L.9 Organische Chemie I 9.1.

Schreiben Sie die Konstitutionsformeln für die 4 Isomere der Summenformel C4H9Br auf. Zur Summenformel C4H10 existieren zwei verschiedene Konstitutionsisomere (n-Butan und iso-Butan):

Wir können nun durch einfaches Ausprobieren an allen C-Atomen ein H-Atom durch ein Bromatom ersetzen. Die Lösung dieser Aufgabe wird Ihnen in epischer Breite präsentiert; dies sollte Ihnen den Umgang mit den Formeln erleichtern. Wir werden die verschiedenen Möglichkeiten im Detail analysieren. Ersatz eines H-Atoms am C-1 des n-Butans durch Br: H H H H Br

1

2

3

4

C C C C H

H H H H

Br H H H

H H H H

H C C C C H

H C C C C H

H H H H

Br H H H

Die drei Konstitutionen sind identisch. Wir erinnern uns, dass der Begriff „Konstitution“ nur die Verbundenheit der Atome untereinander angibt. Es ist also völlig irrelevant, ob man die C⎯Br Bindung „nach oben“, „nach unten“ oder „nach links“ zeichnet. In allen Fällen ist das Br-Atom mit dem C-1des Butans verbunden. Wenn wir nicht nur die Konstitution, sondern auch die Stereochemie (3D-Darstellung) berücksichtigen wollten, so könnten wir in den drei gezeichneten Formeln dem Bromatom verschiedene räumliche Lagen zuordnen. Wir erinnern uns aber, dass eine Drehung um σ-Bindungen möglich ist und auch sehr leicht stattfindet. Es gibt also nur ein einziges 1-Brom-butan. Ersatz eines H-Atoms am C-2 des n-Butans durch Br: Dies führt zu folgenden Möglichkeiten: H Br H H

H H H H

H C C C C H

H C C C C H

H H H H

H Br H H

Da wir nur die Konstitution begutachten müssen, ist es für die Bestimmung der Konstitutionsisomere nicht relevant, ob das Br-Atom „nach oben“ oder „nach unten“ ausgerichtet ist. Sie werden allerdings unschwer erkennen, dass das C-2 jetzt ein Chiralitätszentrum ist und dass es zwei enantiomere Möglichkeiten gibt. Ersatz eines H-Atoms am C-3 des n-Butans durch Br: Führt zu identischen Produkten wie der Ersatz eines H-Atoms am C-2 durch Br. Ersatz eines H-Atoms am C-4 des n-Butans durch Br: Führt zu identischen Produkten wie der Ersatz eines H-Atoms am C-1 durch Br. Bei Isobutan gibt es zwei Arten von H-Atomen: die H-Atome an den Methylgruppen und das H-Atom am C2. Demzufolge gibt es auch nur zwei mögliche Produkte. Br

H

H

H C

C

C H

H

H C H H

H

H

Br

H

H C

C

C H

H

H C H

H

H

Zusammenfassung: Die vier Konstitutionsisomere (Stereoisomere werden nicht berücksichtigt!) des Brombutans sind:

28

Br Br

Br

1-Brom-butan

9.2.

2-Brom-butan

1-Brom-2-methyl-propan

Br

2-Brom-2-methyl-propan

Benennen Sie folgende Verbindungen: Grundsätzliches Vorgehen beim Bestimmen eines chemischen Namens: a) Beginnen Sie bei der Tabelle 9 (S. N-21) im Nomenklaturskript. Kontrollieren Sie der Reihe nach, ob eine oder mehrere dort angeführte funktionelle Gruppen vorliegen. Da diese Gruppen nach fallender Priorität geordnet sind, bestimmt die erste angetroffene Gruppe den Stammnamen. Wenn Sie also im zu benennenden Molekül eine ⎯COOH Gruppe finden, dann ist die Verbindung als Carbonsäure zu benennen. Alle anderen funktionellen Gruppen niedrigerer Priorität sind als Substituenten zu benennen. b) Falls keine funktionellen Gruppen der Tabelle 9 vorhanden sind, so wird die Verbindung im Allgemeinen als Kohlenwasserstoff (oder allenfalls als Heterocyclus) benannt. c) Für die Benennung der Kohlenwasserstoffe gelten die Regeln 4.1.1 (S. N-20 Nomenklaturskript). d) Für die Benennung von Heterocyclen siehe Abschnitt 3 (S. N-17 – N-19 Nomenklaturskript). e) Ein vollständiger chemischer Name sieht dann etwa so aus: (Stereodeskriptoren)-Substituenten, alphabetisch geordnet-Heteroatome-Stammname+Endung. Beispiel: (2R, 4R)-2-Amino-4-chlor-3-thia-pentansäure. Versuchen Sie einmal, die Struktur aufzuzeichnen! 2 1

4 3

5

6

7

8

9

Keine funktionellen Gruppen gemäss Tabelle 9 vorhanden ⇒ Benennung als Kohlenwasserstoff. Bestimmung der Hauptkette: die angegebene Nummerierung führt zur kleinsten Zahl bei der Doppelbindung. ⇒ Stammname: 4-Nonen. Die Doppelbindung ist trans (oder E) konfiguriert. Trans und E sind Stereodeskriptoren. Substituenten: 3-methyl, 7-methyl; diese werden zusammengefasst als 3,7-dimethyl. Die C-Atome 3 und 7 wären Chiralitätszentren und als solche zu benennen. Da aber in der Aufgabe keine 3D-Darstellung gegeben wurde, stellt sich dieses Problem hier nicht (d.h. es kann mit den vorhandenen Angaben nicht gelöst werden)! Name: trans-3,7-Dimethyl-4-nonen oder : (E)-3,7-Dimethyl-4-nonen

Keine funktionellen Gruppen gemäss Tabelle 9. Stammgruppe: Benzen. Substituenten: 1,3,5-trimethyl. Name: 1,3,5-Trimethyl-benzen.

Stammgruppe: Naphthalen (Nummerierung S. N-12, Nomenklaturskript). Substituenten: 1,3,6-trimethyl. Name: 1,3,6-Trimethyl-naphthalen.

OH

29

Funktionelle Gruppe: Hydroxygruppe. ⇒Benennung als Alkohol, ⇒ Endung –ol. Stamm: pentan. Substituenten: 4,4-dimethyl. Name: 4,4-Dimethyl-pentanol (eine 1 in der Endung wird im Allgemeinen nicht geschrieben; alle Zahlen ≠ 1 müssen aber geschrieben werden!). OH

OH

Funktionelle Gruppen: 2 Hydroxy-Gruppen. ⇒ Endung: -diol. Stamm: pentan. Stereochemie: leider nicht angegeben; so dürfen wir den Chiralitätssinn der beiden Zentren nicht einmal bestimmen. Name: Pentan-2,4-diol oder 2,4-Pentan-diol. N

Funktionelle Gruppe: Aminogruppe. ⇒ Endung: -amin. Substituenten: methyl, ethyl, propyl. Name: Ethyl-methyl-propyl-amin

9.3.

Schreiben Sie die Konstitutionsformeln zu folgenden Namen:

(3E)-5-Ethyl-3-hepten (Konfiguration an der Doppelbindung ist nicht spezifiziert; willkürlich trans gewählt)

4-Propyl-2,3,5-trimethyl-heptan

H3C H

H3C H H cis

CH3

CH3

2 Varianten möglich: cis- und trans-1,3-Dimethyl-cyclohexan

H trans Cl

OH 1,3-Dichlor-benzen oder meta-Dichlor-benzen Cl Cyclobutanol

5,5-Dimethyl-1-hexin

30

9.4.

Zeichnen Sie möglichst viele Konstitutionsformeln der Summenformel C2H3NO.

N

C

N

C

O

C

H H

NH2

OH

OH

C

C H

H

O N

N

C

O

O

H3C

H

C

N

N

C

H3C

H H N O H2C

O HO

N NH2

OH H

C

CH2

C

H

N

C

C

O

H2N

C

C

OH

H H H

N N

O

N

O

O

N N O

O

O

O O

O

N OH

H

N

N

N NH2

H

NH

N

OH

H

CH2 N

O

OH

N

HO

Achtung: die Schreibbarkeit von Strukturen besagt noch nicht, dass solchen Strukturen auch isolierbare Verbindungen zuzuordnen sind! Die Umkehrung gilt indessen fast unbeschränkt: organische Verbindungen, deren Struktur sich nicht mit einer Lewis-Formel (bzw. mit Grenzstrukturen) beschreiben lässt, sind suspekt.

31

9.5.

Zeichnen und benennen Sie die Isomere der Summenformel C5H10. Welches sind E/Z-Isomere? Welche sind chiral?

Penten

3-Methyl-buten

2-Methyl-2-buten

Cyclopentan

meso-1,2-Dimethylcyclopropan oder cis-1,2-Dimethylcyclopropan

2-Methyl-buten

Methyl-cyclobutan

(1S, 2S)-1,2-Dimethylcyclopropan

(Z)-2-Penten oder cis-2-Penten

Chiral: (1S, 2S)-1,2-Dimethylcyclopropan

(1R, 2R)-1,2-Dimethylcyclopropan

Enantiomere

32

(Z)-2-Penten oder cis-2-Penten

Ethyl-cyclopropan

(1R, 2R)-1,2-Dimethylcyclopropan

E/Z-Isomere: (E)-2-Penten oder trans-2-Penten

(E)-2-Penten oder trans-2-Penten

1,1-Dimethylcyclopropan

9.6.

Zeichnen Sie Strukturformeln zu folgenden Namen: (3R)-3-Benzyl-5-hydroxy-pentansäureamid (E)-2-Ethyliden-cyclohexanon (R)-3-(1-phenyl-ethyl)-pyridin meso-1,2-Dimethyl-cyclohexan (S)-2-Amino-3-hydroxy-propansäure (L-Serin) HO

NH2 H

H

O

O

CH3

(3R)-3-Benzyl-5-hydroxypentansäure-amid

H

(E)-2-Ethyliden-cyclohexanon

H3C

CH3

H

CH3 H

N meso-1,2-Dimethyl-cyclohexan

(R)-3-(1'-Phenyl-ethyl)-pyridin

COOH H2N

H



H

HO

NH2 COOH

OH L-Serin (S)-2-Amino-3-hydroxy-propansäure

9.7.

Benennen Sie folgende Verbindungen: H 4

5 6

Hauptfunktion: -OH

H

HS

OH

3

1

Stamm: Perhydro-pyridin (=Piperidin) Hier liegt ein Heterocyclus vor; der Stamm ist daher nicht als Kohlenwasserstoff zu benennen.

2

N

(3R, 5S)-5-Mercapto-perhydro-pyridin-3-ol (3R, 5S)-5-Mercapto-piperidin-3-ol

H

Hauptfuktion: -COOH

COOH H2N

=> Endung: -ol

H

=> Endung: -säure

Stamm: Propansäure

CH2

Substituenten: 2-amino 3-mercapto

SH

(2R)-2-Amino-3-mercapto-propansäure Trivialname: L-Cystein 6 7

4 5

F

Stamm: 1,5-Heptadien

2

3

H

1

(3S, 5E)-3-Fluor-2-methyl-1,5-heptadien

33

8 5

N

6

Stamm: Bicyclo[2.2.2]-octan

Br

7

1

In solchen Fällen ist es besser, nicht die Stammfunktion "Amin" zu wählen, sondern den Kohlenwaserstoff; das Stickstoffatom wird über die a-Nomenklatur berücksichtigt.

3

4 2

4-Brom-1-aza-bicyclo[2.2.2]octan N.B.: dieses Molekül ist nicht chiral

9.8.

Zeichnen Sie möglichst viele (mesomere) Grenzstrukturen folgender Phenolationen: O

O

O

N

O

O

O

O

O

O

N

O

O

O

N

O

O

O

N

O

O

O

O

O

O

N

O

N

O

O Benzochinon

O

O

O

N

O

O

N

O

O

O

N

O

Im Fall des p-Nitrophenols gibt es (neben einer grösseren Zahl von gleichwertigen Grenzstrukturen) eine besonders stabilisierte Struktur: eine chinoide Grenzstruktur (eingerahmt). Eine wesentlich grössere Stabilität der entsprechenden Base bedeutet aber, dass diese Base markant schwächer sein muss. In der Tat: pKa(Phenol): 9.9, pKa(Nitrophenol): 7.15

34

9.9.

Welche der folgenden Moleküle sind chiral? H CH3

COOH H2N

H

H

H

OH

Cl

CH3

4

Br

1

*

3

O

P* O

achiral, Molekül planar

achiral, Spiegelebene senkrecht zur Papierebene vorhanden

H3C

S

H

5

6

achiral, Molekül planar

Cl

7

H

H3C H

chiral, 2 verschiedene Chiralitätszentren

Cl

CH3

H

H

O

CH3

2

chiral; keine Chiralitätszentren, aber eine Chiralitätsachse vorhanden

chiral, 2 verschiedene Chiralitätszentren (das Phosphoratom ist auch ein Chiralitätszentrum)

achiral, Spiegelebene durch die Atome 1, 4 und 7 vorhanden

H3C H

H CH3

Chiralitätsachse

In Spiro-Verbindungen (Seite N-7) stehen die Ringe senkrecht aufeinander. Die beiden Ebenen der Substituenten (H und CH3) sind um 90° verdrillt. Die Situation ist topologisch gleich wie bei den Allenen (Skript S. 16-23). Sowohl die im Skript erwähnten Allene wie auch die oben abgebildete Spiro-Verbindung haben keine Chiralitätszentren; trotzdem sind sie chiral. Man spricht in diesen Fällen von einer Chiralitätsachse.

9.10

Zu wie viel Prozent liegt Butan bei Raumtemperatur in der synclinalen Konformation vor? Der antiplanare Zustand (ap) und die synclinalen Zustände (es gibt deren zwei, sc1 und sc2) unterscheiden sich um ca. 4.2 kJ mol–1. Daraus folgt bei einer Temperatur von 25 °C:

K =e



∆ r G° RT

= 0.183 .

c• K = sc1 = • cap

• c sc 2 • cap

• • • • • c sc 1 + c sc 2 + cap = 1 = cap × (1 + 2 × K ) ⇒ cap =

• • • ⇒ c sc 1 = K × cap = csc 2

K 1 • • = 0.732 und c sc = 0.134 1 = c sc 2 = 1+ 2 × K 1+ 2 × K

Daraus folgt: der synclinale Zustand wird zu etwa 27% bevölkert, der antiplanare zu etwa 73%. 9.11

Zeichnen Sie eine Fischer-Projektion von (2R,3R)-2,3-Butan-diol! CH3 HO

H

H

OH CH3

35