Der Mund der Wahrheit

Silvia Guhr „Der Mund der Wahrheit“ ...und weitere fünf Einakter im Stil der commedia dell‘arte für (historische) Märkte und Feste oder einen ganzen ...
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Silvia Guhr

„Der Mund der Wahrheit“ ...und weitere fünf Einakter im Stil der commedia dell‘arte für (historische) Märkte und Feste oder einen ganzen Theaterabend

Viel Spaß beim Spielen dieser entzückenden, drastischlustigen Schwänke!! Allen gemeinsam ist, dass sie ohne Bühnenbilder auf dem leeren (Freilicht)Podium spielbar sind, und nur wenige Requisiten und Versatzstücke benötigen. Ebenso kommen sie mit kleiner Besetzung aus: von vier bis höchstens acht Personen. Sie enthalten nahezu immer für alle Mitspielenden darstellerisch dankbare Aufgaben, wodurch die oft leidige Aufteilung in Haupt- und Nebenrollen wegfällt. Durch den in der Commedia üblichen typisierenden Spielstil ist es sehr gut möglich, Männerrollen mit Frauen zu besetzen – was den Reiz sogar noch erhöhen kann. Die Spieldauer variiert von etwa 15 bis höchstens 45 Minuten. Sie Stücke sind einzeln spielbar, können aber auch zu abendfüllenden Programmen kombiniert werden – einige Beispiele zu empfehlenswerten Verknüpfungen, sowie Hinweise zur inszenatorischen Umsetzung enthält die Broschüre, die mit dem Rollensatz versandt wird.

BT 511 / Regiebuch IMPULS-THEATER-VERLAG Postfach 1147, 82141 Planegg Tel.: 089/ 859 75 77; Fax: 089/ 859 30 44

FEEDBACK? JA! zur Autorin: [email protected] zum Verlag: [email protected]; www.buschfunk.de

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Erster Teil Drei Commedias im italienischen Stil mit dem Personal der Commedia dell’arte, insbesondere dem reichen alten Knacker Pantalone. Der Mund der Wahrheit (nach einer alten Sage) Francesca gerät in den durchaus berechtigten Verdacht, ihren Ehemann, den alten, geizigen, miesepetrigen Pantalone, zu betrügen. Eine Fahrt nach Rom zum „Mund der Wahrheit“, einem blutigen Schlangen-Orakel, soll ihre Schuld beweisen: Denn wer, während er die Hand ins Maul der Schlange legt, die Unwahrheit sagt, dem wird die Hand abgebissen. Mithilfe einer trickreichen Wendung schafft es Francesca, nicht nur ihre Hand unversehrt aus dem Schlangenmaul, sondern sich selbst geschickt aus der Affäre zu ziehen, und nebenbei den Nutzen rhetorischer Kenntnisse augenfällig zu machen. Besonders effektvoll in diesem Stück: eine gespielte und mehrere gleichzeitige echte Ohnmachten, eine Mund-zu-MundBeatmung des Geliebten und eine Hand-an-Wange-Beatmung (sprich: Ohrfeige) des Pantalone... Argusaugentäuscher Arlecchino (nach einem überlieferten Stoff) Francesca, die hübsche Frau des greisen Pantalone, verzehrt sich nach einem Kuss ihres Musiklehrers Luciano, der ihr jedoch nur unter den Argusaugen ihres Gatten Musikunterricht geben darf. Zum Glück gibt es aber das gewitzte Dienerpaar Colombina und Arlecchino, das die Argusaugen an der Nase herumführt und dadurch den hungrigen Lippen zu einer wohlschmeckenden Kussmahlzeit verhilft. Mit einem effektvollen Vorspiel, einer Paraderolle für eine(n) Arlecchino-Darsteller(in) sowie vielen Gelegenheiten für Slapsticks und Situationskomik. Pascha Pantalon Die schöne junge Laura soll nach dem Willen ihres in Geldnöten steckenden Vaters mit dem alten reichen Pantalone verheiratet werden. Die Hochzeitsglocken läuten bereits, die Gäste werden gleich kommen und somit der Hochzeitszug sich in Bewegung setzen. Doch die Braut hat sich in einen Unbekannten verliebt, was ihre Verzweiflung über die ungewollte Heirat ins Unermessliche steigert. Zum Glück hat Laura ihre gewitzte Dienerin Colombina, die mithilfe ihres Verbündeten Arlecchino dem Pantalone ein Komplott schmiedet, das seine Wirkung nicht verfehlt. Allzu gut um Pantalones erotischen Appetit wissend, finden die beiden zielsicher das Einzige, was den Bräutigam im letzten Moment noch von einer Heirat zurückhalten kann: die Verheißung eines Harems!

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Zweiter Teil Drei „Teutsche“ Commedias von armen Schluckern, Scharlatanen und Teufelspakten... Der zündende Funke (nach einer alten Sage) Der völlig verarmte Edelmann Euro von Pleytensteyn sieht keinen anderen Ausweg aus seiner Misere, als seine Seele dem Leibhaftigen zu verschreiben. Als dieser nach 20 Jahren seinen Lohn einfordern will, ist guter Rat teuer. Um diesen ist Euro von Pleytensteyn zwar selber verlegen, nicht aber seine gerissene Ehefrau Luitgard. Sie riskiert – Euro zuliebe - sogar einen Flirt mit dem Teufel, und bringt diesen nicht nur um den Verstand, sondern auch um den ersehnten Seelenbraten. Szenische Highlights in diesem Stück: die komödiantische Vertrags-Szene, ein – anachronistisches – Seelenfotografieren, ein fulminanter Teufelstanz mit Seelen in Einweckgläsern, die Flirtszene - und der Rumpelstilzchen-Abgang des Teufels. Eyn tüchtig Aufschneiderey (nach einem überlieferten Stoff) Hinz und Kunz sind zwei mittellose und immer hungrige Gesellen. Als ihre Mägen einmal wieder erbärmlich knurren, besinnen sie sich auf die Kunst des ehrsamen Schneiderhandwerks. Allerdings verwenden sie für ihre allerfeinsten Gewänder nur Stoffe, die „von des Nostradamus‘ eig’ner Hand“ mit einer Zauberei umgeben wurden, so dass nur ehrbare Bürger und allzeit treue Eheleute sie zu sehen imstande sind. Da ist es nicht schwer, ein eitles und auf den eigenen Ruhm und die Wahrung des eigenen Gesichtes bedachtes Bürgerpaar zu finden, das erst (zu) spät bemerkt, was hier wirklich gespielt wird... Besonders wirkungsvoll in diesem Stück: die „lazzi“ der beiden Gesellen, ihre dreiste Bettelszene und die Anprobe der fiktiven Kleider, sowie der Moment, in dem das Bürgerpaar erkennt, dass es wahrscheinlich für die meisten Augen in (historischer!) Unterwäsche dasteht. Eyn wundersam Kuriererey Ist der Medicus Isenpart ein Scharlatan oder nicht? Bei seiner Freiluft-Sprechstunde auf dem Marktplatz gibt es so manche Wunderheilung, aber auch so manche zwielichtige Praktik. Seine Untersuchungsmethoden sind bisweilen sehr rabiat und seine Gewohnheit, das ärztliche Honorar im Voraus zu verlangen, trägt nicht gerade dazu bei, das Vertrauen in ihn zu steigern. Wer wenig zu zahlen bereit ist, den überlässt er schon mal seinen beiden Lehrlingen. Auch hat er ein ausgeprägt untherapeutisches Interesse an den hübschen Frauen seiner gebrechlichen Patienten. Kein Wunder, dass er ständig auf der Hut vor den Bütteln sein muss! Besonders wirkungsvolle Szenen: eine Operation, bei der die wunderlichsten Gegenstände zutage gefördert werden, die Verjüngung eines alten Männleins in einen vitalen Jüngling mittels Aqua Viagra Mirabilis, und die Befreiung eines sehr geplagten Menschen von einer ganzen Armee von Flöhen...

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Der Mund der Wahrheit oder: Die lehrreiche und vergnügliche Commedia von der klugen Francesca, wie sie sich mit List aus einer hochnotpeinlichen Lage geholfen und vermittels eines trickreichen Kunstgriffes ihre Ehre flickte.

PERSONEN: Pantalone, reich, geizig, miesepetrig und alt Francesca, seine junge schöne Frau Luciano, ihr jugendlicher Liebhaber Ein Moritatensänger Ein Zauberer mit seiner Zauberschlange Die Commedia enthält fünf Rollen, kann aber mit vier Darstellern auskommen, da die Rollen des Moritatensängers und des Zauberers von einer Person gespielt werden können. ORT / DEKORATION / REQUISITEN: Unverzichtbares Requisit ist eine Schlange, die als eine Art Handpuppe spielbar sein muss. Sie braucht ein genügend großes Maul und sollte eine durchaus imposante Länge haben! SPIELALTER: Erwachsene und Jugendliche (Erfahrung notwendig). Das Spiel wird zur Aufführung durch eine feste Spielgruppe, sowie für anspruchsvolle Theatergruppen empfohlen. SPIELDAUER: ca. 15 Minuten

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Das Spiel Die Ankündigung Der Darsteller oder die Darstellerin des Luciano betritt die Bühne und zieht durch die marktschreierisch vorgetragene Ansage die Aufmerksamkeit des Marktpublikums auf sich. Luciano: Die lehrreiche und vergnügliche Commedia von der klugen Francesca... Francesca: (kommt schnell aus dem Off) Das bin ich! Luciano: Du bist noch gar nicht dran!... (Francesca zieht sich schmollend zurück...) ... von der klugen Francesca, wie sie sich selbst mit List aus einer hochnotpeinlichen Lage geholfen und durch einen trickreichen Kunstgriff ihre Ehre flickte! Francesca: Immer diese blumig ausufernden Titel! Luciano: Oder: „Der Mund der Wahrheit!“ (ab)

Die Moritat Der Moritatensänger tritt auf. Noch bevor er zu singen beginnt, kommen auch Pantalone und Francesca hinzu, die gerade einen Spaziergang machen. Anstatt wie ursprünglich geplant gleich weiterzugehen, bleiben sie – gebannt von dem Lied – im Umkreis des Sängers. Pantalone ist zunehmend fasziniert, bei Francesca dagegen dominiert das Grauen und eine dumpfe Vorahnung... Moritatensänger: Leute hört, was ich tu kund. Sing euch von der Wahrheit Mund. Im fernen Rom, da gibt’s ne Schlange, Erst seit kurzem, noch nicht lange. Wer da tuet einen Schwur, und er lügt ein bisschen nur, dem wird die Hand glatt abgebissen. So wurden hundert schon verschlissen. Und sie ist immer noch nicht satt, die Schlang‘ noch immer Hunger hat. Es hat ein Zaub’rer sie erschaffen, um Unrecht Zeugnis zu bestrafen. Drum ein jeder es vermeid‘, Dass er da schwöre falschen Eid. Hütet, was die Zunge spricht, Dass ihr verliert das Händchen nicht! Hütet, was die Zunge spricht, Dass ihr verliert das Händchen nicht! (Der Moritatensänger verbeugt sich und geht ab. Francesca versucht sich auch davon zu machen, aber Pantalone hält sie zurück.)

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Der Disput Bei diesem Dialog greift Francesca nicht nur verbal zu Ausflüchten, sondern versucht auch zu flüchten. Pantalone aber fängt sie ein, zum Teil auch unter Verwendung seines Stockes. Pantalone: Hast du gut zugehört, mein Täubchen? Francesca: Jaaaaa... schöne Stimme, dieser Sänger, nicht wahr? Pantalone: Ich meine nicht die Stimme. Francesca: Was dann? Pantalone: Ich meine, was er gesungen hat, hast du das gut verstanden? Francesca: Nicht so richtig, weißt du, bei einem Lied kommt es mir doch in erster Linie auf die Melodie an und auf den Takt. Pantalone: Dann weißt du jetzt hoffentlich, wo die Musik spielt und welches Stündlein dir geschlagen hat. Francesca: Wenn du dich doch ein wenig deutlicher ausdrücken könntest... Pantalone: Was hältst du von einer Reise, mein Zuckerschnäbelchen? Francesca: Kommt ganz darauf an, wohin! Pantalone: Zum Beispiel ...nach Rom? Francesca: Ein schlechtes Beispiel! Nach Rom fährt heutzutage doch jeder und ich hasse diesen Massentourismus. Wollen wir nicht lieber wieder in das kleine nette Nest in Umbrien, wo wir im letzten Sommer... Pantalone: Nein! Nie mehr! Da hatte ich zwei Wochen lang meinen Rheumatismus, so dass ich das Zimmer kaum einmal verlassen konnte... Francesca: (beiseite) Zum Glück! Pantalone: Was sagst du? Na, ist ja egal. Mich reut’s heute noch. So viel Geld für einen Urlaub ausgegeben, der darin bestand, dass ich ans Bett gefesselt war, während mein Weibchen ausgegangen ist. Wer weiß, mit wem du dich da herumgetrieben hast! Francesca: Du weißt doch, ich bin von Arzt zu Arzt gelaufen, um den zu finden, der dir Linderung verschaffen könnte... Pantalone: Schöne Ärzte das! Einer schlimmer als der andere! Umbrien, äh, umbringen wollten sie mich mit ihren Rosskuren. Und du hast sie dazu angestiftet, wartest doch nur darauf, dass ich abkratze, damit du mich beerben kannst. Aber den Gefallen tu ich dir nicht. Ich werde einhunderteineinhalb Jahre alt. Francesca: Das hoffe ich doch auch, mein Gatte. (Pantalone greift blitzschnell nach Francesca und nimmt seinen Stock quer vor ihrer Taille in beide Hände, so dass sie zwischen Mann und Stock eingezwängt ist.) Pantalone: Schluss jetzt mit diesen verlogenen honigsüßen Worten, mein Paradiesvögelchen! Wir fahren nach Rom und da wirst du mir einen Eid schwören und ich werde ein für alle mal wissen, ob ich deinem Schnäbelchen trauen kann. Das zwitschert mir so viel von Liebe und Treue, dass bestimmt was faul ist. 7

(Francesca befreit sich aus der Umklammerung , indem sie nun jeden Satz für eine kraftvolle Bewegung nutzt: erst drückt sie den Stock von ihrem Körper weg, dadurch werden Pantalones Arme ruckartig gedehnt, was dieser mit schmerzvollem Stöhnen beantwortet.) Francesca: Wie kannst du nur an mir zweifeln? (Mit dem nächsten Satz hebt Francesca den Stock über ihren Kopf, was auch Pantalone wiederum eine unfreiwillige Gymnastikübung abverlangt.) Hab ich das verdient? (Nun lässt Francesca den Stock einen Augenblick los, dreht sich dabei schnell um, packt den Stock wieder und führt ihn ruckartig nach unten, so dass er nun zwischen Pantalone und Francesca ist, und beide in Konfrontationsstellung einander gegenüber stehen.) Bin ich nicht immer auf dein Wohl bedacht gewesen? (Am Schluss des Satzes stößt sie den Stock und damit Pantalone von sich, der strauchelt und fällt, dabei verliert er den Stock. Mit dem folgenden Satz hilft Francesca ihm, wieder auf die Beine zu kommen, aber sie gibt ihm den Stock erst einmal mit dem Knauf nach unten, so dass Pantalone beinahe von neuem das Gleichgewicht verliert.) Und jetzt willst du mich an diesen biologischen Lügendetektor ausliefern? Pantalone: (greift sich Francescas Hand) Wohl Angst um dein kleines Händchen, was? Die Schlange wird es an den Tag bringen, ob es so rein geblieben ist, wie es aussieht, oder ob es sich vergriffen hat (führt Francescas Hand in obszöner Weise an eine eindeutige Stelle) an den Reizen irgendeines Schönlings! Francesca: (mit gespielter großer Empörung) Mein Gatte! Ich bin entrüstet über Eure losen Reden, ich fühle eine Ohnmacht nahen, ach, und kein Riechfläschchen bei mir! Schnell, schafft mir eines, ach... (spielt eine dekorative Ohnmacht) Pantalone: Wenn das nur nicht gespielt ist. Ich trau ihr nicht, ich trau ihr nicht. Sie ist doch nur hinter meinem Geld her! Hmm, wo besorg‘ ich mir jetzt ein Riechfläschchen? Beim Krämer? Nein, viel zu teuer, ein Eimer Wasser tut’s auch...(geht ab)

Ein Monolog Francesca: (sich wieder aufrichtend) Ist er weg? Ach, ich könnte wirklich in Ohnmacht fallen. Aber nicht wegen seiner anzüglichen Reden. Nein, wegen dieser wahrheitsliebenden Schlange mit ihrem vermaledeiten Appetit auf meineidige Hände! (Zwischen Selbstmitleid und Selbstverliebtheit changierend, bei jeder genannten Eigenschaft eine andere dekorative Handgeste vollführend:) Auf meine pfirsichzarten, samtweichen, zärtlichen, wohlgeformten, geschickten, zierlichen Hände! (Temperamentvoll in Haltung und Gestik das Gesagte unterstreichend. Wenn von Pantalone die Rede ist, diesen karikierend:) Sie sollen einem fanatischen Tier zum Opfer fallen, das kein Verständnis dafür hat, dass eine blutjunge, wunderschöne, hochintelligente, empfindungsfähige, lebensbejahende Frau nicht einfach widerspruchslos neben einem geizigen, verknöcherten, hypochondrischen, miesepetrigen Alten dahinwelken will, an den sie ihre geldgierigen Eltern verschachert haben! Meine Liebe zu Luciano ist der heimliche Ausdruck des Protests gegen die ungewollte Heirat! Luciano, einzig Geliebter! Einziger Lichtstrahl in meinem trostlosen Leben!! 8

(Langsam kommt Panik auf, Francesca wird hektisch, läuft herum wie ein Tiger im Käfig:) Und jetzt soll alles auffliegen und ich soll derart grausam bestraft werden? Was kann ich nur tun, um meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Will mir denn gar nichts einfallen? Hat mir die Schlange das Hirn lahm gesetzt? Francesca, wo ist dein Witz geblieben? Hattest doch so viel Übung, Pantalone zum Narren zu halten... zum Narren? (bleibt stehen, stutzt, denkt nach, plötzlich hat sie sichtbar einen Geistesblitz) Moment... das ist... ja...ich hab’s! (blickt kurz zur Seite, nimmt den Kopf wieder zurück in die ursprüngliche Position) Ich hab’s!! (blickt wieder zur Seite, diesmal lässt sie den Blick auch dort) Ich hab’s! Wie oft soll ich das Stichwort denn noch sagen?

Pas de deux Luciano, der offensichtlich sein Stichwort verpasste, tritt auf. Vorsichtig schauen beide sich um, ob die Luft rein ist, bevor sie aufeinander zufliegen. (Der Dialog ist am besten durch eine Art Choreographie szenisch zu gestalten. Aus symmetrischen und einander antwortenden Bewegungen des Annäherns, Entfernens, Öffnens und Schließens wird beinahe eine Art Tanz, der den Einklang zwischen beiden sichtbar macht.) Luciano: Geliebte! Francesca: Geliebter! Wenn du die Zärtlichkeit meiner Hände auch weiterhin genießen und nicht zukünftig eine händelose Geliebte in deinen armen Armen halten willst, so tu mir einen Gefallen! Luciano: Alles, was du willst! Francesca: Folge mir und Pantalone heimlich nach Rom, kleide dich dort als Narr und misch dich unter’s Volk. Luciano: Ich versteh‘ nur Bahnhof. Francesca: Züge gibt’s noch nicht in unserem Jahrhundert. Nur Postkutschen. Luciano: Stimmt, aber ich versteh’s immer noch nicht. Francesca: Ich erklär dir’s hinterher. Sonst verraten wir den Leuten jetzt schon die Pointe und dann interessiert’s keinen mehr. Luciano: Das ist ein Argument, das ich akzeptieren kann. Alles klar. Tschau Bella, bis bald, in Rom! Francesca: Tschau Amore mio! (Sie gehen beide zu verschiedenen Seiten ab.)

Die Reisemoritat Der Moritatensänger tritt wieder auf, wendet sich diesmal als singender Erzähler direkt ans Publikum. Moritatensänger: Und so geht nach Rom die Reis‘. Unbequem ist’s und recht heiß. 9

Pantalon kommt sehr ins Schwitzen, kann in der Kutsche kaum mehr sitzen. Auch Francesca darben tut, Speis und Trank täten ihr gut. Doch der Alte rückt nichts raus, hält nichts von ’nem Gasthausschmaus. Viel zu teuer, sagt er nur, zwingt die Frau zur Fastenkur. Die beißt fest zusamm‘ die Zähne, schmiedet heimlich Rachepläne. Pantalone, du sollst büßen, mir mein Ungemach versüßen. Teuer kommt es dich zu stehen, wirst es auf der Rückreis‘ sehen. Und ein and’rer Postkutschwagen tut Francescas Liebsten tragen gleichfalls in die ew’ge Stadt, die der Hügel sieben hat. In dieser Stadt der vielen Frommen sind unsre drei bald angekommen, erblicken, statt sich auszuruh’n sogleich der Schlange grausig’s Tun! (flieht entsetzt von dem was er zu sehen scheint)

Mauerschau mit mehreren Ohnmachten Francesca und Pantalone treten auf, Pantalone sucht einen Platz, von dem aus beide besonders gut auf das Geschehen mit der Zauberschlange blicken können. Das Tribunal selbst ist zunächst für die Zuschauer unsichtbar. Der Ort der blutigen Szene wird etwa hinter der letzten Zuschauerreihe angenommen. Es empfiehlt sich, den Darstellenden einen festen Orientierungspunkt zu geben, damit alle Augen die gleiche Stelle fixieren und die Imagination der Zuschauer richtig gelenkt wird. Pantalone: Da ist ja schon das süße Schlänglein. Na, wie fühlt sich da mein Turteltäubchen? Francesca: Wie soll ich mich schon fühlen nach dieser strapaziösen Reise? Pantalone: Ha, wir kommen gerade zur rechten Zeit, eben wird ein Delinquent vorgeführt! (Pantalone hat jetzt den idealen Platz seitlich an der Rampe gefunden. Da tritt Luciano an der anderen Seite auf, vorsichtig darauf bedacht, nicht von Pantalone gesehen zu werden. Auch er entdeckt das, worauf Pantalone jetzt mit lustvollem Voyeurismus blickt.) Spannend, eine wunderbare Unterhaltung. Noch dazu völlig kostenlos. Francesca: Das ist für dich ja immer die Hauptsache. Luciano: (nur zu sich selbst sprechend) Ein Menschenauflauf. Ein Podest mit einem Mann in schwarzer Kleidung. Er hat eine riesige Schlange bei sich. Und vor ihm zwei andere Männer. Einer scheint den anderen anzuklagen. Wenn ich nur wüsste, was das alles bedeutet. Pantalone: (etwas schwerhörig) Kannst du verstehen, meine Singdrossel, was der Mann ausgefressen hat? Francesca: Es geht... um einen... gestohlenen Brotlaib... glaube ich. Pantalone: Und was sagt der Mann jetzt? Francesca: Dass er ihn nicht genommen hat. 10

Pantalone: Und jetzt... Luciano: ...steckt der eine Mann seine Hand in das Maul der Schlange. Und jetzt... Francesca: ...zieht er die Hand wieder herau...nein!!!!!! (bedeckt entsetzt ihr Gesicht mit den Händen) Luciano: Er hat keine Hand mehr! Pantalone: Nur noch einen blutigen Stumpf!!! Luciano: Mir dämmert’s! Francesca! Pantalone: Blut... Ich konnte doch noch nie Blut sehen!!!! Luciano: Darum seid ihr nach Rom gefahren, du sollst deine Hand... Pantalone: Blut! Francesca... deine Hand!!! Luciano: Deine geliebte Hand... Pantalone: ...Blut...!!!! (fällt in Ohnmacht) Luciano: Futter für die Schlange!!!! (fällt in Ohnmacht) (Francesca fängt sich wieder, nimmt die Hände von den Augen, sieht neben sich Pantalone liegen.) Francesca: Jetzt ist mir der Alte auch noch in Ohnmacht gefallen. Gibt’s hier irgendwo Wasser? Huch, da liegt ja noch Einer. Das ist doch – Luciano!! Luciano, Geliebter, wach auf! Luciano! - Ob hier die bewährte Mund-zu-Mund-Beatmung hilft? (Sie kniet neben Luciano, holt tüchtig Luft, versucht ihn einmal zu beatmen, wobei sich nur ein wenig Lucianos Beine heben. Sie versucht es ein zweites Mal, nicht ohne sich zu vergewissern, dass Pantalone noch am Boden liegt. Diesmal kommt ein wenig mehr Leben in Luciano hinein. Und sie versucht es ein drittes Mal. Nun wacht Luciano auf und hat sofort die Situation von vorhin wieder vor Augen, weshalb er leicht panisch reagiert.) Luciano: Geliebte! Deine Hand... ich weiß jetzt... die Schlange will sie zerfleischen! Lass uns fliehen, komm, schnell... Francesca: Quatsch. Nur keine Panik! Reiß‘ dich zusammen, sonst verdirbst du noch alles. Schmeiß dich in die Narrenklamotten und misch dich unter die Leute vor dem Podium. Und keine Ohnmacht mehr, verstanden? Luciano: Okay Boss, ich weiß zwar nicht, was du im Schilde führst, aber du wirst das Kind schon schaukeln. Francesca: Darauf kannst du Gift nehmen, dass ich dieser Schlange ihr Essen versalzen werde.

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Luciano: Tschau, du Teufelsbraten! (geht ab) Francesca: Und jetzt? Ach ja, richtig, Pantalone ist ja immer noch ohnmächtig. Wasser gibt’s hier anscheinend keines. Ob hier die bewährte Hand-an-Wange-Beatmung hilft? (Sie kniet über Pantalone und gibt ihm drei Ohrfeigen. Nach der dritten erwacht er, grapscht dabei nach seiner Frau, die ihm aufhilft.) Pantalone: Francesca, lass uns heimfahren, ich hab mir’s anders überlegt. Dein Händchen – auch wenn es sich mal vergriffen haben sollte, Schwamm drüber. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Besser ein unreines Händchen als gar keines, nicht wahr? Francesca: Was soll dieses Gerede, mein Gatte? Nichts da. Ich werde diesen Verdacht von mir abwaschen, der mich über alle Maßen kränkt. Du sollst endlich sehen, wie unrecht du mir tust, immer getan hast! Ich werde diesen Eid schwören, je früher, desto besser! Pantalone: Aber was soll ich mit einer Frau ohne Hände? Du kannst dann ja gar nicht mehr arbeiten! Das heißt ja, mindestens eine Magd mehr bezahlen! Francesca: Über die Konsequenzen hättest du früher nachdenken sollen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Pantalone: Ist das dein letztes Wort? Francesca: Wenn meine unversehrte Hand meinen Eid bezeugt hat, wirst du noch einiges an Text über dich ergehen lassen müssen, das kann ich dir jetzt schon schwören. Pantalone: Sprich nicht vom Schwören, bitte! Francesca: (seinen Ton nachäffend) Sei nicht so zimperlich, bitte! Und komm jetzt endlich! (zerrt Pantalone von der Bühne)

Lied des Zauberers Als würden sich die Schauplätze um 180 Grad drehen, kommt nun der Zauberer mit seiner Schlange ins Bild. Und im Publikum taucht der als Narr verkleidete Luciano auf, der seine Späßchen treibt. Er bewegt sich dabei allmählich nach vorne, so dass er schließlich vor der Bühnenrampe landet. Parallel dazu beginnt der Zauberer zu singen. Sein Lied beginnt gravitätisch und geht dann in einen swingenden, ja rappenden Rhythmus über. Zauberer: Ich bin Vergil, der Zauberer in Rom. Ich steh mit meiner Schlange vor dem Dom. Und diese süße Schlange macht allen Lügnern bange. Weil sie so gerne Händchen frisst, manchmal auch Füße, bis zum Rist. Auf, Schlänglein nicht gepennt – hier kommt ein Delinquent!

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Die große Reinwaschungsszene Francesca bahnt sich einen Weg zum Zauberer durch das Publikum hindurch. Pantalone versucht sie zurückzuhalten, doch sie versucht ihn mitzuziehen, so wird der Gang der beiden zu einem einzigen Kräftemessen. Da Francesca stärker ist, kommen sie langsam vorwärts. Der Zauberer sieht die beiden sich nähern. Er spricht mit seiner Schlange, die ihm mit Gesten antwortet. Zauberer: Eine Dame mit hübschen weißen Händen. Die werden uns gut schmecken, nicht wahr, mein Schlänglein? Die reinste Delinquatesse! Da dürfen wir uns jetzt schon freuen, denn diese Hände sind uns sicher. (Große Begeisterung bei der Schlange.) Auch wenn die Frau noch so selbstbewusst tut, ich lese ihr die Schuld aus der Seele... - Seid mir gegrüßt, schöne Dame! Was führt euch zu mir? (Francesca hat das Podium erreicht, Pantalone hält sich in einigem Abstand.) Francesca: Ich bin gekommen, um einen Schwur zu tun, der mich von falscher Verdächtigung reinwäscht. Zauberer: Was wird euch denn nachgesagt? Francesca: Dieser mein Gemahl bezichtigt mich des Vergehens gegen die eheliche Treue. Pantalone: (mischt sich ein, indem er zwischen Francesca und den Zauberer geht) So war das nicht gemeint. Von Bezichtigen kann gar nicht die Rede sein! (sieht sich plötzlich der Schlange gegenüber, kriegt einen tüchtigen Schreck und verkriecht sich ängstlich hinter Francesca) Ich hab nur halb im Scherz die leise Vermutung ausgesprochen... Zauberer: Wenn das so ist, verstehe ich nicht, verehrte Dame, wieso Ihr schwören wollt, man hat schließlich nur zwei Hände... (Während Pantalone im Folgenden spricht, hört Francesca nur mit einem halbem Ohr zu, ihr Blick sucht verstohlen nach Luciano. Endlich entdeckt sie ihn, lässt sich aber weder gegenüber Pantalone noch gegenüber dem Zauberer etwas anmerken.) Pantalone: Siehst du, meine Haubenlerche, der Herr Zauberer sagt’s auch. Also lass uns nach Hause fahren und deine Hände lieber in Zitronenwasser baden, anstatt sie diesem Untier in den Schlund zu stecken. Es könnte ja schon allein deshalb zubeißen, weil deine zarten Fingerchen gar zu appetitlich sind. Francesca: Kommt gar nicht in Frage. Kein Rückzieher! Ich heiße Francesca und bin so frank und frei, meine beiden Hände in das Maul dieser Schlange zu legen und meinen Entsühnungsschwur zu tun. Zauberer: Nun gut. Ihr habt es so gewollt, schwört also! Pantalone: Ich kann es nicht mit ansehen, sagt mir, wenn es vorbei ist. (hält sich die Augen zu) Zauberer: Nun? Francesca: Ich schwöre, dass ich mit keinem Mann außer meinem eigenen mehr zu schaffen hatte als... (ihr Blick schweift über die Menge und macht wie zufällig bei Luciano halt) 13

...mit diesem Narren dort! Zauberer: So eine Kanaille! Pantalone: Habt Ihr schon einen Wund-Arzt gerufen? Zauberer: Nicht nötig, seht selbst! (Pantalone wagt es, die Augen zu öffnen, Francesca zeigt ihm triumphierend ihre unversehrten Hände. Pantalone fällt vor ihr auf die Knie. Dabei verliert er seinen Stock.) Pantalone: Kannst du mir noch einmal verzeihen, meine süße Haubenlerche, meine Hausschwalbe, meine... Francesca: (angelt sich den Stock und beginnt nun ihren Mutwillen an Pantalone auszulassen) Das kommt ganz darauf an, was du mir als Versöhnungsgeschenk anbietest mein Gockel, mein Geier, mein alter Habicht... Pantalone: Wie wär’s mit einem neuen Kleid? Francesca: Für den Anfang gar nicht übel. Pantalone: Schuhe dazu und Schmuck. Francesca: Nur weiter, nicht so zaghaft. Pantalone: Ein Essen im Posthotel!? (Hier sollte man jeweils eine lokale sehr feine Adresse nennen!) Francesca: Ist das alles? Pantalone: Eine Reise nach Venedig. Francesca: Bin ich dir nicht noch mehr wert? Pantalone: Doch, alles was du willst. Francesca: Den Schlüssel zu deinem Tresor...!? (streckt die Hand aus) Pantalone: Ja...auch...den... (während er sehr kläglich weiterspricht, nestelt er den Schlüssel heraus, den er unter dem Hemd trägt) ...wenn es denn sein muss... oh...ich bin vernichtet! (Er gibt Francesca den Schlüssel, sie reicht ihm den Stock. Francesca hat zunächst nur noch Augen für den Schlüssel, den sie begeistert hochhält und küsst, während Pantalone sich nur mühsam hochrappelt und langsam von der Bühne schlurft. Sie wirft noch einen vergnügten Blick auf Luciano und einen geringschätzigen auf den Zauberer, dann springt sie Pantalone hinterher.)

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Die Moral von der Geschicht’ Der Zauberer hat alles mit Empörung und Fassungslosigkeit mit angesehen. Auch die Schlange ist traurig, weil sie die so sicher geglaubte Beute nicht bekam. Der Zauberer singt ein tristes Schlusswort: Zauberer: Und die Moral von der Geschicht’: Auch Zauberschlangen traue nicht. Denn jede Wahrheit, die man spricht, hat noch ein zweites Angesicht. Sie lässt sich dreh’n in uns’ren Händen, lässt sich verbiegen, lässt sich wenden. So kommt am End’ nur Trug heraus, drum Schlänglein lass uns geh’n nach Haus. So kommt am End’ nur Trug heraus, drum Schlänglein lass uns geh’n nach Haus!

- Ende -

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Argusaugentäuscher Arlecchino Commedia nach einem überlieferten Stoff – neu in Szene und Worte gesetzt

PERSONEN: Arlecchino, gewitzter Diener Lucianos Luciano, seines Zeichens schwärmerischer Musiklehrer Francesca, Lucianos musikbegeisterte Angebetete Colombina, kokette Dienerin von Francesca Pantalone, Francescas unausstehlicher Gemahl ORT / DEKORATION / REQUISITEN: Man benötigt lediglich einen „Baum“, den man allerdings „besteigen“ können sollte. Man könnte z.B. die Silhouette eines Baums zweidimensional aus verschiedenen Materialien herstellen und vor einer Stehleiter anbringen. - An eine Sicherung des Baumes bei Windstößen denken! SPIELALTER: Erwachsene und Jugendliche (Erfahrung notwendig). Das Spiel wird zur Aufführung durch eine feste Spielgruppe, sowie für anspruchsvolle Theatergruppen empfohlen. SPIELDAUER: ca. 25 Minuten

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Das Spiel Prolog Arlecchino: (springt aufs Podium) Wertes Publikum. Hört und seht eine höchst vergnügliche und sinnliche Commedia. Vergnüglich ist sie, da ich, Arlecchino, die wichtigste Rolle darin spiele... (Lautstarker mehrstimmiger Protest aus dem Off!) ...naja, zumindest eine der fünf wichtigsten. Sinnlich ist sie, dieweil sie von Sinnen handelt, wie ihr sie hoffentlich recht zu gebrauchen verstehet. (Bei dem folgenden Exkurs über die Sinne zieht Arlecchino jeweils zu den passenden Stichworten an einer imaginären Schnur die Figuren, von denen er redet, herein. Diese sind zu Statuen erstarrt, wobei in ihrer Haltung jeweils ein Merkmal besonders hervor sticht: bei Pantalone z.B. gierig fixierende Augen, bei Francesca ein schmollender Kussmund, bei Luciano das weit hinaus lauschende Ohr, bei Colombina eine kecke Kopfhaltung.) Da wären zum einen ein Paar Argus-Augen, die einem gewissen Pantalone gehören. Argusaugen, die adlergleich nach Beute spähen - ob das nun ein gutes Geschäft ist, ein Goldstück am Wege, oder eine weibliche Rundung. Argusaugen, die argwöhnisch auch über die Tugend von Pantalones Gemahlin Francesca wachen. Sehr zum Leidwesen von Fran-cescas hungrigen Lippen, womit gleich mehrere Sinne ins Spiel kommen - sind Lippen doch Tor zum Schmecken und Genießen und empfindsames Fühlorgan zugleich. Der Hunger von Francescas Lippenpaar richtet sich nicht so sehr auf Essbares, als auf Küssbares. Wobei sie dabei weniger an die welken Lippen ihres Angetrauten als an den mundenden Mund ihres Musiklehrers Luciano denkt. Dieser denkt und fühlt genauso, außerdem ist er von Berufs wegen mit einem besonderen Hörsinn ausgestattet. Der Sinn für das Praktische aber fehlt ihm ebenso wie seiner geliebten Francesca, wodurch ihrer beider Lippenpaare niemals zu einander fänden, gäbe es da nicht mich und Colombina. Die hat ein helles Köpfchen, nicht nur, weil sie blond ist. Ihr Köpfchen und mein Köpfchen stecken gerne zusammen, da uns neben anderem auch eine ausgeprägte Nase verbindet. Damit will ich sagen, dass wir uns nicht nur gut riechen können, sondern dass wir auch einen Riecher dafür haben, wie sich Dinge deichseln lassen... (Er schnippt mit den Fingern, die Übrigen verschwinden.) Nun, da ihr die Persones kennet, sperret Augen, Nasen, Münder und Ohren auf und erlebet die Commedia, die euch vorführen wird, wie zwei helle Köpfchen gar strenge Argusaugen an der Nase herumführen und zwei hungrigen Lippenpaaren dabei eine Kussmahlzeit verschaffen...

Erste Szene Während Luciano schreibt, sitzt Arlecchino in einer Ecke und kommentiert Lucianos Ergüsse, was dieser lange Zeit nicht bemerkt. Luciano: Francesca, unerreichbare Geliebte... Arlecchino: Die er beinahe täglich zum Musikunterricht sieht! Luciano: ...wenn deine Elfenbeinfinger in die Saiten greifen, so wünschte ich, die Laute zu sein... Arlecchino: Die Laute? So wünscht er sich, aus Holz zu sein? Das heißt, sich verwünschen! 17

Luciano: ...die Laute, die von deiner Hand geschlagen... Arlecchino: Er will sich schlagen lassen? Ei, so ist mein Herr ein Masochist? Luciano: ...erklingt in süßen schmachtenden Seufzern. Arlecchino: Mir sind ein paar deftige Bauernseufzer lieber! (Arlecchino gibt unwillkürlich einen Laut von sich, der Lucianos Aufmerksamkeit erregt. Luciano pirscht sich an...) Luciano: Arlecchino, lauschst du mal wieder? Mach dich davon und komme erst, wenn ich dich rufe! - Wo war ich? O Francesca, würde mir das Schicksal nur eine Stunde gewähren, in der ich unbewacht von Pantalones Argusaugen dich sehen, sprechen, ja endlich einmal küssen dürfte - ich wäre der glücklichste Mensch unter der Sonne. Doch niemals ist das zu hoffen, so dass mein Gemüt die Anspannung unserer Begegnungen kaum mehr aushält. Wie unsäglich leide ich bei unseren Lektionen, zu denen Pantalone nicht nur höchst unmusikalisch den Takt schlägt, sondern gleichzeitig die sich zart andeutende Harmonie zwischen uns immer wieder aufs Grausamste stört. O Geliebte, wenn nicht bald ein Wunder geschieht, werde ich dir Lebewohl sagen müssen, auch wenn es mir das Herz zerreißt. In ewiger Liebe, dein Luciano. - Arlecchino! Arlecchino: Da bin ich Herr! Luciano: So schnell schon da? Kerl! Lauschtest du schon wieder? Arlecchino: Nein, Herr, das ist nicht recht. Komm ich zu langsam, sagt ihr mir, ich trödle, bin ich zu schnell, ist es genauso schlecht. Da kenn sich einer aus, weiß er denn, was er will? Luciano: Gut, Arlecchino, ich bin ja schon still. (Luciano macht nun mehrere Ansätze, Arlecchino zu erklären, was er jetzt tun soll, aber dieser erinnert ihn mit deutlichen Gesten daran, dass er ja still sein wollte. So greift Luciano zum Mittel der Pantomime, um Arlecchino mitzuteilen, dass dieser den Brief schleunigst an Francesca weiterleiten soll. Arlecchino stellt sich absichtlich dumm und missversteht Luciano auf höchst komische Weise, bis Luciano dem Spiel entnervt ein Ende macht.) Hier, damit es schneller geht. (Gibt Arlecchino Geld, nun kapiert dieser.) Arlecchino: Ah, ich verstehe, ehe Ihr euch verseht, soll diesen Brief die Angebetete sehen. Luciano: Ja, unversehens und ohne dass es jemand, der es nicht sehen soll, sieht, und ohne dass du hineinsiehst. Arlecchino: Schon verwandle ich mich in einen Brieftäuberich, Herr, und flattere davon... (beiseite) und treff dabei vielleicht mein Täubchen Colombina! (geht rasch ab) Luciano: Ich warte auf die Antwort!!! (ab)

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Zweite Szene Arlecchino: Colombina, Täubchen, Colom – Bienchen! Colombina: Was nun? Taube oder Biene? Oder beides? Diese Männer! Voller Widersprüche! Arlecchino: Du weißt doch, zwei Seelen wohnen ‚ach‘ in meiner Brust... Colombina: Na, jetzt irrst du dich aber gewaltig: falsches Stück und dann noch falsche Epoche! Arlecchino: Du merkst aber auch alles. Colombina: Vor allem merke ich, dass du mir meine Zeit stiehlst. Arlecchino: Colombinchen, flieg nicht weg. Ich hab doch was... Colombina: Für mich? Arlecchino: Nein, nicht direkt. Colombina: Och... Arlecchino: Ich hab was für deine Herrin. Colombina: Meine Herrin? Gib her. Arlecchino: Erst, wenn du mir was gibst. Colombina: Was denn? Arlecchino: Eine knusprige Bratwurst, einen frischen Wecken, einen saftigen Kuss. Colombina: Man beachte die Reihenfolge! Arlecchino: Meinetwegen auch den Kuss zuerst. Colombina: Weil dann die Bratwurst besser schmeckt, was? Da kannst du lang drauf warten. Und jetzt her mit dem Brief. Arlecchino: Da kannst du lang drauf warten. (Es kommt zu einer Jagd um den Brief und den Kuss. Dabei verliert Arlecchino seinen Brief unbemerkt und Colombina steckt ihn in ihr Mieder. Irgendwann geben beide spielerisch auf.) Und jetzt? Colombina: Und jetzt? Arlecchino: Kuss gegen Brief! Colombina: Aber gleichzeitig! (Sie spitzt herausfordernd den Mund und streckt fordernd die Hand aus. Arlecchino will ihr den Brief geben, stellt fest, dass er ihn verloren hat, erschrickt heftig.) Arlecchino: Der Brief... er ist... Colombina: Hier! (zieht ihn aus dem Mieder)

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Arlecchino: Oh Colombina! Du hast ihn gefunden! Das ist aber eine Belohnung wert! Colombina: Was denn? Arlecchino: Einen Kuss! Colombina: Weiter nichts? Keine Bratwurst? Keinen Wecken? Arlecchino: Nun? Colombina: Ein andermal vielleicht. (lachend davon) Arlecchino: (schaut ihr verliebt nach) ...die Laute zu sein, die von deiner Zauberhand geschlagen, erklingt in süß schmachtenden Seufzern... was fasele ich da? (kopfschüttelnd ab)

Dritte Szene Francesca: Schon wieder eine Nacht, in der ich keinen Schlaf finde, der mich erlöst von dem misstönenden Konzert meines Gemahls, der mit schnarrendem Schnarchinstrumente, mit pfeifendem Atem und Darmgetös mir Gehör und Geist maltretiert. Manche sagen, Schafe zählen hülfe gegen Schlaflosigkeit. Doch wenn ich dieses versuche, so erscheint nach einer kleinen Zahl von Schafen sogleich das Bild des Schäfers, und der trägt das Gesicht von Luciano... und ich wandle Seite an Seite mit ihm als Schäferin blütenumkränzt und endlich, in der Ruhe des Mittags betten wir uns auf weiches Moos und ein grüngoldner Blätterbaldachin überwölbt unsre Liebe... Colombina: Herrin... Francesca: Du kommst wie gerufen, Colombina, geh mir ein Schlafmittel brauen... Colombina: Gern Herrin. Doch zuvor hätt‘ ich für euch mal wieder so ein Brieflein. Francesca: Ein Brief? Gib her! Mmmm, wie gut! Er riecht nach ihm... Colombina: (beiseite) Wohl eher nach mir... so kann man sich täuschen. (zu Francesca:) Wünscht Ihr das Schlafmittel leicht, medium oder sehr stark? Francesca: Schlafmittel? Was soll ich mit einem Schlafmittel? Geh nur, ich brauch dich heute nicht mehr. Colombina: Da kenn sich eine aus. (geht ab) (Francesca reißt den Brief auf, überfliegt ihn, gerät in heftige Gefühlswallung.) Francesca: Colombina! Colombina: Wollt ihr jetzt doch ein Schlafmittel, Herrin? Francesca: Nein! Doch! Oder vielmehr ein Mittel gegen galoppierende Pulse, brennende Lippen, verzehrende Gedanken, hungrige Haut, sehnsüchtige Augen, flimmernde Eingeweide, pochendes Hirn, und ein langsam verblutendes, verbleichendes, verblühendes junges Leben... 20

Colombina: Kurz, gegen alle Begleiterscheinungen unglücklicher Liebe... Francesca: Du sagst es Colombina. Nur nicht so schön wie ich. Colombina: Dafür umso treffender. Also... ein Mittel... Francesca: Nun? Colombina: Ein Mittel gegen dieses Syndrom kann meine Braukunst Euch nicht bieten, Ihr wisst selbst am besten, was Euch helfen würde... Francesca: Er! Colombina: Ihr sagt es Herrin. Doch fasst es genauer. Was ist Eurer Sehnsucht eigentliches Ziel? Francesca: Ach Colombina, einmal nur seine vollen rosigen, zarten lächelnden, fein gezeichneten, kühn geschwungenen Lippen auf den meinen spüren... und ich würde aufblühen wie eine Wüste nach dem Regen. Colombina: Na hoffentlich nicht, diese Bläschen, die nach Küssen bisweilen auf Lippen blühen, sind alles andere als angenehm. Francesca: Colombina, du bist so unpoetisch. Colombina: Und Ihr, mit Verlaub, seid so unpraktisch. Was würdet Ihr ohne Eure Colombina tun, die Euren Träumen schon mehr als einmal auf die Beine half? Genug, da lässt sich sicher manches machen, dass Lippenpaar zu Lippenpaar sich fügt. Francesca: Wenn Pantalones Argusblick uns immerfort bewacht, wie sollten wir uns küssen können? Am Ende gar vor seinen Augen? Nein, Colombina, es ist hoffnungslos. Ich werde verdursten, verhungern, verblühen, vergehen... (sie fällt halb in Ohnmacht) Colombina: Dieses Schmachten nach einem Kuss kommt mir irgendwie bekannt vor ... richtig! Nichts wie hin zu meinem Täuberich, und rasch mit ihm die Lösung ausgebrütet! Francesca: Was willst du tun? Colombina: Mit einem Kuss von meinen Lippen den Euren zu Lucianos Kuss verhelfen! Francesca: Du sprichst in Rätseln, Colombina. Colombina: Die sich Euch bald erschließen werden. Schlaft gut, Herrin. (ab) (Francesca will ins Gemach, öffnet pantomimisch die Tür, man hört ein fürchterliches Schnarchkonzert. Francesca geht rückwärts, nimmt dann alle Kraft zusammen und wagt sich doch hinein.)

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Vierte Szene Colombina: Arlecchino, Täuberich? Arlecchino: Wer gurrt hier so falsch? Colombina: Schmoll nicht mehr. Sieh nur, was ich für dich habe! Arlecchino: Einen Korb? Du willst mir einen Korb geben? Colombina: Den geb ich dir nur, weil ich dir sonst nicht geben könnte, was drinnen ist. Arlecchino: Was denn? Colombina: Eine knusprige Bratwurst und ein frischer Wecken. Arlecchino: (bereits mampfend) Du bist ein Schätzchen, Colombinchen, aber... Colombina: Aber? Arlecchino: War da nicht noch was drittes... Colombina: Kann schon sein, aber das gibt es erst nach getaner Arbeit. Arlecchino: Aaaaaaaaaaaaaarbeit? Colombinchen, wie zerstört dieses unschöne Wort doch die Poesie des genussvollen Augenblicks. Colombina: Du sprichst schon fast wie meine Herrin. Arlecchino: Oder wie mein Herr. Die beiden passen wirklich zusammen. Colombina: So weißt du? Arlecchino: Alles. Colombina: Dann ahnst du schon, was ich von dir will. Arlecchino: Du willst... etwas von mir? Colombina: Ich will von dir, dass du das, was meine Herrin von Luciano will... Arlecchino: ...und Luciano von deiner Herrin... Colombina: ...nämlich einen Kuss... Arlecchino: ...nichts weiter? Colombina: Also, dass du dein schlaues Köpfchen anstrengst, damit das irgendwie geht. Arlecchino: Mein Köpfchen ist gar nicht mehr so schlau, seit es mir mein Colombinchen verdreht hat. Colombina: Dann wirst du es eben für ein Weilchen wieder gerade rücken. (Arlecchino versucht auf komische und halb akrobatische Weise, den Kopf richtig hinzudrehen. Schließlich schafft er es.) Arlecchino: Ecco! Wo liegt das Haupt - Problem?

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Colombina: In Pantalones Argusaugen. Arlecchino: Argusaugen... Augentäuscher...täuschend ähnlich... echt oder falsch... Sein und Schein... Sein oder nicht sein... ich sehe was, was du nicht siehst... unsichtbar ...Zauberei... verzauberter Blick ... verzauberter Blickpunkt...verzauberter Ausblickpunkt... Ich hab’s!!!! Colombina: Nun? Arlecchino: (flüstert ihr etwas ins Ohr) Colombina: Phantastisch! Das wird ein Spaß! Arlecchino: Und jetzt? Colombina: Und jetzt? Arlecchino: Krieg ich meinen Kuss? Colombina: Erst wenn’s funktioniert hat. Arlecchino: Also gleich morgen früh! Du kennst den Treffpunkt. Colombina: Ich bereite meine Herrin vor... Arlecchino: Sag ihr nicht mehr, als nötig. Ich halt’s mit dem Herrn genauso. Colombina: Warum? Arlecchino: Weil ihnen die Liebe ein Brett vor den Kopf genagelt hat, und die beiden daher alles vermasseln könnten. Colombina: Dann pass nur auf, dass dir nicht dasselbe passiert... (lachend ab)

Fünfte Szene Pantalone, Francesca und Colombina sind unterwegs zum vereinbarten Treffpunkt. Colombina sekundiert Francesca und gibt ihr auch schon mal ein hilfreiches Stichwort ein, wenn diese gerade um eine Antwort verlegen ist. Pantalone: So eine dumme Idee, Musikunterricht im Freien! Nur damit man sich seine Anzüge abnützt... Daheim im Schlafrock ist’s viel schöner. Francesca: Dann wärt Ihr doch daheim geblieben! Pantalone: Das könnte euch so passen. Wer weiß, was ihr dann treibt, wenn Pantalones Argusaugen nicht über euch wachen. Mein Frauchen ist gar zu hübsch, da könnte mancher auf dumme Gedanken kommen... (versucht, sie zu betatschen) Francesca: O weh, mein Sonnenbrand! Pantalone: Schon wieder Sonnenbrand? Ihr wart doch tagelang nicht in der Sonne! (Colombina flüstert Francesca eine Argumentationshilfe ins Ohr.)

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Francesca: Meine Haut ist eben ganz besonders zart. Da braucht nur ein einziger vorwitziger Sonnenstrahl zum Fenster hereinschlüpfen, wenn ich gerade nackt vor der Waschschüssel stehe – und... Pantalone: Hmmmm...nackt vor der Waschschüssel.... (er versucht erneut, sie zu berühren) Francesca: ...und wie ein Blitz – ist es passiert! (nimmt den Satz als Vorwand, Pantalone beim Stichwort „Blitz“ blitzschnell auf die Hand zu schlagen) Pantalone: (weinerlich) So dürft Ihr euch eben nur noch bei geschlossenem Fenster waschen... Was hab ich von einer Frau, die dauernd Sonnenbrand hat! Francesca: (zu Colombina) ... ich fürchte, du musst dir etwas Neues einfallen lassen... Pantalone: Was sagst du da? Francesca: Dass ich das Waschen bei offenem Fenster werde bleiben lassen. Pantalone: Da tut Ihr gut daran. Colombina: Hier ist der Ort, an dem wir Maestro Luciano treffen sollen! Francesca: Und da kommt er auch schon! Luciano: (kommt hinzu) Meine Aufwartung, verehrter Pantalone, Donna Francesca. Ihr strahlt, dass die Frühlingssonne nur vor Neid erblassen kann... Francesca: Ihr solltet die Sonne nicht als meine Konkurrentin sehen, ist doch mein Strahlen nur ihr Abglanz! Pantalone: Seit wann singt Ihr der Sonne Lobeshymnen? Und Ihr, Luciano, solltet mit dem Unterricht beginnen...wir sind hier schließlich nicht zum Vergnügen. Arlecchino: (beiseite) Das würde ich gerade nicht sagen! Colombina: Verbrenn dir nicht den Mund, sonst... Arlecchino: ...kann ich dich nicht mehr küssen! Colombina: Nicht nur das! Arlecchino: Was dann? Colombina: (deutet eine Ohrfeige an) Arlecchino: Oh weh, ich bin doch keine Laute! Colombina: Aber vorlaut bist du allzu oft! Luciano: Still jetzt! ...Musik... Alle: Wo? Ich höre nichts! Luciano: Musik... beginnt mit dem Lauschen! (Alle tun es angestrengt.) Francesca: (zu Colombina) Ich hör nur Pantalones Atem, lass uns Plätze tauschen!

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Luciano: Hört ihr die Lerche? Francesca: Wie sie tiriliert!! Pantalone: Und nach dem Lerchenmännchen giert! Luciano: Von fern der Kuckuck! Francesca: Er ruft in kleinen Terzen! Luciano: Doch rufen sich viel lauter unsre Herzen! Francesca: Oh ich dachte, dieses Klopfen sei ein Specht. (Pantalone, der weiter entfernt steht, wird langsam misstrauisch, das merkt Colombina...) Colombina: Nun Arlecchino, los, mach deine Sache recht! Arlecchino: (nach kurzer Vorbereitung) Oh Maestro, seht, das ist der Baum! Ich kenne ihn am Mal, das in die Rinde eingeritzt! Luciano: Was für ein Baum? Arlecchino: Von dem mir meine Muhme sprach! Luciano: Was soll mir deine Muhme, stör jetzt nicht den Unterricht. Arlecchino: Verzeiht Herr, aber wisst Ihr wirklich nicht? Luciano: Nein, und ich will es auch nicht wissen! Colombina: Oh Herrin, sagt schnell, dass Ihr es wissen wollt! Francesca: So lasst ihn doch, Maestro Luciano. Erzähle, Arlecchino was ist das für ein Baum? Pantalone: Was soll das schon für einer sein? Ne ganz normale Eiche. Gut genug für eine Geldtruhe! Francesca: (bissig in Richtung Pantalone) Oder für einen Sarg! Arlecchino: Ach, was denkt ihr doch profan! Nein, mit diesem Baum hat es eine besondre Bewandnis. Der Baum, nämlich, sagte meine Muhme, ist seit altersher verwunschen... Alle: Verwunschen? (Alle außer Arlecchino weichen ängstlich zurück.) Arlecchino: Doch soll’s kein böser Zauber sein, nein vielmehr ein ganz harmloser, aber dennoch höchst wirkungsvoller! Denn, steigt man in des Baumes Krone, sagt meine Muhme, soll man Dinge sehen, die zu seh’n sich lohne! Pantalone: Ah... Goldbarren, groß wie Ziegelsteine? Knusprige halb nackte Weibchen? Gar einen Harem? Francesca: Wie abscheulich! Dies in meiner Gegenwart? Luciano: Francesca, Liebste, ach, wie ist dein Schicksal hart! Colombina: (beiseite) Und wird doch bald gelindert!

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Pantalone: Nun sag doch Arlecchino, was man von dort oben sieht! Arlecchino: Die Muhme sagt, man sehe, was gar nicht geschieht. Das Gegenteil von dem, was ist und war! Pantalone: So säh Francesca mich mit schwarzem Haar? Als jungen wunderschönen Mann? Arlecchino: Dies - oder anderes passieren kann! Pantalone: So soll mein Weibchen gleich in diese Eiche steigen! Augenblicklich! Francesca: Nicht doch mein Gemahl! Das wär nicht schicklich! Könnt mir doch ein jeder untern Rock dann sehen! Pantalone: Zu dumm, ei freilich, das kann so nicht gehen. Arlecchino: Wollt Ihr nicht selber, Meister Pantalone? Pantalone: Nein, nein, da breche ich mir den Hals... steig du doch hinauf, Arlecchino! Arlecchino: Ich wollte euch den Vortritt lassen, aber... wenn Ihr nicht wollt... dann... bin ich schon oben! (klettert hurtig auf den Baum) Alle: Und? Arlecchino? Siehst du was? Arlecchino: Nichts Besonderes! Nur euch, wie ihr hier ... aber ... nicht doch Pantalone... was fällt euch denn ein, Colombina zu küssen? Und Colombina küsst euch zurück? Oh falsche Schlange ...warte, bis ich wieder herunter komme! Pantalone: Was faselst du da? Arlecchino? Ich stehe hier und Colombina steht dort! Colombina: Arlecchino, du tust mir Unrecht! Arlecchino: Und jetzt küsst du gar den Luciano? Oh unersättlich ist dieses Weib... wie hab ich mich in ihr getäuscht! Luciano: Arlecchino, ich muss schon sehr bitten, Colombina steht Seite an Seite mit Francesca, und ich halte, Pantalones Argusaugen sind meine Zeugen, den sittlich gebotenen Abstand! Colombina: Komm herunter Arlecchino, du siehst das alles ganz falsch... Das ist gewiss der Zauber des Baums! (Sie sagt das mit besonderem Nachdruck, so dass Luciano und Francesca kapieren, worauf das Ganze hinauslaufen soll!) Arlecchino: Ach so? Den hatt‘ ich mir ganz anders vorgestellt! (kommt herunter) Pantalone: Und du hast uns wirklich alle küssen sehen, mich auch? Arlecchino: So feurig, dass ich ganz in Rage kam. Pantalone: Und bei mir würde das genauso gehen? Arlecchino: Das weiß ich nicht, probiert es aus!

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Pantalone: Wenn nur der Baum so hoch nicht wäre. Ich bin doch nicht ganz schwindelfrei. Francesca: (leise) Das passt zu dieser Schwindelei. Pantalone: (versucht, hoch zu steigen) Ich komme nicht hinauf. Man muss mir helfen. Luciano: Nichts was ich lieber täte, Arlecchino pack mit an... und Colombina auch, der Mann ist schwerer als ich dachte! Pantalone: So passt doch auf, ihr zerrt ja mehr, als dass ihr schiebt. Beinah verlor ich meine Hose! Francesca: Das wäre peinlich, führt ihr doch den Namen Pantalon, der hosenlos nicht länger euch gebührte! Pantalone: Bin ich nun oben? Arlecchino: Nein Herr, ihr müsst noch höher. Dort sieht man‘s besser. Francesca: Jagt ihn nur recht weit hinauf! Pantalone: Höher geht’s nicht mehr. Aber noch ist nichts zu sehen. Arlecchino: Dann lasst uns ihm ein trefflich Schauspiel geben! Küsst und schmatzt und ziert euch nicht. Die Gelegenheit ist selten. Colombina: Komm mein Täuberich, und hol dir deinen Lohn! (Colombina und Arlecchino küssen sich, dabei geht es sehr deftig zu.) Luciano: So hätte dieses ganze Spiel nicht uns allein gegolten? Francesca: Was kümmert‘s dich... der Augenblick ist gar zu kostbar... (Sie küssen sich, dabei geht es romantisch zärtlich zu.) Luciano: Nun Pantalone? Wie sieht’s aus? Pantalone: Francesca! (erst wütend, dann lachend) Wirklich! Arlecchino hatte Recht! Ich seh es ganz genau: Luciano küsst jetzt meine Frau, und Arlecchino Colombina. Kein Zweifel, der Baum ist verwunschen. Man kann sich gar nicht sattsehen. (zu sich selbst) Wenn ich noch länger oben bleibe, passieren vielleicht noch ganz andere Sachen! Ein wahres Lustspiel, noch dazu völlig kostenlos! Hmmm ... vielleicht könnte ich den Baum kaufen, und dann die Leute für Geld drauf lassen... eine Eiche kostet nicht die Welt... das wird ein gutes Geschäft... hmmm! Pantalone ist ein ganz Ausgefuchster... hmmmm... mit einem hellen Kopf und scharfen Argusaugen! (Die Paare erstarren in Kusspose und Pantalone in Gierpose...)

- Ende -

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Pascha Pantalon

PERSONEN: Pantalone, ein reicher Lustgreis Capitano, sein Diener – ein dümmlicher Kraftprotz Laura, ein schönes junges Fräulein – soll Pantalone heiraten Colombina, Lauras gewitzte Dienerin Don Cesario, ein schöner, junger Mann Arlecchino, Cesarios gewitzter Diener Lauras mitfühlende Mutter Lauras ebensolche Schwester Lauras leichtsinniger Vater ...sowie diverse Verehrer Lauras. - Diese Commedia ist für neun Personen konzipiert, wobei die Rollen der Eltern der Braut und die Rolle der Schwester Minirollen sind. Einige der erst später auftretenden Spieler sollten in der Anfangsszene auch als Verehrer Lauras agieren. ORT / DEKORATION / REQUISITEN: Marktplatz, an den, wie aus dem Spiel hervorgeht, offensichtlich das Elternhaus Donna Lauras mit seinem Vorhof grenzt. SPIELALTER: Erwachsene und Jugendliche (Erfahrung notwendig). Das Spiel wird zur Aufführung durch eine feste Spielgruppe, sowie für anspruchsvolle Theatergruppen empfohlen. SPIELDAUER: ca. 15 Minuten

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Das Spiel Vorspiel Donna Laura soll an diesem Tag mit Pantalone verheiratet werden. Von den Protagonisten ist noch niemand zu sehen. Stattdessen tritt ein Verehrer auf, der sich mit oder ohne Lauten-Attrappe im Profil auf der Bühne postiert, so dass er unter einem seitlich angenommenen fiktiven Balkon oder Fenster eine gute Position für ein Ständchen an Laura hat. Doch bevor er zu singen beginnen kann, kommt ein zweiter Verehrer, der sich vor den ersten drängt. In rascher Folge treten noch mindestens zwei weitere auf. Der zuletzt Angekommene nimmt jeweils den Spitzenplatz ein, wodurch die ganze Reihe immer nach hinten gedrängt wird. Endlich kommt niemand mehr. Nun beginnen alle gleichzeitig mit dem Singen. Da jeder ein anderes Liebeslied gewählt hat, hört es sich fürchterlich an. Kein Wunder, dass sich die Besungene nicht blicken lässt. An ihrer Stelle erscheint ihr Vater, um die ungebetenen Gäste zu verscheuchen. Dabei kippt die ganze Gesellschaft nach hinten um – wie Dominosteine. Eilends machen sich die Verehrer allesamt davon. Zu spät, um einen Blick auf Laura zu erhaschen, die in dem Augenblick, in dem sich ihr Vater zurückzieht, verzweifelt mit einem Schleier in der Hand heraustritt und einen Monolog hält.

Solo für ein entflammtes Herz Laura: (im Ton zwischen Leidenschaft, Verzweiflung und einer Prise Ironie changierend, mit großen opernhaften Gesten das Gesagte ausagierend) Nein, ich will diesen Schleier nicht tragen. Das ist kein Schleier, das ist ein Netz. Das Netz einer klebrigen, hässlichen, gierigen Spinne. Nein, kein Netz, ein Käfig. Und heute soll sich die Käfigtür schließen – für immer! Und ich kann dann nur noch meine sehnsuchtsvollen Augen auf die Reise schicken, auf die verzweifelte Suche nach ihm... Ach, warum musste ich ihm begegnen? Warum ausgerechnet heute Morgen? Ausgerechnet an dem Tag, der mich dem ungeliebten Manne vermählen soll? Ein paar Tage früher, und das Schicksal hätte sich noch abwenden lassen. Auf ihn hatte ich gewartet, nur auf ihn. Warum kam er so spät – zu spät! Nie zuvor stand mein Herz in Flammen. So viele auch versuchten es anzuzünden. Es blieb ruhig, flimmerte nie. Erst heute Morgen, als sein Auge einen Funken hineinwarf, da loderte es auf, und ward ein Scheiterhaufen, der mir alles verbrannte, was ich war, oder zu sein glaubte. Grausames Schicksal! Nur zum Hohn, scheint es, wurde er mir gesendet. Nur, um mir den Schritt, den ich ohnehin nur gezwungen tue, unendlich schwer, ja unmöglich zu machen. Pantalone heiraten und den andern lieben? Funkelnd lieben, flackernd lieben, glühend verzehrend schwelend lieben, knisternd helllodernd quälend lieben! Und mit dieser Feuersbrunst im Herzen sollte ich neben Pantalone liegen können? Seinen schlechten Atem, seine feuchtkalten Hände, seine hervorquellenden Augen, seine gierigen Worte, seinen sabbernden Mund, seine widerlichen Gebärden auch nur ertragen können? Nein – lieber wähle ich den Tod als ... (sieht Pantalone von ferne kommen) ...den da! (Laura flieht ins Haus. Der soeben in ihrem Monolog ausgiebig beschriebene Pantalone nimmt wie seine musikalischen Vorgänger mit einer verstimmten Laute die Ständchen-Position ein und singt mit quäkender Stimme – viel schrecklicher als vorher alle zusammen.) Pantalones Lied

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Die Wiederholungen des a - Vokals in den jeweils ersten drei Zeilen jeder Strophe sind besonders wirkungsvoll, wenn auch der Ton wiederholt wird, so als bliebe eine Schallplatte stecken... Pantalone: O Laurala-a-a-a-a-a-ain, mein Edelsta-a-a-a-a-a-ain, hör wie im Ha-a-a-a-a-a-ain mein Stimm klingt fein. Dein Mund so kla-a-a-a-a-a-ain, dein süßes Ba- a-a-a-a-a-ain, du Rippe ma- a-a-a-a-a-ain, du Herzilein. Mein Hasila- a-a-a-a-a-ain, mein Rehela- a-a-a-a-a-ain, mein Mäusela- a-a-a-a-a-ain, bald beiß ich rein... Bald wird es sa- a-a-a-a-a-ain, dass mein und da- a-a-a-a-a-ain und dein und ma- a-a-a-a-a-ain vereinet sein! Laura? Hat dir mein Lied gefallen? Ich will noch öfters für dich singen. Naja, zumindest am Anfang. Zeig‘ dich doch mein Täubchen! ... Nichts zu sehen. Sie wird sich fertig machen zur Hochzeit. Vielleicht steht sie gerade im Unterrock da? Schnell ins Haus, vielleicht gibt es da schon mal einen Vorgeschmack auf mein knuspriges Bräutchen-Brätchen... (Pantalone verschwindet im Haus, aus dem kurz danach Colombina herausstürzt, die von Laura verfolgt wird.)

Weibliche Solidarität Laura versucht während des folgenden Dialogs verzweifelt, Colombina ein Fläschchen abzujagen, doch diese weicht ihr geschickt immer wieder aus, bis Laura endlich aufgibt. Colombina: Nein Herrin, ich werde euch die Phiole mit dem Rattengift nicht wiedergeben. Was fällt euch ein? Euer junges Leben wollt Ihr fortwerfen, noch ehe Ihr geworfen habt? Das wäre kein guter Wurf, vielmehr etwas höchst Verwerfliches! Und dann noch wegen Liebeskummer! Herrin, das ist doch wirklich kein Grund um zugrunde zu gehen. - Glaubt mir, ich habe das bestimmt schon zwanzigmal mitgemacht und ich lebe immer noch – und wie! Freilich, wenn man, wie Ihr, den Vergleich nicht hat, dann mag es einem schon einfallen, das Objekt der Begierde mindestens für einen Halbgott zu halten. Aber, ich sag Euch, die Männer sind doch alle recht ähnlich. Zumindest in den wesentlichen Merkmalen. Und der Rest fällt kaum ins Gewicht... Laura: (sehr entrüstet) Schluss jetzt! Wie kannst du es nur wagen, meinen Geliebten mit solchen Reden zu besudeln? Er ist nicht wie die Männer, die du kennst. Er ist einzigartig, er ist ein Juwel neben all den ungeschliffnen Kieselsteinen mit denen du dich umgibst. Noch ein Wort dieser Art – und du kannst dir dein Brot woanders verdienen. Colombina: Verzeiht, Herrin, ich sehe nun, dass Euch Eure Liebe wirklich das Leben bedeutet und ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, um Euch zu helfen. Laura: Ach, ich glaube nicht, dass du mir helfen kannst.

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Colombina: Hat Colombina Euch je im Stich gelassen? He? Laura: In diesem Fall gibt es keine Lösung. Colombina: Was wetten wir, dass doch? Laura: Mein rotes Kleid mit den goldenen gestickten Rosen... Colombina: Gegen meinen nächsten Lohn! Beide: Die Wette gilt! (In diesem Augenblick treten Cesario und Arlecchino aus der Richtung des Marktplatzes auf. Cesario und Laura entdecken einander, der Blitz des freudigen Wiedererkennens schlägt sichtbar ein. Aber auch Colombina und Arlecchino beschleicht so ein Gefühl, dass sie einander nicht so ganz fremd sind.) Colombina: (zu Laura) Ist er das? (In diesem Augenblick ertönt aus dem Innern des Hauses die Stimme von Lauras Mutter:) Mutter: Laura! Colombina! Wo seid ihr? Soll die Hochzeit ohne euch stattfinden? Laura: (hauchend) Ja! (Während Laura ihren Blick bis zuletzt bei Cesario lässt, verschwindet sie widerstrebend mit Colombina im Haus.)

Männergespräche Cesario: Oh Arlecchino, ist das nicht ein Traum von einem Weib? Arlecchino: Welche meint Ihr? Die, die mir bekannt vorkam – ist das Eure Bekannte? Dann ist es ein Leichtes, die Sache in Gang zu bringen, denn dieses junge Ding ist sehr zugänglich. Habt Ihr hingegen Gefallen an der anderen gefunden, wird es Euch eine Menge an Gefälligkeiten kosten, bevor Ihr von Ihr kosten dürft. Da dürft Ihr Euch ganz schön ins Zeug legen, bevor Ihr Euch zu ihr legen und Eure Zeugungsfähigkeit an Ihr beweisen dürft... Cesario: Pfui, Arlecchino, du wagst es, meine Angebetete mit deinen unsauberen Gedanken zu beschmutzen? Gleich kannst du dich nach einem anderen Herrn umsehen! Arlecchino: Oh Herr, nichts für ungut. Ich sehe nun klar, dass Eure Geliebte Euch wirklich das Leben bedeutet. Und um Euch nach der Unstimmigkeit wieder versöhnlicher zu stimmen, will ich Euch sogar mit lauter Stimme zustimmen, wenn Ihr mit Bestimmtheit behauptet, Ihr seid füreinander bestimmt. Cesario: Stimmt ja auch. Arlecchino: Nun gut. Doch wollen wir über solchen Wortspielen nicht die Zeit versäumen, sonst läuft uns dieselbe noch davon und die Braut ins falsche Bett – und Eures bleibt leer. Wie mein Geldbeutel, Herr... (Arlecchino hält die Hand herausfordernd vor seinen Herrn hin – zunächst in Hüfthöhe.) Cesario: Soll das eine Forderung sein? 31

Arlecchino: Nennt es lieber eine deutliche Andeutung... (die Hand geht eine Etage höher) ...ein sinnvolles Ansinnen... (noch ein Stück höher) ...eine verbitterte Bitte... (jetzt hat die Hand Arlecchinos etwa Schulterhöhe erreicht, wodurch sie nicht mehr zu übersehen ist) Cesario: Genug. Wie viel? Arlecchino: Das steht in Eurem Ermessen, wie viel Euch angemessen erscheint angesichts eines solch ansehnlichen Schatzes! Cesario: Dieser Beutel mit Gold wird dich – hoff ich – zufrieden stellen. Doch glaub ich kaum, dass du ihn dir verdienen wirst, denn die Sache scheint aussichtslos. Arlecchino: Das werden wir schon sehen. Schaut Ihr nur einstweilen, dass Ihr gut ausseht, wenn Eure Dame Eurer ansichtig wird. Cesario: Was meinst du? Arlecchino: Dass Ihr Euer bestes Gewand anziehen sollt, denn heute ist Euer Hochzeitstag! Cesario: Du willst mich auf den Arm nehmen. Arlecchino: Nein Herr, ich nehme Euch ins Gebet, obwohl ich alles andere als fromm bin. Zieht Euch an, wie es sich für einen Bräutigam geziemt, und zwar ziemlich schnell, sonst läuten die Hochzeitsglocken doch noch für den falschen Mann. Cesario: Du meinst wirklich? Arlecchino: Worauf wartet Ihr noch? Cesario: Ich bin sofort wieder da. (ab)

Wir erkennen uns an... Arlecchino bleibt erwartungsvoll auf der Bühne, und richtig: die Erwartung trügt nicht, Colombina erscheint. Beide nähern sich einander zunächst sehr langsam mit prüfenden Blicken. Aber je sicherer sie werden, dass sie sich schon mal recht gut kannten, umso mehr beschleunigen sich Bewegung und Sprache, so dass die Annäherung schließlich in eine heftige Umarmung mündet. Colombina: Wenn mich nicht alles täuscht... Arlecchino: Wenn ich mich recht erinnere... Colombina: ...dann sind wir uns schon mal... Arlecchino: ...dann hatten wir schon mal... Colombina: ...über den Weg und in die Arme gelaufen! Arlecchino: ...das Vergnügen! Colombina: Du bist der...

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Arlecchino: Du bist die... Colombina: ...mit der schmetterlingsförmigen Tätowierung auf der linken Pobacke! Arlecchino: ...mit dem doppelten Leberfleck auf der rechten Brust! (An dieser Stelle erstickt der Dialog in deftigen Umarmungen und Küssen.) Arlecchino: (wieder Atem schöpfend) Lang ist’s her! Colombina: Fünf Jahre mindestens, du bist urplötzlich verschwunden. Arlecchino: Einem jungen Herrn, der gerade auf der Durchreise war, fiel ein, mich in seinen Dienst zu nehmen, und... Colombina: ...dieser junge Herr ist nun wieder zurückgekommen und hat sich... Arlecchino: ...unsterblich in deine Herrin verliebt. Colombina: Unsterblich, aber unglücklich, denn ausgerechnet heute soll sie Herrn Pantalone heiraten. Arlecchino: Das haben wir inzwischen auch schon gehört. Will sie ihn denn? Colombina: Natürlich nicht! Arlecchino: Warum tut sie’s dann? Colombina: Weil sie muss! (Arlecchino versteht das falsch und deutet mit den Händen einen schwangeren Bauch an.) Nein, nicht deswegen. Ihre Eltern haben das eingefädelt. Denn Pantalone ist nicht nur der reichste Mann in der Stadt, sondern auch der wichtigste Gläubiger von Lauras Vater, der leider völlig über seine Verhältnisse gelebt hat. Wenn Pantalone Lauras Hand erhält, ist er bereit, auf die Eintreibung der Schulden zu verzichten, ja, einen neuen Kredit zu gewähren. So hat Laura in diese Ehe eingewilligt, die sie zugrunde richten wird. Arlecchino: Wenn wir das nicht verhindern. Colombina: Dann wollen wir beide mal wieder dasselbe! Arlecchino: Eine reizvolle Gelegenheit, dem alten Geldsack zu beweisen, dass man sich nicht alles kaufen kann - ... und ...dabei auch noch eine alte Rechnung zu begleichen! Colombina: Du kennst Pantalone? Arlecchino: Und wie! Ich war kurze Zeit bei ihm im Dienst. Nie hatte ich einen geizigeren Herrn. Ich bin fast verhungert bei ihm. Und als ich mich beschwerte, warf er mich hinaus und blieb mir den Lohn schuldig für drei Monate! Colombina: So ein Schuft!

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Arlecchino: Und keine Frau war vor ihm sicher! (Arlecchino spielt Pantalone und führt an Colombina vor, wie dieser gierig Frauen begrapscht.) Colombina: Iiiiih! Und ausgerechnet der soll meine Herrin bekommen? Niemals! Arlecchino: (nachdenklich) Was kann so einen Mann von der Heirat mit einer derart schönen Frau abhalten? Colombina: (spontan) Zwei oder mehr Frauen... und eine ganze Menge Geld. Arlecchino: Richtig! (Sie schauen einander an und man sieht, wie es in beiden Gehirnen fieberhaft arbeitet. Plötzlich kommt es bei beiden gleichzeitig zu einem Aha-Erlebnis, das wie ein Blitz einschlägt.) Colombina: Denken wir dasselbe? Arlecchino: Kann sein! (Sie tuscheln miteinander, man hört Gelächter und dazwischen ein paar einzelne laute Worte „Gold! ... Sultan! ... Schiff!“ Colombina beginnt schließlich einen Bauchtanz um Arlecchino herum und Arlecchino spielt einen vor Geilheit sabbernden Pantalone, der immer wieder nach ihr hascht, was sie mit lustvollem Gekreische beantwortet.) Colombina: Mein Gebieter! Arlecchino: Und bei Gelegenheit dürfte ich mich wieder einmal vom Zustand des doppelten Leberflecks überzeugen? Colombina: Wenn du willst... doppelt und dreifach! (Fast beginnen sie, ihre eigentliche Mission zu vergessen. Da beginnt eine festliche Musik mit Trommeln und Flöten.) Um Himmels willen, der Hochzeitszug! Und wir sind noch nicht verkleidet! Arlecchino: Dann aber los!

Im Trauerzug zur Trauung Die Hochzeitsgesellschaft tritt auf und schreitet in einem weiten Bogen langsam Richtung Kirche. Allen voran marschiert Capitano, um Platz für die Gesellschaft zu schaffen. Hinter Pantalone und der passiven Widerstand leistenden Laura, die immer wieder stehen bleibt, und dadurch den Zug bremst, geht Lauras Vater und dahinter in einigem Abstand die Mutter und die Schwester. Der Vater sehr stolz, die Mutter bekümmert, die Schwester in solidarischer Trauer. Capitano: Platz da! Macht Platz! Für Pantalone und seine Braut! Das edle Traumpaar! Mutter: Ach mein armes Kind! Wie ein Lämmchen, das zur Schlachtbank geführt wird! Schwester: Lieber ins Kloster als so einen nehmen müssen.

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Vater: Hättet ihr nicht so hohe Ansprüche gestellt, wären wir heute nicht pleite. Mutter: Ach ja, ich bin an allem schuld, ja? Ich, immer wieder ich! Vater: Wer denn sonst? (Cesario ist von der Marktplatzseite her aufgetreten und sieht den Hochzeitszug.) Cesario: Wo bleibt Arlecchino? Der Kerl hat mich versetzt. Jetzt ist alles aus! (Laura entdeckt Cesario. Sie können ihre Blicke nicht mehr voneinander wenden. Capitano entdeckt das und versucht, sich wie ein Vorhang zwischen beide zu stellen. Cesario muss daher immer wieder seine Position verändern, um Laura sehen zu können.) Capitano: He! Was fällt Euch ein? Die Braut meines Herrn ist keine Beute für Eure Augen! He! Ich habe zwanzig Riesenschlangen mit bloßer Hand erwürgt und werde Eure Blicke zu bändigen wissen! (Pantalone fällt es ein, seiner Frau noch eine Lektion beizubringen, er bleibt stehen, und zwingt auch Laura dazu, wodurch der ganze Zug wieder gebremst wird. Laura tut nur so, als würde sie zuhören, sie sucht aber den Blick Cesarios.) Pantalone: Und am Morgen wirst du mir als Erstes die Füße küssen, nackt vor mir niederknien und sagen: Danke Pantalone, dass du mich vor Schande bewahrst, und mir ein Heim gibst. Tu mit mir, was du willst! – Hast du dir das gemerkt, meine Taube, meine Haubenlerche, meine Singdrossel? Hast du dir das gemerkt? (da Laura nicht reagiert, wird er lauter) Ob du dir’s gemerkt hast? Laura: (zerstreut) Ja. Pantalone: Dann sprich es nach! Laura: Ich werde die Taube küssen und die Haube erdrosseln und sagen: Danke Hände, dass ihr mich vor Pantalone bewahrt und mich tun lasst, was ich will. Pantalone: Nein! Falsch! Völlig falsch! Oh was bin ich gestraft mit so einer dummen Frau! Also nochmal: Am Morgen wirst du mir die Füße... (Leise aber eindringlich redet er weiter, während sich nun wieder ein Nebenschauplatz in den Vordergrund drängt:) Capitano: (zu Cesario) He! Hab ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt woanders hingucken? Ich warne Euch! Legt Euch nicht mit mir an! Ich bin stark! So stark, dass ich gezwungen bin, meinen Wein nur noch aus Fässern zu trinken, da ich jeden Becher, den ich in meine Hand nehme, zermalme! (Als Orientale verkleidet tritt Arlecchino auf, etwas von ihm entfernt hält sich Colombina auf, auch diese hat sich verändert, sie trägt grobe Kleidung und hat sich dick ausgepolstert.) Cesario: Da ist Arlecchino. Endlich. Wie sieht der denn aus? Und was führt er im Schilde? Arlecchino: (pflanzt sich vor Pantalone auf) Gnädiger Herr, auf ein Wort. Pantalone: Keine Zeit heute, ich muss heiraten. Arlecchino: Gnädiger Herr, es ist wichtig, der Sultan.

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Pantalone: Was kümmert mich euer Sultan, ich bekomme heute ein schnuckeliges Frauchen... Arlecchino: Ihr solltet wirklich... Pantalone: Ja, ich sollte mich wirklich freuen, über meinen guten Fang! Arlecchino: Nein, wenigstens einen Augenblick solltet Ihr zuhören, es geht um viel Geld! Pantalone: Geld? (Das Zauberwort hat die gewünschte Wirkung. Pantalone wird aufmerksam. In diesem Augenblick entdeckt aber auch Capitano den Arlecchino und versucht, diesen von seinem Herrn wegzudrängen.) Capitano: He! Belästigt meinen Herrn nicht, Ihr wisst nicht, wie stark ich bin, ich bin so stark... Pantalone: Lass ihn, Capitano. Pass mir lieber auf mein Bräutchen auf. (Capitano gehorcht und bewacht nun Laura auf sehr penetrante Art und Weise, während Pantalone Arlecchino beiseite zieht.) Um viel Geld geht es, sagt Ihr? Arlecchino: Ja, lest selbst! (Er händigt Pantalone eine Schriftrolle aus, die dieser atemlos liest, während die Hochzeitsgesellschaft, irritiert über diese Unterbrechung, zum Teil ungeduldig, zum Teil aber auch mit einiger Hoffnung auf gute Nachrichten, wartet.) Pantalone: (liest) Vermächtnis! ...Hiermit tut der Unterzeichnende seinen letzten Willen kund. Da mir das Schicksal keinen Sohn schenkte, sollen nach meinem Tod alle meine Häuser, meine Geld- und Goldwerte, und sämtliche Frauen meines Harems an Pantalone, den Sohn meines alten Geschäftsfreundes Leonardo Collagiorgio, fallen... (bricht die Lektüre ab und denkt einen Augenblick nach) Ich wusste gar nicht, dass Papa, Gott hab ihn selig... Vater: Was ist denn los? Warum geht es nicht weiter? Arlecchino: Lest doch noch den Rest! Pantalone: (liest weiter) Dies gilt jedoch nur, wenn oben Genannter sich unverzüglich nach Aushändigung dieses Testamentes auf das am Ufer des Mühlbaches (je nach Spielort ist hier ein lokales fließendes Gewässer zu nennen. Je kleiner dieses ist, umso besser!) für ihn bereitstehende Schiff begibt, in meine Heimat fährt und sein Erbe antritt. Mutter: Noch einen Augenblick Aufschub für mein armes Kind! Pantalone: Möge Allah ihn segnen und ihm viele Nachkommen schenken! Schwester: Vielleicht kann sie ihrem grausigen Schicksal doch noch entrinnen. Pantalone: Gezeichnet: Sultan Daud Ibn Ben Sari Ben Alef Ben Mohammed Ben Abraham...und so weiter... (bricht die Genealogie an dieser Stelle ab, sonst würde die Commedia zu lange dauern...) Arlecchino: So, nun könnt Ihr beruhigt in die Kirche gehen. Pantalone: Was? Kirche? Die Hochzeit kann warten. Oder ...besser noch... was will ich mit einer Frau, wenn ein ganzer Harem auf mich 36

wartet? Das machen wir ganz anders! Capitano, gefällt dir mein Bräutchen? Capitano: Ja, Herr! Pantalone: Du kannst sie haben, mitsamt ihrer Mitgift! (leise beiseite:) Lauter Schulden, hähä! Capitano: Wie - ich sie? Pantalone: Geh nur mit ihr in die Kirche. Ich muss nach Sultanien. Wenn ich von meiner Reise wiederkomme, darf ich auch mal, ja? Capitano: Oh ja, Herr, freilich. Vielen Dank auch. Und habt nur keine Eile... (Pantalone schickt sich an, davon zu gehen. Capitano versucht aufdringlich, sich an Laura heranzumachen, die wird von Mutter und Schwester beschützt, während der Vater Pantalone aufzuhalten versucht.) Vater: Pantalone, wo wollt Ihr hin? Pantalone: Dringende Geschäfte, tut mir leid... Vater: Und die Hochzeit? Pantalone: Keine Sorge, die findet statt, wenn auch mit einem anderen Bräutigam. (zeigt auf Capitano) Tschüß mein Täubchen, du bekommst einen starken Mann! (Pantalone ist bereits halb verschwunden, als Lauras Vater ihm nochmals nachrennt.) Vater: Und meine Schulden? Pantalone: Hmmm... die erlass ich euch trotzdem, ausnahmsweise... hier der Schuldschein... aber jetzt haltet mich nicht länger auf. (geht ab) Vater: Besten Dank, Pantalone, und gute Reise! (zu den anderen) Worauf wartet ihr noch? Rasch in die Kirche zu Lauras und Capitanos Hochzeit! Laura: Nein! Vater: Du tust was ich sage! Schwester: Wie? Diesen Herkules-Verschnitt soll sie heiraten? Mutter: Ach, mein armes Kind! (Don Cesario hat im allgemeinen Gewusel Arlecchino gefunden und knöpft ihn sich vor.) Cesario: Arlecchino! Soll das das Ergebnis deiner genialen Ideen sein? Das ist ja noch viel schlimmer als vorher! Ach, warum hast du mir nur Hoffnung gemacht... Arlecchino: Keine Sorge Herr, wir haben ja noch einen Trumpf im Spiel! Seht nur dorthin, ich glaube, Colombina hat sich gerade etwas einfallen lassen. (Tatsächlich rüstet sich eine geistesgegenwärtige Colombina zu einem heftigen Angriff.) Capitano: Mein Bräutchen, du bekommst einen starken Mann! Ich bin so stark, dass ich...

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Colombina: (stürzt sich mit Verve auf Capitano) Oh du Nichtsnutz, du Hallodri, du Schlawiner, du treuloses Mannsbild! Hier finde ich dich, hier, im Begriff eine neue Ehe einzugehen, während daheim fünf Kinder sich die Augen nach dir ausweinen, und das sechste unterwegs ist – hier! (sie streckt ihren Bauch demonstrativ vor) Wie kannst du nur so herzlos sein! Wochenlang treibst du dich herum, deine hungrigen Kinder schreien und du wagst es... Capitano: Meine Dame, ich glaube, hier liegt eine Verwechslung vor, ich kenne euch garnicht... Colombina: Das ist ja die Höhe! Ich werde doch meinen eigenen Mann wieder erkennen, mit dem ich fünf Kinder habe, und das sechste ist unterwegs - hier! Capitano: Wirklich... ich habe euch noch nie... Colombina: Ja, in letzter Zeit hat freilich dein Fuß kaum einmal das Haus betreten und die fünf Kinder wissen schon kaum mehr, wie ihr Vater aussieht. Trotzdem, du treuvergessenes herzloses Mannsbild, werde ich dir noch einmal verzeihen, wenn du nun sofort mit mir mitkommst... Capitano: Ich glaube, ich geh lieber... Colombina: Ja, komm endlich mit, wische deinen weinenden Kindern die Tränen ab. Wird’s bald? Capitano: (während er sich von ihr von der Bühne zerren lässt) Ich möchte noch darauf hinweisen, dass meine Nachgiebigkeit keine Zustimmung bedeutet, sondern ein Sich-Beugen vor einer höheren Macht. Auch ein Held verlässt das Feld, wenn der Kampf aussichtslos geworden ist. Das heißt nicht Feigheit, sondern Vernunft. (Colombina hat Capitano aus dem Verkehr gezogen, die Hochzeitsgesellschaft schwankt zwischen Erleichterung und Ratlosigkeit. Laura sucht den Blick Cesarios. Da dieser keine Anstalten macht, zu handeln, entschließt sie sich zu einer großen Szene, sie tritt an die Rampe.) Laura: Ach ich arme, unglückliche, verlassene Braut! Nun soll ich heute heiraten. Der Pfarrer steht bereit, die Orgel spielt, die Gäste warten. Aber schon der zweite Bräutigam hat sich aus dem Staub gemacht. Ach ich arme, unglückliche, verlassene Braut! Wer heiratet mich jetzt? Denn ich muss doch heiraten, um meiner Ehre willen! Gibt es denn niemanden, der sich meiner erbarmt? (Arlecchino schiebt Cesario, der sich noch nicht so recht traut, nach vorne.) Sie? Wären Sie vielleicht so frei? Cesario: Schnell sag ich ja, bevor’s ein anderer tut. (bietet ihr seinen Arm) Mutter: Ach, mein Kind, jetzt hat sie doch noch einen schönen Bräutigam. Schwester: Ob ich mir den mal ausleihen kann? Vater: Hoffentlich hat er Geld. Arlecchino: Und hoffentlich denkt er an sein Versprechen. (Der Hochzeitszug bewegt sich jetzt endlich wieder vorwärts Richtung Kirche. Plötzlich stoppen Cesario und Laura, sehen sich verdutzt an und fragen einander gleichzeitig:)

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Beide: Wie heißt du eigentlich? (Die Gesellschaft erstarrt zum Bild.)

- Ende -

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Der zündende Funke oder: Commedia nach einer alten Sage vom Freiherrn von Pleytenstein, in der dieser behufs eines Pakts mit dem Leibhaftigen sein Gut aus erbarmungswürdigem Zustande zu erneuter Florierung brachte, infolgedessen er der ewigen Seelenverdammnis anheim fiel, aus der er jedoch durch einen glücklichen Einfall seiner Ehegemahlin errettet ward.

PERSONEN: Euro von Pleytenstein, ein zunächst verarmter Adliger Luitgard von Pleytenstein, seine gewitzte Gemahlin Der Leibhaftige, immer auf der Jagd nach Seelen Diabolina, seine Gehilfin, zunächst auch Sängerin des Prologs ORT / DEKORATION / REQUISITEN: Optimal wäre es, im Hintergrund eine gerade mannshohe Abgrenzung zu haben, um wie von „Geisterhand“ Gegenstände auftauchen zu lassen. Ein paar Requisiten sind außerdem nötig (siehe Spieltext). In dieser Commedia wurde dabei bewusst mit Anachronismen gearbeitet, die zur historisierenden Grundanlage in einem lustvollen Spannungsverhältnis stehen. So ist eine „SeelenPolaroid-Kamera“ vorgesehen, und Einmachgläser mit eingeweckten Herzen. Unverzichtbar ist ein Schmuckkästchen und für das Finale eine Fackel, nebst einem wassergefüllten Eimer. Bei dem Teufelskostüm ist ein etwa zwei Meter langer Schwanz zu empfehlen, der mal um den Körper gewickelt, mal zu voller Länge entfaltet vielseitige Spielmöglichkeiten bietet. SPIELALTER: Erwachsene und Jugendliche (Erfahrung notwendig). Das Spiel wird zur Aufführung durch eine feste Spielgruppe, sowie für anspruchsvolle Theatergruppen empfohlen. SPIELDAUER: ca. 20 Minuten

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Das Spiel

Die Darstellerin der Diabolina betritt die Bühne. Sie trägt – da sie zunächst vorgibt eine Bettlerin zu sein - ein unansehnliches Tuch, und ein weites schmuddeliges Gewand. Sie hat einen Korb mit allerlei verdeckten Gegenständen dabei. Sie stellt ihn ab und sich an die Rampe. Sie singt: Diabolina: Es war ein Freiherr von Pleytenstein, der hatte stets Erbarmen mit jedem, so ein Gebrechen hat, besonders mit den Armen. Er hat von seinen reichen Gütern freiherrlich ausgeteilet, bis ihm sein Geldsack wurde krank und nunmehr nimmer heilet. Er merkte viele Monde nicht, was er schon alles verlor, bis seiner Gemahlin Namenstag stund einst von neuem bevor. Er hatte bloß zwei Taler noch, um ihr etwas zu schenken. Das gab dem Freiherr von Pleytenstein denn doch ein wenig zu denken. (Sie verbeugt sich und zieht sich zu einer Seite zurück, während von der anderen Seite her Euro auftritt, in kläglicher Stimmung.)

Die Bettlerin Euro: Was mache ich nur? Die inflationäre Entwicklung hat die Preise derart steigen lassen, dass für die zwei Taler, die ich noch besitze, praktisch nichts Repräsentatives mehr zu erwerben ist. Den ganzen Nachmittag bin ich schon auf Schusters Rappen unterwegs, weil ich meine Pferde bereits vor einiger Zeit versilbern musste. Und in keinem Laden wurde ich fündig. Ich kann doch nicht zu Luitgards Namenstag mit leeren Händen dastehen! Das hat man nun von seiner Barmherzigkeit. Luitgard hat es mir ja schon seit Jahren gepredigt: (imitiert seine Frau:) du hast einfach ein zu weiches Herz, Euro. Wie Wachs schmilzt es, wenn einer dich auch nur sekundenlang mitleidheischend ansieht... Diabolina: (mimt eine gebrechliche Bettlerin) Eine milde Gabe! Habt Erbarmen mit einem vom Leben gezeichneten Weibe. Es soll euer Schaden nicht sein! Euro: Eigentlich sollte ich jetzt bitter auflachen, weil mich meine Erfahrungen eines Besseren belehrt haben. (schließt nach diesem kurzen Ausbruch des Sarkasmus die Augen und handelt von da an wie in Trance) Doch ich verspüre schon wieder im Herzen die Fließbewegung des schmelzenden Wachses. Sie setzt sich in meinen Arm hinein fort und mündet wie von selbst in die Geste des Gebenwollens. Zumindest ein Taler soll der Armen dediziert werden. - Luitgard verzeih mir, ich kann nicht anders! (Er lässt entgegen seiner Absicht seinen ganzen Beutel in die Hand der Bettlerin fallen, die schnell zu Euro hinüber gekrochen ist.) O Gott, was hab ich getan?

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Diabolina: Brav, mein Söhnchen. So viel Gefühl ist bei einem Manne recht selten. Aber es soll diesmal wirklich dein Schaden nicht sein. Ich will dich reich belohnen. Denn siehe, du hast deine Gabe nicht an irgendwen verschleudert, sondern an jemanden, der dir sehr nützen kann! Euro: Was willst du mir schon nützen? Ich brauche dringend ein Geschenk für den Namenstag meiner Gemahlin, und habe dir soeben meine letzte Barschaft übereignet. Diabolina: (verliert von Satz zu Satz mehr von ihrer gebückten Haltung) Ich weiß, was du viel nötiger brauchst als ein Präsent! Euro: Und das wäre? Diabolina: Vitamin B! Euro: Vitamin B? Ich wusste nicht, dass die Alchemisten bereits bis zur Lebensmittelanalyse vorgedrungen sind. Diabolina: Ich meine, dass es dir an Beziehungen zu Leuten mangelt, die deine Geschäfte kräftig ankurbeln können. Denn das mit der Direktvermarktung auf deinem Gutshof hat ja nicht gerade geklappt! Euro: Woher weißt du das? Na, ist ja egal. Auf jeden Fall glaub ich nicht, dass ausgerechnet du solche Beziehungen hast! Diabolina: Na, da täusch dich mal nicht, Söhnchen! (reißt sich die Bettelklamotten vom Leib, was Euro verwirrt und auch ein wenig peinlich berührt mit ansieht. Doch unter den Bettelklamotten kommt ein rotschwarzes Teufelinnengewand zum Vorschein. Dann stellt sich Diabolina an die Rampe und ruft oder singt – den Anfang der Ulrica-Arie aus Verdis Maskenball:) König des Abgrunds zeige dich, dich rufet meine Stimme!!!!

Der Teufelspakt Hinter den Zuschauern erscheint mit einem kraftvollen Grunz-Laut, der sofort alle Köpfe sich umdrehen lässt, der Teufel. Er bahnt sich einen Weg durch die Menge. Euro erkennt, wer da kommt, in ihm kämpft ein leichtes Gefühl des Grauens mit Hoffnung. Er versucht, sich das Grauen wegzureden, aber in der Stimme ist die Furcht nicht zu überhören. Euro: Natürlich sehe ich, dass es der Teufel ist. Aber ich bin ja auch einer, indem man mich mit Fug und Recht als armen Teufel bezeichnen kann. Also könnten wir wohl ganz gute Kompagnons abgeben. Ich bin überzeugt davon, dass der Herr mittels einer Gewinn bringenden Strategie mein Gut Pleytenstein kräftig zum Florieren bringen kann. Auch für das Problem des Namenstagsgeschenks zeichnet sich eine Lösung ab, weshalb ich geneigt bin, den teuflischen Vorschlägen mit einer gewissen Offenheit zu begegnen. (Mitten im letzten Satz Euros hat der Teufel das Podium erreicht, was Euro erschrocken zurückweichen lässt. Diabolina begrüßt den Teufel mit gebührender Unterwürfigkeit, dabei sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt.) Diabolina: Mein Gebieter, verehrte Höllendurchlaucht!!!!

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Teufel: Ich nehme deine Huldigung mit einer gewissen Genugtuung entgegen, weiß ich doch, dass du mich sicher nicht ohne Grund gerufen hast. Diabolina: Wie gut Ihr mich kennt! (zieht Euro, der sich in den Hintergrund verkrochen hat, in die Mitte der Bühne) Seht diesen Sprössling eines traditionsreichen Adelsgeschlechts. Begabt, aber degeneriert - vor allem, was seine Finanzen betrifft - und mit einem gewissen Hang zu übertriebener Herzerweichung. Teufel: Sein Name? (wendet sich dabei an Euro) Euro: Euro, Freiherr von Pleytenstein! (Der Teufel jault auf, halb vor Schmerz angesichts der Nennung dieses Namens, halb aus einem ersten Vorgefühl des Triumphes.) Teufel: Doch nicht etwa aus diesem Geschlecht mit dem ewigen Barmherzigkeitsfimmel? Seit Jahrhunderten schleiche ich um seine Schlösser herum, aber nie war eine dieser saftigen Seelen bereit, ein Satansbraten zu werden. Sollte es endlich so weit sein? Euro: Ja, Eure Höllendurchlaucht, denn mir ist es als Erstem unseres Geschlechts gelungen, die ererbten Güter völlig auf den Hund zu bringen. (Der Teufel jault stärker als vorhin, diesmal nur noch triumphierend.) Teufel: So seid Ihr ohne Umschweife bereit, einen Kontrakt mit mir zu machen? Euro: Wenn Ihr mir nur genug dafür bietet, ja! Teufel: Nun wie wär’s mit der Generalsanierung von Schloss Pleytenstein? (Euro zeigt nur mäßige Begeisterung.) Mit gewinnträchtigen Immobilien inklusive einiger Feriendomizile an den attraktivsten Orten der Welt? (Euro gibt zu erkennen, dass ihn das nicht gerade umhaut) Mit einem Beutel, der nie leer wird? (Euro zuckt nur mit den Schultern, der Teufel wird wütend) Reicht das immer noch nicht? Euro: Ich müsste mich eigentlich geschmeichelt fühlen, dass euch der rote Klumpen in meiner Brust so viel wert ist, doch da es bereits nach Ladenschluss ist, dürfte mir der volle Beutel nichts nützen, um meiner holden Gemahlin ein angemessenes Namenstagsgeschenk überreichen zu können. Sagt, hättet Ihr nichts Passendes? Teufel: Wenn‘s weiter nichts ist! (Auf ein Fingerschnippen des Teufels wird eine prächtige Schatulle herbeigezaubert. Sie kann „von Geisterhänden“ über den Hintergrundprospekt auf die Bühne gereicht werden oder von Diabolina aus dem Korb geholt oder von einem Hilfsteufel (Darstellerin der Luitgard in anderer Kostümierung) gebracht werden. Der Teufel klappt die Schatulle auf, Euro ist fasziniert von dem darin liegenden Schmuck und kann den Blick nicht mehr davon wenden.) Euro: Das ist freilich ein Argument, dem sich schwer widersprechen lässt. Ich bin bereit. Teufel: (klappt die Schatulle kurz wieder zu) Wollt Ihr nicht zunächst meine Bedingungen hören? Euro: Natürlich, obwohl ich mir’s denken kann. Teufel: Lies den Wortlaut, Diabolina!

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(Der Teufel klappt die Schatulle wieder auf. Und Euro heftet seinen Blick sofort wieder auf den Schmuck. Es ist, als wäre er davon hypnotisiert. Der Teufel führt mithilfe der Schatulle Euro, der davon gar nichts zu merken scheint, kreuz und quer, lässt ihn abwechselnd tief gebückt und dann wieder hoch auf Zehenspitzen gehen, während Diabolina den Text des Vertrags vorliest.) Diabolina: „Zwischen der diabolischen Durchlaucht und dem Seelenbesitzer Euro von Pleytenstein wird folgender Kontrakt geschlossen: Die diabolische Durchlaucht verpflichtet sich dazu, dem Seelenbesitzer für die Laufzeit von 20 Jahren zu Diensten zu sein. Dies beinhaltet u.a. die Generalsanierung von Schloss Pleytenstein, die Überlassung gewinnträchtiger Immobilien, die Ausstattung mit einem Beutel, der nie leer wird, sowie ein jährliches Geschenk zum Namenstag der Frau von Pleytenstein. Als Gegenleistung erhält die diabolische Durchlaucht nach Ablauf des Vertrags die Seele des Seelenbesitzers, der dadurch zum Seelenbesitzlosen wird und sich die ewige Unseligkeit erwirbt. Baruthia (hier jeweils den „historisierten“ Namen des Spielortes einsetzen!), am 2. July 1194.“ Teufel: Auch das Kleingedruckte bitte, wir wollen doch mit offenen Karten spielen! (Der Teufel, der Euro mittels des Hypnosespiels gerade in eine sehr eigenartige Stellung gebracht hat, klappt bei dem Stichwort „offene Karten“ die Schatulle für einen Augenblick wieder zu. Euro wird wach, wundert sich über seine Position, doch bevor er reagieren kann, klappt der Teufel die Schatulle wieder auf und die Hypnose durch den Schmuck setzt wieder ein. Der Teufel treibt sein Spiel mit Euro noch einmal, diesmal in einer gesteigerten Form.) Diabolina: „Diesem Schicksal kann sich die Seele weder durch Almosen, noch durch Buße jeglicher Art, ja nicht einmal durch den Eintritt ins Kloster, entziehen. Der Vertrag ist für beide Seiten unwiderruflich und unkündbar und gilt vom Augenblick des Vertragsschlusses an, ohne Gewährung einer Probezeit.“ Teufel: (entzieht das Schmuckstück plötzlich Euros Augen) Na, wollt Ihr es Euch nicht nochmal überlegen? Euro: Nein, sonst müsste ich ja morgen mit leeren Händen vor Luitgard stehen und dann wäre wirklich die Hölle los! Her mit dem Papier! (Der Teufel und Diabolina tauschen einen sehr verblüfften Blick. Als sie sich wieder gefangen haben, gibt der Teufel Diabolina einen Wink.) Teufel: Diabolina, das Spritzbesteck für die Unterschrift. (Diabolina geht in Richtung ihres Korbs, um das Spritzbesteck zu holen, aber Euro wird plötzlich sehr hektisch.) Euro: Ich muss euch vorwarnen – beim Aderlass werde ich immer ohnmächtig! Teufel: (verärgert) Gut, dass Ihr mich über das Risiko des geplanten Eingriffs aufklärt – die Unterschrift mit dem Blut eines Ohnmächtigen wäre auf dem Kontrakt nämlich völlig wertlos! Wir werden auf eine andere Körperflüssigkeit ausweichen müssen. (mustert Euro sehr unverschämt - vor allem an jenen Stellen, die für Sekretion bekannt sind) Euro: Aber bitte nichts Unschickliches! Ich bin durch meine adelige Abstammung besonders zart besaitet.

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Teufel: (mit angewidertem Ausdruck) Trääääänen - sind leider für Pakte mit mir völlig ungeeignet. So werden wir, wenn es dem Herrn konveniert, wohl zur Spucke greifen müssen. Euro: Widerwillig willige ich ein! Teufel: Wie weit könnt Ihr? Euro: Das habe ich noch nie probiert. Teufel: Zwei Meter? Euro: Lieber nur einen. (Auf einen Wink des Teufels hin legt Diabolina den Vertrag auf den Boden - vor den beiden, die frontal zur Rampe stehen. Der Teufel macht Anstalten, ein erstes Spucken vorzubereiten, merkt dabei, dass ihn die Schatulle in der Bewegungsfreiheit stört. Er gibt sie Diabolina zur Verwahrung.) Teufel: (zu Euro) Erst ich, dann Ihr! (Der Teufel macht nun ein großes Spektakel daraus, mit viel Geräusch und Körpereinsatz die Spucke für seine „Unterschrift“ zu sammeln. Er grunzt und schnaubt, er räuspert und windet sich, bis schließlich die – nur imaginierte – Spucke auf dem Papier landet. Dann gibt er Euro ein Zeichen, dass dieser nun an der Reihe ist. Euro spuckt vornehm mit gespitzten Mündchen, was dem Teufel ein mitleidiges Lächeln entlockt.) Nun noch das Duplikat zu Euren Händen. (Diabolina legt flink noch ein Papier auf den Boden. Und das Spuckspiel wiederholt sich. Auf seiten des Teufels noch geräuschvoller und gymnastischer als vorher. Nachdem auch Euro seine zweite „Unterschrift“ geleistet hat, gibt Diabolina dem Teufel und Euro je ein Vertragsexemplar. Der Teufel ist begeistert, beschnüffelt das Papier. Euro dagegen findet das bespuckte Papier eklig und möchte es eigentlich gar nicht berühren. Und eigentlich fehlt ihm noch das Wichtigste...) Euro: Das Geschenk für meine... Teufel: Ach ja, natürlich! (Er gibt Diabolina einen Wink und sie überreicht Euro die Schatulle.) Euro: Kann ich jetzt gehen? Teufel: Einen Augenblick! Ich brauche noch ein Seelenfoto, damit ich nach zwanzig Jahren nicht die falsche hole. Diabolina! Diabolina: (bringt einen eigentümlichen Apparat) Teufel: Und Ihr, von Pleytenstein, würdet Ihr bitte so freundlich sein, Euch um die Seele herum frei zu machen? (Euro versteht nicht, Diabolina leistet Hilfestellung, indem sie Euros Arme nach hinten führt und seine Jacke öffnet. Der Teufel drückt den „Auslöser“, Euro schreit furchtsam auf.) Keine Panik! Ist eine Errungenschaft aus der Zukunft! Völlig unblutig! (Diabolina verlässt den zitternden Euro, holt ihren Korb und geht damit zum Teufel, der aus dem Apparat ein „Foto“ herausgezogen hat, das sich nun offenbar gerade entwickelt. Diabolina verstaut den Apparat im Korb und holt ein leeres Einmachglas heraus. Das Foto ist fertig. Triumphierend jubeln beide und stecken es ins Einmachglas.) Beide: Dann hätten wir schon mal einen Vorgeschmack! 45

(Das Glas kommt in den Korb, aus dem Diabolina nun zwei Einmachgläser mit eingeweckten Herzen herausholt und zwei Salatgabeln. Dann wird der Korb beiseite gestellt. Euro wollte eigentlich längst gehen, doch er ist wie festgebannt und sieht aus dem Hintergrund dem nun folgenden infernalischen Tanz der beiden fasziniert, ungläubig und mit Grauen zu.)

Infernalischer pas de deux Der Teufel und Diabolina spielen nun mit den Herzkonserven und den Salatgabeln, als wär‘s ein Schlagzeug, einen Rhythmus. Dazu skandieren sie die folgenden Verse und tanzen einen verrückten Tanz. Gegen Ende des „Liedes“ verliert sich das Rhythmische, dafür „quälen“ die beiden die Seelen in den Gläsern, indem sie grelle Geräusche mit den Gabeln an den Glaswänden fabrizieren. Beide: Auch deine Seele kommt ins Glas, hast’s Herz an uns verloren. Für uns wird das ein Höllenspaß, wirst ewig darin schmoren. Wie lustig ist es zuzuseh’n, wie all die schönen Seelen sich in uns’ren Einmachgläsern winden, blutig quälen! Die Schmerzensschreie prallen ab an des Glases Wänden. Es hört dich keiner, armes Herz!!! Die Pein wird niemals enden!!! (Infernalisches Gelächter beendet die musikalisch-tänzerische Einlage, Euro wird ohnmächtig, die beiden ziehen wiehernd ab, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.)

Pleytensteins Aufschwung Euro: (erwacht) Wo bin ich? Was war denn? Hab ich geträumt? Ja, ein Alptraum war’s von einem Bettelweib und dem Leibhaftigen höchstpersönlich... (entdeckt die Schmuckschatulle) Huch, was ist das? Sollte es tatsächlich wahr... das gibt’s doch nicht! Ach, was soll’s. Nicht zu viel grübeln, Euro. Hauptsache, du hast dein Präsent für Luitgard. Der Rest ist sekundär. Und nun los, damit du nicht zu spät zum Abendessen kommst, denn sonst wird sie mal wieder fuchsteufelswild!!! (Pleytenstein beginnt pantomimisch zu rennen auf einer Seite der Bühne. Von der anderen Seite schiebt sich Luitgard herein. Es sollte so aussehen, als würde sie auf einer Art Karussell oder einer Drehbühne passiv bewegt. Während sich so die Distanz zwischen Euro und Luitgard langsam verringert, singt diese mit sonorer Stimme à la Zarah Leander.) Luitgard: Ich steh im Regen, und warte auf dich! Auf dich! Auf allen Wegen erwart ich nur dich! Immer nur dich. Der Zeiger der Kirchturmuhr rückt von Strich zu Strich. Sag, wo bleibst du nur? ... (Nun prallen beide fast zusammen und Euro fällt sofort vor Luitgard auf die Knie, wobei er schnell die Schatulle hinter seinem Rücken versteckt.) Euro: Holde, werde nicht unhold. Verzeih die Verspätung – dringende Geschäfte! 46

Luitgard: (höhnisch) Sicher hast du deinem Namen wieder alle Ehre gemacht, Herr von Pleytenstein! Euro: Das würde ich nun nicht gerade sagen, eher im Gegenteil. Luitgard: Und das soll ich dir abnehmen? Ich glaube nur, was ich sehe. Und das ist jämmerlich! Euro: Nun gut. Du hättest es zwar erst morgen bekommen sollen. Aber jetzt kriegst du’s halt schon heute. Hier (er überreicht ihr die Schatulle) ist der Beweis! Luitgard: Das ist ja nicht zu fassen! Euro! Ich dachte, wir wären total pleite! Euro: Du wusstest? Luitgard: Hältst du mich für blind? (zu sich) Ich stehe vor einem Rätsel: die Nummer mit dem Schmuckkästchen ist mir unerklärlich. (wieder zu Euro, misstrauisch) Sag mal, du hattest doch nicht etwa ein heimliches Nummernkonto in der Schweiz? Euro: Frag nicht, Liebste. Genieße einfach! Luitgard: (zu sich) Obwohl ich mich eines gewissen Argwohns nicht erwehren kann... (langsam siegt doch die Begehrlichkeit und sie wendet sich zunächst zaghaft, dann aber mit zunehmender Leidenschaft Euro bzw. dem Schmuck zu) ...fegt doch die neu erwachte Lust am Luxus alle Bedenken hinweg. Es sei! Her mit den Klunkern! (hält sich das Geschmeide ans Dekolletée und fängt dann an, Euro scherzhaft zu untersuchen) Eurolein, Herzensschnuckelchen, hast du vielleicht noch mehr davon versteckt? Euro: Nein, aber sieh nur: unser Schloss! (Eventuell ist wie von Geisterhand ein kostbarer Stoff über den Hintergrundprospekt geworfen worden; wenn das unmöglich ist, kann die wundersame Verwandlung des Schlosses auch nur imaginiert werden.) Luitgard: Oh! Wahnsinn! Hätte nie gedacht, dass sich aus der ramponierten Bruchbude so ein Palast zaubern lässt! Eurolein, Herzensschnuckelchen, zeig mir die Schlafgemächer! (zieht ihn in erotischer Stimmung von der Bühne)

Zwanzig fette Jahre Diabolina, wieder als Bettlerin gekleidet, tritt auf die Bühne und beginnt zu singen. Diabolina: Im Lauf von zwanzig fetten Jahren denkt Euro nicht mehr der Gefahren, die seines Gutes Aufschwung bringt. Drum meine Stimme davon singt. Wie schnell geht doch vorbei die Zeit, des Teufels Zahltag ist nicht weit. Das irdisch selbstvergessne Prassen Muss Euro heute schon verlassen. Sein Leben - wenn er’s auch verdrängt Nur noch am seid’nen Faden hängt.

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Wie schnell geht doch vorbei die Zeit, des Teufels Zahltag ist – schon heut!!!

Das Omen Diabolina: (ruft laut ins Off) Eine milde Gabe! Habt Mitleid mit einem vom Leben gezeichneten Weibe! Euro: (tritt auf, er ist prächtig gekleidet und hat eine sehr stolze, ja arrogante Haltung) Wer wagt es, die erlesene Klangkulisse diese glückseligen Ortes durch des Jammerns penetranten Misston zu beschmutzen? Diabolina: Gebt einem mittellosen Weibe ein paar Brosamen vom Tische des Überflusses! Euro: Hebe dich hinweg, Unverschämte, deine Armut beleidigt mich! Diabolina: (ändert den Ton plötzlich, drängt sich an Euro, er versucht vergeblich, sie abzuschütteln) Nicht so forsch, mein Söhnchen, erkennst du mich nicht mehr? Ein bisschen Dankbarkeit hätte ich schon erwartet, habe ich dir doch vor zwanzig Jahren zu deinem Reichtum verholfen. (berührt ihn an der Herzgegend, er schaudert zusammen) Aber ich sehe, du hast deine Seele schon verloren. Da wird der Meister leichtes Spiel haben, wenn er heute kommt, um seinen Lohn zu kassieren. Ich geh schon mal den Einwecktopf anschüren. Das wird ein Spaß! (geht hohnlachend ab) Euro: Mir schwant etwas... aber es ist nicht Lohengrin, sondern eine bange Ahnung, dass sich lang Verdrängtes rächen könnte. (greift sich an die Brust) Oh, mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen, als wollte es sich in meiner Brust festkrallen. Ja, jetzt verdichtet sich die Angst, und nimmt eine konkrete Gestalt an: (in Panik) der Leibhaftige ist es, der nach zwanzig Jahren meine Seele einkassieren, vielmehr einwecken will. (hochemotional) Ich bin verloren!!!! Luitgard! Geliebtes Ehegemahl! Die Stunde des Abschieds ist nah!!!! - Und außerdem ein umfangreiches Geständnis fällig, (plötzlich aus der Rolle und in einen flotten Moderationston fallend) das ich aber ins Haus verlegen will, um dem Publikum zu ersparen, dass es längst Gesehenes und Gehörtes noch einmal präsentiert bekommt. (nun wieder höchst dramatisch) Leb wohl, Publikum! Leb wohl, Welt! Leb wohl florierendes Pleytenstein! Leb wohl... Luitgard: (aus dem Off) Euro, was redest du da für einen Unsinn? Euro: Ich erkläre es dir gleich! (im Abgehen, mit einem letzten verzweifelten Blick auf die Zuschauer, und einem Schluchzer in der Stimme) Lebt wohl!!!!

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Der zündende Funke Kaum ist Euro verschwunden, kommt Luitgard schon schreiend und gestikulierend, in völliger Auflösung auf die Bühne gestürzt. Luitgard: Aaaaaaaaaahhhhhhh!!!!!!!!!!! Was muss ich hören? Gibt es in diesem Augenblick auf der ganzen Welt eine Frau, die unglücklicher ist als ich? Freilich hab ich ihn schon hundertmal zum Teufel gewünscht – aber, mal ehrlich: welche Frau tut das nicht? Muss das die Hölle denn so wörtlich nehmen? (verzweifelt) Wie kann ich das wieder gutmachen? (weint nochmal kräftig, dann plötzlicher Stimmungsumschwung:) Cool bleiben, Luitgard, cool bleiben. Auch wenn’s schwer fällt in dieser heißen Sache. Du musst strategisch denken und kreativ, lass deine Assoziationen fließen und fordere dein Gehirn auf, ganzheitlich zu arbeiten, damit es die optimale Lösung findet. (begibt sich in eine eindrucksvolle Denkerinnenpose, meditiert einen Augenblick, dann schlägt sichtbar ein Geistesblitz ein) Ich hab’s! Man muss den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen! Also mit Feuer! Schnell eine Fackel besorgt! Na warte, Höllenfürst! Dir werde ich einheizen!!!! (schnell ab)

Furioses Finale Der Teufel bahnt sich durch das Publikum hindurch den Weg zum Schloss Pleytenstein. Er hält das Einmachglas mit der Seelenfotografie vor sich – als wäre es eine Wünschelrute. Das Seelenfoto scheint den Teufel wie ein Magnet in die richtige Richtung zu ziehen. Teufel: Hier muss es sein. Die energetische Strahlung des Seelenfotos fühlt sich von diesem Schloss magisch angezogen, so dass ich sicher sein kann, hier das leibhaftige Spiegelbild zu finden. Euro von Pleytenstein – dein letztes Stündlein hat geschlagen! (hat die Bühne erklommen) Welch tiefe Befriedigung geht doch von dem Gedanken aus, endlich einen Vertreter dieses (mit angewidertem Gesichtsausdruck und Ton:) frömmelnden Geschlechts meiner Sammlung einzuverleiben. In der sich doch sonst... (blickt ins Publikum und erkennt und grüßt freudig alte Bekannte!) ...alles findet, was Rang und Namen hat. Und jetzt endlich: Euro!!!!! Vielleicht ist mir das höllische Glück beschieden, meinen Triumph zu verdoppeln, indem ich Luitgard gleich mit einkassiere? Nach dem, was ich von ihr weiß, (anzüglich) muss sie ganz gut in meine Belegschaft passen! (Im Hintergrund ist während der letzten Sätze Luitgard – vom Teufel unbemerkt - aufgetreten. Sie trägt eine brennende Fackel in der Hand und einen Eimer mit Wasser, den sie in einer Ecke abstellt. Dann nimmt sie eine souveräne Pose ein und beginnt zu sprechen.) Luitgard: Mit diesem flammenden Gruß heiße ich euch auf Schloss Pleytenstein willkommen, fühlt euch bitte wie zu Hause. Teufel: (beiseite) Nicht übel, das Weibchen, offensichtlich verfügt sie über großes Einfühlungsvermögen in meine teuflischen Bedürfnisse! (zu Luitgard:) Ich bin angenehm überrascht, von euch derart feurig begrüßt zu werden, nehme es aber als gutes Omen, dass meine Mission hier besonders erfolgreich sein wird. (beginnt mit Luitgard zu flirten:) Von euch, verehrte Freifrau von Pleytenstein hörte ich bereits manches, was auf eine gewisse Affinität zu mir hindeutete, und ich muss sagen, dass die Realität die Schilderungen noch bei weitem übertrifft! (während dieses Satzes wirft er seinen langen Schwanz, als wäre er eine Angel, in Richtung Luitgard)

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Luitgard: (zu sich selbst) Huch, wird mir heiß, aber das kommt nicht von der Fackel. Die Situation scheint günstig, also ran an den Speck, Luitgard, ermanne dich! (Sie tritt auf den Schwanz des Teufels und balanciert darauf in seine Richtung. Sie gibt vor, nicht zu bemerken, was sie da gerade tut. Der Teufel dagegen windet sich vor Schmerzen, auf der anderen Seite ist aber auch Lust und wachsendes Begehren dabei.) Ich nehme an, dass sich Eure Höllendurchlaucht nicht lange hier aufhalten wollen, sondern dass Ihr in erster Linie unverzüglich die vertraglich vereinbarte Leistung vonseiten meines Gemahls einzufordern gekommen... oh Entschuldigung! (tut, als bemerkte sie jetzt erst, dass sie dem Teufel Schmerzen zufügt und springt von seinem Schwanz herunter) Teufel: (zieht schnell die Schwanzspitze zu sich, um kühlend drauf zu pusten. Sein Ton klingt halb gequält durch die soeben gemachte physische Erfahrung, halb frustriert über den geschäftsmäßigen Ton von Luitgard) Lasst uns in diesem Augenblick nicht von der geschäftlichen Seite meines Besuches reden, Luitgard. Denn das würde für die aufkeimenden Wallungen in meinem Organismus wie eine kalte Dusche wirken – und da bin ich sehr empfindlich! (nach und nach wird er nun immer leidenschaftlicher und rückt Luitgard dabei zunehmend auf die Pelle:) Lasst uns vielmehr den warmen Ton unseres Gesprächs wieder aufnehmen und versuchen, ihn noch um einige Temperaturgrade nach oben zu treiben. Wir haben doch Zeit – Luitgard! Luitgard: Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen, Eure Höllendurchlaucht. Es ist nämlich so, dass mein Gatte noch ein paar Minuten benötigt, um sein Testament zu machen. Er möchte mich gut versorgt wissen. (in sinnlichem Ton:) Ich wäre euch sehr sehr dankbar, wenn Ihr dafür Verständnis hättet! Teufel: (steigt voll darauf ein) Ei freilich! So ein schnuckeliges Weibchen soll seinen Witwenstand schließlich genießen können. Herr von Pleytenstein braucht keine Eile zu haben. Ich denke, uns wird die Zeit derweil ja nicht lang werden... Luitgard: (gibt das lockende Weib) So gestattet Ihr, dass Euro zumindest noch so lange Aufschub hat, bis diese Fackel hier ganz abgebrannt ist? Teufel: (beiseite) Was für hübsche Ideen dieses Weibchen doch hat! (in großer Leidenschaft) Ei freilich, wenn Ihr wollt, auch noch länger! Luitgard: (in einem kecken Ton, als würde sie ihm ein Spiel vorschlagen) Würde Eure Höllendurchlaucht mir das in die Hand versprechen? Teufel: (voll entbrannt und in Vorfreude auf ein besonderes erotisches Abenteuer) In die Hand oder wohinein auch sonst immer, mit meinem großen Höllenehrenwort. Luitgard! Solche Spielchen erhitzen mich vollends. (Luitgard weicht während seiner Worte langsam zurück, der Teufel folgt ihr, dabei steuert sie ihn unmerklich in die Nähe des vorher abgestellten Eimers.) Komm du herrliches Weib, fühle, wie sehr ich für dich brenne!!!!! (Er will sie an sich ziehen, doch sie entwindet sich ihm blitzschnell, löscht die Fackel im Eimer und geht auf möglichst große Distanz. Verblüfft, verständnislos und sprachlos lässt der Teufel zunächst alles geschehen.) Luitgard: Das könnte euch so passen! Leider muss ich Eure Leidenschaft vollends zum Erlöschen bringen, damit Euros Herz weiterhin für mich schlagen kann. Erinnert euch an euer Versprechen: die 50

Fackel ist noch keineswegs abgebrannt und ich werde sie hüten wie meinen Augapfel, dass sie bis zum Sanktnimmerleinstag ja keiner anzündet! So lange habt Ihr Euro Aufschub gewährt. - Na, was sagt Ihr jetzt? (Der Teufel begreift, dass sie ihn gewaltig an der Nase herumgeführt hat. Er wird ungeheuer wütend und will sich auf Luitgard stürzen, doch die bildet schnell aus der Fackel und einem ihrer Arme ein Kreuz, das wie ein imaginäres Schutzschild den Teufel in die Flucht schlägt.) Teufel: (indem er den Rückweg von der Bühne herunter und mitten durchs Publikum antritt) Kjdsxxxxaäöjtäpexxxxuitksdjjaöxxxxfuijöasxxxxxjtöpuöxxxxajtitrtätijdijijijiji!!!!!!!!! Vermaledeites Weibstück!!! Doppelt geprellt!!!! Als Liebhaber und als Geschäftsmann!!!! Ich könnt mich in den Hintern beißen!!!! (versucht es) Ich könnte mich in Stücke reißen (versucht es) In den Hintern beißen!!!! In Stücke reißen!!!!! (in immer schnellerem Tempo, so dass seine Versuche in einen grotesken Veitstanz münden) Luitgard: (hat lachend dem Abgang des Teufels zugesehen und gewartet, bis dieser außer Sichtweite ist) Und nun zu dir, Euro von Pleytenstein!!!! (Der Ton verrät, dass jetzt ihr Gemahl eine Fegefeuerszene zu erwarten hat!!)

- Ende -

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Eyn tüchtig Aufschneyderey Commedia nach einem überlieferten Stoff neu in Szene und Worte gesetzt

PERSONEN: Ein Ansager Ein honoriger Herr Lenz, Diener Hinz, ein Hunger leidendes Subjekt Kunz, ein ebensolches Ein reicher Bürgersmann Seine Gemahlin Die Commedia ist mit fünf Personen spielbar, wobei Ansager, honoriger Herr und Lenz sich idealerweise in einer Person vereinigen, da sonst die beiden erstgenannten Rollen nur winzige Nebenrollen wären. ORT / DEKORATION / REQUISITEN: Diese Commedia benötigt keinerlei Bühnenbild. Denn der Ort der Handlung ist identisch mit dem Spielort: der Markt. SPIELALTER: Erwachsene und Jugendliche (Erfahrung notwendig). Das Spiel wird zur Aufführung durch eine feste Spielgruppe, sowie für anspruchsvolle Theatergruppen empfohlen. SPIELDAUER: ca. 25 Minuten

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Ganz können wir Ihnen diesen Spieltext hier nicht geben. Ist doch klar, oder?! Wenn Sie dieses Stück spielen wollen – rufen Sie uns an: Impuls-Theater-Verlag Tel.: 089 / 859 75 77 Dann besprechen wir alles weitere!

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