Erziehung und Bildung waren um 1800 ein

Literatur Thomas Neumann Weibliche Bildung und emanzipatorisches Leben bei Caroline de la Motte Fouqué »Der Phönix schwingt zuletzt über jedem die S...
Author: Bernd Keller
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Literatur

Thomas Neumann

Weibliche Bildung und emanzipatorisches Leben bei Caroline de la Motte Fouqué »Der Phönix schwingt zuletzt über jedem die Schwingen, der ihn nicht aus den Augen verliert!«1

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rziehung und Bildung waren um 1800 ein aktuelles Thema. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich die kulturellen Bezugssysteme grundlegend geändert. Der Wandel der sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen und der Verlust einer verbindlichen Form der Weltinterpretation, die insbesondere die Religion lieferte, hatten zu einschneidenden Veränderungen in Gesellschaft und Staat geführt. Der in den Städten forcierte gesellschaftliche Austauschprozess, der sich auch auf den Status kultureller Güter auswirkte, hatte ein Handel und Gewerbe treibendes Bürgertum mit Geld, politischem Einfluss und sozialem Prestige entstehen lassen, dem Bildung und Erziehung zur Festigung des gesellschaftlichen Status unabdingbar war. Das Gedankengut der Aufklärung konnte für die Erziehung und Bildung genutzt werden, obwohl die progressiven zeitgenössischen Autoren – wie etwa Heinrich von Kleist und die Romantiker – diese Positionen schon längst wieder hinter sich gelassen hatten. Aber es waren nicht die avantgardistischen Autoren, die das Meinungsbild bestimmten. Johann Wolfgang Goethe formulierte in den ›Schriften zur Literatur‹ Bedingungen und Funktion von Erziehung in der modernen Gesellschaft: Erziehung heißt die Jugend an die Bedingungen gewöhnen, zu den Bedingungen bilden, unter denen man in der Welt überhaupt, sodann aber in besondern Kreisen existiren kann.2

Er spricht dabei wesentliche Aspekte von Erziehung und Bildung um 1800 an: die Berücksichtigung der funktionalen Diversifizierung der

Gesellschaft und der jeweiligen gesellschaftlichen Kreise. Aber was in der Pädagogik der Gegenwart selbstverständlich ist, verweist um 1800 noch auf die die Erziehung und Bildung trennenden Faktoren. Es gab keine integrativen Bildungskonzepte, und Bildung und Erziehung teilte die Geschlechter und Gesellschaftsgruppen voneinander. Mädchen- und Frauenbildung war um 1800 (Aus-) Bildung für eine kleine privilegierte Gruppe. Bildungsangebote konnten – schon allein aus finanziellen Gründen – nur Mitglieder des Adels, des aufstrebenden Bürgertums oder mit diesen verbundene gesellschaftliche Gruppen in Anspruch nehmen. Neu zu den »Bildungsempfängern« hinzu kamen auch Frauen und Mädchen aus Fami-

Caroline de la Motte Fouqué (1775–1831)

lien gehobener bürgerlicher Kreise, die es im ausgehenden 18. Jahrhundert zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatten. Weibliche Bildung war zu einer Demonstration des Aufstiegs geworden. Dass dieses repräsentative Moment in einer dialektischen »Bewegung« in »Emanzipation der Frauen durch Bildung« umschlug, wurde nicht von allen begrüßt.3 Aufklärung und Industrialisierung führten zu einem steigenden Anteil weiblicher Autoren. Erstmals erlaubte der gesellschaftliche Kontext einer Frau sich schreibend ihre Existenz zu ­sichern. Zu diesen Schriftstellerinnen um 1800 gehörte auch Caroline de la Motte Fouqué geb. von Briest (1775–1831). Neben ihren Romanen,

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die nahezu immer spezifischen weiblichen Fragestellungen gewidmet waren, ist einer der Schwerpunkte in ihren nicht-fiktionalen Texten die »weibliche Bildung«, also die geschlechtsspezifische Erziehung und (Aus-)Bildung von Frauen. Die drei Monografien ›Briefe über Zweck und Richtung weiblicher Bildung. Eine Weihnachtsgabe‹ (1811), die ›Briefe über die griechische ­Mythologie für Frauen‹ (1812) und ›Die früheste

pischen und pädagogischen Positionen in der Mädchenbildung bekommt durch die um 1800 verstärkt einsetzende Gründung von Erziehungsinstituten für Mädchen und junge Frauen eine zunehmend praktische Ausrichtung. Zu den an dieser Diskussion beteiligten Autorinnen zählte neben Caroline de la Motte Fouqué auch die Pädagogin und Schriftstellerin Betty Gleim.4 Ihre Schriften und ihre Erziehungspläne wurden von Caroline kritisch rezipiert und haben sie maßgeblich beeinflusst. Am 22. April 1811 schreibt der Verleger Julius Hitzig an Carolines Ehemann Friedrich: Sage Serenen [gemeint ist Caroline], ich vergäße nichts was sie mir aufgetragen, aber leider hänge ich mit d. Werken von der Thätigkeit andrer ab. – Betty Gleims Bilderbüchleins erfolgt hiebei.5

Die Reaktionen auf Gleims Buch sind differenziert. Friedrich schreibt zurück: Auch Betty Gleims Brief erfolgt zurück. Meine Frau, ämsig mit der Vollendung und stellenweisen Ueberarbeitung ihres neuesten Romans beschäftigt, vermochte noch nicht, das mitgesandte Büchlein gehörig zu würdigen. Doch beklagt sie sich vorläufig über dessen etwas schwülstigen, dieser Gegenstand noch minder, als jedem andern geeigneten Styl. Auch will es ihr nicht eingehen, daß wir Deutschen Christen durchaus auf Walhalla verwiesen werden sollen, und nicht gradezu an den lieben, schönen Himmel, den uns der Herr Jesus verheissen hat, worin ich ihr allerdings vollkommen Recht geben muß.6

Betty Gleim: Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts, Leipzig 1810, Titelblatt

Geschichte der Welt. Ein Geschenk für Kinder‹ (1818) tragen unter verschiedenen Blickwinkeln zur Diskussion über die intellektuelle Bildung der Frau bei.

Moderne Bildung Schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts hatten auch Frauen über Erziehungsfragen geschrieben. Die Diskussion von aufklärerischen, philanthro-

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Caroline de la Motte Fouqué stand mit verschiedenen Protagonisten der pädagogischen Praxis im Austausch. Ihre »Erziehungsbücher« entstanden nicht aus theoretischen Überlegungen heraus, wie man der Widmung der ›Geschichte der Welt‹ entnehmen kann: »Gewidmet meiner Tochter Marie von Fouqué und ihren Gespielinnen Auguste und Friederike von Briest.« Die Autorinnen kommunizierten untereinander und man belieferte einen »Markt für Erziehung« – auch um die eigene Existenz zu sichern. Um 1800 wurden die ersten Mädchenschulen gegründet. Die ersten Bildungskonzepte wurden natürlich auf der theoretischen Ebene formuliert. Der noch eine Generation vorher als »Definition eines gesellschaftlichen Rahmens« verstandene Bildungsanspruch für Frauen wurde als emanzipatorisch begriffen und rief gleichzeitig restaurative Kräfte auf den Plan. Dass die meisten favorisierten Erziehungsmodelle kaum emanzipato-

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rische Konzepte waren, sondern die eingeschränkte Rolle der Frau manifestieren sollten, ist offensichtlich.7 Hieraus entstand eine gewisse Schwierigkeit, waren Carolines literarische ›Positionen‹ doch durchaus heterogen. Sie bewegte sich mit ihren Schriften im Spannungsfeld vom Berliner Hof, ihren eigenen emanzipatorischen Bemühungen als Schriftstellerin und ihren par­tiell restaurativ-konservativen Ansichten, verbunden mit ihrem Blick für die Situation von Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft Anfang des 19. Jahrhunderts.

von der Nachtseite der Naturwissenschaft‹ den Rahmen für die »romantische« Seite der pädagogischen Wissenschaft vorgibt. Wir werden zuerst, über den Ursprung unsres Geschlechts, über das älteste Verhältniß desselben zur Natur, die heilige Sage der ältesten Völker befragen. Einstimmig werden uns Alle, Egypter und Indier, Chinesen und Mexicaner, ja Isländer und Schweden, die Kunde einer hohen, untergegangenen Naturweisheit, und einer frühen Blüthenzeit der Cultur unsres Geschlechts bringen.12

Weibliche Bildung um 1800 Fouqués pädagogische Schriften und Romane sind in den Kontext einer Neubestimmung der gesellschaftlichen Position der Frau zu verstehen. Das zentrale Problem der weiblichen Bildung war die Diskussion über die Ausbildung der intellektuellen Fähigkeiten der Frau. Manuelles Geschick und Tätigkeiten im Bereich des Praktischen zu fördern war gesellschaftlicher Konsens. Um die intellektuelle Bildung durchzusetzen bedurfte es eines erweiterten Konzepts, das die »aufgeklärte Religiösität« bemühte, um die Bildung auch auf die Ausbildung theoretischer Fähigkeiten auszuweiten. Hier werden die beiden Maximen der Funktionalität und des Weiblichkeitsideals miteinander verbunden. Die Ausbildung des weiblichen Verstands entspricht der intellektuellen Bildung als moralischer Bildung. Fouqués Schriften manifestieren einen zu diesem Zeitpunkt nicht selbstverständlichen Aspekt von Erziehung. Nach Fertigstellung des Romans ›Die Frau des Falkenstein‹ begann Caroline die Arbeit an den ›Briefen über Zweck und Richtung weiblicher Bildung‹. 1810 schickt sie das Manuskript an den Berliner Verleger Julius Hitzig.8 Der Band erscheint in der Reihe ›Taschenbuch für denkende Frauen‹9. Es ist ihre erste umfassendere Schrift über Erziehungsfragen und sie formuliert ihre Positionen über das Verhältnis von weiblicher Bildung, Gesellschaft und Religion: »Es sei mir gelungen, sagst Du, Dich über das Wie und Was weiblicher Bildung im Allgemeinen zu beruhigen.«10 Dabei exemplifiziert sie die Thesen Gotthilf Heinrich Schuberts11, der in seinen ›Ansichten

Caroline de la Motte Fouqué: Briefe über die griechische Mythologie, für Frauen, Berlin 1812, Titelblatt

Schubert formuliert auch noch eine weitere Bedingung, die in der ›Griechische Mythologie für Frauen‹ den Rahmen für die Gesamtdarstellung des behandelten mythologischen Themenkreises absteckt: Für das Ganze ist der Anfang der neueren Zeit, wo der Wille des Menschen gleichsam mündig geworden, der Eintritt des Christenthums.13

Betrachtet man die ›Briefe über weibliche Bildung‹ als theoretische Einführung in das Thema ›Bildung für Frauen‹, so gibt Fouqué mit Ihrer ›Mythologie für Frauen‹ ein Beispiel für die prak-

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tische Umsetzung ihrer Bildungsideen. Sie zeigt dem Leser in der ›Geschichte der Mythologie‹, was in den von Schubert skizzierten Bildungskanon passt. Die zusätzliche Titelbezeichnung »für Frauen« ist dabei nicht der speziellen Aufbereitung des Inhalts geschuldet – wie man bei Vergleichen mit ihren anderen Texten feststellt – sondern gilt eher der spezifischen Ausrichtung auf ein weib-

Doch fallen diese wechselnde Anschauungsarten in ewige, unwandelbare Grundanschauungen zurück, und wie Feuer, Wasser, Luft und Erde unveränderlich die Elemente des Gewordnen sind, so finden wir auch überall die Elementarideen wieder, aus welchen alles geistige Leben floß. / Es ist daher nicht die Vielseitigkeit der Betrachtungen, welche das Verstehn eines Dinges erschwert, sondern das Verlieren seines eigentlichen Mittelpunktes, welcher, als das Mark und der Kern, die Windungen des reichsten Adergeflechtes in sich faßt.16

Damit macht sie es dem Leser nicht leicht und kommentiert gleichzeitig die Diskussion über die Ausbildung der intellektuellen Fähigkeiten von Frauen. Diese versteckte Kritik, die sie darüber hinaus auch noch in den Lebensentwürfen der Frauengestalten ihrer Romane exemplifiziert, liefert die Folie für ihre ›Geschichte der Welt. Ein Geschenk für Kinder‹.

Eine Mythologie für Frauen und eine ›Geschichte der Welt‹ für Kinder?

Caroline de la Motte Fouqué: Die früheste Geschichte der Welt, Leipzig 1818, Titelabbildung Bd. 1

liches Lesepublikum. Dieses wird mit Inhalten konfrontiert, die nicht unbedingt zur leichten und zerstreuenden Lektüre der Taschenbücher und Almanache passen will.14 Mythologie ist der unmittelbare Abglanz der Naturgeschichte, oder geistige Wiedererschaffung derselben im Innern des Menschen, nothwendige Entwicklung des geistigen Werdens in der gleichgearteten Bilderreihe, wie die Außenwelt sie uns zeigt, folglich Geschichte des intellek15 tuellen Organismus, oder Religionsgeschichte.

Dass sie aber trotzdem über die Vermittlung ihrer Inhalte reflektiert, zeigt sich in ihren didaktischen Überlegungen. In der ›Griechischen Mythologie‹ heißt es:

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Caroline de la Motte Fouqué publiziert 1818 die ›Geschichte der Welt‹, mit dem Zusatz ›für Kinder‹. Schwerlich macht der Band den Eindruck eines Lesebuchs für die jüngere Generation. Vergleicht man es zum Beispiel mit den zeitgleich erscheinenden Lieferungen des aufwändig produzierten ›Bilderbuchs für Kinder‹ 17 von Friedrich Justin Bertuch, das für den Bereich der Lehr- und Anschauungsbücher seit dem ›Orbis sensualium pictus‹18 neue Maßstäbe in Hinblick auf Didaktik und Anschauung setzte, macht es einen ›unpädagogischen‹ Eindruck.19 Zum einen wird es der Kostenfaktor gewesen sein, der keine umfangreichen Kupfertafeln für die ›Geschichte der Welt‹ erlaubte. Vergleicht man den Band ­allerdings mit zeitgleich erschienenen Bänden pädagogischen Inhalts, war die Ausstattung von ­Carolines Werk mit vier großformatigen, ausklappbaren Schautafeln offensichtlich doch mit überdurchschnittlich viel didaktischem Material ausgestattet. Auf den Tafeln wird der Inhalt zusammenfassend aufbereitet. Die »Textgraphik« bereichert den Vermittlungsprozess um eine zusätzliche Anschauungsebene. Bei all diesen lese(r)freundlichen Aspekten, die eine Brücke zwischen konservativ-restau­rativer und emanzipatorisch-moderner Weltanschauung schlugen, wird immer wieder die Rolle von Religion und Christentum betont:

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Nur diejenigen, welchen die Mythologie, wie die Natur selbst, eine dienende Magd ist, können es wagen, sie ihres eigenthümlichen Stoffes zu entkleiden, und die leeren Formen mit modernen Gemengsel zu füllen. […] Uns ist aufgegeben, in Frommheit auf ihre Worte zu hören, und sie in allen Wegen verstehn zu lernen.20

Dabei bleibt unzweifelhaft, wie sich das Fouquésche Geschichtsbild gestaltet:

Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie im oben zitierten Kontext die griechische Republik streng kritisierte: Ist es nicht, als wenn bei der Aufführung eines jener ernsten Dramen ein leises Geräusch zu vermeiden alle Kehlen der Zuschauer, Stille gebietend, den Gang des Stückes unaufhörlich unterbrächen? Und wird diese Angst des

Caroline de la Motte Fouqué: Die früheste Geschichte der Welt, Titelblatt und Titelabbildung Bd. 3 Das Vollendeste aber als Ruine ist der Torso im Vatikan. Ein sitzender Herakles, ohne Kopf, Beine und Arme, dennoch durch Richtung des Leibes und Harmonie der Muskelbewegung als Bruchstück eines verklärten Herakles von Winkelmann und Mengs erkannt. – So ist uns sein höchstes Bild überall ein zerrissen, unkenntliches Bruchstück geworden, und nur die Idee offenbart sich der Idee.21

Bei so viel »heidnischer Mythologie« wollte sich Fouqué nicht den Vorwurf machen lassen, die favorisierte Position des Christentums zu kritisieren. Sie war mit ihren Büchern auf die Akzeptanz der Leser, die zuerst immer im Umfeld des preußischen Hofes zu finden waren, angewiesen, wollte sie weiterhin kommerziell erfolgreich bleiben.

Ungestörtbleibens, nicht überall unaufhörliche Störungen veranlassen? […] Ihr Irrthum [in Bezug auf die Republik] war ihr Strafgericht. Sie wurden von Göttern-Knechte.22

Fouqué ermangelte es nicht an Kritik und ­ laren Bildungszielen im Bereich der moralischk religiösen Orientierung. Damit war sie vor allem ihrer eigenen konservativ-restaurativen Seite verpflichtet, die sich mit preußischem Hof, Leserschaft und Zeitgeist arrangieren musste. Sie ließ aber nicht die emanzipatorischen, bildungstheoretischen und -praktischen Aspekte der Texte unberücksichtigt. Gerade die Kombination von Emanzipation und Restauration ergibt das besondere Spannungsverhältnis in der Schriftstel-

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lerpersönlichkeit Fouqué, die es nicht versäumt, ihre Intentionen dem Publikum deutlich zu vermitteln: Was durch Jahrtausende so gesammelt das Eigenthum des Menschen geworden ist, das laßt mich vor der Hand nur noch in allgemeinen Umrissen vor Euch hinstellen, damit Ihr mit Ordnung und Liebe den Zusammenhang des NaturLebens verstehn, jedes Ding auf seinem Platze, würdigen und den Gott der Gnade überall erkennen möget.23

Bildung als Emanzipation? Die drei einzelnen Texte fügen sich zu einem Gesamttext ›Erziehung‹. Der in den ›Briefe[n] über Zweck und Richtung weiblicher Bildung‹ skizzierte Entwurf eines Bildungskonzepts auf christlicher Grundlage wird in den ›Briefen über die griechische Mythologie‹ mit faktischem Wissen und praktischen Bildungsinhalten gefüllt. Caroline bleibt nicht auf der theoretischen Ebene, sondern liefert ein bis ins Detail umgesetztes ›Lehrbuch‹, welches sie mit didaktischen Materialien in Form von Übersichtstafeln anreichert. Von den Grundlagen romantischer Naturwissenschaft ausgehend bietet sie einen Beitrag zur bildungstheoretischen und bildungspraktischen Diskussion der Zeit.24 Im Kontext der preußischen Bildungsreformen und der zeitgenössischen Diskussion über Erziehung im allgemeinen und Mädchenerziehung und weiblicher Bildung im besonderen bietet Fouqué einen Beitrag zu der die preußischen Reformen ergänzenden Diskussion der weiblichen Bildung im Bereich der populären Unterhaltungsliteratur. Vor allem erreichte sie deutlich mehr Leser als viele pädagogisch ausgerichtete Autorinnen. Nimmt man außerdem noch die in ihren Romanen verborgenen Paradigmen für Erziehung und »weibliche Lebensentwürfe«, erarbeitet sie über einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren zwar ein mit restaurativen Momenten durchsetztes Erziehungskonzept, das Perspektiven für weibliche Emanzipation enthielt, die aber erst hundert Jahre später ansatzweise realisiert werden konnten. Dass diese Kombination von aus unserer heutigen Perspektive widersprüchlichen Anschauungen auch kommerziell erfolgreich war, war nicht zuletzt dem Bedarf der Neudefinition der Rolle der Frau zuzuschreiben – und

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dem Bedürfnis der Leserschaft, neue, vielleicht sogar emanzipatorische Entwürfe für die Rollendefinition der Frauen im 19. Jahrhunderts zu rezipieren. Wie ein ironischer Kommentar zu ihren Schriften und gleichzeitig wie eine Leseanleitung erscheint dabei eine ihrer Formulierungen aus den ›Briefen über die griechische Mythologie für Frauen›: »Der Phönix schwingt zuletzt über jedem die Schwingen, der ihn nicht aus den Augen verliert!«25 Diesen Grundgedanken sollte man bei der Lektüre ihrer Texte immer mitdenken.

Anmerkungen 1 Den zitierten Textstellen liegt die kritische Ausgabe der ›Werke und Schriften‹ (CFWS) von Caroline de la Motte Fouqué (nachfolgend Fouqué) zugrunde. Alle Texte von Caroline de la Motte Fouqué werden zitiert nach: Caroline de la Motte Fouqué: Werke und Schriften. Hrsg. von Thomas Neumann. Norderstedt 2004–2008. Hier: CFWS, Bd. 7, Schriften 1 (Griechische Mythologie für Frauen), S. 232. 2 Johann Wolfgang Goethe: J. Schopenhauer, Gabriele, in: Über Kunst und Alterthum in den Rhein und Mayn Gegenden. Bd. IV. 1823, S. 65–72, dort S. 68. 3 Zur Entwicklung des Schulwesens und zur standesund geschlechtsunabhängigen Bildung um 1800 vgl.: Notker Hammerstein (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Hrsg. von Christa Berg. Bd. 2: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800. München 2005; Karl-Ernst Jeismann (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Hrsg. von Christa Berg. Bd. 3: 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches. München 1987. Darüber hinaus auch: Christiane Brokmann-Nooren: Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert: »gelehrtes Frauenzimmer« und »gefällige Gattin«. Oldenburg 1994 (Beiträge zur Sozialgeschichte der Erziehung 2); Monika Simmel: Erziehung zum Weibe. Mädchenbildung im 19. Jahrhundert. Frankfurt/Main [u. a.] 1980. 4 Zu Betty Gleim vgl.: Josefine Zimmermann: Betty Gleim (1781–1827) und ihre Bedeutung für die Geschichte der Mädchenbildung. Köln [Diss.] 1926; Elisabeth Richnow: »Mensch, Weib und Erdenbürger«. Überlegungen zum Verhältnis Frauen und Öffentlichkeit anhand der Biographie Betty Gleims. Hamburg 1996; Renate Feyl: Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft. München, Zürich 2004 (Berlin (DDR) 1981). Ebenso Gleims Hauptschrift ›Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts. Ein Buch für Eltern und Erzieher‹ (Leipzig 1810). 5 Julius Eduard Hitzig an Friedrich de la Motte Fouqué, 22. April 1811 (Stadtmuseum Berlin). Man vergleiche den Briefwechsel zwischen Caroline und Friedrich de la Motte Fouqué mit dem Verleger Julius Hitzig (Stadtmuseum Berlin, Bayrische Staatsbibliothek München). 6 Friedrich de la Motte Fouqué an Julius Hitzig, 3. März 1814 (Bayrische Staatsbibliothek München).

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7 Vgl.: Handbuch zur Bildungsgeschichte, Bd. 2, Anm. 5. 8 Friedrich de la Motte Fouqué an Julius Hitzig, 8. August 1810 (Bayrische Staatsbibliothek München). 9 Caroline de la Motte Fouqué: Briefe über Zweck und Richtung weiblicher Bildung. Eine Weihnachtsgabe. Berlin: Hitzig 1811 (Taschenbuch für denkende ­Frauen). 10 CFWS 7, S. 17. 11 Zu Schubert vgl.: CFWS 7, S. 56. 12 Gotthilf Heinrich Schubert: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden 1808, S. 3 f. 13 Schubert, Anm.20, S. 12. 14 Thomas Neumann: »Geschmacksverirrung« oder »Wozu Taschenbücher nutzen!«, in: Librarium. Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft 49 (2006), H. 2, S. 75–86. 15 CFWS 7, S. 49. 16 CFWS 7, S. 52. 17 Seit 1790 erschien das in 237 Einzellieferungen mit 1.185 Kupfertafeln versehene Werk ›Bilderbuch für Kinder‹ im Verlag von Friedrich Justin Bertuch. Das über einen Zeitraum von vierzig Jahren erscheinende Werk hatte eine Auflage von 3.000 Exemplaren, war also relativ weit verbreitet. Uwe Plötner: Friedrich Justin Bertuchs »Bilderbuch für Kinder«. Entstehung, Gestalt und Funktion eines »Orbis pictus« um 1800. Jena [Diss.] 2001; Gerhard R. Kaiser, Siegfried Seifert [Hrsg.]: Friedrich Justin Bertuch (1747–1822). Verleger, Schriftsteller und Unternehmer im klassischen Weimar. Tübingen 2000; Julia A. Schmidt-Funke: Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft. Die politische Publizistik des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch. Köln, Weimar, Wien 2005. 18 Johann Amos Comenius: Orbis pictus – Die Welt in Bildern. (Faks.-Nachdr. der Ausg. Königgrätz, Pospísil 1883.) Ein wenig überarbeitet und berichtigt und neu hrsg. von Wolfgang Witiko Marko. Trier 2006. 19 Caroline, deren Tochter Marie 1803 geboren worden war, wird Bertuchs ›Bilderbuch‹ mit seinen opulenten Kupferstichtafeln gekannt haben – zumal sie auch auf in ihrer ­›Geschichte der Moden‹ auf das ›Journal des Luxus und der Moden‹, das auch bei Bertuch erscheint, Bezug nimmt. Dabei könnte man sogar ihre ›Geschichte der Moden‹ als einen Text zur ästhetischen und kulturellen Bildung verstehen – allerdings in einem umfassenderen Sinne als dies in den Schriften zwischen 1810 und 1820 formuliert worden war. 20 CFWS, 7, S. 57. 21 CFWS, 7, S. 224. 22 CFWS, 7, S. 532. 23 CFWS, 7, S. 244. 24 Dass sie den Diskussionen der Zeit über Bildung im preußischen Staat nahe stand, wird interessanterweise durch die räumliche Nähe zu ihren Nachbarn Caroline und Wilhelm von Humboldt besonders deutlich, mit denen man im Austausch stand. Humboldts wohnten in Tegel in der Nähe von Nennhausen, dem Wohnsitz der Fouqués. Er war seit 1809 Direktor der Sektion für Kultur und Unterricht im preußischen Ministerium des Inneren. In dieser Funktion leitet man in seinem Sinne 1812 die Umgestaltung des preußischen Bildungswesens ein, das zum Beispiel zur heutigen Form des Gymnasiums führte und eine grundlegende Reform des Volksschulwesens beinhaltete. 25 CFWS 7, S. 232.

Ekkehard von Knorring

»Baron von Ehrenkreutz« – Der Nebel lichtet sich

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s ist schon erstaunlich, wie wenig zur Person des »Baron von Ehrenkreutz«, wie er sich in seinen Schriften lapidar, wenngleich beeindruckend nannte, bekannt ist. Immerhin handelt es sich um den Verfasser eines der bekanntesten, häufig zitierten und gleich mit mehreren Reprints geehrten deutschen Bücher – gleichsam des Klassikers – über die Angelfischerei1 mit 23 Auflagen2 bis in die jüngste Zeit, der von seinen Anhängern auch als deutscher Izaac Walton3 bezeichnet wird, sich auch auf jagdlichem Gebiet schriftstellerisch betätigte4 und zudem durch geschichtliche, geografische oder anderweitige Veröffentlichungen 5 hervortrat. Kein Biograf und Bibliograf der entsprechenden Literaturszene – auch nicht der Verfasser dieser Zeilen – scheint es bisher gewagt oder für nötig gehalten zu haben, die näheren Lebensumstände und nicht einmal den genauen Namen dieses Schriftstellers ausfindig zu machen. Allseits wird immer nur bedauert, nichts Genaues zu wissen oder nur das zu wissen, was der Verfasser selbst offenbart hat. Aber selbst das scheint widersprüchlich zu sein, denn gelegentlich wird der Vorname, wenn überhaupt, mit »K.«, dann wieder mit »J. V.« angegeben. Sein Geburtsjahr wird um 1786 vermutet und sein Leben zumindest für die Zeit von 1844 bis 1847 auf der Feste Ehrenbreitstein bei Koblenz als gesichert angesehen. Was eine Nachkommen betrifft, so wird gemutmaßt, dass er einen Sohn namens Hermann gehabt habe, der nach dem Tod des Vaters das lukrative schriftstellerische Werk weiter fortführte.6 Alles in allem aber bietet sich dem interessierten Betrachter eine höchst nebulöse und damit unbefriedigende Situation. Das Unwissen über die Person des »Baron von Ehrenkreutz« ist umso erstaunlicher, als ein um-

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Wappen des »Baron von Ehrenkreutz«

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