Die Erben der Pharaonen

KAPITEL I DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN Die Erben der Pharaonen Alexander (l., ohne Helm) in der Schlacht bei Issos Mosaik in Pompeji, 2. Jahrhundert v. ...
Author: Alexa Amsel
13 downloads 0 Views 2MB Size
KAPITEL I

DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN

Die Erben der Pharaonen

Alexander (l., ohne Helm) in der Schlacht bei Issos Mosaik in Pompeji, 2. Jahrhundert v. Chr.

PHOTOAISA / INTERFOTO

Alexander der Große begründete das hellenistische Ptolemäerreich in Ägypten. Nach steilem Aufstieg wurde das Land aber immer mehr zum Spielball Roms. 23

DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN

rade erst begann, binnen weniger Jahrzehnte zum strahlenden mediterranen Mittelpunkt der Antike heran. er Sieg war überwältiAls Alexander im Jahr 323 v. Chr. gend: Obwohl deutlich in starb und sein weitläufiges Imperium der Minderzahl, gewann unter den rivalisierenden Nachfolgern das Heer des jungen, ge(„Diadochen“) aufgeteilt wurde, fiel das rade 23 Jahre alten Makereiche Ägypten an einen der treuesten donenkönigs Alexander im Herbst des Generäle. Dieser Ptolemäus wurde zum Jahres 333 v. Chr. die Schlacht bei der Stammvater der nach ihm benannten kleinasiatischen Küstenstadt Issos gegen Dynastie, die Ägypten fast drei Jahrhundie Perser. Deren Befehlshaber, Großköderte beherrschen sollte. Etliche der nig Dareios III., floh Hals über Kopf von Monumente, die sie hinterlassen hat, der Kampfstätte. wurden 1996 vom französischen UnterStatt dem Flüchtenden nachzusetzen, wasserarchäologen Franck Goddio im dirigierte Alexander sein Heer nach SüHafenbecken von Alexandria entdeckt, den, über Phönizien nach Ägypten, das, wo sie infolge von Erdbeben im Meer mit einer kurzen Unterbrechung, seit fast versunken waren. 200 Jahren unter der rüden BesatzungsIm Jahr 306 v. Chr. ließ sich Alexpolitik persischer Statthalter („Satrapen“) anders Gefolgsmann vom eigenen Heer litt. Schon im nordägyptischen Mittelzum König Ptolemäus I. ausrufen. Zwei meerhafen Pelusion kam ihm der Satrap Jahre später inMazakes entgegen thronisierte er sich, und kapitulierte anIssos symbolträchtig am gesichts der Übergr is Jahrestag von Alemacht. Eu Zypern xanders Tod, zuFür den Zug des ph rat sätzlich als Pharao. Issos-Siegers zum Mittelmeer Tyros Im Lauf eines Nil, der manchem SYRIEN Babylon ungewöhnlich lanHistoriker seltsam Pelusion Alexandria gen Lebens setzte und planlos erOase Siwa der weitsichtige schien, gab es gute Memphis Dynastiegründer strategische Grüngeschickt die relide. Die Verfolgung ARABIEN giöse Anknüpfung des Dareios „wäre an altägyptische töricht gewesen“, in der hellenistischen Zeit, Vorbilder fort. So urteilte schon Jo- 240 v. Chr.* ÄGYPTEN 400 km stiftete er den Serahann Gustav Droy*Phase der größten Machtentfaltung pis-Kult, der den sen, der 1833 die Gott Osiris mit klassische neuzeitliche Alexander-Biografie veröffentlich- des Gottes Amun zu befragen. Die dorti- dem Apis-Stier als Symbol der Fruchtte: Der Makedonenkönig „würde einen gen ägyptischen Priester begrüßten ihn barkeit verband. Unter Ptolemäus I., den der Ägyptologe Günther Hölbl einen Stoß in die Luft getan haben, während als Sohn Gottes. War der makedonische Imperator „maßgeblichen Gestalter der Weltgesein Rücken noch keineswegs gesichert war“. Nein, Alexander musste erst Ägyp- schon zuvor vom Bewusstsein göttlicher schichte“ nennt, wurde Ägypten der ten haben, „wenn er seinen Marsch ins Sendung durchdrungen, so harmonierte bestgeordnete Erbteil Alexanders: die sein Selbstbild des „Basileus“ (grie- Vormacht im östlichen Mittelmeer. Innere Asiens sicher basieren wollte“. Im strategischen Kalkül von PtoleDoch wie viel erhebender ist die Vor- chisch „König“) nun aufs Beste mit der stellung, der Grieche Alexander habe einheimischen Vorstellung vom Pharao mäus I. spielten auch die sterblichen das Land der Pharaonen mit der Seele als dem Abkömmling des Sonnengottes. Reste des großen Alexander eine bedeuAlexander, dem erst römische Ge- tende Rolle. Einer Weissagung zufolge gesucht. Verbürgt ist seine Bewunderung für Geschichte und Götterwelt des schichtsschreiber im 2. Jahrhundert n. sollte nämlich das Land, das dessen alten Ägypten und seine Wunschidee, Chr. den Beinamen „der Große“ gaben, Leichnam aufnahm, für alle Zeit glückOrient und Okzident zu verschmelzen. konnte sich nur kurz der Eroberung am lich und frei von fremder Verheerung Tatsächlich entstand aus griechisch- Nil erfreuen. Immerhin reichte die ihm bleiben. Die Prophezeiung wird Aristanmakedonischer Kultur und ägyptischer verbleibende Zeit für die Gründung ei- der von Telemessos zugeschrieben, dem Tradition eine neue Zivilisation – jene ner Stadt, die seinen Namen verewigte. Lieblingswahrsager Alexanders, der diehistorische Epoche, für die Droysen den Alexandria wuchs, als Roms Aufstieg ge- sen in allen Kriegen begleitet hatte. In

Von RAINER TRAUB

D

Begriff „Hellenismus“ prägte und die bis zu Kleopatras Tod reichte. Bevor sich Alexander daranmachte, das persische Kernland zu erobern und sein Reich bis zum Hindukusch und an den Indus auszudehnen, etablierte er sich 332 v. Chr. in Ägypten, wobei er von vornherein der eingewurzelten Religion und der Autorität der herrschenden Priesterkaste höchsten Respekt zollte. Von der Bevölkerung als Befreier vom persischen Joch bejubelt, zog Alexander sogleich nach Heliopolis, der Stadt des Sonnengottes, opferte den dortigen Göttern und ließ sich zum Pharao von Ägypten ausrufen. Anschließend besuchte er die altägyptische Hauptstadt Memphis. Im Jahr darauf machte er sich auf den beschwerlichen, gut 700 Kilometer weiten Weg zur Oase Siwa in der libyschen Wüste, um das berühmte Tempelorakel

Ti

l Ni

Das Reich der Ptolemäer

te Ro

eer sM

Aus griechisch-makedonischer Kultur und ägyptischer Tradition entstand eine neue Zivilisation, der Hellenismus. 24

SPIEGEL GESCHICHTE

2 | 2012

LIEBIEGHAUS SKULPTURENSAMMLUNG/ARTOTHEK (L.); ERICH LESSING / ART RESOURCE (R.)

Pharao-Darstellung von Alexander (um 300 v. Chr.), Alexanders Name in Hieroglyphen

einer mythengläubigen Zeit war ein solches Orakel von hochpolitischer Brisanz. Deshalb fing Ptolemäus I. den Zug mit Alexanders Leiche, der auf dem Weg zur Begräbnisstätte der makedonischen Könige war, in Syrien ab. Zunächst ließ er die sterblichen Reste nach Memphis bringen, in die alte Hauptstadt der Pharaonen. Später – der genaue Zeitpunkt ist unbekannt – fand der einbalsamierte Imperator in einem repräsentativen Grabmal („Sema“) in Alexandria seine letzte Ruhe in einem goldenen Sarg. Dorthin soll noch drei Jahrhunderte danach Alexanders Bewunderer Cäsar gepilgert sein, als ihn der römische Bürgerkrieg 48 v. Chr. nach Alexandria führte. Den Goldsarg hatte zwar inzwischen irgendein königlicher Grabräuber eingeschmolzen – aber ein Kristallgefäß mit Alexanders Knochen soll sich noch dort befunden haben, wo der Römer über den Eroberer sinnierte. Diesem widmete Ptolemäus I. nicht nur ein eigenes, in Fragmenten erhaltenes Geschichtswerk. Er rief ihn im Jahr 285 v. Chr. sogar zum Gott aus – und inszenierte sich selbst als legitimer Erbe

SPIEGEL GESCHICHTE

2 | 2012

Alexanders. Als er mit 84 Jahren starb, folgte sein Sohn und Nachfolger Ptolemäus II. diesem Beispiel: Er erklärte den Vater postum zum Gott. Der neue Herrscher führte zum Ruhm seiner Dynastie ein prunkvolles Fest ein, die „Ptolemaia“. Seiner himmlischen Abkunft gewiss, kannte er auch im Liebesleben keine Schranken. Seine Gemahlin Arsinoe II. musste sich den Gatten mit vielen Mätressen teilen, ohne dass der deshalb die dynastischen Bräuche vernachlässigte – nach ihrem Tod wurde Arsinoe II. mit Ehren überschüttet und zur Göttin erhoben. Die berühmteste der Konkubinen von Ptolemäus II., Bilistiche, hielt auch postum mit: Als eine Art Schwestergöttin von Aphrodite wurde sie Kult. Der Zauber der alten Weissagung schien zu wirken: Jahrhundertelang blieb das griechisch-pharaonische Reich unabhängig. Vergebens versuchten Makedonien und Syrien, die festländischen Großstaaten des Hellenismus, den Seestaat Ägypten zu vernichten und unter sich aufzuteilen. Die Flotten des Ptolemäerreichs beherrschten mehr als ein Jahrhundert die östliche Hälfte des Mittelmeers. Und der Feldherr, dessen Namen Alexandria trug, hatte die Stadt an einem geostrategisch idealen Ort als Knotenpunkt zwischen Europa, Afrika und Asien gegründet.

25

DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN

Taucher bei einer im Mittelmeer vor Alexandria gefundenen Statue einer ptolemäischen Königin

Bald entfaltete sich über die Wasserund Landwege ein Handel, wie ihn die Antike bis dahin nicht gekannt hatte. Dank des fruchtbaren Nildeltas war das griechisch-pharaonische Reich auch als Kornkammer legendär. Nicht einmal das expansive Rom legte sich mit dem ptolemäischen Ägypten an. Die Bevölkerung des Ptolemäerreichs im letzten vorchristlichen Jahrhundert wird auf etwa sieben Millionen Einwohner geschätzt. Die zunehmende Einwanderung seit Alexander dem Großen hatte im Nilland neue griechische Siedlungsgemeinschaften hervorgebracht. Die griechische Sprache beherrschte das öffentliche Leben, obschon sie nieman-

26

dem aufgezwungen wurde. Die Metropole Alexandria – an Ausstrahlung und Glanz Rom überlegen – blieb eine andere Welt als der stärker ägyptisch geprägte Rest des Reichs. Zur politischen Selbstlegitimierung und dynastischen Behauptung griffen die Ptolemäer auf ein weiteres Element der altägyptisch-pharaonischen Tradition zurück: die Geschwisterehe. Da sie sich als Repräsentanten eines sakralen Königtums verstanden, kam die Vermischung mit gewöhnlichen Sterblichen nicht in Betracht. Zwar war der makedonischen Aristokratie der Inzest, wie die Kleopatra-Biografin Stacy Schiff betont, durchaus fremd gewesen; die grie-

chische Sprache habe nicht einmal ein Wort dafür besessen. Als dann Ptolemäus II. erstmals mit seiner SchwesterGemahlin Arsinoe Inzest beging, erhob sich auch heftiger Protest unter griechischen Denkern. Aber dem Argument, es handle sich um Götter, denen alles erlaubt sei, waren sie nicht gewachsen. „Von den etwa 15 Familienheiraten der Dynastie waren mindestens 10 reine Bruder-Schwester-Verbindungen“, so Schiff, „zwei andere Ptolemäer heirateten Nichten oder Neffen.“ Ob dieser Brauch auch geistige Degenerationserscheinungen zur Folge hatte, weiß man nicht. Unter Experten ist umstritten, inwieweit die Ehe-Fixierung

SPIEGEL GESCHICHTE

2 | 2012

einanderfolgenden Herrscher und Thronprätendenten auseinanderzuhalten; Nachgeborene können sie nur anhand der Ziffer hinter dem Namen unterscheiden. Die Genealogie, die im ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr. mit Ptolemäus I. beginnt, endet rund 300 Jahre später mit Ptolemäus XV. Kaisar – dem Sohn von Julius Cäsar und Kleopatra. Octavian, der spätere Augustus, ließ ihn im Alter von 17 Jahren ermorden, bevor Cäsar junior zum gefährlichen Rivalen heranwachsen konnte. Auf weiblicher Seite gab es immerhin drei Herrscherinnen-Namen zur Auswahl – Arsinoe, Berenike und Kleopatra. Die letzte, berühmteste Vertreterin der Dynastie war jene Kleopatra, die nach amtlicher Zählung Kleopatra VII. hieß. erbreiteter Inzest führte zu ungewöhnlichen Verwandtschaftsverhältnissen. Wenn Kleopatras Eltern Vollgeschwister waren (was nicht sicher, aber wahrscheinlich ist), dann besaß ihre Tochter nur ein Paar Großeltern. Die waren ihrerseits miteinander verwandt – als Onkel und Nichte. Wer seinen Onkel heiratete wie die Großmutter der letzten Kleopatra, für den wurde der eigene Vater zum Schwager. Ptolemäische Geschwister-Königspaare waren nicht immer durch Inzest verbunden – allein schon deshalb, weil zum Teil erhebliche Altersunterschiede bestanden: Manchmal „herrschten“ Kinder, die durch Vormünder vertreten wurden, gemeinsam mit erwachsenen Geschwistern. So teilte sich Kleopatra auf die Familie des Herrschergeschlech- VII. den ägyptischen Thron zeitweise tes vor allem zweckrational war, indem mit ihren minderjährigen Brüdern Ptosie die Anzahl möglicher Thronanwärter lemäus XIII. und Ptolemäus XIV. Später gering hielt und die Dynastie von außer- erhob sie ihr gerade dreijähriges Söhnägyptischen Ehepartnern unabhängig chen Kaisar als Ptolemäus XV. zu ihrem machte. Manche Historiker halten eher Mitregenten. Der Grund war die ptoledas Motiv, die tonangebende Priester- mäische Regel, dass weibliche Repräschaft durch Übernahme eines Pharao- sentanten der Dynastie die Macht nicht nenbrauchs für sich zu gewinnen, für ohne männliche Mitregenten innehaben durften. ausschlaggebend. Unabhängig vom Geschlecht der jeDie Gewohnheit innerfamiliärer Ehen macht es umso schwerer, die auf- weiligen Herrscher waren Mord und

C. GERIGK / FRANCK GODDIO / HILTI FOUNDATION (L.); HERITAGE/CORBIS (R.)

V

Ptolemäus I. und seine Frau Berenike 8-Drachmen-Münze, um 290 v. Chr.

Totschlag unter den Ptolemäern an der Tagesordnung. Der beunruhigende Doppelsinn des Begriffs „Familienbande“ offenbart sich vielleicht nirgends so deutlich wie in der Geschichte dieser Dynastie, die auch eine Serie tödlicher Rivalitäten und Gewaltverbrechen war. Eine denkwürdige Mordbilanz wies schon im 3. Jahrhundert v. Chr. Ptolemäus IV. auf: Er brachte nacheinander Onkel, Bruder und Mutter um. Es gehörte zur ptolemäischen Normalität, dass Herrscherinnen Truppen gegen ihre Söhne aussandten oder Schwestern gegen ihre Brüder Krieg führten. So bekriegte Kleopatras Urgroßmutter erst ihre Eltern, dann ihre Kinder. Die Herrscher schmückten sich zwar gern mit klangvollen Beinamen wie Ptolemäus II. „Philadelphos“ („der Bruderliebende“) oder Kleopatra VII. „Philopator“ („die Vaterliebende“). Die ostentative Liebe hielt sie aber nicht davon ab, die nächsten Verwandten jederzeit zu massakrieren, wenn dies der Erringung oder dem Erhalt der Macht diente. Der blutige Bürgerkrieg, den Ptolemäus XIII., der Bruder Kleopatras VII., gegen sie führte und den sie nur mit Hilfe Cäsars gewann (siehe Seite 48), knüpfte ebenso an die Tradition an wie der Beiname der Verfeindeten: „die neuen geschwisterliebenden Götter“ („theoi neoi philadelphoi“). Folgerichtig ließ auch

Der verbreitete Inzest in der Ptolemäerdynastie führte zu seltsamen Verwandtschaftsverhältnissen. SPIEGEL GESCHICHTE

2 | 2012

27

DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN

Statue von Ptolemäus II. vor dem Gebäude der modernen Bibliothek von Alexandria

Kleopatra ihre Schwester Arsinoe umstandslos töten, als das wenig später machtpolitisch ratsam schien. Wenn die ptolemäische Dynastie trotz solcher Herrschaftsverhältnisse so lange überdauerte, erklärt sich das nicht allein mit der Wirtschaftskraft und Wehrhaftigkeit Ägyptens. Spätestens seit 168 v. Chr. überlebte das Ptolemäerreich nur von Gnaden des militärisch überlegenen Rom. Wenn einmal eine andere regionale Macht in Ägypten einfiel und nach dessen legendären Ressourcen trachtete, verscheuchte Rom sie allein

mit der Drohung seiner Übermacht umgehend (siehe Kasten 29). Die territoriale Einverleibung Ägyptens strebte Rom zu jener Zeit nicht an. Es war zwar auf das ägyptische Getreide angewiesen, auch auf andere Ressourcen erpicht. Aber seine kommerziellen Interessen konnte es gut ohne aufwendige militärische Operation durchsetzen. Angesichts zunehmender innerer Unruhen im ptolemäischen Ägypten positionierte sich Rom seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. immer mehr als Schutzmacht der jeweiligen Herrscher.

Natürlich verlangte es im Gegenzug eine zuvorkommende Behandlung. Das reiche Ägypten war ein ideales Ausbeutungsobjekt. Die kampfgestählten Herren Roms konnten damit rechnen, das von Herrscherluxus und inneren Machtkämpfen geschwächte Ptolemäerreich werde ihnen langfristig zufallen wie ein reifer Apfel. Darauf deutet der Bericht vom Ägypten-Besuch einer Römer-Delegation im Jahr 136 v. Chr. hin, den John Marlowe in seinem Buch „The Golden Age of Alexandria“ zitiert. Gewährsmann des britischen Autors ist der stoische Philosoph Poseidonius. Der begleitete zwei römische Senatoren und den ruhmreichen General Scipio Africanus, der den langjährigen Feind Karthago niedergeworfen hatte – Rom stand nun stärker da denn je. Die römischen Gäste, so Poseidonius, reagierten gleichgültig auf die Palastschätze und Ausschweifungen, die ihnen vorgeführt wurden: Dergleichen schwäche nur Körper und Geist. Als abschreckend dekadent erschien ihnen der gerade herrschende König Ptolemäus VIII., der bei den Alexandrinern nur der „Wanst“ („Physkon“) hieß – wegen Fettleibigkeit verließ er kaum seinen Palast. Statt für Prunk und Pomp interessierten sich die Staatsgäste für die Topografie der Stadt und die Details des berühmten Pharos-Leuchtturms; bei einer Nilfahrt lernten sie die Lebensader des Landes und dessen legendäre Fruchtbarkeit kennen. „Sie kamen zum Schluss“, notierte Poseidonius zusammenfassend, „dass ein solches Land sehr mächtig werden könnte, hätte es nur Herren, die seiner wert wären.“ olitisch muss den Besuchern die Ptolemäerdynastie schon recht hilflos erschienen sein – bürgerkriegsartige Unruhen begannen sich zu häufen. Die wohlhabende, selbstbewusste Bevölkerung Alexandrias galt als besonders rebellisch. Sie verjagte denn auch wenige Jahre nach dem Besuch aus Rom ihren „Wanst“, der die Stadt mit Militär mühsam zurückerobern musste. Aufstände und die innerdynastischen Schlächtereien der Herrschenden zehrten an der Substanz des Landes. Dieser Prozess beschleunigte sich im 1. Jahr-

P

28

SPIEGEL GESCHICHTE

SCOTT NELSON

Die Spirale dynastischer Selbstzerstörung drehte sich immer schneller. 2 | 2012

nach längeren Thronstreitigkeiten Anfang 80 v. Chr. Kleopatra Berenike III., die Nichte von Ptolemäus X., die Alleinherrschaft. Sie stand in engem diplomatischen Kontakt mit Den konkurrenzlosen Zugriff auf Rom, wo ihr Stiefsohn Ptoledie Reichtümer des ptolemäimäus XI. lebte. Obwohl die schen Ägypten setzte Rom nach neue Herrscherin beim Volk seinem Aufstieg zur militärischen überaus beliebt war, duldeten Supermacht kühl und effizient die Alexandriner es nicht, durch. Der Historiker Polybios dass sie offiziell die Geschäfte überliefert eine vielsagende Szefür ihren abwesenden Mann ne aus dem Jahr 168 v. Chr.: Der führte. Zu tief war der GrundSyrerkönig Antiochus IV. hatte satz verwurzelt, dass eine mit einem Heer Ägypten besetzt Frau lediglich als KönigsgeFlötenspieler und Sänger, um 2400 v. Chr. und stand vor Alexandria. Da mahlin an der Macht beteiligt tauchte eine römische Delegation sein konnte. Es blieb ihr nur übrig, in schlungenen Ledergürtel beschränkt haauf und forderte den sofortigen Rom darum zu bitten, dass man Ptole- ben soll. Abzug. Der düpierte König wollte Bald nach der Thronbesteigung heimäus XI. zurückschicke, damit er zum sich erst mit seinen Freunden bePharao gekrönt werden konnte. Der Se- ratete der „neue Dionysos“ seine raten und erbat Bedenkzeit. Darnat stimmte zu; im Juni des Jahres 80 v. Schwester Kleopatra VI.; dieser Ehe entauf zog Roms Delegationschef Chr. heiratete Ptolemäus XI. in Alexan- sprang die Tochter Berenike IV. Der Kömit einem Weinrebenstab, der genigs-Krönung von Ptolemäus XII. in dria seine Stiefmutter. rade zur Hand war, einen Kreis Die Spirale dynastischer Selbstzerstö- Alexandria folgte die Erhebung zum um Antiochus in die Erde und rung drehte sich nun immer schneller. Pharao im altägyptischen Memphis. herrschte den Syrer an, sich auf Genau 18 Tage später ließ der neue Kö- Möglicherweise hat er dort – im Umder Stelle zu entscheiden – bevor nig die Königin ermorden – und wurde kreis des ägyptischen Hohepriesters, er den Kreis verlasse. Dem blieb am selben Tag von seiner eigenen dessen Amt sich über Jahrhunderte in keine Wahl. „Mit Ingrimm und WiSchutztruppe erschlagen. Damit war der derselben Familie vererbte – seine zweiderstreben, jedoch der Not geVorrat an legitimen Herrschafts-Aspi- te Frau kennengelernt, deren Identität horchend“ (Polybios), erfüllte Anranten erschöpft – eine Lage, die in Alex- unbekannt ist. tiochus das Ultimatum und führte Manche Forscher wie Sabine Kubisch andria umso bedrohlicher wirkte, da ein seine Armee nach Syrien zurück. Teil von Roms Elite inzwischen die An- und Hilmar Klinkott glauben (siehe in deren neuem Buch: „Kleopatra. Pharaonexion Ägyptens betrieb. Schnell musste ein neuer Herrscher nin, Göttin, Visionärin“), Kleopatra VII. hundert v. Chr. zusehends. Im Jahr 101 her. So riefen die Alexandriner einen in sei im Dezember 70 oder Januar 69 v. tötete Ptolemäus X. seine Mutter, mit Syrien weilenden illegitimen Spross der Chr. als erstes von vier Kindern aus dieder er bis dahin gemeinsam regiert hatte. Dynastie, den vermutlich Ptolemäus IX. ser – dynastisch gesehen illegitimen – Durch einen Aufstand aus Alexandria mit einer Ägypterin gezeugt hatte, her- Verbindung des „Flötenspielers“ hervorbei und kürten ihn 76 v. Chr. gegangen: „Demnach war Kleopatra vertrieben, lieh er sich Geld in Rom, um nicht nur in der hellenistischen Welt zum König. eine Söldnertruppe zu finanzieren. Für In Rom verhöhnte Ci- ihres Vaters, sondern ebenso in der ägypden Fall seines Untergangs soll er den cero den Neuen, der als tischen Kultur zu Hause.“ Andere HisRömern, Cicero zufolge, testamentaPtolemäus XII. installiert toriker erklären diese Hypothese allerrisch das ptolemäische Königreich wurde, als „Bastard“. Der dings für abwegig – mit dem schwer vermacht haben. Beim Versuch eines legte sich, um den göttli- abzuweisenden Argument, dass die Römilitärischen Comechen Status seines neuen mer eine illegitime Abkunft der letzten backs kam PtoleAmtes zu betonen, den Ptolemäerin mit Sicherheit politisch ausmäus X. ums Leoffiziellen Titel „Der geschlachtet hätten. Bei der späteren ben. Sein Testaneue Dionysos“ zu. Weil Verleumdungskampagne gegen Kleopament diente den er bei dionysischen Festen gern tra war davon aber nie die Rede. Machthabern Ob Kleopatra VII. und ihre jüngeren Chöre auf der Flöte begleitete, Roms fortan als nannten ihn die Alexandriner „Au- Geschwister also Kleopatra VI. zur MutDruckmittel, letes“ („Flötenspieler“). Pikant ter hatten wie die ältere Schwester Beum seinen köwar dieser Spottname deshalb, renike, wird wohl eines der vielen Geniglichen Nachweil das Flötenspiel bei aus- heimnisse der Rätselhaften bleiben. Sifolgern stets schweifenden Feierlichkei- cher ist jedoch: Die letzte Herrscherin neue Geldmitten gewöhnlich das Privi- des ptolemäischen Ägypten überstrahlte tel abzupresleg von Dirnen war, deren ihre stolze, doch heruntergekommene sen. Bekleidung sich dabei auf Dynastie mit dem Glanz eines abschlieIn Alexaneinen um die Hüfte ge- ßenden Feuerwerks. dria übernahm Apis-Stier, nach 600 v. Chr. RÖMISCHES ULTIMATUM

BRIDGEMANART.COM (O.); THE BRITISH MUSEUM, LONDON (U.)

Die Einkreisung

SPIEGEL GESCHICHTE

2 | 2012

29