DIE PROLITTERIS IST EINE SELBST- HILFEORGANISATION

28 Gazzetta 55 | 2 0 1 4 interview von stefan keller und jacques scherrer DIE PROLITTERIS IST EINE SELBST­ HILFEORGANISATION Ernst Hefti über sei...
Author: Kai Krämer
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interview von stefan keller und jacques scherrer

DIE PROLITTERIS IST EINE SELBST­ HILFEORGANISATION Ernst Hefti über seine vierzig Jahre bei der ProLitteris und über die Herausforderungen der Zukunft

e r n s t h e f t i , s t e fa n k e l l e r , geb. 1947, schloss im Somgeb. 1958, Journalist und mer 1973 an der Universität Historiker, ist als Vertreter der Gewerkschaft Zürich das Studium der Syndicom Mitglied des Rechtswissenschaft ab, trat Vorstandes und Vizepräsi­ im September 1973 in den dent der ProLitteris. Rechtsdienst der s u i s a ein, promovierte 1976 und erhielt 1978 das Anwaltspatent. j a c q u e s s c h e r r e r , 1982 wurde er Direktor der geb. 1952, ehemaliger Verleger und heute GeschäftsProLitteris. führer der Association Suisse des Diffuseurs, Editeurs et Libraires (a s d e l ), ist Mitglied des Vorstandes der ProLitteris.

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Ernst Hefti, die ProLitteris wird vierzig Jahre alt. Sie waren von Anfang an als Direktor dabei, und jetzt werden Sie pensioniert. Was ist das für ein Lebenswerk, das Sie Ihren Nachfolgern übergeben?

Ich muss korrigieren, ich war nicht von Anfang an als Direktor dabei. Diese Funktion übernahm ich erst 1982, als die ProLitteris schon achtjährig war. Aber ich habe tatsächlich die Gründung miterlebt – als Angestellter der su i sa, die mich beauftragte, die Entwicklung der ProLitteris zu begleiten oder überhaupt zu ermöglichen. Ja, die ProLitteris ist mein Lebenswerk, und ich habe in den vierzig Jahren eine sehr enge Beziehung zu diesem Unternehmen entwickelt – fast wie zu einer Familie. Es gibt ja Menschen, die verfolgen klare und dauerhafte Linien in ihrem Privatleben, aber im Beruf wechseln sie immer wieder den Job. Bei mir war es genau umgekehrt: Direkt nach dem Abschluss meines Studiums bin ich 1973 zur su i sa gekommen und habe dort ab 1974 für die ProLitteris gearbeitet. Dafür war mein Privatleben umso wilder.



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Worauf sind Sie stolz? Was zeichnet das Unternehmen aus?

Die ProLitteris macht ja dasselbe, was andere Verwertungsgesellschaften auch tun, nämlich Geld einziehen und verteilen. Das ist keine besonders originelle Tätigkeit, obwohl früher manche Leute sagten, dass wir dieses Geld für die Berechtigten von der Strasse aufgelesen hätten: Geld, das dort schon herumlag, das man zuvor nur nicht gesehen hatte. Stolz bin ich aber vor allem darauf, dass ich in der ProLitteris einen eigenen Stil entwickeln konnte. Dieses Haus beispielsweise, in dem die ProLitteris ihren Sitz hat, habe ich mitgestaltet, das ganze

Erscheinungsbild, das Image der ProLitteris wurde von mir beeinflusst. Die ProLitteris darf nicht einfach nur eine Inkassogesell­ schaft sein, sie hat viel mit Kultur zu tun, und das ist – so denke ich – auch von aussen sichtbar.



Wie kam es zur Gründung der ProLitteris?

Es war eine späte Geburt im Vergleich zum Ausland. Die erste literarische Ver­ wertungsgesellschaft hatte ja schon Honoré de Balzac mit Schriftstellerkollegen im 19. Jahrhundert gegründet – die Société des Gens de Lettres in Paris, die es heute noch gibt. In Deutschland gab es die vg Wort, in Italien die Società Italiana degli Autori ed Editori (s iae), in Österreich die lvg, die heutige Literar-Mechana. In der Schweiz haben sich die Literaten schwer getan. Hier gab es nur die su i sa, welche die Rechte der Komponisten, Textdichter und Verlage im Musikbereich wahrnahm. Als in den 1960er Jahren das Fotokopieren aufkam, konnte man plötzlich urheberrechtlich geschützte Werke sehr leicht kopieren, ohne dafür bezahlen zu müssen. Zahlreiche Verlage und einige Schriftsteller waren besorgt, sodass zwischen dem Schweizerischen Schriftsteller­ verband und der su i sa erste Gespräche stattfanden. 1971 bereitete die suisa eine Gründungsversammlung vor, die dann allerdings scheiterte. Die Statuten waren schon entworfen, viele Verleger und Schriftsteller kamen an die Versammlung im Casino Zürichhorn, Vertreter von ausländischen Gesellschaften waren ebenfalls eingeladen. Doch dann gab es grossen Widerstand. Die Mehrheit der anwesenden Schriftsteller

befürchtete, dass sie mit einer Verwertungs­ gesellschaft die Macht über ihre Werke verlieren würden. Viele Verleger stiessen ins gleiche Horn und warnten die Autoren vor dem Verlust ihrer Selbständigkeit. Die Gründung wurde abgeblasen. Zwei Jahre später unternahm Hermann J. Stern, der damalige Chef des Rechtsdienstes der su i sa, einen zweiten Anlauf. In der Zwischenzeit hatten neue Gespräche stattgefunden. Ich war seit meinem Eintritt in die su i sa im Herbst 1973 daran beteiligt. Am 19. Sept­ember 1974 gelang die formelle Gründung. Es waren sechs Schriftsteller und drei Verleger dabei: Hans Mühlethaler, Manfred Schwarz, Arnold Schwengeler, Otto Steiger, Ernest-François Vollenweider, Otto F. Walter, Hans Christof Sauerländer, Peter Oprecht und Anton Hegglin.



Also zunächst eine reine Deutsch­ schweizer Angelegenheit?

Ja. In der Westschweiz gab es schon seit 1947 eine Sektion der französischen sacd, der Société des Auteurs & Compositeurs Dramatiques, die das französische Reper­ toire dramatischer Werke wahrnahm und in

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der Schweiz ein ziemliches Gewicht hatte. Im Zusammenhang mit der neu eingeführten Bewilligungspflicht für die Verwertung des Weitersenderechts gründete die sac d 1981 eine neue Gesellschaft, die Cablauteurs, und später eine schweizerische Genossen­ schaft, die Société Suisse des Auteurs (ssa). Bei der ProLitteris dauerte es etwa zwei Jahre, bis die ersten Romands eintraten. Zurzeit haben wir rund 1300 Mitglieder aus der französischsprachigen Schweiz. Auf­ grund einer Vereinbarung brauchen Mitglie­ der der ssa allerdings nicht auch noch Mitglieder bei der ProLitteris zu sein, um ihre Reprografie- und Netzwerk-Entschädi­ gungen erhalten zu können.

glied sind und mit denen wir direkt verhandeln können. Erst als die ProLitteris grösser wurde, hatten wir die nötige Macht, um einen ersten Senderechtstarif zu vereinbaren.



Das Geld lag auf der Strasse, wurde gesagt. Wie war die Situation rechtlich?

Zu Beginn war das Senderecht am wichtigsten. 1974 erhielt die su i sa ungefähr 4.7 Millionen Franken pro Jahr für die Senderechte von Komponisten, Textdichtern und Verlagen im musikalischen Bereich. Für die Sendungen literarischer Werke zahlte die s rg jedoch nur etwa 50 000 Franken im Jahr. Und zwar völlig nach eigenem Gutdünken. Die srg spielte die Autoren gegeneinander aus. Ein Max Frisch oder ein Friedrich Dürrenmatt bekamen viel Geld, einem unbekannten Autor wurde oft gar nichts bezahlt.



Wovon lebte die Gesellschaft bis dahin?

Die ersten zwei Jahre, also von 1974 bis 1976, waren wir hauptsächlich damit beschäftigt, Mitglieder anzuwerben, damit wir anschliessend mit der SRG und anderen verhandeln konnten. Das kostete nicht viel, der finanzielle Aufwand wurde von der su i sa getragen, ich war der einzige Angestellte.



Gleichzeitig mit der ProLitteris war unter dem Dach der suisa noch eine zweite Ge­s ellschaft gegründet worden, die Teledrama. Was war ihre Aufgabe?

Bei der Gründung der ProLitteris gab es einen Konflikt ums Senderecht. Die Buchverlage waren damals bereit, das Senderecht an die ProLitteris abzutreten. Die Bühnen- und Musikverlage wollten aber diese Rechte selber verwalten und nur das Recht des öffentlichen Sendeempfangs abtreten. Eine Einigung war nicht möglich, sodass wir zwei Gesellschaften gründen mussten. Beide übrigens am selben Tag: Mit zwei Vorständen und zwei Präsidenten. Das war 1974. Zwei Jahre später zogen wir zum ersten Mal Geld ein für den öffentliDie srg konnte das selber bestimmen? chen Sendeempfang. Wir bekamen 270 000 Ja. Und solange wir noch wenige Franken, aber wir konnten das Geld nicht Mitglieder hatten, war es auch schwierig, verteilen, weil wir nicht wussten, wem es gemit ihr zu verhandeln, denn die s rg sagte: hörte: Dazu hätten wir Sendemeldungen Wir brauchen die ProLitteris nicht, es gibt gebraucht, doch es gab in diesem Jahr noch genügend Schriftsteller, die dort nicht Mitkeinen Vertrag mit der s rg. Erst 1978 erhielt die ProLitteris auch die Sendemel­ dungen und konnte zum ersten Mal verteilen, nun waren es 1.1 Millionen.





Alles Geld der ProLitteris kam von der srg?

Der grösste Teil kam von der s rg, und zwar über den Tarif A der su i sa. Den Rest bildeten Vergütungen für den öffentlichen Sendeempfang, die wir aus dem Tarif Ab, dem späteren Gemeinsamen Tarif 3a, erhielten. Gegen Ende der siebziger Jahre brach ein Konflikt um das Weitersenderecht aus: Radio- und Fernsehpro­

gramme wurden inzwischen neu über Kabel in die Haushalte verbreitet. Die Kabelgesell­ schaften verdienten Millionen, indem sie ausländische Fernsehprogramme empfingen und weitersendeten. Sie verlangten dafür relativ hohe Gebühren, von denen die Urheberinnen und Urheber, Produzenten, Verlage und Sendeanstalten nichts bekamen. Der or f reichte deshalb etwa zeitgleich mit der su i sa gegen die Kabelgesellschaft Rediffusion eine Klage ein und führte einen Musterprozess vor Bundesgericht. Am Ende wurden das Weitersenderecht und die Ansprüche der Berechtigten bestätigt. Von jetzt an mussten auch die Kabelgesellschaften Vergütungen bezahlen.



1982 haben sich ProLitteris und Teledrama von der suisa getrennt. Weshalb?

Unter dem Dach der su i sa gab es vier Gesellschaften: einerseits die ProLitteris und Teledrama, andererseits die su i sa und die Mechanlizenz – eine Schwestergesell­ schaft der suisa für Tonträgerauf­nahmen. Der Direktor aller vier Gesellschaften hiess Ulrich Uchtenhagen, ich war Direktions­ sekretär, Chef des Rechtsdienstes und Protokollführer bei den Vorstandssitzungen aller vier Gesellschaften. Mit der Zeit häuften sich die Konflikte zwischen der Geschäftslei­ tung der su i sa und den Vor­ständen der ProLitteris und der Teledrama, zur Haupt­ sache wegen unterschiedlicher Vorstellungen über die Konzessionserteilung für das Wahrnehmen des Weitersenderechts. Die Situation eskalierte in der Sitzung vom 3. Mai 1982, weil die ProLitteris und Teledrama mit einem Vorstoss der su i sa zur Verwer­ tungsgesetzgebung nicht einverstanden waren. Ich kam dorthin und merkte schnell, dass sich etwas zusammenbraute. Der Sekretär der Gruppe Olten, Hans Mühlethaler, und der Verleger Hans Christof Sauerländer hatten sich abgesprochen. Ulrich

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Uchtenhagen ärgerte sich, weil ihm deren Forderungen nicht passten. Es wurde etwas laut, und Sauerländer sagte den entscheidenden Satz: «Jetzt haben wir genug von dieser Scheiss-su i sa!» Ich habe das so protokolliert. Ulrich Uchtenhagen sagte: «Das lasse ich mir nicht bieten! Herr Sauerländer muss sich entschuldigen!», worauf der Präsident der Teledrama, der Schriftsteller Manfred Schwarz, erklärte: «Hier kann jeder reden, wie er will.» Nun stand Uchtenhagen auf und sagte: «Wir von der Verwaltung verlassen das Sitzungszimmer!» Wir waren etwa vier oder fünf Angestellte, wir sind aufgestanden, haben den Raum verlassen und sind hinter Uchtenhagen hergegangen wie so eine Schar Enten. Er zuvorderst, ich zuhinterst, den Gang entlang in Richtung seines Büros. Auf der Hälfte des Weges dachte ich: «Wieso gehe ich da eigentlich mit? Die andern haben ja recht.» Ich kehrte also um und ging wieder ins Sitzungszimmer. Dort fragten sie: «Was willst du hier?» – «Ich muss ja noch das Protokoll fertig schreiben und ich drei kleine Büroräume in Zürich-Enge und finde, dass ihr recht habt!» fingen dort mit drei Angestellten an. Wir An diesem Tag kam es zur überraschenwaren jetzt völlig unabhängig von der su i sa. den Trennung von der su i sa: Direktor Noch im selben Jahr habe ich den Vor­Uchtenhagen wurde abgesetzt, die Geschäfts­ ständen von ProLitteris und Teledrama naheführung der ProLitteris und Teledrama gelegt zu fusionieren, denn zu neunzig wurde mir anvertraut. Prozent hatten die beiden Gesellschaften dieselben Mitglieder. Und weil ich wusste, ProLitteris und Teledrama waren ab dass die su i sa eine Bildverwertungsgesellsofort unabhängig? schaft gründen wollte, schlug ich vor, die Uchtenhagen hatte zwar schon früStatuten so zu ändern, dass auch die bildenher erklärt, die beiden Gesellschaften müssden Künstler und Fotografen bei uns einten sich abnabeln von der su i sa. Aber das treten konnten. Im Dezember 1982 gab es war so, wie es oft bei Müttern geschieht, die zwei ausserordentliche Generalversammlun­ solche Dinge zwar sagen, aber die Kinder gen, die praktisch einstimmig beschlossen doch nie gehen lassen. Nach der denkwürdi­ zu fusionieren. Die neue Gesellschaft hiess die gen Sitzung vom Mai 1982 mieteten wir ersten zwei Jahre ProLitteris-Teledrama, nachher nur noch ProLitteris.





Nun gehörten also auch die bildenden Künstler dazu. Ist das Verwerten von Bildrechten nicht eine ganz andere Aufgabe als das Verwerten von Texten?

Rechtlich gibt es kaum einen Unterschied. Allerdings wurden die Werke der bildenden Kunst und Fotografie nicht so stark genutzt wie literarische und dramatische

Werke. Radio fiel sowieso weg, und im Fernsehen waren die Nutzungen und damit die Erträge sehr bescheiden. Das Folgerecht war in der Schweiz unbekannt, das Fotokopier­ recht gab es noch nicht so wie heute – eigentlich blieb für die bildenden Künstler nur das Reproduktionsrecht als Einnahmequelle. Trotzdem wollten wir zumindest einen Fuss in der Türe haben und verhindern, dass für die Bildverwertung eine eigene Gesell­ schaft gegründet wurde. Sie hätte sich auch gar nicht tragen können. Bis heute ist es so:

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Die von der ProLitteris abgedeckten Verwendungen der Werke der bildenden Kunst und der Fotografie sind viel bescheidener als jene der Texte.



Wie war das Verhältnis des Vorstandes zum neuen Direktor? Hat man Sie einfach machen lassen?

Damals, in der Sitzung vom 3. Mai 1982, wurde ich gefragt: «Kannst du das?» Und ich sagte: «Ja, natürlich!» Ich war davon überzeugt, dass ich es konnte. Aber in den ersten ein, zwei Jahren war es manchmal etwas mühsam mit den Vorstandsmitglie­ dern. Sie waren recht kleinlich, haben Überwachungsgremien gegründet …



... um den Direktor zu überwachen?

Nein, um die Geschäftstätigkeit zu überwachen. Wir hatten ja schnell einen sehr grossen Erfolg. Von einer Million ging es auf fünf Millionen, dann auf acht. Plötzlich war da sehr viel Geld, und sie wollten eben genau wissen, wie das verteilt wird, was ja durchaus ihr Recht – nein – ihre Pflicht war. Im Grossen und Ganzen hatte ich aber all die Jahre ein sehr gutes Verhältnis zu den Vorständen, egal in welcher Zusammen­ setzung. Wenn ich das vergleiche mit anderen Gesellschaften …





Grundlegende Konflikte gab es nie?

Doch, es gab einmal einen sehr grundlegenden Konflikt, und zwar 1984 mit dem damaligen Präsidenten. Wir hatten zuvor ein gutes Verhältnis miteinander. Doch als die ProLitteris 1982 für die bildenden Künstler geöffnet wurde, sahen der Präsident

und einige seiner Gefolgsleute darin eine grosse Gefahr. Sie fürchteten, dass nun Tausende Hobbymaler in die ProLitteris kämen und die «echten» Urheber – also die literarischen Autoren und Autorinnen – verdrän­gen oder über sie bestimmen könnten. Für die Generalversammlung wurden deshalb Anträge vorbereitet, die darauf abzielten, die bildende Kunst wieder aus der ProLitteris zu verbannen. Ich schlug dagegen ein Kammersystem vor, das heute noch in den Statuten verankert ist: Die Kammer a1 für die Schriftsteller, a2 für bildende Künstler und a3 für die Journalisten und wissen­ schaftlichen Autoren. Bei bestimmten Abstimmungen müssen alle Kammern mehrheitlich zustimmen – damit nicht die eine Gruppe die andere beherrscht. Das wurde von der Generalversammlung akzeptiert, und die bildende Kunst konnte bleiben. Etwas später kam dieser Präsident plötzlich mit der Idee, dass das Foto­ kopierrecht nicht in die ProLitteris gehöre. Dafür müsse eine neue Gesellschaft ge­­grün­d et werden. Ich habe bis heute nicht verstanden, aus welchen Gründen er das wollte. Dem übrigen Vorstand war klar: Das Reprografierecht hatte die ProLitteris erst auf einen gesunden finanziellen Boden gestellt. Nur der Präsident stemmte sich dagegen, und so kam es zu einer wirklich grossen Auseinandersetzung in einer Vorstandssitzung. Dort habe ich gesagt:

«Entweder geht der Präsident, oder ich gehe. Ich kann so nicht mehr weiterarbeiten.» Das war sehr spontan von mir und nicht geplant. Der Vorstand hat sich dann hinter mich und gegen den Präsidenten gestellt.



Hat sich die Rolle des Vorstands im Lauf der Jahre verändert?

Wie gesagt, in den ersten zehn Jahren mischte sich der Vorstand stärker auch in kleine operative Sachen ein und war etwas misstrauisch. Es war aber auch alles noch neu, ich genoss noch nicht so das Vertrauen des Vorstands wie in den späteren Jahren. Zudem sah ich sehr jung aus, was ein Nachteil war. Ein Vorstandsmitglied meinte:

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«Der kann doch gar nicht verhandeln, der sieht ja aus wie ein Lehrling, den nimmt man nicht ernst!» Mit der Zeit erkannten sie, dass ich es doch konnte; der Vorstand wandte sich vom Operativen ab und dem Strategischen zu. Heute versteht sich der Vorstand hauptsächlich als strategisches Gremium. Über mangelndes Vertrauen kann ich mich schon sehr lange nicht mehr beklagen.

sprach mich auf einer General­versammlung an und sagte, er habe verschie­d ene Fragen zum Urheberrecht von Robert Walser. Wir trafen uns und besprachen diese Fragen. Er brachte mich auch mit Siegfried Unseld vom Suhrkamp-Verlag zusammen, wegen Problemen mit Verlagsverträgen. Daran war In den Medien sind dann auch Sie selnichts Aussergewöhnliches, wir haben ber heftig in die Kritik geraten. Ein Mitglieder oft in dieser Art beraten. Jahre wiederkehrendes Thema war Ihr hohes später rief mich Herr Fröhlich an und Gehalt. fragte, ob ich mit meinen Kenntnissen nicht Stiftungsrat der Carl-Seelig-Stiftung werden Wenn man sich die vierzig Jahre möchte. Ich zögerte nicht, denn Robert meiner Tätigkeit anschaut, waren es Walser mag ich sehr, und der Vorstand war nur die letzten fünf Jahre, in denen dieses damit einverstanden. Etwa drei Jahre späThema besprochen wurde. ter wurde ich auch Stiftungsrat der ConinxStiftung – Fröhlich war dort ebenfalls Es begann schon etwas früher. Zum Präsident. Wieder habe ich den Vorstand geBeispiel mit einem Bericht in der fragt, wieder sagte er: «Kein Problem!» «Weltwoche» im Jahr 1999, der Ihnen Nachdem Elio Fröhlich 1991 gestorben war, allerhand Machenschaften vorwarf. wählten mich die Coninx-Stiftung und Ja, es erschien eine ganze Seite in der die Carl-Seelig-Stiftung zum Präsidenten, «Weltwoche», damals noch im grossen was mich natürlich freute. Zeitungsformat, mit dem Titel «Der Kultur- Es gab übrigens noch eine dritte Stiftung, baron». Dieser Bericht wurde ausgelöst die Fröhlich präsidierte: die Steinbergdurch die Kündigung des damaligen Stiftung. Sie war von zwei Schwestern ge«Gazzetta»-Redaktors. Er war angezettelt ... gründet worden, den Besitzerinnen des Steinberg-Verlags, die ein Haus in Zollikon ... von der entlassenen Person? hinterliessen. Zweck der Stiftung war es, dieses Haus für Schriftsteller zur Verfügung Ja, und es ging nicht um mein Gezu stellen. Nach Fröhlichs Tod fragte halt, sondern um den Vorwurf, ich sei mich auch die Steinberg-Stiftung an, und ein extrem autoritärer, diktatorischer Chef, so wurde ich dort ebenfalls Präsident. der willkürlich mit dem Personal umgehe. Es ging auch um meine Tätigkeit bei der CarlSeelig-Stiftung, bei der ich als Präsident ebenfalls jemand entlassen hatte.



Durch die Arbeit der ProLitteris wurden riesige Geldströme ausgelöst. Was sagten jene, die zahlen mussten?

Eine wichtige Zäsur in der Geschichte der ProLitteris war das Jahr 1995. Nach dem Inkrafttreten des neuen Ur­he­ber­rechtsgesetzes konnten wir schweizweit den Vergütungsanspruch für das Fotoko­pie­ ren geltend machen. Zuvor wurde die ProLitteris auf der Nutzerseite praktisch nicht wahrgenommen. Niemand hatte uns jemals öffentlich angefeindet, und ausser bei den Mitgliedern, bei der s rg und den Kabelgesellschaften waren wir völlig unbekannt. 1995 aber mussten wir etwa 150 000 Rechnungen verschicken, weil das Parla­ ment auf diesem unsäglichen Inkassosystem bestand – im Gegensatz zu Deutschland, wo die Fotokopiervergütung über eine Geräteabgabe eingezogen wird. Wir waren also gezwungen, jede Firma, jeden Betrieb, jede Verwaltung und jede Schule in der Schweiz anzuschreiben, um die Vergütungen direkt dort einzuziehen. Das war eine üble Zeit, hauptsächlich für die Angestellten, die diese Rechnungen ausstellen mussten. Wir wurden mit schlimmsten Schmähbriefen eingedeckt, es gab sogar zwei Bomben­ drohungen. Leute kamen in unsere Büros, bedrohten die Empfangsdame. Ich wurde mehrmals mitten in der Nacht zuhause angerufen und es hiess: Du bist ein Schwein, ein Arschloch und so weiter – es war wirklich schlimm, und das dauerte mehr als zwei Jahre. Wir hatten keine Wahl, wir mussten das Geld einziehen, dafür hatten

wir nicht nur eine Bewilligung, sondern eigentlich fast einen Auftrag des damaligen Bundesamtes für geistiges Eigentum. Aber die Nutzer haben das nicht verstanden. Viele waren der Meinung, ich hätte diese Fotokopiervergütung persönlich erfunden.







Ihre Stiftungstätigkeit war dann noch mehrmals Gegenstand kritischer Zeitungsartikel. Bei der Carl-SeeligStiftung, aber vor allem bei der ConinxStiftung.

Ich war Präsident der Carl-SeeligStiftung, die heute Robert-Walser-Stiftung heisst, und ich war Präsident der ConinxStiftung. Der Vorstand der ProLitteris war damit einverstanden.



Wie kam es dazu?

Die Carl-Seelig-Stiftung war Mitglied der ProLitteris, weil sie die Urheber­ rechte und den Nachlass von Robert Walser besass. Der damalige Präsident, Elio Fröhlich,

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Die Steinberg-Stiftung hatte allerdings überhaupt kein Geld, nur dieses Haus. Mir schien es daher sinnvoll, sie mit einer anderen Stiftung zu fusionieren, die mehr Geld besass und einen ähnlichen Zweck verfolgte. So löste sich die SteinbergStiftung auf, das heisst, sie fusionierte mit der Forberg-Stiftung, in deren Stiftungsrat ich aber nie gewesen bin. Der Wirbel um die Coninx-Stiftung, diese Anfeindungen in den letzten Jahren gingen von der Familie Coninx aus ...



... und plötzlich stand der Direktor der ProLitteris extrem im Fokus der Medien. Hatten Sie, rückblickend gesehen, vielleicht auch Fehler gemacht?

Wenn ich heute zurückblicke, hätte ich mich vielleicht nicht in diese Stiftungen wählen lassen sollen, jedenfalls nicht als Präsident. Ich habe das schwierige und feindliche Umfeld falsch eingeschätzt, und die Medien haben diese Tätigkeit natürlich gezielt mit jener für die ProLitteris vermischt. Dass die ProLitteris mit hineingezo­ gen wurde, hat mich am meisten geärgert.





Zurück also zur ProLitteris und ihrem Jubiläum. Wir haben ein paar Mark­ steine der letzten vierzig Jahre angespro­ chen: Das Weitersenderecht 1982, das Fotokopierrecht 1993, das 1995 umgesetzt wurde, und dann den grossen Moment, als die ProLitteris, medienstrategisch äusserst geschickt, mit 150 000 Rechnungen erstmals in die breite Öffentlichkeit tritt. Gibt es noch weitere Marksteine in der Geschichte?

Der Einführung der Fotokopierver­ gütung voraus ging ein zweiter Muster­ prozess vor Bundesgericht, und zwar gegen die ptt. Nach dem uralten Urheberrechts­

gesetz von 1921, das 1940 leicht revidiert wurde und bis 1993 in Kraft blieb, war das Fotokopieren ohne Einwilligung der Berechtigten verboten. Wir versuchten auf dieser gesetzlichen Grundlage und aufgrund unseres Repertoires entsprechende Verträge mit den Grossnutzern zu vereinbaren. Da dies äusserst schwierig war – man hatte sich an das illegale Fotokopieren ohne Bewil­ ligung längst gewöhnt –, beschloss der Vorstand der ProLitteris, einen Musterprozess anzustrengen, damit die bestehende Rechtslage durch das Bundesgericht bestätigt würde. Wir wählten die ptt aus, und 1985 hat das Bundesgericht der ProLitteris klar recht gegeben. In den folgenden Jahren konnten wir mit der Bundesverwaltung, mit der chemischen Industrie und auch mit Schulen die ersten Verträge fürs Fotokopie­ ren abschliessen. Das war also ein Durch­ bruch noch vor Einführung des Fotokopier­ rechtes.



Hat sich die Entwicklung der ProLitteris von der Entwicklung anderer Urheber­ rechts­g esellschaften stark unterschieden?

Vor allem unterscheiden wir uns von den anderen durch die Heterogenität unserer Mitglieder. Die ProLitteris hat viele verschiedene Urheberinnen und Urheber aus ganz verschiedenen Sparten: Schriftsteller, bildende Künstlerinnen, Juristen, Wissen­ schaftlerinnen, Fotografen, Drehbuchautoren et cetera … unsere Mitgliederstruktur ist weitaus komplexer als jene der anderen Ge-

sellschaften, die deshalb geschlossener auftreten können. Und auch das Fotokopier­ recht ist sehr speziell. Wegen des schwie­ rigen Inkassosystems haben wir einen hohen Spesensatz.



Das wäre die nächste Frage gewesen. Warum haben wir einen höheren Spesensatz als die anderen?

Eben, das hat mit dem komplizierten Inkassosystem zu tun, das uns gesetzlich aufgezwungen wurde …



... sodass die ProLitteris jeden Betrieb mit Fotokopierer einzeln anschreiben muss?

Ja. Ausserdem hat es natürlich mit der Höhe und der Struktur der Einnahmen zu tun. Wir nahmen letztes Jahr 32 Millionen ein und hatten einen Spesensatz von rund 20 Prozent. Hätten wir zehn Milli­o nen mehr eingenommen, dann wäre der Spesensatz bei etwa 15 Prozent. Suissimage nimmt über 100 Millionen ein und hat einen Spesensatz von etwa fünf oder sechs Pro-

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zent. Bei ihnen kommt das Geld fast automa­ tisch in Raten ins Haus. Sie haben praktisch kein Inkasso, müssen kaum Rechnungen schreiben und verschicken. Wenn die ProLitteris 100 Millionen einziehen würde, wäre unser Spesensatz ebenfalls bei sechs Prozent.

und Konsumentenorganisationen haben behauptet, bei den Urheberrechtsgesellschaften fehle die Transparenz. Seither ist die Forderung nach Transparenz ein ständiger Streitpunkt. Liest man unsere Jahresrech­ nung, dann ist dort genau zu sehen, was wir einnehmen und was wir verteilen. Seit fünf, sechs Jahren sind auch die Löhne des Managements im Jahresbericht aufgeführt. Der ständige Ruf der Aufsichtsbehörde nach noch mehr Transparenz ist daher manchmal etwas mühsam.



Hat die ProLitteris im Lauf ihrer Geschichte eigentlich auch einmal den Zug verpasst? Gab es Missgeschicke oder Fehlentwicklungen?

Verpasst haben wir nichts. Eine Verwertungsgesellschaft kann ja ihre Ein­nahmen nicht einfach erhöhen, indem sie neue Rechte erfindet: Sie kann nur das tun, was im Gesetz steht. Und es ist ein langwieriger Prozess, bis neue Vergütungs­ ansprüche für neue Nutzungsarten ins Gesetz aufgenommen werden. Wir haben das Weitersenderecht und das Fotoko­ pierrecht erkämpft, beim Verleihrecht und beim Folgerecht war die politische Situation leider bisher nicht so, dass wir uns durchsetzen konnten. Aber da ist man jetzt wieder dran.



Die ProLitteris ist einer Aufsichtsbehörde unterstellt, die sie streng überwacht. Das Verhältnis ist nicht immer ganz ungetrübt.

Eine Aufsicht ist natürlich nötig, vor allem deshalb, weil wir für unsere Arbeit eine Bewilligung brauchen und eine Monopolstellung eingeräumt bekommen. Es könnte heute niemand eine zweite ProLitteris gründen und dieselbe Tätigkeit ausüben. Dass man uns im Gegenzug für dieses Privileg überwacht, finde ich völlig normal und richtig. Allerdings ist das Institut für Geistiges Eigentum ig e in letzter Zeit politisch unter Druck gekommen. Bestimmte Politiker

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hatten, bekamen auch eine hohe Rente. Es war fast wie bei den Lebensversicherungen: Je mehr man einbezahlt, desto höher werden die Bezüge. Das hat die ProLitteris am Anfang übernommen. Als wir dieses Re­glement geringfügig anpassen wollten, hat sich in der Generalversammlung der Schriftsteller Otto F. Walter gewehrt. Dieses System sei höchst unsolidarisch, sagte er. Es könne nicht sein, dass Leute, die ohnehin gut gestellt seien, noch mehr bekämen, während die wirklich Armen kaum etwas kriegten. Aufgrund des Votums von Otto F. Walter Eine Kontrollaufgabe hat auch der Vorwurde der Vorschlag des Vorstands abgelehnt. stand. Dort sitzen sowohl Vertreter Zum Glück, wie man heute sieht. Walter und Vertreterinnen von Berufsverbänden hat dann bei der Entwicklung des neuen, als auch Vertreter der Unternehmerheute immer noch geltenden solidarischen seite. Wie sinnvoll ist diese Zusammen­ Reglements mitgearbeitet: Mitglieder, setzung? die im ahv-Alter ein steuerbares Einkommen von weniger als 50 000 Franken ausweisen, Es gibt im Ausland Gesellschaften, erhalten von der Fürsorgestiftung eine Rente. die nur Verlage oder nur Urheber vertreJe niedriger das steuerbare Ein­kommen ten. Bei der ProLitteris haben wir von Anfang ist, desto höher die Rente. Also genau umgean vorgeschlagen, beide Seiten hineinzu­ kehrt, als es zuvor war. Natürlich steigt nehmen. Das wurde schliesslich akzeptiert, der Anspruch mit der Höhe der erreichten Entund ich finde, es hat sich sehr bewährt. schädigungen auch, das schon, aber nur Es gibt keine Aufteilungskämpfe zwischen jene Mitglieder erhalten eine Rente, die sie Verlegern und Urhebern, wie man sie im wirklich brauchen. Von der Generalver­ Ausland kennt – mit langwierigen Gerichts­ sammlung wurde das sofort angenommen. verfahren –, wir haben diese Probleme nicht, Otto F. Walter war dann auch viele Jahre oder wir lösen sie intern. Präsident der Fürsorge-Stiftung. Nach seinem Tod übernahm Hugo Loetscher dieses Fahren die Urheber gut damit? Amt. Ja. Und sie können auch nicht über Die Fürsorgestiftung ist völlig unbeden Tisch gezogen werden. Wenn es um stritten? Verteilungsregelungen geht oder um Änderungen der Statuten, muss die Mehrheit Absolut. Auch die Verlage finanjeder einzelnen im Vorstand vertretenen zieren sie mit, obwohl sie nicht davon profiGruppe mit der Änderung einverstanden sein. tieren. Das ist schon einmalig. Wenn die Verleger sagen, sie wollen mehr Geld zulasten der Urheber, und die Urheber lehnen das ab, dann können die Verleger sich nicht durchsetzen. Ich finde, dieses System hat sich sehr bewährt.













Welche Rolle spielt die Generalver­ sammlung? Gab es jemals Entscheide der gv gegen den Vorstand, gegen Geschäftsleitung und Direktion?

Ja, beim Fürsorgereglement. Das erste Fürsorgereglement der ProLitteris war fast identisch mit jenem der su i sa. Es war ein leistungsabhängiges Reglement. Die Mitglieder, die in den Jahren der Zuge­hörigkeit hohe Entschädigungen erhalten

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Die Fürsorgestiftung trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die ProLitteris selber gar kein Vermögen akkumulieren kann …

Vom Gesetz her darf die ProLitteris keinen Gewinn machen, alles muss verteilt werden. Aber das Urheberrechtsgesetz sieht vor, dass ein bestimmter Anteil der Einnahmen für soziale und kulturelle Zwecke abgezogen werden darf. Deshalb gehen zehn Prozent an die Fürsorge­ stiftung, ein Prozent geht an die Stiftung Kulturfonds …



... und der Fürsorgestiftung gehört das ProLitteris-Haus.

Das Haus ist eine Erfolgsgeschichte. Wir sind hier an der Universitätstrasse 100 im Jahr 1982 in ein ganz altes Gebäude eingezogen. Im Erdgeschoss war früher die Metz­gerei Niedermann. 2001 kam der Eigentümer, Herr Niedermann, und fragte mich, ob wir seine Häuser hier kaufen wollten. Er verlangte 9.5 Millionen Franken, was zu viel war. Wir begegneten uns dann während eines Jahres immer wieder, und am Schluss verkaufte er uns die Liegenschaften für 6.1 Millionen. Nach dem Kauf kam das Jahr 2002, ein ganz schlimmes Börsenjahr, und innerhalb der nächsten sechs Monate wäre das stiftungseigene Kapital von 6.1 Millionen, das in Wertschriften angelegt war, auf drei Millionen geschrumpft, wenn wir die Liegenschaft nicht gekauft hätten. Wir hatten also grosses Glück. Zuerst wollten wir die Häuser renovieren, dann kam ich auf die Idee, alles abzureissen und einen Neubau zu wagen. Wir liessen eine Wirtschaftlichkeits­ studie machen, der Stiftungsrat beschloss den Neubau, was sich als eine ganz ausserge­ wöhnliche Lösung herausgestellt hat: Das Haus gehört der Fürsorge-Stiftung, die

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ProLitteris bezahlt eine halbe Million Mietzins pro Jahr. Die Stiftung wiederum bezahlt der ProLitteris etwa 300 000 Franken für die Verwaltung der Fürsorgestiftung, ausserdem verzinst sie ein grundversicher­ tes Darlehen, das sie von der ProLitteris erhalten hat, und erhält jedes Jahr 1.2 Millionen aus den Mietzinseinnahmen. Alles bleibt absolut in der Familie.



Die Stiftung bezahlt auch Unterstüt­ zungsbeiträge an Mitglieder, die in Not geraten.

tungen und überhaupt ein gutes, menschli­ ches Arbeitsklima. Und dass man auf die Angestellten eingeht, wenn sie Probleme haben. Wir haben bei uns sehr viele Frauen und nur fünf Männer. Manche sind schon fünfzehn oder zwanzig Jahre hier.





Wir haben jetzt viel über die letzten vierzig Jahre gesprochen. Reden wir zum Schluss noch über die Zukunft. Was sind aus der Sicht des pensionierten Direktors die grössten Herausforderungen für ProLitteris in nächster Zeit?

Ja, auch diese UnterstützungsbeiIch sehe drei wichtige Projekte, von träge sind sehr wichtig. Jedes Jahr gibt denen wir zum Teil schon gesprochen haben. es dreissig, vierzig Mitglieder, die Gesuche Erstens das Folgerecht. Es verlangt, dass stellen, weil sie unverschuldet in Not geradie Künstlerinnen und Künstler, deren Werke ten sind, sei es, dass sie umfangreiche zu höheren als den ursprünglichen Preisen Zahnreparaturen bezahlen müssen, sei es, weiterverkauft werden, einen Prozentsatz dass ihr Atelier abgebrannt oder über­ vom Kaufpreis erhalten. Die Schweiz ist das schwemmt wurde, sei es, dass eine Ope­ration einzige Land in Europa, das noch kein bevorsteht, welche keine Krankenkasse Folgerecht kennt. bezahlt, da das betreffende Mitglied keiner Zweitens das Verleihrecht, auch daran Krankenkasse angehört, und so weiter … wird gearbeitet. Es bedeutet, dass die UrhebeEs gibt äusserst deprimierende Schicksale in rinnen und Urheber bei der öffentlichen der Schweiz, man kann sich das kaum Ausleihe ihrer Bücher eine Entschädigung vorstellen. Die ProLitteris hat in den letzten bekommen. Auch das Verleihrecht ist in 35 Jahren insgesamt etwa 800 Millionen vielen Ländern längst selbstverständlich. Die Franken eingenommen. Die Fürsorgestif­ öffentliche Hand könnte das ohne Weitetung erhielt davon rund sechzig Millionen res finanzieren, im analogen wie im digitalen und hat rund 45 Millionen als soziale Bereich. Unterstützung und in Form von Renten für Die dritte Herausforderung wäre aus bedürftige Mitglieder ausgegeben. meiner Sicht die Einführung einer Flatrate für Text und Bild im Internet. Für Filme ProLitteris hat heute 28 Mitarbeitegeht das nicht, das begreife ich, die Film- und rinnen und Mitarbeiter. Wir haben Musikindustrie kann niemals einer Flatrate den Eindruck, dass die Leute hier gerne zustimmen, weil diese nicht hoch genug arbeiten und relativ lange bleiben. sein wird, um die entgangenen Gewinne zu ersetzen. Hingegen bei Zeitungs- und Das stimmt. 



Gibt es ein Rezept dafür?

Ich habe immer Leute eingestellt und unterstützt, die sehr selbständig arbeiten können. Nicht alle sind dazu fähig, nicht alle wollen das. Aber Leute, denen man jeden Tag sagen muss, was sie zu tun haben, können wir hier eigentlich nicht brauchen. Wichtig sind natürlich gute Arbeitsbedingun­ gen. Angenehme Büros, genügend Platz, damit die Leute nicht zu eng aufeinandersit­ zen. Ausserdem normale, gute Sozialleis­

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Zeitschriftenartikeln, bei Bildern im Internet wäre eine Flatrate sehr wohl möglich. Sie wäre gut für die Nutzer und gut für unsere Mitglieder.







spiel die Entschädigungen für den öffent­ lichen Sendeempfang, welche die Billag für die su i sa einzieht, könnten wir problemlos selber einziehen.



Die Medienwelt verändert sich mit rasender Geschwindigkeit, verschiedene Nutzungsformen überschneiden sich. Viel ist von Kon­­v ergenz die Rede. Wäre es nicht an der Zeit zu über­l egen, ob die Aufteilung in unterschiedliche Verwertungsgesellschaften überhaupt noch der Situation entspricht?

Das ist keine neue Idee. Wir haben das seit der Gründung der ProLitteris immer wieder diskutiert. In der Jubiläums­ ausgabe der «Gazzetta» anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der ProLitteris hat sich der damalige Präsident, Hans Christof Sauerländer, in einem speziellen Artikel über einen möglichen Zusammenschluss aller schweizerischen Verwertungsgesellschaften oder mindestens über eine enge Zusammenarbeit im Bereich Inkasso und it Gedanken gemacht. Die Beispiele im Ausland sprechen jedoch dagegen. In Italien ist die s iae für alle Reper­ toires zuständig, und es funktioniert schlecht. Aus welchen Gründen auch immer. Früher gab es in Belgien ebenfalls eine Gesellschaft, die praktisch alle Repertoires betreut hat, das hat sich auch nicht bewährt und wurde geändert. Die verschiedenen Urheber­ gruppen haben zu unterschiedliche Interes­ sen, um von einer einzigen Gesellschaft verwaltet zu werden. Spezialistinnen und Spezialisten, auch beim ig e, sind der Meinung, dass es nicht funktionieren würde. Wo könnte ProLitteris weiter expan­ dieren?

Ich sagte bereits, die Verwertungs­ gesellschaften können neue Ertragsfelder grundsätzlich nur über Gesetzesänderungen erhalten. Es gibt zwar noch eine andere

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interview mit ernst hefti



Möglichkeit: Wenn uns die Berechtigten, das heisst die Urheberinnen, Urheber und Verlage, bestimmte Nutzungsrechte abtreten, weil sie diese selber nicht wahrnehmen wollen oder können, dann kann die ProLitteris ihr Tätigkeitsgebiet vergrössern. Bei den vergriffenen oder verwaisten Werken zum Beispiel wäre das interessant, die ProLitteris macht sich dazu auch Gedanken. Allerdings: Es gilt immer noch der Grundsatz, dass jene Rechte, welche die Urheber selber wahrnehmen können, auch von ihnen wahrge­ nommen werden sollen. Eine Urheberrechtsgesellschaft sollte nur in denjenigen Bereichen tätig sein, in denen die Urheberinnen und Urheber die Kontrolle und die Wahr­ nehmung ihrer Rechte nicht mehr ausüben können. Die ProLitteris ist eine eigentliche Selbsthilfeorganisation.





Und wenn es nun im Gesetz plötzlich Änderungen geben würde, Flatrates oder ganz neue Vergütungs- und Entschädigungsmodelle, wäre ProLitteris technisch flexibel genug, um sie wahrzunehmen?

Wir sind dazu fast zu sehr bereit. Unsere Infrastruktur, insbesondere die neue it-Struktur, ruft eigentlich nach neuen Verwertungsmöglichkeiten. Unser tech­ nischer Apparat ist wie ein grosser Bagger, der nur die Hälfte des Tages ausgelastet ist und viel mehr arbeiten könnte. Zum Bei-

Eine letzte Frage: Wie sähe das Urhe­b errecht, wie sähen die Verwertungsgesellschaften in einer idealen Welt aus?

Ich würde eine gesetzliche «Ur­ heberrechts-Steuer» einführen: Jede Steuerzahlerin und jeder Steuerzahler bezahlt mit der Steuerrechnung einen Betrag, fünfzig, hundert oder zweihundert Franken. Das ergäbe in der Schweiz eine genügend hohe Summe, dass die Berechtigten an­g emessen für die vielfältige Massennutzung ihrer Werke entschädigt werden könnten. Alle Inkassokosten würden wegfallen. Aufgabe der Verwertungsgesellschaften wäre es noch, die Einnahmen gerecht zu verteilen. Könnte man eine solche Universal-Flatrate ein­ führen, gäbe es wohl zuerst einen Aufschrei der Nutzerinnen und Nutzer, aber nach ein paar Jahren würde es wunderbar funktionieren, alle wären zufrieden.