Die Geschichte vom Stift Urach

Die Geschichte vom Stift Urach 1 Die Gründungszeit Graf Eberhard hat sich mit besten Beratern umgeben, um sein Reformwerk planen und verwirklichen z...
Author: Ingeborg Beutel
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Die Geschichte vom Stift Urach 1

Die Gründungszeit

Graf Eberhard hat sich mit besten Beratern umgeben, um sein Reformwerk planen und verwirklichen zu können. Schwierig war es, Menschen oder Gruppen zu finden, die ihm bei der Kirchenreform – die in vorreformatorischer Zeit wie auch später von den Landesherren erwartet wurde, weil die Kirche selbst offensichtlich keine Kraft zur Reform hatte – mit Rat und Tat zur Seite stehen konnten. Denn der Klerus war dem Bischof von Konstanz verantwortlich; auf ihn konnte Graf Eberhard sich deshalb nicht stützen. Ebenso nicht auf die Klöster, da die Mönchsorden ihren Ordensoberen unterstellt waren. Um 1470 – vielleicht auch schon früher – hatte Graf Eberhard die Brüder vom gemeinsamen Leben und vor allem den Mainzer Domprediger und berühmten Theologen Gabriel Biel kennengelernt, der als Probst einem Konvent der "Kappenherren" oder "Kugel-" bzw. "Gugelherren" (wie die Brüder auch genannt wurden wegen ihrer Kopfbedeckung) in Butzbach (zwischen Frankfurt und Gießen, an der heutigen Autobahn) vorstand. Diese Bewegung gefiel dem Grafen, und er lud die Brüder ein, nach Urach zu kommen, hier ein Brüderhaus zu gründen und ihm bei der Reform der Kirche – des Klerus und der Klöster – und der Förderung des geistlichen Lebens in der Grafschaft zu helfen. Die Brüder kamen im August 1477. Der Mönchshof wurde in den Jahren 1477-1482 erbaut, gleichzeitig mit dem Neubau der Amanduskirche (Bauzeit 1477-1501), die von einer Pfarrkirche in eine Stiftskirche umgewandelt wurde. Vom Brüderhaus Urach gingen weitere Neugründungen aus: Herrenberg, Tübingen (Schlosskirche), Dettingen (Erms), Tachenhausen (bei Nürtingen, heute abgegangen) und vor allem das reich ausgestattete Stift St. Peter auf dem Einsiedel (bei Pfrondorf). Die Blütezeit der Häuser währte nur 40 Jahre. Den Brüdern gelang es nicht, Verbindung mit der Bevölkerung und Rückhalt bei den Landständen und beim Landesherrn, der auf Graf Eberhard folgte, zu gewinnen. Bürger und andere Landstände sahen in der Unterhaltung der Brüderhäuser eine unnütze Ausgabe. Herzog Ulrich, der große Repräsentationsbedürfnisse hatte und immer in Geldsorgen war, nutzte die Gelegenheit: Er wollte mit den frei werdenden Geldern seine Hofkapelle bezahlen. So wurde nach langen Verhandlungen mit dem Papst, mit den Landständen, die sich in diesem Zusammenhang in dem berühmten Tübinger Vertrag von 1514 weitgehende Rechte bei der Regierung des Landes ausbedungen, im Jahr 1517 wieder aufgelöst. Das Chorherrenstift blieb in sehr verkleinerter Form erhalten. Der Mönchshof wurde wohl von einigen Chorherren bewohnt. Nach Einführung der Reformation wohnten wohl 1

der Prediger und der Diakon im Mönchhof. Bild von Graf Eberhard IV, dem Erbauer vom Stift Urach, aus dem Schloss mit seinem Emblem und seinem Wahlspruch. Die Palme hat er nicht von seiner Israelreise (1468) "mitgebracht", sondern sie taucht erst Jahre später auf (z.B. noch nicht auf seinem Betstuhl in der Amanduskirche von 1472; dort nur sein Wahlspruch "Attempto" ohne die Palme). Die Palme ist das Symbol der Gerechtigkeit (vgl. mehrere Psalmen: "Der Gerechte grünt wie ein Palmbaum ..."). Gerechtigkeit und Ehrfurcht (iustitia und pietas) waren die Lebensinhalte des Grafen (so auch z.B. die Förderung der Rechtspflege und Entwicklung eines neuzeitlichen Beamten- und "Rechtsstaates"). Der Wahlspruch "Attempto" ("Ich wag's") klingt ganz modern ("Packen wir's an!"), hat aber im spätmittelalterlichen Kontext einen ganz anderen Sinn: Die Zahl der Buchstaben (8) ist die Symbolzahl für die Vollkommenheit Gottes. Anfangs- und Endbuchstaben (A und O) weisen auf Christus hin. Das Wort bedeutet also: Ich wag's mit Gott und Christus. 2

Wechselhafte Zeiten

Ab 1558 war der Mönchhof Sitz des Hilfswerks für Slowenien und Kroatien. 1560-66 hat Primus Truber, der Reformator Sloweniens, im Stift Urach gelebt. Er musste – als lutherischer Prediger in Laibach/Lubljana – außer Landes gehen, weil die Habsburger in Österreich-Ungarn sich der Reformation nicht anschlossen und die Lutheraner unterdrückten. In der Zeit von 1561-66 lebten und arbeiteten mehrere Glaubensflüchtlinge im Uracher Mönchhof: Primus Truber, der Freiherr Hans Ungnad von Sonnegg, Landeshauptmann der Steiermark, die Kroaten Stefan Konsul und Anton Dalmata und einige kroatische Gehilfen. Sie betrieben ein großes Hilfswerk zur Verbreitung der Bibel und reformatorischer Literatur bei den südslawischen Völkern. Sie übersetzten das Neue Testament und einen großen Teil der damaligen reformatorischen Literatur in die slowenische und kroatische Sprache und verfassten volkstümliche Schriften theologischen und geistlichen Inhalts, eine Fibel und eine Kirchenordnung. Etwa 25000 Bücher sind aus der Uracher "Bibelanstalt" hervorgegangen, so dass das Stift Urach als die ‚älteste Bibelanstalt der Welt’ gelten kann. Die Schriften wurden in Weinfässer verpackt, auf Pferdefuhrwerke geladen und auf Schleichwegen durch das katholische habsburgische Gebiet transportiert. Da in slowenischer (= "windischer") Sprache vorher noch nie etwas geschrieben worden war, musste Primus Truber zuerst eine Schriftsprache entwickeln. So ist er als Schöpfer der slowenischen Hochsprache in die Geschichte eingegangen und wird vom slowenischen Volk auch heute noch hoch verehrt. Davon kündet ein slowenischer Geldschein, der das Portrait Trubers zeigt ebenso wie die Tatsache, dass hin und wieder am Primus-Truber-Denkmal im Stiftsinnenhof von Pilgergruppen aus Slowenien ein Kranz niedergelegt wird. 1566 endete diese Phase des Stifts als Bibelanstalt: Schon bald gab es in der Gruppe immer wieder Streit. Primus Truber ging als Pfarrer nach Derendingen und wirkte dort – und von dort aus in seine Heimat hinein – noch 20 Jahre bis 1586. In Derendingen wurde er auch begraben; sein Grab ist allerdings verschollen. Nach Auflösung dieses Werkes nahm später die Uracher Leinwandhandlungskompagnie im Stiftgebäude seinen Sitz. Das Uracher Leinen war 2

hochwertig und berühmt. In Urach gab es eine große Webervorstadt (heute noch: "An der Weberbleiche"). Der Herzog hatte das Monopol für den Verkauf des Leinens. Dies wurde im Gebäude des Mönchhofes abgewickelt (1599-1793). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fiel es dem württembergischen König Friedrich I. ein, im Mönchhof einen Fohlenhof einzurichten (im Verbund mit den Gestüten Marbach, St. Johann, Güterstein). Das Gebäude wurde ganz umgebaut, dabei verschwanden auch der Hofbrunnen und der Kreuzgang. Im Erdgeschoss waren die Fohlen untergebracht, im 1. Stock das Gesinde. Ein Teil der Bürgerschaft protestierte gegen diese Zumutung mitten in der Stadt neben der Kirche, ein anderer Teil spottete: ‚olim musis, nunc mulis’ (einstmals ein Ort der Musen, jetzt ein Platz für Maultiere). 3

Die Seminarzeit

König Wilhelm, der 1816 an die Regierung gekommen war, erkannte die Fehlentscheidung seines Vorgängers, in den ehrwürdigen Mauern einen Stall zu errichten, und nahm sie zurück. Nach erneutem Umbau wurde 1818 das Königliche Seminar eröffnet, das sich damit in die Geschichte der evangelischen Klosterschulen seit der Realisierung der Reformation unter Herzog Christoph stellte. Nachdem in den Jahrhunderten seit der Errichtung von Schulen für begabte Jungen des Landes diese immer mehr zurückgegangen waren, konnten seit 1806 in den verbliebenen beiden ‚niederen Seminaren’ Maulbronn und Schöntal nicht mehr genügend Studienkandidaten für die Ausbildung im Tübinger Stift herangezogen werden. Deshalb wurden 1817/18 in Blaubeuren und Urach zwei zusätzliche Seminare errichtet. Schöntal und Urach gehörten dann als Seminare zusammen: 9.-11. Klasse in Schöntal, 12. und 13. Klasse in Urach. Eduard Mörike gehörte zum ersten Jahrgang, der die Schule durchlief. 4 Jahre (1818-22) hat er hier als Internatsschüler gelebt. 1977 wurde das Uracher Seminar aufgelöst, weil es zu klein war, um hier die Oberstufenreform durchführen zu können. Da das Graf-Eberhard-Gymnasium damals erst als Progymnasium bestand, gab es keine Kooperationsmöglichkeit mit einer anderen Schule am Ort (anders als in der parallel existierenden Schule in Blaubeuren). Das Seminar war in Urach sehr beliebt, einmal weil es die einzige höhere Schule am Ort war, zum andern versprachen sich Uracher Bürgersfamilien, die eine heiratsfähige Tochter hatten, eine gute Partie mit einem Seminaristen. So wurde gleich nach Ankunft der Schüler zu Beginn der 12. Klasse ein Tanzkursus abgehalten mit Uracher Bürgerstöchtern. 1977, nach der Schließung des Seminars Urach, wurde das Gebäude umfassend saniert und umgebaut, im September 1980 nahm das Einkehrhaus Stift Urach seine Arbeit auf. 4

Einkehrhaus

Anlässlich des 25jährigen Jubiläums haben einige der Menschen, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass das Stift Urach zu dem Einkehrhaus wurde, das es heute ist, Rückschau gehalten und Einblick gegeben in das, was sie bewegt hat. 1977 – 1980 (aus der Sicht eines der Wegbereiter vom Stift Urach und späteren Kuratoriumsvorsitzenden Prälat i.R. Gerhard Röckle, Stuttgart) 1980 – 1994 (aus der Sicht des Leiters dieser Zeit Pfr. Werner Knoch) 1994 – 2005 (aus der Sicht des Leiters bis 2006 Pfr. Dr. Udo Hofmann)

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Von den Anfängen in den Jahren 1977 – 1980 (aus der Sicht des Prälat i.R. Gerhard Röckle, Stuttgart)

Was aus dem ehemaligen Evangelisch-theologischen Seminar Urach werden sollte, war lange Zeit recht unklar. Soviel war jedenfalls sicher, dass das Seminar im Zuge der Oberstufenreform seine Pforten im Jahr 1977 schließen werde. Als das feststand und öffentlich wurde, machten offizielle und halbamtliche, seriöse und spekulative Überlegungen über die weitere Nutzung die Runde. Es war die Rede, dass das Haus nach einem notwendigen Umbau ein ideales Altenwohnstift werden könnte, das mitten in der Stadt gelegen wäre. Auch eine diakonische Einrichtung wurde schon genannt, die es betreiben könnte. Dann hörte man, dass auch die Universität Tübingen Interesse zeigte, ihr Musikwissenschaftliches Institut dort unterzubringen, wobei die dicken Klostermauern ideale Voraussetzungen für lautstarkes Proben abgeben würden. Im Kollegium des Oberkirchenrats gingen die Überlegungen in eine andere Richtung. Es bestand hier die einhellige Meinung, das ehemalige Seminar nicht, wie das Seminar in Schöntal, an den Staat zurückzugeben, sondern es im Blick auf die Geschichte des Hauses einer besonderen Nutzung zuzuführen. Für den damaligen Landesbischof Helmut Claß bot dieses Haus eine günstige Gelegenheit für die Landeskirche, eine so bisher nicht wahrgenommene Aufgabe biblisch- seelsorgerlicher Zurüstung Einzelner und gemeindlicher Gruppen in Angriff zu nehmen. Von Mitgliedern des Kollegiums wurde er darin bestärkt, in Urach ein Haus der Stille, der Meditation und biblischen Zurüstung einzurichten. Nun war die Frage, mit welchen Partnern ein solches landeskirchliche Anliegen verwirklicht werden könnte. Es war bekannt, dass das Amt für missionarische Dienste schon seit vielen Jahren ein Haus der Stille, der Seelsorge und der Zurüstung einrichten wollte. Der Kirchenleitung war auch bekannt, dass die drei Kirchenbezirke im Landkreis Reutlingen die Evangelische Erwachsenenbildung verstärken wollten und der Kirchenbezirk Reutlingen seit Jahren eine regionale Tagungsstätte bauen wollte, so wie sie bereits in Tieringen und Löwenstein bestanden. So lag es nahe, dass der Oberkirchenrat Vertreter der drei Kirchenbezirke Urach, Reutlingen, Münsingen zusammen mit Vertretern des Amts für missionarische Dienste zu Gesprächen einlud. Es sollte ein theologisches Konzept für die künftige Nutzung des Hauses erarbeitet werden. Ein erster Entwurf wurde von Pfarrer Gerhard Röckle vorgelegt und mit den Dekanen Duncker, Schwarz und Gölz diskutiert. Der Entwurf ging an den Oberkirchenrat und wurde in den Gremien der Kirchenbezirke diskutiert und grundsätzlich befürwortet. Von Anfang an ging es um die entscheidende Frage, wie die beiden Anliegen unter einem Dach miteinander zu verbinden sind: Der Wunsch nach einem Einkehrhaus mit geistlicher Ausrichtung und Prägung und der Wunsch der drei Kirchenbezirke, das Haus auch als Begegnungs- und Tagungsstätte im Sinne der Erwachsenenbildung mit zu nutzen. Im Juni 1979 einigten sich die Gesprächspartner auf ein zu bildendes Kuratorium, das eine detaillierte Konzeption des Hauses erstellen sollte. Dem vorläufigen Kuratorium sollten angehören: Je zwei Vertreter der Kirchenbezirke Urach, Reutlingen, Münsingen, des Amts für missionarische Dienste, des Vereins zur Förderung missionarische Dienste e.V. und des Oberkirchenrats. Im Rückblick kann es nur als ein Glücksfall bezeichnet werden, dass bei der 1. Sitzung des Kuratoriums am 1. Dezember 1979 Landesbischof D. Helmut Claß auf Vorschlag von Oberkirchenrat Theo Sorg einstimmig zum Vorsitzenden gewählt wurde. 4

Aufgabe des vorläufigen Kuratoriums war, baldmöglichst einen theologischen Leiter zu suchen, der dann im Frühjahr 1980 in Pfarrer Werner Knoch gefunden wurde. Ferner sollte die Beratung über das theologische Konzept weiter geführt werden und eine Satzung erarbeitet werden. Nach einem Besuch von Bischof Claß mit einigen Mitgliedern des Kuratoriums im Mai 1980 in Gnadenthal, entschied die Jesusbruderschaft im Stift Urach eine Außenstation einzurichten und insgesamt vier Schwestern zu entsenden. Schwester Therese Schwarz wurde als stellvertretende Leiterin berufen, Schwester Edith Hellwig als Mitarbeiterin. Die beiden andern Schwestern waren außerhalb des Stifts tätig und bildeten im Stift eine kleine Kommunität. Bei allen Diskussionen war es ein Anliegen von Bischof Claß, dass der im Haus wahrzunehmende Auftrag durch Tiefe und Weite zugleich gekennzeichnet ist und dass dem kommunitären Element eine im Evangelium begründete Weltoffenheit kirchlicher Erwachsenenbildung zur Seite steht. Mit einem Festakt wurde das Stift Urach - das Einkehrhaus der Landeskirche am 12. Dezember 1980 im Palmensaal des Schlosses Urach eingeweiht. Im Festgottesdienst in der Amanduskirche am Sonntag, 3.Advent, 14. Dezember 1980 predigte Landesbischof Hans von Keler. Zum Schluss sei dankbar daran erinnert, dass Bischof Claß bis zum Jahr 1990, als der Vorsitz an Prälat Röckle ging, insgesamt 45 Sitzungen des Kuratoriums als Vorsitzender leitete. In den mehr als zehn Jahren ist es ihm gelungen, die verschiedenen Interessen in behutsamer und zielstrebiger Weise miteinander zu verbinden. Er hat damit maßgeblich den Geist und die Atmosphäre vom Stift Urach geprägt. 4.2

1980 - 1994 (aus der Sicht des Leiters dieser Zeit Pfr. Werner Knoch)

25 Jahre STIFT URACH! Diesen Satz schreibe ich mit Staunen: Schon so lange! Erst recht aber schreibe ich ihn mit Freude: Ein Vierteljahrhundert Dienst für unsere Kirche und ihre Glieder! Das Staunen ist wohlbegründet, fußt doch der Anfang des Einkehrhauses auf einem schmerzlichen Ende: 1977 musste das Uracher Seminar geschlossen werden. Auch das Stift Urach musste von Anfang an um sein Leben kämpfen, obgleich sich die Frage nach der Finanzierbarkeit erst nach und nach gestellt hat. Am Anfang stand vielfache Konkurrenzangst. Die Uracher Gastronomen fürchteten „Dumpingpreise“; Gäste, die nur das ansprechende Quartier suchten, dürften wir nicht nehmen. Das war nur gut so. Sodann bat uns Kloster Kirchberg freundlich, niemand von dort abzuwerben. Und die Akademie in Bad Boll sowie das Pädagogisch-Theologische Zentrum in Birkach ließen uns wissen: Nehmt euch nicht unserer Themen an! Derartige Sorgen legten sich bald. Denn das Einkehrhaus der Evangelischen Landeskirche in Württemberg hatte andere Schwerpunkte: „Das Stift Urach ist ein Ort der Einkehr und Stille. Hier sollen in erster Linie Glieder der Gemeinden ermutigt und angeleitet werden zu einem Leben in der Nachfolge Jesu Christi...“ („Ordnung“ vom 2. Juli 1981, Amtsblatt 49, 27. S. 357 ff.) Dies sollte im Zusammenwirken mit dem Amt für missionarische Dienste und den Kirchenbezirken Reutlingen-Münsingen- (Bad) Urach geschehen. Hinzu kam der Auftrag, „Gästehaus der Landeskirche“ zu sein. So beherbergte das Haus in Bad Urach unter anderem den Rat der EKD; eine Begegnung zwischen evangelischen und katholischen Kirchenleitungen; die Kommission für die Revision der Luther-Bibel, Ausgabe 1984; das Diakonische Werk der EKD wählte hier seinen neuen 5

Präsidenten; der Lutherische Weltbund hatte seine Jugend-Delegierten aus Ost und West hierher eingeladen; unter den Gästen der chinesischen Protestanten war auch ein regierungsamtlicher Aufpasser... Nach dem Ende des Kalten Krieges beherbergten die alten Mauern mehrmals orthodoxe Delegationen, vorwiegend aus Weißrussland. Nicht vergessen seien die Jahrestagungen der württembergischen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker! Nun aber zum Alltag: Als ich im September 1980 meinen Dienst im Stift aufnahm, war der Umbau vollendet, die Zimmer eingerichtet und die ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Küche, Hausdienste und Verwaltung angestellt. Am Anfang stand die Aufgabe vor mir, die neugewonnene Kapelle mit Leben zu füllen. Sie ist zur „Herzkammer“ des Hauses geworden durch die regelmäßigen Gebetszeiten: Der Tag beginnt mit einer Kurzandacht für Gäste und Mitarbeitende; die Begegnung mit ihnen allen am Morgen erschien uns unentbehrlich. – Bei der „Atempause“ des Mittagsgebets konnten sich „Küche und Hauswirtschaft“ nicht beteiligen. Für die Leitenden aber war dieser Fixpunkt „Mitten im Tagwerk“ die notwendige Hilfe gegen Routine und „Geistliche Verwahrlosung“ angesichts der nicht enden wollenden Fluktuation der Gäste. Wir brauchten die verlässlicher Wiederkehr fester Stücke wie Wochenspruch, Psalm und Wochenlied, dazu bewusst keine Auslegung, sondern Stille. – die dritte Einladung in die Kapelle, nämlich zum Nachtgebet, erreichte in der Regel nur die „hauseigenen“ Gruppen, also die von uns ausgeschriebenen Bibel- und Einkehrtage, dazu Zielgruppen wie Ärzte – Kindergärtnerinnen – Biblische Werkkurse. Ein für uns unentbehrliches Bindeglied zur Uracher Kirchengemeinde waren die „Amandus-Andachten“ Mittwoch morgens sowie die Wochenschluss-Feiern am Samstagabend; immerhin ist ja die Stiftskapelle baulich ein Teil der Amanduskirche – seit den Tagen der „Brüder vom Gemeinsamen Leben“. Aus dem Gesagten wird die Bezeichnung „Herzkammer“ für die Kapelle einsichtig. Ihr unentbehrliches Gegenstück ist natürlich Küche und Speisesaal. Und dazwischen liegen die unterschiedlichsten Angebote von Bibelarbeit – Vorträgen – Hinführung zur Stille; übrigens war uns das Wort „Meditation“ im ersten Jahrzehnt unserer Arbeit nicht erlaubt – mit Rücksicht auf die große Zahl von Gemeindegliedern, die davon befremdet waren. Inzwischen kann man dies kaum noch begreifen. Die Einladung, das biblische Wort in der Stille zu „bewegen“, hat selbstverständlich nie gefehlt. Im Vergleich zu den aktuellen Jahresplänen nimmt sich das Programm-Angebot der ersten Epoche eher bescheiden aus. Prägend war die Auflage, die uns das Kuratorium gemacht hat, nur unbezahlte Referenten um ihre Dienste zu bitten. Das waren – abgesehen vom Team des Amts für missionarische Dienste – ehemalige Bischöfe, Pfarrerinnen und Pfarrer, gelegentlich auch aus der DDR. Aus demselben Kreis kamen auch die „Helfenden Ruheständler“, die Andachten und „Hauspräsenz“ übernommen haben; sie ermöglichten es dem Leiter und seiner Stellvertreterin, für gewisse Zeiten abwesend sein zu können. Eine Besonderheit waren, bis zur Wiedervereinigung 1990, unsere Gäste aus der DDR. Der Freundeskreis vom Amt für missionarische Dienste, der uns auch sonst fördernd zur Seite stand, kam pro Monat für vier Gäste und einem Aufenthalt von je einer Woche auf. Das brachte einen wichtigen Gedankenaustausch; dieser wurde noch intensiviert durch regelmäßige, jährliche Treffen mit den „Einkehr-Leitern“ in den östlichen Ländern. Das Zittern vor dem „Rotstift“ der Landeskirche begann erst nach der „Wende“; es hat meine letzten Jahre im Stift begleitet und ist seitdem immer heftiger geworden. Deshalb schließe ich mit Sätzen unseres früheren Landesbischofs, Theo Sorg, geschrieben zu meinem Abschied: „... wir werden alles daransetzen, auch in schwierigen Zeiten dieses 6

Haus zu erhalten.“ Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Ich schließe mit der Segens-Bitte über der Tür zum Stift: „Christus Mansionem Benedicat! Nunc et semper.“ (C. M. A.) 4.3

1994-2005 (aus der Sicht des Leiters dieser Zeit Pfr. Dr. Udo Hofmann)

Wie geht es ab 1994 weiter? Mit dem Leiterwechsel verknüpfen sich widersprüchliche Erwartungen: Die einen wünschen: Es muss vieles anders werden. Andere meinen: Es soll alles so bleiben, wie es ist. Meine Devise: Alles, was lebt, erhalten und weiter entwickeln, solange es Interesse findet, um für Vertrauen zu werben und Kontinuität zu schaffen. Daneben aber auch neue Akzente setzen. 4.3.1 Programmentwicklung Der allmähliche Rückgang der Gästezahlen macht eine Umstellung der Programmstruktur erforderlich. Großveranstaltungen gehen zurück. Das Interesse an biblisch-exegetischen Themen lässt, zumindest im evangelischen Raum, nach; es scheint sich eher der Verbindung von Bibel und Lebensbewältigung zuzuwenden oder der Verknüpfung der Bibel mit anderen Bereichen, z.B. Kunst, Musik, Literatur (bes. Märchen). Zielgruppen möchten präziser und spezieller angesprochen werden. Neben traditionellen Vermittlungsformen treten andere Formen der Darbietung: Gespräche, spielerische, kreativ-musische, meditative, tiefenpsychologische Aneignung. Die Menschen möchten nicht mehr nur rezipieren, sondern aktiv mitwirken und das Seminargeschehen selbst mitgestalten. Das macht eine Spezialisierung und Verzweigung der Themen und Angebote notwendig. Statt wenigerer Großveranstaltungen, die das Interesse vieler finden, werden immer mehr Kurse und Seminare für eine überschaubare Personenzahl angeboten. Deshalb ist das Jahresprogramm gewachsen und enthält bis zu 160 Angebote. Honorarkräfte werden nicht mehr ausgeschlossen. Immer mehr Zielgruppen sollen angesprochen und ins Einkehrhaus eingeladen werden. 4.3.2 Einkehr Ich mache mich auf die Suche nach erlernbaren Methoden der Einkehr und begegne klassischen Wegen der Gotteserfahrung. Ich entscheide mich für den Exerzitienweg und lasse mich zum Exerzitienbegleiter ausbilden – eine sehr geeignete Art, die Menschen in der Stille kompetent zu begleiten. Die von mir gewählte Ausbildung umfasst auch die Anleitung zum Herzensgebet. 1999 genehmigt der Oberkirchenrat den Einbau eines Meditationsraumes im Dachgeschoss des Stiftsgebäudes. Er kann im Januar 2000 in Betrieb genommen werden. Kurz zuvor hatte Jörg Zink Pfarrerinnen und Pfarrer und andere, die auf dem Meditationsweg sind, zusammengerufen. Binnen kurzem kommt diese Gruppe im Stift Urach zusammen und nennt sich „Uracher Arbeitskreis Meditation und Mystik“ (UAMM). Daraus entsteht nach 2 Jahren das „Uracher Forum für Meditation und Mystik e.V.“ (UFMM). Als der Meditationsraum vom „UAMM“ eingeweiht wird, kann das Stift nicht nur Exerzitien anbieten, sondern auch eine breite Palette von Meditationskursen, die von 7

Mitgliedern des „UAMM“ durchgeführt werden. Seit der „UAMM“ sich als „UFMM“ zum Verein konstituiert hat, wird jährlich ein Jahrestreffen durchgeführt mit 80-120 Gästen.

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