Hamburgo-Santiago 2001 Reisebericht Teil 1

Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1 Tag 1: Hamburg - ein Feld bei Delmenhorst Schrecklicher Verkehr auf der B73 begrüßt mich gleich zu Begin...
Author: Sabine Linden
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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

Tag 1: Hamburg - ein Feld bei Delmenhorst Schrecklicher Verkehr auf der B73 begrüßt mich gleich zu Beginn meiner Tour. Ich habe das Stadtgebiet Hamburgs mit der S-Bahn durchfahren und werde nun meine Reise beginnen. Was für ein Ziel! Salamanca im tiefsten Spanien. Erst einmal werde ich mir Holland als Ziel setzen um die Dimension der Entfernung überschaubarer zu halten. Heute soll es bis nach Bremen gehen. Die Sonne scheint hin und wieder, doch von sommerlicher Wärme kann keine Rede sein. Ich fahre in Regenjacke und langer Hose.

Wassermühle in Moisburg

Mein Weg nach Bremen führt mich durch das nördliche Niedersachsen. Die hügelige Gegend hier wird landwirtschaftlich stark genutzt (riecht auch entsprechend!) und man trifft nur verhältnismäßig selten auf Dörfer. Mittags stoße ich bei Klein Meckelsen auf den Radwanderweg "Hamburg - Bremen", dem ich bis nach Bremen folge. Die Ausschilderung des Weges ist lückenhaft, doch mithilfe der Karte finde ich mich dennoch recht gut zurecht. Vor Bremen passiere ich das kleine Dorf Fischerhude, was durch alte norddeutsche Backsteinbauten und viele Cafés geprägt wird.

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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

Auf dem Radwanderweg Hamburg-Bremen

In Bremen wird die Strecke sehr unübersichtlich, doch irgendwie schlage ich mich bis zur Innenstadt durch. Ich frage eine Frau nach einer Brücke über die Weser. Woraufhin sie mir in englischem Akzent erklärt, dass ich schon zu weit bin. Endlich auf der anderen Flussseite angekommen, gehe ich einkaufen. Kaum aus dem Supermarkt herausgekommen, werde ich von einem ‚leicht' ungepflegten Mann angesprochen. Frankreich würde er auch gerne mal mit dem Rad durchfahren. Weil ihm die Landschaft bei der Tour de France im TV so gut gefallen hat. Nun ja... Ein netter alter Mann führt mich mit seinem Fahrrad aus Bremen heraus. Es geht weiter in Richtung Oldenburg.

Sauwohl!

Da es schon sehr spät ist, muss ich so langsam einen Schlafplatz finden. Ich habe mir vorgenommen, wegen Kostengründen nur noch alle 3 Tage auf einem Campingplatz zu übernachten und den Rest der Zeit mein Zelt "wild" aufzuschlagen. Leider ist die Umgebung von Delmenhorst so stark besiedelt, dass ich keinen versteckt gelegenen Platz finde. Im Gegensatz zur Nordheide, durch die ich heute Morgen gefahren bin, kann ich hier an fast jedem Punkt von einem Bauernhaus aus gesehen werden. Und wenn sich mal eine gute Wiese gefunden hat ist gerade frische Gülle darauf, oder Kühe weiden. Es dauert lange, bis ich endlich ein versteckt gelegenes Plätzchen gefunden habe, auch wenn es uneben und stark von -2-

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Schnecken bevölkert ist. Nachdem ich das Zelt aufgeschlagen habe, koche ich noch etwas zu Essen und verkrieche mich kurz danach todmüde im Schlafsack. Heute gefahren: 144,24km Gesamt: 144,24km

Tag 2: ein Feld bei Delmenhorst - Ostfriesland (Weener) Am Morgen ist das ganze Zelt feucht. Und zu allem Überfluss sind auch noch Unmengen von Schnecken, die sich an den Essensresten laben, in meinem Kochtopf. Was für eine schöne erste Nacht! Ich bin froh, wie ich den ganzen Schneckendreck beseitigt habe und wieder losfahren kann.

Das kleine Frühstückchen...

Durch die Wesermarsch fahre ich bis nach Oldenburg. Ausschilderungen für Radfernwege scheinen immer seltener zu werden. In der Innenstadt von Oldenburg versuche ich eine weitere Karte dieser Gegend für das Gebiet bis Groningen in den Niederlanden zu bekommen. Glücklicherweise finde ich auch eine.

Campingwiese

Nachdem ich mich durchgefragt habe, komme ich auf einen Radweg, der immer an den Gleisen entlang bis nach Bad Zwischenahn führt. Das Zwischenahner Meer -3-

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sorgt an diesem Samstag für einen großen Zulauf an Freizeittouristen. Ich bin froh, wie ich den Ort endlich verlassen habe... Nicht, dass ich nicht auch so etwas wie ein Tourist wäre... Auf dem weiteren Weg in das südliche Ostfriesland wird die Landschaft durch viele Kanäle geprägt, über die meist weiß gestrichene Hebebrücken führen. Im Dörfchen Irhove finde ich einen kleinen Kiosk, der am späten Samstagabend noch geöffnet hat. Nachdem ich etwas zu trinken sowie eine Dosensuppe gekauft habe, und die Trinkflaschen mit frischem Kochwasser aufgefüllt sind, mache ich mich wieder auf dem Weg. In der Emser Marsch ist die Landschaft nur sehr dünn besiedelt und ich mache mich auf die Suche nach einem schönen Platz zum Campen. Von einer Brücke aus sehe ich ein paar Angler, die ihr Zelt an einem der Kanäle aufgeschlagen haben. Natürlich ist das kein Problem und die Kinder helfen mir noch ein wenig beim Aufbau.

Bei den Ostfriesen

Die Gruppe besteht aus zwei jungen Männern - einer von ihnen in Bundeswehrklamotten - und zwei Jungen. Typische Ostfriesen, mit denen ich den ganzen Abend einen netten Klönschnack halte. Über einen von ihnen erfahre ich sogar, dass er es als Dachdecker (!) schon einmal gebracht haben soll, die Latte abzusägen, auf der er gesessen hat. Das Resultat war ein 5 Meter tiefer Fall... Mein Abendessen stellt sich leider als Linsensuppe mit Schweinespeck heraus. Die Angler witzeln darüber, dass ich als Vegetarier auf dem hiesigen Untergrund (Kuhwiese) ja genug zu essen hätte. Grrr... Heute gefahren: 108,95km Gesamt: 253,19km

Tag 3: Ostfriesland (Weener) - Bergumermeer Am Morgen baue ich zeitgleich mit den Anglern mein Zelt ab und wir verabschieden uns. Abgesehen von ein paar Wölkchen präsentiert sich der Himmel von seiner guten Seite. Über eine Eisenbahnbrücke überquere ich die Ems und gelange nach Weener, ein typisch ostfriesischen Städtchen. Hier in der Nähe steht auch der berühmte "Otto"Leuchtturm aus dem Film...

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Auf der Hauptstraße spricht mich ein anderer Radfahrer an. Wir reden erst mal über das übliche Wohin -und Woher. Ich möchte als nächstes Ziel über den Damm, der das niederländische IJsselmeer vom offenen Meer trennt, erreichen, weiß aber nicht, ob man dort mit dem Rad rüber kommt. Er schlägt mir vor seine Eltern zu fragen, da er sowieso gerade auf dem Weg zu ihnen wäre. Sie würden sich in den Niederlanden sehr gut auskennen und könnten mir diese Frage sicher beantworten. So frage ich einige Zeit später die Eltern. Erst einmal verstehen sie meine Frage gar nicht. Bis ihr Sohn meine Frage meine Frage in einem für mich total unverständlichen Dialekt wiederholt. Im Endeffekt können mir die Eltern leider doch nicht weiterhelfen.

Grenzbrücke nach Holland

Über die internationale Dollart-Route führt mich der freundliche Radfahrer noch bis zur Niederländischen Grenze. Er erzählt mir über die lokalen Probleme mit den Wildcampern, die überall ihren Müll hinterlassen. So was wirft immer einen schlechten Schatten auf die Camper, die hier nur friedlich eine Nacht übernachten wollen - leider. Die Landschaft ist inzwischen vollkommen flach. An Windrädern vorbei gelangen wir zu einer kleinen Holzbrücke. "So, jetzt bist Du in Holland. Ich wünsche Dir noch eine gute Weiterreise. Ich muss jetzt zurück zum Mittagessen." Ups! Das also ist schon Holland. Nun... ziemlich flach...

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"Ohne Worte"

Und: Die erste Straße, die ich sehe, hat an beiden Seiten Fahrstreifen für Radfahrer! Auf der niederländischen Seite der Brücke sind eine Menge Informationsschilder über alle möglichen Radfernwege angebracht. Ich merke gleich: Hier sind Radfahrer Könige! :o) Im Verlauf des Tages bemerke ich viel mehr gute Eigenschaften des Verkehrssystems hier. Viele alte Landstraßen wurden parallel durch neue ersetzt um mehr Platz für die Radfahrer zu lassen. Radfahrer haben auf großen Straßen - wenn nötig - grundsätzlich eigene Spuren und Ampeln. Und das Beste: Man kann sich als Reiseradler an den Fernverkehrsschildern orientieren, ohne sofort auf eine Autobahn zu gelangen. Für Radfahrer gibt es eigene! So erreiche ich Groningen mit nur wenigen Blicken auf die Karte. Die einzigen Wehmutstropfen sind die relative Eintönigkeit der Landschaft und der zeitweilige Gegenwind. Heute ist Sonntag, womit ich auch in einer großen Stadt wie Groningen kaum Möglichkeiten zum einkaufen habe. Da ich keine weiterführende Karte finde, versuche ich an der nächsten Stadtkarte mein Glück. Ich frage einige Passanten und bekomme letztendlich auch einen guten Tipp. Der Starkenborghkanal führt mit Radwegen auf beiden Seiten bis an das IJsselmeer. Im weiteren Tagesverlauf folge ich also diesem Kanal. Die Atmosphäre unter den Radlern hier ist unheimlich herzlich. Überall grüßt man sich durch Zunicken und ein freundliches "Hi!". Auf dem Kanal fahren viele Ferienboote, die meisten davon aus Deutschland. Alle paar Kilometer sieht man eine der vielen Hebebrücken, an denen jetzt zur Hauptsaison nicht selten gewartet werden muss. Zum Ende des Tages hin mache ich mir langsam Sorgen um eine weitere Übernachtungsmöglichkeit. Da die Landschaft so flach und ziemlich baumlos ist, könnte ich mein Zelt kaum unbemerkt aufschlagen. Also werde ich mir einen Campingplatz suchen müssen.

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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

Typisch Holländisch?

Ich frage zwei Anglerinnen nach dem nächsten Campingplatz. Sie kramen sofort einige Karten aus ihrem Auto und streiten schnell darüber, welchen Weg sie mir denn nun empfehlen sollen. Kurze Zeit später ist die eine von ihnen eingeschnappt, weil ich der anderen mehr glaube. Trotzdem geben sie mir noch eine grob aufgelöste Karte der Niederlande, auf der die größten Orte verzeichnet sind. Wie Niederländer eben sind - sorry, Friesen! Nahe dem Bergumermeer finde ich schließlich einen kleinen Campingplatz. Für etwa 12 DM komme ich endlich wieder in den Genuss einer Dusche und warmen Wassers. Als Zeltnachbarn habe ich einen anderen Reiseradler. Der zeigt sich - abgesehen von einem kurzen Zunicken - nicht besonders kommunikativ und redet nur mit seinem Hündchen. Sollte man ja als normal erachten, wenn der dabei nicht auch noch stöhnen würde... Heute gefahren: 116,38km Gesamt:

369,57km

Tag 4: Bergumermeer - Camperduin Am Morgen folge ich der Bundesstraße N355 bis nach Leeuwarden/Ljouwert. Der Name Ljouwert steht für die friesische Version dieser Stadt, da Friesisch eine eigene Sprache im Norden der Niederlande ist. So sind auch die meisten anderen Ortsschilder in dieser Gegend zweisprachig.

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Zweisprachige Ortsschilder

Hinter Leeuwarden folge ich immer den Radfernverkehrsschildern, bis ich schließlich in Harlingen das Meer erreiche. Über eine Hebebrücke gelange ich in die Altstadt, die aus typisch holländischen Häuschen besteht und nach einem kurzen Einkauf mache ich mich endlich auf die letzten Kilometer zum Afsluitdjik. Dem Deich, der Das IJsselmeer von der offenen See trennt. Hinter dem Dörfchen Zurich (nicht Zürich!) beginnt der Deich schließlich. Von nun an werde ich 30km zwischen dem Meer hindurch fahren. Der Radweg verläuft auf der Straße des IJsselmeeres, direkt neben der Autobahn.

Auf dem Afsluitdjik

Nach einigen Kilometern schiebe ich mein Rad auf den Deich und genieße während einer Kurzen Pause den Ausblick. Auf der einen Seite das IJsselmeer mit den Unmengen weißer Segel von kleinen Ausflugsbooten, auf der anderen Seite die raue Nordsee mit dem Watt und den Fischkuttern darauf. Die Länge des Deiches scheint unendlich. Der Deich verschwindet in der Ferne in flimmerigem Dunst. In der Mitte des Deiches gibt es eine Raststätte mit einem Aussichtsturm, wovor Informationstafeln über die Geschichte der Region und des Deiches stehen. Nach 25 Kilometern kommt langsam das Ende in Sicht. Im Dunst tauchen die erste Windräder und der Ort Den Oever auf. Der westliche Teil der Niederlande zeichnet sich an dieser Stelle durch leichtes Hügelland aus. Was mich aber deprimiert, ist, dass die -8-

Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

Menschen hier alle unfreundlicher zu sein scheinen als in Friesland. Kein Radfahrer grüßt mich mehr, niemand lächelt. Teilweise haben die Leute einen Blick drauf, als wenn sie sich noch innerhalb der nächsten Nacht einen Strick um den Hals legen wollten. Vielleicht wird dieser Eindruck auch nur durch die Anwesenheit so vieler deutscher Touristen hervorgehoben. Ich bin von der Freundlichkeit der Friesländer einfach zu verwöhnt. Die Küstenlandschaft wird durch große Dünen und besonders viele Campingplätze geprägt. Im kleinen Badeort Camperduin frage ich nichts Böses ahnend am Campingplatz nach dem Preis für eine Nacht. 25 Gulden/DM! Mir kommen bald Tränen um mein Ge ld! Ich versuche mich irgendwie herauszureden, da die Frau an der Rezeption stark davon überzeugt ist, dass ich doch auch mit meiner Kontokarte bezahlen könnte. Ich bin doch nicht Krösus! Minuten später sitze ich wieder auf dem Rad und fahre den Deich entlang. Der Deich ist auf der Meerseite auf einigen Kilometern asphaltiert und lässt sich somit wunderbar befahren. Ich werde lieber woanders nach einem Campingplatz Ausschau halten. Nach einigen Minuten passiere ich einen Liegeradler, der sein gesamtes Inventar auf dem Asphalt verteilt hat. Seltsam, denke ich. Will der hier campen? Ein Gefühl sagt mir, dass ich zu ihm zurückfahren und ihn fragen soll.

"Crazy Americans"

Er ist Nordamerikaner aus dem Bundsstaat Washington. Ironischerweise sprechen wir zu beginn Spanisch, weil wir gerade darauf gekommen sind. Später wechseln wir zum Englischen über. Er hat seine ganzen Sachen hier ausgebreitet und möchte sie für ein Buch, das er über diese Reise schreiben will, fotografieren. Und im Licht der untergehenden Sonne sieht das wirklich gut aus. Ich frage ihn, ob er mir anhand seiner Karte ein paar Campingmöglichkeiten zeigen kann. Ich bin immer noch mit meiner Autobahnkarte unterwegs. Ich erzähle ihm von meiner Preisnachfrage am letzten Campingplatz. Ihm macht das natürlich gar nichts aus. Er ist etwa 20 Jahre älter als ich und scheint keine Geldprobleme zu haben. Auch wenn er in die Entgegengesetzte Richtung fährt, einigen wir uns darauf, unsere Zelte zusammen auf einem Campingplatz aufzuschlagen. Zu meinem Preisproblem sagt er nur: "I will pay the difference" "What do you mean with difference?" "I will pay the price for your tend" Das finde ich nett! Letztendlich finden wir doch einen anderen Campingplatz. Auf einem Bauernhof, wo wir nur je 10 DM bezahlen müssen. Dazu haben wir einen Kühlschrank und einen Fernseher zur Verfügung, den wir aber nicht benutzen. Jack hat noch einiges an Bier gekauft. Und so legen wir unser Essen zusammen und haben eine großartige Mahlzeit. Wir reden noch den ganzen Abend über alle möglichen Dinge, bis wir uns gegen 11 Uhr in unsere Zelte verkriechen.

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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1 Heute gefahren: 139,63km Gesamt:

509,20km

Tag 5: Camperduin - Delft Am Morgen verabschiede ich mich von Jack und jeder geht wieder seinen Weg. Ich fahre wieder eine ganze Zeit den Deich entlang. Während der Fahrt kommt vom Meer her eine riesige Nebelbank angerollt, die die Sicht innerhalb weniger Minute n auf weniger als 100m reduziert.

Jack auf seinem Liegerad

Nun gelange ich in eine wunderschöne Dünenlandschaft, mit vielen Fichten, die im Nebel wirken, wie ein kleiner Regenwald. Kreuz und quer geht es durch die Dünen immer weiter nach Süden. Als ziemlich nervig erweisen sich die vielen anderen Freizeitradler, die sich nur schlecht überholen lassen. Ab Castricum stehen an jedem Zugang zu den Dünen Geldautomaten für die Durchfahrt. Wer auf so eine stumpfsinnige Idee gekommen ist, kann ich mir echt nicht erklären. Ich bin doch kein Geldscheißer!

Eingenebelte Badetouristen

Von nun an fahre ich bis nach Haarlem die stressigen Hauptstraßen, die hier in der Nähe von Amsterdam sehr stark befahren sind. Nach dem Radfernverkehrsschildern - 10 -

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kann ich mich leider auch nicht immer voll orientieren. Einmal fahre ich so durch einen Kontrollposten in eine bewachte Industriezone. Zwischen riesigen Fabriken hindurch fahre ich die gut ausgebaute Straße einige Kilometer gen Süden. Wie ich schon einige Zeit lang fahre, hält plötzlich ein Wagen mit Blaulicht von der Industriebewachung neben mir. Die Fahrerin in Uniform weiß nicht so recht, was sie von mir halten soll. Ich dürfte hier gar nicht fahren. Nach kurzem Überlegen kommt sie zu dem Entschluss, dass ich den ganzen Weg zurück zum Kontrollposten fahren soll. Na toll! Alles wieder zurück? Sie fährt auf die andere Straßenseite und wartet so lange, bis ich mich auf den Rückweg mache. Da sie mir nicht zu trauen scheint, fährt sie mir auch noch eine Weile hinterher. Echt nervig! Bei der Durchfahrt des Kontrollpostens sehe ich sie abwartend neben den zwei Kontrolleuren stehen. Diese grinsen mir nur freundlich zu. Scheinen mich wohl vorhin übersehen zu haben, was scheinbar einigen Anschiss zur Folge hatte.

Dünenlandschaft

Ich bin froh, wie ich das Hafengebiet von IJmiuden und die Stadt Haarlem endlich hinter mir habe. Ab Zandvoort kann ich endlich wieder "kostenfrei" durch die Dünen fahren. Ich folge den wunderbar ausgebauten Radwegen bis nach Den Haag/Scheveningen. Teilweise bietet sich mir dabei sogar Meerblick. In Scheveningen mache ich ein Foto von dem Gefängnis, in dem Milosevic inhaftiert ist. Irgendwie seltsam zu wissen, dass ich vor dem Gefängnis eines der Hauptverantwortlichen für die Zerstörungen, die ich in Bosnien gesehen habe, stehe.

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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

"Milosevic's Haustür"

Als nächstes schlage ich mich bis zum Ort Delft durch. Da es dabei fast ausschließlich durch Stadtverkehr mit Baustellen geht, gestaltet sich das gar nicht so einfach. Ich frage mich bis zum Campingplatz Delfstehaut durch. Dort frage ich wieder mal nach dem Preis. Ganz selbstverständlich wird mir ein Preis von 35 DM/Gulden (!!!) pro Nacht genannt. Das ist zuviel! So was habe ich ja noch nicht mal in Norwegen erlebt! Ohne viele Worte verlasse ich den Platz wieder. Im nahe gelegenen Park habe ich einige Angler gesehen, die ihre Zelte am See aufgeschlagen haben. Ich frage jemanden, der überall Tätowierungen trägt, ob ich mein Zelt hier auch aufschlagen könne. Er teilt mir aber freundlich mit, dass dies nur für Angler erlaubt sei. Wenn ich es trotzdem tun würde, könnte ich mit einer hohen Geldstrafe rechnen. Na toll! Für den nächsten Holland-Aufenthalt sollte ich mir wohl 'ne Angel basteln! So fahre ich weiter in Richtung Rotterdam. Währenddessen halte ich die ganze Zeit nach einem Platz für mein Zelt Ausschau. Wegen der wieder einmal dichten Besiedelung und den durchweg eingezäunten Wiesen werde ich das wohl vergessen können. An einem Bauernhof möchte ich fragen, ob ich mein Zelt auf einem der Felder aufschlagen kann. Doch kaum bin ich auf dem Hof, kommen zwei knurrend bellende Rottweiler auf mich zugerast. Ich warte, bis sie sich beruhigt haben und mache mich langsam aus dem Staub. Vom Bauern nichts zu sehen. Hier ist es mir auch zu unwirtlich. In einem Dorf sehe ich eine alte Frau im Garten arbeiten. Ich stoppe, fahre zurück, und frage sie nach einem Campingplatz. Leider kann sie weder Deutsch noch Englisch und versteht mich überhaupt nicht. Ich frage hartnäckig weiter, bis sie ihren Sohn aus dem Haus ruft: Ein etwa 35jähriger Mann mit Vollbart und Krücken, der wunderbar Englisch spricht. Auf meine Frage hin überlegt er eine Weile, kann mir aber leider auch keinen nahe gelegenen Campingplatz nennen. Dann diskutiert er eine Weile mit seiner Mutter und wendet sich wieder an mich. Wenn ich wolle, könne ich mein Zelt hier im Garten aufschlagen. Das nenne ich ein tolles Angebot und nehme es sofort an! Da er offensichtlich Probleme mit seinen Beinen hat, helfe ich im Laufe des Abends noch beim Tragen einiger Dinge in seine Werkstatt. Pferdesättel bauen... auch ein interessantes Hobby. Des Weiteren erfahre ich noch, dass der hiesige Bauer Camper auf seinen Feldern überhaupt nicht ausstehen kann. Da habe ich ja noch mal Glück gehabt! Heute gefahren: 147,59km

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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1 Gesamt:

656,79km

Tag 6: Delft - Antwerpen Nachdem ich mich verabschiedet habe, finde ich mich eine Stunde später mitten in Rotterdam wieder. Ich manövriere mein Rad durch mehr oder weniger seriöse Viertel der Hafenstadt und sehe Wolkenkratzer über mir, die tief in den Himmel ragen. Am Fußballstadion vorbei finde ich schließlich aus der Stadt heraus.

City von Rotterdam

Hinter Dordrecht überquere ich auf einer Autobahnbrücke einen der riesigen Mündungsarme des Rheins. Da die Brücke sehr lang ist, löst jeder an mir vorbeifahrende LKW starke Vibrationen unter meinen Füßen aus. Hinter der Brücke habe ich einige Probleme mit der hiesigen Baustellenpolitik. Die Radweg-Umleitung ist keinesfalls eindeutig ausgeschildert und so fahre ich erst zwei Male in die falsche Richtung. Einige Zeit später treffe ich einen mir entgegenkommenden Reiseradler. Da ich immer noch keine richtige Karte habe, frage ich ihn nach einem Weg nach Antwerpen (Belgien). Er gibt mir freundlich Auskunft und sagt, dass er einmal für eine Radtour nach Sevilla 5 Wochen gebraucht hat. Also sollte ich es auch noch bis nach Spanien schaffen. Und Brüssel solle ich auf jeden Fall meiden. Dankbar für die Tipps fahre ich weiter. In Breda verfahre ich mich noch gehörig, finde dann aber den Weg auf die N263, die bis nach Antwerpen führt. Nun bin ich also in Belgien.

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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

Belgische Grenze

Sieht ja nicht so spektakulär aus. Nachdem ich neue Währung habe, kaufe ich mir endlich wieder eine vernünftige Landkarte. In Antwerpen frage ich mich zu dem den Fluss unterquerenden Fahrradtunnel durch. Das letzte Stück führt mich ein freundlicher Belgier, während er seinen Hund gerade Gassi führt. Durch einen Aufzug gelange ich in den kühlen Tunnel. Ich bin froh, wie ich nach einer nicht enden wollenden Ewigkeit die andere Seite erreicht habe. Nachdem mich der andere Aufzug wieder ans Tageslicht befördert hat, fahre ich zum städtischen Campingplatz.

Fahrradtunnel in Antwerpen

In der Rezeption wird mir gesagt, ich müsse schon jemanden fragen, ob ich mich mit auf den Platz stellen dürfe. Es wäre schon alles voll. Für mich sieht das nicht so aus. Ich frage gleich den Nächstliegenden Camper. Der versteht das Problem überhaupt nicht. Natürlich könne ich mein Zelt hier aufbauen. In der Rezeption bekomme ich - 14 -

Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

dafür ein großes Dokument ausgestellt und für etwa 10DM kann ich hier übernachten. Typisch Beamte! Ich verbringe noch einen sehr netten Abend mit dem zwei anderen Deutschen nebenan und darf sogar deren Kocher samt Kochgeschirr benutzen. Was für ein Luxus! Endlich wieder warmes Essen! :o) Heute gefahren: 128,78km Gesamt: 785,57km

Tag 7: Antwerpen - Watrelos Am Morgen muss ich erst einmal den ersten auf meiner Karte verzeichneten Ort finden. An einer Straßenbahnhaltestelle hilft mir ein kleingewachsener alter Mann auf Deutsch und Englisch, den Weg zu finden. Ich müsse bis zu meinem nächsten Ziel (Lokeren) immer auf der Hauptstraße der Tram folgen, was auch ohne Probleme funktioniert. Ab Lokeren folge ich kleinen, teils mit Kopfsteinpflaster ausgebauten, Landstraßen. Die Landschaft wird langsam hügeliger und meine ersten Anstiege auf dieser Tour machen sich stark bemerkbar. Die kleinen Orte hier zeichnen sich besonders durch die mächtigen, teils Kathedralförmigen Kirchbauten aus. Sie erscheinen neben den kleinen Häusern viel zu groß. Was mir positiv auffällt: In Belgien sind die stark befahrenen Straßen so breit angelegt, so dass auf jeder Seite noch ein breiter Streifen zum Parken oder Radfahren bleibt.

Flämische Landschaft

Einige Kilometer, vor Oudenaarde, spricht mich ein Radfahrer auf Englisch an. Er gibt mir einige hilfreiche Informationen auf den Weg und schenkt mit obendrein noch seine Fahrradkarte dieser Region. Ich kann nur sagen, dass die Mehrheit der Belgier ein freundliches Völkchen zu sein scheinen. Wo es nur geht, wird schnell geholfen. Nachdem ich in Oudenaarde die Schelde überquert habe, folge ich diesem Fluss noch einige Zeit gen Südwesten.

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Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

Kanal

Ab dem Ort Spierre/Espierres komme ich langsam in den französischsprachigen Teil Belgiens. Ich habe einen großen Bammel vor den französischsprachigen Gebieten und Frankreich selbst. Oft habe ich gehört, dass die Menschen dort nicht bereit sind, andere Sprachen als Französisch zu sprechen. Da meine Französischkenntnisse zu Null hin tendieren, habe ich Angst vor einer Frankreich-Durchquerung ohne ordentliche Kommunikation mit anderen Menschen. Die französischsprachige Region begrüßt mich gleich damit, dass alle Fahrradstreifen an den Rändern der Landstraßen verschwinden.

Französische Staatsgrenze

Kurze Zeit später finde ich mich in Toufflers auch schon in Frankreich wieder. Dies macht sich aber nur darin bemerkbar, dass die Straßen -und Nummernschilder sich ändern. Von einem Grenzübergang zwischen den direkt benachbarten Häusern der beiden Länder ist nichts zu sehen. Ich irre noch ein wenig im Ort herum und ha lte das nächste vorbeifahrende Polizeiauto an, um nach einem Campingplatz zu fragen. "Excusez-moi. Parlez-vous angais?" Er deutet mir mit einem gewissen Gesichtsausdruck an: "Nun ja, schon, muss aber nicht sein". Ich: "O Allemand o Espagnol?" Fahrer: "No" Ich: "Je cherche le camping" - 16 -

Hamburgo-Santiago 2001 – Reisebericht Teil 1

Die beiden vorne sitzenden Polizisten werden etwas freundlicher, überlassen das Wegbeschreiben auf Englisch aber dem hinten sitzenden jüngeren Kollegen. Letztendlich bekomme ich von den Dreien die zur Wegbschreibung verwendete Stadtkarte geschenkt und versuche den Campingplatz bei Watrelos zu finden. Nachdem ich französisches Geld von der Bank geholt habe, frage ich mich zum Campingplatz durch. In einer Bar finde ich jemanden, der mir den Weg zeigt. Über eine unglaublich schlechte Straße aus Kopfsteinpflastern erreiche ich schließlich den Campingplatz. Die Plätze befinden sich zwischen den Ställen eines Bauernhofes. Wegen mir muss die Tochter gerufen werden, die ein sehr lückenhaftes Englisch spricht. Aber immerhin. Für etwa 10 DM kann ich mein Zelt neben dem Hühnerstall (böse Sache!) aufstellen. Zum Duschen hätte ich am besten eine Taschenlampe mitgenommen, da der große Waschraum nur durch eine kleine Glühbirne beleuchtet wird. Nun ja, man muss mit dem leben, was da ist... Heute gefahren: 131,25km Gesamt:

916,82km

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