendlern eher gering ausfallen wird. In der Wojewodschaft Lubuskie bilden die zu den beiden Euroregionen Pro Europa Viadrina sowie Spree-Neiße-Bober gehörenden Landkreise Gorzowski, Krosnienski, Miedzyrzecki, Slubicki, Strzelecko-Drezdenecki, Sulecinski, Swiebodzinski, Zielonogorski, Zaganski, Zarski und die kreisfreien Städte Gorzow Wlkp., Zielona Gora auf der polnischen Seite den engeren Grenzraum, während die ganze Wojewodschaft Lubuskie den weiteren Grenzraum darstellt. Für den polnischen Grenzraum in Lubuskie geht man nach Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2004, 9) von einer Verstetigung der Bevölkerung aus. Nach dem Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2005b, 6) leben in der Wojewodschaft relativ viele junge Menschen. In 2004 betrug der Anteil der Bevölkerung im vorerwerbsfähigen Alter 22,1% und der im erwerbsfähigen Alter 64,5%. Hingegen sind die Werte für Polen 21,5% und 63,2%. Als Branchenschwerpunkte sind auf der polnischen Seite folgende Zentren aufzuführen: Gorzów (Maschinen und Anlagebau, Chemie, Textilien, Holzverarbeitung) Zielona Góra (Metallerzeugung und –verarbeitung, Elektrotechnik, Elektronik und Mikroelektronik, Textilien, Waggonbau und Zulieferung für Verkehrswesen, Holzverarbeitung, Lebensmittel), Zary (Elektrotechnik, Elektronik und Mikroelektronik, Textilien, Bauwesen, Holzverarbeitung) Świebodzin (Metallerzeugung und –verarbeitung, Holzverarbeitung, Lebensmittel), Krosno Odrzańskie (Maschinen und Anlagenbau, Holzverarbeitung) und Kostrzyn (Holzverarbeitung).7 Der Privatisierungsfortschritt in der Wojewotschaft (ca. 79 % der Unternehmen sind staatlich) liegt über dem polnischen Durchschnitt.8 Die polnische Seite des Brandenburger-Lubusker Grenzraums weist mit der Technischen Universität und der Pädagogischen Hochschule in Zielona Góra, der Sporthochschule, sowie den Fachhochschulen und der Hochschule für Business in Gorzów sowie der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Sulechów einen breiten Fächer an Hochschuleinrichtungen auf. Allerdings ist der Anteil der Hochschulabsolventen an der Bevölkerung eher gering. „Im Lubusker Grenzgebiet haben 5,7 % der Bevölkerung einen Hochschulabschluss, 54,3 % eine Berufsausbildung oder Abitur, 33 % eine

7 Siehe im einzelnen die instruktive Darstellung der Branchenschwerpunkte für beide Seiten beim Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2004, 12). 8 ebda.

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Grundschulausbildung und 7,0 % eine unvollständige Grundschulausbildung (Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2004, 25)).“ Generell ist für die Grenzregion ein geringer Innovations- und Technologiegrad festzustellen.9

1.3

Niederlassungen von Unternehmen im Nachbarland

Grenzüberschreitende Direktinvestitionen sind – wenn überhaupt – nur in einem geringen Umfang vorhanden.10 Dies wird deutlich, wenn man sich die von Krätke / Borst (2004) erstellte Übersicht über die Firmenbeteiligungen bzw. Niederlassungen deutscher Unternehmen in Polen anschaut. Hier spielt die deutsche Seite der Grenzregion eine zu vernachlässigende Rolle. Es ist auch nicht zu erwarten, das deutsche Unternehmen in der Grenzregion in nennenswertem Umfang eine Produktionsverlagerung nach Polen vornehmen.11

9 Dies betonen u. a. Prognos (2005, 21) und Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung (2005. 110f.) für Mecklenburg-Vorpommern und Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2004, 13) und Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie (Hrsg.) (2005, 120f.) für Brandenburg. 10 Auch wenn in der Statistik wenig zu diesem Aspekt zu finden ist, so sollte man dabei berücksichtigen, dass die Bereitschaft der Unternehmen, grenzüberschreitende Aktivitäten zu veröffentlichen, sehr gering ist, da dies – zu mindestens auf der deutschen Seite - als geschäftsschädigend angesehen wird. Dieser Sachverhalt selbst macht deutlich, wie schwierig sich der Integrationsprozess in der Grenzregion vollzieht. 11 Sie dazu die entsprechende Auswertung der neunten Welle des IAB-Betriebspanels bei Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie (Hrsg.) (2005, 117) und Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung (Hrsg.) (2005. 110).

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B: Zur wirtschafts- und strukturpolitischen Situation in der Grenzregion zwischen Lubuskie (PL), Zachodniopomorskie (PL), Mecklenburg-Vorpommern (D) und Brandenburg (D)

Abbildung 4: Standorte von deutschenUnternehmen mit Firmenbeteiligungen oder Niederlassungen in Polen

Quelle: Krätke / Borst (2004, 12)

Der Handel in der EU wird immer stärker vom intraindustriellen anstelle des klassischen interindustriellen Handels geprägt. Der intraindustrielle Handel vollzieht sich in multinationalen Unternehmen und in international agierenden Netzwerken. Diese fehlen aber in der Grenzregion.

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Auch auf der regionalen Ebene bestätigt sich das Ergebnis der Studie von Krätke / Borst. Nach einer bisher nicht veröffentlichten Aufstellung der Euroregion Pro Europa Viadrina aus 2006 gibt es keine größeren grenzüberschreitende Direktinvestition innerhalb der Euroregion. Alle Kapitalgeber für größere Direktinvestitionen auf der polnischen Seite kommen aus Westdeutschland oder anderen europäischen Staaten, wie die folgende Tabelle zeigt:

Tabelle 7: Direktinvestitionen in der Grenzregion Direktinvestition

Herkunftsland

Arctict Paper Kostrzyn S.A.

Schweden

Volkswagen Elektro-systemy

Westdeutschland

FURECIA in Gorzow

Westdeutschland

STEINPOL in Rzepin

Westdeutschland

MOLTECH in Sulecin

USA

STILON S.A. & RHODIA POLMAIDE POLSKA S.A.

Italien und Frankreich

BIOWET VETOQUINOL GmbH in Gorzów Frankreich PODRAVKA POLSKA in Kostrzyn

Kroatien

Quelle: Handlungsprogramm für die Euroregion Pro-Europa Viadrina (2006), Manuskript

Eine Auswahl der Region in vorhandenen Branchen veranschaulicht folgende Übersicht. Übersicht 1: In Ostbrandenburg vorzufindende Branchen Baustoffindustrie/Bauwirtschaft; Glasindustrie Elektronik/Mikroelektronik Eisen und Stahlindustrie Maschinen und Anlagenbau Ernährungsgewerbe (Landwirtschaft) Chemieindustrie / Reifenindustrie Quelle: Handlungsprogramm für die Euroregion Pro-Europa Viadrina (2006), Manuskript

Die Wojewodschaft Lubuskie ist insgesamt verhältnismäßig stark in den internationalen Kapitalverkehr eingebunden. Nach Angaben des Ministeriums für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2005b, 11) weisen 1.900 Handelsunternehmen ausländische Kapitalbeteiligungen auf. Die ausländischen Kapitalgeber kommen aus Schweden, Dänemark, Niederlande, Frankreich, Italien, Österreich, Griechenland, Kroatien, der Schweiz, Türkei, den USA und insbesondere aus Deutschland. Ähnlich stellt sich die Situation in der Wojewodschaft Zachodniopomorskie dar. Dort beläuft sich nach Maack

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u. a. (2005, 15) das Volumen der Direktinvestitionen per Dezember 2003 auf immerhin 2,6 Mrd. US-$. Dabei konzentrieren sich die Investitionen der 97 großen Investoren, die überwiegend ihren Sitz in Deutschland, Schweden oder Dänemark haben, auf den Raum Szczecin.

1.4

Grenzüberschreitender Handel

Zieht man die Handelsbilanz zur Bestimmung der grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen heraus, so muss darauf hingewiesen werden, das auf der NUTS 3 Ebene keine Daten dazu zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass eine Handelsbilanz für die Grenzregion die Intensität der Handelsbeziehungen über- und unterzeichnet, da diese in den Grenzkreisen von Brandenburg wesentlich von der Mineralöl- und Papierproduktion in Schwedt und der Stahlproduktion in Eisenhüttenstadt geprägt wird.12 Schaut man sich die Exportstatistik der Grenzländer Deutschlands zu Polen an, so stellt man fest, dass die Exporte nach Polen als prozentualer Anteil am jeweiligen Gesamtexport in den Grenzländern höher als im Bundesdurchschnitt sind.

Abbildung 5: Exporte Deutschlands und der grenznahen Bundesländer

nach Polen, 1995–2003, in % der jeweiligen Gesamtexporte 14 12 10 8 6 4 2 0 1995

1996 Deutschland

1997 Berlin

1998

1999

Brandenburg

2000

2001

Mecklenburg-Vorpommern

2002

2003 Sachsen

Quelle: HWWA (2005, 24)

Dieses Resultat relativiert sich aber erheblich, wenn man berücksichtigt, dass die Exportquote in Ostdeutschland nur halb so hoch wie die in Westdeutschland ist. Analoges gilt für die in Abbildung 6 dargestellten Importe aus Polen. 12 Eine Überzeichnung liegt deshalb vor, weil die Im- und Exportquote dieser in multinationale Unternehmen eingebundenen Unternehmen signifikant höher als bei den KMU in der Grenzregion sind und den Durchschnittswert so verzerren. Eine Unterzeichnung liegt dann vor, wenn – wie statistisch üblich – die Im- und Exporte beim Mutterunternehmen angerechnet werden.

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Abbildung 6: Importe Deutschlands und der grenznahen Bundesländer aus Polen, 1995–2003, in % der jeweiligen Gesamtimporte 14 12 10 8 6 4 2 0 1995

1996

Deutschland

1997

1998

Berlin

1999

2000

Brandenburg

2001

2002

Mecklenburg-Vorpommern

2003 Sachsen

Quelle: HWWA (2005b, 23)

Wenden wir uns der polnischen Seite zu und betrachten wir die Import- und Exportstatistik, so sehen wir eine ähnliche Situation. Abbildung 7: Importe Polens und der grenznahen Woiwodschaften aus Deutschland, 1995-2003, in % der jeweiligen Gesamtimporte 70 60 50 40 30 20 10 0 1995

1996

Polen

1997

Dolnośląskie

1998

Lubuskie

1999

2000

W ielkopolskie

2001

2002

2003

Zachodniopomorskie

Quelle: HWWA (2005b, 25)

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Abbildung 8: Exporte Polens und der grenznahen Woiwodschaften nach Deutschland, 1995-2003, in % der jeweiligen Gesamtexporte 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1995

1996

1997

Polen

Dolnośląskie

1998

1999 Lubuskie

2000 Wielkopolskie

2001

2002

2003

Zachodniopomorskie

Quelle: HWWA (2005b, 25)

Aus der Exportstatistik von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, die in HWWA (2005b), dargestellt ist, lassen sich einige für unsere Fragestellung interessante Aspekte herausarbeiten. Bisher konzentrierten die KMU auf beiden Seiten der Grenzregion ihre absatzpolitischen Aktivitäten auf die Erschließung der lokalen und regionalen Märkte. Durch diese Nischenstrategie konnten sich die Unternehmen der Grenzregion bisher mehr oder weniger erfolgreich dem globalen Wettbewerb entziehen. Diese Strategie stößt heute an ihre Grenzen. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird es in Zukunft zu einem erheblichen Nachfrageausfall kommen, der auf der deutschen Seite durch das Auslaufen des Solidarpakts II noch verstärkt wird. Von daher müssen sich auch die KMU – wollen sie überleben – dem internationalen Wettbewerb stellen. Dazu sind als erster Schritt grenzüberschreitende Aktivitäten einzuleiten. Bisher werden aber die mit der EU-Erweiterung einhergehenden Chancen des grenzüberschreitenden Handels von den KMU der Grenzregion nur unzureichend genutzt. Kunze / Schumacher (2003b) zeigen auf, dass die ostdeutschen Exporte wesentlich geringer ausfallen, als dies die Schätzungen aus dem Gravitationsansatz erwarten lassen, bei dem sich standortdistanzabhängig das mögliche Handelsvolumen bestimmt. Dass dieses erhebliche Exportpotenzial nicht von den ostdeutschen Unternehmen genutzt wird, führen sie auf den generellen Wettbewerbsrückstand ostdeutscher gegenüber westdeutschen Unternehmen zurück. Die regelmäßig von der IHK-Frankfurt (Oder)13 vorgenommene Befragung Ostbrandenburger Unternehmen macht deutlich, dass die Unternehmen auf der deutschen Seite der Grenzregion die Chancen der EU-Osterweiterung wesentlich skeptischer sehen als die Unternehmen auf der polnischen Seite, die die EU-Osterweiterung eher als Chance betrachten.

13 Siehe z.B. die letzte Umfrage der IHK-Frankfurt (Oder) (2005).

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Kennzeichnend für die deutsch-polnische Grenzregion ist der Sachverhalt, dass die Chancen des grenzüberschreitenden Handels nur unzureichend genutzt werden. Dies gilt sowohl für die Konsumenten, die den Standortvorteil lokale Güter unzureichend nutzen, als auch für die Unternehmen, die ihre Marktchancen auf der anderen Seite vernachlässigen. Die unzureichende Realisation von Wohlfahrtseffekten der Integration ist dabei in erster Linie auf der deutschen Seite festzustellen. An der deutschen Grenze zu Polen existieren immer noch erhebliche Preisunterschiede bei Konsumartikeln und insbesondere bei Dienstleistungen, so dass es sich gerade für Deutsche in der Grenzregion lohnt, im Nachbarland einzukaufen. Betrachtet man aber die Einkaufströme näher, so stellt man fest, dass sich die Kaufaktivitäten im Wesentlichen auf Zigaretten und Benzin beschränken. So werden von den Frankfurter Ausgaben für den täglichen Bedarf und Modeartikel nach einer Befragung des Lehrstuhls für Marketing an der Europa-Universität in Frankfurt (Oder) nur 4,8 % in Polen verausgabt. Eine sehr vorsichtige Schätzung des Wohlfahrtsverlusts der Frankfurter Haushalte, der in einer unzureichenden Nutzung von Einkaufsmöglichkeiten in Słubice herrührt, kommt für die zirka 35.000 Haushalte zu einem Wohlfahrtsverlust von immerhin 82 Mio. EUR pro Jahr.14 Die Polnischen Konsumenten nutzen ihre Einkaufschancen wesentlich effizienter. In den Einkaufscentern in Schwedt, Frankfurt (Oder) und Görlitz beträgt der Umsatzanteil der polnischen Nachfrager zirka 30 %. Würden keine Transport- und Transaktionskosten im Handel vorliegen, so würde der positive Wohlfahrtseffekt der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht eintreten, da der Faktor Arbeit inkorporiet in Güter problemlos Grenzen überschreiten kann. Da die Transportund Transaktionskosten in der Grenzregion relativ gering sind, kommt auf dem ersten Blick der Mobilität des Faktors Arbeit in der Grenzregion kein besonderer Stellenwert zu, wenn die Konsumenten hinreichend mobil sind. Geht es aber um die Attraktivität der Grenzregion für Unternehmensansiedlungen, dann relativiert sich – wie in Teil D aufgezeigt wird – dieses Argument. Hinzu kommt, dass auch in der Grenzregion - insbesondere bei den Konsumenten - die Mobilität bei einigen wichtigen Dienstleistungen erheblich eingeschränkt ist. Man denke hier nur exemplarisch an den Pflege- und Gesundheitsbereich, der nicht nur für die Grenzregion, sondern auch für den Berliner Raum ein erhebliches Entwicklungspotential aufweist. Des Weiteren ist kritisch anzumerken, dass reine Handelsbeziehungen in Form eines reinen Austausches von Gütern und Dienstleistungen im Prinzip die schwächste Form eines integrierten Gütermarktes darstellt. Die Integrationsschwäche der Grenzregion auf dem Gütermarkt, die – was oft nicht gesehen wird – auch ein immenses Hindernis für die Integration der Arbeitsmärkte darstellt, wird offensichtlich, wenn man nach Wirtschaftsbeziehungen auf dem Gütermarkt der Grenzregion fragt, die über einen reinen Handelsaustausch hinausgehen. Zu denken ist hier an grenzüberschreitende langfristige Lieferbeziehungen, Lizenzverträge, joint ventures und Kooperationen sowie Direktinvestitionen. In diesem Bereich manifestieren sich die Integrationsdefizite der Grenzregion.

14 Grundlage für diese Schätzung bildet die nicht veröffentlichte Diplomarbeit von Marta Parzytarska zum Thema Die Vorteile des grenzüberschreitenden Einkaufs: Eine empirische Analyse der deutsch-polnischen Grenzregion, am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Europa-Universität Frankfurt (Oder), 2005.

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1.5

Trends der mittelfristigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung in der Grenzregion

Um Prognosen über die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots der Grenzregion zu machen ist es sinnvoll, sich der Analysen der Bevölkerungsentwicklung zu bedienen, da sie die Grundlage für die Bestimmung des Arbeitskräftepotenzials bilden. Unter den vielen Bevölkerungsstudien der letzten Jahre soll die Prognose des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2005) herangezogen werden, die sich durch ihre Aktualität und ihren hohen Disaggregationsgrad auszeichnet. Die zentrale Aussage des Instituts über die Bevölkerungsentwicklung in den Grenzkreisen findet man in Abbildung 9.

Abbildung 9: Bevölkerungsprognose 2000 bis 2020

Quelle: Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2005, 17)

Die Abbildung verdeutlicht, dass fast alle Grenzkreise mit einem erheblichen Bevölkerungsrückgang konfrontiert sind. Nur in den Brandenburger Grenzkreisen Barnim und Märkisch-Oderland ist ein erheblicher Bevölkerungszuwachs zwischen 10,1 % und 15 % bis 2020 zu verzeichnen. In den Landkreisen Nordvorpommern und Ostvorpommern ist ein moderater Bevölkerungsrückgang im Bereich zwischen 0 % und 4 % zu erwarten. In allen anderen Grenzkreisen fällt der zu erwartende Bevölkerungsrückgang recht stark aus. Die durchaus positive Bevölkerungsentwicklung in den Landkreisen Barnim und Märkisch-Oderland ist auf die Bevölkerungsdynamik im engeren Verflechtungsraum zu Berlin und nicht auf ihre spezifische Grenzlandsituation zurückzuführen. Dies zeigt auch die im Vergleich zur Berliner Studie nicht so günstig ausfallende Analy-

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B: Zur wirtschafts- und strukturpolitischen Situation in der Grenzregion zwischen Lubuskie (PL), Zachodniopomorskie (PL), Mecklenburg-Vorpommern (D) und Brandenburg (D)

se der Landesregierung Brandenburg zum demografischen Wandel.15 Aufgrund der durchweg ungünstigen Bevölkerungsentwicklung stellt sich auch die des Erwerbspersonenpotenzials nicht besonders günstig dar. Prognosen über die Auswirkungen der EU-Osterweiterung bezüglich ihrer Wachstums, Beschäftigungs- und Migrationseffekte sind zahlreich. Sie haben für die hier zu bearbeitende Fragestellung allerdings einen gravierenden Nachteil, so dass auf sie hier nicht weiter eingegangen werden soll. Ihre Analyse bezieht sich auf die EU-weiten bzw. Ländereffekte der EU-Erweiterung und der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Diese sind für die hier notwendige kleinräumige Betrachtungsweise wenig hilfreich.16 Aus allen Studien ist als Nukleus das Fazit zu ziehen, dass die regionalen und branchenbezogenen Effekte der EU-Erweiterung und der damit einhergehenden Integration sehr disparat ausfallen werden. Insbesondere fehlen noch umfassende Studien, die detailliert das Pendlerverhalten in der Grenzregion und die Beschäftigungseffekte der Erweiterung und Integration für die Grenzregion analysieren und prognostizieren. Eine aktuelle Prognose über das Pendleraufkommen in der Grenzregion hat das HWWA (2005b, 48) aufbauend auf der Studie von Alecke/Untiedt (2001) erstellt. Die wichtigsten Ergebnisse stellt Tabelle 8 zusammenfassend dar.

15 Siehe dazu die instruktive Grafik in Landesregierung Brandenburg (2005, 6). 16 Einen kurzen Überblick über die Literatur die die regionalen Effekte der Marktintegration untersuchen findet man z, B. bei Niebuhr (2005).

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Tabelle 8: Geschätztes Pendlerpotential im Grenzraum, 2020

Städte im Grenzraum Stralsund Greifswald Neubrandenburg Berlin Frankfurt/Oder Cottbus Görlitz Dresden

Bevölkerung 2020

Pendlerpotential Relatives Pendlerpoabsolut tential in % der Bevölkerung a)

44.400 49.800 62.300 3.498.500 63.800 89.700 49.900 464.600

1,6 1,6 2,2 2,2 3,0 3,0 3,5 2,9

710 797 1.371 76.967 1.914 2.691 1.747 13.473

-

1,9 2,0 2,6 2,5 2,8

9.790 6.227 11.661 18.041 20.386

-

2,7

27.815

Grenznahe Raumordnungsregionen b)

Vorpommern Uckermark-Barnim Oderwald-Spree Lausitz-Spreewald OberlausitzNiederschlesien Elbtal/Osterzgebirge

a Pendlerpotential in % der Bevölkerung der Zielregion bei einer angenommenen Distanz von 100 km; b Angaben für die grenznahen Raumordnungsregionen wurden nicht mittels der Bevölkerungsprognose extrapoliert, sondern direkt aus Alecke/Untiedt (2001) übernommen. Quelle: HWWA (2005b), S 48

Kritisch ist zu dieser Pendlerprognose des HWWA zu sagen, dass sie noch von einer sehr günstigen Bevölkerungsentwicklung in der Grenzregion ausgeht.17 Konzentriert man sich deshalb auf das erwartete relative Pendlerpotenzial, das nach der HWWAPrognose bei knapp 3 % in den Städten der Grenzregion und bei gut 2 % im ländlichen Raum liegen wird, so kann man nicht von sehr starken zukünftigen Pendlerströmen sprechen. Inwieweit dieses Potenzial aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung auch tatsächlich ausgeschöpft wird, ist dabei noch eine ganz andere Frage. Den Aspekt des zukünftigen Mangels an Fachkräften, der sich in Brandenburg „zu einen deutlichen Wachstumshemmnis gerade für innovative Unternehmen“ entwickeln wird, betont Prognos (2004a, 58) in seiner Studie. Während das Institut für den Speckgürtel um Berlin eine positive Wirtschaftsentwicklung erwartet, geht es davon aus, dass die Grenzregion als peripherer Raum durch „Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Überalterung (Prognos (2004a, 58)“ charakterisiert sein wird, so dass sich die An17 So ist z.B. die Annahme, dass Frankfurt (Oder) in 2020 noch 63.800 Einwohner haben wird, sehr unrealistisch. Frankfurt ist von 1990 von 82.000 auf heute 62.000 Einwohner geschrumpft. Dieser Bevölkerungsrückgang wird sich nach allen vorliegenden Prognosen auf hohem Niveau fortsetzen.

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siedlung neuer Unternehmen in der Grenzregion – sieht man von einzelnen Städten, wie Cottbus ab – schwierig gestalten wird. Der für alle Kreise und kreisfreien Städte von der Prognos A.G. erstellte Zukunftsatlas 2004 zeigt auf, dass die gesamte deutsche Seite der Grenzregion mit Zukunftsrisiken behaftet ist. Bei der Differenzierung zwischen den drei Negativkategorien des Altasses: Zukunftsrisiken (Z), hohe Zukunftsrisiken (hZ) und sehr hohe Zukunftsrisiken (shZ) sowie im Ranking von 1 bis 439 verdeutlicht die Tabelle 9, die sehr ungünstige Zukunftsperspektive der Grenzregion.

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Tabelle 9: Zukunftsrisikoklassifikation der Kreise und kreisfreien Städte in der Grenzregion Kreis / Stadt

Klassifizierung Prognos

Rang Prognos

Gesamtnote BerlinerInstitut*

Ranking unter den Grenzkreisen (Prognosbewertung)

Mecklenburg-Vorpommern Rügen

hZ

418

3,82

10

Stralsund

hZ

407

4,27

8

Nordvorpommern shZ

429

3,86

11

Greifswald

Z

325

3,77

1

Ostvorpommern

hZ

405

3,68

7

Uecker-Randow

shZ

435

4,5

12

Uckermark

hZ

417

4,41

9

Barnim

Z

343

3,5

3

MärkischOderland

hZ

400

3,36

6

Frankfurt (Oder)

hZ

385

3,5

5

Oder-Spree

Z

335

3,5

2

Cottbus

Z

346

3,95

4

Spree-Neiße

hZ

424

4,14

10

Brandenburg

Z = Zukunftsrisiken, hZ = hohe Zukunftsrisiken, shZ = sehr hohe Zukunftsrisiken * Die Gesamtnote des Berlin-Institut kann zwischen den Noten 1 (sehr gut) und 6 (ungenügend) liegen Quelle: Prognos Zukunftsatlas, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2005), eigene Berechnung und Darstellung

Auch der aktualisierte Zukunftsatlas 2006, der ähnlich wie Halle (2004a) eine Branchenanalyse beinhaltet und Wachstumskerne identifiziert, führt zu keiner Verbesserung in der Beurteilung der Wachstums- und Entwicklungschancen der Grenzregion. Die wohl umfassendste Analyse für Ostdeutschland des IWH (2004a) identifiziert nur wenige Wachstumskerne – das IWH spricht von Ökonomischen Entwicklungskernen ÖEK – auf der deutschen Seite der Grenzregion. In der Grenzregion von MecklenburgVorpommern existiert kein einziger Wachstumskern, in der von Brandenburg die Energieversorgung Lausitz-Spreewald und die Bergbausanierung und -revitalisierung Lausitz-Spreewald, sowie in der von Sachsen die Bahntechnik Bautzen-Görlitz, wie dies in Karte … ersichtlich wird.

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Abbildung 10: Ökonomische Entwicklungskerne (OEK) sowie Ansätze für OEK* in den ostdeutschen Raumordnungsregionen

* Ansätze für OEK sind ausschließlich für diejenigen Raumordnungsregionen ausgewiesen, welche nur über einen OEK oder keinen OEK verfügen Quelle: IWH (2004a, 13)

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Nimmt man die Standorte hinzu, in denen sich Ansätze von ÖEK andeuten, so verbessert sich die Situation nicht grundlegend, da nur drei in der Grenzregion von Mecklenburg-Vorpommern und einer Brandenburg zu identifizieren sind. Während in den bisher skizzierten Analysen und Prognosen eine eher verhalten skeptische Perspektive dominiert und die spezifischen Chancen und Risiken, die sich für die Grenzregion aus der EU-Erweiterung ergeben, nicht explizit berücksichtigt werden, entwickelt das HWWA (2005a) ein sehr optimistisches Szenario für die Entwicklung des weiteren Grenzraums. Dabei verzichtet das HWWA auf eine quantitative Prognose, die mit einem ökonometrischen Modell oder mittels umfassenden empirischen Materials gestützt wird. Das besondere Verdienst dieser Studie liegt darin, dass sie aufzeigt, welche Chancen die Grenzregion durch die vier Grundfreiheiten des gemeinsamen Marktes realisieren kann, wenn sie alle Chancen, die sich aus der EU-Erweiterung ergeben, auch nutzt.18 Dabei kommt die Studie in ihrem „Entwicklungsszenario für den Oderraum 2020“ zu dem für EURES-T zentralen und sehr positiven Ergebnis: „Zusätzlich kann in Grenzregionen das Pendeln zu einer Intensivierung der grenzüberschreitenden Verflechtungsbeziehungen beitragen. Insgesamt dürfte sich der Einfluss der fortschreitenden Integration zwischen Polen und Deutschland in jenen Bereichen vergleichsweise stark auf die Entwicklung des deutsch-polnischen Grenzraums auswirken, die in ihrer Intensität distanzabhängig sind. In diesen Bereichen bewirkt der Abbau von Grenzhemmnissen einen relativ ausgeprägten Anstieg der grenzüberschreitenden Aktivitäten und der aus ihnen resultierenden ökonomischen Entwicklungsimpulse für den deutsch-polnischen Grenzraum (HWWA (2005a, 11).“ Chancen für die Region Vorpommern sieht auch die Analyse der „wertschöpfungsintensiven und beschäftigungsstarken Produktionszentren der Zukunft“ durch die IHK zu Schwerin (2005). Danach liegen doch mit drei nicht wenige der zehn identifizierten Wachstumskerne von Mecklenburg-Vorpommern in der Grenzregion. Stichwortartig zu erwähnen sind hier: Schiffbau in Stralsund und Ostvorpommern, Nachrichtentechnik in Greifswald, Metallerzeugung und Bearbeitung in Uecker-Randow. Eine ähnlich optimistische Sicht liegt auch der „Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung Brandenburg“19 zugrunde, das mit Schwedt (Oder) Eberswalde, Fürstenwalde, Frankfurt (Oder) zusammen mit Eisenhüttenstadt, Cottbus und Spremberg mit immerhin sieben von 15 regionalen Wachstumskernen in der Grenzregion identifiziert, bei denen sie ein überragendes Wachstumspotenzial sieht und die besonders gefördert werden sollen. Die Verteilung der Wachstumskerne Brandenburgs ist in Abbildung 11 dargestellt.

18 Dem optimistischen Entwicklungsszenario wird entsprechend ein pessimistisches der nicht genutzten Chancen gegenübergestellt. Dabei verzichtet die Studie sinnvoller Weise auf die Angabe der jeweiligen Realisierungswahrscheinlichkeiten, so dass man eher von Handlungsoptionen als von Prognosen sprechen sollte. 19 Siehe ausführlich Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (2005).

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Abbildung 11: Wachstumskerne Brandenburgs

Quelle: http://www.wirtschaft.brandenburg.de/media/lbm1.a.1168.de/20051122bericht.pdf

Wenn man die Entwicklungschancen beider Seiten der Grenzregion im Rahmen der EU-Integration vergleicht, so sind diese im stärkeren Ausmaß auf der polnischen Seite vorhanden. Dies liegt zum einen an der stärkeren Ausrichtung der deutschen Seite in Richtung der USA und den EU-15, auch wenn sich Polen kontinuierlich zum wichtigsten Handelspartner des Grenzraums im weiteren Sinne entwickelt. Hinzu kommt – wie oben in 1.3. dargestellt, die Wirtschaftsstruktur in der Grenzregion auf der deutschen Seite eher hemmend wirkt. Dies ist nicht nur die kleinteilige Betriebsstruktur auf der deutschen Seite, die auch auf der polnischen Seite gegeben ist, zurückzuführen.20 Wie Kunze/Schumacher (2003a) für Brandenburg – und dies gilt insgesamt für die deutsche Seite der Grenzregion – aufzeigen, exportiert die Region überwiegend Industriegüter. Der Branchenanteil des Industriesektors ist aber relativ gering. Es fehlt auch eine ausreichende Industriedichte. Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten und die Humankapitalausstattung sind zu gering, um sich im internationalen Wettbewerb durchzusetzen. Unterschiedliche Entwicklungschancen bestätigt auch die empirische Untersuchung von Niebuhr (2005), die die Auswirkungen einer Reduzierung von Grenzhindernissen (gemessen in reduzierten Fahrzeiten) auf die Wachstumschancen der EU-Regionen 20 Nach der neunten Welle des Betriebspanels des IAB liegt in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg der Anteil der KMU mit weniger als 20 Beschäftigten bei 88 % hingegen in Westdeutschland nur bei 30 %.

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untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass von einer Reduzierung von Hemmnissen die EU-8 stärker als die EU-15, dass aber in beiden Ländergruppen die Grenzregionen stärker als die inneren Regionen gewinnen.

2 Geografische Parameter 2.1

Verkehrsinfrastruktur

In der Grenzregion findet man ein mehr oder weniger gut ausgebautes Eisenbahn- und Straßennetz. Bis auf Stettin existiert kein Flughafen mit relevantem Verkehrsaufkommen in der Grenzregion. Während insbesondere auf der deutschen Seite ein gut ausgebauter ÖPNV existiert, gilt dies nur eingeschränkt für die polnische Seite. Unzureichend ist der ÖPNV insbesondere im grenzüberschreitenden Bereich. Wichtige Bahnverbindungen, die auch den Anschluss Berlins an die Grenzregion ermöglichen sind folgende Strecken: Pasewalk

¨

Szczecin

Berlin

¨

Angermünde

¨

Szczecin

Berlin

¨

Seelow

¨

Kostrzyn

¨

Gorzow

Berlin

¨

Frankfurt (Oder) ¨

Kunowice

¨

Poznań und Wroslaw

Guben

¨

Gubin

Berlin

¨

Cottbus

¨

Forst

¨

Zasieki

Berlin

¨

Görlitz

¨

Zgorzelec

¨

Wroslaw.

Auch wenn die Bahnverbindungen Berlins mit Poznań und Wroslaw eine überregionale Bedeutung haben, so erfüllen sie aber in keiner Weise den Anforderungen eines transeuropäischen Netzes. Die Eisenbahnstrecke Berlin - Frankfurt (Oder) – Posnań - Warschau wird zur Zeit trotz sehr günstiger topographischer Bedingungen nur für eine Maximalgeschwindigkeit von 160 km/h ausgebaut, und bleibt damit weit unter der möglichen Geschwindigkeit von über 250 km/h, die zur Zeit realisierbar ist und für transeuropäische Netze Standard sein sollte. Besser stellt sich die Straßeninfrastruktur – zumindest für die deutsche Seite - in der Grenzregion dar21. Für die hier anzustellenden Mobilitätsüberlegungen sind die Ost-

21 So stellen die Forschungsinstitute (DIW u. a. (2003, 743ff.)) durchaus das Fortbestehen einer Lücke in der Verkehrsinfrastruktur fest, fragen aber, ob es Sinn macht, für eine geographische Lage abseits der großen europäischen Zentren eine gleichwertige Verkehrsinfrastruktur wie in Westdeutschland zu schaffen.

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Westverbindungen hervorzuheben. Folgende Straßenverbindungen zwischen Deutschland und Polen sind hier von Interesse:

Pasewalk

¨

Linken

¨

Stettin

B 104

Berlin

¨

Pomellen

¨

Stettin

A11

Angemünde

¨

Schwedt

¨

Chonja

B 2, B 166

Eberswalde

¨

Hohenwutzen

¨

Cedynia

B 167, B 158

Seelow

¨

Kostrzyn

¨

Gorzow

B1

Berlin

¨

Swiecko

¨

Poznań

A 12

Guben

¨

Gubin

Berlin

¨

Cottbus

¨

Forst

Weisswasser O.L

¨

Bad Muskau

¨

Leknica

B 156, B 115

Podrosche

¨

Przewoz

¨

Dresden

¨

Ludwigsdorf

¨

Wroslaw

A4

B 112 ¨

Poznań / Wroslaw

A 15

An der immerhin 442 km langen deutsch-polnischen Grenze22 existieren nur 11 für den Straßenverkehr voll zugelassene Grenzübergänge. Hinzu kommen Übergänge bei Rosowek, Frankfurt (Oder) – Stadt und Guben-Stadt, die nur lokale – dort aber sehr wichtige - Bedeutung haben. So passieren z. B. cirka 17.000 Personen die Frankfurter Stadtbrücke. Der Übergang bei Ahlbeck nach Swinemünde, ist ausschließlich dem Fußgängerverkehr vorbehalten. Die Erreichbarkeit in der Grenzregion wird durch den Bau der Oder-Lausitz-Trasse, die entlang der Oder entsteht, erheblich verbessert. Sie ermöglicht polnischen Pendlern, auch solche Kommunen zu erreichen, die aufgrund der wenigen Grenzübergängen nur schwer zu erreichen sind. Kritisch hervorzuheben sind die Mängel in der Verkehrsinfrastruktur auf der polnischen Seite, wo zum Teil sogar notwendige Reinvestitionen unterlassen werden. So weist das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.) (2005, 20) darauf hin, dass in der Wojewodschaft Zachodniopomorskie in den Jahren 1999 – 2004 nur durchschnittlich 40 km der Wojewodschaftsstraßen saniert wurden, wobei der Sanierungsbedarf bei 140 km lag. Das Kernproblem, das einer intensiveren Mobilität von Arbeitskräften zwischen Deutschland und Polen entgegensteht ist in den wenigen, den aktuellen Verkehrsanforderungen angepassten und entsprechend gut ausgebauten Grenzübergänge zu sehen. Durch die ungenügende Erreichbarkeit dieser Grenzübergänge aus einigen Teilregionen der jeweiligen Länder, wird dieses Problem noch verstärkt. 22 Davon entfallen auf Mecklenburg-Vorpommern 78,1 km, auf Brandenburg 252 km und auf Sachsen 111.9 km.

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2.2

Bevölkerung

Ein nicht zu vernachlässigendes Mobilitätshindernis stellt die geringe Bevölkerungsdichte dar. Dies wird besonders deutlich, wenn man die großen Städte betrachtet, die für die Mobilitätsintensität von immenser Bedeutung sind. Es existieren nur wenige Städte in der Grenzregion mit mehr als 30.000 Einwohnern: Mecklenburg-Vorpommern:

Stralsund und Greifswald,

Brandenburg:

Eberswalde, Schwedt (Oder), Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt, Fürstenwalde/Spree und Cottbus

Lebuskie

Gorzów Wielkopolski, Zielona Góra, Nowa Sól, Żary,

Zachodniopomorskie

Szczecin, Świnoujście, Stargard Szczeciński, Police

Dies macht deutlich, dass den Agglomerationszentren Berlin und Stettin bezüglich der Pendlerströme ein erheblicher Pull- bzw. Push-Effekt zukommt. Dabei finden wir aber in der Grenzregion keine Synchronisation beider Effekte. Berlin fehlen auf der polnischen Seite nahe Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte. Stettin fehlt die Dynamik, um in absehbarer Zeit für Pendler einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten, andererseits fehlen im großen Umfeld von Stettin Regionen, die für Pendler aus Stettin attraktiv sind. In der Grenzregion kommen so den Doppelstädten Frankfurt (Oder)/Słubice, Guben/Gubin und Görlitz/Zgorzelec eine dominante Stellung zu, die sich aber im Vergleich zu den existierenden und zu erwartenden Pendlerströmen nach dem Agglomerationszentrum Berlin relativiert. Berlin ist sehr gut von der Grenze sowohl per Bahn als auch per Auto zu erreichen. So betragen die ungefähren Fahrzeiten:

Strecke

Fahrzeit

Berlin – Stettin

2,5 Stunden

Berlin – Frankfurt (Oder)

1 Stunde

Berlin – Forst

2 Stunden.

Ein immenses Mobilitätshemmnis stellt dabei oft die Anbindung der polnischen zur deutschen Seite dar, die die Anfahrtszeiten extrem erhöht. Welche immensen Fahrzeiten Pendler auf der polnischen Seite in Kauf nehmen müssen verdeutlicht eindrucksvoll die Übersicht von Selke (2004, 3).

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Tabelle 10: Heutige und zukünftige Fahrzeiten der grenzüberschreitenden Schienenverbindungen Relation

über

Entfernung in km

Stettin (Szczecin) - Berlin Landsberg (Gorzow Wlkp.) Berlin Posen (Poznan) - Berlin Warschau (Warzawa) - Berlin

--

141

Küstrin (Kostrzyn), Kietz

123

2:02

3:04

1:20

Kunersdorf (Kunowice) Kunersdorf (Kunowice)

260

3:08

3:11

2:00

565

6:10

5:59

4:10

Grünberg (Zielona-Góra) Berlin Breslau (Wroclaw) - Berlin Posen (Pounań) - Cottbus Grünberg (Zielona Góra) Cottbus Sorau (Źary) Cottbus Liegnitz (Legnica) Cottbus Liegnitz (Legnica) Görlitz Liegnitz (Legnica) Dresden Breslau (Wroclaw) Görlitz Breslau (Wroclaw) Dresden Hirschberg (Jelenia Góra) Görlitz Hirschberg (Jelenia Góra) Dresden

Kunersdorf (Kunowice)

175

3:15

3:49

1:30

Kundersdorf (Kunowice) Kundersdorf (Kunowice) Guben (Gubin)

328

4:08

5:19

2:40

252

ca. 3:40

3:49

2:10

104

--

4:02

1:10

59

ca. 1:15

1:09

0:45

141

ca: 2:30

2:53

1:35

Görlitz (Zgorzelec)

99

1:25

1:59

0:50

Görlitz (Zgorzelec)

201

3:10

3:32

1:45

Görlitz (Zgorzelec)

165

2:18

3:03

1:20

Görlitz (Zgorzelec)

267

4:03

4:36

2:15

Görlitz (Zgorzelec)

78

ca. 1:25

2:05

0:50

Görlitz (Zgorzelec)

180

ca. 3:15

3:38

1:45

Forst/Lausitz (Zasieki) Sorau (Źary)

Kürzeste Fahrzeit Stand 1995 2:20

Ziele der Leitbilder von 1995 Stand 2003* 2:22

Planung Stufe II 1:10

* Die aktuellen Verbindungszeiten bewegen sich nach Auskunft der Deutschen Bahn (www.reiseauskunft.bahn.de) in einem ähnlichen Zeitkorridor. Quelle: Selke (2004, 3), eigene Darstellung

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Hingegen finden polnische Pendler auf der deutschen Seite recht günstige Verkehrsverbinden. So beträgt im Mittel „die Pkw- Fahrzeit in Brandenburg zum nächsten: Autobahnanschluss 19 Minuten (Grenzraum: 16 min; BRD: 12 min) Oberzentrum 39 Minuten (Grenzraum: 42 min; BRD 27 min) IC-/EC-/ICE-Halt 27 Minuten (Grenzraum: 38 min; BRD: 19 min) Internationalen Verkehrsflughafen 69 Minuten (Grenzraum: 68 min; BRD 61 min) (Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2005a, 47).“ Besorgniserregend ist die Tatsache, dass aufgrund unzureichender Infrastrukturinvestitionen und unterlassener Reinvestitionen auf polnischer Seite, das polnische Verkehrssystem zunehmend an Substanz verliert. Insbesondere ist kritisch darauf hinzuweisen, dass das Eisenbahnnetz in erheblichem Umfang ausgedünnt werden soll.

2.3

Geografische Mobilitätshindernisse

Zusammenfassend kann man an dieser Stelle einige die Mobilität erheblich einschränkende Hemmnisse feststellen, die aber – bis auf die geringe Bevölkerungsdichte in der Grenzregion – politisch kaum zu beeinflussen sind. Das größte Mobilitätshemmnis ist die sehr niedrige Bevölkerungsdichte auf beiden Seiten. Diese wird noch dadurch erheblich verstärkt, dass keine räumliche Konzentration in großen Städten gegeben ist, von der eine eigene Dynamik ausgehen könnte. Nur dem Raum Stettin und dem grenzfernen Berliner Raum kommt hier eine Ausnahmeposition zu. Inakzeptabel und politisch abänderbar ist die völlig unzureichende Ausstattung mit Grenzübergängen im deutsch-polnischen Grenzgebiet, die durch die Oder immer als Brücken realisiert werden müssen was mit einem wesentlich höheren Aufwand - und Kosten - verbunden ist. Dass hier durchaus eine Blockade im Politikbereich festzustellen ist, wird deutlich. wenn man sich vor Augen hält, dass seit 1990 das Handelsvolumen um ein Vielfaches gestiegen ist, in dieser Zeit aber kein einziger neuer Grenzübergang geschaffen worden ist. So stocken die sich seit Jahren hinziehenden Verhandlungen, neue Grenzübergänge bei Schwedt und im Raum Frankfurt (Oder) und Eisenhüttenstadt zu schaffen. Des Weiteren fehlt ein Regierungsabkommen zur Sanierung der Eisenbahnbrücke über die Oder bei Frankfurt (Oder), so dass in absehbarer Zeit diese für das transeuropäische Netz so wichtige Brücke nur eingleisig mit 10 km/h zu befahren ist. Im Weiteren wird die Mobilität durch einen völlig unzureichenden grenzüberschreitenden ÖPNV eingeschränkt. Nur in Schwedt und Görlitz existieren entsprechende Verbindungen. Die Einrichtung einer Straßenbahnverbindung über die Oder zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice ist am Widerstand der Frankfurter Bevölkerung gescheitert.

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Von nur noch vorübergehender Bedeutung sind die Mobilitätseinschränkungen durch die Personenkontrollen an der Grenze. In den nächsten zwei Jahren wird Polen die Anforderungen aus dem Schengener Abkommen erfüllen, so dass diese Kontrollen den Verkehr in der Grenzregion nicht mehr behindern.

3 Spezifische lokale und regionale Parameter 3.1

Mobilitätshindernisse

Die Grenzregion ist nicht nur - wie schon ausgeführt - durch eine niedrige Bevölkerungsdichte gekennzeichnet, sondern auch – wie in Kapitel A dargestellt – durch einen erheblichen Bevölkerungsrückgang. Aufgrund des Bevölkerungsrückgangs ist es weder zu erwarten noch ökonomisch sehr sinnvoll, die regionale Verkehrsinfrastruktur in der Grenzregion erheblich zu erweitern, so dass auch in Zukunft die Verkehrsinfrastruktur weiter ein Mobilitätshemmnis bleiben wird. Gleiches gilt für den bisher nur schwach ausgebauten ÖPNV, insbesondere beim grenzüberschreitenden Verkehr. Es gibt aber gravierende spezifisch lokale Mobilitätshemmnisse, die durch eigene Anstrengungen der Region überwunden werden können. Hier sollen nur zwei Hemmnisse angeführt werden, die nicht zu unterschätzen sind. Als erstes sind die sehr unzureichenden Kenntnisse der Nachbarsprache anzuführen. Während die Bemühungen, die Sprache des Nachbarn zu erlernen, auf der polnischen Seite durchaus gegeben sind, findet man auf der deutschen Seite nur rudimentäre Ansätze. So existieren auf der deutschen Seite nur wenige Gymnasien, die Polnisch anbieten. Die Nachfrage nach Sprachkursen der Volkshochschulen ist ebenfalls gering. Sprachkenntnisse sind aber – wie die prosperierende und durch Pendlerströme charakterisierte boomende Region um Luxemburg (EURES Grenzregion Saar-Lor-Lux-Rheinland-Pfalz) zeigt, eine unabdingbare Notwendigkeit, um eine effiziente Faktorwanderung zu erreichen. Noch gravierender wirken sich die durchaus auf der deutschen Seite existierenden Vorurteile gegenüber den polnischen Nachbarn aus. Dies ist zum Teil historisch bedingt, aber durchaus zu beeinflussen. Diese mentalen Probleme verschärfen sich durch die Alterung der Bevölkerung in der Grenzregion. So wandern gerade die jungen und weltoffenen Arbeitskräfte ab, was für die Grenzregion nicht nur einen Verlust an Human-, sondern - was viel gravierender ist und oft nicht gesehen wird - auch einen Verlust an Sozialkapital darstellt, das nur schwer ersetzt werden kann. Hinzu kommen ökonomische Faktoren. Die hohe Arbeitslosigkeit in der Grenzregion reduziert die Bereitschaft, Arbeitskräfte aus dem Nachbarland aufzunehmen, da vorrangig die Gefahr des Verlustes von Arbeitsmöglichkeiten für Einheimische gesehen wird. Hinzu kommt, dass die deutsche Seite der Grenzregion gerade für qualifizierte polnische Arbeitskräfte eine geringe Attraktivität aufweist. Die hohe Arbeitslosigkeit auf der deutschen Seite reduziert die Wahrscheinlichkeit, schnell im Nachbarland eine adäquate Beschäftigung zu erhalten. Hinzu kommt, dass sich die Entlohnung auf der deutschen Seite der Grenzregion auf einem sehr geringen Niveau befindet, so dass

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polnische Arbeitskräfte entweder in den Ballungsraum Berlin pendeln oder in den Westen migrieren.

3.2

Arbeitsmarktengpässe und Komplementaritäten der Grenzregionen

Die hohe Arbeitslosigkeit in der Grenzregion lässt erwarten, dass es auf der deutschen Seite bei der Nachfrage nach Arbeitskräften keine Engpässe existieren, da aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit ein genereller Überhang vorliegt. Dieser erste Eindruck trügt aber in mehrerer Hinsicht. Es gibt in der Grenzregion durchaus eine Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, die in einigen Bereichen schon heute nicht befriedigt werden kann. Dies ist im Wesentlichen auf die geringe Ertragskraft der Unternehmen in der Grenzregion zurückzuführen. Die Unternehmen suchen qualifizierte Arbeitskräfte für so niedrige Löhne, die der Arbeitsmarkt schon heute der Grenzregion nicht mehr zur Verfügung stellen kann. Dies begründet sich u. a. darin, dass die Lohnofferten nicht ausreichen einen angemessenen Lebensstandard zu sichern und dass insbesondere die qualifizierten Arbeitskräfte außerhalb der Grenzregion bessere Alternativen vorfinden. Welche immensen Probleme auf den Arbeitsmarkt zukommen, macht exemplarisch die Analyse der Altersstruktur in den Betrieben Brandenburgs von Papiers (2005) deutlich. Er zeigt eindringlich auf, dass für die Betriebe nicht der Bevölkerungsrückgang selbst das entscheidende Problem darstellt, sondern a) der dramatische Rückgang in der Beschäftigung der unter 35jährigen Erwerbskräfte sowie b) die damit einhergehende sich beschleunigende Zunahme älterer Arbeitskräfte die großen Schwierigkeiten verursachen. Während sich die bis jetzt skizzierten Prognosen stärker auf die Arbeitsangebotsseite konzentrieren, versuchen Behr u. a. (2005) den Fachkräftebedarf der nächsten Jahre für Brandenburg zu bestimmen. In ihrer – durchaus explorativen – Untersuchung analysieren sie ihre Fragestellung exemplarisch anhand der ROR Havel-Fläming, LausitzSpreewald und Uckermark-Barnim. Mit den beiden letztgenannten untersuchen sie auch Grenzkreise, so dass aus dieser Studie durchaus interessante Ergebnisse für die hier zu behandelnde Thematik abzuleiten sind.23 Insgesamt kommt die Studie zu folgendem Ergebnis, das durchaus auf die gesamte Grenzregion übertragbar ist: „1. In den nächsten Jahren werden – wieder – in erheblichem Umfang Stellen aufgrund von Renteneintritten neu besetzt werden müssen.

23 Dabei werden in ihrer Untersuchung folgende Branchen analysiert: Nahrungsmittel, Chemie, Maschinenbau, Fahrzeugbau, Sonstiger Fahrzeugbau, Hotels und Gaststätten, Gesundheit, Sozialwirtschaft.

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2. Die Anforderungen an die Stellenprofile werden hoch sein, weil besonders viele Hochqualifizierte, Facharbeiter mit Zusatzqualifikation und Fachkräfte in Führungspositionen in Rente gehen. 3. Die neuen Beschäftigungsoptionen können nur genutzt werden, wenn entsprechend qualifiziertes Personal in der Region vorhanden ist. 4. Gelingt das Matching von Personalnachfrage und Angebot nicht, bleiben nicht nur positive Arbeitsmarkteffekte aus, sondern es droht eine entscheidende Schwächung des Wirtschaftsstandorts (Behr u. a. 2005, 101)“. Diese sich schon heute ansatzweise abzeichnenden Engpässe an qualifizierten Arbeitskräften, werden sich aufgrund der demographischen Entwicklung in den nächsten Jahren verstärken. Dies wird dramatische Konsequenzen für die Arbeitslosigkeit in der Grenzregion haben.

3.3

Grenzüberschreitender Partnerschaften

Betrachtet man die Aktivitäten der Akteure in der Grenzregionen so kann man erst einmal feststellen, dass die Aktivitäten bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durchaus gegeben sind, aber für die Region auf beiden Seiten kein tragendes Element sind. Positiv zu erwähnen sind die Bemühungen der Euroregionen, der Interregionalen Gewerkschaftsräte, der Kammern und eine Reihe weiterer Akteure, die allerdings weniger institutionell ausgerichtet sind und eher in einem spezifischen eng umgrenzten Feld aktiv sind. Hinzu kommen die wissenschaftlichen Einrichtungen in der Grenzregion, die aber alle stärker international als auf den Partner auf der anderen Seite der Grenze hin orientiert sind. Eine Ausnahmestellung nimmt hierbei die EuropaUniversität in Frankfurt (Oder) mit ihrer Partneruniversität in Posnań ein, die als gemeinsame Einrichtung das Collegium Polonicum in Słubice betreiben. Neben der Hochschulbildung, bestehen mehrere Initiativen und Projekte, die an der Realisierung grenzübergreifender Bildungsmaßnahmen im Berufsbildungsbereich arbeiten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hier bei der Erstausbildung von Jugendlichen, weitere Ansätze finden sich aber auch im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Mit innovativen Lösungsstrategien ist es hier in beachtenswerten Ansätzen gelungen, trotz der engen Vorgaben der jeweiligen Bildungssysteme, Maßnahmen zu entwickeln, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einen grenzübergreifenden und nicht zuletzt europäischen Arbeitsmarkt vorbereiten. Sodann ist auf erfolgreich durchgeführte Konferenzen wie „Branchendialog Stahl“ im Rahmen von GRIPS hinzuweisen, mit denen der Aufbau grenzüberschreitende Netzwerke initiiert werden sollte.24 Diese Projekte haben allerdings häufig ein Defizit in der Form, dass sie aufgrund der Finanzierungsmodalitäten mehrheitlich nur über einen temporären Charakter verfügen und ihnen so meist die Nachhaltigkeit fehlt.

24 Weitere Informationen zu dieser Initative unter www.grips-initiative.de

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Ein weiteres Beispiel macht deutlich, auf welch schwierige Rahmenbedingungen grenzüberschreitende Kooperationsansätze stoßen können. So hatte die AOK BerlinBrandenburg im Sommer 2005 einen Versorgungsvertrag mit polnischen Leistungsanbietern abgeschlossen, der es AOK Mitgliedern ermöglichen sollte, einen preiswerten Zahnersatz auf qualitativ hohem Niveau von polnischen Anbietern zu erhalten. Obwohl das Vorgehen der AOK durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung rechtlich abgesichert war, intervenierte die Zahnkassenärztliche Vereinigung beim Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg mit der Aufforderung, den Versorgungsvertrag zu unterbinden. Abschließend sollte zu diesem Aspekt der Darstellung festgehalten werden, dass eine Reihe ausbaufähiger Ansätze der Zusammenarbeit in der Grenzregion bestehen, die allerdings auf eine festere und langfristig verlässliche Grundlage gestellt werden sollten.

4 Vorschlag zur Größe von Eures-T-Partnerschaften Betrachtet man die Verteilung der Pendlerströme zwischen Deutschland und Polen, so kann man einerseits sagen, dass diese - in der Grenzregion im engeren Sinne - bisher noch keine eigene Dynamik entwickelt haben und dass sich auch nach einer vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit aufgrund der in 3. aufgezeigten zum Teil nur schwer auszuräumenden Mobilitätshemmnisse die Mobilitätsaktivitäten nicht auf den engeren Grenzraum konzentrieren werden. Vielmehr wird von dem Agglomerationszentrum Berlin ein immenser Sogeffekt ausgehen, wobei die Grenzregion weitgehend übersprungen wird. Macht man sich dieses Szenario zu Eigen, so bietet sich eine Doppelstrategie an: Zum einen sollte man auf den in der Grenzregion vorhandenen – wenn auch nur rudimentären - Strukturen aufbauen und diese stärken und erweitern. Denn nur mit einem integrierten Arbeitsmarkt ist die Grenzregion überlebensfähig. Eine Abschottung der deutschen Grenzregion vor dem polnischen Arbeitsmarkt würde nichts anderes als eine passive Sanierung der deutschen Seite bedeuten. Vorhandene Unternehmen und deren Arbeitsplätze würden - wenn auch nur unzureichend und vorübergehend (siehe dazu ausführlich Teil D) – vor ausländischer Konkurrenz geschützt, aber die Beschäftigungssituation auf der deutschen Seite der Grenzregion würde sich dadurch nicht nachhaltig verbessern. Eher wäre die Stabilisierung oder gar die weitere Steigerung des hohen Niveaus der Arbeitslosigkeit zu erwarten. Vorrangig die Jungen und besonders Leistungsfähigen würden aus der Region abwandern. Die Zahl der Erwerbspersonen würde bei hoher Arbeitslosigkeit kontinuierlich sinken und die Unternehmen der Region würden weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Die Aufgabe eines EUREST-Projekts läge vor allem darin, sich diesen - sicherlich nicht einfachen - Aufgaben zu stellen und konstruktive Lösungsansätze zu entwickeln. Zum anderen sollte man die Chancen, die das Agglomerationszentrum Berlin bietet, nutzen. Hier sind schon einige Ansätze eines integrierten Arbeitsmarktes zu identifizieren. Zu denken ist hier an polnische Arbeitnehmer, die sich selbständig gemacht haben und über diesen Weg am Arbeitsmarkt auftreten, an polnische Dienstleister und - was nicht zu vernachlässigen ist - die durchaus bedeutsame illegale Beschäftigung im berliner und berlinnahen Raum. Aus dieser Sicht bietet sich eine Organisationsstruktur an,

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die ihre Standortschwerpunkte in Berlin und den Dependancen Frankfurt (Oder) und Görlitz verankert, da in diesem Städtedreieck die meisten Pendleraktivitäten zu erwarten sind. Eine entsprechende Doppelstrategie ginge nicht zu Lasten der Grenzregion. Zum einen stehen der berlinnahe Raum und die Grenzregion nicht in einem direkten Wettbewerb. Beide konkurrieren vielmehr im internationalen – besser EU-weiten - Wettbewerb um insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte. Selbst wenn die Chancen der Grenzregion in diesem Wettbewerb eher gering sind, so würde es ihr wenig nützen, einen integrierten Arbeitsmarkt im Berliner Raum zu erschweren. Ganz im Gegenteil, je stärker der Berlinnahe Raum floriert, um so besser ist dies für die Finanzkraft von Berlin und Brandenburg und umso besser sind die Chancen der Grenzregion, mit der Unterstützung des Umlandes, sich wirtschaftlich zu entwickeln und für polnische Arbeitnehmer attraktiver zu werden.

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