Gegen die lautlose Welt: Musik und Sprache bei Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze

Gegen die lautlose Welt: Musik und Sprache bei Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze ESTER SALETTA University of Bergamo Obwohl Heinrich von Kleis...
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Gegen die lautlose Welt: Musik und Sprache bei Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze ESTER SALETTA

University of Bergamo

Obwohl Heinrich von Kleist zwischen 1950 und 1970 ein ungewöhnlich häufig vertonter Autor war, mag es erstaunlich erscheinen, dass sich Ingeborg Bachmann, "die erste Frau der Nachkriegsliteratur des deutschsprachigen Raumes, die mit radikal poetischen Mitteln das Weiterwirken des Krieges [...] beschrieben hat" (Jelinek 179), und der Komponist Hans Werner Henze, der unter dem nationalsozialistisch gesinnten Vater und seiner gesellschaftlich geächteten Homosexualität litt, Ende der fünfziger Jahre einem ideologisch vorbelasteten Drama wie dem Prinzen von Homburg zuwandten. Die geringe Faszination und das lauwarme Interesse der Forschung für Bachmanns Bearbeitung und Henzes Vertonung von Kleists letztem, 1811 verfasstem Drama (1960) gründet sich auf der Tatsache, dass die Literaturwissenschaften die österreichische Autorin fast immer nur als Lyrikerin, Essayistin und Erzählerin betrachtet haben. Andererseits hat die Literaturforschung seit den 60er Jahren ihren Gegenstand kräftig erweitert und neu definiert. In den 70er und 80er Jahren haben tatsächlich Opernlibretti ihren Platz neben Erzählungen und Romanen gefunden, denn die künstlerische Beziehung zwischen Literatur und Musik ist nicht zuletzt durch die Hilfe komparatistischer Arbeiten intensiver erforscht worden. Mit der Entdeckung einer neuen Plurimedialität der Künste, insbesondere der Literatur und der Musik, ist auch Bachmanns persönliches und künstlerisches Interesse für die Musik als ein zentrales Motiv ihrer Kunstproduktion wahrgenommen geworden. Doch obgleich man heute immer mehr von der "kontrapunktischen Stimmführung," von der "Partitur," von den "kompositorischen Erinnerungsfunktionen," von dem "hohen und doch wieder so leisen Ton" in Bachmanns Kunst spricht (Bielefeldt 23), lassen sich die Forschungsarbeiten, die sich explizit mit der Literarisierung von Musik bei Bachmann beschäftigen, fast noch an einer Hand abzählen (Bielefeldt 17). Diese beschränken sich auf die musikalisch-poetologischen Eigenschaften von Bachmanns Sprache in der Lyrik, insbesondere in der lyrischen Sammlung Die gestundete Zeit (1953) – z. B. die zwei Gedichte "Große Landschaft bei Wien" seminar 41:4 (November 2005)

Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze 443 und "Im Gewitter der Rosen" – oder in Prosawerken wie dem Roman Malina (1971), und beachten nicht die enge ergänzende und funktionale Beziehung der Musik in bezug auf die Dichtung und umgekehrt (Schmidt-Wistoff 85). Der Aspekt der Intermedialität zwischen Musik und Dichtung, d.h. die Existenz einer Kommunikationsebene, in der die Dichtung sich in der Musik aufhebt, mit ihr verschmilzt und umgekehrt – "die beiden künste sich vereinen, ohne dass die andere oder die eine dabei ihre eigenart verliert" (Bachmann/Henze 190) – hat seine Wurzeln in der librettistischen Produktion Bachmanns und in ihrer gemeinsamen Arbeit mit dem deutschen Komponisten Hans Werner Henze. Henze, der 1953 Deutschland verließ und nach Italien übersiedelte, lernte die österreichische Autorin im Oktober 1952 auf Schloss Berlepsch bei Göttingen kennen, als sie das erste Mal bei der Gruppe 47 gelesen ha tt e. Sie war witzig und charmant. Sie gefiel mir sofort. [...] Wir mochten uns halt sehr. Ich habe mich nie mit jemandem so gerne und so gut unterhalten wie mit ihr. [...] Und ich lernte dauernd von ihr. Sie war viel klüger als ich und außerdem hoch gebildet. (Henze, "Wenn die Sprache versagt" 50-51) Henzes Faszination für die typische Wiener Charme, für den eleganten Zauber, die gute Bildung und die scharfe Klugheit der österreichischen Dichterin sowie auch für ihre künstlerisch vielseitige Persönlichkeit verstärkt sich im Mai 1953 in Mainz, als Bachmann den Preis der Gruppe 47 erhielt (vgl. Henze, "Reiselieder mit böhmischen Quinten" 132). Ab diesem Moment wird Bachmann Henzes vertraute Freundin, Verkörperung und Vorbild der großen Künstlerin, musikalische Inspirationsquelle, Vertreterin der selbstbewussten Frau, Erzieherin und Reisegefährtin, wie der deutsche Komponist selbst in einem von seinen Interviews im April 1993 in Rom berichtet: Die große Bachmann: Meine angebetete Freundin und Weggefährtin, meine Erzieherin in den Fächern Deutsch, Menschenkunde, Ästhetik. [...] Dabei wußte sie immer, wer sie war, und was sie war, eine große Künstlerpersönlichkeit, die von Anfang an mit höchsten Ansprüchen an sich selbst und ihre Umwelt aufgetreten ist. ("Hans Werner Henze über Ingeborg Bachmann" 53) Aber diese enge Beziehung hat nicht nur Henze bereichert, sondern auch Bachmann die Gelegenheit geschenkt, ihre alte Liebe und Zuneigung zur Musik wiederzuentdecken und zu vertiefen. Eine widersprüchliche Liebe, diese Liebe Bachmanns zur Musik, die aus der Zeit ihrer Kindheit stammte, wie die Autorin selbst in Wir müssen wahre Sätze finden berichtet:

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Ich habe als Kind zuerst zu komponieren angefangen. Und weil es gleich eine Oper sein sollte, habe ich nicht gewußt, wer mir dazu das schreiben wird, was die Personen singen sollten, also habe ich es selbst schreiben müssen. Dann ist es lange Jahre nebenher gelaufen. Aber ich habe ganz plötzlich aufgehört, habe das Klavier zugemacht und alles weggeworfen, weil ich gewußt habe, daß es nicht reicht, daß die Begabung nicht groß genug ist. Und dann habe ich nur noch geschrieben. [...] Was geblieben ist, ist vielleicht doch ein besonderes Verhältnis zur Musik. (104) Bachmanns einzigartiges "Verhältnis" zur Musik, ein "Verhältnis" aus Liebe und Hass, aus Nähe und Ferne, aus Vergangenheit und Gegenwart, das die Bekanntschaft mit Henze gefördert hat, wurde auch durch eine "landschaftliche" Komponente akzentuiert: den italienischen Aufenthalt Bachmanns zuerst auf der Insel Ischia, wo Henze ein kleines Haus in San Francesco nahe dem neapolitanischen Hauptort Forio bewohnte, und dann in Neapel. Christian Bielefeldt hat Bachmanns Worte aus Ischia in seinem Werk zitiert: Ich bin hier in einem kleinen Dorf auf Ischia, in dem ich schon einmal war vor drei Jahren. Das Fenster geht auf das Meer, das ganz nah ist und von unglaublicher Bläue, und die Zikaden singen noch immer frenetisch [...] man hat nicht mehr den ersten Blick dafür, den man einmal gehabt hat und der wahrscheinlich der richtige war, weil er so erstaunt war. (16) Und Astrid Froese zitiert ihre Worte aus Neapel: Immer wieder hat er [Hans Werner Henze] die Phase der konzentrierten gemeinschaftlichen Arbeit in Italien als die schönste Zeit seines Lebens bezeichnet, sie [Bachmann] zu einem nirwanahaften Zustand für zwei Menschen verklärt, zu einer Zeit, die durch eine fabelhafte Produktion geprägt war. (53) Die Bedeutung Italiens, insbesondere Ischias als Erinnerungsort einer vergangenen und verlorenen harmonischen und musikalischen Vereinigung mit einer Natur, die nach Jahren "frenetisch" wie die moderne Welt geworden ist, wie auch Neapels als Stadt der Verzauberung (Henze, "Neapel" 43-45), verstärkt Bachmanns und Henzes Konzeption der Suche nach einer gemeinsamen Arbeit im Zeichen der Schöpfung einer musikalischen Literarisierung, in der Wo rt und Klang sich ergänzen können. Beispiele dieser erfolgreichen Zusammenarbeit Bachmanns und Henzes sind musikalische Bearbeitungen von Kleists Prinz von Homburg und von Hauffs gesellschaftssatirischem Märchen Der Affe als Mensch, das Bachmann 1965 mit dem Titel Der junge Lord als Libretto für Henze verfasste. Diese entscheidende Rolle Italiens als Bachmanns und

Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze 445 Henzes Inspirationsquelle für ihre theoretische Einführung in die sprachlichmusikalische Opernwelt entspricht Goethes musikalischem Porträt des "Landes der Sehnsucht": Es ist gleichfalls eine Art von Canto firmo, Rezitation oder Deklamation, wie man will. Keine melodische Bewegung zeichnet ihn aus, die Intervalle der Töne lassen sich durch unsere Art, die Noten zu schreiben, nicht ausdrücken, und diese seltsamen Intervalle, mit der größten Gewalt der Stimme vorgetragen, bezeichnen eigentlich diese Gesangsweise. Ebenso stimmen Ton und Manier der Singenden oder vielmehr Schreienden so vollkommen überein, daß man durch alle Straßen von Rom immer denselben tollen Menschen zu hören glaubt. (Goethe 14) Während Henze und Goethe das Singen aus dem Sprechen ableiten, fängt in Bachmanns Augen das Sprechen mit dem Singen an, d.h. mit einem undeutlichen, verschwommenen Klang, einem Geräusch, fast wie eine falsch gesungene oder misstönende Note. Und dann beginnt man aus dieser Unmusikalität immer deutlicher eine Stimme zu hören, die langsam ein harmonischer Gesang, ein Akkord wird (Bachmann, "Musik und Dichtung" 60). In diesem Prozess, wo die individuelle menschliche Stimme das universale Niveau des Gesanges erreicht, sieht Bachmann die Verwirklichung ihrer alten widersprüchlichen und "hoffnungslosen Beziehung" zwischen Musik und Dichtung, zwischen Klang und Wort (Wir müssen wahre Sätze finden 85). Bachmanns Überzeugung von dem strukturellen Unterschied zwischen Musik und Sprache wurde schon 1963 von Theodor W. Adorno betont, als er keine semantische oder syntaktische Identität, sondern nur einen ähnlichen "Sprachcharakter" zwischen Sprache und Musik postulierte: Musik ist sprachähnlich. Ausdrücke wie musikalisches Idiom, musikalischer Tonfall sind keine Metaphern. Aber Musik ist nicht Sprache. Ihre Sprachähnlichkeit weist den Weg ins Innere, doch auch ins Vage. Wer Musik wörtlich als Sprache nimmt, den führt sie irre. Sprachähnlich ist sie als zeitliche Folge artikulierter Laute, die mehr sind als bloß Laut. (Adorno 650) Adornos "Weg ins Innere" macht deutlich, dass beide Künste in einem gemeinsamen "Ursinn," einer gemeinsamen "Gangart des Geistes" wurzeln, wie Bachmann in "Musik und Dichtung" bestätigt: Es gibt ein Wort von Hölderlin, das heißt, daß der Geist sich nur rhythmisch ausdrücken könne. Musik und Dichtung haben nämlich eine Gangart des Geistes. Sie haben Rhythmus, in dem ersten, dem gestaltgebenden Sinn. (60)

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Die Rede ist hier vom musikalischen Rhythmus des Gesanges, in dem es nicht nur um eine gegenseitige Ergänzung der Medien Sprache und Musik geht, sondern um ihre Vereinigung. Die "vorgefundene Sprache" des Alltags, die "schlechte Sprache," die "verschuldete Sprache," die "Sprache aus Phrasen," deren sich der Schriftsteller nicht bedienen dürfe, sondern die es zu "zerschreiben" gelte (Schmidt-Wistoff 42), spürt das Bedürfnis sich zu befreien, zu sich selbst zurückzukehren, um einen "Weg ins Freie" bzw. einen "Weg ins Innere" wiederzufinden. Die begrenzte Kommunikationsebene der Sprache, die nur das Sagbare mitteilen kann, wird durch die Musik überwunden, denn die Musik besitzt die Fähigkeit, die Grenzen der Sprache zu überschreiten und dabei den Menschen seelisch über sich selbst zu erheben (Caduff 69). Die Musik, die die Grenzen der Sprache überwindet, die Teil am Absoluten hat, die dort ansetzt, wo die Sprache verstummt, wo die Dichtung nicht mehr weiter kann, wo sie bereits in ihren "reinsten Zustand," die Sprachlosigkeit, gemündet ist, diese Musik findet ihren Verschmelzungspunkt mit der Dichtung in der menschlichen Stimme. Die Autorin hat mit Henze persönlich diese neue Bedeutung der musikalischen Stärke der Dichtung erfahren, als sie 1956 in der Mailänder Scala die von Visconti inszenierte La Traviata hörte, in der Maria Callas die Hauptrolle sang: Maria Callas ist kein "Stimmwunder," sie ist weit davon entfernt, oder sehr nah davon, denn sie ist die einzige Kreatur, die je eine Opernbühne betreten hat. [...] Maria Callas hat eine Art, ein Wort auszusprechen, so, daß jedem, der nicht jedes Gehör verloren hat, aus Abgestumpftheit oder Snobismus, immer auf der Jagd nach frischen Sensationen des lyrischen Theaters [...] sie wird nie vergessen machen, daß es ein Ich und Du gibt, daß es Schmerz gibt, Freude, sie [ist] groß im Haß, in der Liebe, in der Zartheit, in der Brutalität, sie ist groß in jedem Ausdruck [...] Ecco un artista, sie ist die einzige Person, die rechtmäßig die Bühne in diesen Jahrzehnten betreten hat, um den [Zuhörer] unten erfrieren, leiden, zittern zu machen, sie war immer die Kunst, ach die Kunst, und sie war immer ein Mensch, immer die Ärmste, die Heimgesuchteste, die Traviata. ("Hommage à Maria Callas") Die menschliche Größe der Callas, ihre Art, die Kraft der Musik durch das Aussprechen und die Gestik zu inszenieren, wecken in Bachmann den alten kindlichen Wunsch, ihre literarische Kreativität "in den Dienst" der Musik zu stellen. "Der Text muß notwendigerweise hinter der Musik zurückbleiben, er muß die Tür aufhalten, durch die er hereinkommen kann" (Beck 133). Diese persönliche Erfahrung, die noch einmal mit Italien verbunden ist, verstärkt den Wunsch der Autorin, Libretti für Henze zu schreiben.

Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze 447 In "Entstehung eines Librettos" (1960) und "Notizen zum Libretto" (1965) betont Bachmann wie "unselbständig" die librettistische Gattung sei auf Grund der Tatsache, dass ein Libretto nur unter Berücksichtigung einer musikalischen Sinnebene geschrieben werden kann. Es ist gewiß möglich, ohne sich an vorhandener Literatur zu orientieren, Prosa und Gedichte hervorzubringen, aber es scheint mir unmöglich zu sein, ein brauchbares Libretto zu schreiben, ohne das Phänomen Oper studiert zu haben. (Beck 132) Ein Libretto ist tatsächlich keine literarische Gattung, sondern verweist auf die Bestimmung des Textes, so wie sein melodramatischer Wert seiner Fähigkeit entspricht, der Musik die Aussage des Wesentlichen zu überlassen. Es herrscht also eine fest kodierte Hierarchie innerhalb der Opernmedien, die Bachmann eine "Unterwerfung" ihrer librettistischen Arbeit "unter die allein wichtige des Komponisten" nennt. Diese enge Verflechtung zweier künstlerischer Arbeitsbereiche unterscheidet das librettistische Schreiben von jeder anderen Art der schriftstellerischen Produktion. Die Unselbständigkeit des Librettisten äußere sich darin, [...] daß es niemand einfallen würde, ein Libretto zu schreiben, wie man Theaterstücke, Romane und Gedichte schreibt, auf eigene Verantwortung und ohne bindenden Auftrag. Ein Libretto wird für einen Komponisten und seine Musik, im Erraten des Wegs dieser Musik und ihrer vorhandenen und noch zu erweckenden Potenzen geschrieben. Das verlangt vor allem Unterwerfung, und Überlistung zuweilen, und in jedem Fall ein Hintanstellen der eigenen Arbeit unter die allein wichtige des Komponisten. Es ist sein Werk, das der Öffentlichkeit übergeben und gezeigt wird. (Bachmann, "Notizen zum Libretto" 433) Das Libretto, das in Bachmanns Augen nur durch "ein Beobachten des Handwerklichen wie der Zeitbehandlung, der Stimmenführung, des Vorantreibens von Szenen, der Schaffung von Ruhepunkten, immer im Hinblick auf die Erträglichkeiten von Musik, auf ihre Atemlängen" ("Notizen zum Libretto" 434) möglich wird, schafft also die Voraussetzungen, unter denen Musik ihre Wirkung entfalten kann; dem auf diese Weise entfesselten musikalischen Medium aber hat sich das Wort zu fügen. Zu Operntexten, die diesem Grundsatz des Zurücktretens oder der musikalischen Abhängigkeit nicht folgen, wie das etwa bei Hugo von Hofmannsthal und Bertolt Brecht der Fall ist, äußert sich Bachmann kritisch. Über Brechts Libretti schreibt sie:

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Ich halte es für keinen Zufall, dass [...] der Geist seiner Komponisten schwächer ist als der seine. Er lässt sie nicht zu Wort kommen. Brecht kommt zu Wort, aber ein Komponist nicht zur Musik. (Beck 133) Mit dieser Behauptung Bachmanns, in der es die deutliche hierarchische und "respektvolle" Gliederung der Musik in Bezug auf Sprache gibt, kommt die Autorin der Gruppe 47 dem Wunsch Henzes entgegen: Was ich möchte, ist, zu erreichen, dass Musik Sprache wird und nicht dieser Klangraum bleibt, in dem sich das Gefühl unkontrolliert und "entleert" spiegeln kann, Musik müsste verstanden werden wie Sprache. (Bielefeldt 42) Die Sprache, von der Henze – auch durch Bachmanns Brief vom 23. März 1958 ermutigt (Bachmann/Henze 185) – spricht, soll eine "bildhafte" Sprache sein, "in der man dinge sieht, die seltsame gefühle suggerieren" (190) und in der das literarische Wort eine besondere Bedeutung trägt wie in dem Fall der "canzone napoletana": [...] in der canzone napoletana ist nur das wort wichtig, die musik ist da nur eine unterstützung dessen was gesagt sein will, beinahe nur wie eine hilfe zum auswendiglernen, aber wiederum auch sehr stark eine exaltation des worts [...] (191) Die Musik kann also bei Henze ihre Kraft und ihre Magie nur hören lassen, wenn die Dichtung, d.h. die schriftliche "Stimme" des Dichters sie nicht bedeckt, sondern sie potenziert. Musikalische Potenzierung bedeutet literarische Bearbeitung und Abkürzung, wie Bachmann in "Entstehung eines Librettos" zu dem Schauspiel Der Prinz von Homburg schreibt, und wie auch Henze bestätigt: Ingeborg Bachmann hat mir den Text eingerichtet, sie hat ihn auf eine LibrettoForm hin reduziert, Gehäuse für Rezitative, Arien und Ensembles errichtend. ("Prinz von Homburg" 77) Die Adaptation von Kleists Drama durch die Librettistin Bachmann, die vor allem von Spätsommer 1958 bis weit in das Jahr 1960 entstand, hat gewisse Leerstellen im Hinblick auf den vertonbaren Text, die eine sprachähnliche Musik zu Fülenhat.DiLrs BchmanLibretosdchzuüen,wil sie nachträglich durch Kürzungen der Schauspielvorlage entstanden. Die fünf von Bachmann gekürzten Akte des Kleistschen Stückes, die hinter der zweifellos vorhandenen deutsch-nationalen Ebene und der Fassade des "Erziehungsdramas"

Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze 449 einen generellen Konflikt zwischen dem Recht des Träumers und dem Anspruch einer nüchternen Wirklichkeit ansprechen, werden "auf drei knappe Aufzüge gerafft, dabei [werden] Kleists Diktion und das fiebrig gesteigerte Seelenklima voll gewahrt" (Beck 160), wie die Zeitung Observer am 14. April 1967 berichtet. Bachmanns selbstbewusste Entscheidung für Aktkürzung von Kleists Stück stimmt mit ihrem Wunsch nach einer Enthistorisierung oder besser gesagt einer Entfernung vom Preußentum überein. In diesem Sinne wird hier deutlich, dass es sich bei Bachmanns Bearbeitung eben nicht nur um eine bloße "Einrichtung" des Kleistischen Schauspiels für die Opernbühne handeln kann, sondern um eine vollkommene Neuformung der Vorlage: Das Bemühen um eine Erneuerung der künstlerischen Sprache impliziert [...] die Auseinandersetzung mit der Realität unserer Zeit und der Tradition, der sprachlichen wie der musikalischen. [...] Im Rekurs auf die literarische Tradition entwickelt die Dichterin ihre das Werk bestimmenden thematischen Grundlinien ihrer Auseinandersetzung mit Deutschland. (Kogler 267) Wesentliche inhaltliche Änderungen sind in Bachmanns Bearbeitung festzustellen. Das im Schauspiel nur visionär geschaute Grab sieht der Prinz in der Oper mit eigenen Augen, ebenso wird die von Kleist nur angedeutete liebevolle Beziehung Friedrichs zu Natalie klarer hervorgehoben. Wenn bei Kleist die verschiedenen Bedeutungsebenen gewissermaßen im Gleichgewicht zueinander stehen, hebt Bachmanns Libretto-Einrichtung des Textes bestimmte Aspekte der Vorlage hervor. Henzes Komposition tut ein weiteres, so dass es sich bei der Oper am Ende tatsächlich um die kaum mit Zwischentönen versehene Verherrlichung eines Träumers handelt. Henze und seine Librettistin intendierten sogar eine "Rettung" des Kleistschen Dramas (Schmidt-Wistoff 87), dessen "wahrer" Gehalt bisher stets verkannt worden sei (Beck 282). Die erklärte Absicht einer rettenden Re-Lektüre des Kleistschen Werks gründet insgesamt jedoch weniger in ästhetischen als in politischen Kategorien. Entscheidend ist, wie Bachmann selbst berichtet, die Empfindungslage einer Generation, die in den letzten Kriegsjahren ihre Adoleszenz erreichte, in Zeiten der erfolgreichen ideologischen Vereinnahmung Kleists zum "Klassiker des nationalsozialistischen Deutschlands" und "Dichter des Preußentums, der Zucht, des Gehorsams" (Bielefeldt 172). Das faschistische Kleist-Bild brauchte eine "Befreiung" aus der klischeehaften und begrenzten Interpretation der Nazijahre, und Bachmanns Libretto sowie Henzes Vertonung bieten sie uns an (Bielefeldt 172). Beide Künstler betonen ihr anti-nationales Kleist-Verständnis und legen Wert auf den generellen, abstrakten Konflikt in Kleists Schauspiel. Sie wollen es mithin nicht als aktuelles Parolenstück verstanden wissen, als das Kleists Zeitgenossen es auffassen mussten, wie folgende Aussage Henzes belegt:

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Aber mir scheint, das Werk ist schon von vornherein vom Preußentum abstrahiert. Nur zufällig [...] spielt sich der Konflikt im Brandenburgischen ab. ("Prinz von Homburg" 77) Mit der Zurückdrängung der patriotischen Ebene des Schauspiels und der Konzentration auf die positiv gesehene zentrale Figur des Prinzen als Träumer stehen Henze und Bachmann am Ende der fünfziger Jahre indes keineswegs allein. Sowohl in der literaturwissenschaftlichen Forschung als auch in der künstlerischen Beschäftigung mit Kleists Drama auf dem Theater und im Film lassen sich schon seit Ende des Zweiten Weltkrieges zunehmend ähnliche Lesarten wie die Henzes und Bachmanns erkennen. Zusammen mit der einflussreichen Pariser Schauspiel-Inszenierung Jean Vilars (1950-1951) gehörte die musikalische Avantgarde um Boulez und Stockhausen zu den ersten, die eine Adaptation Kleistscher Werke unternahmen (Bielefeldt 24). Mit dem Begriff "Adaptation" kann man auch Bachmanns Libretto beschreiben, denn es geht nicht nur um eine inhaltliche, sondern auch um eine strukturelle Bearbeitung von Kleists Schauspiel. Der I. Akt von Bachmanns Libretto ist beinahe doppelt so lang wie die beiden folgenden Akte; der II. Akt umfasst den III. Akt und IV. Akt des Dramas, während der V. Akt Kleists dem III. Akt des Librettos entspricht. Bachmann streicht mehrere kurze Auftritte komplett, in anderen reduziert sie nur die Menge des gesprochenen Textes. Von den fünfzehn Personen bei Kleist sind sieben als Solo-Rollen erhalten geblieben. Viele der Blankverse wurden allerdings zusammengezogen oder nur als Teile von Versen stehengelassen, so dass Kleists Stil erkennbar bleibt. Kleists Werk zeigt zwar in seiner fünfaktigen, tektonischen Anlage den analytischen Aufbau der großen Rededuelle zwischen Obrist Kottwitz und dem Kurfürsten in der fünften Szene des letzten Aktes (Z. 1529ff.) oder zwischen dem Prinzen und Hohenzollern in der ersten Szene des Dramas (Z. 90-215) und der ersten Szene des dritten Aktes (Z. 805-935), enthält jedoch nicht wenige Elemente, die grundsätzlich einer Vertonung als Oper entgegenkommen. Dazu zählt beispielweise das stumme, gestische Spiel, wie auch die große Anzahl der Regieanweisungen. Beispiele wie die "Befehlsausgabe-Szene" des I. Aktes und der Moment völligen Einverständnisses zwischen Homburg, Natalie und der Kurfürstin (III, 5, Z. 105060), in dem Natalie ihre Treue für Homburg betont, sowie die sonstigen Szenen mit viel Personal auf der Bühne eignen sich zur "operngerechten" Vertonung als Duett-Situation oder als Ensembles. Die diskursiven Passagen des Stückes sind hingegen für eine direkte Übernahme wenig geeignet. Ausführlich entwickelte Argumentationen, wie sie in der Szene in V, 5 vorkommen, wo Kottwitz und Hohenzollern für den Prinzen plädieren, sind in einer musikalischen Fassung kaum nachvollziehbar. Auch die relative Seltenheit reflexiver Monologe der Personen sowie Kleists sparsamer Umgang mit typischer "Liebeslyrik" in den

Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze 451 Szenen zwischen Natalie und Homburg – die Liebeswerbung des Prinzen für Natalie läuft nur über die Kurfürstin an (II, 6, Z. 570-610; III, 5, Z. 965-1075) – mögen eher Bedenken gegen eine gute Vertonbarkeit der Vorlage schüren. Also liegt die Vermutung nahe, dass die notwendigen Kürzungen Bachmanns vor allem die Teile des Dramas betreffen, die einerseits für eine Vertonung eher ungeeignet sind und andererseits an militärische Passagen und Details erinnern. Erwähnt seien an dieser Stelle vor allem der stark verkürzte Befehlsempfang (V, 5, Z. 1530-60) sowie auch die im Umfang erheblich reduzierte "Teichoskopie der Offiziere" (Beck 179) in der zweiten Szene des zweiten Akts. Gestrichen wurden insbesondere auch diejenigen Figuren, deren Dialoge aus der Sicht der Librettistin wohl kriegsverklärenden Charakter trugen. Hierzu gehört z. B. Die Vorstellung von Kottwitz am Beginn des zweiten Schauspiel-Aktes (II, 1, Z. 371 ff.). Obrist Kottwitz wird zur Randfigur degradiert. Kurz: in Bachmanns Libretto gibt es keinen Platz für Figuren, die ihren Lebenssinn im Soldatentum verkörpert sehen. Bachmann kürzt jedoch nicht nur; sie fügt auch Text ins Libretto ein. Dies dient offenkundig dazu, dem Komponisten weitere Gelegenheit für die Komposition von Ensembles, Duetten und Arien zu geben. Die Rede ist hier von den Monologen des Kleistschen Schauspiels, die sich für Arien anbieten, wie in Homburgs Monolog nach der Grab-Szene (I, 4, Z. 140-45 im Libretto) oder im Kurfürst-Monolog in der zweiten Szene des V. Aktes (Z. 1412ff.). Die Aufmerksamkeit für Bachmanns Monologe eröffnet dem Leser die Möglichkeit, die Charaktere der beiden zentralen Protagonisten, d.h. Homburg und Kurfürst, zu beobachten. Während bei Kleist die beiden Hauptgestalten sehr komplex sind, sind sie bei Bachmann eher typenhaft geworden. Der Prinz steht für Gefühl, Spontaneität, Offenheit und Naivität; der Kurfürst für eine eher verschlossene, abweisende, auf Regeln beharrende Haltung seiner Mitwelt und besonders dem Prinzen gegenüber. Freiheit, Kraft, Macht, Widerstand und utopischer Traum sind nicht nur die Hauptthemen, die Henzes politische Auffassungen kennzeichnen, sondern auch die zentralen Motive von Bachmanns Libretto. Freiheit als freiwillige Entscheidung gegen die Macht und das politische Selbstbewusstsein des Kurfürsten; Freiheit als autonome Entscheidung zwischen Tod und Leben, zwischen Einsamkeit und Liebe; diese Freiheit, die nie allein von dem Mut des Subjekts, sondern auch von anderen bestimmt wird, ist die lebendige Stärke des Schicksals des "neuen, modernen" Homburg. Die Modernität und die Aktualität einer Gestalt wie Homburg betont Henze in seinem Essay "Prinz von Homburg": Doch die Spannung zwischen dem Sein eines Einzelnen und der Staatsräson, Fragen der Mißachtung von Gesetz und Ordnung, das Zittern eines Menschen vor der Gewalt der herrschenden Macht, der Mut, sich zu widersetzen — all das

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könnte auch heute oder hätte vor tausend oder zweitausend Jahren sein können, in Sparta oder in Athen. (77) Das "Widersetzen," d.h. die Kraft Homburgs, durch seine Subjektivität die Gesetze und die militärischen Instruktionen zu überhören, um seiner Spontanität zu folgen, ist die zweite Seite der Modernität dieser Gestalt: So mußte der Prinz uns erscheinen als der erste moderne Protagonist, schicksalslos, selber entscheidend, mit sich allein in einer "zerbrechlichen Welt" und uns darum nah, kein Held mehr, komplexes Ich und leidende Kreatur in einem, ein "unaussprechlicher Mensch," wie Kleist selbst sich genannt hat, ein Träumer, Schlafwandler, der Herr seiner selbst wird. (Bachmann, "Entstehung eines Librettos" 371) "Träumer" und "Schlafwandler" sind die Begriffe, die nicht nur Bachmann für die seelische Darstellung Homburgs verwendet, sondern auch Henze in seinem Brief aus Neapel aus dem Jahr 1958: [...] und dann: der titel der oper sollte vielleicht wirklich `der schlafwandler' oder `der nachwandler' oder besser noch `der traumwandler' heissen. (Bachmann/Henze 194) Dieser fast an Broch gemahnende somnambule Zustand, in dem der menschliche Wunsch nach dem Verlassen des Irdischen mit diesem Rückzug auf sich selbst übereinstimmt (Forte 250), wurde schon bei Kleist selbst dargestellt, als er Homburg in einem Zwischenzustand, d.h. "halb wachend halb schlafend" (557) porträtierte: Als ein Nachtwandler, schau, auf jener Bank, Wohin, im Schlaf, wie du nie glauben wolltest, Der Mondschein ihn gelockt, beschäftiget, Sich träumend, seiner eigenen Nachtwelt gleich, Den prächtgen Kranz des Ruhmes einzuwinden. (I, 1, Z. 22-26) Wenn Kleists Homburg auch glaubt, sich in einer idealen Übereinstimmung mit der Außenwelt zu befinden, was sich in der naiv glückseligen Traum-Szene am Anfang des Dramas offenbart, bedeutet das Verhalten des Kurfürsten die Zerstörung dieser Ideal-Situation schon innerhalb der Traum-Szene selbst. Wenn Henzes Vertonung den zerfallenen träumerischen Zustand von Kleists Homburg einerseits vernachlässigt, pointiert sie andererseits die nur halbwache, träumerische, märchenhafte und unirdische Dimension von Homburgs Leben

Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze 453 als essenzielles Merkmal für das Überleben in einer Welt, die von der "ungeheuerlichen Kränkung, die das Leben ist" (Bachmann, Das dreißigste Jahr 23), markiert ist: [...] handelt es sich um die Verherrlichung eines Träumers, um die Zerstörung des Begriffs vom klassischen Helden, es geht gegen die blinde, phantasielose Anwendung der Gesetze und um die Verherrlichung menschlicher Güte, deren Verständnis auch in tiefere und kompliziertere Bezirke hineinreicht, als es "normal" wäre, und die einem Menschen seinen Platz in dieser Welt einräumen will, obwohl er ein Schwärmer ist und ein Träumer, oder vielleicht gerade deswegen. (Henze, "Prinz von Homburg" 79) Ohne die Kraft zur Phantasie ist die Wirklichkeit wie ein traumloser, tiefer Schlaf. Aber die Traumseligkeit von Henzes Musik, "mit ihren irisierenden Klangfarben, ihren sirenenartigen Frauenstimmeneffekten," wie es in einer Rezension in der Frankfurter Rundschau heißt, weckt sie wieder auf: Wenn das zart-leise Kammermusikklangbild nicht enden will, kommt es zu kleinen Spannungsabfällen, doch die konsequente, wenn auch preziösgespreizte Introversion der Musik fängt immer neu ein, mit Dauermelos und stetem Legatobogen, der freilich die Textverständlichkeit stark beeinträchtigt, was die Wirkung des Werkes auf die Hörer schon vermindert. (Löhlein) Henzes Musik in diesem Werk kann als Absage an den Absolutheitsanspruch der seriellen Avantgarde gewertet werden. Sie kontrastiert Passagen, die auf Dreiklangharmonik basieren, mit streng konstruierten Abschnitten: der Gegensatz zwischen Homburgs Sinnlichkeit und der Strenge des Kurfürsten wird so verdeutlicht. Die musikalische Gegenüberstellung der kurfürstlichen und der prinzlichen Sphäre ist in diesem Werk geeignet, die Sympathien des Zuhörers auf die Seite Homburgs zu ziehen, denn "seine" Musik gewinnt durch die Kontrastierung mit der relativ unsinnlichen, unkantablen Musik der Gesetzeswelt noch mehr an Farbigkeit und atmosphärischem Reiz: Daß ich z. B. in meiner Arbeit die strenge Dodekaphonie oder gar die Serialität, bei der aller Parameter prärieterminiert waren, vermied, liegt daran, daß mich diese Methode schon aus dem Grund nicht interessiert hat, weil sie nur schien, daß ich nichts sagen konnte innerhalb dieser Regeln. Mich interessiert Musik, um Stimmungen, Atmosphäre, Zustände wiederzugeben. Ich will keine absoluten zugeschnürten Musikpakete. ("Musica impura" 196)

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Eine solche Musik ist durch eine Verschmelzung von Wort und Klang erreichbar, in der die Sprache die Musik braucht, um sich durch Mut von Angst und Furcht zu befreien, wie Bachmann in "Die wunderliche Musik" bestätigt: Zuzeiten sind wir Dachbewohner und pfeifen von allen Dächern. In anderen Zeiten leben wir in Kellern, singen, um uns Mut zu machen und die Furcht im Dunkel zu überwinden. Wir brauchen Musik. Das Gespenst ist die lautlose Welt. ("Die wunderliche Musik" 54) Die Überzegung Bachmanns, dass die Musik die Furcht und die Angst des Alltags überwinden kann, stimmt mit der Überzeugung, dass die unterschiedlichen musikalischen Tonalitäten den Zuhörer in eine phantastische, idyllische und ursprüngliche Dimension tragen können, überein. In "Die wunderliche Musik" liest man: "Ohren: fortstrebende, in der Zugluft schwingende große Flügel, die wegfliegen wollen" (47). Der alte Traum vom Fliegen, den Bachmann hier mit der Musik assoziiert, ist nicht nur in der Psychologie der Traum von der Freiheit, sondern auch die mutige prometheische, faustische Wette gegen die traditionellen irdischen Gesetze, wie Ernst Bloch in seinem Prinzip Hoffnung betont: "Musik ist die utopisch überschreitende Kunst schlechthin, [...] das Luziferische, das Prometheische nimmt sie wie keine andere Kunst auf' (1242). Diesem menschlichen Wunsch, die Konventionen der äußeren Welt und des Alltags mutig und mit Hilfe einer märchenhaften und idyllisch-traumhaften Atmosphäre zu überwinden, entspricht Henzes Musik und Bachmanns Sprache. Beide zusammen haben auf Bachmanns Frage nach der Möglichkeit, eine Intermedialität der Künste Dichtung und Musik zu schaffen, eine konkrete und wirksame Antwort gefunden: Das Unumgängliche wurde getan, die kleinen Operationen wurden vorgenommen, mit dem Wunsch, die Dichtung so unbeschädigt wie möglich der Musik zu übergeben — nicht zum Gebrauch, sondern für ein zweites Leben in der Musik und mit der Musik. (Bachmann, "Entstehung eines Librettos" 372)

Literaturverzeichnis Adorno, Theodor W. "Musik, Sprache und ihr Verhältnis im gegenwärtigen Komponieren." Gesammelte Schriften. Band 16. Hrsg. Rolf Tiedemann Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1978.649-64. Bachmann, Ingeborg. Das dreißigste Jahr. München: dtv, 1994. . "Entstehung eines Librettos." Bachmann, Werke 1: 369-74. . "Hommage à Maria Callas. Entwurf." Bachmann, Werke 4: 342-43.

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