Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau Der Titel ist Ihnen sicher © Springer Fachmedien Wiesbaden 2017 A. Mahlstedt, Wie Frauen erfolgreich in...
Author: Franz Weber
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Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

Der Titel ist Ihnen sicher

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2017 A. Mahlstedt, Wie Frauen erfolgreich in Führung gehen, DOI 10.1007/978-3-658-14328-2_2

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

Warum gerade jetzt Eigeninitiative nötig ist

Dafür gibt es viele Gründe. Aktuell sind in Deutschland die Karrierechancen für Frauen besser als je zuvor. Zum einen, weil sich der Arbeitsmarkt verändert hat und die Unternehmen im Wettbewerb um die engagierten und gut ausgebildeten Talente stehen. Zum anderen, weil durch das 2015 beschlossene Gesetz zur Einführung einer verbindlichen Frauenquote (zumindest für Aufsichtsratspositionen) das Thema „Frauen in Führung“ verstärkt im Fokus steht. Als Führungskräfte-Coach und Karriereberaterin habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es sich auszahlt, selbst aktiv zu werden. Damit meine ich, sich mit den eigenen Karrierezielen und Stärken in strukturierter Form auseinanderzusetzen. Dafür braucht es Impulse, Struktur und die Möglichkeit, die eigenen Gedanken schriftlich festzuhalten. Alles das finden Sie in diesem Buch. Vor gut 25 Jahren hatte ich das erste Mal selbst die Möglichkeit, mich mit diesem Thema im Rahmen eines Persönlichkeitsentwicklungsseminars auseinanderzusetzen. Die Quintessenzen habe ich damals schriftlich für mich in drei sehr konkreten Sätzen formuliert, die ich in Form eines Lesezeichens viele Jahre lang bei mir getragen habe. Irgendwann aber habe ich das Lesezeichen dann vergessen, und auch der Inhalt war mir nicht mehr konkret im Bewusstsein. Bis ich es dann durch Zufall vor ein paar Monaten wiedergefunden habe. Und was konnte ich dort nachlesen? Ich hatte mir damals vorgenommen, einen Beratungsberuf auszuüben, der mich viel mit Menschen zusammen sein lässt. Gleichzeitig hatte ich dort formuliert, Karriere und Familie möglichst zu vereinbaren, zwei Kinder zu haben, in einer gleichberechtigten Partnerschaft zu leben, finanziell unabhängig zu agieren und viel zu reisen. All das ist eingetroffen, und das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Ich bin davon überzeugt, dass schon damals vor 25 Jahren die Basis dazu gelegt worden ist: indem ich die Möglichkeit hatte, mich mit meinen langfristigen Zielen und Wünschen auseinanderzusetzen. Daraus konnte ich ableiten, was mir hilft und was ich meiden sollte, um diese Ziele eines Tages auch wirklich zu erreichen. Welche persönlichen Stärken ich nutzen und ausbauen wollte und was ich an zusätzlichem Wissen noch aufbauen sollte. Wichtig ist, dass wir wissen, was wir wollen. Viele Frauen können benennen, was Sie nicht wollen, z. B. „keinen Halbtagesjob auf 450-Euro-Basis, in dem nichts für die Rente eingezahlt wird.“ Wenn sie allerdings konkret formulieren sollen, wo ihre Stärken liegen und wie sie diese am erfolgreichsten für ihre Karriere einsetzen wollen, dann tun sie sich oft schwer. Also: Was wollen Sie? Wohin wollen Sie? Was brauchen Sie dazu? Was bringen Sie mit, und wer kann Sie bei Ihrer Karrieregestaltung unterstützen? Machen Sie eine Bestandsaufnahme und planen Sie die nächsten Schritte! Sehen Sie Ihr Ziel vor Augen und spüren die Zufriedenheit, die sich mit der Zielerreichung einstellen wird – mit allen Sinnen!

2.2 Wer bei der Karrieregestaltung immer noch in der Poleposition steht

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2.2 Wer bei der Karrieregestaltung immer noch in der Poleposition steht Ich spreche zwar von „eher männlichen“ und „eher weiblichen“ Verhaltensmustern, werde jedoch kein Stereotyping betreiben. Es ist viel wichtiger, auch in dieser Beziehung voneinander zu lernen, denn wir können durch unterschiedliche Verhaltensmuster sehr voneinander profitieren. In meinen Seminaren fällt mir immer wieder auf, dass ich in reinen Männerrunden viel tiefer auf eher weibliche Verhaltensmuster eingehe und umgekehrt in reinen Frauenseminaren auf eher männliche Verhaltensmuster. Es ist nicht neu, dass Frauen sich häufig weniger zutrauen als Männer. Wenn Personalverantwortliche Frauen fragen, was sie für eine Position mitbringen, ist es nicht selten, dass sie als Antwort die noch fehlende Qualifikation schildern. Männliche Konkurrenten dagegen legen ihren Schwerpunkt auf die bestehende Qualifikation und machen oft sehr selbstbewusst deutlich, dass die noch offenen Punkte (selbst, wenn diese in der Überzahl sind) leicht für sie aufzuholen seien. Doch wie kommt es, dass Frauen viel häufiger als Männer sehr selbstkritisch auf ihre Fähigkeiten schauen? Woher kommt es, dass Ihnen, wenn man Sie nach Ihren Stärken fragt, die eigenen Schwächen viel leichter über die Lippen kommen? Im positiven Sinne könnte man meinen, das weibliche Geschlecht sei selbstreflektierter. Doch wenn es um das Thema „Karrieregestaltung“ geht, dann ist diese kritische Selbstreflexion eine echte Bremse! Wer immer mit der kritischen Brille auf sich selbst sieht, dem wird es schwerfallen, seine Potenziale zu entfalten und vor allen Dingen nach außen zu verkaufen. Und die Vermarktung der eigenen Person ist bei dem Thema „Karrieregestaltung“ ein nicht zu unterschätzender Faktor. Wer hat uns Frauen (und sicher auch einigen Männern) diese kritische Brille überreicht? Wir kommen nicht als unbeschriebene Blätter auf die Welt und sind von klein auf unterschiedlich. Dadurch werden wir unterschiedlich unterstützt und erzogen. Beobachten Sie kleine Kinder beim Spielen, dann lässt sich feststellen, dass Mädchen schon sehr früh in Rollenspielen ihre kommunikativen Fähigkeiten stärken. Hier wird meist verhandelt, wer welche Rolle übernehmen darf. Jungen hingegen legen sehr schnell eine Rangfolge fest, manchmal auch mithilfe körperlicher Überlegenheit. Dabei ist so manche Rangelei kurze Zeit später schnell vergessen, während die Mütter sie hinterher noch für ihre Sprösslinge ausdiskutieren. Das ist kein anerzogenes Verhalten, das scheint uns in den Genen zu liegen (dazu mehr in Abschn. 4.2). Diese Unterschiedlichkeit führt dazu, dass in der Erziehung unterschiedliche Maßstäbe gesetzt werden. Ich glaube nicht, dass das bewusst geschieht, denn inzwischen ist die Pädagogik weit genug fortgeschritten, um die Zusammenhänge zu erkennen. Doch ich behaupte, dass wir unbewusst in unserer Erziehung immer noch so handeln. Welches Attribut wird eher den Mädchen zugeschrieben? Genau, sie sind „fleißig“. Und wenn es dann mal nicht so gut läuft, wird ihnen eher die Kompetenz abgesprochen als Jungen – die waren dann einfach nur faul.

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Abb. 2.1 Erklärung von Erfolgen und Misserfolgen bei Mädchen und Jungen. (Aus [1, S. 48])

Ganz wunderbar hat dieses Phänomen Dagmar Kumbier in ihrem Buch „Sie sagt, er sagt“ [1] abgebildet (Abb. 2.1). Und wohin kommen die fleißigen Mädchen? Sie schaffen oftmals ein gutes Abitur und haben einen noch besseren Universitätsabschluss. Bestens ausgebildet müssten sie doch nun für die Poleposition beim Karrierestart prädestiniert sein. Weit gefehlt. Wer sich seiner eigenen Kompetenzen wenig bewusst ist und sich außerdem nicht traut, diese nach außen hin selbstbewusst zu präsentieren, steht beim Start vielleicht noch Dank der hervorragenden Abschlüsse in vorderster Reihe. Er verliert aber nach einigen Runden schnell an Fahrt – insbesondere in Umfeldern, die eher männlich dominiert sind. Es bringt nichts, hier die „Schuldfrage“ zu klären: Liegt es an den Männern, die die Frauen die Karriereleiter nicht hochkommen lassen? Sind es die Frauen selbst, die sich das Leben schwermachen? Trauen sich die Frauen zu wenig zu? Sinnvoller ist es, lösungsorientiert zu fragen: Was wollen Sie? Was brauchen Sie? Und wer kann Sie unterstützen? Oben angekommen, können Sie die Spielregeln zu Ihren Gunsten verändern. Jetzt geht es erst einmal darum, die Regeln zu verstehen, die Stolpersteine aus dem Weg zu räumen und das Spiel zu Ihrem Spiel zu machen.

2.3 Wer Sie wie unterstützen kann

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Wer Sie wie unterstützen kann

Gewinnen Sie Klarheit darüber, was Sie wirklich wollen. Wenn Sie sich darüber klargeworden sind, dann entwickelt dieses Zielbild einen ganz eigenen Sog. Dazu kommen wir gleich. Legen Sie sich schon einmal einen Stift bereit, damit Sie aktiv werden können.

2.3.1 Karriereziele erreicht man nicht im Hutladen Sie lesen derzeit ein Buch, um Ihre Karriere aktiv voranzubringen. Wie viel Bedeutung hat das Thema derzeit in Ihrem Leben? Wie viele andere Rollen haben Sie aktuell inne? Mit Rollen meine ich Verantwortungen, die Sie übernehmen, sei es als Partnerin, Freundin, Kollegin, Tochter, Mutter, Tante, Schwester, Elternsprecherin, Mannschaftsführerin, Ehrenamtliche usw. Wir werden einer Rolle nur dann gerecht, wenn wir sie ernst nehmen und uns ausreichend auf sie fokussieren. Lothar J. Seiwert [2] spricht in diesem Zusammenhang nicht von Rollen, sondern von verschiedenen Lebenshüten, die wir uns in den verschiedenen beruflichen und privaten Aufgaben aufsetzen. Wir haben im Laufe unseres Lebens viele unterschiedliche Hüte auf dem Kopf. Unterschiedliche Lebensphasen fordern von uns die Besetzung dieser Rollen in unterschiedlicher Intensität ab. Wenn Sie gerade in der Phase der Familienplanung sind, dann wird das Thema „Kinder“ einen großen Platz einnehmen. Sind Sie in einer Phase, in der eine Partnerschaft auseinandergeht und Sie sich neu finden müssen, dann wird das Thema sicher viel Kraft beanspruchen. So haben insbesondere Frauen oftmals das Gefühl, dass Sie gerade jetzt nicht durchstarten können. So betrachtet passt es eigentlich nie! Formulieren Sie die Frage „Wann ist der richtige Zeitpunkt?“ für sich lösungsorientiert um: „Wie kann ich mein Umfeld so gestalten, dass ausreichend Zeit für die eigene Karriere bleibt?“ Gehören Sie auch zu den Menschen, die selten genug Zeit haben, die immer mehrere Hüte auf dem Kopf haben und diese dann auch bis hin zur Perfektion ausleben? Willkommen im Club! Da viele von Ihnen dies aus einem inneren Bedürfnis nach Harmonie heraus tun, ist diesem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet – denn „Everybody’s Darling, everybody’s Depp“! (Dazu mehr in Abschn. 2.4.1.) Wenn Sie dieses Thema bereits Ihr ganzes Leben lang begleitet haben sollte, finden Sie noch weitere Impulse im gleichnamigen Buch von Irene Becker [3]. Klären Sie für sich, welche Rollen für Sie persönlich aktuell Vorrang haben. Was ist im Augenblick wirklich wichtig? Wofür fühlen Sie sich verantwortlich? Und welche dieser Verantwortlichkeiten können Sie auf Erwartungen von außen zurückführen? Welche müssen Sie persönlich wahrnehmen und welche können Sie delegieren, um sich mehr persönliche Freiräume für Ihre Entwicklung zu verschaffen? Beim Thema Delegieren fallen Ihnen gleich einige Rollen und Verantwortlichkeiten ein? Das ist gut, denn Ziel ist es, die aktuellen Hüte, die Sie tragen, zu reduzieren. Die verbleibenden Hüte tragen Sie mit Stolz und gut sichtbar. Schmücken Sie jeden mit einer Feder, schließlich haben Sie sich ja bewusst für diese Hüte entschieden. Gegen Ihren Willen sollte Ihnen ab heute keiner mehr einen Hut aufsetzen (s. Abb. 2.2).

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Abb. 2.2 Wählen Sie Ihre Hüte und Rollen sorgfältig aus

Übung 2.1: Wie gut „behütet“ bin ich?

Meine aktuellen Hüte und Rollen:

Diese Rollen stehen derzeit im Fokus:

Diesen Rollen möchte ich zukünftig etwas weniger Raum geben:

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Dazu werde ich Folgendes delegieren:

Dazu werde ich mir folgende Unterstützung holen:

Diese Hüte möchte ich ganz abgeben:

2.3.2 Ein Freund, ein guter Freund . . . Unterstützen Sie sich selbst! Seien Sie sich selbst der beste Freund, die beste Freundin durch eine veränderte innere Haltung. Schubsen Sie Ihren inneren Kritiker von der Schulter (s. Abb. 2.3)! Hilfreich ist es oftmals auch, Themen der persönlichen Weiterentwicklung mit einem geeigneten Sparringspartner zu besprechen. Schauen Sie sich in Ihrem Umfeld um. Wer ist Ihnen wohlgesonnen und hat genug Expertise, um Ihnen auch mal eine kritische Rückmeldung zu geben? Fragen Sie aktiv nach Feedback und holen Sie sich Rückmeldungen, und zwar nicht nur von Ihrem derzeitigen Chef. Suchen Sie sich dazu unterschiedliche Persönlichkeiten aus, denn diese haben sicher auch unterschiedliche Einschätzungen. Wenn es um die eigene Karriereplanung geht, dann hilft es, wenn jemand mit Ihnen gemeinsam Ihre Stärken reflektiert. Gerade in Deutschland haben wir allerdings eine Kultur, die immer wieder das Augenmerk auf die Entwicklungsbereiche legt. Es gilt, die Schwächen auszumerzen, um noch perfekter zu werden. Meines Erachtens ist es hingegen sinnvoll, sich seiner Stärken bewusst zu werden und diese zu stärken. Dann sind Sie mit Leidenschaft dabei und nehmen den nächsten Schritt auf der Karriereleiter viel leichter. Alles ist eine Frage der Betrachtungsweise: Thomas Edison (1847–1931) antwortete auf die Frage, wie er es geschafft habe, trotz all der gescheiterten Versuche bei der Erfindung der Glühbirne nicht aufzugeben: „Ich bin nicht tausend Mal gescheitert. Ich

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Abb. 2.3 Schubsen Sie Ihren inneren Kritiker von der Schulter

habe tausend Wege gefunden, wie das Licht nicht funktioniert.“ Fehler interpretierte er als Lernprozess auf dem Weg. Erfolg ist das Gesetz der Serie, und Misserfolge sind Zwischenergebnisse. Wer weitermacht, kann gar nicht verhindern, dass er irgendwann auch Erfolg hat (vgl. [4]). Als Personalentwicklerin bekam ich den Auftrag, eine Feedback-Kultur im Unternehmen zu implementieren. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: „FeedbackKultur per Ansage“ – das funktioniert natürlich nicht. Es funktioniert nur, wenn es für die handelnden Personen und die Entscheider eine Selbstverständlichkeit wird, ihrem Umfeld Rückmeldung zu geben. Mir kam damals der Zufall zu Hilfe. Zur gleichen Zeit gab es einen personellen Wechsel in unserer Marketingabteilung. Marketingleiter wurde ein Mensch, der Feedback nicht nur gab und einforderte, sondern für den es eine Selbstverständlichkeit war. Nach jeder Besprechung stellte er seinem Team Fragen wie: Was hat uns weitergebracht? Was hat uns behindert? Was war mein persönlicher Beitrag? Was kann ich beim nächsten Mal besser machen? Er blieb leider nur kurz im Unternehmen, aber er hat bei seinem Weggang Spuren hinterlassen. Feedback war in der Abteilung von nun an kein Fremdwort mehr.

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Übung 2.2: Reflexion eines Misserfolgs

Bitte nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und führen Sie sich eine berufliche Situation aus der Vergangenheit vor Augen, die Sie als Misserfolg erlebt haben. Was genau habe ich in der Situation getan?

Wie ging es mir? Bitte machen Sie sich ein paar Stichpunkte dazu.

Was habe ich danach über die Situation gedacht? Was hat mein innerer Kritiker zu mir gesagt?

War das wirklich wertschätzend und hilfreich? Was hätte ein guter Freund in einer solchen Situation gesagt? Was hätte mir wirklich weitergeholfen?

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Wie sollte ein kritisches Feedback ausgesprochen werden? Laut Lehrbuch möglichst konkret, sachlich und positiv formuliert. „Konkret“ heißt, dass mein Gesprächspartner vor seinem inneren Auge gewissermaßen einen Film laufen hat. „Sachlichkeit“ ist das Gegenteil von „Emotion“ und „positiv“ das Gegenteil von „negativ“. Aber das wissen Sie ja längst. Hilft Ihnen das immer weiter? Ich behaupte: Nein! Diese Regeln sind hilfreich, wenn ich immer gleich die Schuldfrage zu klären versuche, Schuldzuweisungen mache und es mir selten gelingt, die emotionale Ebene im Gespräch zu verlassen. Ein guter Freund darf sich mal über mich ärgern, auch mal so richtig wütend werden oder enttäuscht sein. Wichtig ist allerdings, dass er dann im Nachhinein lösungsorientiert mit mir spricht, mir hilfreiche und lösungsorientierte Fragen stellt. Fragen, die meinen Blick auf die positiven und zukunftsorientierten Aspekte lenkt. Fragen, die mir helfen, eine vergleichbare Situation in Zukunft besser zu meistern. Hier finden Sie eine Auswahl von Fragen zur Selbstreflexion:  Was ist trotz allem gut gelaufen?  Worüber kann ich im Nachhinein lachen oder zumindest schmunzeln?  Was kann ich beim nächsten Mal verändern – in meiner Vorbereitung, meiner Dokumentation, meiner Darstellung, meinem Auftritt, . . . ?  Wer kann mir zusätzlich Unterstützung geben?  Wen hätte ich (früher) einbinden können?  Was hätte ich noch anders machen können?  Was hätte ich weglassen sollen?  Was hätte meine Zeitplanung optimiert?  Was hätte mir darüber hinaus Sicherheit gegeben?  Wie schätze ich auf einer Skala von 1 (= 1 %) bis 10 (= 100 %) die Chance ein, dass eine vergleichbare Situation in naher Zukunft besser für mich laufen wird?  Was kann ich selbst dazu tun? Fragen Sie sich auch, wie oft Sie selbst Feedback geben und sich als Sparringspartner und Unterstützer anbieten. Hier kommen wir zum nächsten Thema, denn von der Gegenseitigkeit lebt das Netzwerk.

2.3.3 Netzwerke: Mehr als nur Small Talk Für erfolgreiches Netzwerken sind neben der tatsächlichen Anzahl der Netzwerkpartner auch die Auswahl und der Kontakt von Bedeutung (s. Abb. 2.4). Der britische Anthropologe Dunbar untersuchte 1992 den Zusammenhang von Gehirnvolumen und der Größe von Primatengruppen. Das menschliche Gehirn kann ebenfalls nur eine begrenzte Anzahl von Kontakten verarbeiten, die sogenannte Dunbar-Zahl liegt für uns bei 150. In einer 2013 veröffentlichten Studie hat Dunbars Team untersucht, wie sich das Netzwerk besonders enger Freunde im Laufe der Zeit entwickelt und verändert. Das Ergebnis bestätigte die

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Abb. 2.4 Netzwerken kann „Mann“ auch am Kaffeeautomaten!

Dunbar-Zahl: Sobald jemand Neues ins Netzwerk kam und mehr Zeit beanspruchte, wurden bisherige Mitglieder in der Kontaktpflege weniger berücksichtigt. Die Struktur des Netzwerkes jedoch blieb konstant. (www.spiegel.de › Wissenschaft › Mensch › Psychologie) Es gilt also, klug auszuwählen, wen Sie in Ihr Netzwerk aufnehmen wollen und mit wem Sie wirklich den Kontakt pflegen wollen. Obwohl durch Social Media die Kontaktaufnahme heute so einfach wie nie ist, bleibt doch die Kapazität der wirklichen Kontaktpflege nach wie vor limitiert. Die Beziehungsstärke hängt davon ab, wie viel Zeit wir auf den Kontakt verwenden, wie viel Vertrauen wir ihm entgegenbringen und ob ein gegenseitiger Nutzen aus der Beziehung erwächst. Wer sind Ihrer Meinung nach die besseren Netzwerker? Männer oder Frauen? Ja, es sind die Männer! Wenn sich Frauen vernetzen, dann eher mit Gleichgesinnten, die ihnen sympathisch sind. Das spielt bei Männern eine eher untergeordnete Rolle. Meist unausgesprochen, aber mit großer Priorität versehen ist die Frage: „Kann mir mein Netzwerkpartner weiterhelfen?“ Wenn er dann auch noch interessant und sympathisch ist, umso besser. Netzwerken ist „zielgerichtetes Anfreunden“. Das finden Sie anstößig? Kann ich mir vorstellen, wenn Sie zur weiblichen Leserschaft gehören. Aber netzwerken heißt ja nicht nur, dass Sie von anderen Unterstützung einfordern. Sie selbst sollten auch unterstützen und weiterhelfen. Das Prinzip beruht auf Gegenseitigkeit.

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Frauen netzwerken, wenn überhaupt, eher zu Anfang oder gegen Ende ihrer Karriere. Männer hingegen durchgängig. Frauen halten das Netzwerken meist auf Sparflamme, wenn Sie in der Lebensphase der „Überholspur“ angekommen sind – wenn Sie so viele Rollen bekleiden (müssen) und mit so vielen Bällen jonglieren (müssen), dass sie sich bald selbst überholen. Meist fallen in diese Phase sowohl die ersten zarten Pflänzchen der beruflichen Weiterentwicklung und die Familiengründung. Alles auf einmal geht nicht, und daher fällt meist zu allererst das Netzwerken über Bord. Doch in dieser Lebensphase ist das Netzwerken ganz entscheidend. Hier treffen Sie Menschen, die Ihnen bei der Planung und Verwirklichung des nächsten Karriereschritts behilflich sein können. Entlasten Sie sich daher bei anderen „Hüten“, aber nicht beim „Netzwerken“. Suchen Sie sich ausgewählte Foren aus! Hier zählt die Klasse, nicht die Masse! Eine aktuelle IBM-Studie sagt aus, dass das Selbstmarketing mit 30 % noch wichtiger ist als die berufliche Leistung. An der Spitze der Erfolgsfaktoren stehen die beruflichen Kontakte und Beziehungen. Letztere punkten bei der Karrieregestaltung mit 60 % , wobei die persönlichen Leistungen nur auf 10 % kommen [5]. Das sind erschreckende Zahlen. Doch gute Leute haben eben gute Kontakte, und diese zählen beim Erklimmen der Karriereleiter. Im Bewerbungswettbewerb, insbesondere für Vertriebspositionen, wird der Wert einer Person stark an den Beziehungen gemessen, die sie mitbringt. „Der interne Markt ist insbesondere in Großunternehmen von entscheidender Bedeutung. Man kennt sich nicht nur aus offiziellen Zirkeln, sondern von gemeinsamen Barbesuchen, Golfturnieren oder Segeltörns, man weiß, wie der andere tickt, und nimmt sich gegenseitig mit nach oben. Viele Karrieren werden auf diesen Hinterbühnen vorbereitet, auf denen mehrheitlich Männer agieren. Oben wird bestimmt, wer aufrückt. In der Praxis sieht es so aus: Wechselt der Vorstandsvorsitzende oder ein anderer ranghoher Manager, ist Stühlerücken angesagt – dann werden zum Teil ganze Führungsmannschaften ausgetauscht. Der Neue schlägt neue Pflöcke ein, schart ein vertrautes Team um sich. Dies ist ein unternehmensübliches Vorgehen, das die Soziologen mit dem Ähnlichkeitsprinzip beschreiben. Enge Vertraute werden unbewusst so ausgewählt, dass sie in ihrem Verhalten möglichst in vielen Facetten passen. Das Motiv hinter dieser gefühlten „Ähnlichkeit“ ist der Versuch, das hohe Unsicherheitsrisiko, das im Managementalltag herrscht, zu reduzieren.“ (vgl. [6, S 96 f.]). Was gehört alles zum erfolgreichen Netzwerken? Dass Ihr Netzwerk nicht wie ein Stiefmütterchen behandelt werden sollte, ist nun klar. Es braucht Pflege und zwar eine dauerhafte. Überlegen Sie, welche Verbündete und Unterstützer Sie konkret brauchen und werden Sie aktiv. Schaffen Sie Anlässe und Gelegenheiten! Eine Freundin von mir, die vorbildlich ihre Netzwerke pflegte, sah sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes mit einem dramatisch veränderten Tagesablauf konfrontiert. Abends war es ihr schier unmöglich auf Netzwerkveranstaltungen zu gehen und noch einen klugen Gesprächsbeitrag zu leisten, da sie vor Müdigkeit kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Da ihr die Kontaktpflege weiterhin wichtig war, organisierte sie kurzerhand eine regelmäßige Lunch-Runde für interessierte Marketingexperten aus ihren unterschied-

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lichen Netzwerken. Ihre Quintessenz war folgende: „Ich treffe die mir wichtigen Leute immer noch regelmäßig, habe jetzt aus mehreren Veranstaltungen eine gemacht und das auch noch zu einer Zeit, die meiner derzeitigen Verfassung viel besser entgegenkommt.“ Sie ist aktiv geworden und hat sich ihr Netzwerk gestaltet. So weit zum Rahmen. „Und dann?“, werden ungeübte Netzwerker fragen. „Worüber unterhalte ich mich mit mir unbekannten Menschen?“ Von vielen Frauen höre ich immer wieder, wie anstrengend sie Small Talk finden. Mit einer entgegenkommenden und interessierten, offenen Haltung wird zunächst jedes Eis gebrochen. Stellen Sie Fragen und hören Sie gut zu. Solange Sie selbst reden, erfahren Sie nichts! Die meisten Menschen sprechen gern über sich. Wenn Sie gezielte Fragen stellen und Ihrem Gesprächspartner die volle Aufmerksamkeit widmen, dann ist das pure Wertschätzung. Wenn Sie in dem Gespräch Ansätze finden, Ihrem Gesprächspartner weiterzuhelfen, dann tun Sie das! Scheuen Sie sich aber auch nicht, selbst Unterstützung anzunehmen. Ein „Danke“ genügt. Und zum Abschluss? Tauschen Sie Visitenkarten aus. Insbesondere, wenn Sie das Gespräch beenden wollen, um noch andere Tagungsgäste kennenzulernen. Ich habe mir angewöhnt, auf Visitenkarten kurze Stichworte zum Gespräch zu notieren. So habe ich später zum Namen und Kontakt noch ein paar mehr Informationen, die auf diese Weise nicht verloren gehen. Und wenn es mal nicht so gut läuft? Dann nehmen Sie es sportlich und mit Humor. Auf einer Abendveranstaltung wurde ich neben den Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens platziert, für das ich gerade eine Workshopreihe moderiert hatte. Ich kannte ihn kaum, wusste allerdings, dass er sich für Architektur interessiert. Da der Umbau des Hotels, in dem wir tagten, gerade abgeschlossen war, nahm ich das zum Aufhänger und fragte ihn nach seiner Einschätzung. Seine sehr knappe und äußerst mürrische Antwort war: „Das fragen Sie mich doch nur, weil Sie wissen, dass der Architekt auch gerade meine Privatvilla umbaut!“ Nein, dass wusste ich wirklich nicht! Treffer, versenkt. Statt mich zu entschuldigen und zu rechtfertigen, hielt ich meine Gesichtszüge im Lot und kommentierte: „Das ist ja interessant! Und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?“ Das Eis schmolz langsam, aber es schmolz, und es wurde noch ein netter Abend. Anknüpfungspunkte für weitere Treffen hatten wir nach diesem Gespräch ausreichend. Es gibt nur wenige Vermeidungsthemen beim Small Talk, aber es gibt sie. Das Ziel ist ein ungezwungener Austausch: Vermeiden Sie also möglichst Themen wie Politik, Krankheit oder Kindererziehung, auch Klatsch und Tratsch sind absolut tabu. Zu detailliert und intim sollten die Schilderungen ebenfalls nicht sein. Achten Sie darauf, dass Ihr Gesprächspartner sich wohlfühlt! Das tun die meisten Menschen, wenn Sie selbst erzählen dürfen und ihnen dabei echtes Interesse gezollt wird. Hier eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Grundregeln (aus [7, S. 164 ff.]):  Geben und Nehmen: Zahlen Sie zuerst auf das Beziehungskonto ein, dann profitieren Sie später davon.  Klasse statt Masse: Schauen Sie genau, wer in Ihr Netzwerk passt.  Dranbleiben: Ein Netzwerk braucht Pflege.

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 Eindruck machen: Suchen Sie nach passenden Themen, aber überziehen Sie nicht.  Interessiert sein: Menschen erzählen gern von sich selbst und ihren eigenen Projekten.  Offen sein: Unterschiedliche Einstellungen und Kompetenzen können befruchtend sein. Manch einer punktet erst auf den zweiten Blick!  Vorbereitet sein: Planen Sie, was Sie zu bieten haben, z. B. einen Kontakt oder ein Konzept.  Am Ball bleiben: Merken Sie sich die wichtigsten Themen Ihrer Netzwerkpartner. Jeder freut sich beispielsweise über eine Rückfrage nach einer wichtigen Präsentation.  Verlässlich sein: Halten Sie Ihr Versprechen: „Ich melde mich“ oder „Ich erkundige mich für Sie.“  Gemeinsamkeiten entwickeln: Suchen Sie Übereinstimmungen, das schafft Sympathie.  Bleiben Sie geduldig: Beziehungen brauchen Zeit, um sich zu entwickeln.  Seien Sie neugierig: Stellen Sie Fragen, und hören Sie gut zu.  Bleiben Sie flexibel: Aktualisieren Sie Ihr Netzwerk, denn Sie verändern sich.

Übung 2.3: Mein Netzwerk

Welche Netzwerkaktivitäten habe ich bisher gepflegt?

Was kann mir helfen, noch regelmäßiger Netzwerkaktivitäten aufzunehmen?

Welche zusätzlichen Aktivitäten möchte ich aufnehmen?

Welche Aktivitäten möchte ich ggf. aufgeben?

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Welche zusätzlichen Informationen brauche ich noch?

Was sind die nächsten Schritte?

Wer kann mich bei der Umsetzung unterstützen?

2.3.4 Coaching: Coach dich selbst, sonst coacht dich einer Um einen persönlichen Veränderungsprozess voranzubringen, ist die Begleitung durch einen Coach durchaus sinnvoll. Der Coach begleitet durch seine Impulsfragen und sorgt dafür, dass Sie den beschrittenen Weg weiterverfolgen. Er kann Ihnen ein Unterstützer und Mutmacher sein. „Coach“ ist allerdings keine geschützte Berufsbezeichnung. Deshalb ist in jedem Fall ein unverbindliches Vorgespräch mit mehreren Anbietern anzuraten. Seriöse Coaches haben eine fundierte Ausbildung und Erfahrung in dem Bereich, in dem sie ihre Klienten begleiten. Wenn Sie den nächsten Karriereschritt gehen wollen, z. B. in eine Führungsposition mit mehr Verantwortung, dann sollte Ihr Coach auch schon einmal in diesem Umfeld gearbeitet haben. Doch das ist natürlich nicht das einzige Auswahlkriterium. Genauso wichtig ist, dass Sie eine persönliche Bindung und Vertrauensbeziehung aufbauen können. In der ersten Sitzung sollten Sie gemeinsam das Ziel festlegen, an dem Sie arbeiten wollen. Ein professioneller Coach macht das im Rahmen seiner Auftragsklärung mit Ihnen gemeinsam:    

Was genau wollen Sie erreichen? Woran werden Sie merken, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben? Woran wird Ihr Umfeld merken, dass sich etwas verändert hat? Welche Stolpersteine kann es geben? (Nicht jeder aus Ihrem Umfeld wird eine Veränderung bei Ihnen willkommen heißen.)  Was genau wird anders sein als vorher?

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Die Rolle des Coaches ist es, Ihnen einen Spiegel vorzuhalten. Mit Ihnen z. B. gemeinsam zu schauen, was Sie immer wieder zurückhält, Ihren Hut in den Ring zu werfen, wenn es um den nächsten Verantwortungsschritt geht. Oder mit Ihnen an Glaubenssätzen zu arbeiten, die Sie innerlich blockieren. Mit meiner eigenen Coaching-Praxis habe ich die Erfahrung gemacht, dass es mittlerweile für viele Unternehmen eine ganz selbstverständliche interne Fortbildungsmaßnahme ist. Früher kamen nur Führungskräfte in den Genuss. Heute stehen auch vielen Mitarbeitern diese Türen offen. Personalentwickler wissen, dass eine individuelle CoachingBegleitung oft nachhaltiger und erfolgreicher ist als ein allgemeines Seminar. Also trauen Sie sich und fragen Sie in Ihrem nächsten Mitarbeitergespräch danach! Sie haben sich schon getraut und eine Absage von Ihrem Chef bekommen? Dann kann es durchaus eine lohnende Investition sein, sich für bestimmte Sequenzen von einem Profi privat begleiten zu lassen, z. B. um Sicherheit vor einem Vorstellungsgespräch oder einem wichtigen Vortrag zu gewinnen. Wer von uns macht das schon regelmäßig? Nicht nur mögliche Tipps und Hinweise sind hilfreich, allein schon die gewonnene Sicherheit, die Sie ausstrahlen, ist unbezahlbar.

2.3.5 Mentoring: Unterstützer sind gefragt Viele Unternehmen, die ihre High Potentials unterstützen wollen, bieten Mentoring-Programme an. Dabei unterstützen seniore Führungskräfte die Nachwuchskräfte mit ihrer Erfahrung. Wie beim Coaching ist auch hier wichtig, dass die Treffen mit einer gewissen Regelmäßigkeit erfolgen. Dies ist nicht immer selbstverständlich, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei Mentoren oftmals um Unternehmensentscheider handelt. Hilfreich ist es, wenn der Mentor aus einem anderen Unternehmensbereich als dem eigenen kommt und schon länger im Unternehmen ist. Dann hat er zum einen ein Netzwerk, in das er Sie mitnehmen kann, und zum anderen eine Übersicht über die im Unternehmen relevanten Themen. So ein Mentor kann Ihnen wertvolle Tipps zu Projekten geben, für die Sie sich engagieren können. Er kann durch seinen Gesamtüberblick mit Ihnen viele Unternehmensthemen diskutieren und Ihnen einen neuen Weitblick ermöglichen. Nicht zu unterschätzen sind auch Tipps aus seiner eigenen beruflichen Karrieregestaltung.  Wie ist er in seine Position gekommen?  Welchen Karriereplan hat er verfolgt?  Was rät er Ihnen? Wie Sie sicher schon gemerkt haben, bin ich keine Freundin der „Innen“-Endung. Nicht, weil ich sie nicht für nötig halte, sondern weil sie das Lesen erschwert. Doch hier möchte ich ausdrücklich noch den Bezug zu möglichen MentorInnen machen. Haben Sie Frauen in Ihrem Unternehmen, die bereits auf oberster Führungsebene angekommen sind?

2.3 Wer Sie wie unterstützen kann

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Dann bemühen Sie sich darum, diese als Mentorin zu gewinnen. Bessere Tipps aus erfahrenem Munde können Sie nicht bekommen. Sie sind in einem Unternehmen, das kein Mentoring-Programm anbietet? Oder schlimmer noch, Sie haben sich um ein Mentoring bemüht, wurden jedoch nicht berücksichtigt? Macht nichts – es braucht keinen offiziellen Vertrag für solch eine Vertrauensbeziehung. Suchen Sie sich Ihren Mentor selbst aus! Gehen Sie aktiv auf einen Hierarchen zu, und bitten Sie ihn oder sie um Begleitung. Vergessen Sie nicht, auch der Mentor profitiert von der Mentorenbeziehung. Auch er kann von Ihnen lernen, denn schließlich haben Sie eine andere Perspektive auf viele interne Unternehmensbelange. Außerdem profitieren Mentoren von dem Prestige, gute Leute hervorzubringen. Bewegen Sie sich aus Ihrer Komfortzone. Wer nicht fragt, der bekommt auch keine Antwort! Übung 2.4: Auf Mentorensuche

Welchen Manager (oder welche Managerin) aus einem anderen Unternehmensbereich finde ich interessant?

Mit wem würde ich gern einmal Mittagessen gehen und mich zu internen Themen austauschen?

An welcher Einschätzung bin ich interessiert?

2.3.6 Von Vorbildern lernen: Aktives Modelling betreiben Vieles lernen wir von Menschen mit „Entwicklungspotenzial“. Wenn Sie in Ihrem Berufsleben Lernchancen durch mangelndes Vorbild erhalten haben, dann freuen Sie sich darüber, statt sich zu ärgern. Diese Erlebnisse verankern sich intuitiv und formen Ihr Führungsverständnis. Wenn ich meine Teilnehmer in den Führungsseminaren einleitend frage, was eine gute Führungskraft ausmacht, dann komme ich häufig mit dem Schreiben am

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Flipchart nicht hinterher. Frage ich dann ergänzend: „Was davon haben Sie schon persönlich erlebt?“, heißt es oft: „Wir haben oft genau das Gegenteil erfahren, daher wollen wir es ja anders machen.“ Lernen Sie von Vorbildern und auch von denen, die es (noch) nicht sind. Welche Vorbilder haben Sie? Keine konkreten? Darüber haben Sie sich noch nie Gedanken gemacht? Dann wird es Zeit! Mit Vorbild meine ich nicht die in Ihren Augen perfekte Person. Ich meine eine oder auch mehrere Personen, die Sie in einer bestimmten Hinsicht bewundern. Das kann die Art sein, wie sie für ihre Positionen kämpft. Das kann die Fähigkeit sein, wie sie andere Menschen überzeugt, oder die Wertehaltung, mit der sie den eigenen Lebensweg gestaltet. Was auch immer das Faszinierende an diesem Menschen ist, es lohnt sich, dieses Thema näher unter die Lupe zu nehmen: Übung 2.5.1: Mein Vorbild 1

Mein Vorbild:

Faszinierend finde ich, dass . . .

Von ihm/ihr möchte ich Folgendes übernehmen . . .

Dabei hilft mir, dass . . .

Vorbilder habe ich einige. Ich nenne sie für mich „Modelle“ – es sind Modelle, an denen ich mich orientieren kann. Ich halte immer mal wieder inne und mache die obige Übung. Die Modelle ändern sich im Zeitablauf, denn unterschiedliche Lebensphasen brauchen unterschiedliche Orientierung.

2.3 Wer Sie wie unterstützen kann

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Vor Kurzem ist der Schulleiter der Schule meines Sohnes in den Ruhestand verabschiedet worden. Er wurde mit einem wunderbaren Festakt sowohl von Lehrern, Schülern und Eltern verabschiedet. Die Würdigung seiner Aufbauarbeit an der Schule nahm viel Raum ein. Es wurde sein Lebenswerk gewürdigt, und das Bedauern über sein Ausscheiden war von allen Seiten echt. Für mich ein Vorbild. Das führt mich zu folgenden Fragen:  Was kann ich tun, damit mein Wirken echten Mehrwert bietet?  Wie sollte ich mich verhalten, damit bei meinem Ausscheiden aus dem Berufsleben so viele Menschen echtes Bedauern äußern? Ich befragte meine damals elfjährige Tochter, die ebenfalls seit Kurzem auf der Schule war. Ihr Eindruck war noch unverfälscht. Ihre Wahrnehmung äußerte sie wie folgt: „Dieser Direktor, der tritt gar nicht wie ein Direktor auf. Er geht über den Schulhof und ist an jedem von uns interessiert. Und damit meine ich wirklich interessiert, der tut nicht nur so. Er ist oft auf dem Schulhof und wirkt auf mich immer sehr freundlich. Wenn ich ein Problem hätte, an den würde ich mich wenden! Schade, dass er schon so alt ist und bald aufhört.“ Kindermund tut Wahrheit kund! Auf der anderen Seite scheute dieser Mann keinen Konflikt. Er trat immer wieder für seine Überzeugungen ein, auch gegen eine starke Mehrheit. Seinen Kritikern gegenüber zeigte er sich stark in der Sache und immer wertschätzend in der Person. Wollen Sie Ihre Vorbilder als echte Unterstützer für Ihre weitere Entwicklung nutzen, dann beobachten Sie sie genau: Übung 2.5.2: Mein Vorbild 2

Was macht mein Vorbild anders als andere?

Wie genau verhält er/sie sich?

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Was davon kann ich in welcher Form übernehmen?

Was sollte ich tun, damit ich diese Ziele nicht wieder aus den Augen verliere?

2.3.7 Ein gleichberechtigter Partner ist nicht zu bezahlen Unser Sohn war noch im Kindergarten, als er sich mit seinem Freund auf folgenden Wettbewerb einließ: Wer konnte eine rohe Bohne am weitesten ins linke Nasenloch hineinschieben? Unser Sohn blieb Sieger, leider tauchte die Bohne nicht wieder auf. Der Wettbewerb endete beim HNO-Arzt und eine aufgewühlte Tagesmutter versuchte uns zu erreichen. Mein Mann saß in einer Tarifverhandlung und ich in einer Sitzung beim Kunden. Es war selbstverständlich, dass mein Mann seine Verhandlung verließ und zum HNOArzt eilte. Er hatte den kürzeren Weg. Offen blieb schließlich nur die Frage, ob sich auch ein Mädchen auf solch einen Wettbewerb eingelassen hätte . . . „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau, die ihm den Rücken stärkt.“ Dieser Satz ist vielfach zitiert und weithin bekannt. Doch wer steht hinter einer erfolgreichen Frau? Wer steht hinter Ihnen? Folgendes Gespräch blieb mir dazu nachhaltig im Kopf: Eine namenhafte Großbank setzt auf die Frauenförderung und führt in diesem Rahmen regelmäßige Podiumsdiskussionen mit ausgewählten Gesprächspartnern durch. Im Jahr 2013 wurde die Leiterin des Career-Centers der Universität Hamburg zu einer dieser Diskussion eingeladen. Als Mutter mehrerer Töchter wurde sie im Laufe der lebhaften Diskussion gefragt, was sie denn ihren Töchtern hinsichtlich der Karriereplanung geraten habe. Gespannt wartete man auf ihre Antwort. Ich nahm im Geiste schon einmal einige der klassischen Punkte vorweg: „Starte durch, zeig dich, bilde dich kontinuierlich fort usw.“ Doch ich tat ihr unrecht. Sie sagte kurz und knapp: „Wähle den richtigen Partner! Ein gleichberechtigter Partner ist nicht zu bezahlen.“ (s. Abb. 2.5). Das sei der Rat gewesen, den sie ihren Töchtern mit auf den Weg gegeben habe. Einen Partner, der dich unterstützt und mit dem du nicht immer wieder deine Rolle neu verhandeln musst und für den Gleichberechtigung kein Fremdwort ist, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ob ihre Töchter den Rat befolgt haben, ließ sie allerdings offen. Auch heute, mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, weicht die Erwerbsbeteiligung der Mütter von Kindern unter drei Jahren im Vergleich der neuen und der alten

2.3 Wer Sie wie unterstützen kann

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Abb. 2.5 Ein gleichberechtigter Partner ist nicht zu bezahlen

Bundesländer stark voneinander ab. In den alten Bundesländern Deutschlands waren die Mütter im Jahre 2013 mit 30,2 % in geringerem Maße erwerbstätig als in den neuen Bundesländern (36,6 %). Hinzu kommt, dass in Westdeutschland Mütter in wesentlich höherem Umfang in Teilzeit tätig sind als in Ostdeutschland (vgl. [8]). Sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern hat die Berufstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern im Vergleich zu 1996 um knapp 15 % zugenommen. Auffällig ist dabei die unterschiedliche Entwicklung in der Erwerbsbeteiligung. Während in den neuen Bundesländern die Vollzeitquote deutlich zugenommen hat und die Teilzeitquote zurückgegangen ist, lässt sich in den alten Bundesländern der genau gegenteilige Effekt beobachten (vgl. [9]). Der Unterschied zwischen Ost und West ist oft mit der besser ausgebauten Infrastruktur bei der Kinderbetreuung in Zusammenhang gebracht worden. Nur, mittlerweile zählt das Argument nicht mehr, da die alten Bundesländer hier nachgezogen haben. Meines Erachtens nach hängt hier viel von der Sozialisation ab: Wie ist es mir als Frau von meiner Mutter vorgelebt worden? Was war selbstverständlich? Und da sind große Unterschiede zu verzeichnen. In den neuen Bundesländern sind die Frauen relativ früh nach der Geburt wieder in den Beruf eingestiegen und haben ein partnerschaftliches Rollenmodell gelebt. In Westdeutschland haben viele Frauen in Teilzeit gearbeitet und tun es auch noch. Wenn sie es sich leisten konnten, dann blieben sie ganz zu Hause. Sie haben also eher einen Versorger als einen Partner gesucht, wenn es in die Phase der Familiengründung ging. Um diese Rollenmuster aufzulösen, braucht es einen langen Atem. Dazu sind Erfolgsmodelle und Ermutigung notwendig. Mark Zuckerberg, 31 Jahre alt und gerade Vater geworden, hat kürzlich einen solchen Aufruf auf seiner FacebookSeite gestartet: Eine Frau hatte auf seinem Facebook-Profil geschrieben, sie sage ihren Enkeltöchtern immer, sie sollten mit dem Nerd, also dem Computerexperten der Schule

26

2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

ausgehen – er könne schließlich der nächste Mark Zuckerberg werden. Darauf ermunterte der Multimilliardär die Frau im sozialen Netzwerk: „Noch besser wäre es, sie zu ermutigen, selbst die Nerds ihrer Schule zu sein, damit sie die nächsten erfolgreichen Erfinder sein können!“ Zuckerbergs Kommentar bekam binnen Stunden mehr als 15.000 Likes.

2.4 Welche Stolpersteine es auf dem Weg nach oben auszuräumen gilt 2.4.1

Vorsicht vor der Harmoniefalle: „Everybody’s Darling, Everybody’s Depp“ [3]

Fällt es Ihnen auch oft schwer, klar und deutlich Nein statt „Jein“ zu sagen? Was sind die Gründe dafür? Sollte es uns doch tatsächlich einmal gelungen sein, den Kollegen, der immer wieder kurz vor Feierabend mit einer dringenden Bitte kommt, oder die Kollegin, die immer wieder zur gleichen Fragestellung Hilfe einfordert, zu vertrösten, meldet sich unser schlechtes Gewissen. Das passiert Frauen erfahrungsgemäß häufiger als Männern. Rituelles Entschuldigen oder eine schnelle Rechtfertigung, warum wir denn gerade jetzt nicht dazu imstande seien, folgt auf dem Fuße. Haben Sie das schon einmal bei einer charismatischen Führungskraft erlebt? Nein? Dann deshalb, weil diese nicht in die Harmoniefalle tappen. Jetzt lässt sich trefflich streiten, ob es genetisch bedingt ist, unsere Sozialisation dafür verantwortlich ist oder es schlichtweg Erfahrungswerte sind, die uns in diese Harmoniefalle tappen lassen. Nur, Fakt ist, wir tappen hinein. Wir wollen es allen recht machen, und wir wollen gemocht werden, und daher machen wir oft das Unmögliche möglich! Vergegenwärtigen Sie sich bitte eine Situation aus dem beruflichen Kontext, in der Sie etwas gegen Ihre Überzeugung getan haben. Sie haben reagiert statt agiert, Sie sind den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Übung 2.6: Raus aus der Harmoniefalle

Welchen tieferen Grund hatte es, dass ich nicht „Nein“ sagen konnte, obwohl ich es innerlich wollte?

2.4 Welche Stolpersteine es auf dem Weg nach oben auszuräumen gilt

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Welche möglichen Ängste steckten ggf. hinter meinem Verhalten?

Welche Alternativen hätte es gegeben?

Welchen Nutzen hätte ich gehabt, und welchen Preis hätte ich zahlen müssen?

2.4.2

Nicht zur Arbeitsbiene werden

Sind Sie schon Bienenkönigin oder doch noch eher Arbeitsbiene? Viele Frauen zeichnen sich durch die Eigenschaften der Arbeitsbiene aus (s. Abb. 2.6). Ihre Attribute sind echter Teamgeist und großer Fleiß. Das ist auf der ersten und zweiten Stufe der Karriereleiter sicher nicht hinderlich, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch die für die Arbeitsbiene geltenden Eigenschaften wie Loyalität und Verlässlichkeit sind nicht von Nachteil. Doch wenn es darum geht, die nächsten Stufen der Karriereleiter zu erklimmen, bleibt die Arbeitsbiene in ihrer Wabe kleben. Es gibt ja noch so viel zu tun. Genau, und vor lauter Arbeit werden die strategischen Projekte, die einem hohe Aufmerksamkeit im Unternehmen versprechen, an einen anderen Kollegen vergeben. Diejenigen, die die Leiter scheinbar mühelos erklimmen, heben nur dann den Finger, wenn ihre Zusatzarbeit auch wirklich gewürdigt wird. Und wie sieht es mit den Zusatzprojekten aus, die keiner gern machen möchte? Viel Aufwand und wenig Erfolgsaussicht? Genau, die fleißige Arbeitsbiene kann in Sitzungen, bei denen diese Aufgaben verteilt werden, keine langen Pausen aushalten. Alle schauen auf ihre Flügel (Entschuldigung, Hände oder sogar Füße), und dann wird es langsam unangenehm. Und genau da spielt der Arbeitsbiene die eigene Loyalität einen Streich. Einer muss es ja machen.

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

Abb. 2.6 Werden Sie zur Bienenkönigin

Bleiben Sie loyal, aber lassen Sie das nächste Mal Ihren Finger unten! Es sei denn, es handelt sich um ein strategisches Projekt mit Sichtbarkeit und echtem Mehrwert für Sie. Dann greifen Sie zu. Trauen Sie sich, auch wenn Sie im ersten Moment meinen, dass dieses Paket für eine Arbeitsbiene zu herausfordernd wäre. Vergessen Sie nicht, Sie haben sich auf den Weg gemacht, Ihre Wabe, die Komfortzone, zu verlassen. Und da Sie bei den anderen ungeliebten Projekten schon öfter einmal „Nein“ gesagt haben, haben Sie ja jetzt auch ausreichend Zeit, dieses wichtige Projekt mit Volldampf voranzubringen. Nur Mut!  Ein „Nein“ verschafft Ihnen mehr Respekt als ein ständiges „Selbstverständlich!“  Greifen Sie bei strategischen Projekten zu! Auch, wenn Sie meinen, dass es zeitlich knapp werden könnte oder Sie noch nicht alle geforderten Kompetenzen haben!  Sorgen Sie für die Sichtbarkeit Ihrer Arbeit! Pero Misic empfiehlt in seinem Buch „Wie wir uns täglich die Zukunft versauen“ [10] die regelmäßige Anwendung der 10-10-10-Regel. Stellen Sie sich vor, welche Relevanz dieses „Nein“ in zehn Minuten, zehn Monaten und zehn Jahren für Sie haben wird. Micic sagt, dass wir Menschen deshalb einzigartig sind, weil wir uns die Zukunft vorstellen, über sie nachdenken und aus ihr lernen können, obwohl sie noch nicht stattgefunden hat. Seine These: Je weiter in der Zukunft die Konsequenz einer Entscheidung liegt, desto eher sind wir bereit, sie reiflich zu überdenken. Bei Ad-hoc-Belohnungen dagegen fällt es uns oft schwer, der Versuchung zu widerstehen. Hier kommt gleich die erste Anwendungsmöglichkeit: Übung 2.7: Entscheidungen treffen

Welche konkrete Entscheidung steht in nächster Zeit an?

2.4 Welche Stolpersteine es auf dem Weg nach oben auszuräumen gilt

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Wie werde ich darüber in zehn Minuten denken?

Wie werde ich darüber in zehn Monaten denken?

Wie werde ich darüber in zehn Jahren denken?

2.4.3 Die Teilzeitfalle Im Rahmen einer weiteren Podiumsdiskussion hatte ich die Ehre, die Grand Dame der Hamburger und Berliner Justiz, Dr. Lore Peschel-Gutzeit zu interviewen. Vor der Diskussion hat sie aus ihrem Buch „Selbstverständlich gleichberechtigt“ [11] gelesen. Ich kann es Ihnen nur empfehlen. Ihre These ist, dass wir Frauen dabei sind, eine „Rolle rückwärts zu machen“. Was meint sie damit? Sie behauptet, dass die Karrierebedingungen für uns Frauen noch nie so gut gewesen seien wie heute. Trotzdem kann man die Frauen in verantwortlicher Führungsposition noch oft an einer Hand abzählen. Ihre Erklärung dafür ist, dass die geeigneten und qualifizierten Frauen dann letztlich doch den Schritt vor der echten Verantwortung scheuen. Sie finden sich eher in Stabsstellen oder führen den Karriereknick durch die Teilzeitfalle herbei. Zugegeben, eine unbequeme These, die im Rahmen der Diskussion auch nicht nur für Zustimmung gesorgt hat. Doch gerade Frau Peschel-Gutzeit darf sich diese unbequeme Art erlauben. Schließlich war sie es, die z. B. das Teilzeitgesetz erst möglich gemacht hat. Sie hat dieses Gesetz auf den Weg gebracht, weil sie die Rahmenbedingungen für qualifizierte Kolleginnen, die nach der Geburt wieder arbeiten wollten, für unerträglich hielt. Wenn es schwierig wurde, hat sie sich durchgesetzt nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ Das Teilzeitgesetz war zunächst ein großer Fortschritt, denn es erlaubte den Frauen, auch mit Kind wieder in Arbeit zu kommen und für die eigene Altersversorgung zu sor-

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

gen. Aus Karrieregesichtspunkten ist es jedoch ein echter Stolperstein. „Schon bei einer schwach reduzierten vertraglichen Arbeitszeit zeigen sich erhebliche Karrierenachteile für in Teilzeit arbeitende Mitarbeiter“. So eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zum Thema „Karriere in Teilzeit“ [12]. In den neuen Bundesländern, so diese Studie weiter, gelang es Frauen häufiger als im Westen, höhere Positionen zu besetzen. Letzteres läge vor allen Dingen daran, dass ostdeutsche Frauen ihre Erwerbstätigkeit in der Familienphase seltener unterbrächen als westdeutsche Frauen und nicht so oft in Teilzeit arbeiteten. Laut statistischem Bundesamt [13] arbeiteten im Juni 2014 45 % aller Frauen in Teilzeit, d. h. weniger als die tariflich oder vertraglich normalerweise vereinbarte Arbeitszeit. Ab einem Alter von 30 Jahren steigt die Teilzeitquote bei Frauen deutlich an und liegt ab Ende 30 bei über 50 %. Bei Männern zeigt sich in diesem Alter kein Anstieg. Insgesamt arbeitet rund jeder elfte Mann in Teilzeit. Viele in Teilzeit arbeitende Männer gehen auf dieses Angebot ein, weil sie sich ein zweites berufliches Standbein aufbauen wollen, aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie mehr Zeit für Ihre Hobbys haben möchten. Das sind alles akzeptable Gründe und bewusste Entscheidungen gegen die weitere Karriere. Die meisten Frauen machen von Teilzeitangeboten Gebrauch, damit Sie Kinder und Karriere besser miteinander vereinbaren können. Das ist keine bewusste Entscheidung gegen die Karriere, und trotzdem wird der Karriereknick damit oft eingeleitet. Wenn Sie dann auch noch das Gen der Arbeitsbiene mitbringen, schaffen Sie die fast gleiche Arbeit in weniger Zeit und für weniger Geld. Davon profitiert natürlich auch der Arbeitgeber! Bevor Sie also in die Teilzeitfalle tappen, loten Sie erst andere Arbeitszeitmodelle aus, die Ihnen nicht gleich mehrere Stufen auf der Karriereleiter ansägen. Dazu mehr im nächsten Kapitel. Führungspositionen in Teilzeit sind leider immer noch selten. Aber es gibt Ausnahmen. Dafür müssen Sie meist schon in Führung sein, bevor sich die befristete (!) Teilzeitfrage stellt. Wenn Sie bereits die Führungsposition innehaben, gibt Ihnen das deutlich mehr Gestaltungsspielraum. Auch das spricht dafür, so früh wie möglich durchzustarten, damit Sie die Leiter schon ein Stück erklommen haben, bevor eine neue Lebensphase Sie vor neue Herausforderungen stellt. Wenn Sie die Herausforderung annehmen und in Teilzeit führen, gelten die in diesem Buch angesprochenen Stolpersteine und Erfolgsfaktoren noch verstärkt: Achten Sie darauf, dass Sie trotz Teilzeit netzwerken und in den wichtigsten Meetings vertreten sind. Wenn Sie sich zu oft vertreten lassen (weil ja die Arbeit in der knapperen Zeit erledigt werden muss), kann es sein, dass man ihren Stellvertreter bald als Kronprinzen betrachtet.

2.4.4

Das Märchen von der gläsernen Decke

Mit Frau Dr. Peschel-Gutzeit saß noch eine andere Frau auf dem Podium, die als Vorstand und Aufsichtsrätin vielfach Verantwortung trägt. Ihr Lebenslauf ist ein glatter Durchmarsch nach oben. Auch sie hat Kinder. Die sind noch relativ klein, denn sie hat sich erst

2.4 Welche Stolpersteine es auf dem Weg nach oben auszuräumen gilt

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für die Familienerweiterung entschieden, als sie gestalterische Macht in ihrer Führungsposition hatte. Heute hat sie das Gefühl, beide verantwortungsvollen Rollen gut miteinander verbinden zu können, weil sie ganz vielfältige Möglichkeiten der Delegation nutzen kann. Nach dem Begriff der „gläsernen Decke“ befragt, musste sie schmunzeln. Als erste Frau in den Vorstand berufen, bekam Sie einige Einladungen zu Interviews. Ein Journalist fragte sie nach Tipps, wie die „gläserne Decke“ denn für Frauen zu durchbrechen sei. Sie konnte die Frage nicht beantworten, denn sie hatte den Begriff bis zu dem Zeitpunkt noch nie gehört. Die „gläserne Decke“ existierte für sie also im Kopf überhaupt nicht. Das ist vermutlich der beste Tipp, den sie geben konnte. Diese „gläserne Decke“ existiert nicht wirklich, höchstens in den Köpfen derjenigen, die sich nicht trauen, den nächsten Schritt zu gehen und wirklich Verantwortung zu übernehmen. Der Begriff gläserne Decke ist ein Synonym für das Phänomen, dass qualifizierte Frauen kaum in die Top-Positionen in Unternehmen oder Organisationen vordringen. Der Begriff tauchte zunächst in der Tierwelt auf. Hier wurde folgendes Experiment durchgeführt: Fische, die mehrfach die Erfahrung gemacht hatten, dass sie nicht an die Belohnung kamen, die durch eine Glasplatte getrennt an der Oberfläche schwamm, probierten es bald nicht einmal mehr. Und das, obwohl die Nahrung nun frei zugänglich war. Übertragen auf die Welt des Managements könnte das bedeuten, dass Frauen sich auch selbst Hindernisse in den Weg legen auf dem Weg nach oben. Nach dem Motto: „Ich schaff das ja doch nicht, ich bringe nicht genug für die herausfordernde Führungsposition mit.“ Wenn Sie beim Lesen der letzten Zeilen verärgert sein sollten, denken Sie vielleicht: „Ich würde ja mehr Verantwortung übernehmen, aber mein Chef lässt mich ja nicht!“ oder „Ich habe zu viel private und persönliche Verpflichtungen, um noch mehr zu arbeiten. Wenn ich eine Führungsposition oder eine Position mit noch mehr Verantwortung annehme, dann kann ich dem allem nicht mehr gerecht werden!“ Das sind faire und nachvollziehbare Einwände. Und trotzdem agieren Sie mit solchen Formulierungen als Opfer und nicht als Gestalter Ihrer Karriere. Am Anfang steht die Frage: „Was wollen Sie wirklich? Wie hoch wollen Sie hinaus?“ Wenn Sie für sich entscheiden, dass es dort gut ist, wo Sie sind. Dann ist es gut. Dann dürfen Sie jedoch auch nicht den Rahmen oder die anderen dafür verantwortlich machen, dass es mit der Karriere nicht so richtig geklappt hat. Es ist eine bewusste Entscheidung. Wenn Sie die obige Frage jedoch mit „Ich will!“ beantwortet haben, dann ist es wie bei dem Eheversprechen: „in guten wie in schlechten Zeiten.“ Formulieren Sie Ihre Einwände in sinnvolle Fragen um:       

Wer oder was hilft Ihnen, Ihren Chef zu überzeugen? Wie wirken Sie selbst nach außen noch überzeugender? Wie formulieren Sie Ihr Anliegen mit Nachdruck? Wie bekommen Sie einen anderen Chef? Wie schaffen Sie es, einen Teil Ihrer Verpflichtungen zu delegieren? Wer kann Sie wobei unterstützen? Welche der Verpflichtungen sind gar nicht Ihre primären?

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

 Wie kann der nächste Karriereschritt aussehen, der Ihnen trotzdem Freiräume ermöglicht? Lassen Sie die Einwände und stellen Sie gute Fragen, coachen Sie sich selbst! Die Amerikaner in ihrer manchmal sehr plakativen Art haben einen Satz geprägt, der auf den ersten Blick oberflächlich wirkt: Love it, change it or leave it. Auf den zweiten Blick hat er mir persönlich oft schon weitergeholfen. Ich habe immer die Wahl: Entweder ich versuche die Rahmenbedingungen in meinem Sinne zu gestalten. Ist mir das trotz aller Bemühungen nicht gelungen, und ich kann den Rahmen nicht so lieben und akzeptieren, wie er ist, dann kann ich das Spielfeld verlassen. Es liegt an mir. Die Möglichkeit, immer die Gestalterin zu bleiben, finde ich sehr ermutigend. Übung 2.8: Innere Einwände zur Gestaltung der eigenen Karriere

Hier ist ausreichend Platz für alle inneren Einwände, die Sie vermeintlich bisher an Ihrer Karrieregestaltung gehindert haben:

Das waren wirklich alle? Hand aufs Herz und bitte ganz ehrlich!

Und jetzt dürfen Sie umformulieren – so lösungsorientiert wie möglich bitte! Also statt: „Ich habe nicht ausreichend Unterstützung!“ „Wofür konkret benötige ich kurzfristig Unterstützung?“

„Wo konkret benötige ich mittelfristig/langfristig Unterstützung?“

2.5 Wo Sie hinwollen, wissen Sie erst, wenn Sie sehen, wo Sie stehen!

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„Wer kann mir welche Unterstützung geben?“

„Was ist mein nächster Schritt, um diese Unterstützung zu bekommen?“

2.5 Wo Sie hinwollen, wissen Sie erst, wenn Sie sehen, wo Sie stehen! 2.5.1

Setzen Sie sich Ziele!

Können Sie sich erinnern, wann Sie das erste Mal ganz bewusst über Ihren Traumjob nachgedacht haben? Sich Zeit genommen haben, um darüber zu sinnieren, was Sie mit Ihrem Leben und insbesondere in Ihrem beruflichen Leben anfangen wollen? (s. Abb. 2.7) Ich wollte schon immer Trainerin und Beraterin werden. So kann ich mich erinnern, dass ich im zarten Alter von 16 Jahren den Onkel meiner Freundin interviewte. Ich wollte ganz genau wissen, wie er Kommunikationstrainer wurde. Nach dem Gespräch hatte ich

Abb. 2.7 Behalten Sie Ihre Ziele im Visier

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

zwar eine vage Vorstellung darüber, was er machte, aber keine Idee, welche Ausbildung ich einzuschlagen hätte. Dieses Gespräch hinterließ allerdings eine starke Emotion in mir. Es hatte mich nachhaltig beeindruckt, wie dieser Mann, der schon Ende 50 war, so begeistert von seinem Beruf erzählte. Diese Begeisterung hatte es mir angetan, und dieses Bild projizierte ich vor mein inneres Auge. Ich wollte begeistert sein von dem, was ich tat, und stellte mir die Frage, was es dazu braucht. Was mir wichtig ist. Ich entwickelte unbewusst ein Zielbild, auf das ich zusteuerte. Es gab Zeiten, da hielt ich das Steuer nicht ganz auf Kurs, z. B. während meiner Ausbildung zur Bankkauffrau oder während meines „Seitensprungs“ ins Marketing. Ich merkte dort sehr wohl, dass mir die echte tiefe Begeisterung fehlte. Interesse ja, aber keine wirkliche Emotion. Erst als ich im Rahmen meiner Marketingzeit in Tschechien junge Marketingexperten in einem Kurztraining zum Thema „Marketing Wissen“ für Einsteiger begleiten durfte, war sie wieder da. Die Begeisterung und das Gefühl, meine Stärken am richtigen Platz einsetzen zu können. Übung 2.9: Mein Zielbild

Was begeistert mich?

Woran habe ich wirklich Spaß und Freude im beruflichen Kontext?

Welche Tätigkeiten vermitteln mir ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit?

Eine Untersuchung der Harvard Universität hat bereits 1979 ergeben, dass Menschen, die ihre Ziele schriftlich festhalten, viel erfolgreicher bei der Zielerreichung sind. Die über einen Zeitraum von zehn Jahren angelegte Studie teilte die Zielgruppe der Absolventen in drei Gruppen:

2.5 Wo Sie hinwollen, wissen Sie erst, wenn Sie sehen, wo Sie stehen!

35

 83 % der Abgänger hatten keine konkreten Zielsetzungen für ihre Karriere.  14 % der Absolventen hatten klare Zielsetzungen, diese jedoch nicht schriftlich fixiert. Diese 14 % verdienten zehn Jahre nach ihrem Abschluss im Schnitt das Dreifache der Absolventen aus der Gruppe 1 ohne feste Ziele.  3 % der Absolventen hatten ihre Zielsetzungen darüber hinaus noch schriftlich fixiert. Diese verdienten im Schnitt zehn Jahre nach ihrem Abschluss das Zehnfache der Absolventen aus der Vergleichsgruppe 1. Diese Zahlen sind oft veröffentlicht, jedoch auch vielfach angezweifelt worden. Die Originalquelle der Universität Harvard ist leider nicht mehr verfügbar. Im Blog „Ziele-sicher-erreichen“ [14] wird außerdem noch auf eine weitere interessante Studie Bezug genommen. Sie dauerte nur vier Wochen, teilt die Teilnehmer allerdings in differenzierte Gruppen ein:  Gruppe 1 formulierte ihre Ziele für einen Zeitraum von vier Wochen nur mündlich. Sie sollten die Ziele nach Schwierigkeit und Wichtigkeit bewerten. Außerdem sollten sie sich Gedanken über ihre Fähigkeiten und Voraussetzungen sowie Einsatzbereitschaft und Motivation machen, um das Ziel zu erreichen.  Gruppe 2 hatte die gleichen Anweisungen, nur mit dem Unterschied, dass diese alles schriftlich gemacht hatten.  Gruppe 3 sollte zusätzlich konkrete Maßnahmen zur Erreichung der Ziele notieren.  Gruppe 4 verstärkte die Wirkung noch durch eine Vereinbarung zur Zielsetzung mit einem Freund.  Gruppe 5 schickte zusätzlich noch einmal wöchentlich einen Fortschrittsbericht an den Freund und wurde somit wöchentlich daran erinnert. Das Ergebnis der Studie ergab, dass    

43 % der Gruppe 1, 60 % der Gruppe 2 und 3, 64 % der Gruppe 4 und 76 % der Gruppe 5 ihre Ziele erreichten.

Wenn bereits nach vier Wochen signifikante Unterschiede in der Zielerreichung gemessen werden können, um wie viel größer ist der Unterschied dann erst in der Langzeitwirkung? Ist die positive Veränderung aktuell noch klein, so kann sie Sie in zehn Jahren richtig stark machen. Jeden Tag zehn Minuten Workout oder zehn neue Vokabeln haben in zehn Jahren eine enorme Wirkung. Wichtig sind allerdings die Regelmäßigkeit und die persönliche Selbstverpflichtung, am Ball zu bleiben. Dabei hilft die SMARTe Zielformel:

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

Übersicht

S steht für „spezifisch“, d. h. formulieren Sie so konkret wie möglich. M steht für „messbar“. Was gemessen werden kann, wird auch erledigt. Wenn ich keine Messbarkeitskriterien hinterlege, weiß ich nicht, wann ich mein Ziel wirklich erreicht habe. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Die Messbarkeitskriterien zu definieren, ist bei der eigenen Karrieregestaltung manchmal wirklich herausfordernd. Woran werden Sie merken, dass Sie Ihr angestrebtes Karriereziel erreicht haben? Ist es das angemessene Jahresgehalt, der Gestaltungsspielraum, die Anzahl der Mitarbeiter, die sie zu führen haben, oder die Positionsbezeichnung auf Ihrer Visitenkarte? Vielleicht sogar keins von alledem und noch etwas ganz anderes? Es ist lohnenswert, sich gleich noch ein paar mehr Gedanken darüber zu machen. A steht für „attraktiv“, also positiv formuliert. Formulieren Sie, was Sie wollen, und nicht, was Sie nicht mehr wollen. Wir sind häufig gut darin zu formulieren, wovon wir uns wegbewegen möchten. Doch so programmieren wir unser Hirn immer wieder in die Richtung, in die wir nicht mehr steuern wollen. So stellen Sie sich jetzt einmal nicht einen roten Elefanten auf einer blauen Wiese vor – und ja, da steht er . . . dick und rot! R steht für „realistisch“. Realistische Ziele werde ich erreichen können. Ich kann sie mir vorstellen und finde es naheliegend, diesen Weg zu gehen. Bei unrealistischen Zielen sagt mein Unterbewusstsein möglicherweise: „Das schaffst du ja doch nicht, brauchst es gar nicht erst zu versuchen“. Realistisch heißt trotzdem herausfordernd. Think big! Mit der Ermöglichung werden wir uns nachfolgend noch beschäftigen! T steht für „terminiert“. Überlegen Sie sich, für welchen Zeithorizont Sie die nachfolgende Übung machen möchten. Stehen Sie noch ganz am Anfang Ihrer Karriere, dann ist diese Übung durchaus mit einer langfristigen Zeitperspektive sinnvoll. Und wenn ich von langfristig spreche, dann meine ich zehn bis 15 Jahre. Sind Sie schon gestartet und haben ggf. sogar schon erste Führungsverantwortung übernommen, dann rede ich von 3 bis 5 Jahren, in denen Sie Ihre nächsten Karriereschritte konkret planen sollten.

Übung 2.10: Mein SMARTes Ich in x Jahren

Ich in S

Jahren:

2.5 Wo Sie hinwollen, wissen Sie erst, wenn Sie sehen, wo Sie stehen!

37

M

A

R

T

Wiederholen Sie das Zielesetzen regelmäßig am Jahresanfang: Setzen Sie sich jährlich ein persönliches, ein berufliches und ein verrücktes Ziel! Und dann sprechen Sie darüber! Männer, insbesondere Chefs, können nämlich keine Gedanken lesen. Ein Zitat hierzu von Martina Plag im Rahmen der Hamburger Women’s Business Days: „Sagen Sie Ihrem Chef, was Sie wollen. Er wird dankbar sein, denn er hat keine Zeit zu spekulieren, ob Sie Lust haben, ein Projekt zu übernehmen, ins Ausland zu gehen oder bereit für den nächsten Karrieresprung sind.“

2.5.2

Ihre Stärken und Entwicklungsbereiche

Der Boden ist bereitet, der Kurs klar! Jetzt gilt es, Fahrt aufzunehmen. Hier geht es darum, sich auf echte Stärken zu besinnen und sich zu trauen, diese auch einmal auszusprechen bzw. aufzuschreiben. Vielen Frauen (und auch einigen Männern) fallen als Erstes die Bereiche ein, in denen sie sich vermeintlich weiterentwickeln müssen. Sie können klar benennen, was sie angeblich nicht können. Mir persönlich hilft für solch eine Bestandsaufnahmen ein Kriterienkatalog. Die meisten größeren Unternehmen haben heute solch einen Potenzialkriterienkatalog für Führungs- und Führungsnachwuchskräfte. Fragen Sie danach, falls Sie ihn noch nicht kennen sollten. Oder schauen Sie auf die Homepage Ihres präferierten Arbeitgebers. Oftmals sind diese Kriterien dort veröffentlicht. Ergänzend finden Sie hier einen Kriterienkatalog, der viele der Potenziale abbildet, nach denen die Entscheider Personal auswählen. Ich habe ihn auf Basis meiner langjährigen Coachings und Karriereberatungen entwickelt. Im letzten Kapitel finden Sie dazu bei den Checklisten jeweils einen Fragebogen zur Kompetenzselbst- und -fremdeinschätzung. Suchen Sie sich einen vertrauenswürdigen Sparringspartner aus Ihrem beruflichen Umfeld, und bitten Sie ihn um eine Einschätzung.

38

2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

Kompetenzen Fähigkeit zur Kooperationsverhalten Respektiert andere und arbeitet mit ihnen teamorienEigensteuerung und Einfühlungsvertiert und effektiv zusammen. Agiert empathisch und mögen kooperiert Engagement Arbeitet zielorientiert, ist begeisterungsfähig und ambitioniert Belastbarkeit Arbeitet ruhig, kontrolliert und effektiv, auch unter hoher Belastung und Erfolgsdruck Flexibilität Kann sich gut auf veränderte Anforderungen und Umweltbedingungen einstellen Fähigkeit zur Überzeugungskraft Kann andere überzeugen und/oder beeinflussen, um Steuerung von sein Anliegen zum Ziel zu führen oder eine Verhalanderen tensänderung herbeizuführen Qualitätsausrichtung Setzt sich hohe Qualitätsstandards, die einer ständigen Überprüfung und ggf. Verbesserung unterzogen werden OrganisationsPlant Aktivitäten systematisch und setzt Ressourcen vermögen umsichtig ein Mitarbeitersteuerung Führt durch Zielvereinbarungen und Delegation, motiviert und entwickelt Mitarbeiter im Sinne der unternehmerischen Zielerreichung weiter Fähigkeit zur Durchsetzungskraft Übernimmt Initiative und treibt Projekte auch gegen UnternehmensWiderstände voran steuerung EntscheidungsTrifft Entscheidungen (auch unter Unsicherheit) in kompetenz angemessenem zeitlichen Kontext Unternehmerisches Kennt den Markt und das unternehmerische Umfeld, Denken handelt kostenbewusst und gewinnorientiert Strategisches Denken Projekte und/oder andere Aktivitäten werden in ihren mittel- und langfristigen Auswirkungen erfasst Innovationsvermögen/ Hinterfragt stetig das bisherige Vorgehen und sucht Kreativität nach innovativen Lösungen Sonstige Fachliche Fähigkeiten Verfügt über ein fundiertes Fachwissen und bildet sich Fähigkeiten kontinuierlich fort ProblemlösungsKommt zu einer nachvollziehbaren Bewertung, Einfähigkeit schätzung und Empfehlung auf Basis aller relevanten Sachverhalte und Informationen Analytisches DenkGeht systematisch an die Analyse von Problemstelvermögen lungen heran und gliedert sie in sinnvolle Bestandteile Schriftliches AusKommt auf den Punkt, ohne wichtige Informationen drucksvermögen zu vergessen, grammatikalisch fehlerfrei und im Stil dem Adressaten gegenüber angemessen Mündliche Kommuni- Kommuniziert klar, verbindlich und dem Zuhörer kation angemessen – sowohl gegenüber Einzelnen als auch vor oder in einer Gruppe

2.5 Wo Sie hinwollen, wissen Sie erst, wenn Sie sehen, wo Sie stehen!

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Und für diejenigen von Ihnen, die es noch konkreter mögen: Operationalisierungen (für ausgeprägte Stärke) Kooperationsverhalten – Ich unterstütze Kollegen ausnahmslos und uneigennützig. und Einfühlungsvermögen – Kann mich gut in andere hineinversetzen. – Ich stelle mich auf andere ein. – Ich informiere unaufgefordert und tausche mich stetig mit anderen aus. – Ich arbeite ausgesprochen gern im Team und „verkaufe“ ein Teamergebnis auch immer als ein solches. – Ich äußere Kritik angemessen und für den anderen nachvollziehbar. Engagement – Ich bin energievoll. – Mein Enthusiasmus für die Sache ist für Dritte stets deutlich. – Ich suche mir Arbeit/Projekte aus eigenem Antrieb. – Ich treibe die eigene Karriere voran. – Ich bin ehrgeizig und scheue nicht den Wettbewerb mit anderen. Belastbarkeit – Ich stehe sehr selten unter Anspannung. – Ich äußere eigene Gefühle angemessen. – Ich fordere Feedback ein und reagiere auf Kritik sensibel. – Ich gelte unter Kollegen als Optimist. Flexibilität – Längere Routine wird mir dauerhaft langweilig. – Neuerungen erlebe ich als reizvoll. – Ich kann mich überdurchschnittlich schnell auf neue Anforderungen einstellen und reagiere entsprechend zügig. Fähigkeit zur EigenGesamteinschätzung steuerung

40

2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

Operationalisierungen (für ausgeprägte Stärke) Überzeugungskraft – Ich sehe Verkaufs- und Verhandlungsgespräche als Herausforderung an, die ich gern annehme. – Ich präsentiere souverän und sicher. – Ich überzeuge im Auftreten. – Ich äußere eigene Meinung stets angemessen, auch wenn sie nicht der gängigen Meinung entspricht. Qualitätsausrichtung – Ich setze mir eigene Qualitätsstandards, die ich regelmäßig überprüfe und anpasse. – Ich bin, wenn nötig, detailorientiert und genau. – Ich bringe Projekte im vereinbarten zeitlichen und qualitativen Rahmen zum Abschluss. – Ich sorge für ausreichende Ressourcen. Organisationsvermögen – Ich kann Wichtiges von Unwichtigem trennen. – Meine Ziele sind klar definiert und kommuniziert. – Ich arbeite fristgerecht und plane längerfristig. – Ich teile mir die Zeit effizient ein. – Ich kann unterschiedliche Aufgaben/Projekte gleichzeitig betreuen ohne die Details aus den Augen zu verlieren. Mitarbeitersteuerung – Ich strebe Führungs- vor Fachlaufbahn an. – Ich fühle mich sicher im Führen von Mitarbeitern. – Ich werde als Führungskraft geschätzt und akzeptiert. – Ich kann andere motivieren. – Ich halte mich an Absprachen. – Ich delegiere nicht ohne Empowerment. – Ich entwickle eigene Mitarbeiter stetig weiter. Fähigkeit zur Steuerung Gesamteinschätzung von Anderen

2.5 Wo Sie hinwollen, wissen Sie erst, wenn Sie sehen, wo Sie stehen!

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Operationalisierungen (für ausgeprägte Stärke) Durchsetzungskraft – Ich kommuniziere Entscheidungen auch gegen Widerstände. – Ich treibe Initiativen auch gegen Widerstände mit Energie voran. Entscheidungskompetenz – Ich entscheide mich zügig. – Ich kläre Detailfragen, ohne nachfolgende Aktionen wesentlich zu verzögern. – Einmal getroffene Entscheidungen werden nicht wieder von mir infrage gestellt. – Ich nutze meine Handlungsspielräume und delegiere nicht nach oben Unternehmerisches – Ich stecke mir und anderen ehrgeizige Ziele. Denken – Ich bin mitarbeiterorientiert, ohne das Geschäft aus den Augen zu verlieren. – Ich suche den Wettbewerb, ohne „über Leichen“ zu gehen. – Ich halte mich ständig über Marktveränderungen auf dem Laufenden und kenne die Wettbewerber. Strategisches Denken – Ich plane langfristig. – Ich lasse mich nicht ständig von Dringlichem kurzfristig vereinnahmen. – Ich plane ausreichend Zeit für strategisch wichtige Aufgaben ein. – Ich arbeite mich leicht in strategische Fragen ein. – Komplexe Sachverhalte werden von mir schnell erfasst und auf das Wesentliche runtergebrochen. Innovationsvermögen/ – Ich denke und agiere gern unkonventionell. Kreativität – Ich halte mich nicht immer an Regeln bzw. stelle diese infrage. – Ich ziehe innovative Lösungen Routineabläufen vor. Fähigkeit zur UnternehGesamteinschätzung menssteuerung

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

Operationalisierungen (für ausgeprägte Stärke) Fachliche Fähigkeiten – Ich verfolge fachliche Entwicklungen und halte mich ständig up to date. – Ich werde wegen der eigenen Fachkompetenz häufig als Berater gefragt bzw. mit einschlägigen Aufträgen betraut. Problemlösungsfähig- – Ich kenne Problemlösungstechniken und wende diese sicher an. keit – Ich kann Empfehlungen/Lösungen nachvollziehbar begründen. – Ich stütze mich bei der Lösung auf die relevanten Daten und Fakten. Analytisches Denk– Ich treffe Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus, sondern auf vermögen Basis einer gründlichen Analyse. – Ich arbeite begeistert mit Zahlen und Fakten. – Ich gliedere komplexe Sachverhalte problemlos in sinnvolle Bestandteile. – Ich setze sinnvolle Prioritäten. Schriftliches Aus– Ich stelle mich auf Empfänger im Ausdruck ein. drucksvermögen – Ich bin klar und prägnant in der Sprache. – Ich mache selten Rechtschreib- oder Grammatikfehler. Mündliche Kommuni- – Ich stelle mich auf Empfänger in der Tonalität ein. kation – Ich spreche sicher auch vor Gruppen. – Ich bringe Dinge auf den Punkt. – Ich bleibe auch in Konfliktgesprächen angemessen verbindlich. – Ich trenne Sach- und Beziehungsebene. Sonstige Fähigkeiten Gesamteinschätzung

Übung 2.11: Meine Stärken

Welche Stärken bringe ich bereits mit?

Was brauche ich noch für meine Zielerreichung?

Literatur

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Wenn ich eine Kollegin über meine persönlichen Stärken befragen würde, welche Antwort bekäme ich?

Wichtig: Besinnen Sie sich auf Ihre Stärken und Ihre Leidenschaft! In diesen Bereichen sind Sie unschlagbar. Zusammenfassung

Grundsätzliche Erfolgsfaktoren für die eigene Karrieregestaltung sind Zielklarheit und der eigene innere Fokus. Durch aktive Netzwerkpflege, Coaching, Mentoring und eine an Ihren Stärken orientierte innere Haltung werden Sie die nächste Sprosse auf der Karriereleiter schneller nehmen können. Ein Kompetenzkatalog und regelmäßiges Feedback kann Ihnen bei der Besinnung auf Ihre wirklichen Stärken helfen. Haben Sie bereits Vorbilder, von denen Sie lernen können? Betreiben Sie schon aktives Modelling und fällt es Ihnen leicht, sich abzugrenzen? Die SelbstcoachingÜbungen dieses Buches helfen Ihnen bei der Selbstreflexion. Machen Sie dafür Termine mit sich selbst, die Sie genauso behandeln wie Kundentermine, dann hat Ihre Karriereplanung die gleiche Aussicht auf Erfolg wie ein A-Projekt!

Literatur 1. Kumbier, Dagmar. 2006. Sie sagt, er sagt: Kommunikationspsychologie für Partnerschaft, Familie und Beruf . Rowohlt. 2. Seiwert, Lothar J. 2008. Wenn Du es eilig hast, gehe langsam: Mehr Zeit in einer beschleunigten Welt. Campus. http://www.wirbewegenuns.com/tag/harvard-studie/. 3. Becker, Irene. 2005. Everybody’s Darling, everybody’s Depp: Tappen Sie nicht in die Harmoniefalle. Campus. 4. http://www.zitate.de. Thomas Alva Edison 5. Regler, Gaby. 2011. Zahlen zum Erfolg im Beruf – wirklich wahr? http://www. fuerfrauenvonfrauen.wordpress.com 6. Schneider, Barbara. 2009. Fleißige Frauen arbeiten, schlaue steigen auf: Wie Frauen in Führung gehen. Gabal. 7. Neumann, Reiner. 2012. Die Macht der Macht. Carl Hanser. 8. http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik.../abbIV76.pdf 9. Kleinert, Corinna. 2011. Ostdeutsche Frauen häufiger in Führungspositionen. IAB-Kurzbericht: Aktuelle Analysen und Kommentare aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Bd. 3, 1. 10. Mi´ci´c, Pero. 2014. Wie wir uns täglich die Zukunft versauen: Raus aus der Kurzfrist-Falle. Econ. 11. Peschel-Gutzeit, Lore Maria. 2012. Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte. Hoffmann und Campe.

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2 Karriere ist machbar: Selbst ist die Frau

12. Cetnarowksi, Isabella, Kathrin Breuer, und Dirk Sliwka. 2013. Karriere in Teilzeit: Ein schwieriges Unterfangen mit „Klebeeffekt“. Personal quarterly 65(3):26–30. (Basis für die zitierte Studie des IAB „Karriere in Teilzeit“) 13. http://statistik.arbeitsagentur.de/Statistischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Personengruppen/ generischePublikationen.de. Frauen und Männer am Arbeitsmarkt 2014 – Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Veröffentlichung Juni 2015 14. http://www.blog.ziele-sicher-erreichen.de. Schriftliche Ziele, Commitment und Reports helfen bei der Zielerreichung – Ergebnisse einer Studie von Prof. Dr. Gail Matthews

http://www.springer.com/978-3-658-14327-5