FOOTBALL

40.2012 Forschungsmagazin der Universität Bielefeld // Bielefeld University Research News FUSSBALL // FOOTBALL TATORT STADION // CRIME AT THE STAD...
Author: Helene Junge
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40.2012

Forschungsmagazin der Universität Bielefeld // Bielefeld University Research News

FUSSBALL // FOOTBALL

TATORT STADION // CRIME AT THE STADIUM

BI.RESEARCH // KONFLIKTFORSCHUNG

Text: Jens Burnicki

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„Es ist wieder Zeit, unser Mikroskop auf den Fußball einzustellen“, sagt Professor Dr. Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) mit Blick auf die Fußball-Europameisterschaft der Männer. Pünktlich zur EM starten seine Kollegen und er im Juni ein Forschungsprojekt zu den Einstellungen von Fußballfans. Der Sozialpsychologe Zick führt mit der Studie eine Tradition der Universität Bielefeld fort, die bis in die 80er Jahre zurück reicht. Damals unterstützte Professor Dr. Wilhelm Heitmeyer vom IKG die Gründung des Fanprojekts Bielefeld (Seite 38 in diesem Heft). Vor vier Jahren bat der Hessische Fußballverband Andreas Zick um die Analyse von Sportgerichtsurteilen im Fußball. Der Verdacht: Spieler mit Migrationshintergrund werden vor Gericht anders behandelt als Spieler ohne. „Das war furchtbar aufschlussreich“, sagt Martin Winands vom IKG, der in dem Projekt zusammen mit seiner Kollegin Judith Scherer eine komplette Spielsaison aller Ligen im hessischen Fußballverband ausgewertet hat – mehr als 1.000 Urteile. Die ursprüngliche Vermutung bestätigte sich: Die Wissenschaftler belegten, dass sich die Kategorisierungen von Spielern nach ethnischer Herkunft auf Entscheidungen der Sportrichter auswirkt.

‘It’s time to focus our microscope on football again’, says Professor Dr. Andreas Zick from the Institute for Interdisciplinary Research on Conflict and Violence (IKG) when talking about the men’s European Football Championship. This June, just in time for the championship, he and his colleagues are launching a research project on the attitudes of football fans. With this study, the social psychologist Zick is continuing a tradition at Bielefeld University that goes back to the 1980s. This was when Professor Dr. Wilhelm Heitmeyer from the IKG helped set up the Bielefeld Fan Project (see p. 38 in this issue). Four years ago, the state of Hesse’s football association asked Andreas Zick to analyse sports court rulings on football cases. They suspected that players with a migration background were being treated differently by the courts compared to their colleagues. ‘It was shockingly revealing’, says Martin Winands from the IKG, who analysed a complete season of rulings in all Hesse’s football leagues – more than 1,000 rulings – together with his colleague Judith Scherer. The original suspicion was confirmed: The scientists found that categorizing players according to their ethnic origins influenced the rulings by sports judges.

Südafrika und der Özil-Effekt Vor zwei Jahren untersuchten Andreas Zick und seine Kollegen, welche Effekte die damalige Weltmeisterschaft auf die Einstellungen der Deutschen zu anderen Gruppen hat. In einer Online-Studie wurden dazu Personen vor, während und nach der WM befragt. „Die Vorberichterstattung war recht negativ“, erklärt Zick. „Thematisch ging es um Gewalt, Korruption und Ausbeutung in Südafrika.“ Bilder von Menschen, die aufgrund der neuen Stadien in Townships – besonders ärmliche und dicht bewohnte Stadtgebiete – zwangsumgesiedelt wurden, waren 2010 keine Seltenheit. Laut Zick ist das ein Beispiel dafür, „dass unser Rassismus die Wahrnehmung einer solchen WM steuert.“ Die Studie zeigt aber auch, dass sich diese Wahrnehmung ändern kann. Ein zentrales Ergebnis ist, dass das Afrikabild in Deutschland während und nach der WM deutlich positiver war, als vor der Großveranstaltung. Ähnlich verhielt es sich 2010 der Studie zufolge mit der Wahrnehmung des deutschen Nationalteams 2010: Sie war vom „Özil-Effekt“ geprägt. Spieler mit Migrationshintergrund wie Mesut

South Africa and the Özil effect Two years ago, Andreas Zick and his colleagues studied which effects the World Cup was having on the attitudes of the Germans to other groups. In an online study, they surveyed people before, after, and during the World Cup. ‘Advance reporting was very negative’, Zick explains. ‘The topics in South Africa were violence, corruption, and exploitation’. Pictures of people being forced out of their homes to make way for new stadiums in the townships – particularly poor and densely populated urban districts – were no rarity in 2010. For Zick, this was an example of how ‘our racism guides the perception of such a World Cup’. However, the study also shows how such a perception can change. One major finding was that the image of Africa in Germany improved markedly during and after the World Cup. According to the 2010 study, a similar change occurred in how Germans perceived their national team: this was shaped by the ‘Özil effect’. Both then and now, it was players with a migration background such as Mesut Özil who were responsible for the success of the German team. ‘When people

BI.RESEARCH // CONFLICT RESEARCH

Konflikte, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt im Fußball // Conflicts, racism, and violence in football

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Andreas Zick und Martin Winands arbeiten daran, die Hintergründe von Gewalt und Konflikten im Fußball herauszufinden, damit die Fußballverbände reagieren können. // Andreas Zick and Martin Winands are trying to find out how clubs can tackle the roots of violence and conflict in football.

BI.RESEARCH // KONFLIKTFORSCHUNG

Özil sorgten damals wie heute für den Erfolg der deutschen Mannschaft. „Wenn man den Fußball als multikulturelles Spiel sieht, als ein Spiel, in dem man nur erfolgreich sein kann, wenn man sich in einer multikulturellen Gruppe einfügt, dann verbessern sich die Einstellungen gegenüber Spielern mit Migrationshintergrund“, sagt Zick. Dieser Effekt gelte für die Mehrheit der Studienteilnehmer. Nur an einer Gruppe der Befragten perlt der Effekt gänzlich ab: Sie glaubt, dass Fußball allein durch deutsche Tugenden erfolgreich ist.

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Oft fehlt eine gute Theorie Zeitgleich zur WM-Studie 2010 wurde die Ausstellung „Tatort Stadion“ in Kooperation mit dem Fan-Projekt Bielefeld entwickelt, die im Februar 2011 in der Schüco-Arena in Bielefeld zu sehen war. Mit Schautafeln und Vorträgen informiert „Tatort Stadion“ über alltägliche Diskriminierung beim Fußball. Zur Eröffnung kamen rund 120 Gäste, unter ihnen Wilfried Lütkemeier, ehemals Vize-Präsident des DSC Arminia Bielefeld. „Dialogisches Forschen hat eine lange Tradition am IKG“, sagt Martin Winands. „Wenn wir einen Befund haben, dann gehen wir zu den Fanprojekten, zur Polizei und den Verantwortlichen in den Stadien und präsentieren ihn.“ Doch bei der Präsentation alleine bleibt es nicht. Andreas Zick ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Fußball Liga (DFL). Der Beirat und die DFL organisieren einmal im Jahr Regionalkonferenzen, bei denen sie die Parteien zusammenbringen, die für Sicherheit im Fußball zuständig sind, darunter auch die Bundespolizei und die Landespolizeien. „In der letzten Spielsaison gab es nach Datenlage mehr Gewalt als lange zuvor“, beobachtet Zick, „mehr Polizeieinsätze, mehr Verletzte.“ Das Beispiel Homophobie – die feindselige Einstellung gegenüber Homosexuellen – mache deutlich, dass im Fußball die Normen der Gesellschaft nicht immer greifen. „In der Gesellschaft gibt es einen klaren Rückgang von Homophobie“, ergänzt Winands. „Im Fußball gibt es Räume, wo diese Diskriminierungen ritualisiert zu Tage treten.“ Winands warnt aber vor Generalisierungen: „Von einer Szene wird schnell auf alle Szenen geschlossen und dabei die Vielfalt der Gruppierungen übersehen.“ Da es in Deutschland keine etablierte Fußballforschung gibt, die über Beschreibungen der Situation hinausgeht, fehlt in der Praxis oft eine gute Theorie. „Die Fußballmacher sehen, dass es Gewalt und Konflikte gibt und möchten diese bereinigen, sehen aber nicht immer die Hintergründe“, so Zick, „genau hier bieten wir unsere Hilfe an.“

see football as a multicultural game, as a game in which one can only succeed by fitting into a multicultural group, then attitudes towards players with a migration background improve’, says Zick. This effect was found in the majority of participants in the study. Only one group was completely uninfluenced by the effect: a group believing that it is only German virtues that lead to success in football. A good theory is often lacking Coinciding with the World Cup study in 2010, the IKG launched the exhibition “Tatort Stadion” [Crime at the stadium] in cooperation with the Bielefeld Fan Project. This was exhibited in Bielefeld’s Schüco Arena in February 2011. With illustrated charts and speeches, the exhibition highlighted everyday discrimination in football. About 120 guests attended the opening, including Wilfried Lütkemeier the former vice-president of DSC Arminia, Bielefeld’s top football team. ‘There is a long tradition of research on dialogue at the IKG’, says Martin Winands. ‘Once we find something out, then we present it to the fan projects, the police, and those responsible in the stadiums’. However, things don’t just stop with a presentation. Andreas Zick is a member of the scientific advisory board of the German Football League (DFL). The board and the DFL organize annual regional conferences at which they bring together all those responsible for safety in football including both national and regional police forces. ‘The data indicate that the last season was the most violent for many years‘, Zick notes, ‘more police operations, more injured’. The example of homophobia – a hostile attitude towards homosexuals – shows that the norms in society at large are not always effective in football. ‘Society shows a clear decline in homophobia’, Winands adds. ‘Football has spaces in which these discriminations can emerge in a ritualized form’. However, Winands warns against generalizations: ‘People are quick to take one scenario and generalize it to all scenarios, thereby overlooking the variety of groupings’. Because Germany lacks any established research on football that does more than describe situations, a good theory is often lacking in practice. ‘The football clubs see that there is violence and conflict, and they want to clear this up. However, they don’t always see the backgrounds‘, according to Zick, ‘and this is exactly where we offer our help’. Zick and Winands are convinced that most conflicts are still not really understood. Incidents between fans and the police can lead to a breakdown in communication lasting for years. ‘If too much

Neues Forschungsprojekt zur EM Aus wissenschaftlicher Sicht finden es Zick und Winands unprofessionell, sich über konkrete Vereine auszulassen. „Wahrnehmungsverzerrungen sind oft an unsere Gruppenmitgliedschaften gebunden“, sagt Zick. Er stammt aus dem Ruhrgebiet und weiß aus persönlichen Erfahrungen, dass eine akademische Diskussion schnell zum Erliegen kommt, sobald konkrete Vereine oder Spiele benannt werden. Mit 14 sah sein Verhältnis zum Fußball noch anders aus, als er in einer Eck-Kneipe in Essen plötzlich dem ehemaligen Fußballprofi Willi „Ente“ Lippens gegenüberstand. „Als ich Ente damals die Hand gegeben habe, war das wie eine Erleuchtung“, schwärmt Zick, der jede Bindung an Vereine aufgegeben hat. „Aus heutiger Sicht ein interessantes psychologisches Phänomen.“ In der jüngsten Erhebung der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ beobachten die Mitarbeiter des IKG einen Anstieg von Fremdenfeindlichkeit sowie der Abwertung von Behinderten oder Langzeitarbeitslosen. Beim Profi-Fußball hingegen sei offene Fremdenfeindlichkeit stark zurückgegangen. Einerseits seien Stadien zu Hochsicherheitstrakten geworden, andererseits hat ein Umdenken in der Fanszene stattgefunden. „Untere Ligen sind da immer noch stärker betroffen“, sagt Winands, der seine Forschungsergebnisse oft auch mit Studierenden diskutiert. Sein Seminar in diesem Semester heißt: „Brennpunkt Fußball: Rechtsextremismus und Gewalthandlungen im Fokus?“

time goes by, it becomes hard to ascertain the roots of the conflict. A heavy-handed police intervention in football often develops a strong historical significance for the fans’, says Zick. Such decisive events become almost mythical and go on to trigger a series of new problems. New research project on the European Football Championship From a scientific perspective, Zick and Winands consider it to be unprofessional to talk about individual clubs. ‘Distorted perceptions are often linked to our group memberships’, says Zick. He comes from the Ruhr valley, and he knows from personal experience that academic discussions soon come to a standstill once specific clubs or matches are named. At the age of 14, he had a different relationship to football when he suddenly found himself face to face with the former professional footballer Willi ‘Ente’ Lippens in a local pub in Essen. ‘When I shook Ente’s hand then it was like an inspiration’, Zick enthuses, although he has given up any ties to specific clubs. ‘An interesting psychological phenomenon from today’s perspective‘. In the most recent wave of the longitudinal study ‘Group-focused enmity’, the researchers at the IKG are observing an increase in racism as well as negative attitudes towards the disabled or long-term unemployed. In professional football, in contrast, there has been a strong decline in overt racism. On the one hand, stadiums have been turned into high-security wings; on the other hand, views have changed in the fan scene. ‘The lower leagues are still more exposed’, says Winands, who often discusses his research findings with students. This term, his course is entitled ‘Flashpoint football: A focus on right-wing extremism and violence?’

Mit Bannern setzen sich Fans von Werder Bremen gegen Diskriminierung von Homosexuellen ein. // Werder Bremen fans raise banners against the discrimination of homosexuals.

BI.RESEARCH // CONFLICT RESEARCH

Zick und Winands sind überzeugt, dass die meisten Konflikte noch nicht richtig verstanden wurden. Vorfälle zwischen Fans und der Polizei können dazu führen, dass über mehrere Jahre die Kommunikation gänzlich eingestellt wird. „Wenn zu viel Zeit vergeht, kann man die Wurzel des Konfliktes nur noch schwer ermitteln. Ein harter Polizeieinsatz hat im Fußball für die Fans oft eine große historische Bedeutung“, sagt Zick. Solche einschneidenden Ereignisse würden geradezu mythisch aufgebaut und lösen eine Kette von neuen Problemen aus.

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// IMPRESSUM

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Die weiteren Abbildungen wurden von den beteiligten Wissenschaftlern sowie von Norma Langohr und Peter Hoffmann (Referat für Kommunikation) zur Verfügung gestellt.

Erscheinungsweise: zweimal jährlich

ISSN: 1863-8775

Mitarbeiter dieser Ausgabe: Ruth Beuthe (rb), Jens Burnicki (jb), Robert B. Fishman (rbf), Sabine Schulze (sas) Übersetzungen: Jonathan Harrow Designkonzept und Realisation: Artgerecht Werbeagentur GmbH Layout: Sarah Aubele, Goldstraße 16-18, 33602 Bielefeld Tel. 0521 9325630, Fax 0521 9325699 E-Mail: [email protected], www.artgerecht.de

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