Die Einflüsse der Angehörigen nutzen

Soziale Arbeit Bachelor Die Einflüsse der Angehörigen nutzen CRAFT als Methode für die Soziale Arbeit mit Angehörigen substanzabhängiger Menschen Ba...
Author: Krista Graf
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Soziale Arbeit Bachelor

Die Einflüsse der Angehörigen nutzen CRAFT als Methode für die Soziale Arbeit mit Angehörigen substanzabhängiger Menschen

Bachelorarbeit Corina Carl

Bachelorstudiengang Zürich, Herbstsemester 2012

Zürcher Fachhochschule

ABSTRACT In der Schweiz leben mindestens 600'000 Angehörige von substanzabhängigen Menschen. Studien zufolge sind nahe Bezugspersonen von Abhängigen hohen psychosozialen Belastungen ausgesetzt und leiden häufig an stressbedingten Erkrankungen. Trotzdem gibt es in der Schweiz nur wenige professionelle Anlaufstellen und Hilfsangebote für betroffene Angehörige. Viele davon beziehen sich zudem auf das umstrittene Co-Abhängigkeitskonzept oder sprechen Angehörigen jegliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die Veränderungsmotivation der Abhängigen ab. Eine neuere Methode für die Angehörigenarbeit stellt das Community Reinforcement and Family Training (CRAFT) dar. Ziel der Methode ist es, Angehörige zu befähigen, Substanzabhängige zur Inanspruchnahme einer Behandlung zu motivieren und die eigene Lebensqualität zu erhöhen. Diese Bachelorarbeit überprüft, ob CRAFT als Methode für die Soziale Arbeit geeignet ist. Dazu geht sie der Frage nach, welche Voraussetzungen eine Methode erfüllen muss, damit sie den Anforderungen der Sozialen Arbeit entspricht. Anhand system-, kommunikations- und lerntheoretischer Ansätze sowie aktueller Forschungsergebnisse werden die Einflussmöglichkeiten der Angehörigen analysiert. Nach der Beschreibung der Methode CRAFT werden die Ergebnisse mit den Anforderungen an eine sozialarbeiterische Methode verglichen. Mittels schriftlicher Befragungen von Institutionen, die CRAFT in der Schweiz anbieten, wird untersucht, welche Erfahrungen mit der Methode gemacht wurden und welche Professionen sie anwenden. Es zeigt sich, dass Angehörige insbesondere mit einem motivierenden Kommunikationsstil und dem Verstärken erwünschten Verhaltens positiven Einfluss auf die Veränderungsmotivation Substanzabhängiger haben. Dabei handelt es sich um Fertigkeiten, die Angehörigen durch CRAFT vermittelt werden. Gesamthaft gesehen ist CRAFT für die Anwendung in der Sozialen Arbeit geeignet. Jedoch ist zu kritisieren, dass sich die Methode nicht primär auf die Verbesserung der Situation der Angehörigen, sondern auf die Reduktion des Substanzkonsums und den Behandlungsbeginn der Abhängigen konzentriert. Sozialarbeitende, die mit Angehörigen arbeiten, sind unabhängig von der verwendeten Methode aufgefordert, deren Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen und sich dafür einzusetzen, dass Angehörigenarbeit mehr Beachtung geschenkt wird.

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VORWORT Mein erstes Praktikum absolvierte ich bei der Jugendberatung Streetwork, einem Betrieb des Geschäftsbereichs „Sucht und Drogen“ der Stadt Zürich. Im Verlauf des Praktikums kam ich häufig mit Angehörigen von Suchtmittel konsumierenden Personen in Kontakt. Einerseits wenn sie mich per E-Mail oder telefonisch kontaktierten, andererseits beim persönlichen Gespräch im zur Jugendberatung Streetwork gehörenden Drogeninformationszentrum (DIZ). Da das Beratungsangebot hauptsächlich auf Konsumierende ausgerichtet und nicht auf die Beratung Angehöriger spezialisiert ist, konnte ich ihnen keine professionelle Hilfestellung bieten und verwies sie daher immer an die Angehörigenvereinigung Drogenabhängiger (ada-zh). Aus den Fragen der Angehörigen entnahm ich eine starke Hilflosigkeit sowie einen grossen Informationsbedarf, wie sie sich gegenüber ihren abhängigen Familienmitgliedern oder Bekannten „richtig“ verhalten sollen, um die Situation zu ändern oder wenigstens nicht zu verschlimmern. Aber auch Schilderungen der Konsumierenden während der Beratung deuteten darauf hin, dass gewisse Verhaltensweisen des näheren sozialen Umfelds eher hinderlich für einen Konsumstopp sind. Aus meinem privaten Umfeld habe ich ebenfalls Hinweise auf den bedeutenden Einfluss der Angehörigen erhalten. So kenne ich eine ehemals polytoxikomane Person, die aus den verschiedenen Abhängigkeiten aussteigen konnte. Diese Person hat mir erzählt, wie hilfreich das Verhalten der Mutter hierfür war. Meine Neugier war geweckt und hielt bis zum Ende meiner Ausbildung an, sodass ich mich entschloss, meine Bachelorarbeit dieser spannenden Thematik zu widmen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken, die mich bei meiner Bachelorarbeit in irgendeiner Form unterstützt haben. Im Detail sind dies Maria Valero (Begleitperson), Denise Suhner (ada-zh), Christine Bühlmann (Fachstelle für Gesundheitsförderung, Prävention und Suchtberatung), Arno Walti (loesen.ch), Jochen Rudorf (Suchthilfe Region Basel), Gallus Bischof (Übersetzer des CRAFT-Manuals), Ruth und Diego Santini sowie meine Eltern (Korrekturlesen).

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INHALTSVERZEICHNIS ABSTRACT ............................................................................................... 2   VORWORT ................................................................................................ 3   TABELLEN- UND ANHANGVERZEICHNIS............................................. 6   1   Einleitung ............................................................................................ 7   1.1   Problembeschreibung und Fragestellung ......................................................... 7   1.1.1   Zielsetzung ............................................................................................. 8   1.1.2   Teilfragestellungen ................................................................................. 8   1.1.3   Hypothesen ............................................................................................ 9   1.2   Begriffsdefinitionen ......................................................................................... 10   1.2.1   Angehörige ........................................................................................... 10   1.2.2   Psychoaktive Substanzen .................................................................... 10   1.2.3   Substanzabhängigkeit .......................................................................... 10   1.2.4   Co-Abhängigkeit ................................................................................... 11   1.3   Thematische Eingrenzung .............................................................................. 12   1.4   Methodische Vorgehensweise ........................................................................ 12   1.5   Aufbau der Arbeit ............................................................................................ 12  

2   Der Einfluss der Angehörigen auf den Suchtverlauf .................... 14   2.1   Systemtheoretische Ansätze .......................................................................... 14   2.2   Lerntheorie: Operantes Konditionieren ........................................................... 17   2.3   Kommunikationstheorie .................................................................................. 18   2.4   Das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (TTM)...................... 18   2.5   Verhaltensweisen der Angehörigen ................................................................ 19   2.5.1   Suchtfördernde Verhaltensweisen der Angehörigen ............................ 20   2.5.2   Ausstiegsfördernde Verhaltensweisen der Angehörigen ..................... 21   2.6   Zusammenfassung ......................................................................................... 23  

3   CRAFT als Methode zur Arbeit mit Angehörigen .......................... 24   3.1   Was ist CRAFT? ............................................................................................. 24   3.2   Die acht Module von CRAFT .......................................................................... 25   3.2.1   Die Angehörigen dazu motivieren, an CRAFT teilzunehmen ............... 25   3.2.2   Funktionale Analyse des Konsumverhaltens ....................................... 26   3.2.3   Vorsichtsmassnahmen bei (potenzieller) häuslicher Gewalt ................ 26   3.2.4   Kommunikationstraining ....................................................................... 26   3.2.5   Positives Verstärkungstraining ............................................................. 27   3.2.6   Strategien zur Nutzung negativer Konsequenzen ................................ 27  

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3.2.7   Angehörigen-Selbstverstärkungstraining ............................................. 29   3.2.8   Die abhängige Person zu einer Behandlung motivieren ...................... 30   3.3   Welche Angehörigen können von CRAFT profitieren? ................................... 30   3.4   Erreichbarkeit der Angehörigen ...................................................................... 31   3.5   Anforderungen an CRAFT-Beratende ............................................................ 32   3.6   Praxiserfahrungen mit CRAFT in der Schweiz ............................................... 33   3.6.1   Fachstelle für Suchtberatung Schaffhausen ........................................ 34   3.6.2   Suchthilfe Region Basel ....................................................................... 35   3.6.3   loesen.ch .............................................................................................. 35   3.6.4   Professionen, die CRAFT anwenden ................................................... 36   3.7   Chancen und Grenzen von CRAFT ................................................................ 37   3.8   Zusammenfassung ......................................................................................... 38  

4   Anwendbarkeit einer Methode in der Sozialen Arbeit .................. 39   4.1   Gegenstand der Sozialen Arbeit ..................................................................... 39   4.2   Benötigte Kompetenzen und Wissensformen................................................. 41   4.3   Problemlösungsprozess ................................................................................. 44   4.4   Ethische Grundlagen der Sozialen Arbeit ....................................................... 46   4.5   Anwendbarkeit in einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit .......................... 48   4.6   Anwendbarkeit in einem geeigneten Setting .................................................. 49   4.7   Zusammenfassung ......................................................................................... 51  

5   CRAFT als Methode in der Sozialen Arbeit .................................... 52   5.1   Vergleich des Gegenstands ............................................................................ 52   5.2   Vergleich der benötigten Kompetenzen.......................................................... 55   5.3   Vergleich des Problemlösungsprozesses ....................................................... 57   5.4   Überprüfung der berufsethischen Vorgaben................................................... 59   5.5   Vergleich der Handlungsfelder ....................................................................... 62   5.6   Vergleich der Settings ..................................................................................... 63   5.7   Zusammenfassung ......................................................................................... 64  

6   Fazit ................................................................................................... 66   6.1   Beantwortung der Fragen und Diskussion...................................................... 66   6.2   Ausblick .......................................................................................................... 73  

7   Schlussfolgerungen für die Praxis der Sozialen Arbeit ............... 73   LITERATURVERZEICHNIS .................................................................... 75  

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TABELLEN- UND ANHANGVERZEICHNIS Tabellenverzeichnis Tab. 1: Regulationsprozess zur Erreichung des Systemgleichgewichts ....................... 17 Tab. 2: Drei-Phasen-Modell der suchtbelasteten Partnerschaft ................................... 21 Tab. 3: Notwendige Voraussetzungen an professionelle Beratende ............................ 42 Tab. 4: Die W-Fragen und Wissensformen ................................................................... 45 Tab. 5: Probleme und nicht befriedigte Bedürfnisse von Angehörigen ......................... 53 Tab. 6: Phasen des Problemlösungsprozesses in CRAFT ........................................... 58

Anhangverzeichnis Anhang 1: Funktionale Analyse des Konsumverhaltens ............................................... 81 Anhang 2: Funktionale Analyse des gewalttätigen Verhaltens ..................................... 82 Anhang 3: Regeln für eine positive Kommunikation ..................................................... 83 Anhang 4: Funktionale Analyse eines gesunden Verhaltens des Abhängigen ............. 84 Anhang 5: Problemlöse-Schritte ................................................................................... 85 Anhang 6: Zufriedenheitsskala ...................................................................................... 86 Anhang 7: Ziele der Beratung ....................................................................................... 87

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1.1

Einleitung

Problembeschreibung und Fragestellung

Die ursprüngliche Idee, meine Bachelorarbeit zum Thema „Einflüsse der Angehörigen auf Substanzabhängige“ zu verfassen, ergab sich während meines Praktikums bei der Jugendberatung Streetwork. Dort stellte ich immer wieder fest, dass der Konsum psychoaktiver Substanzen nicht nur für die Konsumierenden, sondern auch für deren Angehörige problematisch sein kann. Diese meldeten sich hauptsächlich mit Anliegen bezüglich Substanzen wie Cannabis, Kokain, Heroin oder Partydrogen (z. B. Ecstasy) auf der Fachstelle. Mich beschäftigte zunehmend, ob und wie Angehörige das Konsum- bzw. Suchtverhalten begünstigen oder den Ausstieg aus der Substanzabhängigkeit fördern können und falls ja, ob es Fachstellen oder Methoden gibt, die diesen Gegebenheiten in der Beratung oder Therapie Rechnung tragen. Studien zufolge sind nahe Bezugspersonen von Abhängigen hohen Belastungen ausgesetzt und leiden häufig an stressbedingten Erkrankungen und psychosozialen Beeinträchtigungen (Bischof, Iwen, Landji, Müller & Rumpf, 2008, S. 375). Die Anzahl alkoholabhängiger Menschen wird in der Schweiz auf 220'000 bis 330'000 Menschen geschätzt (Kuendig, 2010, S. 190). Laut der Suchtpräventionsstelle Freiburg (2012) sind bis zu 600’000 Angehörige von deren Alkoholkonsum in irgendeiner Form betroffen. Berücksichtigt man zusätzlich andere Substanzabhängigkeiten (z. B. Heroin, Kokain, Benzodiazepine) erhöht sich die Anzahl der Betroffenen nochmals beträchtlich. Obwohl der Einfluss und die Problematik der Angehörigen von Suchtkranken auf Bundesebene anerkannt werden und anzustreben sei, „dass auch die negativen Auswirkungen des Drogenkonsums auf die Lebensqualität der Nichtkonsumierenden möglichst vermindert werden“ (Bundesamt für Gesundheit, BAG, 2006, S. 46), gibt es europaweit kaum Hilfs- und Beratungsangebote für Angehörige von Suchtkranken. Die wenigsten Gesundheitsbehörden und Sozialversicherungsträger stellen die dafür benötigten Ressourcen zur Verfügung (Goos, Kobrna, Rus Makovic, Mezzani, Mouzas, Radovanovic, Schmidt, Soegaard Nielsen, Templeton & Tober, 2007, S. 5). Zwar sind sich bereits bestehende Behandlungs- und Beratungseinrichtungen der Wichtigkeit von Angehörigenarbeit bewusst. Jedoch sehen sie sie nicht als ihre primäre Aufgabe und somit wird oftmals von der Realisierung eines spezifischen Angebots für Angehörige abgesehen (ebd., S. 5–6). Von den wenigen existierenden Anlaufstellen für Angehörige empfehlen viele, sich von den Abhängigen bzw. Konsumierenden zu lösen und einzusehen, dass sie „dem Suchtkranken gegenüber machtlos sind“ (Nar-Anon Deutsch-

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land/Schweiz, 2012). Den Angehörigen wird demnach keine oder sehr beschränkte Einflussmöglichkeit eingeräumt. Sehr verbreitet ist auch das umstrittene Konzept der „Co-Abhängigkeit“, das den Angehörigen eine Mitschuld an der Substanzabhängigkeit unterstellt und sie ebenfalls als krank und behandlungsbedürftig betrachtet (Uhl & Puhm, 2007, S. 13–14). Im Verlauf meiner Literaturrecherche bin ich auf den vielversprechenden, neueren Ansatz CRAFT (Community Reinforcement and Family Training) gestossen. CRAFT ist ein evidenzbasiertes Programm für Angehörige substanzabhängiger Personen. Es zielt darauf ab, Angehörige von behandlungsunwilligen Suchtkranken zu befähigen, deren Behandlungsbereitschaft zu erhöhen. Gleichzeitig soll es die Lebensqualität der Angehörigen verbessern. Doch eignet sich CRAFT für die Anwendung in der Sozialen Arbeit? Diese Frage steht im Zentrum des Interesses und stellt somit die Hauptfrage meiner Bachelorarbeit dar. Hauptfragestellung: „Inwiefern ist CRAFT als Methode für die Soziale Arbeit geeignet?“

1.1.1

Zielsetzung

Mit dieser Arbeit soll einerseits in Erfahrung gebracht werden, ob Angehörige überhaupt Einfluss auf den Suchtverlauf substanzabhängiger Menschen nehmen können. Trifft dies zu, soll Bewusstsein für die Relevanz der Einflüsse Angehöriger geschaffen werden. Andererseits soll die Bearbeitung der vorgängig genannten Hauptfragestellung aufzeigen, ob CRAFT für die Soziale Arbeit mit Angehörigen substanzabhängiger Menschen geeignet ist. Ist dies der Fall, soll diese Arbeit einen Anreiz für die Verbreitung der Methode in der Schweizer Suchtarbeit bieten. Anderenfalls wird aufgezeigt, unter welchen Aspekten die Methode ungeeignet erscheint und es werden konkrete Anregungen oder Alternativen vorgeschlagen. Weiter sollen Kenntnisse darüber gewonnen werden, ob CRAFT bereits in der sozialarbeiterischen Praxis in der Schweiz genutzt wird und wenn ja, welche Erfahrungen gemacht wurden.

1.1.2

Teilfragestellungen

Um die Hauptfragestellung beantworten zu können und die Zielsetzungen zu erreichen, ist die vorgängige Bearbeitung folgender Teilfragen erforderlich:

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Teilfrage 1: „Inwiefern können Angehörige den Suchtverlauf der Abhängigen beeinflussen?“

Teilfrage 2: „Welche Anforderungen muss eine Methode erfüllen, um für die Soziale Arbeit anwendbar zu sein?“

Teilfrage 3: „Wie verbreitet ist CRAFT in der Schweiz, wie viele Angehörige nutzen das Angebot und welche Professionen wenden CRAFT in der Schweiz an?“

Teilfrage 4: „Inwiefern besteht Handlungsbedarf in der Unterstützung betroffener Angehöriger und mit welchen Interventionen können diese Angehörigen besser erreicht werden?“

1.1.3

Hypothesen

Aus den Fragestellungen werden im Folgenden mehrere Hypothesen abgeleitet. Im Fazit dieser Arbeit wird überprüft, ob sich diese Annahmen bestätigt haben oder nicht: Angehörige haben durch ihr Verhalten Einfluss darauf, ob Abhängige den Substanzkonsum beibehalten oder eine Abstinenz anstreben. Suchtfördernde bzw. ausstiegsfördernde Verhaltensweisen der Angehörigen können durch CRAFT gezielt erkannt, abgebaut oder trainiert werden. CRAFT lindert und löst soziale Probleme und eignet sich besonders gut für die Soziale Arbeit im Handlungsfeld der Beratung. Um den Ansatz erfolgreich nutzen zu können, benötigen Professionelle der Sozialen Arbeit vor allem beraterische Kompetenzen sowie Kenntnisse über Abhängigkeiten und psychoaktive Substanzen. In der Praxis arbeiten vorwiegend psychologische Fachkräfte mit CRAFT. Angebote für Angehörige (inklusive CRAFT) sind in der Schweiz nicht sehr verbreitet. Deshalb braucht es mehr Öffentlichkeitsarbeit, damit Angehörige zumindest auf bestehende Angebote aufmerksam werden. Zudem muss die Soziale Arbeit der Stigmatisierung der Angehörigen entgegenwirken, damit deren Hemmschwelle sinkt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Weiter müssen Professionelle der Sozialen Arbeit der Wichtigkeit der Angehörigenarbeit politisch mehr Gehör verschaffen, damit mehr Angebote aufgebaut und finanziert werden.

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1.2

Begriffsdefinitionen

Im Folgenden werden für diese Arbeit zentrale Begriffe zum besseren Verständnis definiert.

1.2.1

Angehörige

Gemäss Art. 110 StGB (Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, SR 311.0) gelten als Angehörige einer Person „ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder“. Zur Abgrenzung von diesem juristischen Begriffsverständnis wird in der vorliegenden Arbeit die Definition der Integrierten Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland (2012) verwendet, die Angehörige nicht nur auf die familiäre Ebene beschränkt. Angehörige sind demnach Personen, zu denen Patienten eine emotionale Beziehung pflegen und ein Vertrauensverhältnis besteht, wie bspw. Lebenspartner, Kinder, Eltern, nahe Verwandte, Freunde, Personen aus dem Lebensumfeld, Vertrauenspersonen. Als angehörig gilt, wen der Patient als angehörig bezeichnet, wer ihm nahe steht.

1.2.2

Psychoaktive Substanzen

Hierfür wird die Definition des BAG (2006) übernommen, die sich sowohl auf illegale wie legale Substanzen bezieht: Psychoaktive Substanzen sind Stoffe, deren Konsum über das zentrale Nervensystem das subjektive Befinden der konsumierenden Person beeinflusst, indem sie die Stimmung, die Gefühle und die Wahrnehmung verändern. Die Wirkung ... ist je nach Dosis, Art des Konsums und individueller Verfassung unterschiedlich. Psychoaktive Substanzen können zu psychischer und zum Teil auch zu körperlicher Abhängigkeit führen. (S. 92) Die Begriffe „Drogen“ oder „Suchtmittel“ werden in dieser Arbeit als gleichbedeutend betrachtet.

1.2.3

Substanzabhängigkeit

Laut Dilling und Freyberger (1994/2010, S. 77–78) müssen zur Diagnose von Substanzabhängigkeit mindestens drei der folgenden Kriterien in den letzten zwölf Monaten aufgetreten sein, die in der ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) beschrieben sind:

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1. starkes Verlangen oder ein Zwang, die Substanz zu konsumieren 2. verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch 3. körperliches Entzugssyndrom bei Reduktion oder Absetzen der Substanz 4. Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen der Substanz 5. dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben 6. anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen Substanzabhängigkeit wird dabei als multifaktoriell bedingter Prozess verstanden (Stadt Zürich, Suchtpräventionsstelle, 2009), woran individuelle Faktoren (genetische, biochemische, Persönlichkeit, Lebensstil etc.) und Milieu- bzw. gesellschaftliche Bedingungen (soziales und berufliches Umfeld, Werbung, kulturelle Akzeptanz etc.) ... ebenso ... beteiligt [sind] wie die Eigenschaften der jeweiligen Substanz (Wirkung, Verfügbarkeit, Dosis, Häufigkeit etc.). (S. 12) Die Begriffe „Sucht“, „suchtkrank“ und „süchtig“ werden in dieser Arbeit synonym verwendet.

1.2.4

Co-Abhängigkeit

Es gibt keine einheitliche Meinung darüber, ob „Co-Abhängigkeit“ nur Angehörige oder auch das restliche Umfeld Suchtkranker betreffen kann. Ebenso wenig besteht eine einheitliche Definition des Begriffs. Allen Definitionen gemeinsam ist jedoch, dass „Angehörige ... pauschal in die Rolle von Schuldigen, TäterInnen, „KomplizInnen der Sucht“ bzw. „KomplizInnen der Suchtkranken“ gedrängt werden“ (Uhl & Puhm, 2007, S. 13). Das Konzept beurteilt Angehörige von Suchtkranken zudem als „MitAbhängige“ und somit als krank und behandlungsbedürftig (ebd., S. 17). Schon allein ihr Wunsch nach aktiver Beeinflussung der Abhängigen wird als Symptom der „CoAbhängigkeit“ betrachtet (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 12). Es bestehen jedoch keine empirischen Befunde dafür, dass Angehörige von Substanzabhängigen generell krank sind (ebd., S. 11). Zur bewussten Distanzierung der stigmatisierenden Inhalte des Konzepts wird in dieser Arbeit nicht von co-abhängigen, sondern von suchtfördernden Verhaltensweisen gesprochen.

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1.3

Thematische Eingrenzung

Der Themenfokus wird auf die Schweiz gelegt. Wo nicht anders möglich, fliessen ausländische Aspekte mit ein (z. B. wenn nur ausländische Studien vorhanden sind). Es werden nur situative Einflussfaktoren der Angehörigen während einer bereits bestehenden Abhängigkeit bzw. des Ausstiegsprozesses beleuchtet. Familiengeschichtliche (Genogrammanalyse, Sozialisationsbedingungen) sowie geschlechts- oder altersspezifische Aspekte werden nicht berücksichtigt, da diese Informationen keine genügende Relevanz für die Fragestellung besitzen.

1.4

Methodische Vorgehensweise

Zur Beantwortung der Fragestellungen wird auf möglichst aktuelle und themenbezogene Fachliteratur (Theorien, Studienergebnisse, Fachbücher, Zeitschriften, Publikationen, Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz etc.) zurückgegriffen. Damit die Hauptfragestellung beantwortet werden kann, sind die vorgängige Lektüre des CRAFT-Manuals (vgl. Meyers & Smith, 2004/2009) sowie die Bearbeitung der Teilfragen erforderlich. Mittels system-, kommunikations- und lerntheoretischer Ansätze sowie Studienergebnissen zu Einflussfaktoren der Angehörigen ist Teilfrage 1 beantwortbar. Teilfrage 2 lässt sich mit sozialarbeiterischem Professionswissen untersuchen, d. h. mit Wissen zu objekt- und handlungstheoretischen sowie berufsethischen Grundlagen der Sozialen Arbeit. Zur Bearbeitung von Teilfrage 3 wird mittels Internetrecherche nach Institutionen gesucht, die CRAFT in der Schweiz bereits anbieten. Diese werden zu ihren Erfahrungen mit dem Ansatz schriftlich befragt. Zu Teilfrage 4 werden praktische Vorschläge und Anregungen zur Verbesserung der Situation der Angehörigen formuliert. Schlussendlich lässt sich die Hauptfragestellung durch die Verknüpfung der Ergebnisse aus den einzelnen Kapiteln beantworten.

1.5

Aufbau der Arbeit

In Kapitel 2 wird in einem ersten Schritt der Frage nachgegangen, ob sich Menschen überhaupt gegenseitig beeinflussen. Mit den Ergebnissen kann aufgezeigt werden, ob es Sinn macht, das Umfeld der Abhängigen bzw. Angehörige in die Suchtarbeit miteinzubeziehen. Wenn dies der Fall ist, soll in einem zweiten Schritt untersucht werden, inwiefern das Verhalten Angehöriger von Substanzabhängigen Auswirkungen auf deren Suchtverlauf haben kann.

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Kapitel 3 widmet sich der Beschreibung von CRAFT, einer Methode für die Arbeit mit Angehörigen substanzabhängiger Menschen. Schwerpunkt des Kapitels bilden die einzelnen Module der Methode, die Rahmenbedingungen für deren Anwendung sowie Praxiserfahrungen mit CRAFT in der Schweiz. Im Anschluss wird in Kapitel 4 beleuchtet, welche Voraussetzungen eine Methode erfüllen muss, damit sie für die Soziale Arbeit anwendbar ist. Durch die Verknüpfung und Gegenüberstellung der bisherigen Erkenntnisse kann in Kapitel 5 festgestellt werden, ob CRAFT den Anforderungen an eine sozialarbeiterische Methode standhält (Hauptfragestellung). Im Fazit (Kapitel 6) erfolgen die Beantwortung der Fragestellungen sowie eine kritische Diskussion der Ergebnisse. Gleichzeitig werden die aufgestellten Hypothesen überprüft und erste Empfehlungen abgegeben. In einem Ausblick werden allfällige neue bzw. offene Fragen aufgeführt. Das Gesamtfazit der Bachelorarbeit bildet Kapitel 7, wo Schlussfolgerungen und konkrete Anregungen für die Praxis der Sozialen Arbeit formuliert werden.

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Der Einfluss der Angehörigen auf den Suchtverlauf

In diesem Kapitel wird mittels verschiedener theoretischer Ansätze untersucht, ob Angehörige einen Einfluss auf den Suchtverlauf nahestehender Personen haben und falls ja, inwiefern. Dazu wird in einem ersten Schritt überprüft, ob Menschen sich generell gegenseitig beeinflussen und wenn dies so ist, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.

2.1

Systemtheoretische Ansätze

Gemäss Dembach (1990; zit. nach Hurrelmann & Bründel, 1997, S. 30) leisten Systemtheorien einen entscheidenden Beitrag zur Erklärung der Familiendynamik von Substanzabhängigkeit. Ebenso analysieren sie, welche familiären Mechanismen das Suchtverhalten aufrechterhalten bzw. verändern (Hurrelmann & Bründel, 1997, S. 30). Ein System kann definiert werden als „ein aus den Wechselwirkungen seiner Elemente organisiertes Ganzes. Die Elemente eines Systems beeinflussen sich gegenseitig und stehen miteinander in einer multivariablen Interaktion“ (Buddeberg, 2004, S. 120). Veränderungen eines Systemteils haben die Veränderung aller Systemteile und des ganzen Systems zur Folge (ebd., S. 120). Laut Obrecht (2001; zit. nach Geiser, 2009, S. 49) besteht einer der wichtigsten Prozesse im Leben eines menschlichen Individuums darin, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Denn durch Bedürfnisbefriedigung erhält der menschliche Organismus, was er benötigt. Weiter ist sie Voraussetzung dafür, dass beim Menschen Wohlbefinden ausgelöst wird. Werden Bedürfnisse nicht befriedigt, kann dies je nach Grad der Elastizität des jeweiligen Bedürfnisses zu physischer und/oder psychischer Krankheit bis hin zum Tod führen (Obrecht, 2009, S. 27–29). Es können drei Bedürfniskategorien unterschieden werden (ebd., S. 27): •

biologische Bedürfnisse (z.B. nach physischer Integrität, nach Erholung)



biopsychische Bedürfnisse (z.B. nach Abwechslung, Information)



biopsychosoziale Bedürfnisse

Letztere lauten im Detail: •

Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung (Liebe, Freundschaft)



nach spontaner Hilfe (Bedürfnis zu helfen)



nach sozialkultureller Zugehörigkeit durch Teilnahme (Mitgliedschaftsbedürfnis)



nach Unverwechselbarkeit (Identitätsbedürfnis)



nach Autonomie

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nach Fairness



nach Kooperation



nach sozialer Anerkennung



nach (Austausch-)Gerechtigkeit

Menschliche Bedürfnisse sind universell und gelten somit bedingungslos für jeden Menschen (ebd., S. 6). Sie können ausschliesslich im sozialen Kontext befriedigt werden, da der Mensch losgelöst von sozialen Systemen und einer sozialen Umwelt gar nicht existieren kann (Staub-Bernasconi, 2007, S. 192). Folglich müssen zur Bedürfnisbefriedigung soziale (Austausch-)Beziehungen zwischen mindestens zwei Individuen eingegangen werden, wodurch ein soziales System entsteht. Für Bunge (1996; zit. nach Geiser, 2009) ist ein soziales System „ein konkretes System, das zusammengesetzt ist aus geselligen Tieren, die a) eine gemeinsame Umwelt teilen und die b) auf andere Mitglieder des Systems ... einwirken“ (S. 48). Wendet man diese Ausführungen auf die Thematik dieses Kapitels an, bilden Angehörige und Substanzabhängige ein soziales System und beeinflussen sich gegenseitig. Das Verhalten beider ist dabei immer von den eigenen Bedürfnissen gesteuert, die innerhalb der Austauschbeziehung befriedigt werden sollen. Bleiben Bedürfnisse jedoch unbefriedigt, kann dies zu gegenseitig zunehmender Ausübung von Macht und abnehmendem Austausch führen (Geiser, 2009, S. 50). Ein beispielhaftes Szenario soll dies verdeutlichen: Eine Angehörige droht, ihren von Cannabis abhängigen Partner zu verlassen, wenn er den Konsum nicht einstellt. Seit ihr Partner regelmässig Cannabis raucht, sind ihre Bedürfnisse nach emotionaler Zuwendung, nach einer zuverlässigen Beziehung sowie Gerechtigkeit und Fairness nicht mehr befriedigt. Dem gegenüber stehen die Bedürfnisse des Abhängigen, sich durch den Cannabiskonsum Entspannung und Gelassenheit nach einem anstrengenden Arbeitstag zu verschaffen. Die Drohung der Angehörigen stellt eine Demonstration von Macht dar. Eine Folge davon könnte sein, dass ihr Partner nur noch heimlich und durch den empfundenen Druck der Drohung mehr als vorher konsumiert, was für ihn in dieser Situation auch eine Form von Machtausübung darstellt. Verändert sich also der Kommunikationsstil der Angehörigen, beeinflusst dies gleichzeitig die Qualität der Interaktionen des gesamten Systems (ebd., S. 50). So besteht eine grössere Wahrscheinlichkeit, dass Abhängige ihren Konsum reduzieren oder gar einen abstinenten Lebensstil erreichen, wenn innerhalb des sozialen Systems auf der Austausch- statt auf der Macht-Ebene miteinander kommuniziert wird (vgl. Meyers &

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Smith, 2004/2009, S. 152–153). Auf die Bedeutung der Kommunikation bei Ausstiegsprozessen wird in Kapitel 2.3 vertieft eingegangen. Menschen sind als Elemente eines sozialen Systems miteinander verbunden. Sie beeinflussen sich gegenseitig und verändern dadurch wiederum die Eigenschaften des sozialen Systems. Es handelt sich hierbei um einen zirkulären Prozess, in dem Ursachen nicht nur bestimmte Auswirkungen haben, sondern Auswirkungen auch wieder zu Ursachen werden können (Buddeberg, 2004, S. 121). Im Kontext des sozialen Systems „Familie“ umschreibt von Schlippe (2010) diese dynamischen Vorgänge wie folgt: Als System betrachtet, ist die Familie ein Ganzes, etwas qualitativ anderes als die Summe ihrer Teile, mit denen sie sich (und diese untereinander) in Wechselwirkung befindet: Jeder Einzelne ist mit dem anderen so verbunden, dass eine Änderung des einen automatisch eine Veränderung des gesamten Systems mit sich bringt. (S. 30) Da laufend Veränderungen von innen und aussen auf ein Familiensystem einwirken, befindet es sich in einem andauernden Regulationsprozess, um ein Gleichgewicht (Homöostase) innerhalb des Systems herzustellen. Dieser Prozess dient einerseits dazu, das System zu erhalten und zu stabilisieren, während sich die Umwelt ändert (Morphostase). Andererseits soll sich das System flexibel der sich verändernden Umwelt anpassen können (Morphogenese). Idealerweise wechseln sich morphogenetische und morphostatische Prozesse in einem sozialen System ausgewogen ab (ebd., S. 32–33). Gerade in suchtbelasteten Beziehungen stellt dieses anzustrebende Gleichgewicht eine grosse Herausforderung für die Involvierten dar und kann zu dysfunktionalen Verhaltensmustern sowohl bei den Angehörigen als auch bei den Abhängigen führen. Unterlassen es Angehörige beispielsweise, den Substanzkonsum der Abhängigen zu kontrollieren, werden sie vom Umfeld womöglich als „nachlässig und gleichgültig gegenüber dem Schicksal des Abhängigen verurteilt“ (Klein, 2005a, S. 65). Andererseits kann übermässiges kontrollierendes Verhalten bewirken, dass die abhängige Person ihren Substanzkonsum zu verheimlichen beginnt (ebd., S. 65). Das folgende auf die Substanzabhängigkeit eines Familienmitglieds angewandte Beispiel soll den Regulationsprozess im Familiensystem verdeutlichen:

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Einwirkung auf System

Morphostase (Stabilität)

Morphogenese (Flexibilität)

Herr W. hört aufgrund seines vorabendlichen exzessiven Alkoholkonsums am nächsten Morgen den Wecker nicht, schläft weiter und erscheint folglich nicht zur Arbeit. Da dies schon öfters vorkam, droht ihm nun der Verlust des Arbeitsplatzes.

Herr W.s Ehepartnerin deckt ihren Mann ab jetzt regelmässig beim Arbeitgeber mit einer Ausrede für sein Nichterscheinen. Mit ihrem Verhalten verhindert sie (vorläufig), dass Herr W. den Job verliert. Gleichzeitig gibt es keinen Grund für Herrn W., etwas an seinem Trinkverhalten zu ändern.

Der Arbeitgeber erfährt von Herrn W.s Alkoholabhängigkeit. Unter der Bedingung, dass Herr W. eine stationäre Therapie macht, kann er seine Arbeitsstelle behalten. Durch Herrn W.s Klinikaufenthalt verändert sich die Familienstruktur. Gleichzeitig passt sich das Familiensystem an die veränderten Umweltbedingungen an.

Tab. 1: Regulationsprozess zur Erreichung des Systemgleichgewichts. Quelle: eigene Darstellung

2.2

Lerntheorie: Operantes Konditionieren

Lernen ist ein auf Erfahrungen basierender Prozess, der eine Änderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotenzials hervorruft (Zimbardo & Gerrig, 2008, S. 192). Das operante Konditionieren ist ein lerntheoretischer Ansatz, der aufzeigt, dass erwartete Konsequenzen das Verhalten bestimmen. Erlebt man nach dem erstmaligen Ausführen eines Verhaltens eine angenehme Konsequenz (positiver Verstärker), erwartet man, dass diese beim nächsten Mal erneut auftreten wird. Ist dies der Fall, wird das Verhalten mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wiederholt. Die gleiche Wirkung wird erzielt, wenn unangenehme Effekte (negative Verstärker) nach einer Verhaltensweise entfernt bzw. entzogen werden. Folgen unbefriedigende Konsequenzen, wird diese Handlung sehr wahrscheinlich seltener ausgeführt oder ganz eingestellt (ebd., S. 209). In Lerntheorien wird Substanzabhängigkeit als erlerntes Verhalten betrachtet, das auch wieder gelöscht werden kann (Hurrelmann & Bründel, 1997, S. 26). Eine Person, die durch den Konsum einer psychoaktiven Substanz eine angenehme Wirkung (positiver Verstärker) erfahren hat, wird diese Substanz demnach mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wieder zu sich nehmen. Aber nicht nur die befriedigende Wirkung der Substanz kann einen verstärkenden Effekt und somit einen Einfluss auf den Konsumverlauf haben, sondern auch die Reaktionen der Angehörigen. So können diese mit gezieltem Einsetzen und Entziehen von Verstärkern erreichen, dass Abhängige ihren Substanzkonsum reduzieren und/oder sich bereit erklären, eine Behandlung zu beginnen (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 21–22).

17

2.3

Kommunikationstheorie

Menschliche bzw. soziale Kommunikation besteht aus der Vermittlung, Aufnahme und dem Austausch von Informationen. Dieser Vorgang kann sowohl verbal – in Form von Sprechen, Schreiben oder Lautäusserungen – als auch non-verbal – z. B. durch Gestik, Mimik oder Körperkontakt – ablaufen (Nolting & Paulus, 2009, S. 107). Dabei ist es gemäss Watzlawick (2011, S. 15) unmöglich, nicht zu kommunizieren. Die 6 Funktionen sozialer Kommunikation lauten (Schein, 2010, S. 133): 1. Befriedigung von Bedürfnissen 2. Begreifen der Anderen 3. Verstehen mehrdeutiger Situationen 4. Vorteilsnahme 5. Aufbau kollaborativer Beziehungen 6. Ausdruck und Verständnis der eigenen Persönlichkeit Kommunikation dient also in erster Linie der Befriedigung von Bedürfnissen. Wir teilen uns anderen Menschen mit, damit unsere Bedürfnisse befriedigt werden können. Ein Baby schreit beispielsweise, um auf seinen Hunger aufmerksam zu machen, woraufhin es gefüttert wird. Der Mensch lernt somit von Geburt an, wie er kommunizieren muss, um ein gewisses Ziel zu erreichen oder die gewünschte Reaktion des Gegenübers zu erwirken (vgl. Satir, Banmen, Gerber & Gomori, 1991/2007, S. 49). Mit Botschaften, die vom Gegenüber positiv aufgefasst werden, erreicht man dabei eher den angestrebten Effekt (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 155). Folglich ist anzunehmen, dass Angehörige es mittels bestimmter Kommunikationsfertigkeiten schaffen können, die Substanzabhängigen zu einer Konsumreduktion zu bewegen. Dies bestätigen auch diverse Forschungsergebnisse (vgl. Bowers & Al-Rehda, 1990; Monti, Abrams, Binkoff, Zwick, Liepman, Nirenberg & Rohsenow, 1990; Stanton & Shadish, 1997; Epstein & McCrady, 1998; Fals-Stewart, O’Farrell, Feehan, Birchler, Tiller & McFarlin, 2000; Fals-Stewart, O’Farrell & Birchler, 2001).

2.4

Das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (TTM)

Das von Prochaska, DiClemente und Norcross (1992) entwickelte Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (TTM) kann gemäss Bischof, Rumpf, Meyer, Hapke und John (2005, S. 123) als das am besten evaluierte Modell zu Ausstiegsprozessen aus der Alkoholabhängigkeit betrachtet werden. Es hat sich auch zur Analyse von Veränderungsprozessen bei anderen Abhängigkeitserkrankungen durchgesetzt (ebd., S. 123).

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Bis Menschen ein eigenes, als problematisch bewertetes Verhalten (z. B. Alkoholkonsum) verändern und das neue Zielverhalten (z. B. Abstinenz) erfolgreich beibehalten, müssen sie verschiedene Phasen der Veränderungsmotivation durchlaufen (ebd., S. 124). Das TTM beschreibt fünf Phasen und damit einhergehende zehn Veränderungsprozesse, die innerhalb der betroffenen Person ablaufen. Wie sich bis jetzt herausgestellt hat, haben Angehörige einen bedeutenden Einfluss auf substanzabhängige Personen. Da jedoch kaum Forschungsergebnisse zu konkreten familiären Einflussmöglichkeiten während Ausstiegsprozessen bestehen, haben Bischof et al. (ebd., S. 129) das TTM mit Vorschlägen für familiäre Interventionsmöglichkeiten so ergänzt, dass die Interventionen der Angehörigen sinnvoll auf die Phasen der Änderungsmotivation der substanzabhängigen Person abgestimmt sind.

Abb. 1: Ergänztes Transtheoretisches Modell der Verhaltensänderung (TTM). Quelle: Bischof et al. (2005, S. 129)

2.5

Verhaltensweisen der Angehörigen

Wie in den vorangehenden Kapiteln beschrieben, beeinflussen sich Menschen nur schon dadurch, dass sie ein gemeinsames System bilden, um gegenseitig Bedürfnisse

19

zu befriedigen. Gleichzeitig werden auf kommunikativer Ebene bewusst oder unbewusst erwünschte, aber auch unerwünschte Reaktionen des Gegenübers hervorgerufen. Zudem wurde deutlich, dass Angehörige auf verschiedene Weise Einfluss auf Suchtbetroffene haben können. Daher werden nachfolgend konkrete Einflussfaktoren hervorgehoben, die einerseits begünstigend, andererseits hinderlich auf den Ausstieg aus der Abhängigkeit wirken können.

2.5.1

Suchtfördernde Verhaltensweisen der Angehörigen

An dieser Stelle werden einige Verhaltensweisen der Angehörigen aufgeführt, die den Ausstiegsprozess eher behindern (Klein, 2005a, S. 64): •

übermässige Verantwortung für die abhängige Person übernehmen



das Verhalten der abhängigen Person entschuldigen und rechtfertigen



der abhängigen Person Belastungen abnehmen oder ersparen wollen



permanente und exzessive Kontrolle ausüben (mögliche Drogenverstecke suchen)



die abhängige Person zwanghaft von Drogen, Kauf- und Konsumorten fernhalten wollen



die abhängige Person beim Lügen ertappen wollen, ihr ständig misstrauen und sie dauernd bekehren wollen



Unaufrichtigkeit gegenüber der abhängigen Person, anderen Menschen und sich selbst (bezüglich eigener Gefühle im Zusammenhang mit der Abhängigkeit)

Auch eher kontraproduktiv erweist sich die Grundhaltung der Angehörigen, dass mit genügend Liebe, Geduld und Durchhaltevermögen irgendwann eine Verhaltensänderung bei der suchtkranken Person zu bewirken sei und diese den Konsum beenden wird (ebd., S. 68). In welch verstrickter Lage sich betroffene Angehörige befinden, verdeutlicht der Umstand, dass sie oft dazu neigen, eine nicht funktionierende Strategie noch vehementer anzuwenden (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 38). Das nachfolgende empirisch bestätigte Modell gibt einen Überblick über eine Abfolge von drei Phasen, die Angehörige in Interaktion mit ihren abhängigen Partnerinnen bzw. Partnern in etwa 70 Prozent der Fälle durchlaufen:

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Phase

Verhalten der Angehörigen

1. Verleugnung der Abhängigkeit

Vermeiden des Themas, das Abhängigkeitsproblem nicht wahrhaben wollen und es sogar abstreiten.

2. Kontrolle und Eliminierung

Das (Konsum-)Verhalten wird zunehmend kontrolliert. Ohnmachtsgefühle und Selbstmitleid häufen sich, wenn man merkt, dass der Konsum zu- statt abnimmt.

3. Desorganisation

Nach oftmals langjähriger, erfolgloser Kontrolle wird frustriert aufgegeben und der Substanzkonsum erduldet. Es folgen zunehmende Ausgrenzung, anklagende Äusserungen und Bestrafung der/des Abhängigen. Gefühle der Wert- und Machtlosigkeit treten auf. Es folgt die Trennung des Paares, die Einweisung in eine Behandlungsinstitution oder der Tod der/des Abhängigen.

Tab. 2: Drei-Phasen-Modell der suchtbelasteten Partnerschaft. Quelle: in Anlehnung an Jackson (1954; zit. nach Klein, 2005a, S. 67)

Wie in den Kapiteln 2.2 und 2.3 bereits aufgezeigt, spielt auch die Art der Kommunikation eine bedeutende Rolle in Ausstiegsprozessen. In den meisten Beziehungen, in denen eine Person substanzabhängig ist, besteht ein Kommunikationsproblem, das einen Konsumstopp be- oder verhindern kann (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 154). Darüber hinaus kann es den Substanzkonsum sogar auslösen (ebd., S. 153). Anklagende, angreifende und generalisierende Äusserungen sind strikt zu vermeiden, da sie die abhängige Person verärgern und mit grosser Wahrscheinlichkeit Reaktanz bei ihr hervorrufen werden (ebd., S. 157). Lässt man die Abhängigen zudem spüren, dass man ihretwegen leidet, dient der Substanzkonsum der Bewältigung des durch die Vorwürfe entstandenen Stresses (vgl. Klein, 2005b, S. 54).

2.5.2

Ausstiegsfördernde Verhaltensweisen der Angehörigen

Gemäss Studienergebnissen erwähnen ehemalige Substanzabhängige häufig, dass ihre Partnerin/ihr Partner und die Familie entscheidende Faktoren für das Erreichen und die Aufrechterhaltung der Abstinenz darstellten (Sobell, Sobell, Toneatto & Leo, 1993). Generell kann gesagt werden, dass sich soziale Unterstützung durch die Partnerin / den Partner, die Familie und weitere Bezugspersonen als förderlich erweist (Rumpf, Bischof, Hapke, Meyer & John, 2005, S. 119). In welcher Form bzw. durch welche Verhaltensweisen diese soziale Unterstützung am wirksamsten ist, ist noch weitgehend unerforscht. Hingegen gibt es empirische Untersuchungen zu drei Inter-

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ventionsansätzen, die speziell für Angehörige von Substanzabhängigen entwickelt wurden: die Angehörigengruppen der Anonymen Alkoholiker (Al-Anon), die JohnsonInstitute-Intervention und der CRAFT-Ansatz. Al-Anon geht davon aus, dass Angehörige gegenüber dem Substanzkonsum der Abhängigen grundsätzlich machtlos sind. In ihren Selbsthilfegruppen wird daher hauptsächlich darauf abgezielt, die eigene „geistige Gesundheit“ zurückzuerlangen (Al-Anon Familiengruppen, 2012). In der JohnsonInstitute-Intervention werden Angehörige darauf vorbereitet, die Abhängigen unangekündigt mit den negativen Auswirkungen ihres Substanzkonsums zu konfrontieren. Das Ziel der Intervention ist, dass die abhängige Person eine Behandlung aufnimmt. Tut sie dies nicht, sollen Sanktionen ausgeübt werden (Bischof et al., 2005, S. 127). Im CRAFT-Ansatz werden den Angehörigen bestimmte Fertigkeiten vermittelt, die die abhängige Person zu einer Behandlung motivieren und gleichzeitig die Lebensqualität der Angehörigen erhöhen sollen. Eine Studie mit Angehörigen von Alkoholabhängigen kam zum Ergebnis, dass die Angehörigen, die am CRAFT-Programm teilgenommen hatten, die Abhängigen am erfolgreichsten zur Inanspruchnahme einer Behandlung bringen (64 Prozent). Die Johnson-Intervention (30 Prozent) und Al-Anon (13 Prozent) schnitten diesbezüglich bedeutend schlechter ab (Miller, Meyers & Tonigan, 1999). Auch in Studien, in denen andere Substanzabhängigkeiten vorlagen (v. a. Cannabis- und Kokainabhängigkeit), war CRAFT den restlichen Ansätzen deutlich überlegen (Meyers, Miller, Smith & Tonigan, 2002). Dies lässt vermuten, dass die in CRAFT vermittelten Kompetenzen ausstiegsfördernd sind. Um welche Fertigkeiten es sich dabei genau handelt, wird in Kapitel 3.2 dargestellt. Kritisch anzumerken ist dabei, dass sämtliche Studien zur Effektivität des CRAFT-Ansatzes von derselben Forschungsgruppe durchgeführt wurden, die CRAFT entwickelt hatte (Bischof, Iwen, Müller, Freyer-Adam & Rumpf, 2007, S. 60). Es stellt sich daher die Frage nach der Unvoreingenommenheit und Objektivität der Forschenden und somit auch nach der Glaubwürdigkeit der Studienergebnisse. Um auch ein paar praktische Beispiele zu ausstiegsfördernden Faktoren zu erhalten, wurde die Mutter eines ehemals Substanzabhängigen zu ihrem Verhalten und ihren Erfahrungen während seiner Abhängigkeit befragt. Im Folgenden werden ihre Angaben aus Vertraulichkeitsgründen ohne namentlichen Hinweis aufgeführt (persönliche Mitteilung, 18. November 2012): •

Ich habe meinen Sohn nie aufgegeben.



Ich teilte ihm mit, dass ich an ihn glaube.



Ich habe ihn nie für seine Sucht oder sein damit zusammenhängendes Verhalten verurteilt (z. B. dass er mir Geld aus der Spardose gestohlen hat).

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Trotz seines auffälligen, mitgenommenen Aussehens stand ich immer selbstbewusst zu ihm, etwa beim gemeinsamen Einkauf oder generell in der Öffentlichkeit.



Ich teilte ihm meine Sichtweise mit, z. B. indem ich meine Betroffenheit äusserte, wenn er mich anlog.



Wenn er von sich aus professionelle Hilfe in Anspruch nehmen wollte oder sonst um Unterstützung bat, war ich für ihn da.



Ich habe ihn nie in Schutz genommen oder entschuldigt, wenn er z. B. die Schule verschlief. Auch liess ich ihn absichtlich die Konsequenzen spüren, wenn er z. B. ohne Zug-Billett unterwegs war.



Auch habe ich nie mir selbst die Schuld dafür gegeben, dass mein Sohn süchtig wurde.



Ich habe trotz seiner Abhängigkeit weiterhin mein soziales Netzwerk gepflegt, ging ins Singen, ins Turnen, traf Freundinnen. Diese waren mir in jener Zeit eine grosse Stütze, da ich mit ihnen über meine Probleme sprechen konnte.



Ich habe ihm nie Vorwürfe gemacht oder ihm das Gefühl gegeben, dass es mir seinetwegen schlecht geht.

Vergleicht man die erläuterten Verhaltensweisen der Mutter mit den im ergänzten TTM vorgeschlagenen Interventionsmöglichkeiten (siehe Kapitel 2.4), fällt auf, dass sie einander grösstenteils entsprechen. Ob die Verhaltensweisen der Mutter auch in den ihnen zugeordneten Phasen stattfanden, ist leider nicht mehr rekonstruierbar.

2.6

Zusammenfassung

Einer der wichtigsten Prozesse im Leben eines menschlichen Individuums besteht in der Befriedigung seiner Bedürfnisse. Werden Bedürfnisse nicht befriedigt, kann dies je nach Grad der Elastizität des jeweiligen Bedürfnisses zu Krankheit oder sogar zum Tod führen. Um Bedürfnisse befriedigen zu können, müssen Menschen soziale Systeme bilden bzw. Beziehungen eingehen. Ohne soziale Systeme und den darin stattfindenden Austausch könnten Menschen nicht existieren. Durch diese Verbundenheit führt eine Änderung im System automatisch dazu, dass sich das ganze System verändert. Somit ist es unmöglich, sich in einem sozialen System nicht gegenseitig zu beeinflussen. Folglich hat auch das Verhalten der Angehörigen Einfluss auf die Substanzabhängigen bzw. deren Konsumverhalten. Dabei kommt dem Kommunikationsstil der Angehörigen eine zentrale Bedeutung zu. Anklagende und vorwurfsvolle Äusserungen sind strikt zu vermeiden, da sie bei den Substanzabhängigen Reaktanz und Schuldgefühle auslösen und sie somit noch tiefer in die Sucht treiben können. Hingegen erreicht

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man mit positiven Botschaften und gezielter Verstärkung erwünschter Verhaltensweisen eher den angestrebten Effekt, nämlich eine Konsumreduktion oder das Anstreben von Abstinenz. Förderlich ist auch, den Abhängigen das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, indem man zu ihnen steht und sie nicht aufgibt. Sehr wichtig scheint, dass die Angehörigen ihr soziales Netzwerk weiterhin pflegen, um einen stärkenden Ausgleich zur belastenden Situation herzustellen.

3

CRAFT als Methode zur Arbeit mit Angehörigen

In diesem Kapitel wird die Methode CRAFT beschrieben. Zusätzlich wird beleuchtet, welche Anforderungen CRAFT-Beratende erfüllen sollten. Zum Schluss erfolgt ein Blick in die Praxis, um aufzuzeigen, welche Erfahrungen mit CRAFT in der Schweiz bereits gemacht wurden. Die Angaben in diesem Kapitel beziehen sich hauptsächlich auf das Manual für CRAFT-Beratende von Meyers und Smith (2004/2009). Andere Perspektiven werden explizit als solche gekennzeichnet.

3.1

Was ist CRAFT?

Das Community Reinforcement and Family Training (CRAFT) ist ein wissenschaftlich überprüfbares und in seiner Wirksamkeit bestätigtes Programm für Familienmitglieder oder befreundete Personen substanzabhängiger Menschen, die eine professionelle Behandlung ablehnen. Es handelt sich dabei um „die einzige individuelle Familientherapie-Methode, deren Wirksamkeit sowohl bei Problemen mit Alkohol als auch mit illegalen Drogen nachgewiesen werden konnte“ (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 353). Speziell an CRAFT ist das Beratungssetting, da an diesem – im Gegensatz zu den meisten anderen Familientherapien – nur die Angehörigen teilnehmen. CRAFT wurde in den Achtzigerjahren in den USA entwickelt und basiert auf dem Ansatz CRA (Community Reinforcement Approach), in dem direkt mit den Abhängigen gearbeitet wird. Die CRA-Entwickler kamen im Verlauf ihrer Arbeit mit Substanzabhängigen zu der mittlerweile bestätigten Annahme, dass die Angehörigen aufgrund ihres engen Kontakts zu den Abhängigen und ihrer hohen Veränderungsmotivation in der idealen Ausgangsposition sind, um das Konsumverhalten und die Behandlungsmotivation der Abhängigen aktiv zu beeinflussen (vgl. Sisson & Azrin, 1986, S. 15–21). Auch sollte mit Angehörigen gearbeitet werden, da diese infolge des Substanzkonsums der Abhängigen erheblichen Belastungen ausgesetzt sind und sie somit von einem auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Programm profitieren können.

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CRAFT verfolgt drei Hauptziele: 1. Behandlungsaufnahme durch die abhängige Person 2. Reduktion des Substanzkonsums der/des Abhängigen 3. Verbesserung der Lebensqualität der Angehörigen, unabhängig davon, ob die ersten beiden Ziele erreicht werden Im Programm werden den Angehörigen die dazu notwendigen Kompetenzen vermittelt. Zusätzlich wird ihnen aufgezeigt, wie sie ihre eigene Lebensqualität erhöhen können. Zentral bei CRAFT ist die Nutzung von Verstärkungsstrategien (siehe Kapitel 2.2) an Stelle konfrontativer Techniken. Weiter orientiert sich CRAFT am Verfahren der motivierenden Gesprächsführung (vgl. Miller & Rollnick, 2009).

3.2

Die acht Module von CRAFT

Das CRAFT-Verfahren besteht aus acht Bestandteilen, wovon nicht jeder bei allen Angehörigen eingesetzt wird. Die Auswahl und Durchführung der einzelnen Module hängt von den Bedürfnissen der Angehörigen und ihrer Bereitschaft ab, CRAFT auszuprobieren. Die Bestandteile lauten im Einzelnen: •

die Angehörigen dazu motivieren, an CRAFT teilzunehmen



funktionale Analyse des Konsumverhaltens



Vorsichtsmassnahmen bei (potenzieller) häuslicher Gewalt



Kommunikationstraining



positives Verstärkungstraining



Strategien zur Nutzung negativer Konsequenzen des Substanzkonsums



Angehörigen-Selbstverstärkungstraining



die abhängige Person zur Inanspruchnahme einer Behandlung motivieren

3.2.1

Die Angehörigen dazu motivieren, an CRAFT teilzunehmen

Bevor das Training starten kann, müssen die Angehörigen erst einmal für CRAFT gewonnen werden. Dazu gehört, dass die erwarteten Vorteile und positiven Auswirkungen des Trainings (Studienergebnisse) in allgemein verständlicher Sprache erläutert und in einer motivierenden, empathischen und wertungsfreien Art vermittelt werden. Auf keinen Fall sollte den Angehörigen das Gefühl gegeben werden, dass sie für den Substanzkonsum der Abhängigen verantwortlich sind (Bischof et al., 2007, S. 55). Gleichzeitig werden in dieser initialen Phase individuelle Verstärker der Angehörigen

25

identifiziert, also für sie wertvolle Dinge oder Ereignisse. Nebst der Beendigung des Substanzkonsums des Abhängigen (Hauptverstärker) stellen das Erreichen eines schon lange angestrebten Ausbildungsabschlusses, der infolge der schwierigen Umstände immer wieder aufgeschoben wurde, oder als angenehm empfundene Unternehmungen weitere Beispiele für Verstärker dar. Das Ermitteln von Verstärkern ist notwendig, weil davon ausgegangen wird, dass Verhaltensänderungen nur stattfinden, wenn das neue Verhalten belohnt bzw. verstärkt wird (siehe Kapitel 2.2). Dies gilt sowohl für Verhaltensänderungen der Angehörigen wie auch der Abhängigen.

3.2.2

Funktionale Analyse des Konsumverhaltens

Ziel der funktionalen Analyse des Konsumverhaltens ist herauszufinden, an welchen Ansatzpunkten man anknüpfen kann, um das Konsumverhalten der Abhängigen zu beeinflussen. Zudem erhält man von den Angehörigen genaue Informationen über typische Konsumsituationen, wodurch besser vorhersehbar wird, bei welchen Gelegenheiten die abhängige Person die Substanz(en) konsumiert. Die Angehörigen werden befragt, welches die inneren und äusseren Auslöser des Substanzkonsums sind, welche Substanz(en) und wie viel davon in welchem Zeitraum konsumiert werden und was die positiven und negativen Konsequenzen des Konsums für die abhängige Person sein könnten. Zur funktionalen Analyse des Konsumverhaltens gibt es ein gleichnamiges Arbeitsblatt (Anhang 1).

3.2.3

Vorsichtsmassnahmen bei (potenzieller) häuslicher Gewalt

In Beziehungen mit einem substanzabhängigen Menschen sind gewalttätige Handlungen sehr verbreitet und es besteht nachweislich ein Zusammenhang zwischen Substanzmissbrauch und Gewalt (White & Chen, 2002; zit. nach Meyers & Smith, 2004/2009, S. 115). Mit diesem CRAFT-Modul sollen daher Risikofaktoren ermittelt werden, die zu gewalttätigen Übergriffen führen könnten, um die Sicherheit der Angehörigen sicherzustellen (Bischof, 2012, S. 31). Für die Analyse (potenziell) gewalttätigen Verhaltens kann ebenfalls ein Arbeitsblatt zur Hilfe genommen werden (Anhang 2).

3.2.4

Kommunikationstraining

Wie in Kapitel 2.5.1 geschildert, bestehen in suchtbelasteten Beziehungen sehr häufig Kommunikationsprobleme, welche die Hauptziele von CRAFT behindern. Daher ist es notwendig, den Angehörigen positive kommunikative Fertigkeiten zu vermitteln, weil

26

diese die Abhängigen nicht in eine kontraproduktive Abwehrhaltung drängen. Es bestehen grössere Chancen, sie zu einer Behandlungsaufnahme und zur Einschränkung ihres Substanzkonsums zu motivieren. Weitere Beispiele für angenehme Effekte positiver Kommunikation sind eine grössere Zufriedenheit in der Partnerschaft oder der Auf- bzw. Ausbau des sozialen Netzwerks. Die zu erlangenden Kommunikationsfertigkeiten werden zusammen mit den Angehörigen in Rollenspielen eingeübt. Als Grundlage dienen die Regeln für eine positive Kommunikation (Anhang 3).

3.2.5

Positives Verstärkungstraining

In dieser Programmeinheit wird eine Liste von realistischen positiven Verstärkungen der abhängigen Person (siehe Kapitel 2.2) zusammengestellt. Sie sollen eingesetzt werden, sobald sie das erwünschte Verhalten ausübt. Zentral dabei ist, dass nur substanzfreies (= erwünschtes) Verhalten verstärkt wird. Die Angehörigen müssen also erkennen und sichergehen können, dass die Abhängigen keine Substanzen konsumiert haben (= unerwünschtes Verhalten), wenn sie die Verstärker anwenden. Die funktionale Analyse des Konsumverhaltens kann beigezogen werden, um die Situationen in Erinnerung zu rufen, in denen die Abhängigen konsumieren (Anhang 1). Für die Ermittlung der substanzfreien Verhaltensweisen steht den Angehörigen das Arbeitsblatt „Funktionale Analyse eines gesunden Verhaltens des Abhängigen“ zur Verfügung (Anhang 4). Idealerweise handelt es sich beim zu verstärkenden Verhalten zusätzlich um eines, das den Substanzkonsum konkurriert, häufig vorkommen kann und das auch die Angehörigen gerne ausführen. Geeignete Verstärker werden von den Abhängigen als angenehm empfunden, sind günstig oder kostenlos, umgehend einsetzbar bzw. verfügbar und für die Angehörigen einfach anzuwenden. Ob man den Abhängigen erklären soll, warum man ihr abstinentes Verhalten plötzlich verstärkt, wird den Angehörigen überlassen.

3.2.6

Strategien zur Nutzung negativer Konsequenzen

Da positive Verstärkung des erwünschten Verhaltens allein oft nicht ausreicht, um die angestrebte Veränderung zu erreichen, bestehen weitere Interventionsmöglichkeiten, welche die Angehörigen nutzen können. Diese Techniken erfordern, dass: •

die auftretenden negativen Konsequenzen, die die abhängige Person durch den Substanzkonsum erfährt, zugelassen werden,



positive Verstärker bei Substanzkonsum entzogen werden.

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Ein Beispiel für das Zulassen negativer Konsequenzen: Ein Ehepaar X und Y, wovon X alkoholabhängig ist, wird zu Bekannten zum Essen eingeladen. Bereits mehrmals kam diese Verabredung aufgrund vorgängigen Substanzkonsums von X nicht zustande. Y wäre das betrunkene Verhalten von X viel zu peinlich gewesen, weshalb Y das Treffen mit einer Ausrede abgesagt hat. Nach der oben erwähnten Technik würde Y keine Ausrede mehr erfinden, sondern den Bekannten beispielsweise mitteilen, dass X sie am nächsten Tag anrufen und ihnen mitteilen wird, warum sie nicht kommen konnten. Somit wird die Verantwortung für das Nichterscheinen an X übergeben, was für X eine negative Konsequenz darstellt, die mit dem Substanzkonsum zusammenhängt. Das Zulassen negativer Konsequenzen erfolgt unter folgenden Voraussetzungen: 1. Die zugelassene Konsequenz hängt mit dem Substanzkonsum zusammen. 2. Die Gefühle der Angehörigen über das bisherige Verhindern der Konsequenzen (Scham, Wut etc.) werden thematisiert. 3. Die Konsequenzen werden von den Abhängigen als negativ bewertet. 4. Das Zulassen der negativen Konsequenz hat sehr wahrscheinlich eine Konsumreduktion zur Folge. 5. Das Zulassen der Folgen ist nicht mit einem Sicherheitsrisiko verbunden. 6. Probleme, die beim Zulassen negativer Konsequenzen auftreten, müssen lösbar erscheinen. Um Probleme, die bei der Anwendung des Zulassens negativer Konsequenzen entstehen könnten, im Voraus zu berücksichtigen, kann das Arbeitsblatt „ProblemlöseSchritte“ (Anhang 5) verwendet werden. Hiermit erarbeiten die Angehörigen zusammen mit den CRAFT-Beratenden mögliche Lösungen, indem z. B. auf die Technik des Brainstormings zurückgegriffen wird. Die Angehörigen werden motiviert, möglichst viele potenzielle Lösungen zum Problem zu entwerfen, wobei jeder Vorschlag willkommen ist. Die Vielfalt der Lösungsvorschläge soll es am Ende vereinfachen, eine wirklich geeignete Lösung auszuwählen. Ein Beispiel für das Entziehen positiver Verstärker: X liebt es, mit Y ins Kino zu gehen. Y wird X mittels positiver Kommunikation darauf hinweisen, dass ein gemeinsamer Kinobesuch nur noch stattfinden wird, wenn X keine Substanzen konsumiert hat. Damit die Technik wirksam ist, sollten die entzogenen, positiven Verstärker folgende Bedingungen erfüllen: •

Sie sind den Abhängigen wichtig und werden bei Entzug vermisst.

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Sie können von den Angehörigen bedenkenlos wieder eingesetzt werden, sobald die Abhängigen wieder abstinent sind.



Sie sollten einfach und ohne Risiko (z. B. Gewalt) entziehbar sein.



Sie sollten möglichst zeitnah zum Konsum entzogen werden können.

3.2.7

Angehörigen-Selbstverstärkungstraining

An dieser Stelle wird das dritte Ziel von CRAFT fokussiert, in dem es darum geht, die Lebensqualität der Angehörigen unabhängig vom weiteren Konsumverhalten der Abhängigen zu steigern. Viele Angehörige schränken ihr soziales Leben ausserhalb der suchtbelasteten Beziehung massiv ein und verlieren dadurch wichtige Ressourcen, die ihnen helfen würden, besser mit der Situation umgehen zu können. Das Selbstverstärkungstraining soll Angehörige also einerseits bei der Erweiterung ihres sozialen Netzes unterstützen. Andererseits sollen sie erkennen, welche Aktivitäten sie gerne mögen, aber aufgrund der Situation zurückgestellt haben oder gar nicht mehr ausführen. Um herauszufinden, welche Aktivitäten dies sein könnten, werden die Angehörigen aufgefordert, eine Liste mit angenehmen und eigenständigen Aktivitäten zu erstellen, die zudem bezahlbar, gut mit dem Tagesablauf vereinbar, derzeit oder früher bereits durchgeführt worden sind und andere Leute miteinbeziehen. Um festzustellen, mit welchen Lebensbereichen die Angehörigen zufrieden bzw. unzufrieden sind, wird die „Zufriedenheitsskala“ (Anhang 6) eingesetzt. Die Ergebnisse verdeutlichen, welchen Bereichen die Angehörigen bis jetzt eine höhere Bedeutung im Vergleich zu anderen eingeräumt haben und dienen als Grundlage für die Erarbeitung von Zielen für die entsprechenden Lebensbereiche. Nun wird ein Bereich ausgewählt, mit dem die Angehörigen eher, aber nicht maximal unzufrieden sind, da hier die Chancen auf ein erstes Erfolgserlebnis grösser sind. Die Ziele werden nach folgenden Richtlinien bestimmt: 1. Ziele und Strategien kurz und unkompliziert benennen 2. Ziele positiv formulieren und angeben, was neu getan werden soll 3. nur konkretes, messbares Verhalten wählen 4. angemessene und erreichbare Ziele und Strategien entwickeln 5. Ziele sollten unter der Kontrolle der Angehörigen sein 6. auf die erworbenen Fertigkeiten der Angehörigen vertrauen Ein den Richtlinien entsprechendes Ziel könnte z. B. sein, dem Sohn jeden Abend 30 Minuten bei den Hausaufgaben zu helfen. Ziele können für verschiedene wichtige Lebensbereiche erarbeitet werden, z. B. hinsichtlich Beruf/Ausbildung, Gefühlsleben, Kommunikation oder persönlicher Gewohnheiten (Anhang 7).

29

3.2.8

Die abhängige Person zu einer Behandlung motivieren

Um dieses als am wichtigsten bezeichnete Ziel von CRAFT zu erreichen, wird wiederum mit den Regeln der positiven Kommunikation und den Problemlöse-Schritten gearbeitet (Anhang 3 und 5). Ein geeignetes Hilfsmittel, um zu erkennen, wann sich die abhängige Person in einem Zeitpunkt erhöhter Behandlungsbereitschaft befindet, stellt das TTM dar (siehe Kapitel 2.4). Es wird angenommen, dass sich dieser Zeitpunkt innerhalb der Phasen „Absichtsbildung“ und „Vorbereitung“ bewegt. Jedoch wird es für die Angehörigen schwierig sein, ihn genau zu bestimmen. Folgende Verhaltensweisen der abhängigen Person deuten aber darauf hin, dass sie momentan eher aufgeschlossen für einen Behandlungsvorschlag ist: •

Die abhängige Person zeigt Schuldgefühle/Reue über das Verursachen einer substanzbezogenen Krise.



Sie ist verärgert über eine unerwartete Bemerkung aus dem sozialen Umfeld zu ihrem Substanzkonsum.



Sie zeigt Neugierde gegenüber dem CRAFT-Programm.



Sie fragt nach den Hintergründen der Verhaltensänderung der angehörigen Person.

Bevor eine Behandlung vorgeschlagen wird, sollten bereits Vorbereitungen getroffen worden sein, die bei einer tatsächlichen Zusage der Abhängigen einen möglichst raschen Behandlungsbeginn (d. h. innerhalb von 48 Stunden) ermöglichen. Denn die Motivation, das Problem der Substanzabhängigkeit anzugehen, kommt und vergeht häufig. Zudem werden den Angehörigen Tipps im Umgang mit Widerstand seitens der Abhängigen gegeben. Sie werden auch auf die Möglichkeit eines Therapieabbruchs vorbereitet und erhalten Hinweise, wie sie eine begonnene Behandlung der Abhängigen unterstützen können. Ob und wie Angehörige durch CRAFT-Beratende nach dem Erreichen des Hauptziels weiter betreut werden, ist den Professionellen selber überlassen. Im Manual ist von möglichen „Notfallplan“-Sitzungen die Rede, falls Abhängige die Therapie nach Beendigung des CRAFT-Programms abbrechen. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen Vorschlag.

3.3

Welche Angehörigen können von CRAFT profitieren?

Zielgruppe von CRAFT sind in erster Linie Angehörige, die eine nahestehende, substanzabhängige und behandlungsunwillige Person dazu bewegen wollen, ihren Substanzkonsum zu beenden oder zumindest zu reduzieren (Bischof, 2012, S. 32).

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Voraussetzung für den Erfolg der Methode ist die Bereitschaft der Angehörigen, in vollem Umfang an CRAFT teilzunehmen. Dies bedeutet, dass von ihnen erwartet wird, dass sie die Verantwortung für die Behandlungsaufnahme der Abhängigen und ihre persönlichen Sicherheit selber tragen. Weiter hängt der Erfolg von CRAFT davon ab, dass die Angehörigen ihnen aufgetragene Hausaufgaben erledigen, aktiv an den Fertigkeitsübungen während der Sitzungen teilnehmen und die zu erlernenden Fertigkeiten konsequent üben. Die bisher empirisch bestätigten Erfolge der Methode CRAFT beziehen sich auf die Teilnahme von Angehörigen, die bestimmten Kriterien entsprachen. So wurden z. B. Angehörige, die selber einen problematischen Substanzkonsum oder andere Verhaltensauffälligkeiten aufwiesen, unter 18-jährig waren, einen sehr niedrigen Bildungsgrad oder Erfahrungen mit ernsthafter häuslicher Gewalt hatten, aus den Studien ausgeschlossen. Weitere Kriterien verschiedener Studien waren, dass die Angehörigen mit den Abhängigen zusammen lebten oder zumindest an drei Tagen wöchentlich in Kontakt zu den Abhängigen standen, da sie so mehr Einfluss ausüben konnten (vgl. Sisson & Azrin, 1986, S. 15–21). Die Art der Beziehung war dabei weniger zentral (z. B. Eheleute, Paare, Kinder, Eltern, Geschwister oder gute Freundinnen und Freunde) als die Kontakthäufigkeit in der Beziehung. Die Autorin und der Autor des CRAFT-Manuals merken kritisch an, dass durch die erwähnten Ausschlusskriterien folglich nicht festgestellt werden kann, ob Personen, welche die Kriterien nicht erfüllen, allenfalls auch geeignete Klientinnen und Klienten für CRAFT wären. Sie schlagen daher vor, dass man sich in künftigen Studien diesen ausgeschlossenen Angehörigengruppen widmet und auch in Betracht zieht, dass CRAFT womöglich auch für Angehörige von Personen mit substanzungebundenen Abhängigkeiten (z. B. Anorexia nervosa), Angststörungen, Diabetes oder Adipositas geeignet sein könnte.

3.4

Erreichbarkeit der Angehörigen

In Kapitel 3.2.3 wurde bereits erwähnt, dass es in Beziehungen mit einer substanzabhängigen Person häufiger zu gewalttätigen Übergriffen kommt als in Beziehungen ohne Suchtproblematik. Daher gehen Meyers und Smith (2004/2009, S. 27) davon aus, dass man vor allem an Fachstellen für Opfer häuslicher Gewalt, wie z. B. Frauenhäusern oder in der Notaufnahme von Krankenhäusern, auf Angehörige trifft, denen mit CRAFT geholfen werden könnte. Arbeitet man in einer Suchtberatungsstelle, gerät man einfacher und fast automatisch in Kontakt mit Angehörigen, aber nicht jede Sucht-

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beratungsstelle ist auch auf die Anliegen Angehöriger spezialisiert. Zudem befinden sich viele Angehörige in Psychotherapie, jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass dort der Substanzkonsum der Abhängigen thematisiert wird. Daher wird im Manual vorgeschlagen, potenzielle Anlaufstellen für betroffene Angehörige auf CRAFT aufmerksam zu machen und/oder sie zu schulen, damit diese die Anzeichen, die auf Substanzabhängigkeiten in der Beziehung oder Familie hindeuten, besser erkennen. Weitere Vorschläge sind, CRAFT-Programme durch das Verteilen von Broschüren in den erwähnten Anlaufstellen bekannt zu machen, Anzeigen zu schalten oder für betroffene Angehörige relevante Informationsveranstaltungen anzubieten. Sozialdienste (z. B. Familien- und Jugendhilfe) seien ebenfalls geeignet, um hilfsbedürftige Angehörige ausfindig zu machen, da diese oftmals mit suchtbelasteten Familien zu tun haben (Hohman & Butt, 2001; zit. nach Meyers & Smith, 2004/2009, S. 27). Die speziell für Angehörige erschienene Version des CRAFT-Buchs ist bis jetzt leider erst in englischer Sprache verfügbar, weshalb deutschsprachige Angehörige wohl kaum auf diese Möglichkeit der Selbsthilfe zurückgreifen werden.

3.5

Anforderungen an CRAFT-Beratende

Als CRAFT-Beraterin oder -Berater hat man in erster Linie Kontakt mit Angehörigen, nicht mit Substanzabhängigen. Daher benötigen CRAFT-Beratende gemäss Meyers und Smith (2004/2009, S. 23) keine umfassenden Erfahrungen mit Substanzabhängigkeiten. Jedoch sei es sicherlich ein Vorteil, wenn man bereits theoretische und praktische Kenntnisse über substanzbezogene Erkrankungen sowie Funktionsstörungen in (familiären) Beziehungen habe. Viel wichtiger sei jedoch, dass man eine CRAFTAusbildung absolviert hat und Supervision in Anspruch nehme. Diese Ausbildung besteht aus einem mehrtägigen Workshop. Zudem wird auch das Selbststudium des Buches „Mit Suchtfamilien arbeiten – CRAFT: Ein neuer Ansatz für die Angehörigenarbeit“ (Meyers & Smith, 2004/2009) vorausgesetzt. Auch seien Empathie, Unvoreingenommenheit, Authentizität und Warmherzigkeit Grundanforderungen für eine gute Beratungsqualität. Überdies wird die Wichtigkeit einer positiven, motivierenden, konfrontationsfreien und akzeptierenden Haltung betont. Es sei auch bedeutsam, dass CRAFTBeratende den Angehörigen vermitteln, dass die Verantwortung für die Behandlungsaufnahme der Abhängigen und die persönliche Sicherheit der Angehörigen nicht bei den CRAFT-Beratenden sondern hauptsächlich bei den Angehörigen liegt. Die Angehörigen sollen auch darüber informiert werden, dass der Erfolg von CRAFT davon abhängt, dass sie die ihnen aufgetragenen Hausaufgaben erledigen und aktiv an den Fertigkeitsübungen während der Sitzungen teilnehmen (siehe Kapitel 3.3).

32

Aus Sicht von Bischof (2012) verlangt die Durchführung von CRAFT „Erfahrung in der Suchtkrankenhilfe und möglichst auch Grundkenntnisse der Verhaltenstherapie“ (S. 32). Laut Untersuchungen zu demografischen Daten von CRAFT-Beratenden, mit deren Hilfe Klientinnen und Klienten erfolgreich Substanzabhängige in Behandlung gebracht haben, besassen die Beratenden Bachelor- oder Master-Abschlüsse in Psychologie oder „Counseling“ (Kirby, Marlowe, Festinger, Garvey & LaMonaca, 1999, S. 88). Counseling, was frei übersetzt Beratung bedeutet, wird durch die American Counseling Association wie folgt definiert (2010): "Counseling is a professional relationship that empowers diverse individuals, families, and groups to accomplish mental health, wellness, education, and career goals". Im Vorwort des ins Deutsche übersetzten CRAFT-Manuals stellen Meyers und Smith fest, dass „die Übersetzung des Buches ... in die deutsche Sprache ... dieses evidenzbasierte Behandlungsprogramm für Psychologen, Ärzte, Therapeuten, Suchtberater, Sozialarbeiter und Fallarbeiter ... zugänglich [macht]“ (2004/2009, S. 16).

3.6

Praxiserfahrungen mit CRAFT in der Schweiz

Im ersten Kapitel dieser Arbeit wurde bereits darauf hingewiesen, dass professionelle Angehörigenangebote in der Suchthilfe Europas generell dünn gesät sind. Dies gilt auch für die Schweiz. Zwar gibt es Angehörigen- bzw. Selbsthilfegruppen wie die des Verbands der Eltern- und Angehörigenvereinigung Drogenabhängiger (VEVDAJ) sowie an Suchtberatungsstellen angehängte Angebote für Angehörige, jedoch beziehen sich diese häufig auf das als stigmatisierend empfundene Co-Abhängigkeitskonzept (vgl. Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme, 2012, S. 10; Blaues Kreuz der deutschen Schweiz, 2012). Gemäss Suhner und Beck (2012, S. 26) ist die Angehörigenvereinigung Drogenabhängiger Zürich (ada-zh) schweizweit die einzige Vereinigung, die eine professionelle Beratungsstelle für Angehörige führt. Das ada-zh-Team kennt CRAFT und hat sich auch inhaltlich mit der Methode auseinandergesetzt. Jedoch hat man sich aus diversen Gründen dagegen entschieden, sie anzubieten (siehe Kapitel 3.7). Stattdessen lässt die ada-zh einzelne Aspekte in ihre praktische Arbeit einfliessen (D. Suhner, persönliche Mitteilung, 7. November 2012). Die von den Entwicklern des Ansatzes geforderte CRAFT-Ausbildung wurde in der Schweiz (Pfäffikon ZH) seit Erscheinen des übersetzten Manuals zweimal durchgeführt. In Deutschland finden ab Dezember 2012 an der GK Quest Akademie Heidelberg wieder CRAFT-Seminare statt. Kursleiter G. Bischof, der auch die CRAFT-

33

Ausbildungen in Pfäffikon durchgeführt hat, weiss von keinen weiteren Kursen im deutschsprachigen Raum (G. Bischof, persönliche Mitteilung, 28. Oktober 2012). Die Suche nach professionellen Stellen, die CRAFT in der Schweiz anbieten, brachte erwartungsgemäss spärliche Ergebnisse hervor. Zu erwähnen ist jedoch, dass nur mittels Internet recherchiert wurde. Somit ist denkbar, dass es CRAFT-Programme an weiteren Stellen gibt, die ihr Angebot nicht online ausschildern. Da das Manual bislang nur auf Deutsch übersetzt wurde, ist anzunehmen, dass das Angebot zumindest in der Deutschschweiz grösser sei. Doch konnten lediglich sechs Institutionen ausfindig gemacht werden, die auf das CRAFT-Programm hinweisen: 1. Fachstelle für Gesundheitsförderung, Prävention und Suchtberatung Schaffhausen 2. Suchthilfe Region Basel 3. loesen.ch – lösungsorientiertes Coaching für Einzelne, Teams und Familien 4. Fachbereich Sucht des Bezirks Andelfingen 5. Fachstelle Sucht des Sozialdienstes Bezirk Pfäffikon 6. Suchtberatung Bezirk Dietikon des Sozialdienstes Limmattal Diese wurden zu ihren Erfahrungen mit der Methode schriftlich befragt. Von Interesse waren unter anderem Angaben zur Häufigkeit und dem Setting der Durchführung solcher CRAFT-Programme, wie viele Angehörige das Angebot nutzen bzw. wie die Resonanz auf CRAFT-Ausschreibungen ausfällt, wo und wie das Programm bekannt gemacht wurde, wie man sich auf das Programm vorbereitet hat (z. B. Ausbildung, Studium des Manuals) und welche Professionen mit CRAFT arbeiten. Des Weiteren wurden diese Institutionen befragt, worin sie Chancen und Grenzen der Methode sehen und ob sie Verbesserungsvorschläge haben. Von den sechs (teilweise mehrmals) kontaktierten Institutionen gingen von den ersten drei eine Rückmeldung ein.

3.6.1

Fachstelle für Suchtberatung Schaffhausen

Die Fachstelle für Gesundheitsförderung, Prävention und Suchtberatung hat CRAFT für Angehörige von Alkoholabhängigen seit drei Jahren zum Sozialtarif im Angebot. Frau C. Bühlmann (Psychologin) hat im Jahr 2009 eine zweitägige CRAFT-Ausbildung absolviert. Jedoch konnte mangels Nachfrage bisher kein einziger Kurs durchgeführt werden. Dabei spielte es keine Rolle, ob CRAFT als Einzel- oder Gruppensetting angeboten wurde. Die Ausschreibungen erfolgten über die unterschiedlichsten Kanäle: Es wurden sämtliche Arztpraxen, Seelsorgerinnen und Seelsorger, Sozialreferierende und sozialen sowie medizinischen Einrichtungen angeschrieben, die mit Suchtkranken und deren Angehörigen zu tun haben. Nebst der Aufschaltung des Angebots auf der

34

Homepage der Institution wurden auch Medienmitteilungen verschickt und Interviews gegeben. Gründe für das Ausbleiben von an CRAFT interessierten Angehörigen vermutet die Fachstelle darin, dass Angehörige möglicherweise eine höhere Hemmschwelle für die Inanspruchnahme von Hilfe aufweisen, als dies bei Abhängigen der Fall ist. Das Konzept der Co-Abhängigkeit könnte auch ein Hinderungsgrund sein, obwohl sich CRAFT davon distanziert. Weiter hätten Angehörige, die sich bei der Fachstelle meldeten, meist eine jahrelange Leidensgeschichte hinter sich und seien am Ende ihrer Kräfte. CRAFT sei jedoch ein anspruchsvolles Programm, das von den Angehörigen viel Einsatz verlange (C. Bühlmann, persönliche Mitteilung, 23. und 30. Oktober 2012).

3.6.2

Suchthilfe Region Basel

Die Suchthilfe Region Basel bietet CRAFT seit 2010 kostenlos an. Das Programm wird von einem Sozialarbeiter und einer Psychologin durchgeführt. Bei 75 der laufenden Fälle handelt es sich um Angehörigenberatungen, etwa die Hälfte davon, also ca. 38, sind CRAFT-Beratungen. Diese finden ausschliesslich in Einzelsettings statt. Beworben wird das Angebot mittels Flyern und auf der Website der Fachstelle. Die CRAFTAusbildung wurde ebenfalls besucht. CRAFT wirke sehr gut bei Angehörigen, die sich selbst im Mittelpunkt der Beratung sehen. Hingegen seien Angehörige, die „nur ihr Problem deponieren wollen“, ohne an einer Veränderung an sich selbst bzw. am Familiensystem arbeiten zu wollen, mit dem Ansatz nicht gut beraten (J. Rudorf, persönliche Mitteilung, 19. November 2012). Sehr aufschlussreich ist auch die Statistik der Fachstelle, aus der ersichtlich ist, dass sich die meisten Angehörigen in Bezug auf Cannabis-, Kokain- und Opiatkonsum bei der Suchthilfe melden. Nur 5 Prozent der Angehörigen meldeten sich im Jahr 2011 wegen Alkoholkonsums bei der Suchthilfe (Suchthilfe Region Basel, 2012, S. 7–9).

3.6.3

loesen.ch

Bei loesen.ch wird CRAFT etwa einmal pro Monat im Einzelsetting (10 bis 12 Sitzungen) durch einen Sozialpädagogen mit einem Master of Advanced Studies in systemisch-lösungsorientierter Kurzzeitberatung und -therapie angeboten. Die CRAFTAusbildung wurde absolviert. Da es sich nicht um eine staatlich finanzierte Einrichtung handelt, ist das Angebot kostenpflichtig.

35

Sucht sei für viele immer noch ein Tabuthema, das man nicht mit anderen teilen wolle. Daher sei der persönlichere Rahmen des Einzelsettings gefragt, in dem auch schwierigere Situationen angesprochen werden könnten. Ziel sei jedoch, ein Gruppensetting zu entwickeln, das Angehörigen den Zugang erleichtern könne. Bislang wurden sieben Familien mit je zwei bis drei Angehörigen beraten, die von sich aus die Beratung aufgesucht hatten. Geworben wurde auf Google.com, bei Coop und Migros sowie bei Kirchgemeinden. Gerade bei Suchtthemen könne das "anonyme" Internet Hürden abbauen, die einen ersten Kontakt sonst verhindern würden. Vorteile der Profession der Sozialen Arbeit für die Anwendung von CRAFT werden bei loesen.ch darin gesehen, dass die Perspektive der Alltagsbewältigung näher scheine, als man dies vonseiten der Psychologie vernehme. So könnten Strategien bei der Umsetzung von Problemlösetechniken sehr alltagsnah oder direkt in der Alltagssituation begleitet werden. Positiv empfinde man am Ansatz, dass die Angehörigen gestärkt nach Hause gingen und sich über die zurückgewonnene Einflussmacht freuten. Negativ sei, dass die Abhängigen teilweise aggressiver reagiert hätten, als sie erfuhren, dass die Angehörigen eine professionelle Beratung aufgesucht hatten. Ebenso sei die Erwartungshaltung der Angehörigen an CRAFT bzw. den Beratenden recht hoch gewesen. Zudem stiessen Menschen mit geringen Kommunikations-Ressourcen schneller an ihre Grenzen und bräuchten eine engere Begleitung, um nicht aus Frust zu früh aufzugeben. Insgesamt werde CRAFT aber als wirksames Instrument erlebt, das gut zu einer systemischlösungsorientierten Haltung passe (A. Walti, persönliche Mitteilung, 16. November 2012).

3.6.4

Professionen, die CRAFT anwenden

Aus den Befragungen und der Internetrecherche wird deutlich, dass hauptsächlich Sozialarbeitende den CRAFT-Ansatz verwenden. Vier Personen sind in Sozialarbeit bzw. Sozialpädagogik ausgebildet, drei in Psychologie. Eine Person hat sowohl einen Psychologie- als auch einen sozialarbeiterischen Abschluss. Von den Institutionen, die keine Rückmeldung gaben, konnten die Professionen im Internet ermittelt werden: •

Fachbereich Sucht des Bezirks Andelfingen (Fachstellenkonferenz der ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen für Alkoholprobleme im Kanton Zürich, 2012)



Fachstelle Sucht des Sozialdienstes Bezirk Pfäffikon (Sozialdienst Bezirk Pfäffikon ZH, 2012)



Suchtberatung Bezirk Dietikon (2012)

36

3.7

Chancen und Grenzen von CRAFT

Als Chancen der Methode sieht Bischof (2012, S. 32), dass CRAFT möglicherweise diejenigen Angehörigen erreicht, die durch die als stigmatisierend empfundenen Inhalte des Co-Abhängigkeitskonzepts abgeschreckt werden. Auch vermutet er, dass Angehörige, die sich nicht (wie von Al-Anon oder Nar-Anon empfohlen) von ihren substanzabhängigen Partnerinnen oder Partnern trennen wollen, CRAFT als ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Programm ansehen könnten. Somit werde auch eine unterversorgte Personengruppe angesprochen. Gleichzeitig stellen Angehörige eine hilfreiche Ressource für das Suchthilfesystem dar, da sie die Inanspruchnahme einer Behandlung durch die Abhängigen förderten. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Ergebnisse des Programms wissenschaftlich überprüfbar sind. An Grenzen stösst die Methode, wenn die Angehörigen nur selten Kontakt zu den Abhängigen haben (ebd., S. 32) oder wenn sie ein CRAFT-Training mit falschen Erwartungen beginnen, die durch die CRAFT-Beratenden nicht ausgeräumt werden. Ein Beispiel für eine falsche Erwartung stellt die Meinung der Angehörigen dar, dass die CRAFT-Beratenden die Verantwortung für den Behandlungsbeginn der Abhängigen übernähmen. Als Risiko des Ansatzes beurteilt Gerber (2011, S. 23), dass sich Angehörige, die es nicht schaffen, die Abhängigen zu einer Behandlung zu motivieren, möglicherweise als Versager fühlten. Dabei berücksichtigt er jedoch nicht, dass Angehörige im Voraus auf potenzielle Misserfolge vorbereitet werden, z. B. mit Rollenspielen (siehe Kapitel 3.2.8). Auch stellt sich Gerber (ebd., S. 23) die Einführung von CRAFT auf institutioneller Ebene schwierig vor, ebenso Bischof (2012, S. 32), da die komplette Beratung bis zu zwölf Einzelsitzungen vorsehe und somit eine ressourcentechnische Herausforderung darstelle. Meyers und Smith (2004/2009) hingegen betonen, dass „die Angehörigen durchschnittlich weniger als fünf Sitzungen brauchen, bevor sie die Abhängigen erfolgreich in Behandlung bekommen“ (S. 298). Die Angehörigenvereinigung Drogenabhängiger (ada-zh) sieht in CRAFT die Vorteile, dass es sich beim Manual um „ein umfassendes, differenziertes und gut strukturiertes Buch zur Arbeit mit Angehörigen von Personen mit problematischem Substanzkonsum“ handle (D. Suhner, persönliche Mitteilung, 7. November 2012). Eine gute Struktur könne sowohl Klientinnen und Klienten als auch Therapeutinnen und Therapeuten Halt und Sicherheit vermitteln. Das Manual sei zudem gut verständlich und übersichtlich geschrieben. Da es in der deutschsprachigen Literatur ohnehin sehr wenig Material zu diesem Thema gebe, sei „jedes fundierte Fachbuch eine Bereicherung“ (ebd.). Gemäss der ada-zh birgt CRAFT aber auch einige Nachteile bzw. Risiken. So bestehe die Gefahr, dass Angehörige als Therapeutinnen bzw. Therapeuten für die konsumierende

37

Person „missbraucht“ würden, da die Verantwortung, ob eine abhängige Person eine Behandlung beginnt, bei den Angehörigen liege. Erfahrungsgemäss übernähmen Angehörige sonst schon zu viel Verantwortung für die Abhängigen. CRAFT könne dies also sogar noch begünstigen. Als weiteren Kritikpunkt nennt die ada-zh die Reihenfolge der drei Ziele von CRAFT, wobei die ersten beiden Ziele die abhängige Person betreffen. Erst das dritte Ziel beinhalte die Erhöhung der Lebenszufriedenheit der Angehörigen. Bei der ada-zh stünden aber die Angehörigen im Zentrum, nicht die Konsumierenden. Abschliessend fügt die ada-zh an, dass mit dem von CRAFT angestrebten Hauptziel, nämlich der Behandlungsaufnahme durch die Abhängigen, das Problem meist noch nicht gelöst sei. So befänden sich die meisten Abhängigen, deren Angehörige die ada-zh aufsuchen, bereits in Therapie oder hätten schon eine oder mehrere Behandlungen durchlaufen (ebd.).

3.8

Zusammenfassung

Bei CRAFT handelt es sich um ein wissenschaftlich überprüfbares und in seiner Wirksamkeit bestätigtes Programm für Angehörige substanzabhängiger, behandlungsunwilliger Menschen. Es richtet sich an Angehörige, welche die ihnen nahestehenden Abhängigen dazu bewegen wollen, den Substanzkonsum zu beenden oder zumindest einzuschränken. Eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg der Methode ist eine hohe Kontakthäufigkeit zwischen der angehörigen und der abhängigen Person. Da diverse Angehörigen-Gruppen von CRAFT-Studien ausgeschlossen wurden, kann nicht festgestellt werden, ob diese Personen womöglich auch geeignete Nutzerinnen und Nutzer der Methode wären. CRAFT ist als Einzelsetting konzipiert und hat drei Ziele: Erstens soll die abhängige Person eine professionelle Behandlung aufnehmen, zweitens soll sie den Substanzkonsum reduzieren. Drittes Ziel ist, die Lebensqualität der Angehörigen zu verbessern, unabhängig von der Erreichung der ersten beiden Ziele. Die Methode orientiert sich an der Lerntheorie und dem Verfahren der motivierenden Gesprächsführung. CRAFT beinhaltet acht Module, in denen die Angehörigen die benötigten Fertigkeiten erlernen. Die Angehörigen müssen bereit sein, sich vollumfänglich auf das CRAFT-Programm einzulassen. Potenzielle Stellen, wo man Angehörige findet, sind z. B. Fachstellen für Opfer häuslicher Gewalt, Suchtberatungsstellen oder Sozialdienste. Darüber, ob CRAFT-Beratende Erfahrung im Suchtbereich benötigen, gibt es verschiedene Meinungen. Es werden eine CRAFT-Ausbildung und das Studium des Ma-

38

nuals vorausgesetzt. Empathie, eine akzeptierende Haltung und ein motivierender, konfrontationsfreier Kommunikationsstil sind erforderliche Kompetenzen der Beratenden. In der Schweiz konnten sechs Institutionen ausfindig gemacht werden, die CRAFT anbieten. Die Resonanz auf CRAFT-Ausschreibungen variiert stark. An den befragten Fachstellen wird CRAFT mehrheitlich von Sozialarbeitenden verwendet. Chancen der Methode sieht man in der Erreichbarkeit einer noch unterversorgten Personengruppe, die zudem eine wertvolle Ressource für das Suchthilfesystem darstellt, und in der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit des Ansatzes. Eine Grenze sei, dass CRAFT zu anspruchsvoll für Angehörige sein könnte. Kritisiert wird, dass das Wohlbefinden der Angehörigen erst als drittes Ziel genannt wird.

4

Anwendbarkeit einer Methode in der Sozialen Arbeit

Was ist eine Methode der Sozialen Arbeit bzw. was zeichnet sie aus? Welche Kriterien muss sie erfüllen, damit sie durch die Profession nutzbar ist? Kreft und Mielenz (2008) bezeichnen Methoden Sozialer Arbeit als systematisch strukturierte und prozessorientierte „Handlungsformen für den zielgerichteten beruflichen Umgang mit sozialen Problemen“, die auf „professioneller Ethik, Sozial- und Humanwissenschaften und reflektierter Berufserfahrung“ beruhen und „Aussagen über Ziele, Gegenstände und Mittel des reflektierten Handelns“ enthalten (S. 589). Zu den sozialarbeiterischen Methoden gehören die Beratung, Verhandlung, Intervention, Vertretung, Beschaffung und Betreuung (Lüssi, 2008, S. 392–474).

4.1

Gegenstand der Sozialen Arbeit

Soziale Arbeit befasst sich in erster Linie mit der Verhinderung, Linderung und Lösung sozialer Probleme (Geiser, 2009, S. 21). Was sind überhaupt soziale Probleme? Ausgehend von den Ausführungen in Kapitel 2.1 besteht einer der wichtigsten Prozesse im Leben eines menschlichen Individuums in der Befriedigung seiner Bedürfnisse. Ist ein Bedürfnis nicht befriedigt, entsteht ein Spannungszustand, den es zu beheben gilt. Unter welchen Bedingungen aus dieser Spannung ein Problem wird, erklärt Obrecht (2009) folgendermassen: „Ein Lebewesen hat ein praktisches Problem, wenn es gewahr wird, dass es eine Bedürfnisspannung weder mit verfügbaren Verhaltensroutinen noch kognitiv zu reduzieren vermag“ (S. 48). Ein Beispiel für ein solches Problem ist, wenn eine Person Hunger, aber momentan keinen Zugang zu Nahrung hat. Praktische

39

Probleme können weiter in physikalische, biologische, (bio-)psychische und (biopsycho-)soziale Probleme unterteilt werden (ebd., S. 49). Soziale Probleme sind Ausdruck einer ungenügenden Einbindung von Individuen in soziale Systeme und lassen sich differenzieren in Interaktions- und Positionsprobleme (ebd., S. 53–54): Interaktionsprobleme (in Austauschbeziehungen) •

Gewalterfahrungen



Fehlen/Mangel an sexueller Beziehung



Fehlen/Mangel an Liebe und Zuwendung



Fehlen/Mangel an Beziehungen bzw. Übermass an (Pflicht-)Kontakten



Fremdheitsgefühle im Rahmen der Interaktionsmöglichkeiten



Fehlen/Mangel an (in-)formellen Normen, die Interaktionen regeln



Unrechtserfahrungen (durch Verstoss gegen Regeln der Fairness)



soziale Deklassierung im Rahmen von Interaktionen



strukturelle Diskriminierung durch Zugangsverweigerung/Ausschluss

Positionsprobleme (in Machtbeziehungen) •

ungerechter Tausch im Rahmen der Interaktion (Privilegierung bzw. Benachteiligung)



strukturelle Diskriminierung durch Zugangserschwerung/Ausschluss von Mitgliedschaften



Fremdbestimmung (z. B. Sklaverei, Diktatur, Drohung und Gewalt)



Machtlosigkeit (bezüglich Kontrolle über benötigte Ressourcen), Machtüberschuss



Statusunvollständigkeit (z. B. gute Ausbildung, aber stellenlos und auf Sozialhilfe angewiesen)



tiefer Status und sozialer Abstieg innerhalb von Gruppen, Organisationen etc.



Statusungleichgewicht (z. B. Einkommen entspricht nicht dem Bildungsniveau)

Damit also eine Methode für die Soziale Arbeit nutzbar ist, sollte sie zum Ziel haben, Interaktions- oder Positionsprobleme zu bearbeiten und idealerweise auch zu deren Lösung beizutragen. Ein Beispiel: Eine Ehefrau meldet sich bei der Jugend- und Familienberatung und erzählt, wie sich die Beziehungsqualität zu ihrem Mann seit Annahme seiner neuen Stelle als Nachtportier kontinuierlich verschlechtert habe. Sie unterhielten sich kaum noch, da er die ganze Nacht arbeite und tagsüber schlafe. Wenn es zu einem Gespräch komme, verlaufe dieses meist unfreundlich oder es gebe sogar Streit. Tangiert werden hierbei die nicht befriedigten Bedürfnisse nach Liebe und Zuwendung,

40

infolgedessen es zu Konflikten kommen kann. Es handelt sich somit um ein Interaktionsproblem. Der Familienberater schlägt in diesem Fall die Methode der Mediation vor. Mediation wird definiert als „ein prozessorientiertes, strukturiertes Konfliktregelungsverfahren. In einem auf wechselseitiger Kommunikation und Kooperation angelegten freiwilligen Prozess arbeiten die Konflikt-/Streitpartner selbst und eigenständig an einer einvernehmlichen, aussergerichtlichen Konfliktregelung“ (Kreft & Mielenz, 2008, S. 582). Mediation ist also ein Beispiel für eine Methode, die den Anforderungen der Sozialen Arbeit in Bezug auf das Bearbeiten sozialer Probleme gerecht wird.

4.2

Benötigte Kompetenzen und Wissensformen

Um herauszufinden, ob Professionelle der Sozialen Arbeit eine bestimmte Methode nutzen können, muss analysiert werden, welche grundlegenden Kompetenzen und welches Wissen in der Sozialen Arbeit gefragt sind. Ebenfalls ist zu prüfen, welche Kompetenzen und Wissensformen eine Methode erfordert, damit sie durch Sozialarbeitende erfolgreich angewandt werden kann. Gemäss Ehrhardt (2010, S. 25) sind die folgenden Kompetenzen zentral für das methodische Arbeiten in der Sozialen Arbeit. Sie werden in allen Handlungsfeldern in unterschiedlicher Ausprägung benötigt: •

Kompetenz zur ganzheitlichen Problemanalyse; methodische Vielfalt und Fallverstehen



Kompetenz zur Lebensweltorientierung



Kompetenz zur Ressourcenorientierung, zum Empowerment und Netzwerkmanagement



Kommunikative Kompetenz und Beratungskompetenz



Interkulturelle Kompetenz und Genderkompetenz



Ethisch-normative Grundhaltung und Kompetenz zur Selbstreflexion

Diese Basiskompetenzen, über die alle Sozialarbeitenden verfügen sollten, werden in der Sozialen Arbeit auch unter den Begriffen Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz subsumiert (Fachkonferenz Soziale Arbeit der FH Schweiz, SASSA, 2007, S. 9–12). Die Beratungs- und Kommunikationskompetenz wird im Folgenden näher beleuchtet, da die Beratung in der Sozialen Arbeit „eine zentrale Aufgabe in allen Tätigkeitsbereichen Sozialer Arbeit“ (Stimmer, 2012, S. 127) darstellt und in deren Berufspraxis allgegenwertig ist (Lüssi, 2008, S. 393). Von Sozialarbeitenden als Fachpersonen sozialer

41

Kommunikation erfordert die Beratungstätigkeit eine hohe Sprachkompetenz, d. h. ein ausgeprägtes sprachliches Verstehen, eine hohe Anpassungsfähigkeit der Art zu sprechen, eine klare und verständliche Schreibweise sowie Kommunikationskompetenz mit fremdsprachigen Klientinnen und Klienten (ebd., S. 184–188). Laut Thiersch (2009) hat soziale Beratung das Ziel, „Hilfe zur Selbsthilfe in Lebensschwierigkeiten zu ermöglichen“ (S. 132). Eine Beratungsform, die Thierschs Verständnis von sozialer Beratung entspricht, ist das Prozessberatungsmodell (Schein, 2010). Bei diesem Modell wird davon ausgegangen, dass Hilfesuchende häufig selber nicht genau wissen, was ihr Problem ist bzw. wie sie es beheben sollen. Die beratende Person kann das Problem auch nicht für sie lösen, aber sie kann in Zusammenarbeit mit den Klientinnen und Klienten helfen, das Problem einzugrenzen, zu definieren und nach möglichen Lösungen zu suchen. Schein (2010) verdeutlicht dies so: Es ist meine Aufgabe, eine Beziehung zu schaffen, in der der Klient Hilfe erhalten kann. Es ist nicht meine Aufgabe, mir die Probleme des Klienten selbst aufzuschultern, noch ist es meine Aufgabe, für eine Situation, in der ich nicht selbst lebe, Ratschläge und Lösungen anzubieten. (S. 299) Beratende sollten darüber hinaus folgende Grundbedingungen erfüllen, damit die Beratung eine konstruktive Veränderung bei den Beratenen bewirken kann:

Bedingung

Erläuterung

Kongruenz bzw. Echtheit

Die beratende Person versteckt sich nicht hinter einer Fassade oder Rolle, sondern ist authentisch. Geäussertes Mitgefühl ist wirklich so gemeint und wirkt auf die beratene Person glaubwürdig, sodass sie sich ernst genommen fühlt. Dazu gehört auch, dass ein offener, ehrlicher Umgang praktiziert wird.

Bedingungslose positive Zuwendung

Die beratende Person akzeptiert die Klientin/den Klienten wie sie/er ist und zeigt (und fühlt) Anteilnahme für ihre/seine Situation. Die akzeptierende Haltung und Anteilnahme sind an keine Bedingungen geknüpft. Dazu gehört auch, die Klientin/den Klienten in keinster Weise zu beschuldigen oder zu verurteilen.

Empathisches Verstehen

Die beratende Person kann sich in das zu beratende Individuum bzw. in seine Situation hineinversetzen, seine Gefühle nachvollziehen und äussert Verständnis für seine Lage, ohne selber in einen Strudel negativer Gefühle hineingezogen zu werden (Abgrenzung).

Tab. 3: Notwendige Voraussetzungen an professionelle Beratende. Quelle: in Anlehnung an Rogers (1961/2009, S. 276–278)

42

Zika (2007, S. 65–67) erwähnt weitere hilfreiche Haltungen speziell für die Arbeit mit Angehörigen. Beispielsweise sollen Beratende neutral gegenüber Veränderungen oder Nicht-Veränderungen der Klientinnen und Klienten sein, da jede Veränderung nicht nur Chancen, sondern auch Risiken birgt. Von grosser Relevanz ist zudem eine bedürfnisorientierte Haltung. Da Angehörige von Substanzabhängigen ihre eigenen Bedürfnisse oftmals zurückstellen, sollen Beratende den Angehörigen vermitteln, dass ihre Bedürfnisse genauso wichtig sind wie die der Abhängigen. Des Weiteren ist eine realistische Haltung hilfreich, da die hohen Ansprüche und Erfolgserwartungen der Angehörigen an sich selber sehr bedrückend und blockierend auf sie wirken können. Beratende können mit dem Aufzeigen realistischer, kleiner Veränderungsschritte erste Erfolgserlebnisse ermöglichen, welche die Angehörigen motivieren, weiterzumachen. Die letzte förderliche Haltung ist eine ganzheitliche Sichtweise, d. h. es sollen während der Beratung auch Themen abseits des zu bearbeitenden Problems zur Sprache kommen, da dies den Angehörigen ein Gefühl der Wertschätzung entgegenbringt. Professionelles methodisches Handeln in der Sozialer Arbeit ist, wie bereits zu Beginn des Kapitels 4 angesprochen, systematisch geplant, prozess- und problemlösungsorientiert sowie ethisch begründet. Das für die Problemlösung relevante Wissen wird dabei aus sozial- und humanwissenschaftlichen Disziplinen, wie z. B. Biologie, Psychologie, Soziologie oder Ökonomie, beigezogen (vgl. Geiser, 2009, S. 41–43). Es handelt sich um wissenschaftliches Beschreibungs-, Erklärungs-, Prognose-, Wert-, Ziel-, Interventions und Evaluationswissen, das in fünf Formen allgemeinen methodischen Professionswissens unterteilt werden kann (ebd., S. 85–86): 1. Wissen über die Erhebung und Beschreibung von Fakten zu Individuen und sozialen Systemen im Gegenstandsbereich Sozialer Arbeit 2. Wissen über das systematische Bearbeiten von Anlass- bzw. deren Folgeproblemen 3. Berufsethisches Wissen 4. Wissen über alle in die Problematik involvierten Akteurinnen und Akteure, wie man diese in die Problembearbeitung miteinbezieht und wie kommuniziert/koordiniert werden muss 5. Wissen über das Dokumentieren des professionellen Handelns (Akten führen, Berichte verfassen etc.)

43

4.3

Problemlösungsprozess

Nachdem veranschaulicht wurde, welche Probleme die Soziale Arbeit bearbeitet und welche Kompetenzen und Wissensformen Sozialarbeitende dazu benötigen, stellt sich die Frage, wie die konkrete Umsetzung eines professionellen Problemlösungsprozesses aussehen sollte. Warum sollte methodisches Handeln professionell sein und was zeichnet professionelles Handeln aus? Entgegen dem auf Alltags- und Erfahrungswissen basierenden Handeln stützt sich professionelles Handeln auf wissenschaftliches Wissen, also für die involvierten Akteurinnen und Akteure zugängliches, überprüf- und korrigierbares Wissen. Ein solches professionelles Vorgehen ist in der Sozialen Arbeit erforderlich, da Sozialarbeitende soziale Probleme im Sinne nicht befriedigter Bedürfnisse bearbeiten und diese Bedürfnisse besser beachten und ihr Handeln bewusst danach ausrichten können, wenn sie sich auf überprüf- und korrigierbares Wissen stützen (Martin, 2005; zit. nach Gregusch & Vlecken, 2010, S. 11). Überprüf- und korrigierbar muss es sein, damit erkennbar wird, ob und inwiefern die ausgeführte Handlung bzw. Methode wirkungsvoll bzw. effektiv ist. Alltagshandeln passiert oftmals „ins Blaue hinaus“, wodurch im Nachhinein keine Rückschlüsse gezogen werden können, welche Anteile der Handlung denn nun zur Lösung eines Problems beigetragen haben bzw. welches denn überhaupt die Handlung war, die eine Wirkung erzielt hat. Es stellt sich dabei auch die kritische Frage, ob es denn ethisch vertretbar ist, wenn Sozialarbeitende unprofessionelle Methoden an ihren Klientinnen und Klienten quasi „ausprobieren“. Das nächste Kapitel wird sich dieser Frage widmen. Im Rahmen der Jahrestagung des Vereins Clinical Social Work Switzerland (CSWS) wurde die Forderung nach evidenzbasierter oder zumindest evidenzinformierter Sozialer Arbeit deutlich. Eine „evidenzbasierte Praxis als systematische Anwendung der besten wissenschaftlichen Erkenntnis in der Interventionspraxis ist ein vielversprechender Ansatz, steckt in der Sozialarbeit aber noch in den Kinderschuhen“ (Hošek, 2012), denn Evidenzbasierung setzt sowohl Forschung als auch eine Hilfsprozessgestaltung zwingend voraus. Die evidenzinformierte Praxis ist ein Schritt in diese Richtung, nämlich hin zu einer wissenschaftlich informierten Sozialen Arbeit, die eine Kultur der regelmässigen Aneignung neuer Studien und der dazugehörigen Manuale zu einem Fachgebiet pflegt (Kläusler, 2012). Ein Beispiel professioneller Hilfsprozessgestaltung, die systematisch geplantes, prozess- und wirkungsorientiertes Handeln in der Sozialen Arbeit ermöglicht, stellt die allgemeine normative Handlungstheorie dar. Sie strukturiert den Problemlösungsprozess

44

mittels systematisch gestellter Fragen (W-Fragen) und dient der Beantwortung der Wissensformen (Geiser, 2009, S. 67–68). Da es sich, wie ihre Bezeichnung schon andeutet, um ein allgemeines Verfahren handelt, kann sie in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit angewendet werden und eignet sich für die Bearbeitung der unterschiedlichsten Problemstellungen. Die W-Fragen können jeweils fünf Phasen zugeordnet werden: der Situationsanalyse (Phase 1), der Bewertung, Prognose und Problemermittlung (Phase 2), der Zielsetzung und Planung (Phase 3), der Entscheidung und Implementierung des Plans (Phase 4) und der Evaluation (Phase 5). Phase

W-Frage

Wissensformen (Antworten auf die W-Fragen)

Was?

Beschreibung der aktuellen Situation (Ausgangslage)

Woher?

Beschreibung der Vorgeschichte

Warum?

Erklärungen in Form von Hypothesen

Wohin?

Prognosen, falls keine Intervention stattfindet

Was ist (nicht) gut?

Bewertung der Abweichungen des Ist- vom Soll-Zustand (= Probleme) und des bevorzugten Zustands (= Ressourcen) des Individuums/Systems

Zusammenfassende Problem- und Ressourcenbeschreibung

Hier werden die wichtigsten Ergebnisse aus den Fragen 1 bis 5 zusammengefasst und zu bearbeitende Probleme priorisiert.

Woraufhin?

Ziele bezüglich angestrebter Zustände (Soll-Werte)

Wie?

Strategie bzw. Verfahren, wie die Ziele am effektivsten und effizientesten erreicht werden können

Womit?

Mittel, die zur Zielerreichung benötigt werden

Handlungsplan

Die Ziele, Strategien und Mittel ergeben den Handlungsplan

Wohin (2)?

2. Prognose bei Realisierung des Handlungsplans

Welche?

Entscheidung über die Umsetzung des Plans

4

Realisierung

Ausführung des Handlungsplans

5

Ergebniskontrolle

Vergleich der Ziele mit dem neuen Ist-Zustand

1

2

2

3

3

4

Tab. 4: Die W-Fragen und Wissensformen. Quelle: in Anlehnung an Geiser (2009, S. 304–307)

Nicht zu vergessen ist, dass durch das Zusammenarbeiten mit den Klientinnen und Klienten eine zirkuläre Wechselwirkung entsteht, die das weitere Geschehen und Handeln aller Systembeteiligten beeinflusst (siehe Kapitel 2.1). Da soziale Systeme keine

45

starren Gebilde sind, werden daher mit hoher Wahrscheinlichkeit Veränderungen der Ausgangslage während des Problemlösungsprozesses auftreten. Eine solche Veränderung der Problemsituation kann erfordern, die W-Fragen ebenfalls zirkulär bzw. in Schlaufen anzuwenden (ebd., S. 308).

4.4

Ethische Grundlagen der Sozialen Arbeit

Dass eine ethisch-normative Grundhaltung zu den Basiskompetenzen von Professionellen der Sozialen Arbeit gehört, wurde in Kapitel 4.2 bereits festgestellt. Die International Federation of Social Workers (IFSW) und die International Association of Schools of Social Work (IASSW) verdeutlichen, was diese Anforderung beinhaltet (2004): Ethisches Bewusstsein ist ein grundlegender Teil der beruflichen Praxis jeder/s Professionellen der Sozialen Arbeit. Ihre Fähigkeit und Verpflichtung ethisch zu handeln ist ein wesentlicher Aspekt der Qualität der Dienstleistung, die jenen angeboten wird, welche die Dienste Sozialer Arbeit in Anspruch nehmen. (S. 1) Eine Methode hat als Dienstleistung folglich auch den ethischen Standards der Sozialen Arbeit zu entsprechen. Sozialarbeitende sind als Grundlage für ihr Handeln auf eine klare ethische Orientierung angewiesen (Ehrhardt, 2010, S. 44). Für die Schweiz gelten die berufsethischen Richtlinien (Berufskodex) des Berufsverbands der Sozialen Arbeit, AvenirSocial (2010). Die Ausführungen des Berufskodex beruhen in erster Linie auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948. Dies verdeutlicht die für die Soziale Arbeit fundamentale Relevanz der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit. Wie die menschlichen Bedürfnisse sind auch die Menschenrechte universell (siehe Kapitel 2.1). Vereinte Nationen, IFSW und IASSW (1994/2000) definieren Menschenrechte als [J]ene Rechte ..., die unserer Natur eigen sind und ohne die wir als menschliche Wesen nicht existieren können. Die Menschenrechte und die grundlegenden Freiheiten erlauben uns, unsere menschlichen Eigenschaften, unsere Intelligenz, unsere Begabungen und unser moralisches Bewusstsein voll zu entwickeln und zu gebrauchen und unsere geistigen und sonstigen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie gründen im zunehmenden Verlangen der Menschheit nach einem Leben, in dem die unveräusserliche Würde und der Wert jedes einzelnen Menschen Anerkennung und Schutz findet. (S. 5) Die Soziale Arbeit geht also von einem Menschenbild aus, das allen Menschen das Recht auf Befriedigung ihrer existentiellen Bedürfnisse, Integrität und Integration in ein soziales Umfeld zugesteht. Zugleich sind alle Menschen verpflichtet, einander zu unterstützen, diese Rechte auch einzufordern und wahrzunehmen. Darüber hinaus gelten

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gegenseitige Anerkennung, gerechte Kooperation und Sozialstrukturen als Grundlage dafür, dass Menschen ein erfüllendes Leben leben können (AvenirSocial, 2010, S. 4). Das professionelle Handeln der Sozialarbeitenden soll stets von der Achtung der Menschenwürde und den daraus resultierenden Rechten gekennzeichnet sein, nämlich den Rechten auf Gleichbehandlung, Selbstbestimmung, Partizipation, Integration und Ermächtigung (ebd., S. 6). Gleichzeitig sollen Sozialarbeitende folgende Handlungsprinzipien einhalten (ebd., S. 9), die wiederum mit den erforderten Kompetenzen und Wissensformen gemäss Kapitel 4.2 übereinstimmen: 1. reflektierte und zugleich kontrollierte empathische Zuwendung bei gleichzeitiger Abgrenzung 2. Klientinnen und Klienten sollen bestärkt werden, ihre Rechte wahrzunehmen und ferner auch ihre Pflichten einzuhalten 3. an die Klientinnen und Klienten sollen nur fachlich adäquate und ethisch begründete Anforderungen gestellt werden 4. sorgfältiger Umgang mit Personendaten; hohe Priorisierung von Datenschutz und Schweigepflicht; zurückhaltender Umgang mit Anzeige- und Zeugnispflicht 5. Dokumentation der Tätigkeit mittels Aktenführung, wobei diskriminierende Formulierungen zu unterlassen sind; Unterscheidung zwischen überprüfbaren Fakten, eigenen und fremden Beobachtungen, Hypothesen und Erklärungen bzw. Deutungen Die Soziale Arbeit ist einem Tripelmandat verpflichtet. Erstens hat sie Hilfe für Adressatinnen und Adressaten zu erbringen. Zweitens handelt sie in gesellschaftlichem Auftrag. Das dritte Mandat schreibt vor, dass sozialarbeiterische Arbeitsweisen und Methoden wissenschaftlich und ethisch begründet sowie durch die Menschenrechte legitimierbar sein müssen (Staub-Bernasconi, 2007, S. 199–200). Durch die ersten beiden Verpflichtungen steht das Handeln in der Sozialen Arbeit oftmals vor ethischen Dilemmata, z. B. wenn sich gesellschaftliche Erwartungen und Ansprüche von Klientinnen und Klienten gegenüberstehen. Sozialarbeitende stehen in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen. Einerseits sollen sie anwaltschaftlich für die Klientinnen und Klienten agieren und deren Autonomie wahren, andererseits kann es vorkommen, dass Eingriffe in deren persönliche Freiheit getätigt werden müssen (Ehrhardt, 2010, S. 45). Das dritte Mandat stellt für die Professionellen ein Instrument dar, um solchen potenziellen Rollen- und Interessenskonflikten mit einem soliden Argumentarium begegnen und ihr Handeln rechtfertigen zu können (AvenirSocial, 2010, S. 4). Ebenso macht das dritte Mandat deutlich, dass es ethisch nicht

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vertretbar ist, Methoden in der Arbeit mit Klientinnen und Klienten anzuwenden, die den wissenschaftlichen und berufsethischen Kriterien nicht genügen. Schlussfolgernd kann also gesagt werden, dass eine Methode dem Tripelmandat der Sozialen Arbeit gerecht werden muss, um für die Soziale Arbeit geeignet zu sein.

4.5

Anwendbarkeit in einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit

Ein mögliches Handlungsfeld der Sozialen Arbeit ist nach den bisherigen Erkenntnissen dieser Arbeit überall dort zu verorten, wo soziale Probleme in Erscheinung treten und nach ihrer Lösung verlangt wird. Der Auftrag dazu kann, wie im vorherigen Kapitel dargelegt, von den Problembetroffenen, der Gesellschaft oder durch die Profession selber (drittes Mandat) erteilt werden. Handlungsfelder der Sozialen Arbeit können nach verschiedenen Interventionsebenen differenziert werden (vgl. Galuske, 2003, S. 196–198; Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Soziale Arbeit, Infostelle, 2006): nach der Ebene der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. Soziale Arbeit im gesetzlichen Betreuungsdienst), des institutionellen Settings (z. B. Schulsozialarbeit), der Zielgruppe (z. B. sozialpädagogische Familienbegleitung), des Alters (z. B. Jugendarbeit) oder des Problembereichs (z. B. Suchtberatung). Bedingt durch die zahlreichen und unterschiedlichen Kontexte, in denen soziale Probleme auftreten können, überschneiden sich die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit oftmals mit denjenigen anderer Disziplinen, z. B. der (Psycho-)Therapie (Ruttert, 2012, S. 23–27). Diese Gegebenheit führt in der Praxis nicht selten zu Unklarheiten und Verunsicherungen bezüglich Zuständigkeit der jeweiligen Professionen (ebd., S. 23). Insbesondere die für die Soziale Arbeit zentrale Methode der Beratung (siehe Kapitel 4.2) befindet sich in einem solchen Spannungsfeld, da es schwierig ist, Beratung von Therapie bzw. Behandlung abzugrenzen. „Wer die Erlaubnis zur Krankenbehandlung hat, therapiert. Wer das nicht darf, muss seine Hilfe als Beratung ... definieren“ (Belardi, 2008, S. 328). Doch in der Praxis gestaltet sich die Frage, ob man nun berät oder schon behandelt, als kaum beantwortbar (ebd., S. 328). Abschliessend kann festgehalten werden, dass eine Methode in einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit anwendbar ist, wenn ihr Zweck darin besteht, die dem Handlungsfeld entsprechenden soziale Probleme zu bearbeiten. Die Methode sollte also dem Handlungsfeld angepasst sein. Eine Suchtberaterin wird demnach ebenso wenig Methoden der Behindertenbetreuung anwenden, wie ein Schulsozialarbeiter auf Methoden der Aktivierung betagter Menschen zurückgreifen wird. Unabhängig vom Handlungs-

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feld, in dem man agiert, sollte immer das Bearbeiten sozialer Probleme bzw. die Befriedigung von Bedürfnissen im Zentrum der sozialarbeiterischen Tätigkeit stehen.

4.6

Anwendbarkeit in einem geeigneten Setting

Soziale Arbeit findet in stationärem, teilstationärem oder ambulantem Rahmen sowie in Einzel- oder Gruppensettings statt. Eine Methode sollte nicht nur dem Handlungsfeld, sondern auch dem Setting angepasst sein. Beispielsweise eignet sich die Methode der Mediation, die mindestens zwei Streitparteien voraussetzt, somit keinesfalls für ein Einzelsetting. Um den Fokus erneut auf die Querschnittsaufgabe der Sozialen Arbeit, die Beratung, zu legen, werden nachfolgend zu berücksichtigende Dimensionen bezüglich des Beratungssettings aufgeführt (vgl. Grossmass, 2009, S. 3–6). Diese Dimensionen scheinen jedoch für andere Methoden gleichermassen wichtig zu sein: •

Trägerorganisation und institutioneller Rahmen



Welche Klientinnen und Klienten werden angesprochen?



andere sozialarbeiterische Aufgaben, die im Umfeld der Beratung sonst noch oder vorwiegend ausgeübt werden



räumlich-geografische Umgebung des (Beratungs-)Angebots



professionelle Identität und Rolle der beratenden Person

Alle diese Dimensionen haben Einfluss auf das Setting und somit auf die darin angewandte Methode. Ist die Trägerorganisation beispielsweise eine professionelle Beratungsstelle für Angehörige von Suchtbetroffenen, wird einem den Bedürfnissen der Angehörigen entsprechenden Beratungssetting sehr wahrscheinlich mehr Relevanz beigemessen, als wenn es sich bei der Trägerorganisation um ein Krankenhaus handelt (ebd., S. 4). Gemäss Belardi (2008, S. 329) spielt der Grad der Institutionalisierung bei der sozialen Beratung ebenfalls eine wichtige Rolle. Es gibt drei Institutionalisierungsgrade: 1. Alltagsberatung 2. funktionale Beratung 3. institutionale Beratung Alltagsberatung findet losgelöst von einem professionellen Rahmen bzw. Handlungsfeld durch das individuelle, private Netzwerk der Problembetroffenen statt. Die funktionale Beratung erfolgt in den unterschiedlichsten Situationen der sozialarbeiterischen

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Praxis und wird nicht spezifisch als Beratung gekennzeichnet oder kommuniziert. Hier stellt Beratung nicht das zentrale Angebot der Institution dar, sondern wird neben anderen Methoden angewandt oder mit diesen verknüpft. Bei der institutionalen Beratung hingegen ist die Institution gezielt auf die beraterische Tätigkeit ausgerichtet und in der Regel auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert (z. B. Suchtberatungsstelle, Beratungsstelle für alleinerziehende Mütter). Je nach Art der Beratung werden bestimmte Menschen angesprochen, andere hingegen nicht. Das allgemein benannte Angebot der „Sozialberatung“ in einem polyvalenten Sozialdienst wird daher eine sehr heterogene Klientel ansprechen und somit im Setting auf unterschiedlichste Bedingungen Rücksicht nehmen und vorbereitet sein müssen (Sprache, Geschlecht, Herkunft, Bildungsstand, Problematik etc.), während eine „Beratungsstelle für ungarische Sexarbeiterinnen“ exakt auf die Anliegen der betroffenen Frauen spezialisiert ist. Die Betitelung eines (Beratungs-)Angebots weckt bei den angesprochenen Klientinnen und Klienten immer auch Erwartungen an das Setting. So wird ein Klient, der sich für ein „Gruppenangebot für ausgesteuerte Arbeitslose“ interessiert, erwarten, dass er im Setting auf mehrere Menschen mit dem gleichen Problem treffen wird. Auch werden die Berufsbezeichnung, das Geschlecht, die Herkunft oder das Alter der beratenden Person Erwartungen bei den Hilfesuchenden auslösen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss, den die Räumlichkeit und der Ort, an welchem die Methode angewandt wird, sowie die Ausstattung und Einsehbarkeit auf die Atmosphäre eines Settings haben (Grossmass, 2009, S. 6). Ein weiterer, von Grossmass jedoch nur am Rande erwähnter wichtiger Faktor in Bezug auf das Setting stellt die Freiwilligkeit bzw. der Zwangskontext dar. Sie schildert, dass Beratung auf Freiwilligkeit ihrer Inanspruchnahme beruhe (ebd., S. 2). Sozialarbeiterische Beratung erfolgt hingegen nicht selten im Zwangskontext (Conen, 2012, S. 13). Wird z. B. eine substanzabhängige Person vom Arbeitgeber gezwungen, regelmässig eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen, da sie sonst den Arbeitsplatz verliert, ist das Beratungssetting von einer völlig anderen Grundstimmung geprägt, als wenn diese Person freiwillig eine Suchtberatung aufsucht. Generell kann man sich fragen, ob es die freiwillige Inanspruchnahme einer professionellen Beratung überhaupt gibt. Denn geht man von den Ausführungen in Kapitel 2.1 aus, dass Menschen losgelöst von sozialen Systemen und einer sozialen Umwelt gar nicht existieren können, da sie alle ihre Bedürfnisse nur im sozialen Kontext befriedigen können, besteht grundsätzlich in allem, was der Mensch tut bzw. tun muss, ein Zwang. Es zeigt sich schlussendlich, wie herausfordernd es sein kann, all diesen das Setting betreffenden Dimensionen gerecht zu werden. Sozialarbeitende sollen abwägen kön-

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nen, ob eine Methode unter den bestehenden Rahmenbedingungen, die das Setting beeinflussen, anwendbar ist.

4.7

Zusammenfassung

Damit eine Methode in der Sozialen Arbeit anwendbar ist, muss sie: •

soziale Probleme bearbeiten,



sozialarbeiterische Kompetenzen und Wissensformen erfordern,



einen professionellen Problemlösungsprozess aufweisen,



den berufsethischen Richtlinien entsprechen,



in einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit anwendbar sein



und in einem geeigneten Setting angewendet werden.

Soziale Probleme sind Ausdruck nicht befriedigter Bedürfnisse bzw. einer ungenügenden Einbindung von Individuen in soziale Systeme. Methodisches Arbeiten in der Sozialen Arbeit erfordert Fertigkeiten der ganzheitlichen Problemanalyse, der Lebenswelt- und Ressourcenorientierung sowie des Empowerments und Netzwerkmanagements. Weiter sind interkulturelle Kompetenz und Genderkompetenz gefragt. Ebenfalls wichtig ist eine ethisch-normative, bedürfnisorientierte und realistische Grundhaltung. Zentral sind gute kommunikative Fertigkeiten bzw. Beratungskompetenz, da die Beratung die Querschnittsaufgabe der Sozialen Arbeit darstellt. Eine durch die Soziale Arbeit verwendbare Methode basiert auf wissenschaftlichem Wissen. Dieses ist Voraussetzung für eine professionelle Herangehensweise zur Problemlösung. Ein professioneller Problemlösungsprozess beinhaltet folgende fünf Phasen: 1. Situationsanalyse 2. Bewertung, Prognose und Problemermittlung 3. Zielsetzung und Planung 4. Entscheidung und Implementierung des Plans 5. Evaluation Eine Methode muss den professionsethischen Standards genügen, um für die Soziale Arbeit geeignet zu sein. D. h. sie hat dem Tripelmandat der Sozialen Arbeit zu entsprechen. Fundamental wichtig ist, dass eine Methode die Menschenrechte berücksichtigt und ihr Inhalt nicht gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, Selbstbestimmung, Partizipation, Integration und Ermächtigung verstösst.

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Handlungsfelder der Sozialen Arbeit sind dort, wo soziale Probleme in Erscheinung treten und nach ihrer Lösung verlangt wird. Sie sind oftmals von Interdisziplinarität geprägt. In der sozialarbeiterischen Praxis sind mehrere Dimensionen zu beachten, die Auswirkungen auf das Setting haben können, z. B. ob das Angebot in einem Zwangskontext stattfindet und ob das Setting die Wahrung der Diskretion erlaubt.

5

CRAFT als Methode in der Sozialen Arbeit

Dieser Teil der Arbeit dient der Verknüpfung der Erkenntnisse aus den vorhergehenden Kapiteln. Durch den Vergleich der Methode CRAFT mit den Bedingungen, die an eine Methode der Sozialen Arbeit gestellt werden, kann am Ende aufgezeigt werden, ob und inwiefern CRAFT als Methode für die Soziale Arbeit (nicht) geeignet ist. Der Vergleich der Wissensformen ist in Kapitel 5.3 integriert, da den Wissensformen dort besondere Relevanz zukommt.

5.1

Vergleich des Gegenstands

CRAFT wurde speziell für Angehörige von substanzabhängigen Menschen entwickelt, die sich mit der aktuellen, als problematisch empfundenen Situation nicht abfinden und aktiv etwas daran verändern wollen. Angehörige sind Problembetroffene, da sie unter der Substanzabhängigkeit und den damit einhergehenden Konsequenzen leiden. Doch handelt es sich dabei überhaupt um soziale Probleme? Soziale Probleme werden unterteilt in Interaktions- und Positionsprobleme (siehe Kapitel 4.1). Folgende Aufstellung soll anhand von Beispielen verdeutlichen, von welchen Problemklassen und -arten Angehörige von Substanzabhängigen betroffen sein können und welche Bedürfnisse möglicherweise nicht befriedigt werden. Die aufgeführten Probleme wurden anhand der bisherigen Ergebnisse dieser Arbeit ausgewählt:

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Problem

Klasse

Art

Bewertung

Kommunikationsprobleme zwischen der angehörigen und abhängigen Person (z. B. verbale Aggression, Streit)

Soziales Problem

Interaktionsproblem

Die Bedürfnisse nach Liebe, Zuwendung, Fairness und Kooperation sind nicht befriedigt

Gewalterfahrungen der angehörigen Person durch die abhängige Person

Soziales Problem

Interaktions-/ Positionsproblem

Die Bedürfnisse nach physischer Integrität und Fairness sind nicht befriedigt

Einschränkung oder Verlust des Kontakts zu Personen ausserhalb der suchtbelasteten Beziehung

Soziales Problem

Interaktionsproblem

Die Bedürfnisse nach Bindung und Beziehungen sind nicht befriedigt

Kontrollverlust der angehörigen Person über den Substanzkonsum der abhängigen Person

Soziales Problem

Positionsproblem

Das Bedürfnis nach Kontrolle ist nicht befriedigt

Die angehörige Person leidet unter Depressionen, Angststörungen und geringem Selbstwertgefühl

(Bio-)Psychisches Problem

Das Bedürfnis nach körperlicher Integrität ist nicht erfüllt

Die angehörige Person leidet infolge Gewalt und Stress unter Kopf- und Magenschmerzen

Biologisches Problem

Das Bedürfnis nach körperlicher Integrität ist nicht erfüllt

Soziale Blossstellung, Stigmatisierung, Schuldzuschreibungen gegenüber der angehörigen Person

Soziales Problem

Interaktionsproblem

Die Bedürfnisse nach Freundschaft, Fairness und sozialer Anerkennung sind nicht befriedigt

Der angehörigen Person wird vermittelt, dass sie gegenüber der Substanzabhängigkeit machtlos ist oder dass ihre Interventionen nichts bringen

Soziales Problem

Interaktionsproblem

Das Bedürfnis, Hilfe leisten zu können, ist nicht befriedigt

Der angehörigen Person fehlen Informationen oder der Zugang zu Informationen, was sie unternehmen kann

Soziales Problem

Interaktions-/ Positionsproblem

Die Bedürfnisse nach Informationen, Fertigkeiten und Kooperation sind nicht befriedigt

Tab. 5: Probleme und nicht befriedigte Bedürfnisse von Angehörigen. Quelle: eigene Darstellung

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Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass Angehörige von Substanzabhängigen nicht nur, aber hauptsächlich von sozialen Problemen betroffen sind. Zu erwähnen ist dabei, dass soziale Probleme zu biologischen oder psychischen Problemen führen können und umgekehrt (siehe Kapitel 2.1, zirkuläre Prozesse). Angehörige, die von Gewalt betroffen sind (= soziales Problem bzw. Interaktionsproblem), werden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit körperliche und/oder psychische Beeinträchtigungen, wie z. B. Schnittwunden oder Ängste, davontragen (= biologisches und psychisches Problem). Das Hauptziel von CRAFT ist es, die Angehörigen zu befähigen, die Abhängigen zur Behandlungsaufnahme zu motivieren (siehe Kapitel 3.1). Aber nicht nur die Behandlungsaufnahme ist erstrebenswert, denn bereits durch die in CRAFT vermittelten Fertigkeiten werden soziale Probleme gelindert, gelöst oder präventiv bearbeitet. So zeigten klinische Studien, dass CRAFT-Teilnehmende von einer beachtlichen Abnahme psychosozialer Belastungen profitierten, auch wenn die Abhängigen keine Behandlung in Angriff nahmen (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 16). Die Bestandteile von CRAFT beinhalten Strategien zur Verbesserung und Lösung von Kommunikationsproblemen (siehe Kapitel 3.2.4 und 3.2.5) sowie problematischem, suchtförderndem Verhalten (siehe Kapitel 2.5.1 und 3.2.6), zur Prävention von Gewalt (siehe Kapitel 3.2.3) und Verbesserung des Wohlbefindens der Angehörigen (siehe Kapitel 3.2.7). Somit kann gesagt werden, dass CRAFT soziale Probleme (präventiv) bearbeitet, lindert und löst und daher unter diesem Aspekt als Methode für die Soziale Arbeit geeignet ist. Im Fokus von CRAFT bleiben dabei aber immer die Ziele der Konsumreduktion und Therapierung der Abhängigen, nicht die sozialen Probleme der Angehörigen. Die in der Tabelle aufgeführten sozialen Probleme der Stigmatisierung, Schuldzuschreibungen und sozialen Blossstellung durch die Gesellschaft werden mittels CRAFT nicht direkt bearbeitet. Im Manual wird aber auf diese Probleme hingewiesen (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 12). Zudem wird CRAFT als Chance betrachtet, um Angehörige anzusprechen, die sich durch das Co-Abhängigkeitskonzept diskriminiert fühlen (siehe Kapitel 3.7). Das Problem der fehlenden Informationen bzw. der fehlende Zugang zu Informationen in Bezug auf Hilfsmöglichkeiten für Angehörige wird im CRAFT-Manual indirekt bearbeitet, indem Vorschläge gemacht werden, wo man betroffene Angehörige möglicherweise erreichen kann (siehe Kapitel 3.4).

54

5.2

Vergleich der benötigten Kompetenzen

In diesem Kapitel werden die in CRAFT benötigten Kompetenzen mit denjenigen verglichen, die von Professionellen der Sozialen Arbeit gefordert werden. An dieser Stelle macht es Sinn, die Querschnittsaufgabe der Sozialen Arbeit – die Beratung bzw. die Beratungs- und Kommunikationskompetenz – zuerst ins Auge zu fassen, da es sich bei CRAFT um einen psychosozialen Beratungsansatz handelt. Sowohl von CRAFT-Beratenden als auch von Sozialarbeitenden wird erwartet, dass ihre Grundhaltung und folglich ihr Handeln von Empathie, Authentizität, Akzeptanz, Unvoreingenommenheit und einer verständnisvollen, anteilnehmenden Art geprägt sind (siehe Kapitel 3.5 und 4.2). Gerade die Tatsache, dass viele CRAFT-Beratende einen Master-Abschluss in „Counseling“, also in professioneller psychosozialer Beratung, absolviert haben, verdeutlicht den Stellenwert der Beratungskompetenz in dieser Methode. Meyers und Smith weisen jedoch darauf hin, dass die niedrigste Erfolgsrate (Indikator Behandlungsaufnahme der Abhängigen) bei allen CRAFT-Beratenden immer noch höher war als die höchste Erfolgsrate anderer Beratungsmethoden für Angehörige (2004/2009, S. 22). Daraus lässt sich schliessen, dass der Erfolg von CRAFT nicht primär von der Qualifikation der Beratenden abhängt. Der Hinweis von Meyers und Smith (ebd., S. 16), dass die Übersetzung des CRAFT-Manuals in die deutsche Sprache das Programm unter anderem deutschsprachigen Sozialarbeitenden zugänglich macht, räumt der Methode zudem eine explizite Verwendbarkeit durch Sozialarbeitende ein. Bei der Betrachtung der Ausbildungen von CRAFT-Beratenden in der Schweiz wurde zudem festgestellt, dass die Mehrheit einen Abschluss in Sozialer Arbeit besitzt (siehe Kapitel 3.6.4). Kommunikative Kompetenz hat in der Sozialen Arbeit einen sehr hohen Stellenwert (siehe Kapitel 4.2), jedoch gibt es auch sozialarbeiterische Handlungsfelder, in denen andere Kompetenzen wichtiger oder zumindest ebenbürtig sind. Beispielsweise in allen Bereichen der Betreuung, wo es primär darum geht, den Klientinnen und Klienten „in ihrer alltäglichen Lebensbewältigung [beizustehen], indem ... für sie finanzielle und andere Angelegenheiten, die ihre materielle Existenz betreffen, erledigt [werden]“ (Lüssi, 2008, S. 460). Für CRAFT-Beratende ist die kommunikative Kompetenz jedoch die zentrale, unabdingbare Fertigkeit, da ihr professionelles Werkzeug bzw. die Methode, die zur Problemlösung führt, ausschliesslich aus der beraterischen Tätigkeit besteht. Die Kompetenz zum Empowerment (Ermächtigung, Befähigung) ist für CRAFTBeratende bedeutungsvoll, da das Hauptziel von CRAFT darin besteht, die Angehöri-

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gen zu befähigen, behandlungsunwillige Substanzabhängige zu einer Behandlung zu motivieren. Ebenso benötigen sie die Kompetenz zur Lebensweltorientierung, die Ehrhardt (2010) wie folgt beschreibt: Der Sozialarbeiter/die Sozialarbeiterin verfügt über die Kompetenz, •

mit dem Klienten/Klientengruppen neue Perspektiven für einen gelingenden Alltag zu entwickeln und dabei seine Eigenkompetenz zu erhöhen;



den Klienten am Unterstützungsprozess aktiv zu beteiligen;



lebensweltnahe Hilfsangebote zu etablieren. (S. 31)

CRAFT zielt darauf ab, den Angehörigen zu einem gelingenderen Alltag zu verhelfen, unabhängig davon, ob die Abhängigen eine Behandlung beginnen oder nicht. Dies wird vor allem im Programmbestandteil des Angehörigen-Selbstverstärkungstrainings ersichtlich (siehe Kapitel 3.2.7). Ebenso fällt auf, dass die Methode grossen Wert darauf legt, dass die Angehörigen selber herausfinden, wie sie ihre Probleme am besten lösen können. Dies verdeutlicht insbesondere die Problemlösetechnik (Anhang 5), bei der die Angehörigen motiviert werden, individuelle und für sie am besten geeignete Lösungen zu finden. Den CRAFT-Beratenden kommt hierbei eine unterstützende, motivierende und inspirierende Rolle zu, damit die Angehörigen auch im ersten Moment abwegig erscheinende Ideen in Betracht ziehen. Vielleicht ist schlussendlich gerade diejenige Idee am geeignetsten, die anfangs als absurd beurteilt wurde und sonst womöglich nicht weiterverfolgt worden wäre. Das dritte Ziel des CRAFT-Programms besteht darin, die Lebensqualität der Angehörigen in den durch die problematische Situation in Mitleidenschaft gezogenen Lebensbereichen zu verbessern. Mithilfe des Arbeitsblatts „Zufriedenheitsskala“ (Anhang 6) wird die Zufriedenheit (und nicht in erster Linie die Unzufriedenheit) der Angehörigen in spezifischen Lebensbereichen ermittelt. Diese positiv bewerteten Bereiche stellen eine Ressource dar und können auch als Anhaltspunkt dienen, inwiefern angenehm empfundene Aktivitäten (Verstärker) noch weiter ausgebaut werden könnten. Ebenso werden durch Empowerment, das zuvor beschrieben wurde, Ressourcen freigesetzt (Ehrhardt, 2010, S. 40). CRAFT erfordert somit auch die Kompetenz zur Ressourcenorientierung. Sowohl beim Empowerment als auch bei der Ressourcenorientierung spielt die Kompetenz zum Netzwerkmanagement eine grosse Rolle. Sie beinhaltet Netzwerkberatung sowie Netzwerkförderung (ebd., S. 41). Beides soll Ressourcen der Klientinnen und Klienten erschliessen. Genau dies beabsichtigt auch CRAFT mit dem Angehörigen-Selbstverstärkungstraining, das die Angehörigen bei der Erweiterung des sozialen Netzes unterstützen soll (siehe Kapitel 3.2.7).

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Oft haben Sozialarbeitende mit fremdsprachigen Klientinnen und Klienten zu tun, weshalb sich die Frage stellt, inwiefern sich CRAFT für die Arbeit mit Anderssprachigen bzw. Menschen ausländischer Herkunft eignet. Hierbei käme der interkulturellen Kompetenz, die von Sozialarbeitenden gefordert wird, eine grosse Bedeutung zu (siehe Kapitel 4.2).

5.3

Vergleich des Problemlösungsprozesses

In Kapitel 4.3 wurde beschrieben, dass sich professionelles Handeln bzw. eine professionelle Methode auf wissenschaftliches Wissen stützt. Was unter wissenschaftlichem Wissen zu verstehen ist und welches wissenschaftliche Wissen für die Soziale Arbeit von Bedeutung ist, wurde in Kapitel 4.2 veranschaulicht. Die Methode CRAFT verwendet wissenschaftliches Wissen aus der Psychologie, insbesondere der Lern- und Kommunikationstheorie. Da in CRAFT-Beratungen viele Formulare und Arbeitsblätter zum Einsatz kommen, ist Wissen über das Dokumentieren des professionellen Handelns (Aktenführung, Berichte verfassen etc.) notwendig. Um zu untersuchen, ob CRAFT nach einem professionellen Problemlösungsschema vorgeht, wird in der nachfolgenden Tabelle geprüft, ob der Ablauf von CRAFT mit den fünf Phasen der allgemeinen normativen Handlungstheorie (siehe Tab. 4) übereinstimmt. Die Ergebnisse beziehen sich auf das komplette CRAFT-Manual (Meyers & Smith, 2004/2009), im Detail auf folgende Seiten des Manuals oder Bestandteile dieser Arbeit: Phase 1 (S. 31–35), Phase 2 (Anhänge 1,2,4 und 6), Phase 3 (S. 298–312; Kapitel 3.2), Phase 4 (S. 298–334; Kapitel 3.2) und Phase 5 (S. 328–330):

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Phase der allgemeinen normativen Handlungstheorie

1. Situationsanalyse (Beschreibung der aktuellen Situation, der Vorgeschichte und Hypothesen dazu)

2. Bewertung, Prognose und Problemermittlung (Prognose ohne Intervention, Problem- und Ressourcenanalyse)

Phase in CRAFT



Problembeschreibung durch Angehörige



Hypothesen/Erklärungen, warum CRAFTBeratung in Anspruch genommen wird



Identifizierung erster Verstärker der Angehörigen



funktionale Analyse des Konsumverhaltens



funktionale Analyse des gewalttätigen Verhaltens



funktionale Analyse des gesunden Verhaltens



Zufriedenheitsskala

Die 3 Ziele von CRAFT werden erreicht mit:

3. Zielsetzung und Planung (Ziele, Mittel und Strategien à Handlungsplan)

4. Entscheidung und Implementierung des Plans (2. Prognose bei Realisierung des Handlungsplans, Entscheidung und Umsetzung)

5. Evaluation (Ergebniskontrolle)



Kommunikationstraining



positivem Verstärkungstraining



Strategien zur Nutzung negativer Konsequenzen des Substanzkonsums



Angehörigen-Selbstverstärkungstraining



Formular „Ziele der Beratung“



Problemlöse-Schritten



Vorbereitungen treffen für Behandlungsbeginn der abhängigen Person



Vorbereitung der Angehörigen auf möglichen Therapieabbruch



Überprüfung, ob bei den Angehörigen alle erforderlichen Fertigkeiten vorhanden sind, um den Abhängigen eine Behandlung vorzuschlagen



Termin für Behandlungsvorschlag festlegen



Anwenden der trainierten Fertigkeiten



der abhängigen Person eine Behandlung vorschlagen

Erfolglose Interventionen werden analysiert und mögliche Optionen für künftige Interventionen besprochen. Allenfalls wird der Handlungsplan angepasst.

Tab. 6: Phasen des Problemlösungsprozesses in CRAFT. Quelle: eigene Darstellung

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Die in der Tabelle erläuterten Ergebnisse veranschaulichen, dass zu jeder der fünf Phasen entsprechende Vorgehensweisen bei CRAFT ermittelt werden konnten und die Methode somit das Kriterium eines professionellen Problemlösungsprozesses erfüllt. Die einzigen Phasenbestandteile, zu denen kein eindeutiger Hinweis im CRAFTManual gefunden werden konnte, sind die Prognose, falls keine Intervention stattfindet (Phase 2), und die zweite Prognose bei Realisierung des Handlungsplans (Phase 4). Das heisst jedoch nicht, dass diese Prognosen nicht vollzogen werden. Äussern Angehörige ihre Motivation zur Inanspruchnahme der CRAFT-Beratung beispielsweise mit den Worten „So kann es nicht weitergehen, sonst drehe ich durch“, handelt es sich hierbei um eine Prognose des künftigen Zustands, falls nicht interveniert wird. CRAFTBeratende sollten es aber nicht dem Zufall überlassen, dass die Angehörigen mögliche Zukunftsszenarien preisgeben, denn diese sind wichtig für die Priorisierung der zu bearbeitenden Probleme. CRAFT-Beratende sollten daher auch selber Prognosen anhand von Erklärungstheorien formulieren (Geiser, 2009, S. 305). Eine weitere Übereinstimmung im Problemlösungsprozess liegt darin, dass auch bei CRAFT die Möglichkeit besteht bzw. darauf hingewiesen wird, dass es sinnvoll sein kann, den Prozess in Schlaufen zu durchlaufen. Das Verfahren lässt sich an die Bedürfnisse und den Stand der Fertigkeiten der Angehörigen anpassen (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 62–64). Bei CRAFT handelt es sich zudem um eine evidenzbasierte Methode, deren Wirkung wissenschaftlich bestätigt ist. Der Ansatz entspricht daher der Forderung nach einer evidenzbasierten oder zumindest evidenzinformierten Sozialen Arbeit. Mit der Erfüllung der Kriterien eines professionellen Problemlösungsprozesses kann gleichzeitig festgehalten werden, dass CRAFT-Beratende die Kompetenz zur ganzheitlichen Problemanalyse benötigen.

5.4

Überprüfung der berufsethischen Vorgaben

Dieses Kapitel untersucht, ob CRAFT den berufsethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit standhält (siehe Kapitel 4.4). Als Erstes wird überprüft, ob CRAFT den Anforderungen des dreifachen Mandats der Sozialen Arbeit gerecht wird. Danach wird analysiert, inwiefern CRAFT mit den berufsethischen Standards des Berufskodex korrespondiert. In erster Linie ist CRAFT eine Hilfestellung für Angehörige substanzabhängiger Menschen und erfüllt somit das erste Mandat der Sozialen Arbeit, Hilfe für Adressatinnen und Adressaten zu erbringen. Die Methode bearbeitet, lindert und löst soziale Proble-

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me (siehe Kapitel 5.1), wofür ein gesellschaftlicher Auftrag besteht. CRAFT entspricht also auch den Anforderungen des zweiten Mandats. Dass die Methode wissenschaftlich begründet ist, wurde in Kapitel 5.3 bereits dargelegt. Doch wie sieht es mit der Berücksichtigung und Einhaltung ethischer Standards aus? CRAFT weist einige ethisch fragwürdige Elemente auf. Zentrale Bedingung für die Soziale Arbeit ist, dass eine Methode die Menschenwürde und die daraus abgeleiteten Grundsätze (Gleichbehandlung, Selbstbestimmung, Partizipation, Integration und Ermächtigung) achten muss. Bei CRAFT handelt es sich um ein evidenzbasiertes und somit in seiner Wirksamkeit bestätigtes Verfahren, jedoch wurden bei den CRAFTStudien im Voraus Ausschlusskriterien für die Teilnahme am Programm festgelegt. Dadurch wurden im Prinzip die Rechte auf Gleichbehandlung, Partizipation und Integration verletzt (vgl. AvenirSocial, 2010, S. 6). Diese Ausschlusskriterien basieren zudem nur auf Vermutungen darüber, welche Personen für das Programm womöglich nicht geeignet sein könnten, was man als Vorurteil interpretieren kann. Die Autorin und der Autor des CRAFT-Manuals weisen ebenfalls auf die Gefahr hin, dass man durch diese Ausschlusskriterien potenziell geeigneten Klientinnen und Klienten den Zugang zu einem ihnen sehr hilfreichen Programm verwehrt (siehe Kapitel 3.3). Warum Zweifel am korrekten forschungsethischen Vorgehen der CRAFT-Studien-Leitenden bestehen, soll der folgende Auszug aus den Leitlinien für Forschung mit Menschen (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 2009) verdeutlichen: Gruppen und Individuen sollen auch nicht ausgeschlossen werden, ohne dass dafür ein guter wissenschaftlicher Grund vorliegt, oder ohne dass sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt wären, das ihren Ausschluss rechtfertigt. Die Leitidee ist, dass die Ergebnisse der Forschung für diejenigen Gruppen verallgemeinerbar sind, die eine untersuchte Intervention benützen werden. Das beinhaltet, dass auch Angehörige von vulnerablen Gruppen in Studien eingeschlossen werden sollen, damit sie nicht durch den systematischen Ausschluss ... benachteiligt werden (Kinder, Schwangere, Minoritäten usw.). (S. 28–29) So stellt sich beispielsweise die Frage, worin die wissenschaftliche Rechtfertigung und das erhöhte Risiko bestehen, Menschen, die unter 18-jährig sind, von Gewalt betroffen sind bzw. waren oder Verhaltensauffälligkeiten aufweisen, von CRAFT-Studien auszuschliessen. Gerade Kinder und Jugendliche sind in der Schweiz nach Schätzungen von Sucht Schweiz (2012) zu mehreren Zehntausend von der Alkoholabhängigkeit eines Elternteils betroffen. Laut Frei wird die Anzahl Kinder in der Schweiz, deren Eltern abhängig von illegalen Substanzen sind, auf ca. 4000 geschätzt (2012, S. 2). Dabei stellen Kinder die grösste Risikogruppe zur Entwicklung eigener Abhängigkeitsproblematiken dar (Klein, 2005b, S. 52).

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Abschliessend wird die Übereinstimmung von CRAFT mit den ethischen Handlungsprinzipien betrachtet: •

Eine reflektierte, kontrollierte und empathische Zuwendung bei gleichzeitiger Abgrenzung wird von CRAFT-Beratenden erwartet. Dies wird z. B. in Kapitel 3.5 deutlich, wo aufgezeigt wird, dass die Beratenden die Übernahme der Verantwortung für den Erfolg des Programms von sich weisen sollen.



Die Bestärkung der Klientinnen und Klienten, ihre Rechte wahrzunehmen und ihre Pflichten einzuhalten, erfolgt in CRAFT-Beratungen ebenfalls. So werden sie z. B. daran erinnert, dass sie ein Recht auf eigenes Wohlbefinden haben (siehe Kapitel 3.2.7). Pflichten wie Hausaufgaben oder das aktive Teilnehmen an Rollenspielen und Fertigkeitsübungen sind weitere Bestandteile der Methode.



Dass CRAFT nur fachlich adäquate und ethisch begründete Anforderungen an die Klientinnen und Klienten stellt, ist zu bezweifeln. Das Programm erscheint in Anbetracht des Leids, das Angehörige bis zum Aufsuchen einer Beratungsstelle bereits erfahren haben, sehr anspruchsvoll (siehe Kapitel 3.6). Die an sie gestellten Erwartungen könnten sie überfordern und abschrecken, das Programm zu Ende zu führen.



CRAFT widmet ein Kapitel den Aspekten der Vertraulichkeit (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 34), da es sein kann, dass die Abhängigen nichts von der Teilnahme am CRAFT-Programm wissen sollten, z. B. wenn es sie verärgern könnte. Hier wird den Angehörigen garantiert, dass sie sie weder per Post noch telefonisch zu Hause kontaktieren werden, wenn sie dies nicht wünschen. Die hohe Priorisierung von Datenschutz und Schweigepflicht ist somit gegeben. Ein wichtiger Bestandteil von CRAFT sind die Vorsichtsmassnahmen zur Prävention häuslicher Gewalt (siehe Kapitel 3.2.3), wobei der Umgang mit der Anzeigepflicht nirgends erwähnt wird. Es liegt also an den jeweiligen CRAFT-Beratenden, wie sie mit der Anzeigepflicht umgehen. Inwiefern Diskretion in Bezug auf das Beratungssetting gewährleistet werden kann, hängt vom institutionellen Rahmen ab, in dem CRAFT angeboten wird.



Bei CRAFT kommen viele Formulare und Arbeitsblätter zum Einsatz. Inwiefern diese Dokumente abgelegt oder geordnet werden, wird nicht beschrieben. Sie dokumentieren aber in jedem Fall die Tätigkeit der Beratenden. Ferner werden die Arbeitsblätter oft gemeinsam mit den Angehörigen ausgefüllt, wodurch Transparenz vorhanden ist und eine klare, nicht diskriminierende Ausdrucksweise erforderlich ist.

61

Ein letzter zu vergleichender Punkt ist das Menschenbild, von dem die Soziale Arbeit und CRAFT ausgehen. Die Soziale Arbeit räumt allen Menschen das Recht auf Befriedigung ihrer existenziellen Bedürfnisse ein. Eines dieser Bedürfnisse stellt das Bedürfnis zu helfen dar (siehe Kapitel 2.1). Dass Angehörige den ihnen nahestehenden Abhängigen helfen wollen, wird bei CRAFT nicht als „co-abhängiges“ bzw. krankes Verhalten beurteilt, sondern als normale Reaktion besorgter Personen (Meyers & Smith, 2004/2009,

S.

12).

Die

Stigmatisierung

der

Angehörigen

durch

das

Co-

Abhängigkeitskonzept wird in dieser Arbeit als Diskriminierung aufgefasst. Nach den berufsethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit dürfen Diskriminierungen nicht geduldet werden und sind zurückzuweisen. CRAFT hält sich somit an dieses Prinzip.

5.5

Vergleich der Handlungsfelder

Aus Kapitel 4.5 geht hervor, dass eine Methode in einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit anwendbar ist, wenn sie die dem Handlungsfeld zugeordneten sozialen Probleme bearbeitet. Zudem wird die Soziale Arbeit nur dann aktiv, wenn nach einer Lösung eines sozialen Problems verlangt wird, sei es durch die Problembetroffenen selber, die Gesellschaft oder durch das dritte Mandat der Sozialen Arbeit (siehe Kapitel 4.4). Die Inanspruchnahme einer CRAFT-Beratung basiert auf Freiwilligkeit. Die Angehörigen, die eine CRAFT-Beratung aufsuchen, erteilen also den Auftrag zur Problemlösung. Das Handlungsfeld von CRAFT konzentriert sich auf die Interventionsebenen der Zielgruppe (Angehörige) und des Problembereichs (Probleme im Zusammenhang mit Substanzabhängigkeit). Die in diesem Handlungsfeld bearbeiteten Probleme sind grösstenteils soziale Probleme (siehe Kapitel 5.1). Somit kann der Tätigkeitsbereich von CRAFT als Handlungsfeld der Sozialen Arbeit bezeichnet werden. Die Ziele der Methode sind, dass die Abhängigen eine Behandlung beginnen und ihren Substanzkonsum reduzieren und die Angehörigen ihre eigene Lebenszufriedenheit steigern können. Der Zweck von CRAFT besteht somit darin, die sich im Handlungsfeld (Angehörige mit Problemen im Zusammenhang mit Substanzabhängigen) stellenden Probleme zu bearbeiten. Eine Gemeinsamkeit von Sozialer Arbeit und CRAFT besteht darin, dass die Handlungsfelder, in denen sie zum Einsatz kommen, oftmals von Interdisziplinarität geprägt sind. Dass sich CRAFT in einem Handlungsfeld bewegt, in dem sich die Kompetenzen verschiedener Disziplinen (Psychologie, Soziale Arbeit) überschneiden, wird daran deutlich, dass im CRAFT-Manual stets von „Behandlung“, „Therapie“ und „CRAFTTherapeuten“ die Rede ist (vgl. Meyers & Smith, 2004/2009, S. 41–43) und dass viele

62

Beratende aus den CRAFT-Studien einen psychologischen Hintergrund haben (siehe Kapitel 3.5). Nach dem Psychologiestudium ist man jedoch noch nicht befähigt, psychotherapeutisch tätig zu sein (Bundesgesetz über die Psychologieberufe vom 18. März 2011, SR 935.81). Des Weiteren steht in der Psychotherapie die Behandlung der Psyche des Individuums im Zentrum, nicht die Bearbeitung sozialer Aspekte (vgl. Kreft & Mielenz, 2008, S. 690). Angehörige von Substanzabhängigen sind jedoch hauptsächlich von sozialen Problemen betroffen (die wiederum zu psychischen Problemen führen können und umgekehrt). Davon abgesehen scheint es sich jedoch hauptsächlich um ein international und kulturell unterschiedliches Begriffsverständnis zu handeln. CRAFT wurde in den USA entwickelt, wo „soziale Diagnose“ und „soziale Therapie“ schon immer Elemente des Handlungsrepertoires der Sozialen Arbeit darstellten (Deloie, 2011, S. 67). So beschreibt Deloie die (Psycho-)Therapie denn auch als historisch gewachsene Methode der Sozialen Arbeit (ebd., S. 67). Doch stellt sich dieses Begrifflichkeitsproblem bei CRAFT eigentlich gar nicht, da das Konzept seine Klientinnen und Klienten ja nicht als Kranke betrachtet und diese somit auch keine psychotherapeutische Behandlung benötigen.

5.6

Vergleich der Settings

Gemäss Kapitel 4.6 findet Soziale Arbeit in stationärem, teilstationärem oder ambulantem Rahmen sowie in Einzel- oder Gruppensettings statt. CRAFT wurde für Einzelsettings konzipiert. Trotzdem wird das Programm auch in Gruppensettings angeboten (siehe Kapitel 3.6). Von den befragten Fachstellen wurden hauptsächlich diejenigen von Angehörigen aufgesucht, die Einzelberatungen ermöglichten. Es ist vorgesehen, dass CRAFT in ambulantem Rahmen durchgeführt wird, da es sich bei den Klientinnen und Klienten um gesunde Angehörige handelt, die das in der Beratung Gelernte zu Hause anwenden sollen. CRAFT ist ein Beratungsmodell, das sowohl von selbständigen Fachpersonen mit eigenen Beratungsräumlichkeiten als auch innerhalb von Institutionen angeboten wird. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Suchtberatungsstellen, also auf diese Thematik spezialisierte Institutionen. Selbständige CRAFT-Beratende haben im Vergleich zu grösseren Institutionen viel mehr Gestaltungsfreiraum, was das Setting anbelangt, da sie nicht an institutionelle Vorgaben gebunden sind und ihre Räumlichkeiten daher selber auswählen und gestalten können. Da CRAFT eine professionelle Beratungstätigkeit ist, die eine sehr eingegrenzte Zielgruppe hat (siehe Kapitel 3.3), erscheint es weder sinnvoll noch adäquat, CRAFT im

63

Rahmen einer funktionalen Beratung durchzuführen. Der eher beiläufige Charakter dieser Beratungsform würde den Bedürfnissen der Angehörigen (z. B. nach Wahrung von Anonymität, Vertraulichkeit und Diskretion) vermutlich kaum gerecht werden (vgl. Grossmass, 2009, S. 2). Um die Hemmschwellen der Angehörigen abzubauen oder zumindest nicht zu erhöhen, besteht deshalb ein wichtiger Punkt darin, die Durchführung von CRAFT in eigenen bzw. separaten Räumlichkeiten, also in einem institutionalisierten Rahmen, anzubieten, auch wenn dies eine ressourcentechnische Herausforderung darstellen kann. Angesprochen werden in erster Linie Angehörige, deren Ziel es ist, nahestehende, substanzabhängige und behandlungsunwillige Menschen zu einer Behandlung zu motivieren. CRAFT-Beratungen werden somit freiwillig in Anspruch genommen. Man kann daher davon ausgehen, dass diese Angehörigen eine hohe Eigenmotivation mitbringen. Dies kann die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen und Beratenden sehr erleichtern. Dabei spielt die gegenseitige Sympathie der Angehörigen und Beratenden ebenfalls eine wichtige Rolle. Inwiefern Berufsbezeichnung, Geschlecht, Alter und Herkunft der Beratenden für die Angehörigen wichtig ist, kann nicht beurteilt werden. Es ist aber sicherlich von Vorteil, wenn CRAFT-Beratende interkulturelle Kompetenzen besitzen und diese auch hervorheben (siehe Kapitel 4.2). Damit können möglicherweise mehr Angehörige erreicht werden. Je nachdem, wie das CRAFT-Programm betitelt und beworben wird, können bei den Angehörigen unterschiedliche Erwartungen und Gefühle ausgelöst werden. Gut die Hälfte der angeschriebenen Beratungsstellen reduziert ihr Angebot auf Angehörige von Alkoholabhängigen, obwohl die Wirkung von CRAFT substanzunabhängig bestätigt ist. Diese Handhabung führt automatisch zum Ausschluss von Betroffenen mit anderen Substanzabhängigkeiten, wodurch sich diese Angehörigen womöglich weiterhin alleingelassen fühlen. Ebenso könnte der Preis des Angebots Auswirkungen auf die Inanspruchnahme bzw. auf das Setting haben. Möglicherweise beeinflusst der Preis auch die Erwartungshaltung der Angehörigen. Bei drei der befragten Stellen ist CRAFT nicht kostenlos.

5.7

Zusammenfassung

Angehörige von Substanzabhängigen sind hauptsächlich von sozialen Problemen betroffen. Dazu gehören z. B. Kommunikationsprobleme in der suchtbelasteten Beziehung, Gewalterfahrungen oder Einschränkungen der sozialen Kontakte. CRAFT bearbeitet die meisten der auftretenden sozialen Probleme.

64

Sowohl Sozialarbeitende als auch CRAFT-Beratende benötigen für ihr Handeln Empathie, Authentizität, Akzeptanz, Unvoreingenommenheit und eine verständnisvolle, anteilnehmende Art. Auch sind Kompetenzen zum Empowerment, Netzwerkmanagement, zur Lebenswelt- und Ressourcenorientierung erforderlich. Für CRAFT-Beratende sind hohe kommunikative Kompetenzen die zentrale, unabdingbare Fertigkeit. Sozialarbeitende, die nicht in der Beratung tätig sind, müssen hingegen keine Kommunikations- bzw. Beratungsprofis sein. CRAFT ist ein evidenzbasiertes Verfahren mit professionellem Problemlösungsprozess, der dem handlungstheoretischen Vorgehen der Sozialen Arbeit weitgehend entspricht. Da die Qualität einer Methode auch von den Eigenschaften der sie anwendenden Person abhängt, ist es schwierig zu beurteilen, ob CRAFT die berufsethischen Richtlinien der Sozialen Arbeit erfüllt. Mit den ethischen Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit stimmt CRAFT grösstenteils überein. Zu kritisieren sind die hohen Anforderungen, die an die Angehörigen gestellt werden, sowie das forschungsethische Vorgehen der CRAFT-Studien-Leitenden. Sofern CRAFT-Beratende keine Angehörigen ohne stichhaltige Begründung vom Programm ausschliessen, entspricht die Methode den Anforderungen des Tripelmandats der Sozialen Arbeit. Eine Methode ist in einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit anwendbar, wenn sie die dem Handlungsfeld zugeordneten sozialen Probleme bearbeitet. Der Tätigkeitsbereich von CRAFT entspricht somit einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit. Obwohl die Methode für Einzelsettings konzipiert wurde, wird sie auch in Gruppensettings angeboten. Selbständige CRAFT-Beratende haben im Vergleich zu grösseren Institutionen mehr Gestaltungsfreiraum, was das Setting anbelangt. Besonders wichtig erscheint es, CRAFT-Beratungen in separaten Räumlichkeiten durchzuführen, um die Hemmschwellen der Angehörigen abzubauen und die nötige Diskretion zu wahren.

65

6

Fazit

In diesem Teil der Arbeit werden in einem ersten Schritt die in Kapitel 1.1.2 gestellten Fragen anhand der erarbeiteten Ergebnisse beantwortet und diskutiert. Gleichzeitig erfolgt die Überprüfung der in Kapitel 1.1.3 aufgestellten Hypothesen. Da die Beantwortung der Hauptfragestellung von der Untersuchung der Teilfragen abhängt, werden zuerst die Teilfragen behandelt. Im Anschluss werden offen gebliebene und sich neu stellende Fragen in einem Ausblick formuliert. Abschliessend werden Schlussfolgerungen für die Praxis der Sozialen Arbeit gezogen.

6.1

Beantwortung der Fragen und Diskussion

Teilfrage 1: „Inwiefern können Angehörige den Suchtverlauf der Abhängigen beeinflussen?“ Die Ergebnisse aus Kapitel 2 machen deutlich, dass Menschen als Teil oder Umwelt eines sozialen Systems aufeinander einwirken. „Man kann einander nicht nicht beeinflussen“, lautet die Erkenntnis, wenn man Watzlawicks erstes Kommunikationsaxiom auf die menschlichen Einflüsse anwendet (siehe Kapitel 2.3). Das Verhalten wird dabei stets von den Bedürfnissen gesteuert, die nur in sozialen Beziehungen befriedigt werden können. Da Menschen einander unbewusst, aber auch bewusst beeinflussen können, sind sie nicht allen Gegebenheiten hilflos ausgeliefert und können soziale Systeme aktiv verändern. Diese Erkenntnis ist für Angehörige von Substanzabhängigen von grosser Bedeutung, da sie durch den Substanzkonsum einer ihnen nahestehenden Person oftmals an ihre Belastungsgrenzen stossen und nicht wissen, dass bzw. wie die sich stellenden Probleme gelindert oder gelöst werden können. Jedoch suggerieren in der Suchthilfe weit verbreitete Konzepte (Co-Abhängigkeit, Al-Anon, Nar-Anon) den Angehörigen, sie könnten ohnehin nichts bewirken, sie seien selber krank und sollen sich um sich selber kümmern und von den Abhängigen trennen. Diese Haltung stützt sich weder auf wissenschaftliche Befunde, noch nimmt sie Rücksicht auf die Bedürfnisse der Angehörigen. Zudem erschwert sie die Etablierung gegenteiliger Ansätze. Infolge nicht befriedigter Bedürfnisse findet Kommunikation in suchtbelasteten Beziehungen häufig auf der Macht- statt auf der Austauschebene statt. So wird beispielsweise gedroht, die Beziehung zu beenden, wenn der Substanzkonsum nicht eingestellt oder zumindest reduziert wird. Doch bewirken Drohungen bzw. ein konfrontativer Kommunikationsstil sowie kontrollierendes Verhalten bei den Abhängigen oftmals ge-

66

nau das Gegenteil des angestrebten Effekts, nämlich Reaktanz. Genauso kontraproduktiv ist es, die Abhängigen vor negativen Konsequenzen ihres Substanzkonsums bewahren und ständig die Verantwortung für sie übernehmen zu wollen. Hingegen können Angehörige mit dem Verstärken erwünschten Verhaltens und mit Botschaften, die von den Abhängigen positiv aufgefasst werden, diese mit grösserer Wahrscheinlichkeit dazu bewegen, eine Konsumreduktion oder Abstinenz anzustreben. Bis Abhängige ihren Substanzkonsum reduzieren oder beenden, durchlaufen sie fünf Phasen von der Absichtslosigkeit bis zur Aufrechterhaltung des neuen Verhaltens. Wenn Angehörige erkennen, in welcher Phase sich die Abhängigen befinden, können sie darauf abgestimmt intervenieren. Wie das praktische Beispiel der Mutter eines ehemals Abhängigen gezeigt hat, scheint es Angehörigen aber auch ohne theoretische Hintergrundinformationen oder Verhaltenstherapie zu gelingen, sich richtig zu verhalten. Die Hypothese, „Angehörige haben durch ihr Verhalten Einfluss darauf, ob Abhängige den Substanzkonsum beibehalten oder eine Abstinenz anstreben“, gilt somit als bestätigt.

Teilfrage 2: „Welche Anforderungen muss eine Methode erfüllen, um für die Soziale Arbeit anwendbar zu sein?“ Eine Methode der Sozialen Arbeit ist eine systematisch strukturierte und prozessorientierte Handlungsform für den zielgerichteten beruflichen Umgang mit sozialen Problemen. Sie beruht auf professioneller Ethik, Sozial- und Humanwissenschaften und reflektierter Berufserfahrung. Zudem enthält sie Aussagen über Ziele, Gegenstände und Mittel des reflektierten Handels. Anhand dieser Definition konnten die Kriterien bestimmt werden, die eine Methode erfüllen muss, um für die Soziale Arbeit nutzbar zu sein: Erstens sollte das Ziel der Methode darin bestehen, soziale Probleme, d. h. Interaktionsprobleme in Austauschbeziehungen und/oder Positionsprobleme in Machtbeziehungen, zu bearbeiten. Soziale Probleme sind Ausdruck nicht erfüllter Bedürfnisse durch ungenügende Einbindung von Individuen in soziale Systeme. Des Weiteren erfordert eine solche Methode sozialarbeiterische Kompetenzen und Wissensformen. Dazu gehören Kompetenzen zur ganzheitlichen Problemanalyse, Lebenswelt- und Ressourcenorientierung, zum Empowerment und Netzwerkmanage-

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ment, interkulturelle Kompetenz, Genderkompetenz sowie die Kompetenz zur Selbstreflexion und eine ethisch-normative Grundhaltung. Da die Methode der Beratung die Querschnittsaufgabe der Sozialen Arbeit darstellt, sind hohe Kommunikations- und Beratungskompetenzen essenziell. Das sozialarbeiterische Wissen dient der Beschreibung, Erklärung, Prognose, Intervention und Evaluation des methodischen Handelns. Damit professionelles Handeln gewährleistet werden kann, muss eine Methode nach einem auf wissenschaftlichem Wissen basierenden Problemlöseschema vorgehen. Ein solches Vorgehen ist systematisch geplant, strukturiert, nachvollzieh- und überprüfbar. Es beinhaltet unter anderem eine Situations-, Problem- und Ressourcenanalyse, Zielsetzungen, einen Handlungsplan und eine Evaluation. Die Methode muss zudem den berufsethischen Richtlinien standhalten, die im Berufskodex des Berufsverbandes der Sozialen Arbeit formuliert sind. Zentral dabei ist die Berücksichtigung des Tripelmandats der Sozialen Arbeit. Eine geeignete Methode ist in einem sozialarbeiterischen Handlungsfeld und einem adäquaten Setting anwendbar. Handlungsfelder der Sozialen Arbeit sind dort zu verorten, wo soziale Probleme in Erscheinung treten und nach ihrer Lösung verlangt wird. Oftmals überschneiden sich die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit mit denjenigen anderer Disziplinen, wie z. B. der Psychologie. Nicht jede Methode eignet sich für jedes Setting. Bei der Anwendung einer Methode sind diverse Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die das Setting beeinflussen, z. B. ob es sich um Pflichtklientschaft handelt und ob die Räumlichkeiten Diskretion garantieren.

Teilfrage 3: „Wie verbreitet ist CRAFT in der Schweiz, wie viele Angehörige nutzen das Angebot und welche Professionen wenden CRAFT in der Schweiz an?“ Diese Fragen hätten mit einer Forschungsarbeit viel aussagekräftiger und detaillierter beantwortet werden können. Trotzdem kann man sich aufgrund der Rückmeldungen der schriftlich befragten Institutionen einen Eindruck der Situation verschaffen. Es hat sich gezeigt, dass es in der Schweiz generell wenig Angebote für Angehörige gibt. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass eine spezifische Methode der Angehörigenarbeit, wie CRAFT sie darstellt, noch viel seltener vorzufinden ist. Dies mag damit zusammenzuhängen, dass CRAFT ein relativ neuer und eher unbekannter Ansatz ist. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass das CRAFT-Manual nur in englischer und deutscher Sprache verfügbar ist, was die Methode den übrigen Sprachregionen der

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Schweiz weniger zugänglich macht. Doch gibt es auch Schweizer Institutionen, die den Ansatz kennen, sich aber bewusst gegen dessen Anwendung entschieden haben oder nur einzelne Fragmente davon verwenden. Mittels Internetrecherche konnten sechs Institutionen gefunden werden, die CRAFT anbieten oder zumindest auf ihrer Homepage erwähnen. Von dreien gingen Rückmeldungen auf die Fragen ein. Es handelt sich hauptsächlich um öffentliche Fachstellen im Suchtbereich bzw. Suchtberatungsstellen, in einem Fall um einen privaten Coaching-Anbieter. Wie viele Angehörige CRAFT nutzen, ist sehr unterschiedlich. Die Spannbreite reicht je nach Institution von gar keiner Nachfrage bis zu 38 laufenden CRAFT-Beratungen. Mögliche Gründe dieser Diskrepanz könnten in der Einschränkung des Angebots auf Angehörige von Alkoholabhängigen oder dem Beratungssetting (Gruppen- statt Einzelberatung) liegen. Aufgrund der Befragungen und Informationen auf den Webseiten konnte festgestellt werden, dass CRAFT-Beratungen von Sozialarbeitenden und/oder psychologischen Fachpersonen durchgeführt werden. Anteilsmässig sind die beiden Professionen fast gleich häufig vertreten. Von den betrachteten Institutionen arbeiten vier Sozialarbeitende und drei Psychologinnen bzw. Psychologen mit dem Ansatz. Eine Person hat sowohl einen sozialarbeiterischen als auch einen Abschluss in Psychologie. Die Hypothese, dass vorwiegend psychologische Fachkräfte mit CRAFT arbeiten, ist mit Beantwortung dieser Teilfrage widerlegt.

Teilfrage 4: „Inwiefern besteht Handlungsbedarf in der Unterstützung betroffener Angehöriger und mit welchen Interventionen können diese Angehörigen besser erreicht werden?“ Trotz Anerkennung der Problematik der Angehörigen von Substanzabhängigen auf Bundesebene, gibt es schweizweit lediglich eine einzige professionelle Beratungsstelle, die sich ausschliesslich um die Anliegen der Angehörigen kümmert. Dies mag unter anderem daran liegen, dass der Bund keine Leistungsaufträge für professionelle Angehörigenarbeit vergibt und somit die nötigen Ressourcen für den Aufbau solcher Stellen fehlen. Es scheint, als werde der Unterstützungsbedarf Angehöriger auf politischer Ebene noch massiv unterschätzt. Daher wäre es zu begrüssen, wenn dieser Bedarf mittels eines Nationalen Forschungsprogramms ermittelt und somit offiziell bestätigt würde. Für die Finanzierung eines solchen Programms, aber auch unabhängig davon ist es notwendig, dass sich Professionelle der Sozialen Arbeit politisch für die Beachtung der Angehörigen einsetzen. So soll auf internationale Forschungsergebnisse zu

69

den Einflussmöglichkeiten Angehöriger und auf die grosse Zahl Betroffener aufmerksam gemacht werden. Gleichzeitig ist die Finanzierung schweizweiter, professioneller Angehörigenarbeit zu fordern. Mittels vermehrter Öffentlichkeitsarbeit in Form von nationalen Kampagnen (z. B. Plakate, TV, Internet) können bestehende und künftige Angebote bekannt gemacht werden. Dabei soll darauf geachtet werden, dass keine sich auf das Co-Abhängigkeitskonzept berufenden Angebote beworben werden. Dies ist einerseits notwendig, da die laut dem Konzept verbreitete Meinung, alle Angehörigen seien selber krank und behandlungsbedürftig, wissenschaftlich nicht bestätigt ist. Zudem schreckt die stigmatisierende Unterstellung des Konzepts, Angehörige trügen Mitschuld an der Abhängigkeit, vermutlich viele Angehörige ab, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Institutionen mit Angehörigenangeboten sind daher aufgerufen, sich vom Co-Abhängigkeitskonzept zu distanzieren. Eine simple und sehr niederschwellige Möglichkeit, um Angehörigen Zugang zu Informationen zu verschaffen, bestünde darin, Broschüren, Flyer oder Websites mit einer Auflistung der ausstiegsfördernden Verhaltensweisen bereitzustellen. Die meisten Anlaufstellen sind entweder nicht auf die Beratung Angehöriger spezialisiert, weil sich deren Kernangebot um die Abhängigen dreht, oder es handelt sich um Selbsthilfegruppen. Die positiven Auswirkungen dieser Angebote sollen hiermit keinesfalls bezweifelt werden. Es stellt sich nur die Frage, ob es in Anbetracht der komplexen Lage der Angehörigen ausreicht, wenn Angehörigenarbeit nur ein Teilangebot einer Institution darstellt, oder ob nicht viel mehr Angehörige erreicht werden könnten, wenn sich Fachstellen ganz auf sie konzentrierten. Bekannte Selbsthilfegruppen wie Al-Anon oder Nar-Anon, die Angehörigen keine Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Abhängigen einräumen, ignorieren offensichtlich zahlreiche Studienergebnisse. Statt die Angehörigen zu befähigen und zu bestärken, wird ihr Bedürfnis zu helfen missachtet und ihre Motivation, etwas bewirken zu können, im Keim erstickt. Es scheint zwar sinnvoll, dass Selbsthilfegruppen das Wohlbefinden der Angehörigen ins Zentrum stellen. Doch wie soll sich Wohlbefinden einstellen, wenn man am System, in dem man sich hauptsächlich bewegt, nichts ändern kann? Bei der Angebotsrecherche fiel auf, dass viele Suchtberatungsstellen ihr Angebot auf Angehörige von Alkoholabhängigen reduzieren. Erfahrungsgemäss suchen die meisten Angehörigen Hilfe bezüglich Cannabis-, Kokain- oder Heroinkonsum (siehe Kapitel 1.1 und 3.6.2). Folglich sollten sich professionelle Fachstellen nicht auf Angehörige Alkoholabhängiger beschränken, sondern ihr Angebot auf die Nachfrage abstimmen.

70

Hauptfragestellung: „Inwiefern ist CRAFT als Methode für die Soziale Arbeit geeignet?“ CRAFT ist ein psychosozialer Beratungsansatz und eignet sich daher besonders gut für das sozialarbeiterische Handlungsfeld der Beratung. In Bezug auf das Setting ist zu berücksichtigen, dass die Methode in Räumlichkeiten angeboten wird, die Diskretion garantieren. Denn CRAFT wurde in erster Linie für Einzelsettings konzipiert und zudem stellt Sucht nach wie vor ein Tabuthema dar. Der Vergleich der benötigten Kompetenzen in der Sozialen Arbeit und für die Anwendung von CRAFT brachte eine hohe Übereinstimmung hervor. Der Beratungskompetenz kommt bei CRAFT ein höherer Stellenwert als in der Sozialen Arbeit im Allgemeinen zu. Dies ist u. a. an der zusätzlich geforderten CRAFT-Ausbildung erkennbar. Da das Programm recht anspruchsvoll erscheint, ist ungewiss, ob ein Bachelorabschluss in Sozialer Arbeit ausreichende beraterische Kompetenzen gewährleistet, um CRAFT erfolgreich anzuwenden. Das Thema Beratung wird während der Ausbildung erfahrungsgemäss nur oberflächlich behandelt. Wer sich mehr für Beratung interessiert oder die Beratungskompetenz trainieren will, kann entsprechende Seminare besuchen. Eine Weiterbildung in psychosozialer bzw. systemischer Beratung scheint für Sozialarbeitende, die CRAFT anwenden wollen, auf jeden Fall empfehlenswert, solange keine weiteren CRAFT-Ausbildungen in der Schweiz stattfinden. Die Hypothese, CRAFT-Beratende benötigten Kenntnisse über Abhängigkeiten und psychoaktive Substanzen, hat sich nicht bestätigt, da sie in erster Linie mit Angehörigen arbeiten, nicht mit Abhängigen. Auch unter dem Aspekt des Gegenstands ist die Methode in der Soziale Arbeit anwendbar, da CRAFT hauptsächlich soziale Probleme bearbeitet. Soziale Probleme sind Ausdruck einer ungenügenden Einbindung von Individuen in soziale Systeme, wobei sich gezeigt hat, dass besonders Angehörige von Substanzabhängigen Gefahr laufen, den Kontakt zu ihrem sozialen Umfeld einzuschränken oder zu verlieren. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit der Pflege bestehender bzw. dem Aufbau sozialer Netzwerke.

CRAFT

behandelt

diese

Thematik

im

Modul

des

„Angehörigen-

Selbstverstärkungstrainings“ (siehe Kapitel 3.2.7). Kritisch ist anzumerken, dass durch Erreichen des Hauptziels von CRAFT (Behandlungsbeginn der abhängigen Person) nicht automatisch alle sozialen Probleme der Angehörigen gelöst sind. So können Verurteilungen und Anschuldigungen durch das Umfeld durchaus weiterhin erfolgen, auch wenn die abhängige Person in Behandlung ist. Eine mögliche Äusserung dazu wäre: „Wäre er nicht mit dir zusammengekommen, wäre er gar nicht erst drogensüchtig ge-

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worden“. Im CRAFT-Manual wird nicht speziell darauf eingegangen, wie mit Angehörigen verfahren wird, die die Abhängigen zur Behandlung motivieren konnten. Faktisch ist das Programm dann beendet und den CRAFT-Beratenden ist selber überlassen, ob sie den Angehörigen für „Notfallplan“-Sitzungen erneut zur Verfügung stehen. Fokus von CRAFT bleibt dabei immer das Ziel der Therapierung der Abhängigen, nicht die sozialen Probleme der Angehörigen. Die Methode geht nach einem professionellen Problemlöseschema vor und entspricht der Forderung einer evidenzbasierten Sozialen Arbeit. Jedoch ist zu beanstanden, dass die Studien, die die Wirksamkeit von CRAFT bestätigen, von den Entwicklern der Methode durchgeführt wurden. Daher sind Objektivität und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse mit Vorsicht zu geniessen und unabhängige Studien erwünscht. CRAFT entspricht in jedem Fall dem Doppelmandat der Sozialen Arbeit. Ob auch das dritte Mandat erfüllt wird, kann nicht abschliessend beantwortet werden, da die Qualität einer Methode immer auch von den Eigenschaften der sie anwendenden Person abhängt. Somit kann eine Methode, auch wenn sie explizit ethische Richtlinien formuliert, trotzdem von Menschen angewandt werden, die diese nicht einhalten. Unabhängig von dieser Feststellung ist es ethisch bedenklich, vulnerable Gruppen wie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, Angehörige mit Gewalterfahrungen, Verhaltensauffälligkeiten, eigenem problematischem Substanzkonsum oder niedrigem Bildungsgrad ohne triftige Gründe als ungeeignet für das Programm zu bezeichnen und sie somit ungerechtfertigterweise auszuschliessen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass diejenige befragte Institution, die CRAFT nur für Angehörige von Alkoholabhängigen anbietet, trotz intensiver Bekanntmachung mangels Nachfrage bis jetzt keine einzige Beratung durchführen konnte. Die Stellen, die CRAFT suchtmittelunabhängig anbieten, führen regelmässig Beratungen durch. Ein weiterer Kritikpunkt an CRAFT besteht darin, dass die ersten beiden Ziele des Programms nicht die Bedürfnisse der Angehörigen ins Zentrum stellen, sondern auf die Inanspruchnahme einer Behandlung durch die Abhängigen bzw. die Reduktion ihres Substanzkonsums fokussiert sind. Das Ziel, das Wohlbefinden der Angehörigen zu steigern, folgt erst an dritter und letzter Stelle. Die Reihenfolge und Gewichtung der Ziele könnten den Eindruck hinterlassen, dass Angehörige nur ein praktisches Mittel zum Zweck darstellen. Es fragt sich, ob es ethisch legitim ist, Angehörige, die meist eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben, für programmeigene Ziele zu „benutzen“, auch wenn argumentiert wird, dass die Methode die Lebenszufriedenheit der Angehörigen beträchtlich steigert. CRAFT wird als „neuer Ansatz für die Angehörigenar-

72

beit“ bezeichnet. Doch sollte Angehörigenarbeit nicht primär die Bedürfnisse und Probleme der Angehörigen bearbeiten, um sich so nennen zu dürfen?

6.2

Ausblick

Im Verlauf dieser Arbeit stellten sich neue Fragen, denen in künftigen Untersuchungen nachgegangen werden könnte: •

Beim Vergleich des Vorgehens von CRAFT mit dem ergänzten TTM (siehe Kapitel 2.4) konnte festgestellt werden, dass gemäss TTM „Anregungen zu Hilfesuchverhalten“ erst in der Phase der „Handlung“ vorgeschlagen werden. Nach CRAFT befindet sich ein geeigneter Zeitpunkt, den Abhängigen eine Behandlung vorzuschlagen, jedoch bereits in den früheren Phasen der „Absichtsbildung“ und „Vorbereitung“. Auch das „Verstärken erwünschten Verhaltens“ und das „Unterstützen alternativer Verhaltensweisen“ soll gemäss TTM erst in den letzten Phasen erfolgen. Bei CRAFT werden die Angehörigen bereits zu Beginn des Programms ermutigt, erwünschtes Verhalten zu verstärken. Welches Vorgehen wäre zielführender bzw. effektiver?



Wie viele Angehörige werden durch das Co-Abhängigkeitskonzept tatsächlich abgeschreckt?



Wie und in welchem Ausmass möchten Angehörige (professionell) unterstützt werden?

7

Schlussfolgerungen für die Praxis der Sozialen Arbeit

Insgesamt betrachtet stellt CRAFT eine geeignete Methode für die Soziale Arbeit mit Angehörigen substanzabhängiger Menschen dar. Der Ansatz kann mit sozialarbeiterischen Kompetenzen erfolgreich angewendet werden, wie Praxisbeispiele aus der Schweiz bereits beweisen. Es erscheint jedoch wichtig, dass das Angebot möglichst niederschwellig ist. Mit anderen Worten: Auf das Formulieren von Ausschlusskriterien (Art der konsumierten Substanzen und Eigenschaften der Angehörigen) sollte verzichten werden, damit bestehende Hemmschwellen der Angehörigen nicht zusätzlich erhöht werden. Dadurch erreicht man Angehörige, die sonst womöglich keine Hilfe in Anspruch genommen hätten, und signalisiert ihnen, dass man ihr Anliegen ernst nimmt. Vermutet man im Erstgespräch, dass die Angehörigen doch nicht von CRAFT profitieren könnten (z. B. weil

73

das Programm zu anspruchsvoll für sie sein könnte), kann man das Programm den Bedürfnissen entsprechend anpassen bzw. vereinfachen. Ebenso besteht die Möglichkeit der Triage an andere Fachstellen, falls sich herausstellen sollte, dass die angehörige Person tatsächlich psychotherapeutische Hilfe benötigt. Grundlegend ist auch, dass den Angehörigen klar und deutlich kommuniziert wird, was CRAFT ist bzw. nicht ist, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Es scheint sinnvoll, Angehörigen generell davon abzuraten, den Abhängigen von der eigenen Inanspruchnahme einer Suchtberatung zu erzählen. Denn dies kann bei den Abhängigen Schuldgefühle, Aggressionen und folglich Reaktanz auslösen. CRAFT muss nicht als ganzes Paket übernommen werden. Einzelne Bausteine wie das Kommunikationstraining und das Verstärkungstraining können völlig ausreichen, um bei den Abhängigen den Wunsch nach Konsumreduktion bzw. Abstinenz zu bewirken. Zentral ist, dass sich Sozialarbeitende stets an den Bedürfnissen der Angehörigen orientieren und das Programm nicht um jeden Preis von Anfang bis Ende durchführen wollen. Ausserdem sollen sich Sozialarbeitende bewusst sein, dass das Programm hohe Anforderungen an Angehörige stellt und sie vereinzelt überfordern könnte. Eine Methode der Angehörigenarbeit darf zudem nicht den Anschein erwecken, dass sie Angehörige nur als Mittel zum Zweck benutzt bzw. ausnutzt. Diesen Eindruck hinterlässt CRAFT jedoch, indem der Behandlungsbeginn und die Konsumreduktion der Abhängigen als erste Ziele genannt werden. Die Reihenfolge und Gewichtung der Ziele von CRAFT sollte dahingehend abgeändert werden, dass das Wohlergehen der Angehörigen an erster Stelle steht. Dann ist gegen die Nutzung der Einflüsse der Angehörigen auch nichts einzuwenden.

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ANHANG 1 Funktionale Analyse des Konsumverhaltens (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 110)

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ANHANG 2 Funktionale Analyse des gewalttätigen Verhaltens (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 148)

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ANHANG 3 Regeln für eine positive Kommunikation (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 183)

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ANHANG 4 Funktionale Analyse eines gesunden Verhaltens des Abhängigen (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 216)

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ANHANG 5 Problemlöse-Schritte (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 263)

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ANHANG 6 Zufriedenheitsskala (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 294)

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ANHANG 7 Ziele der Beratung (Meyers & Smith, 2004/2009, S. 295)

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