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Nach der Flucht angekommen? -Wie geht es dem ehemaligen Ausländerbeauftragten von Schwedt?-

Autor

Uschi Götz & Thilo Schmidt

Red.

Claus Stephan Rehfeld

Sdg.

17.01.2012 - 13.07 Uhr

Länge

19.00 Minuten

Moderation

Er hielt es nicht mehr länger aus. Er, Ibraimo Alberto, dort in Schwedt an der Oder. Eines Tages ergriff er die Flucht, der gebürtige Mosambikaner siedelte nach Karlsruhe über. Suchte Zuflucht vor Alltagsrassismus und rechten Übergriffen. Er, der seit 1990 in Schwedt wohnte, dort ein erfolgreicher Boxer war, für die SPD im Stadtrat saß und ehrenamtlicher Ausländerbeauftragter der Stadt war. Nach mehreren Übergriffen auf ihn und dann auch auf seinen Sohn packte die Familie die Sachen. Nun also in Karlsruhe, der Residenz höchster deutscher Rechtsprechung. In Schwedt ist man enttäuscht. Warum? Uschi Götz traf sich mit Ibraimo Alberto in Karlsruhe und Thilo Schmidt fragte in Schwedt nach.

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2 -folgt Script BeitragScript Beitrag

Alberto: Meine Familie und ich haben wir viel Mühe gegeben, um Fremdenfeindlichkeit zu vermeiden und auch zu überwinden, und auch gemeinsam mit Bekannte, Freunde, die auch gekämpft haben.

Traumatische Erfahrungen mit Neonazis hat Ibraimo Alberto schon zu DDR-Zeiten gemacht. Nachdem ein Freund, ebenfalls Mosambikaner, ihn besucht hatte, wurde der während der Rückfahrt nach Dessau von Neonazis bedrängt, auf die Gleise geworfen und vom entgegenkommenden Zug überrollt. Nach der Wende, 1990, zieht Alberto nach Schwedt im Nordosten Brandenburgs, heiratet eine Schwedterin und boxt für den „Uckermärkischen Boxverein 1948 Schwedt“ 21 Jahre hält er es aus, boxt er sich durch. Aber der Sommer 2011 wird der letzte in Schwedt.

Alberto: Und haben wir gemerkt, dass es so ist wie gegen Wand versuchen durchzukommen, und kommen nicht durch. Und da haben wir sehr kurzfristig mit der Familie entschieden, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen.

Schwedt an der Oder. Ein Besuch ohne Ibraimo Alberto. Er will den Boden Schwedts nie mehr betreten. Von hier, vom Oder-Center, einem großen Einkaufszentrum, wollte Ibraimo Alberto eines Abends im Jahr 2006 nach Hause laufen.

Alberto: Und plötzlich standen sieben Personen vor mir. Und siebente Person war ne Frau … Und dann sagt die: Halt, du Neger! Und ich war erschrocken. Aber ich war immer vorbereitet. Weil ich wusste, dass hier die Menschen werden immer zusammengeschlagen. Schwarze, oder Asiaten, oder so. Ich war vorbereitet.

Der Weg zu seiner Wohnung im Wohngebiet Kniebusch führt über den Parkplatz, durch eine Grünfläche, an den Gleisen vorbei, über den Bahnübergang. Es dämmerte schon, als Ibraimo Alberto auf die Gruppe traf.

Alberto: Sagt: Kannst zusehen, dass du so schnell wie möglich hier verlassen, und dann ab nach Afrika. Hier gehört kein Neger. Kuck ma hier rum, steht ein Neger hier rum? Das bist nur du hier,

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3 Sauneger, du, wat willst du jetzt hier?Dann fing an schon die Prügelei. Dann natürlich ich habe drei vier Mal mich schlagen lassen, auch n bischen Bauch. Und dann hat mir wehgetan. Dann musst ich zurückschlagen. Dann war richtig zur Sache, dann hab ich, so, auf deutsch gesagt, richtig K.O. geschlagen. In dem Moment mussten sie mit dem Freund beschäftigen. Diese Zeit ich konnte weggehen, aber Gottseidank in der Nähe war ein Imbiss von so asiatische Leute, die konnten mir weiter unterstützen …

Es ist einer von vielen Übergriffen auf Ibraimo Alberto. Zwar ist die Zahl der rechtsextremen Übergriffe in Schwedt, das in den 90er Jahren als „Brown-Town“ verschrien war, zurückgegangen. Aber was bleibt, ist der Alltagsrassismus, die ständige, mehr oder weniger latente Bedrohung.

Alberto: Zwei Wochen später wieder richtig angegriffen. Jetzt vor mir standen 17 Personen. Sagte: Du musst so schnell wie möglich die Stadt verlassen. Hier gehört nicht Neger. Das ist hier Deutschland und das ist nur wir. Wieder mich angegriffen, und geprügelt, und hat geblutet … Und die Zivilcourage in Schwedt? Kann ich nur darüber totlachen. Siebzehn Persohnen. Ich war in der Mitte. Und wenn welche gesehen haben: Oh, da in der Mitte ist der Schwarz … hab ich gesehen: Oh, die Person da kennst du doch. Vielleicht sagt der was. Gleich große Bogen gemacht, ganz weg. Dass ich nicht sehen. Aber in dem Moment hab ich schon gesehen. Hab ich so viele erlebt, da.

Aber Ibraimo Alberto bleibt. Hält es weiter aus. Was ihm später zum Vorwurf gemacht wird: So schlimm kann es ja nicht gewesen sein, wenn er es 20 Jahre ausgehalten hat, wird es heißen.

Alberto: Mit Hoffnung, das wird schon besser. Ich war einfach so naiv, ich habe immer an mich geglaubt, nicht an mich allein, auch an die anderen, die auch versucht haben, zu unterstützen, so, auch, das wird schon werden …

… mit ihm und Schwedt. Er hat dort Unterstützer, sitzt für die SPD im Stadtrat, boxte erfolgreich für Schwedt. Seinen Job als Sozialarbeiter im Asylbewerberheim hat er verloren, das Heim wurde 2006 dichtgemacht. Seitdem ist er ehrenamtlicher Ausländerbeauftragter, engagiert sich gegen Rassismus in Schulen. Arbeitslos ist er trotzdem. Einen neuen Job findet er nicht. Das belastet ihn, er erträgt es. Als sein Sohn Ziel fremdenfeindlicher Attacken wird, ist es aus mit seiner Hoffnung und dem „es wird schon werden“.

Alberto: War einfach zu gefährlich. Mehrfach welche mich fotografiert haben, und dann nachher liefen sie weg. Aber spätestens nach zwei Wochen wurd ich immer angegriffen. Und dann bin ich zur

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4 Polizei gegangen. Und die Polizei sagt zu mir: Ja, Herr Alberto, wir können gegen Fotografiererei, da können wir nicht gegen tun. Gibt’s keine Gesetz gegen Fotografieren. Ist besser, doch Schluss zu machen. Ist besser, dass Strich ziehen und dann Koffer packen – und weg.

Er geht. Ohne viele Worte. Klagt niemanden an, noch nicht. Das tun zunächst andere, auswärtige Journalisten und einige Freunde aus Schwedt.

Ibraimo Alberto ist in Mosambik geboren, doch schon lange hat er einen deutschen Pass. Deutscher Pass hin oder her: Ist es Nacht, sieht man ihn nicht, so dunkel ist seine Haut. Der 48 Jahre alte Mann dachte lange, er sei der schwärzeste Schwarze in ganz Deutschland. Bis zu jenem Tag, als er in Karlsruhe in die Straßenbahn steigt.

Alberto: S-Bahn kommt. Wer fährt? Ein Schwarzer, ein richtig Schwarzer! Sogar dunkler als ich.

Ibraimo Alberto ist nicht viel herumgekommen in Deutschland. Weder vor dem Mauerfall, noch danach. Sein Leben gehörte dem Sport und seiner Familie. Und der Frage: Wie Menschen besser zueinander finden können.

Nun sitzt er in einem Café in der Karlsruher Innenstadt und bestellt einen Kakao. Der Kakao wird kalt, denn er erzählt viel. Immer wieder geht es um das Glück, das er im Moment erlebt.

Alberto: Hier habe ich das zwei, drei Monate mitgemacht und hier merke ich: Du bist ein ganz anderer.

Während ein Stück Zucker nach dem anderen in den Kakao gerührt wird, erzählt er von seiner unglaublichen Wandlung. Innerhalb eines halben Jahres ist er zu einem anderen geworden, beschreibt der Mann sich, der lange ein erfolgreicher Boxer in Schwedt war.

Doch nicht als Boxer, sondern in seiner Funktion als Ausländerbeauftragter kam er im April 2009 für zehn Tage nach Karlsruhe. Dort sprach er auf einem Kongress zum Thema „Rechts außen“ über die Chancen und Risiken für Ausländer in Deutschland, in den neuen Bundesländern. Vor den Türen des Kongresses machte der Gast aus Brandenburg Erfahrungen, die er bisher nicht kannte. Zum Beispiel die, dass es in Karlsruhe nicht nur dunkelhäutige Busfahrer gibt, ja, sondern dunkelhäutige Kontrolleure. Und keiner murrt.

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5 Alberto: Die Weißen zeigen zu dem schwarzen Fahrer Karten. Ich war komplett …

…fassunglos. Ibraimo Alberto fällt nicht auf. Keiner starrt ihn an, keiner ruft ihm hinterher. Schwedt ist hier sehr weit weg.

Huth: … Also Ibraimo fühlte sich sehr stark. Aber auch Ibraimo wird, wie wir alle, älter. Und ist dünnhäutiger geworden, wahrscheinlich, also so kann man das beschreiben. Und .. wenn sie jeden Tag … Ja? Der stete Tropfen höhlt den Stein. Und irgendwann hatte er die Faxen dicke. Und seine Kinder soundso, die wollten das nicht mehr, und da sind die weg. Und haben ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt: Wir gehen. Und du gehst mit.

In Schwedt ist man nicht gut zu sprechen auf Ibraimo Alberto. Der Bürgermeister will sich nicht äußern, es sei ja alles gesagt. Dafür erklärt eine Pressesprecherin, man sei aus allen Wolken gefallen, als die Medien im Sommer bundesweit über seine Flucht berichteten. Schließlich habe er sich mit dem Argument, er habe eine Arbeitsstelle gefunden, nach Karlsruhe verabschiedet. Und auf den Straßen der Innenstadt spricht kaum jemand darüber.

Passantin: Ich weiß, dass Ausländerfeindlichkeit besteht, das fängt ja im Grunde eigentlich schon bei den Polen an, ich arbeite viel mit Polen zusammen, ich arbeite am Theater, und hab ne gute Verbindung zu den Polen, und wenn man aber mit Leuten in der Stadt spricht, wenn ein Auto geknackt wurde, heißt es immer gleich: Es waren die Polen. Ja? Von daher weiß ich, dass in Schwedt Ausländerfeindlichkeit besteht. Und da kann ich ihn dann auch als Mensch verstehen, ja?

Als Reaktion auf die bundesweite Berichterstattung erscheint in der Lokalzeitung ein ganzseitiger Artikel. Da ist die Rede von „angeblicher“ Flucht vor rassistischen Übergriffen. Und das vieles nicht stimme am Bild dieses „bösen“ Schwedt. Peter Huth, Journalist und enger Vertrauter von Ibraimo Alberto:

Huth: … das ist pure Diffamierung, Falschdarstellung, Lüge, und für mich eigentlich ein Grund, für diese Zeitung nicht mehr zu schreiben. Ich kann jetzt mal ein Beispiel erzählen, in einem Nebensatz zum Beispiel steht drin, dass er nicht begriffen hat, dass er nicht ins Frauenhaus darf. Daraufhin fragte mich ne Freundin: Sag mal, hat der seine Frau geschlagen? Ich will das jetzt nicht groß ausführen, aber: Seine Frau war nie in einem Frauenhaus. In seinem Job, in seiner Tätigkeit wollte er dahin … also mit diesem Nebensatz hat man etwas erreicht, das Leute plötzlich in eine Richtung

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6 gedacht haben, die den Realitäten da überhaupt nicht entspricht. Dieser Artikel ist voll von solchen Unverschämtheiten.

Alte Freunde hätten sich vom ehemaligen Ausländerbeauftragten abgewendet, heißt es in Schwedt. Auch Ernst Urban von jenem Boxclub, der ihn 1990 – wegen der Boxerei – nach Schwedt geholt hatte, mag heute nicht mehr darüber reden. Im Oktober des letzten Jahres äußerte er im RBBFernsehen:

Urban: Die jetzige Begründung, die in allen Zeitungen plötzlich auftaucht, dass ja hier ne ganz schlimme, böse rechte Ecke ist, und er hier 21 Jahre auf der Flucht war, das ist einfach nicht zu akzeptieren. So wars nicht, das kann ich ihnen garantieren.

Aber sie hätten es wissen können, die Schwedter, sie hätten es wissen müssen. Zum Beispiel seit April 2011. Aus dem RBB Fernsehen. Ein Vierteljahr vor Albertos Rückzug aus Schwedt.

Fernsehbericht: Ibraimo Alberto weiß nicht, wie lange er es in Schwedt noch aushält. Ibraimo: Ich bin ohne Heimat. Ich bin überhaupt nicht, weil jeden Tag fühle ich immer … Ausländer, dieses Gefühl, wirklich immer so behandelt, wie ein Ausländer, der gestern gekommen ist. Egal wo. Und die Angst bleibt ein ständiger Begleiter für Ibraimo Alberto in Schwedt.

Aus der Angst wird Flucht. Der Angriff auf seinen Sohn gibt den letzten Anstoß.

Huth: Aufm Sportplatz, als sein Sohn angegangen worden ist, und er hinterher die Auseinandersetzung für seinen Sohn geführt hat, weil der einfach in die Kabine ist. Und der Knabe ihn einfach verdreschen wollte. Und er sagte: Komm doch her! Weil Ibraimo brauchte körperlich keine Angst vor niemandem zu haben. Das waren dann schon Bedrohungen, denen er eigentlich gewachsen war. Körperlich gewachsen war. Auf der anderen Seite sagte er aber: Ich kann das nicht mehr einschätzen, wer da kommt. Und wer das ist. Ich kenn die nicht mehr. Die kommen von auswärts, die sind plötzlich da, und haben keine Beziehung mehr zu dem, was da vorher war, und ich glaube, da hat er auch ein bisschen Angst gekriegt, weil er nicht mehr wusste, was los war.

Alberto: Manchmal waren Kinder, vierzehnjährige, fünfzehnjährige, die mich immer als „Neger“, und mich bespuckt haben. Und da waren auch die älteren Leute, die mich gesehen haben, und dann: Oh, da kommt der Neger! Und dann haben sie so große Bogen gemacht. Und dann hinterher, haben sie gespuckt. Ich habe immer gesagt, aber keiner wollte mir glauben. Haben immer gesagt: Der

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7 übertreibt, der ist empfindlicher, oder ist irgendwie … Ich versteh das einfach nicht. Ich war derjenige, der immer Schwierigkeiten hat!

Huth: Ist es ein Verlust für Schwedt … ich sags mal anders: Es ist ein Gewinn für Karlsruhe! Wir haben gesagt: bloß ganz weit weg, in den Süden. Dann haben wir gesagt Stuttgarden und Karlsruhe und Mannheim und Frankfurt am Main.

Die Familie kratzt alles Geld zusammen und bricht auf - Richtung Südwesten. Drei Tage lang bleiben sie in Stuttgart, ein paar Tage in Mannheim, sie schauen sich auch Frankfurt an. Welche Schule kommt für den Sohn in Frage? Gibt es Jobs? Wie sieht der Wohnungsmarkt aus? Fragen, die sich jede Familie stellt. Ein paar Städte fallen gleich weg; die Mietpreise sind zu teuer. Karlsruhe scheint am besten zu passen.

Alberto: Hier ist alles ganz anders. Die Menschen sind hier auch ganz anders gebildet. Es ist interkulturelle Bildung. Und das gefällt mir. Es ist ganz anderes, wie in einem anderen Land. Keine dumme Bemerkung, gar nichts. Einfach anders.

Für das andere Leben haben sie ihr ganzes Geld auf den Tisch gelegt, auch und vor allem die Kinder. „Es waren ein paar Tausend Euro“, sagt der Familienvater, und zum ersten Mal lacht er nicht:

Alberto: Und das war gerade so, um das man es geschafft hat, hierher zu kommen. Meine Kinder, die ihr Geld gespart haben für ihr Studium, haben die rausgenommen. Und meine Frau hat auch ein bisschen, mit Unterstützung von ihrem Vater. Ansonsten hätten wir den Umzug nicht geschafft.

Seit über einem halben Jahr leben die Albertos nun in einem Karlsruher Ortsteil. Sie bewohnen eine Vier-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Der 18 Jahre alte Sohn hat in der badischen Stadt eine Ausbildung als Physiotherapeut begonnen, die 21jährige Tochter studiert in Norddeutschland Philosophie und Geschichte.

Und der Vater hat endlich wieder einen Job gefunden. Als Betreuer versorgt er einen 40 Jahre alten, behinderten Mann. „Mein Leben hat sich völlig verändert“, sagt Ibraimo Alberto. „Es ist so normal geworden“.

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8 Alberto: Ich kann auf den Balkon gehen, jederzeit, werde gegrüßt, sogar, winken sie von weiter weg. Auch in der Wohnung, die Nachbarn, auch im Aufgang: Oh, wir haben uns schon lange nicht getroffen… einfach fantastisch.

In seiner Freizeit boxt er wieder. Allerdings nur als Sparringspartner in der Boxabteilung des Karlsruher SC. Er steht im Ring, aber nicht mehr Rampenlicht. Damit kann er leben, sagt der frühere Bundesliga-Boxer. Irgendwann möchte er wieder sein Geld mit Sport verdienen.

Alberto: Ich würde gerne, sagen wir in einer Gemeinschaftsunterkunft, wo mehrere Leute leben, dass ich die Gruppe da bilde im Sportbereich. In verschiedenen Fußball, Boxen, so etwas. Dass ich alles in einer Verantwortung übernehme. Das würde mir viel Spaß machen.

Ibraimo Alberto steht auf dem Karlsruher Marktplatz. Die Straßenbahnen fahren im Minutentakt an ihm vorbei, Menschen gehen in Richtung Wochenmarkt. Er geht in Richtung Karlsruher Pyramide, ein prägnantes Wahrzeichen der Stadt. Unter der der Pyramide liegt in einer Gruft der Namensgeber der Stadt, Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach, begraben. Ibraimo Alberto schaut zur Spitze der Pyramide und holt tief Luft:

Alberto: Es ist so sehr sehr freundlich. Anders kann ich es nicht bezeichnen. Es ist eine ganz andere Luft. Ich komme raus und ahaaa! Es ist eine ruhige Heimat hier. Es heißt auch Karlsruhe hier. Das passt sehr gut hier. Mit meiner Geschichte, mit meinem Leben, ich mir habe alles vergraulen lassen, das alles, was vergangen ist. Es ist hier wirklich Ruhe und das finde ich so fantastisch.

Heute bereut Ibraimo, dass er nicht schon früher von Schwedt gegangen ist.

Alberto: Ich bereue die Zeit… dass ich mich so lange habe vergraulen lassen, dort im Osten, wo ich gelebt habe, in Berlin-Brandenburg. Bereue ich richtig heftig. Die Dinge, die ich erlebt habe, kann ich nicht vergessen. Es ist unvergesslich. Ich kann so schön hier alles genießen. Aber das werde ich nie vergessen, das wird immer wieder auftauchen.

Es gab in Schwedt viele Menschen, die gut zu ihm waren. Auch das betont er mehrfach. „Sie hätten nur nicht schweigen dürfen“, fügt er nach einer Weile hinzu. Dann redet er wieder von Karlsruhe:

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9 Alberto: Hier habe ich Freunde. Es ist ein Ehepaar, und bei denen kann ich richtig laut sagen: das sind meine gute Freunde. Die machen was aus Liebe. Obwohl noch nicht lange hier, kann ich schon langsam vertrauen. Und das Vertrauen, die Freunde, die habe ich auch.

Ibraimo Alberto weiß, dass der Südwesten nicht nur ein Paradies für Menschen aus anderen Kulturkreisen ist. Er hat von ausländerfeindlichen Übergriffen auf türkischstämmige Menschen gehört und hat auch von Aktionen der NPD in fast allen alten Bundesländern gehört. „Bis jetzt fühle ich mich sehr sicher“, sagt der Mann, der das Gefühl hat, angekommen zu sein … im neuen Leben. Ob Karlsruhe zur Heimat wird, das will und kann er heute noch nicht beantworten:

Alberto: Ich habe immer gedacht, hier in Deutschland ist meine 2. Heimat. Aber die 30 Jahre, die vergangen sind, war immer nie aufgenommen worden, wie meine Heimat. Ich war immer der Fremde und bin immer Fremder, ein ewiger Fremder. Was in Gedanken alles mit mir ist, im Nachhinein verlerne ich das langsam. Vielleicht können wir nochmal sprechen in einem Jahr oder zwei Jahren, dann kann ich genau sagen, wo meine Heimat wirklich ist.

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