Die Medien und die Demokratie auf dem Balkan

Die Medien und die Demokratie auf dem  Balkan  „Für die WAZ ist kein Platz in Serbien“, verkündete der damalige Wirtschaftsminister des Landes, Mladja...
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Die Medien und die Demokratie auf dem  Balkan  „Für die WAZ ist kein Platz in Serbien“, verkündete der damalige Wirtschaftsminister des Landes, Mladjan Dinkić, im September 2010 in der Zeitung Večernje Novosti. Der Staat müsse dem Konzern verbieten, in Serbien zu investieren. Das Blatt gehörte zur Hälfte der Essener WAZ-Gruppe (bis 1997 Zeitungsgruppe WAZ, seit 2013 Funke-Gruppe). Diese hatte versucht, die Zeitung komplett zu übernehmen, war aber gescheitert. Der Konzern hatte daraufhin erklärt, dass er sein Engagement in Serbien beenden und sämtliche Beteiligungen verkaufen wolle. Zu diesem Zeitpunkt gehörten dort auch die führende Tageszeitung Politika und 55 Prozent des Regionalblatts Dnevnik aus Novi Sad zu seinem Portfolio. Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, entgegnete auf den Rauswurf: „Den Wunsch des Ministers (…) wollen wir gerne erfüllen. Das ginge aber noch viel schneller, wenn Herr Dinkić den serbischen Oligarchen auffordern würde, uns unser Geld (…) zurückzugeben.“ Der Oligarch hieß Milan Beko, es ging um 120 Millionen Euro. Dieser Vorgang ist in zweifacher Hinsicht symptomatisch. Er erfolgte zu einem Zeitpunkt, als etliche deutsche Medienunternehmen anfingen, sich aus den Ländern Ost- und Südosteuropas zurückzuziehen. Und er macht deutlich, dass es dabei nicht immer auf gepflegte kapitalistische Art zuging, sondern dass Machtstrukturen und Machthaber außerhalb der offiziellen Politik eine erhebliche Rolle spielten. Hinzu kommt, dass sich mitunter auch die Investoren aus dem Westen nicht vor Deals mit solchen Figuren scheuten. Der Eroberungsfeldzug Zu Beginn der 1990er Jahre hatte sich dem Kapital ein neues, schier unermessliches Feld für Expansion und Profit in den ehemals sozialistischen Ländern geboten. Die vormals volkseigenen Betriebe wurden privatisiert, das heimische Kapital war meistens noch nicht gefestigt, erfahrene Investoren aus dem Westen durften sich bedienen. Auf den Medienmärkten war das Vakuum nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten besonders groß. Die bisherigen Zeitungen, Zeitschriften und Sender hatten sich diskreditiert, neue »unbelastete« Eigentümer waren gefragt. Anfangs versuchten auch Konzerne aus Frankreich oder England ihr Glück, gaben aber bald wieder auf. Neben österreichischen und Schweizer Verlagen kamen vor allem deutsche Unternehmen zum Zuge, nicht zuletzt wegen der räumlichen Nähe und über Kontakte ehemaliger DDR-Betriebe. Bis auf wenige Ausnahmen machten sie sich nicht die Mühe, neue Medien zu entwickeln. Sie kauften vorhandene Blätter und betrieben sie weiter oder vertrieben ihre heimischen Titel in veränderter Aufmachung.

Dabei trat nicht nur die Crème de la crème der deutschen Medienwirtschaft auf den Plan, auch Regionalverlage wollten am großen Rad drehen. Dafür stehen drei Namen: die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft in Düsseldorf (Rheinische Post), die Verlagsgruppe Passau (Passauer Neue Presse) und die WAZ-Gruppe in Essen (Westdeutsche Allgemeine Zeitung). Die Passauer hatten schon 1990 im benachbarten Südböhmen Tages- und Wochenzeitungen gekauft, 1992 bis 1994 folgten mehrere Druckereien. Man gründete einen eigenen tschechischen Medienkonzern Vltava-Labe-Press. Die Expansion nach Polen begann 1994, in die Slowakei 1999. Überall wurden moderne Druckzentren geschaffen, die bisherigen meist stillgelegt, verbunden mit Massenentlassungen, versteht sich. Binnen zehn Jahren steigerte die VG Passau ihren Umsatz von 90 Millionen auf rund eine Milliarde D-Mark. Drei Viertel der Erlöse kamen 2006 aus dem Ausland. Vom »Wunder von Passau« war die Rede, dem Aufstieg eines mittleren Regionalverlags in die Liga der Globalplayers. Ähnliches geschah in Düsseldorf: Die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft begann ihren Eroberungsfeldzug in Tschechien 1994. Sie übernahm mit Mladá fronta Dnes und Lidové noviny zwei der bedeutendsten Zeitungen des Landes und baute sie nach weiteren Beteiligungen an Presse-, Radio-, Fernseh- und Vertriebsfirmen zum Konzern Mafra, dem führenden Medienunternehmen an Elbe und Moldau, aus. Es folgten Polen (1999) und die Slowakei (2009) als Investitionsfelder. Schließlich die WAZ-Gruppe. Als sie 1993 damit begann, Märkte hinter dem einstigen »Eisernen Vorhang« aufzurollen, waren ihr Beteiligungen in Österreich (Kronen-Zeitung, News) hilfreich. Anders als die Kollegen aus Passau und Düsseldorf setzte man in Essen den Schwerpunkt auf den Balkan und entwickelte sich dort binnen weniger Jahre zum größten Medieninvestor der Region. In Ungarn besaß der Konzern 2005 ganz oder mehrheitlich fünf Zeitungen und einen Zeitschriftenverlag, in Bulgarien drei Tages- und drei Wochenzeitungen sowie einen Zeitschriftenverlag, in Rumänien drei Tageszeitungen, in Serbien eine Tageszeitung, in Mazedonien vier Tageszeitungen und in Albanien einen Fernsehsender. 50-Prozent-Beteiligungen gab es in Kroatien an einer Tageszeitung und elf Zeitschriften, in Serbien an drei Zeitungen und 14 Zeitschriften sowie in Rumänien und Montenegro an jeweils einer Tageszeitung. Minderheitsbeteiligungen bestanden an einer Zeitung in Kroatien und am Verlag Lambrakis Press in Griechenland. Selbstverständlich waren nicht nur regionale Verlage auf die neuen Medienmärkte scharf, auch die Spitzenreiter der Branche ließen sich nicht lange bitten. Bertelsmann startete seine Expansion über die Tochterkonzerne Gruner und Jahr, Motor-Presse Stuttgart und RTL-Group (an letzterer war die WAZ-Gruppe bis 2005 beteiligt). Auch hier war Ungarn eines der ersten Investitionsziele: Gruner und Jahr beteiligte sich an drei Zeitungen, RTL gründete später den bis heute führenden privaten Fernsehsender. Im Jahr 2010 gab Bertelsmann in Ungarn, Polen, Tschechien, der Slowakei,

Slowenien, Serbien und Kroatien Printmedien heraus, Fernsehsender wurden in Ungarn, Kroatien und Griechenland betrieben. Der Springer-Konzern hatte 2010 den größten Teil seiner Osteuropaaktivitäten mit denen des Schweizer Ringier-Konzern zusammengelegt und eine gemeinsame Holdinggesellschaft gegründet. Zuvor, 2003, hatte er in Polen die Boulevardzeitung Fakt gestartet, die sich in wenigen Jahren zum auflagenstärksten Titel des Landes entwickelte. Ein ähnlicher Versuch in Ungarn war wenig später gescheitert. Springer/Ringier brachten 2010 in Polen zwei Zeitungen und elf Zeitschriften heraus und besaßen Magazinverlage in Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Springer allein besaß außerdem einen Zeitschriftenverlag in Russland und eine 40-Prozent-Beteiligung in Rumänien. Auch die führenden deutschen Zeitschriftenverlage, Heinrich Bauer in Hamburg und Hubert Burda in Offenburg/München, waren dem Ruf nach Osten gefolgt. Sie kauften vorhandene Verlage oder gründeten neue, unter anderem in Polen, Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Russland sowie neuerdings in der Ukraine. Teilweise vertrieben sie Ableger ihrer heimischen Titel (z. B. Bravo von der Bauer Media KG). Die Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck wollte ebenfalls ein Stück vom Kuchen abhaben und kaufte sich 2006 in Tschechien, der Slowakei, Bulgarien und der Ukraine ein. Sie zog aber schon 2008 die Reißleine und stieg wieder aus. Man sei zu spät gekommen, die reichhaltigsten Pfründen seien schon vergeben gewesen, hieß es zur Begründung. Medienmärkte unter Kontrolle Am Ende der Nullerjahre wurde in den ehemals sozialistischen Ländern, die nicht zur Sowjetunion gehört hatten, der Pressemarkt von westeuropäischen, hauptsächlich deutschen Konzernen beherrscht. In Tschechien beispielsweise gehörte 2010 nur noch eine Zeitung (Pravo) einem heimischen Verlag. In der Slowakei war es nicht viel anders. In Polen betrieb die VG Passau über ihre Tochter Polskapress die neun meistgelesenen Regionalzeitungen, Axel Springer lieferte den größten überregionalen Titel, außerdem elf Zeitschriften. Zwölf Publikumsmagazine kamen von Gruner und Jahr, 37 von Bauer und 13 von Burda. In Ungarn vertrieb Axel Springer vier überregionale und acht regionale Zeitungen sowie zwei Sonntagszeitungen, die WAZ-Gruppe war mit fünf Zeitungen und zehn Anzeigenblättern auf dem Markt. Bei den Publikumszeitschriften kamen vier Titel von Bertelsmann und 21 von Springer/Ringier. Die WAZ-Gruppe unterhielt einen eigenen Verlagskonzern für Zeitschriften. Die beiden größten privaten Fernsehsender wurden von Bertelsmann (RTL Klub) und »Pro Sieben Sat. 1« (TV2) betrieben.

Zu den Presseverlagen und Fernsehsendern gehörten jeweils Onlineportale; die Marktbeherrschung verlängerte sich dadurch ins Internet. Solche Fakten sollte man im Kopf haben, wenn man sich über die Ausbreitung nationalistischer Stimmungen in den besagten Ländern wundert. Heute, fünf Jahre später, hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Gruner und Jahr, Funke, »Pro Sieben Sat. 1«, die Rheinische Post und die VG Passau haben sich komplett zurückgezogen, das Engagement der Verlage Bauer und Burda beschränkt sich auf den Zeitschriftenmarkt. Einziger übergreifender Investor ist die Springer/Ringier-Holding, die in Polen, der Slowakei und Ungarn eine Rolle auf dem Zeitungsmarkt spielt und außerdem etwa 50 Zeitschriften und 30 Onlineportale betreibt. Die RTL-Gruppe unterhält in Ungarn einen Fernsehsender. Auf dem Balkan gibt es nur noch in Serbien und Rumänien Springer/Ringier- und Burda-Magazine, ansonsten hat das deutsche Kapital dieses Terrain geräumt. Auch in Tschechien sind alle Medienbetriebe an dortige Investoren verkauft worden. Beinahe fluchtartiger Rückzug Für diesen Rückzug, der schon fast nach einer Flucht aussieht, spielten meistens wirtschaftliche, teils aber auch politische Gründe eine Rolle. Die Krise der gedruckten Medien machte um die neuen Märkte keinen Bogen: Die Auflagen stagnierten zunächst und fingen dann an zu sinken. Fernsehen und Internet entwickelten sich zur Alternative. Den ersten Dämpfer hatte es Anfang der 2000er Jahre gegeben: Die New-Economy-Blase platzte, der Werbemarkt brach ein. In (West-)Deutschland konnten damals die Profitraten meist durch Personalabbau in den Verlagen gesichert werden, die Belegschaften in den neuen Regionen aber waren schon bis zur Schmerzgrenze ausgedünnt und boten wenig Spielraum für Einsparungen. Zudem fingen die Kartellbehörden an, wirksam zu arbeiten. In Ungarn etwa musste Bertelsmann 2002 die Zeitung Népszabadság an Ringier verkaufen, um am Fernsehsender RTL Klub die Mehrheit erwerben zu dürfen. Den zweiten Rückschlag brachte die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007/2008. Sie traf die ostund südosteuropäischen Märkte wesentlich schwerer als die im Westen. In fast allen Balkanländern schrumpften die Nettowerbeerlöse im zweistelligen Bereich, in Rumänien beispielsweise bei Zeitungen um 70 Prozent. Die Werbemärkte haben sich bis heute nicht erholt. Plötzlich wurden die einstigen Goldgruben zu Millionengräbern. Die meisten Investoren aus dem Westen fingen an, sich nach Möglichkeiten für den Ausstieg umzusehen. Als Käufer kamen angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen andere Medienunternehmen kaum in Frage. Statt dessen bot sich das einheimische Kapital an, das sich im Zuge der Privatisierung mit oft harschen Methoden herausgebildet und gefestigt hatte. Zwischen den einzelnen Ländern gibt

es zwar Unterschiede, aber auch gemeinsame Strukturen. Sie bestehen darin, dass regionale oder sogar nationale Wirtschaftsunternehmen – immer repräsentiert durch Einzelpersonen – entstanden sind, die bedeutende Macht besitzen. Häufig sind sie mit den politischen Einflussträgern eng verbunden, bei Bedarf wird die Macht auch an den offiziellen Kanälen vorbei ausgeübt. Legalität ist nicht zwingend. Für diese Strukturen hat sich der Begriff »Oligarch« durchgesetzt. An solche Personen bzw. an ihre Firmen haben in den meisten Fällen die deutschen Medienkonzerne ihre Betriebe verkauft. Am Beispiel Tschechien soll das illustriert werden. Als im August 2015 die VG Passau ihren Medienkonzern Vltava-Labe-Press (VLP) abstieß, wurde die tschechisch-slowakische Investorengruppe Penta neuer Eigentümer. Dieses Unternehmen war bis dahin vorwiegend mit Immobilien, Gesundheitsvorsorge und Finanzdienstleistungen beschäftigt. Es war 2011 in einen politischen Skandal in der Slowakei verwickelt, die »Gorilla-Affäre«: Ein Abhörprotokoll des Geheimdienstes hatte die Beziehungen zwischen Penta und führenden slowakischen Politikern 2005/2006 enthüllt. Penta wurde vorgeworfen, Bestechungsgelder in Millionenhöhe gezahlt zu haben, um an zu privatisierende Unternehmen zu kommen. Die führende Tageszeitung SME, die am lautesten über den Skandal berichtet hatte, wurde 2014 von Penta gekauft. Die Ermittlungen gegen die Firma sind bis heute ergebnislos geblieben. Den Kauf der VLP durch Penta begründete Marek Dospiva, einer der Miteigentümer, 2015 im Interview mit der tschechischen Zeitung Hospodárske noviny so: »Der Erwerb der Mediengruppe gibt uns die Gewissheit, dass es für jeden schwieriger wird, unvernünftigerweise unser Unternehmen anzugreifen. Und ich betone das Wort unvernünftig.«¹ Im Juni 2013 kaufte Andrej Babis das Medienunternehmen Mafra von der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft. Damit gehörten ihm u. a. zwei führende Qualitätszeitungen (Mladá fronta Dnes und Lidové noviny), die Gratiszeitung Metro und der TV-Musiksender Očko. Später kaufte er auch noch den Radiosender Impuls. Babis ist laut dem Nachrichtenmagazin Týden nicht nur der zweitreichste Tscheche, sondern auch Vizepremier und Finanzminister des Landes sowie Vorsitzender der Regierungspartei ANO. Ende 2013 kauften zwei weitere einflussreiche Geschäftsleute, Daniel Kretínsky und Patrik Tkác, von der Springer/Ringier-Holding den Medienkonzern Czech News Centre. Damit gewannen sie u. a. die Kontrolle über Blesk, die beliebteste Boulevardzeitung des Landes. Jaromír Soukup, Eigentümer von Empresa Media (Týden, mehrere Fernsehsender) und der Agentur Médea, bezeichnet sich selbst als »tschechischen Berlusconi« und finanziert wahlweise die Grünen und die Sozialdemokraten.

Die aktuelle Situation in Tschechien ist so, dass die deutschen Medienkonzerne ihre Investments aufgegeben haben, die neuen Eigentümer aber keine Medienleute sind, sondern Investoren, die im Zuge der Privatisierungen nach 1990 reich wurden. Für sie spielt die Rendite offenbar nicht die entscheidende Rolle. Eher soll der Medienbesitz dazu dienen, die eigenen wirtschaftlichen und politischen Vorteile auszubauen und unliebsame Kritik und Enthüllungen zu vermeiden. In Tschechien haben sich als Reaktion auf die jüngsten Eigentümerwechsel immerhin mehrere Initiativen gebildet, deren Ziel es ist, die Besitzverhältnisse auf den Medienmarkt öffentlich zu machen und die Pressefreiheit zu schützen. In »Svobodu médiím!« sind Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen vereint, um eine Änderung des Mediengesetzes zu erreichen. In anderen Ländern gibt es solche Bemühungen bisher kaum. Dabei gebärden sich hier die Oligarchen teils noch dreister als in Tschechien. Der ehemalige WAZMediengruppengeschäftsführer Bodo Hombach hat das vor einigen Monaten in einem Interview mit Blick auf die Balkanstaaten so formuliert: Als die Kandidatenländer EU-Mitglieder geworden waren, »haben bestimmte politische Kräfte auf geradezu enthemmte Weise Maßnahmen ergriffen, um die Macht in und über die Medien zurückzugewinnen. Dazu gehörten subtile Repression, ein eigenartiges Zusammenspiel bestimmter Oligarchen und staatlicher Instanzen.«² In dem Interview zeigt sich die Schmollpose dessen, der das Spiel verloren hat. Außerdem hat Hombach vergessen zu erwähnen, dass sein Konzern sich nicht scheute, die »Dienste« von Oligarchen in Anspruch zu nehmen, wenn das den eigenen Interessen zu dienen schien – wie das eingangs zitierte Beispiel mit Milan Beko zeigt. Gleichwohl sind auch unbeteiligte Beobachter der Meinung, dass die »Renationalisierung« der Medien in dieser Region oft mit fragwürdigen Methoden zustande kam. Derartige Prozesse könnten in Zukunft noch von politischer Seite vorangetrieben werden. Das ungarische Parlament beschloss 2010, gleich nach dem zweiten Machtantritt der Regierung von Viktor Orbán, ein Gesetz, das die öffentlich-rechtlichen Sender faktisch gleichschaltete und sämtliche anderen Medien zur »ausgewogenen« Berichterstattung verpflichtete. Beurteilt wird das von einer Regierungsbehörde. Ein weiteres Gesetz von 2014 erhebt eine zusätzliche Steuer von bis zu 40 Prozent auf Werbeeinnahmen von Medienunternehmen. Davon wird vor allem der Fernsehsender RTL Klub betroffen, was auch offen als Motiv genannt wurde. Die neue polnische Regierung hat 2015 ebenfalls sofort nach ihrem Machtantritt die öffentlichrechtlichen Sender gleichgeschaltet. Die privatwirtschaftlichen Verlage sollen »repolonisiert« werden. Kulturminister Piotr Glínski will bei den Zeitungen des Landes »die Besitzverhältnisse ändern«,

indem der Staat Anteile ausländischer Verlage »zurückkauft«, neue Blätter gründet oder politisch genehme Titel fördert. Mit den ausländischen Verlagen ist in erster Linie die Springer/RingierHolding gemeint, die die führende Tageszeitung Fakt sowie zwei Sportzeitungen herausgibt und mit 49 Prozent an der Dziennik Gazeta Prawna beteiligt ist. Vom Regen in die Traufe In den Ländern Mittel- und Südosteuropas hatten nach dem Siegeszug des Kapitalismus bei den Redakteuren ebenso wie beim Publikum große Hoffnungen auf eine freie und unabhängige Berichterstattung bestanden. Die ehemals vor allem mit Mitgliedern der jeweils führenden Parteien besetzten Redaktionen wurden umgekrempelt, kurzfristig entstanden neue Zeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehsender, die sich ungehindert über fast alles äußerten. Das war aber bald vorbei, als das westliche Kapital die Märkte erschloss. Nun bestimmten der Markt und das angebliche Publikumsinteresse, was gedruckt und gesendet wurde. Die deutschen Medienkonzerne und die aus Österreich und der Schweiz legten den publizistischen Kurs nicht durch politischen Druck, sondern durch den Verweis auf ökonomische Zwänge fest. Die grassierende Arbeitslosigkeit erleichterte das. Administrative Eingriffe erfolgten nur im Notfall. Inzwischen ist die Expansion des westeuropäischen, insbesondere deutschen Medienkapitals nach Ost- und Südosteuropa Vergangenheit oder wird es vermutlich bald sein. Für die meisten Verlage dürfte die Bilanz negativ ausfallen. Die anfänglich reichlichen Profite wurden von Verlusten abgelöst. Über die Kauf- und Verkaufspreise wird nichts mitgeteilt. Zumindest die Funke-Gruppe gibt offen zu, dass sie kräftig draufgezahlt hat. Das muss man nicht bedauern, aber das, was danach kam, bietet wenig Grund zur Freude. Die Alternative zu Springer, Funke oder Bertelsmann heißt offenbar reaktionäre politische Formierung oder Indienstnahme durch »einflussreiche Geschäftsleute«. Mehr Informationen über das Thema: http://mde.politics.ox.ac.uk/index.php