Gleichungen. Die historische Entwicklung in Deutschland im 20. Jahr- hundert

Gleichungen  Die historische Entwicklung in Deutschland im 20. JahrJahrhundert  Umformungsregeln: Elementarumformungen oder das Waagemodell? – Ein d...
Author: Lucas Schäfer
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Gleichungen  Die historische Entwicklung in Deutschland im 20. JahrJahrhundert  Umformungsregeln: Elementarumformungen oder das Waagemodell? – Ein didaktischer Vergleich nach Malle  „Gleichungen lösen mit System“ – Ein Schulbuchbeispiel aus der Klassenstufe 7

Universität des Saarlandes WS 2009/2010 11. Vorlesung am 11. Januar 2010

FR 6.1 Mathematik

OStR Uwe Peters

Didaktik II: Arithmetik und Algebra

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Die historische Entwicklung in Deutschland im 20. Jahrhun Jahrhundert Die traditionelle Gleichungslehre bis zu den 1960er Jahren Exemplarisch Auszüge aus Reinhardt-Zeisberg: Mathematisches Unterrichtswerk für höhere Schulen Ausgabe A. Arithmetik und Algebra. Zweiter Teil von 1922:

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Einige Kritikpunkte der Zeitgenossen an dieser Art der Gleichungslehre: 

Es wird ein Sammelsurium von unverbundenen Einzelfakten gelehrt; es fehlt ein geistiges Band.



Wesentliche Grundbegriffe werden gar nicht oder unscharf oder missverständlich erklärt.

„Aus dem Vorhergehenden folgt, daß solche Aufgaben keine bestimmte Lösung haben [...]“ „[...] welche die Gleichung befriedigen, sie also zu einer identischen machen.“ „[...] diese müssen voneinander unabhängig sein und dürfen sich nicht widersprechen.“

 Die Umformungen bleiben weitgehend unbegründet, der Unterricht fokussiert auf das kalkülhafte Gleichungslösen; dadurch werden u.U. Verbote überspielt, Lösungen unterschlagen (bei „Verlustumformungen“) oder neuen künstlich erzeugt (bei „Gewinnumformungen“), wie etwa folgendes Beispiel zeigt: Universität des Saarlandes WS 2009/2010 11. Vorlesung am 11. Januar 2010

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x +6 x −9 + x −6 x −9 2x + 2 x + 6 x − 9 ⋅ x − 6 x − 9

2 x + 2 x 2 − 36( x − 9) 2 x + 2 ( x − 18)2

= 6 = 36 = 36 = 36

2 x ± 2 x m 36

= 36 4x=72 oder 0=0 x=18 oder ???

 Die unzulängliche Terminologie kann nur um den Preis eines Wusts von Gleichungstypen (identische Zahlen- und Buchstabengleichungen, Formeln, Definitionsgleichungen, Bestimmungsgleichungen in Zahlen und in Buchstaben, Proportionen, Textgleichungen, unbestimmte Gleichungen, überbestimmte Gleichungen, ...) mit jeweils eigenen Abwandlungen der Regeln und Bedeutungen halbwegs durchgehalten werden. [nach Führer, Vorlesungsskript 1999/2000]

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Die „moderne“ Gleichungslehre der 1960er bis 1980er Jahre Oben erwähnte Kritikpunkte, der Wechsel vieler Hochschulmathematiker in das gymnasiale Lehramt oder auf Didaktiklehrstühle, der Sputnik-Schock, die Verwissenschaftlichung der Lehrerausbildung und der aufkeimende Bourbakismus an deutschen Hochschulen bereiteten den Weg zur modernen Gleichungslehre, die eine Präzisierung der Begriffe anstrebte und das fehlende geistige Band knüpfen sollte. (Un-)Gleichungen heißen nun Aussagen und Aussagefor Aussageformen: men Aussagen sind sprachliche Sätze, bei denen sinnvoll nach „wahr“ oder „falsch“ gefragt werden kann. Aussageformen sind syntaktisch gebaut wie Aussagen, enthalten aber noch freie Variable. Variable Werden diese durch Einsetzen von Objekten aus einer GrundGrund- oder Definitionsmenge ersetzt, gehen die Aussageformen in Aussagen über. Die Elemente der Grundmenge, die eine Aussageform in eine wahre Aussage überführen, bilden die Lösungsmenge der Aussageform. (Un-)Gleichungen lösen heißt, die Aussageformen nach Regeln so umzuformen, dass die Lösungsmenge direkt ablesbar wird. Beispielseiten aus Lambacher-Schweizer: Algebra 1, Ausgabe B, 1966 Universität des Saarlandes WS 2009/2010 11. Vorlesung am 11. Januar 2010

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(→ LambSchw1966.pdf)

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Kritik an der „modernen Gleichungslehre“ blieb nicht aus:  Maßhalten im Terminologischen und nur regelhaft Formalen (Freudenthal 1973)  Unbehagen an übertriebenem begrifflichem Aufwand (Vollrath 1974)  Grundmengenakrobatik (Pickert 1980)  „Oberstes methodisches Prinzip sollte [...] sein: Entwicklung der gedanklichen Inhalte aus ihren gedanklichen Wurzeln“ (Wolff 1976)  kein genetischer Zugang

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Seit den 1980er Jahren Das Pendel schwingt wieder (etwas) zurück:  „die Zahl x“, „die Lösung ist 2“, „die Lösung ist x=2“ ist wieder erlaubt  theoretische Überlegungen zu Gleichungen ergeben sich aus reflektierenden Betrachtungen, zuvor wird mit Gleichungen „entwickelnd gearbeitet“  die Terminologie ist stark reduziert  logische Zeichen werden mehr und mehr vermieden; statt dessen wird umgangssprachlich formuliert: „(x−2)(x−3)=0 ist äquivalent zu x=2 oder x=3“ (nach Vollrath 1994)

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Umformungsregeln: Elementarumformungen oder das WaaWaagemodell? – Ein didaktischer Vergleich nach Malle Zu offene Schemata – ein Plädoyer für präzise Formulierung von Regeln und deren bewusste Anwendung: „Man darf auf beiden Seiten einer Gleichung dieselbe Zahl subtrahieren!“ Also auch: a =

b b ⇒ a−e = . cd + e cd

Dies ist kein Verstoß gegen die sprachlich formulierte Regel! Schüler können oft für ihr Vorgehen eine sprachliche Formulierung angeben, hinter ihren Worten stecken aber keine klaren Vorstellungen über die durchzuführenden Handlungen. Ein zu offenes Schema gibt zu wenig präzise an, was getan werden darf und was nicht. Dies öffnet Fehlern Tür und Tor!

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These 1: „Es nützt nicht viel, wenn man versucht, verbale Regeln sprachlich präziser zu formulieren. [...] Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit wird im großen und ganzen erst erreicht, wenn Regeln mit Buchstaben formuliert werden. [...] Auch wenn das Umformen letztlich automatisiert ablaufen soll, sollten Schüler die Fähigkeit erlangen, gegebenenfalls ihre Umformungsschritte durch die Angabe von Buchstabenregeln begründen zu können.“ [Malle: „Didaktische Probleme ...“, S. 217]

These 2: Im Unterricht werden Umformungsregeln für Gleichungen meist am Waagemodell erklärt und verbal formuliert („Auf beiden Seiten dasselbe machen!“). Die Vorstellungen beim Umformen von Gleichungen (bei Lehrern) ist aber meist eine andere: „Man muss die inverse Rechenoperation ausführen!“ oder „Man muss ein Glied auf die andere Seite bringen!“ Es vermischen sich also „Waageregeln“ und die Vorstellung vom „Hinübergeben von Gliedern“ (nachfolgend als Elementarumformungsregeln bezeichnet). [nach Malle: „Didaktische Probleme ...“, Kap. 8.3]

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Elementarumformungsregeln additive Elementarumformungsregel:

A+B=C ⇔ A=C−B

multiplikative Elementarumformungsregel: A ⋅ B=C ⇔ A=C:B

(B≠0)

Waageregeln A=B⇔A+C=B+C A=B⇔A −C=B −C A=B⇔A ⋅C =B ⋅C A=B⇔A :C =B :C

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(C≠0) (C≠0)

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Begründung mit Elementarumformungsregeln: x + y = 5 ⇔ x = 5 − y A + B= C ⇔ A =C − B

Begründung mit Waageregeln: x + y = 5 ⇔ (x + y) − y = 5 − y ⇔ x = 5 − y

A

= B ⇔

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A

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− C =B − C

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Ein didaktischer Vergleich der Umformungsregeln Vorteile der Elementarumformungsregeln 

führen ohne „Zwischenzustand“ (s. obiges Beispiel) zur nächsten Zeile; lässt man – wie oft üblich – den „Zwischenzustand“ bei der Waageregel weg, so liegt eine unexakte Regelanwendung vor, was im Sinne eines präzisen Regelanwendens unerwünscht ist



entsprechen dem Denken vieler Schüler (und Lehrer!) beim Gleichungsumformen: „Glieder auf die andere Seite geben!“



ergeben sich aus der Arithmetik (Aufgabe und Umkehraufgabe)



Jede elementare Gleichung hat eine der acht Formen A+B=C, A−B=C, A ⋅B =C, A:B=C, A=B+C, A=B−C, A=B ⋅C oder A=B:C. Elementarumformungsregeln lassen sich anwenden, sobald man in einer Gleichung eine dieser Formen erkannt hat. Dies ist bei Waageregeln nicht der Fall

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Vorteile der Waageregeln  sind manchmal zweckmäßiger, z.B. 2x + 7 =

x +1 x +1 + 7 ⇔ 2x = 2 2

 lassen sich leicht erweitern durch die später wichtigen Regeln A=B ⇔ −A=−B ; A=B ⇔ A²=B² (falls A>0 und B>0)  erlauben eine Herleitung der Regel A=B ∧ C=D ⇔ A=B ∧ A+C=B+D (Grundlage des Additionsverfahrens)  lassen sich erweitern durch die Monotonieregeln A < B ⇔ A+C < B+C A < B ⇔ A ⋅ C < B ⋅ C (falls C>0) A < B ⇔ A ⋅ C > B ⋅ C (falls C