Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren

Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren Leistungsvoraussetzungen und Qualitätsstandards des Jugendhilferechts für die sozialpädagogische Betreuun...
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Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren Leistungsvoraussetzungen und Qualitätsstandards des Jugendhilferechts für die sozialpädagogische Betreuung straffällig gewordener junger Menschen

Rieneck, 22.11.2006

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A. sozwiss./sozpäd.; Mediator (S.C.Qld.)

Weiterentwicklung in der Jugendhilfe – Veränderungen durch das KICK

Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren : Schutzauftrag - Steuerungsverantwortung Junge Volljährige

Rieneck, 22.11.2006

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A. sozwiss./sozpäd.; Mediator (S.C.Qld.)

Weiterentwicklung der Jugendhilfe durch das KICK Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren : „ Schutzauftrag „ Steuerungsverantwortung „ Junge Volljährige

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Weiterentwicklung der Jugendhilfe durch das KICK Fazit vorweg: „ Das KICK 2005 hat im Hinblick auf die Mitwirkung der

Jugendhilfe im Strafverfahren keine substantiellen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage gebracht. Wer das SGB VIII schon bisher richtig las und verstand – ggf. unter zur Hilfenahme der richtigen Literatur (vgl. u.a. Frankfurter Kommentar 4. Aufl. 2003 ;-) – für den ergibt sich nichts wesentlich Neues oder ist die Aufgeregtheit der aktuellen Situation nur mir der mangelnden Information oder sogar Ignoranz der Praxis vor dem Recht zu erklären.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Zur Kooperation von Jugendhilfe und Strafjustiz „

Die sog. Neue Ambulante Maßnahmen (NAM) stehen als jugendstrafrechtliche Maßnahmen nur auf dem Papier. Ungeachtet der Möglichkeit, sie durch eine justizielle Entscheidung dem Jugendlichen aufzuerlegen, stehen für deren unmittelbare Vollstreckung keine Träger und Einrichtungen (der öffentlichen Jugendhilfe) zur Verfügung.

„

Der Gesetzgeber hat mit dem SGB VIII und dem JGG Regelungen geschaffen, die eine geradezu optimale Kooperation zwischen Justiz und Jugendhilfe ermöglichen. Dies setzt freilich ein Umdenken auf beiden Seiten voraus. Die Justiz muss im Hinblick auf den sog. Erziehungsgedanken lernen „loszulassen“.

„

Das KICK 2005 hat insoweit keine substantiellen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage gebracht. Insbesondere entspricht die in § 36a Abs. 1 SGB VIII hervorgehobene Steuerungsverantwortung des Jugendamtes der schon bisher geltenden korrekten Vorgehensweise (vgl. Frankfurter Kommentar 2003, § 52 )

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Ende der Maßnahmenphilosophie „ Die NAM (soziale Gruppenarbeit, Betreuungshilfe und betreute

Arbeitsprojekte) werden als Leistungen der Jugendhilfe erbracht. „ Die öffentlichen Träger sind aufgrund des sozialrechtlichen Gesetzesvorbehalts (§ 31 SGB-I) zur Finanzierung und Durchführung der NAM nur berechtigt und verpflichtet, wenn sich dies aus dem SGB VIII ergibt. „ Das Jugendhilferecht erfordert ein Ende der Maßnahmephilosophie. Die Jugendhilfe orientiert sich am Kindeswohl. Das (Jugend)Strafrecht bezweckt die Verhinderung von Straftaten.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Kindeswohl „ Aus der Sicht der (Straf)Justiz bereitet der Begriff Kindeswohl

Schwierigkeiten, weil er für die praktische Handhabung nur schwer zu operationalisieren ist. „ Der Begriff wird zumeist negativ im Hinblick auf die Kindes-

wohlgefährdung (§ 1666 BGB) abgegrenzt. Das Begehen einer Straftat durch einen Jugendlichen stellt noch keine derartige Kindeswohlgefährdung dar. „ Ungeachtet des gleichen Ausgangspunktes bestehen zwischen

der zivilrechtlichen und sozialrechtlichen Auslegung des Kindeswohlbegriffs, insb. im Hinblick auf die Geeignet- und Erforderlichkeit von Interventionen, Unterschiede.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Unterschiedliche Perspektiven „ Auch wenn beide Institutionen, Gericht und JA, sich mit Fragen

der Personensorge und des Kindeswohls befassen, sind ihre Ziele, Aufgaben und Funktionen nicht identisch. Der Systemzweck der Jugendhilfe (Verwirklichung und Förderung des Wohles des jungen Menschen) wird dem Systemzweck der Justiz (Rechts- und Verfahrensschutz) nicht untergeordnet. „ Die Jugendhilfe hat es mit ganzheitlichen Biographien und

dynamischen Familiensystemen zu tun, Justiz mit Rechtsbeziehungen und punktuellen Ereignissen. Nicht die rechtliche Entscheidung als solche führt zu einer Veränderung der Situation von Kindern, Jugendlichen und ihrer Familien, sondern die mit ihnen gemeinsam erarbeiteten Veränderungsprozesse.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Unterschiedliche Perspektiven „ Die Jugendgerichte entscheiden aus Anlass zurückliegender

Geschehnisse. Das JA hat die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien und damit die möglichen Unterstützungsleistungen im Auge (zu behalten). „ Das Denken und Handeln der Jugendhilfe ist prozesshaft und

rekonstruktiv. Es geht ihr nicht um Wahrheitsfindung oder das Treffen einer möglichst „objektiven“, „richtigen“ Entscheidung, sondern darum, die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen und Methoden zur Förderung und Herstellung des Kindeswohl zu nutzen. „ Es geht im Rahmen der Jugendhilfe vorrangig nicht um eine

„richtige“, sondern um ein einvernehmliche Konfliktklärung und Entscheidungsfindung. Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Ziele und Erfolgskriterien der NAM „ Die Jugendhilfe muss das Wohl des Jugendlichen stets im Hinblick

auf die in § 1 SGB VIII formulierten Ziele bestimmen (insb. Abs. 1 u. 3 SGB VIII). Die Ziele der NAM liegen deshalb nicht in der (formalen) Legalbewährung, sondern in „ dem Abbau und der Vermeidung von benachteiligenden Lebenslagen und der sozialen Integration von gefährdeten und straffällig gewordenen jungen Menschen, „ der Erhöhung ihrer Konfliktlösungs- und sozialen Handlungskompetenz und „ die Förderung der Diversion und Vermeidung von Freiheitsentzug (als besonders intensive Form der Ausgrenzung und Benachteiligung).

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Leistungsvoraussetzungen der NAM „ Jugendhilfeleistungen nach §§ 27 setzen einen erheblichen

Hilfe- und Betreuungsbedarf der jungen Menschen voraus. Entsprechendes gilt für die Angebote nach § 13. „ Aus jugendhilferechtlicher Sicht bleiben deshalb hier alle

Personen außer Betracht, die nicht über den ubiquitären Bereich der bagatell- oder jugendtypischen, episodenhaften Kriminalität auffällig werden. „ Zielgruppe der NAM sind ausschließlich junge Menschen, deren

gesellschaftliche Integration (z.B. aufgrund ihrer mangelnden sozialen Handlungskompetenzen) gefährdet oder verloren gegangen ist. Es geht mithin im Rahmen der NAM um die mehrfach benachteiligten, mehrfach belasteten und mehrfach auffälligen jungen Menschen. Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Leistungsarten Als sozialpädagogische Leistungen kommen grds. alle Erziehungshilfen des SGB VIII in Betracht, insb. „ Sozialpädagogische Gruppenarbeit (§ 29) „ Betreuungshilfe (§ 30) „ Betreute Wohnformen (§ 34) „ andere „maßgeschneiderte“ Formen pädagogischer Betreuung (§ 27 Abs. 2).

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Arbeitsleistungen „ Die administrative (vollstreckungsähnliche) Vermittlung von

Arbeitsmaßnahmen fällt nicht in den Aufgabenbereich der JÄ. Soweit die Arbeitssanktionen tatorientiert-taxativ und schuldausgleichend auferlegt werden (ob als Auflage nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 JGG oder weiterhin im Gewande einer Weisung nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 JGG), fehlt ihnen der für die Jugendhilfe relevante (leistungsauslösende) „erzieherische“ Gehalt. „ Die Teilnahme an sozialpädagogisch betreuten Arbeits- und

Beschäftigungsprojekten kann im Einzelfall, als Leistung der Jugendhilfe bewilligt werden.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Täter-Opfer-Ausgleich „ Der Täter-Opfer-Ausgleich ist konzeptionell keine zugunsten

des Jugendlichen vorgenommene, „erzieherische“ Intervention, sondern in Anlehnung an den Mediationsgedanken ein allparteiliches Verfahren zur einvernehmlichen Konfliktregelung. „ Der TOA kann nur im Einzelfall – aufgrund einer

entsprechenden Hilfeplanung – als atypische Leistung nach § 27 Abs. 2 SGB VIII anerkannt werden. Möglich wären hier auch Vereinbarungen über die unmittelbare Inanspruchnahme „niedrig-schwelliger“ Interventionen (§ 36a SGB VIII).

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Justizielle Weisungen/Auflagen „ Die nur auf einer richterlichen Weisung (ohne vorherige Feststellung

des erzieherischen Bedarfs sowie der Geeignet- und Erforderlichkeit der Leistung durch das Jugendamt) beruhende Durchführung von NAM ist aus Sicht der öffentlichen Jugendhilfe unzulässig. „ Eine jugendstrafrechtliche Weisung des Jugendrichters nach § 10 JGG

begründet (noch) keine sozialrechtliche Leistungs- und/oder Kostentragungspflicht der Jugendhilfe nach §§ 13, 27, 85 ff. SGB VIII. Es besteht keine Möglichkeit der Strafjustiz, die Jugendhilfe zur Durchführung sozialpädagogischer Leistungen bzw. „Maßnahmen“ anzuweisen. „ Davon unberührt bleibt die Entscheidung der Strafjustiz, gegenüber

dem Jugendlichen oder Heranwachsenden jugendstrafrechtliche Sanktionen anzuordnen. Liegen aber die Leistungsvoraussetzungen des SGB VIII nicht vor, gehen die - eine „Vollstreckung“ durch die Jugendhilfe voraussetzenden - Entscheidungen der Strafjustiz ins Leere. Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Steuerungsverantwortung des JA „ Mit dem KICK 2005 wurde die – schon bislang bestehende - Kosten-

und Steuerungsverantwortung des JA in § 36a Abs. 1 ausdrücklich auch mit Verweis auf das Jugendgericht hervorgehoben. „ Die Jugendhilfe hat nach § 52 Abs. 2 SGB VIII ihre Leistungspflicht frühzeitig zu prüfen, um eine informelle Erledigung des Strafverfahrens (Diversion) zu fördern. „ Besteht kein erkennbarer sozialpädagogischer Handlungsbedarf (insb. kein „erzieherischer“ Bedarf nach § 27 bzw. kein erhöhter Bedarf an Unterstützungsleistungen i.S.d. § 13) oder verspricht die Hilfe keinen Erfolg, dürfen im Strafverfahren durch die JGH keine Angebote der öffentlichen Jugendhilfe vorschlagen oder durchgeführt werden. „ Die JGH hat innerhalb des JA kein Privileg zur Entscheidung über die Gewährung von Jugendhilfeleistungen. Eine fachgerechte Hilfeplanung unter Mitwirkung der Betroffenen und ggf. mehrerer Fachkräfte (vgl. §§ 5, 8, 9, 36, 36a Abs. 1 SGB VIII) muss deshalb selbstverständlich sein und eine JGH-Stellungnahme hierauf basieren.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Jugendkriminalrechtliches Dreiecksverhältnis §§ 10, 15 JGG gegenüber dem Jugendlichen ≅ §§ 1666, 1666a BGB gegenüber den Eltern

Jugendgericht op Ko n io at er

Jugendamt

Jugendliche Personensorgeberechtigte

§ 27 SGB VIII

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Freie Träger „ Freie Träger können im Rahmen der NAM autonom tätig

werden (§ 3 Abs. 1 SGB VIII). Dies wird ungeachtet der konzeptionellen Entscheidung wirtschaftlich davon abhängen, ob sie die hierfür nötigen finanziellen Ressourcen haben oder von der Justiz für ihre Leistungen angemessen bezahlt werden. „ Eine Refinanzierung durch Mittel der öffentlichen Jugendhilfe ist

nur zulässig, wenn die (materiellen und formellen) Leistungsvoraussetzungen des SGB VIII erfüllt sind (§ 31 SGB I). „ Vereinbarungen über die unmittelbare Inanspruchnahme von

ambulante Hilfen müssen sich auf „niedrigschwellige“ Leistungen (z.B. TOA) beschränken (§ 36a Abs. 2 SGB VIII).

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Tendenz zur Leistungsverweigerung „ Interne Weisungen, keine Leistungen insb. bei mehrfach

straffälligen Jugendlichen oder jungen Volljährigen zu initiieren. „ Verwaltungstechnische Tricks und Schwellen „ Bestehen auf einer formalen Antragstellung der Eltern; „ Anweisung, dass JGH-Mitarbeiter, keine HzE initiieren dürfen; „ langwierige Entscheidungsfindung, so dass sich das „Problem“ bei weiteren Krisen und Straftaten aufgrund von Inhaftierung von selbst erledigt. „ Eine solche offen rechtswidrige Praxis kann durch eine enge Kooperation der Fachkräfte der Jugendhilfe und der Justiz begegnet werden. Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

Literatur „

Trenczek, T.: Rechtliche Grundlagen der Neuen Ambulanten Maßnahmen und sozialpädagogischen Hilfeangebote für straffällige Jugendliche in: BAG (Hrsg.) Neue Ambulante Maßnahmen – Grundlagen, Hintergründe, Praxis; Bonn-Forum Verlag 2000, S. 17-119

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Trenczek, T.: Fachliche Verantwortung und gemeinsames Handeln. Institutionenübergreifende Kommunikation und Verfahrensoptimierung nach Jugendstraftaten; Forum Jugendhilfe 2/2001, S. 9-19.

„

Trenczek, T.: Die Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren. Konzeption und Praxis der Jugendgerichtshilfe; BeltzVotum, Münster 2003.

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Trenczek, T.: Ende der Ambulanten Maßnahmen? Qualitätsstandards in den Neuen Ambulanten Maßnahmen Qualitätsstandards des Jugendhilferechts für die sozialpädagogische Betreuung junger Straffälliger; Jugendamt 3/2004, S. 113-117.

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Münder, J. /Trenczek. T. u.a.: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII; Juventa, 5. Aufl. 2006; insb. §§ 27, Vor § 50, 52.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.

„ Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A.