CHE 102.1: Grundlagen der Chemie Organische Chemie Prof Dr. E. Landau und Prof. Dr. J. A. Robinson 5. Aromatische Kohlenwasserstoffe Aufgrund des starken Aromas, das viele Benzolderivate ausströmen, nennt man sie aromatische Verbindungen. Deshalb gilt Benzol als Stammverbindung der Aromaten. Aromatische Ringe kommen in vielen biologisch wirksamen Substanzen vor, z.B.: OH

Me O Me N

Benzen Benzol (Benzene)

N H

N

Cl

OH N

HO HO

N

N

O

Harnsäure

Oestron N Diazepam (Valium)

N

Me Nicotin

Wir werden hier nur Benzol-Derivate betrachten, und nicht aromatische Ringe, die ein Heteroatom enthalten (Kapitel-6), z.B. N, O oder S.

5.1 Die Benennung von Benzolderivaten Der allgemeine Ausdruck für substituierte Benzolderivate lautet Arene. Ein Aren als Substituent heisst Arylgruppe, abgekürzt Ar-. Die einfachste Arylgruppe heisst Phenyl-, C6H5-, abgekürzt Ph-.

Einige Trivialnamen die häufig vorkommen:



NH2

Me

Toluol (Sdp 110 oC)

Anilin (Sdp 184 oC)

CHO

Benzaldehyd (Sdp 178 oC)

O

COOH

OH

OMe

Anisol (Sdp 154 oC)

CN

Benzonitril (Sdp 188 oC)

Me

Me Me Phenol (Smp 43oC)

Acetophenon (Smp 21oC)

Benzoesäure (Smp 122oC)

ortho-Xylol (Sdp 144 oC)

Styrol (Sdp 145 oC)

Viele monosubstituierte Benzolderivate benennt man, indem man den Substituentennamen dem Wort "Benzol" voranstellt :

1-Brom-2,3-dimethylbenzol

para-Nitrophenol

meta-Chlortoluol

Bei disubstituierten Benzolderivaten können die Substituenten drei mögliche Stellungen zueinander einnehmen: benachbarte Substituenten 1,2- (ortho), für 1,3-disubstituierte Verbindungen 1,3- (meta), für 1,4-disubstituierte Verbindungen 1,4- (para). Die Substituenten werden in alphabetischer Reihenfolge genannt.

5.2 Die Struktur von Benzol : Aromatizität Im Jahr 1825 erhielt der englische Wissenschaftler Faraday eine farblose Flüssigkeit mit der empirischen Formel CH. Diese Verbindung war mit der Theorie, nach der jeder Kohlenstoff vier Valenzen zu anderen Atomen ausbilden musste, nicht so einfach in Einklang zu bringen. Besonders die ungewöhnliche Stabilität und chemische Trägheit dieser Substanz fiel auf. Man nannte die Verbindung Benzol und stellte schliesslich die Summenformel C6H6 dafür auf.

Ein Problem damals war, zu verstehen, warum nie zwei unterschiedliche Isomere von einem 1,2disubstituierten Benzolderivat beobachtet werden konnten. Als Lösung schlug Kekulé im Jahre 1865 vor, dass Benzol aus sich rasch ineinander umwandelnden Isomeren von Cyclohexatrien bestehen

sollte. Heute wissen wir, dasss diese Hypothese nicht richtig ist. Nach der modernen Elektronentheorie kann man Benzol durch zwei äquivalente Resonanzstrukturen des Cyclohexatriens beschreiben:

Benzol ist ungewöhnlich reaktionsträge. Es geht keine Additionsreaktionen wie normale Alkene ein.

Molekülorbital-Modell des Benzols Das Benzolmolekül bildet ein regelmässiges Sechseck aus sechs sp2-hybridisierten Kohlenstoffatomen. Die Abbildung unten zeigt die elektronische Struktur des Benzolrings. Alle Kohlenstoffatome sind sp2hybridisiert, und jedes p-Orbital steht senkrecht zur s-Skellet und überlappt gleichmässig mit seinen beiden Nachbarn. Die sechs cyclisch angeordneten, überlappenden p-Orbitale werden umhybridisiert zu einen Satz von sechs neue Molekülorbitalen (MO), wobei drei als bindende MOs gelten und mit 6Elektronen besetzt sind, und drei anti-bindende MOs sind, und unbesetzt bleiben. Das π-bindende MO mit der tiefsten Energie entspricht einer delokalisierten π-Elektronen-Wolke oberhalb und unterhalb der Ringebene.

H

H H

H



Die Länge der aromatischen CC-Bindung liegt zwischen der einer Einfach- und der einer Doppelbindung.

Valenz-Struktur-Beschreibung des Benzols Die Struktur von Benzol kann durch zwei gleichwertige Resonanzstrukturen von Cyclohexatrien wiedergegeben werden:

Der wirkliche Zustand wird dann als "Zwischenzustand " oder "Resonanz-hybrid" zwischen diesen Grenzstrukturen wiedergegeben.

Das Zeichen bedeutet, dass nicht etwa ein dynamisches Gleichgewicht zwischen zwei verschiedenen Molekülarten existiert, sondern dass der tatsächliche Zustand zwischen den Grenzstrukturen liegt und von diesen gewissermassen "umschrieben wird". Die Beschreibung einer wirklichen Struktur durch Kombination von nicht existierender Grenzstrukturen nennt man Resonanz.

5.3 Stabilität von Benzol Um ein Mass für die relative Stabilität einer Reihe von Alkenen zu bekommen, kann man ihre Hydrierungswärmen bestimmen. Ein ähnliches Experiment können wir mit Benzol durchführen, und seine Hydrierungswärme mit der von l,3 Cyclohexadien und Cyclohexen vergleichen :

Obwohl Benzol nur schwer hydriert wird, kann die Reaktion katalytisch durchgeführt werden, und man erhält für die Hydrierungswärme einen Wert von ∆Ho -206 kJ/mol. Der Unterschied zwischen den Hydrierungswärmen (und den Bildungsenthalpien ) beträgt ungefähr 124 kJ/mol und wird als Resonanzenergie von Benzol bezeichnet. Andere Namen dafür sind Delokalisierungsenergie, aromatische Stabilisierug, oder einfach Aromatizität von Benzol.

5.4 Die Hückel-Regel Mit Hilfe der MO-Theorie lässt sich zeigen, dass ein monocyclisches konjugiertes Polyen (d.h. alle C-Atome sp2 hybridisert) besonders stabil ist (d.h. Aromatizität besitzt), wenn es 4n+2 π-Elektronen enthält (n ist ganzzahlig; d.h. ein p-System mit 2, oder 6, oder 10, oder..... p-Elektronen), z.B.:

Aromatisch (4n + 2 π-Elektronen)

Benzol

Naphthalin

Anthracen Phenanthren [14]-Annulen

Nicht-Aromatisch (4n π-Elektronen)

cyclobutadien cyclooctatetraen [16]-Annulen

5.5 Elektrophile aromatische Substitution Aufgrund seiner π-Elektronen besitzt das Benzol-Molekül nucleophile Eigenschaften und reagiert deshalb vorwiegend mit Elektrophilen, z.B.:



O NO2

Me Friedel-Crafts Acylierung

Nitrierung

SO3H

Sulfonierung

Cl(Br)

Halogenierung

Me

Friedel-Crafts Alkylierung

Im Gegensatz zu den Alkenen führt ein solcher Angriff zu einer Substitution eines H-Atoms, nicht zu einer Addition. Z.B. Brominierung in Gegenwart eines Katalysators:

Mechanismus der elektrophilen aromatischen Substitution:

Die π-Elektronen aus dem Benzolring greifen Br+ an



Ein Carbokation Zwischenprodukt wird gebildet

Das Carbokation spaltet ein Proton ab

Der erste Schritt ist thermodynamisch ungünstig, da die cyclische Delokalisierung und damit der aromatische Charakter dabei verloren geht. Nach diesem Schritt wird der aromatische Ring wieder regeneriert, indem das Proton von dem sp3-hybridisierten Kohlenstoff abgespalten wird. Dies ist energetisch günstiger als eine Reaktion mit einem Nukleophil, wodurch das Additionsprodukt entstünde :

H

Energie

Br H Br

Br

+ HBr Reaktionskoordinat

Die Änderung der potentiellen Energie während der Reaktion von Benzol mit einem Elektrophil. Die Bildung des ersten Übergangszustand ist geschwindigkeitsbestimmend. Das Proton wird verhältnismässig rasch abgespalten.

Die Reaktion von Benzol mit k.HNO3 bei mässig erhöhter Temperatur führt zur Nitrierung des Benzolrings:

NO2 H



Konz. H2SO4 reagiert bei RT nicht mit Benzol, sieht man von der Protonierung ab. "Rauchende Schwefelsäure" (Oleum) greift jedoch elektrophil an, da sie SO3 enthält. Aufgrund der stark elektronenziehenden Wirkung der drei Sauerstoffatome ist das S-Atom in SO3 so elektrophil, dass es Benzol direkt angreift : SO3H H



In Friedel-Crafts-Reaktionen entstehen neue C-C Bindungen. In Gegenwart einer Lewis Säure, gewöhnlich Aluminiumchlorid, greifen Halogenalkane Benzol unter Bildung von Alkylbenzolderivaten an (Friedel-Crafts Alkylierung), Alkanoylhalogenide ergeben Alkanoylderivate (Friedel-Crafts Acylierung):

Cl +

CH3

CH

CH3

H

CH3

CH3 CH CH3

CH CH3

Die Reaktivität des Halogenalkans nimmt in der Reihenfolge RF > RCl > RBr > RI ab. Typische LewisSäuren sind bei dieser Reaktion (nach abnehmender Reaktivität geordnet) AlBr3, AlCl3, FeCl3, SbCl5 und BF3. Weitere Beispiele:

CH3CH2 Cl AlCl3 , 25o Me 3C Cl AlCl3 , 0o Cl

AlCl3 , CS2 , 25o

Durch Friedel-Crafts-Acylierung entstehen Aryl-Alkyl-Ketone. Z.B. Benzol reagiert mit Acetylchlorid in Gegenwart von AlCl3 und bildet Acetophenon :

Die Bildung des Acylium-Kations geschieht allgemein durch die Reaktion von Alkanoylhalogeniden (Acylhaliden) mit AlCl3. Ähnlich reagieren Carbonsäureanhydride mit Lewis-Säuren, z.B.:

O Allgemein

R-CO-Cl AlCl3

R

5.6 Induktive- und Resonanz-Effekte im Benzolring Ein Substituent am Benzolring übt einen elektronischen Effekt aus, indem er entweder Elektronendichte auf den Ring überträgt, oder Elektronendichte abzieht. Auf diese Weise kann ein monosubstituierter Benzolring, verglichen mit Benzol, andere chemische und physikalische Eigenschaften aufweisen, z.B. kann eine elektrophile aromatische Substitutionsreaktion viel langsamer (d.h. wird desaktiviert) oder schneller (d.h. wird aktiviert) ablaufen als mit Benzol. Das Abziehen oder Liefern von Elektronen kann durch Induktive- und durch Resonanz-Effekte zustandekommen.

Induktive- und Resonanz-Effekte beeinflüssen viele chemische und physikalische Eigenschaften von Aromaten, nicht nur ihre Reaktivität bei elektrophilen Substitutionsreaktionen. Induktive- und Resonanz-Effekte Betrachten wir Beispiele von elektronenliefernden und elektronenziehenden Substituenten:

Me = s-Donator Relativ elektronenreicher Ring (reaktiver)

CF3 = s-Akzeptor Relativ elektronenarmer Ring (weniger reaktiv)

Induktive Effekte sind Polarisationseffekte, die über s-Bindungen übertragen werden (siehe S.10).

Es ist auch möglich, dass ein Substituent an einen aromatischen Ring mit p-Elektronen zu den pElektronen des Ringes in Konjugation tritt und dadurch entweder negative Ladung aus dem ungesättigten System abzieht oder negative Ladung in dieses hineindrückt. Häufig spricht man von

einem mesomeren Effekt oder Resonanzeffekt, was daherrührt, dass man in diesen Fällen die Ladungsdichteverteilung durch Kombination verschiedener Grenzstrukturen beschreiben kann, da eine Delokalisation der p-Elektronen eintritt, z.B. ein π-Akzeptor O

O

N

O

N

O

N O

O

O

N

N

O

O

O

Ihre Akzeptorwirkung (die Stärke des mesomeren Effektes) steigt mit der Bereitschaft des Substituenten, negative Ladung aufzunehmen.

O

O

R

O

R

R

O

R



Andere π-Akzeptorgruppen: In der folgenden Reihe nimmt er darum nach rechts zu:

O

π-Donorgruppen

O

O OR

C N R

N

O

Da N elektronegativer ist als C, übt die -NH2 Gruppe einen leicht elektronenziehenden Effekt aus (induktiver Effekt). Das freie Elektronenpaar des N-Atoms kann jedoch in das aromatische π-System miteingebracht werden, sodass die Ladungsdichte des Ringes erhöht wird:

N

H

H

H

N

N H

H

H

H H

N

N H H

Dieser Resonanzeffekt überwiegt den induktiven Effekt bei weitem. Anilin ist deshalb für eine weitere Substitution reaktiver als Benzol.

Das elektronegative O-Atom in Phenol wirkt ebenfalls elektronenziehend (induktiver Effekt). Aber auch hier überwiegt der Einfluss der Resonanz (p-Donoreffekt), sodass der Benzolkern elektronenreicher wird:

π-Donorgruppen:

5.7 Orientierung und relative Geschwindigkeit einer Zweitsubstitution Übt ein bereits vorhandener Substituent einen Einfluss darauf aus, an welcher Stelle im Ring ein Elektrophil angreift, und wie schnell die Reaktion abläuft (im Vergleich zu Benzol)? Schauen wir zuerst Toluol an, das die induktiv aktivierende Methylgruppe trägt:

Me

Me

Me

Me

+

+

m-Nitrotoluol

o-Nitrotoluol

p-Nitrotoluol

Die elektrophile Nitrierung von Toluol führt hauptsächlich zu ortho und para-Substitution. Die Nitrierung ist kein Spezialfall:

Me

Me

Me

Me

Br2 FeBr3

Br +

+

Br 40% o-Bromtoluol