Nonverbale virtuelle Kommunikation

독일언어문학 제61집(2013.9). 367-386 Nonverbale virtuelle Kommunikation - Textbasierte Emoticons in Südkorea und Deutschland 1)Kang, Tae-Ho(KNUE*) Schlottm...
Author: Frank Meyer
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독일언어문학 제61집(2013.9). 367-386

Nonverbale virtuelle Kommunikation - Textbasierte Emoticons in Südkorea und Deutschland 1)Kang,

Tae-Ho(KNUE*)

Schlottmann, Dirk(KNUE)

I. Einleitung Nonverbale Kommunikation ist ein zentrales Element zwischenmenschlicher Interaktion. Wenn wir miteinander sprechen, tragen Mimik, Gestik, Proxemik, taktiles Verhalten, Modulation, Haptik, Körperhaltung etc. zur Verständigung bei und verdeutlichen Aussagen, die wir auf verbaler Ebene treffen. Obgleich einheitliche Definitionen und widerspruchsfreie theoretische Modelle zur nonverbalen Kommunikation bislang fehlen, existiert doch eine allgemeine, weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich der aufgeführten Verhaltensbereiche, die als Komponenten der nonverbalen Kommunikation zu verstehen sind.1) Der Begriff der nonverbalen Kommunikation wird in dem vorliegenden Artikel ausschließlich im Zusammenhang mit kollaborativen virtuellen Umgebungen verwendet und verweist explizit auf Wechselwirkungen im nonverbalen, zwischenmenschlichen Kontakt, d. h. auf nonvokale und nonverbale Interaktion im virtuellen Kontext. Der Focus der Untersuchung liegt auf der vergleichenden Analyse von textbasierten Emoticons in Korea und Deutschland unter primär kulturlinguistischen Aspekten. Moderne Emoticonbilder und animierte Emoticons sind nicht Gegenstand der Analyse, weil diese, mittlerweile oft kunstvoll gestaltete Symbole eher als Informationsträger fungieren und die nonverbale Komponente eine untergeordnete Rolle spielt. Die Untersuchung richtet den Blick auf den Zusammenhang zwischen * Korea National University of Education 1) Vgl. Delhees 1994; Ellgring 2000; Forgas 1995; Rosenbusch/ Schober 2000.

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Gebrauchsmustern von textbasierten Emoticons und deren sozialen und situativen Nutzung in den modernen Kommunikationstechnologien.

II. Chat Das Internet als multimediale, elektronische Plattform für globale Kommunikation hat sich seit 1992, als das “World Wide Web”-Projekt öffentlich zugänglich wurde, rasant weiterentwickelt. Im Laufe der Zeit wurde die Darstellung von Text mittels HTML um effizientere Technologien und aktuellere Software bereichert, die die Möglichkeiten über das Internet zu kommunizieren, vereinfacht und optimiert haben. Elektronisch mediatisierte Kommunikation verbindet mit Hilfe von moderner Technik herkömmliche Kommunikationsformen mit neuen Kommunikations- möglichkeiten. Dadurch entwickeln sich Interaktionsräume, deren auffälligste Eigenart die Tendenz zu einer virtuellen Identität aus Mensch und Computer ist, weil der Computer als Vermittler und/oder Kommunikationspartner in Erscheinung tritt. Der Avatar als grafischer Stellvertreter einer echten Person ist diesbezüglich sicherlich die auffälligste Erscheinungsform. Neben Video-Chat und VoIP (Voice over IP) ist das Internet aber zur Zeit noch weitestgehend ein schriftdominiertes Medium, d. h. dass die Realisierung der Sprache in Form von Schrift stattfindet. Die “neue” Schriftlichkeit in der digitalen Kommunikation ist ein mittlerweile ausgiebig untersuchtes Thema der linguistischen Internetforschung, das je nach Perspektive als “neue Ökonomie des Schreibens”,2) Reduzierung auf “lautschriftliche Umschreibungen des Sinns”,3) “Kontextualisierung von Authentizität, Natürlichkeit, Jugendlichkeit”4) oder “neue kommunikative Herausforderung”5)

2) 3) 4) 5)

Thimm 2000, S. 9. Vgl. Patalong 2006. Schwitalla/ Betz 2006, S. 396. Raible 2001, S. 22.

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betrachtet wird. Die verschiedenen Thesen verbindet die Erkenntnis, dass der schriftliche Sprachgebrauch bei der digitalen Kommunikation via E-Mail, SMS, MMS, in Webforen, bei Textchats (IRC) oder Instant Messaging in den letzten Jahren ein “Eigenleben” entwickelt hat, das nicht den Gesetzmäßigkeiten des Dudens entspricht. Ein wesentliches Kriterium zur Differenzierung der verschiedenen Onlinedienste ist die zeitliche Relation zwischen Produktion und Rezeption eines Textes. Synchrone Medien wie Chat und Messenger stehen den asynchronen Formen der Interaktion in Foren, Listen und Newsgroups gegenüber. Insbesondere die synchrone, virtuelle Kommunikation wird von Linguisten, als “medial schriftlich und konzeptionell mündlich”6) beschrieben oder als “geschriebene Umgangssprache”7) gedeutet. Mit dieser terminologischen Differenzierung lässt sich die mediale Realisierungsform der Sprache von Erwartungshaltungen an ein bestimmtes sprachliches Verhalten loslösen bzw. erklären, allerdings wird dadurch auch die Sprache in den neuen Medien “in der Polarisation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit”8) fixiert. Dass die “neue Sprache”, wie sie sich beispielsweise im Chat realisiert, nicht nur unbedingt ein verschriftlichter Sprechakt ist, sondern neben linguistischen Aspekten auch soziale oder kulturelle Eigenarten in sich trägt, wird dabei leicht übersehen. Allerdings macht schon die Bezeichnung “Chat”9) deutlich, dass es sich bei diesen internetspezifischen, getippten Gesprächen eher um eine konzeptionell mündliche Kommunikationsform handelt. Das manifestiert sich auch sprachlich, wenn Chatter ihre kommunikativen Handlungen als “reden”, “sprechen”, “sagen” oder auch “hören” bezeichnen.10) Chatten in allen Varianten ist ein Novum der menschlichen Kommunikation, weil sich in einem gemeinsamen, virtuell konstruiertem Raum mehrere geographisch verteilte Nutzer unterhalten, d. h. miteinander vernetzen und dialogisch-synchron 6) 7) 8) 9) 10)

Koch/ Oesterreicher 1994, S. 587. Kilian 2001, S. 56/73f. Androutsopoulos 2007, S. 81. Deutsch: Plausch, Schwätzchen Storrer 2001, S. 344.

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kommunizieren. Als der finnische Student Jarkko Oikarinen im Jahr 1988 an der Universität von Oulu den IRC (Internet Relay Chat) entwickelte, hat er sich sicherlich nicht träumen lassen, dass mit seinem Versuch ein elektronisches Echtzeit-Diskussionssystem zu schaffen, eine neue digitale Kommunikationskultur aus der Wiege gehoben wurde. 30 Jahre später ist Chatten kein Randphänomen einiger “Computerfreaks”, sondern ein populäres, expandierendes Medium. So werden beispielsweise über WhatsApp stündlich 41 Millionen Mitteilungen verschickt. Hundert Millionen Menschen sind weltweit bei Twitter aktiv und Facebook hat vor Kurzem die Milliardenmarke geknackt, was rein rechnerisch bedeutet, dass jeder siebte Mensch einen Account hat. Auch die SMS ist beliebt wie nie: Allein in Deutschland wurden im Jahr 2012 55 Milliarden Botschaften versendet. Das entspricht laut Bundesnetzagentur einer Steigerung von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.11) In Korea ist KakaoTalk das Medium der Wahl. KakaoTalk ist eine Anwendung wie WhatsApp, mit der man hauptsächlich via Smartphone kommuniziert. Im Jahr 2012 wurde KakaoTalk von 55 Millionen Menschen benutzt. Täglich verwenden 24 Millionen Menschen KakaoTalk und versenden laut Statistik durchschnittlich 125 Nachrichten pro Tag (Gruppenchats inklusive).12)

III. Linguistische Besonderheiten der Chatsprache Betrachtet man die Struktur und die sprachliche Ausgestaltung der Chat-Beiträge, muss man eingestehen, dass die neue digitale Kommunikation ein ästhetisches Eigenleben führt, das sich nicht auf Anhieb erschließt. Abgrenzung, auch im Sprachgebrauch, ist eine Form Identität zu definieren und Zugehörigkeit auszudrücken. Jede Gruppe im Netz hat andere Gepflogenheiten, eigene Codes und 11) Vgl. Herbold 2013. 12) Park 2012.

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Vorlieben. Modische Trends und stilistische Eigenarten kommen und gehen. Die sprachlichen Besonderheiten der Chat-Kommunikation lassen sich von daher nur als Überblick beschreiben. Im Deutschen sind Akronyme, die oft ihren Ursprung im Englischen haben, eine bekannte und beliebte sprachliche Eigenart des Chats. Mit Hilfe von Akronymen ist es möglich, längere, wiederholt auftretende Formulierungen auf die Anfangsbuchstaben zu reduzieren und so Floskeln und sprachliche Versatzstücke zu kreieren:

Beispiele: lol

= laughing out loudly

cu

= see you

thx

= thanks

fg

= fettes Grinsen

DAU

= Dümmster anzunehmender User

Ergänzt werden solche Akronyme durch konventionalisierte Formen, sogenannte homophone Abkürzungen, welche die lautliche Realisierung von Zahlen oder Buchstaben schriftlich fixieren.

Beispiele: CUL8R

= see you later

2L8

= to late

Das Anglizismen in einem computerbasierten Medium eine besondere Rolle spielen, ist nicht wirklich verwunderlich. Erstaunlicher ist, dass auch dialektologische Varianten und Elemente der Umgangssprache im Chat realisiert werden, wie z. B. “nix”, “tach” oder “aba” als berlintypische r-Vokalisierung.13) Interjektionen mit holophrastischen Charakter sind ein weiteres beliebtes Stilmittel.

13) Vgl. Schlobinski 1996.

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Beispiele: Aha

mhm

tja

uups

wow

mei (bairisch)

Auf der Ebene der Lexik sind Chat-Abkürzungen, umgangssprachliche Floskeln und Interjektionen die auffälligsten Merkmale. Auf der Ebene der Syntax sind Kleinschreibung, fehlende Artikel und eine für “Gruppenfremde” schwer zu erfassende Textkohäsion Merkmale des Chats. Zur emotionalen Kommentierung werden in der Chat-Kommunikation oft Anleihen aus der Comicsprache in Form von Inflektiven benutzt, die man zwischen Asterisken setzt.14)

Beispiele: *empörtsei*

*schmunzel*

*grummel*

*kotz*

Der Satz “Ich habe gestern meine Exfreundin getroffen.” in Kombination mit jeweils einem der oben aufgeführten Inflektive, beeinflusst die Semantik erheblich. Durch grafostilistische Imitationen von prosodischen Elementen der Sprache, wie z. B. die Großschreibung von ganzen Worten als Hinweis auf Schreien oder Pausenzeichen als Symbol des Innehaltens, können weitere Aspekte der Face-to-Face Kommunikation simuliert und nonverbale, emotionale Intentionen manifestiert werden:

Beispiele: “Ich habe gestern meine Exfreundin getroffen.” “Ich habe gestern meine Exfreundin getroffen. *freu*” “Ich habe gestern MEINE EXFREUNDIN getroffen ... *grummel*” “Ich habe GESTERN ... meine Exfreundin ... getroffen. *grummel*” 14) Die Verwendung von Asterisken bei Inflektiven ist mittlerweile schon fast wieder aus der Mode.

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Im Koreanischen gestaltet sich die Chat-Kommunikation etwas anders. Unter Jugendlichen ist die häufige Verwendung von Akronymen in Form von Komposita zu beobachten, die für die älteren Generationen schwer zu enträtseln sind, wie z. B. “안습”, “안습” bezieht sich auf den Satz “안구에 습기 찬다”, der übersetzt “Meine Augen sind feucht geworden” bedeutet, was im übertragenden Sinne “Es tut mir leid” oder “Ich habe Mitleid” meint. Weitere Beispiele, die insbesondere von Schülern und Studenten benutzt werden, sind: “기포” (“기말고사 포기”, nicht an der Semesterendprüfung teilnehmen) oder “열공” (“열심히 공부”, fleißig lernen).

IV. Emoticons Die Kontamination Emoticon setzt sich aus den englischen Wörtern “emotion” (Gefühl) und “icon” (Zeichen) zusammen. Emoticons sind ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil der textbasierten, digitalen Kommunikation. Sie werden vorrangig in privaten Chats dazu verwendet, Gefühle und Stimmungslagen zu visualisieren.15) Es gilt als bewiesen, dass die virtuelle Kommunikation mit Emoticons die Verständlichkeit eines Textes für Rezipienten deutlich verbessert.16) Emoticons werden benutzt, um nonverbale Merkmale der Kommunikation wie Gestik und Mimik, gesondert darzustellen. Es sind intentional gesetzte graphostilistische Ideogramme, deren optionale Verwendung die Aussage eines Textes beeinflusst. Die Verwendung in gruppenspezifischen Kontexten verstärkt zudem die Vertraulichkeit oder Intimität der Kommunikationsteilnehmer. Emoticons haben gelegentlich spielerische Funktionen, veranschaulichen Handlungen 15) Wie bedeutsam ein Emoticon sein kann, beweist das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 10. Juni 2013, das ein Urteil wegen Volksverhetzung aufgrund rassistischer Kommentare in der zweiten Instanz aufhob, weil dem Text ein Zwinkersmiley angehängt war. (Vgl. http://derstandard.at/1369363164906/Tuerkenwitzauf-Facebook-Freispruch-dank-Zwinker-Smiley) 16) Vgl. Gajadhar/ Green 2005; Lo 2008.

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oder stellen unterschiedlichste Sachverhalte und Objekte dar. Die Basis für die Verständigung ist die Fähigkeit, die Ideogramme zu dechiffrieren, da Emoticons weder genormt sind, noch in allen Fällen die gleiche Bedeutung haben. In der Regel wird von der Prämisse ausgegangen, dass es mit Hilfe von Emoticons möglich ist, einfach, kurz und universell zu kommunizieren. Die rasante globale Verbreitung und die Zunahme an symbolisch-grafischem Vokabular zeigt hingegen, dass sich mittlerweile zunehmend kulturspezifische Symbole entwickeln, welche sich im globalen Kontext ohne spezifische Kenntnisse nicht so leicht interpretieren lassen. Ein Blick auf das folgende Emoticon aus Japan

m(_ _)m

verdeutlicht die Problematik. Was auf den ersten Blick aussieht wie Liegestütze steht für dogeza (土下座 “richtig auf dem Boden sitzen”). Das Knien und Niederbeugen des Kopfes zum Boden ist Bestandteil eines japanischen Verhaltenskodex, mit dem man entweder seine Ergebenheit vor einer höher stehenden Persönlichkeit zeigt, oder um Vergebung bittet oder einer Bitte Ausdruck verleihen möchte.17) Für einen Japaner wiederum dürften die Emoticons “Weihnachtsmann” oder “Papst”

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