Der Lehrgang Einsatz von Lernplattformen im Unterricht Abenteuer oder Volltreffer? Clemens GOTTFRIED

Der Lehrgang „Einsatz von Lernplattformen im Unterricht“ Abenteuer oder Volltreffer? Clemens GOTTFRIED Abstract Die Idee eines eLearning-besessenen T...
Author: Alexandra Beyer
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Der Lehrgang „Einsatz von Lernplattformen im Unterricht“ Abenteuer oder Volltreffer? Clemens GOTTFRIED

Abstract Die Idee eines eLearning-besessenen Teams, Österreichs Lehrer/innen die Verwendung von Lernplattformen im Unterricht schmackhaft zu machen, hatte Erfolg, der in dieser Dimension nicht erwartet wurde. Die im Oktober beginnenden weiteren Durchgänge dieses Lehrgangs waren vierfach überbucht.… Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Österreich und aus allen Schultypen gestalten ein Schuljahr lang unter engagierter Betreuung ihren Unterricht mit den Lernplattformen Moodle und Class Server und experimentieren mit eLearning-Elementen. Das selbst erarbeitete didaktische Konzept wird mit dem Werkzeug einer Lernplattform experimentell umgesetzt und beurteilt, und das nicht etwa in einer geschützten Laborsituation, sondern life im jeweils eigenen Unterricht.

Das Motiv Was treibt Lehrerinnen und Lehrer dazu, sich für einen Lehrgang anzumelden, • der weder ECTS-Punkte noch ein spektakuläres Akademielehrgangszeugnis anbietet und dennoch die Teilnehmerinnen mit (freiwilliger) Arbeit massiv zuschaufelt, • der dem Ministerium durch seine spezifische Struktur, über die noch zu reden sein wird, eine Stange Geld kostet und den jeweiligen Schulstandort mit massiven Supplier- und Reisekosten belastet. Was treibt Lehrer/innen in einen Lehrgang, dessen Ziel es ist, die eigene lieb gewordene Unterrichtspraxis etwa nur abzustauben und aufzupolieren, sondern massiv umzukrempeln, sodass eventuell keine Unterrichtsstunde mehr „über der anderen“ bleibt? Ich extrapoliere von mir als wahrscheinlich stinknormalem Durchschnittslehrer auf eine Mehrheit der anderen Lehrerinnen, und behaupte, dass im Lehrerleben nur dann etwas Spektakuläres geschieht, wenn der Leidensdruck der eigenen Insuffizienz überschwappt. Mein Jahrzehnte langes Lehrerdasein hat immer dann die kräftigsten Impulse erfahren, wenn mich ein Unbehagen mit einer Unterrichtssituation erfasste, und wenn sich mir wieder einmal dieser urmenschliche wienerische Stoßseufzer: "des derf do net wahr sein" aufdrängte, der (wahrscheinlich in sprachlich modifizierter Form) die Menschheit von Pythagoras bis Konrad Zuse, von Archimedes bis Bill Gates, immer zu umwälzenden Erfindungen und Erkenntnissen befähigte. Also: • das Unbehagen in einer Unterrichtssituation, • die Unfähigkeit, Begeisterung oder wenigstens Interesse vermitteln zu können, • die Verzagtheit in einem unbewältigten didaktischen Problem. Das konkrete didaktische Problem, etwa im verspürten Erneuerungszwang überkommener Ausbildungsformen: • Frontalberieselung versus Selbsttätigkeit, • kostenintensive Sozialphasen versus Lernen wann-wie-wo-ich-will, • Vortragshonorare an Experten für einen einmaligen Ohrenkitzel versus Kosten von OnlineUnterlagen, • Lernen/Lehren im Team versus Einzelkämpfertum, • das Internet als Feind versus "Den Bock zum Gärtner machen" Bei unseren Lehrgängen vielleicht: „Des derf do net wahr sein“, dass die Kinder das Internet nur zu dekadenten Kommunikationsformen verwenden (Chat, SMS, LAN-Parties) und dass wir Lehrer es als Feind des Unterrichtsgeschehens ansehen müssen.

Oder positiv formuliert: Der Mut zum Risiko, das gewisse Prickeln, das Nestroysche "Einmal ein verfluchter Kerl sein wollen" ist doch immer in uns, trotz der vom Schulapparat gestutzten Flügel, trotz des Zubetonierens jeglicher Unkrautansätze in unserem Methodengarten durch Paragraphen, Behörden und reale Randbedingungen. Mag sein, dass der Besuch dieses Lehrgangs eine Linderung des einen oder anderen Unbehagens verhieß.

Geschichte Im Jahr 1997 hatte Christian Dorninger den berühmten „Mut zur Lücke“, in diesem Fall den Mut zur „Marktlücke“, die Weiterbildung in allem, was im Unterricht außerhalb der grünen Tafel passiert, zu institutionalisieren. Das war der Beginn der Lehrgänge dieser Struktur: ein Jahr lang intensiver Input, intensive Betreuung und vor allem intensive Eigenarbeit der Teilnehmer/innen. Mit immer wieder an die Jahreszahl angepassten Titeln und Inhalten aus dem breiten Spektrum zunächst von Multimedia, dann von eLearning und einem nur leicht modifizierten Betreuer/innenteam haben bisher 16 Lehrgänge dieser Art stattgefunden. Zwei weitere Lehrgänge haben vorige Woche begonnen.

Aus dem Curriculum Zielgruppe: Lehrende, die in ihrem Unterricht Lernplattformen einsetzen wollen: • Anfänger/innen mit grundlegenden Kenntnissen im Umgang mit Computer und Internet als auch User mit Grundkenntnissen im Bereich eLearning. • AHS- und BHS-Lehrer/innen, auch Lehrer/innen aus den Pflichtschulen aus ganz Österreich sind willkommen.

Zeit und Ort: 2 Vollseminare, 3 ½ tägig im Herbst und Frühjahr (Wien und Zell am See), 2 Gruppentreffen nach Vereinbarung im Ausmaß von je 1 ½ Tagen, dazwischen teletutoriell betreute Onlinephasen festliche Abschlusspräsentation am Schuljahrsende

Bildungsziele: • • • • • • •

Administration – Userverwaltung Contentverwaltung Didaktische Konzepte zum Einsatz von Lernplattformen im Lernprozess Synchrone und asynchrone Kommunikation im Lernprozess Lernplattform als Evaluationshilfe Umsetzung von Bildungsstandards auf Lernplattformen Vergleich unterschiedlicher Lernplattformen

Methode: Projektorientierte Gruppenarbeit mit Impulsvorträgen und Workshops in Präsenz und teletutoriell betreuten Onlinephasen. In den beiden 3 ½ -tägigen Plenarseminaren werden theoretische Grundlagen, Best Practice Beispiele und die Methoden für die Projektphase vermittelt. In der Onlinephase zwischen den beiden Workshops werden kurze und exemplarische Monatsthemen umgesetzt. Zu definierten Zeiten wird von den Betreuer/innen ein neues Forum mit der Aufgabe (inklusive Zeitplan) eröffnet. Die Teilnehmer/innen diskutieren die Aufgabe, erledigen sie und berichten im Forum bzw. in den beiden Gruppentreffen (dazu teilen sich die Teilnehmer/innen in drei Gruppen nach inhaltlichen und auch geographischen Gesichtspunkten). Alle Aufgaben werden von den Teilnehmer/innen dokumentiert und im Seminarportfolio gesammelt. • Erstellung eines didaktischen Konzeptes • Einrichten eines Kurses • Bereitstellen der Unterrichtsmaterialien • Definieren von Aufgaben an die Schüler/innen • Dokumentieren einer Lehrer/innen – Schüler/innen Kommunikation • Evaluation und Sicherung des Lernerfolges • Erstellen und Auswerten von Tests Die Kommunikation und Koordination innerhalb der Gruppe und mit den Gruppenbetreuerinnen erfolgen über ein Lernmanagementsystem (jede Gruppe verwendet eine gemeinsame Plattform, zur Auswahl stehen Class Server und Moodle). Über die Dauer des Lehrganges von Oktober bis Juni ist es erforderlich, dass die Teilnehmer/innen regelmäßig an den Gruppenarbeiten im Rahmen der Onlinephasen mitarbeiten und an den Gruppentreffen teilnehmen.

Zertifikat: Das beim Lehrgang erworbene Zertifikat attestiert den Teilnehmer/innen die besondere Fähigkeit, Lernplattformen am Schulstandort realisieren und im Unterricht didaktisch sinnvoll einsetzen zu können, sowie als Multiplikator (am Schulstandort und schulübergreifend) zu wirken.

Betreuerteam: Claudia DILLER, Clemens GOTTFRIED, Heinz JANKU, Gabriele JAUCK, Andreas RIEPL, Wolfgang SCHARL, Helga SIEBENHOFER, Heinz SLEPCEVIC, Walter WALDNER

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Teilnehmer/innenprofil Wer kommt zu diesem Lehrgang? Zunächst einmal die neugierige Lehrerin/der neugierige Lehrer, bepackt mit Fragen (Sie gehen mit vielen Antworten und noch mehr Fragen …) • Der Netzwerk administrierende Diplomingenieur aus einer Wiener HTL, der seine Maturant/innen auf technisch anspruchsvollem Niveau bei den Diplomarbeiten begleiten will, • der Sozialwissenschaftler und pädagogische Mitarbeiter/innen an einer Schule für Sozialberufe aus Vorarlberg, der sich im Einsatz von Lernplattformen gerade in der berufsbegleitenden Erwachsenenbildung Effizienz verspricht, • junge AHS-Lehrer/innen, die sich mit konventionellen Unterrichtsmethoden nicht abfindet, • Hauptschullehrer/innen aus dem Montafon, die ihren Kindern die Welt ins Herz liefern möchte, • Berufsschullehrer/innen, die für ihr Publikum Großpackungen an Motivation braucht, • Musik-, Geschichte-, Religionslehrer/innen, die an den Entwicklungen der Unterrichtstechnologie nicht vorbeigehen möchte, • Lehrer//innen in einer Krankenpflegeschule • und darunter PC-Anfänger/innen und PC-Expert/innen Was diese Amalgamierung an Schultypen, Regionen, Fächern und technischen Voraussetzungen allein schon an Vielseitigkeit, gegenseitigem Ergänzen und Erweitern des Blickwinkels bringt, ist unbezahlbar. Dabei möchte ich nicht verheimlichen, dass namentlich die technischen Eingangsunterschiede das Arbeitstempo sehr beschneiden können (s.u.)

Zielvorstellung Einsatz von Lernplattformen im Unterricht könnte heißen: Ich wickle meinen gesamten Unterricht über eine elektronische Lernplattform ab: Neben meinen unverzichtbaren Life-Auftritten in der Klasse mit allem Klim-Bim unseres Lehrer/innen-Show-Biz, läuft das Unterrichtsgeschehen über das Internet. Neuer Stoff, Übungsaufgaben, Tests, Benotung, Anleitungen, Hilfestellungen, persönliche verbale und numerische Bewertung, Kommunikation eventuell auch bei außerschulischen Problemen stehen immer und überall zur Verfügung, sei es im Unterrichtsraum, zu Hause oder im Internetcafé, unter dem Schuljahr und in den Ferien, Lernprozesse können (fast) überall und jederzeit stattfinden. Das dem Jugendlichen vertraute Medium Internet steht dem Lernprozess nicht mehr entgegen, sondern kann in dessen Dienst gestellt werden; das Lernen selbst kann mit mehr Lustgewinn in der für den Jugendlichen sinnenfroheren Umgebung des Internets stattfinden. Ich ertaste Möglichkeiten und Grenzen, balanciere am scharfen Grat zwischen Erfolg und Blamage, lerne die Geister zu scheiden: Was dient dem Kind und was dient dem Ego, was ist Scharlatanerie und was ist Anliegen, was ist leere Hülse und was ist Inhalt?

Kritik und Gefahren Einhergehend mit der wachsenden Durchgängigkeit unserer Ausbildungszweige und der dadurch bedingten steigenden Migration der Schüler/innen zwischen den verschiedenen Schultypen finden wir in unseren Schulklassen in zunehmendem Maße massive Unterschiede in den Eingangsvoraussetzungen und Vorwissensniveaus. Diese damit verbundenen problematischen Unterrichtssituationen stellen hohe Anforderungen an unsere Didaktik: Anfänger/innen dürfen nicht verzweifeln, Expert/innen dürfen sich nicht fadisieren. Durch die geschilderte (und durchaus begrüßenswerte) Diversität der Teilnehmer/innen dieser Lehrgänge kann es durchaus zu solchen kritischen Situationen kommen. Da wird es Aufgabe in der Kleingruppe sein, die Arbeitsformen anzupassen: Beispielsweise können Anfänger/innen vom technischen Experten bei seinen Gehversuchen begleitet werden, auch der helfende Schutzengel kann davon etwas haben, wenn er in dieser Situation seine eigenen didaktischen Fähigkeiten erprobt, und routinierte eLearning-Didaktiker/innen kann bei Anfänger/innen, die von eingefahrenen Denkweisen noch unverdorben sind, neue Aspekte und Sichtweisen entdecken.

Zum Schluss Die Idee eines eLearning-besessenen Teams, Österreichs Lehrer/innen die Verwendung von Lernplattformen im Unterricht schmackhaft zu machen, hatte Erfolg, der in dieser Dimension nicht erwartet wurde. Die im Oktober beginnenden weiteren Durchgänge dieses Lehrgangs waren vierfach überbucht … „Lehrer erforschen ihren Unterricht“ ist das Motto der auf der Aktionsforschung basierenden PFLLehrgänge der Uni Klagenfurt. Wenn auch nicht dezidiert nach den Regeln der Aktionsforschung ablaufend ist genau dies das Erfolgsrezept dieser Lehrgänge: Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Österreich und aus allen Schultypen gestalten ein Schuljahr lang unter engagierter Betreuung ihren Unterricht mit den Lernplattformen Moodle und Class Server und experimentieren mit eLearning-Elementen. Das selbst erarbeitete didaktische Konzept wird mit dem Werkzeug einer Lernplattform experimentell umgesetzt und beurteilt, und das nicht etwa in einer geschützten Laborsituation, sondern life im jeweils eigenen Unterricht.

Wunsch Die Lehrgänge sind nicht gerade billig, die Kosten machen einen fünfstelligen Eurobetrag aus, vor allem bedingt durch die intensive persönliche Betreuung der Teilnehmer/innen durch das Team. Gerade die ist aber das Erfolgsrezept und der Punkt, der diesen Lehrgang über gewöhnliche InputSeminare hinaushebt. Das Betreuer/innenteam und ich wünschen uns die Weiterschreibung dieser Lehrgänge, solange Bedarf und Interesse besteht. Wenn das Verwenden von Lernplattformen im Unterricht so alltäglich geworden ist wie das Eintragen ins Klassenbuch, ja dieses vielleicht sogar ersetzt, dann erst ist das Ziel dieser Lehrgänge erreicht. Aber dann warten wahrscheinlich schon wieder andere Novitäten im „Weiten Land“ des Unterrichtsgeschehens auf einschlägige Lehrgänge …