Der analoge Kosmopolitismus

Karl-Heinz Nusser Der analoge Kosmopolitismus Über schwache und starke Mitgliedschaft bei der Menschheit 1. Varianten der Kosmopolis – gestern und he...
Author: Leopold Martin
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Karl-Heinz Nusser

Der analoge Kosmopolitismus Über schwache und starke Mitgliedschaft bei der Menschheit 1. Varianten der Kosmopolis – gestern und heute Die Diskussion um das Umgehen mit dem sich überschlagenden Flüchtlingsandrang in Deutschland wird eigentlich mit der Annahme oder Ablehnung kosmologischer Ideen geführt. Wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Rheinischen Post erklärt: „Das Grundrecht auf Asyl für politische Verfolgte kennt keine Obergrenze; das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle eines Bürgerkriegs zu uns kommen“1, dann ist dieser Behauptung der Grenzenlosigkeit der Flüchtlingsaufnahme sehr wohl die nötige Grenzziehung des Staats, der ein endliches und begrenzt leistungsfähiges System ist, entgegenzusetzen. Die Handlungen des Staates sind nicht ausschließlich im Sinne einer einseitigen Subsumtion unter die universelle menschenrechtliche Norm zu denken. Es gibt ebenso die Subsumtion der moralischen Norm unter die Bedingungen des Staates. Diesem wechselseitigen Zusammenhang widme ich im Folgenden die Aufmerksamkeit. Von Werner Becker stammt die Kennzeichnung der „Menschheit als Kollektivpersönlichkeit der schwachen Mitgliedschaft“.2 Wir sind in der Tat jedem Menschen auf der Welt in Anerkennung seines Menschseins mit Wohlwollen verbunden. Wir haben Wohlwollen allen Menschen gegenüber, gehören aber ihren staatlichen Gemeinschaften nicht an. Im Verhältnis zu diesen sind wir Fremde. Eine starke Mitgliedschaft, die politische Selbstbestimmung impliziert, besteht bei der eigenen staatlichen Gemeinschaft. Eine starke Mitgliedschaft muß gestaffelt gedacht werden, von den Mitgliedschaften der Familie, der Vereine und Gemeinden, der Städte bis zu der Mitgliedschaft im jeweiligen Staat. Schwache Mitgliedschaft gegenüber der Menschheit ermöglicht keinen Weltstaat. Gleichwohl haben die Menschen nach diesem verlangt, und sie reden auch in der Gegenwart von diesem. Die Anlässe dafür, einen Weltstaat vorzuschlagen, sind in der Geschichte verschieden. Immer hängen sie damit zusammen, daß das staatliche Gebilde, in dem die Menschen leben müssen, deutliche Mängel aufweist. Ausgedacht wird dann ein Staat, der diese Mängel nicht haben soll. Nach dem Niedergang der Polis in der Antike halten sich stoische Denker wie Zenon, Kleanthes und Chrysipp von der Politik fern. Die Vergemeinschaftung in einen Polisverband, der dem natürlichen Bedürfnis nach Rechtssicherheit Rechnung trägt, wird von ihnen wegen der nicht mehr vorhandenen Polis in einen Weltstaat verlegt. Der Kosmos ersetzt die Polis. Er gewährt jedoch nur eine schwache und keine starke Mitgliedschaft. In ihm können die Menschen mit den Göttern zusammenleben.3 Eine schöne Aussicht für die Weisen und der eigentliche Vorteil, den der Weltstaat bringen soll. 324

Wenn wir einen großen zeitlichen Schritt zu Kant, dem einflußreichen kosmopolitischen Denker der Neuzeit machen, so sehen wir die nicht abreißenden willkürlichen Kabinettskriege, die ihn für einen Zusammenschluß von Republiken und einen dann möglichen „ewigen Frieden“ plädieren lassen. Er hält diesen für möglich – wie er Im Streit der Fakultäten anführt – mittels eines durch die Garantie der göttlichen Vorsehung getragenen kontinuierlichen moralischen Fortschritts. Während Kant einen Weltstaat als tyrannisch ablehnt, gibt es in der Gegenwart Theoretiker, die angesichts der für die Menschheit gestiegenen Gefahren wie mögliche Kriege, Klimaerwärmung, Verbrechen gegen die Menschheit und Korruption einen Weltstaat und eine Weltregierung wünschen. Alle Weltstaatstheoretiker behaupten, daß diese Probleme mit der bisherigen Ordnung, also durch die Zusammenarbeit und Verträge von souveränen Nationen, nicht gelöst werden könnten. Damit sind wir mit Riesenschritten in der Gegenwart angelangt. Theoretiker wie Torbjörn Trännsjö behaupten, daß der Weltstaat die einzige Lösung für die vorhandenen Probleme sei. Auch sei er ohne Kriege und ohne große unüberwindliche Schwierigkeiten zu erreichen. Weil es nur noch eine Weltmacht, nämlich die USA, gebe, und diese leicht zur Abgabe ihrer Macht an die UN zu überreden sei. Ein Weltstaat sei auch deshalb möglich, weil man durch die demokratischen Freiheiten in den Demokratien der Welt eine bessere Voraussetzung zu dessen Bildung habe, so daß die Masse der Menschen ihn aufgrund seiner Vorzüge wollen werde.4 Auch von Otfried Höffe kennen wir eine Version dieser These. Er meint, daß ein Weltstaat ohne Kriege und sogar als freiheitlich-föderaler möglich sei, weil er nur der Vernunft und den Interessen der Menschen folge.5 Eine zugespitzt moralische Variante wird von Kreuzrittern der Menschenrechte entwickelt. Hier sind vor allem Thomas Pogge, Charles Beitz und David Held zu nennen. Der Aussage, daß die Menschenrechte universal sind, wird z.B. von Thomas Pogge die These hinzugefügt, nur Menschen hätten eine „letzte moralische Wichtigkeit“ und nicht Nationen. Wenn David Held behauptet, es gebe eine persönliche Verantwortung und Zurechnungsfähigkeit eines jeden Menschen gegenüber jedem anderen Menschen6, dann formuliert er nur die moralische Integrität eines jeden Menschen auf der Welt, er formuliert den Begriff des Menschen, aber er täuscht sich, weil er meint, damit auch die wesentlichen Vollzüge des Menschen mit ihren politischen Folgen vorzugeben. Man könnte seine Auffassung theologisch verstehen und sagen, er formuliert den Menschen so, wie Gott ihn denkt, bevor der Mensch in der Welt existiert. Aber er täuscht sich, wenn er meint, damit den konkreten Menschen zu erfassen. Helds Begriff einer universellen Verantwortung und Zurechnungsfähigkeit eines Menschen gegenüber anderen Menschen besteht nur potentiell und nicht in einer aktiven Wechselseitigkeit. Der moralisch-rechtliche Kosmopolitismus verallgemeinert den individualistischwestlichen Menschenrechtsbegriff, der in Demokratien gilt, und postuliert dessen internationale Realisierung, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wie dies umgesetzt werden könne, obwohl doch 50% der Staaten auf der Welt gar nicht demokratisch sind und somit erst zu Demokratien gezwungen werden müßten. Man denke nur an Staaten wie China, Rußland, Nordkorea oder an moslemischreligiös ausgerichtete Staaten.7 Im Unterschied zu Tännsjö und Höffe, die direkt 325

für einen Weltstaat plädieren, formulieren Theoretiker wie Pogge, Held und Habermas ihre Ansprüche schwächer, implizieren jedoch mit diesen ebenfalls einen solchen – auch wenn sie wie Habermas8 erklären, keinen solchen zu wollen. Speziell für Habermas, der verlangt, daß Staaten unter die Kontrolle von gerechten übernationalen Institutionen gebracht werden müßten, hat dies William Scheuerman aufgezeigt.9 Nimmt man als weitere Stimme im Konzert der Weltstaatstheoretiker eine amerikanische, nämlich die von Martha Nussbaum hinzu, so erstaunt, daß ihr Plädoyer für den Weltstaat vor allem als pädagogische Korrektur einer nach dem 11. Sept. 2001 sich allzu patriotisch gebenden USA dient. Angesichts der Rolle und der Aufgabe der USA, die ja nun einer wirklichen Weltmacht entsprechen, mag man an der Wirksamkeit ihrer Mahnung zur Besserung und zu weniger Provinzialismus zweifeln. Das Handeln der USA wurde ja von einigen Weltstaatstheoretikern schon als eine – wenn auch falsche – Einübung in Welt-staatspolitik betrachtet.10 Die Reihe der unterschiedlichen Weltstaatsentwürfe ließe sich beliebig verlängern. Sie zeigt, daß der umfassendste Begriff der politischen Macht, der des Weltstaats, so unterschiedlich konzipiert wird, wie es sich eben aus den Interessen der Vertreter der verschiedenen Kulturen ergibt. Die sich ergebenden Weltstaaten sind gar nicht wahrhaft universell und überkulturell, sondern bilden genau die Herkunft der Kultur ihrer Vorschlagenden ab. Sie sind westlich, indisch oder lateinamerikanisch. Die realistische Frage, wie es ohne einen Weltkrieg zu einem WeltstaatsGewaltmonopol kommen soll, bleibt unbeantwortbar. Als eine erste Vorstufe zu einer Weltstaatsregierung wird von vielen Weltstaatstheoretikern die Praxis der Humanitären Intervention angesehen. Für andere, wie z.B. Michael Walzer, ist sie nur das äußerste Mittel dafür, eine Katastrophe zu verhindern.

2. Die Praxis der Humanitären Intervention Im folgenden gehe ich von der Einsicht aus, daß die Menschenrechte im Sinne eines Lebensrechts universal sind. Ich möchte diese Einsicht jedoch mit einer anderen zusammenbringen, daß der Mensch im Staat sich Institutionen schafft, die seiner individuellen und sozialen Natur hilfreich sind, Gesetze, durch die er seine Selbsterhaltung sicherstellt, seine Natur verwirklicht oder, moderner gesagt, seine Selbsterhaltung gesetzlich garantiert erhält. Zum modernen Staat gehört deshalb auch ein gesetzlicher Rahmen für die Absicherung der Bürger als Individuen und als soziale Wesen. Bürgersein im Staat hat qualitative, nicht bloß eine quantitative Bedeutung. Die Bürger sind im Staat miteinander verbunden, nicht zuletzt aufgrund der Geschichte des Staats, die sie zum Teil mitgetragen und für die sie gekämpft haben. Ein moderner Weltstaat würde für die Bürger der Nationen eine ähnliche Entwurzelung bedeuten wie die, unter der die Menschen des alexandrinischen und römischen Weltreichs zu leiden hatten, was sich in den Reaktionen der Stoiker spiegelt. Wie wir in den letzten Jahren beobachten konnten, gibt es mittlerweile völkerrechtlich – gerade durch, aber nicht nur die EU – mehr und mehr Einschränkungen

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von staatlicher Souveränität. Vielfach war dies, wie im Falle des europäischen Zusammenschlusses, aus demokratisch-freiheitlich-friedlichen Motiven heraus gewollt. Eine markante völker-rechtliche Ausnahmesituation für die staatliche Souveränität schafft eine Schutzverantwortung, die den Staaten zugeschrieben werden soll, die sogenannte Responsibility to protect. Im Fall eines Genozids soll sie ein völkerrechtlich gebilligtes militärisches Eingriffsrecht in Fremdstaaten darstellen. Ist sie in ihren Voraussetzungen unproblematisch oder ist sie eine Fehlentwicklung, ihr Beschluß ein Mißbrauch kontingenter Mehrheiten im Sicherheitsrat? Oder ist ein Eingreifen durch andere Staaten, wenn ein Staat einen Genozid geschehen läßt oder selbst ausführt, unbedingt geboten? Dafür scheint zu sprechen, daß die menschliche Natur als die Grundlage der Menschenrechte angesehen werden muß. Die Staatsrechte schützen im Allgemeinen deswegen den Menschen vor Willkür und Gewalt, weil Menschenrechte im allgemeinen in Bürgerrechte übergehen. Die Menschenrechte können wegen der Natur des Menschen nicht über seine Staatsrechte gestellt werden, weil der Staat die primäre Organisationsform des Zusammenlebens ist. Die Menschenrechte wären in diesem Sinne auch der Ursprung der Staatsrechte. Der Normalfall ist, wie Rainer Wahl betont hat, daß der Einzelne primär dem Staat gegenübersteht und erst in zweiter, allerdings zunehmender Weise überstaatlichen Einheiten.11 Eine Ausnahme könnte sein, wenn ein Staat selbst einen Genozid ausübt. Für solche Fälle wurde die Praxis der „Humanitären Intervention“ entwickelt, deren weitere Ausarbeitung die Erklärung Responsibility to protect ist.12 Beide Strategien sind nicht unproblematisch. Wenn man den Eingriff der Nato im Falle des Kosovo billigt, bleiben die Genozide in Rwanda und die der Vernichtung der Christen in Syrien und im Irak Genozide, bei denen niemand eingriff. Das Eingreifen scheint mit zufälligen Machtkonstellationen zusammenzuhängen. Auch müssen für die Berechtigung der „Humanitären Intervention“ weitere Rechtfertigungsgründe gegeben sein. Zu diesen würde gehören, daß die intervenierenden Kräfte das befreite Land erst verlassen, wenn sie rechtliche Verhältnisse und einen geordneten Verwaltungsaufbau in nuce wiederhergestellt haben. Dies ist jedoch z.B. im Irak nicht gelungen und bei der Beseitigung des libyschen Staatschefs Gaddafi schon gar nicht versucht worden.13 Wenn das Resultat einer „Humanitären Intervention“ schlimmer wäre als der Zustand vorher, ist sie bestimmt nicht erlaubt. Im Falle der ethnischen Verbrechen in Dafour (Afrika) hat keine humanitäre Intervention stattgefunden, weil eine Großmacht, nämlich China, dies als gegen ihre Interessen gerichtet angesehen hat. Finden „Humanitäre Interventionen“ nur gegen kleinere Staaten statt, aber nicht gegen große, wie z.B. gegen China, das das tibetische Volk unterjocht? Die Reichweite des internationalen Gerichtshofs in Den Haag ist durch die Nichtteilnahme von Großmächten auch prinzipiell in Frage gestellt. Im Sinne eines ersten Resumés möchte ich festhalten, daß ein Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN nur dann gerechtfertigt werden kann, wenn das Resultat des Eingriffs der fremden Truppen in dem betreffenden Land, das mit Krieg überzogen wurde, zu einer legitimen Regierung und geordneten friedvollen Verhältnissen führen kann. Ohne

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ein solches sicheres Vorauswissen einer Herbeiführung einer Gewaltbegrenzung durch einen Gewalteinsatz ist eine humanitäre Intervention nicht gerechtfertigt. Wenn Mary Kaldor von „kosmopolitischen Truppen, die zu legitimen Waffenträgern werden“, von „internationalen Polizei-Soldaten“, die „ihr Leben für die Menschheit riskieren“,14 spricht, dann sind dies fragwürdige Entwicklungen. Die Erfahrungen mit dem Einsatz von Humanitären Interventionen sprechen nicht für die leicht vorschnell entscheidende Zentralgewalt eines Weltstaats, sondern für einen Beratungsprozeß, an dem die Einzelstaaten beteiligt sind. Diese verhalten sich eben nicht nur – wie Otfried Höffe behauptet – wie Individuen zueinander, sondern sie haben eine besondere Verantwortung durch ihre Sanktionsgewalt für die Garantie der Menschenrechte in ihrem Herrschaftsbereich. Auch ist es keineswegs so, wie wiederum Höffe erklärt, daß eine überstaatliche Friedensordnung die politische Gerechtigkeit der Einzelstaaten nur quantitativ erweitert.15 Unterschiedliche Kulturen und Völker schaffen eine qualitativ andere Situation. Wenn Otfried Höffe meint, daß eine von einer Weltrepublik getragene Intervention gerecht und unparteilich verfahren werde, dann zaubert er das Kaninchen aus dem Hut; denn er kann die rechtliche Verbindlichkeit, die auf der Basis von Argumenten zum Weltstaat führen würde, nicht aufzeigen, sondern nur behaupten.16

3. Die Ordnung der Nationen Bei der Diskussion über die Notwendigkeit bzw. Vernünftigkeit der Schaffung eines Weltstaates gehe ich von der grundsätzlichen Verpflichtung jeder politischen Theorie zur Gestaltung einer humanen Ordnung aus. Die bisher bestehenden einzelnen Staaten verhindern die geballte Macht eines uniformen Weltstaates – was ein enormes Verdienst der bestehenden Staaten ist. Sie teilen die Macht untereinander und sind dadurch in der Lage, diese gegenseitig zu kontrollieren. Der gebräuchliche Begriff einer „Anarchie“ der internationalen Ordnung ist irreführend. Der UN-Sicherheitsrat hat seit 70 Jahren verhindert, daß es zu einer direkten militärischen Konfrontation der fünf Großmächte gekommen ist – auch wenn das Phänomen der sogenannten Stellvertreterkriege latent vorhanden war. Welche Vorteile sprechen im Vergleich dazu für die Schaffung eines Weltstaats? Keine! Ganz im Gegenteil! Wie die Lehren der internationalen Politik, besonders die von Kenneth Waltz17 schlüssig zeigen, kann es ohne fürchterliche Kriege zu keinem Weltstaat kommen. Sollte ein solcher entstehen, so würde zwischen der Zentralgewalt und den ihr untergeordneten Großmächten unweigerlich ein fortdauernder Machtkampf stattfinden. Den kleineren Staaten würden die von der Zentralgewalt gewünschten Regeln aufgezwungen. Aus dem dann umfassenden Weltstaat könnte niemand mehr, wenn er sich verfolgt fühlt, emigrieren. Das am Beginn angesprochene Weltbürgertum ließe sich in einem unbestimmten Sinn auch als unser gegenwärtiges Selbstverständnis verstehen. Die schon zitierte These Werner Beckers, daß die Menschheit eine „Kollektivpersönlichkeit der schwachen Mitgliedschaft“ sei, gibt Anlaß zur der Frage:18 Sind wir nicht alle Weltbürger in dem Sinne, daß wir jeden Menschen auf der Welt gleich achten und 328

gegenüber allen Menschen offen sind? So wie wir an anderen Menschen in unserem Erfahrungsbereich interessiert und für ihre Erfahrungen offen sind, freuen wir uns auch auf Reisen irgendwo auf der Welt, Bekanntschaften zu machen. Der Übereinstimmung im allgemeinen Menschsein entspricht eine grundsätzliche Offenheit für andere Menschen und Personen. Die inhaltliche Unbestimmtheit dieses Kosmopolitismus drückt sich auch in den inhaltlich unbestimmten guten Wünschen aus, die wir für jeden Menschen auf der Welt, wie weit entfernt von uns dieser auch leben mag, haben. Es zeugt von Kants Weltläufigkeit, daß der Königsberger Philosoph in der Schrift „Zum ewigen Frieden“ das Weltbürgerrecht fordert. Es besteht in dem Recht, alle Gegenden der Erde besuchen zu können und dort als Gast aufgenommen zu werden. Kant begründet dieses Recht nicht auf der Basis des Gewaltmonopols eines Weltstaats, sondern er versteht es als ein moralisches Recht – eine Art Naturrecht –, das allen Menschen zusteht und infolgedessen von allen Staaten gewährt werden müsse. Dieses Recht beruht darauf, daß die Natur den Menschen die Kugelgestalt der Erde als Wohnraum überlassen hat. Alle Völker stehen deshalb ursprünglich in einer Gemeinschaft des Bodens, die aber keine rechtliche ist, weil der Besitz des Bodens immer nur dem einen, darauf bereits lebenden Menschen zusteht. Kant räumt Migrationsmöglichkeiten für die Fälle ein, in denen die Neusiedler die bereits Seßhaften „im Gebrauch“ des Bodens nicht stören. Substantieller für unseren Zusammenhang ist Kants rationalistische Fortschrittstheorie, entwickelt in derselben Schrift. Kant begradigt mit Hilfe religiöser Voraussetzungen das „krumme Holz der Humanität“ und behauptet einen kontinuierlichen Fortschritt zu einem Staatenbund. Die Hobbes’sche Beschränkung des Rechts auf die Selbsterhaltung als dem obersten und einzigen Zweck, aus dem Naturzustand herauszutreten, versucht Kant dadurch aufzusprengen, daß er in die Natur ein Streben zur Vernunft und zur Moralität des Menschen verlegt. Diese Annahme sprengt jedoch die Systemgrenzen der Kritik der praktischen Vernunft, weil die Selbstgesetzgebung des Menschen durch den Kategorischen Imperativ gerade nicht einem Naturimpuls folgt. Kant erklärt: „Diese Huldigung, die jeder Staat dem Rechtsbegriffe (….) leistet, beweist doch, daß eine noch größere, ob zwar zur Zeit schlummernde moralische Anlage im Menschen anzutreffen sei, über das böse Prinzip in ihm (…) doch einmal Meister zu werden.“19 Ganz generell nimmt Kant ein Naturstreben zur Verwirklichung des Rechts an. Er erklärt: „Die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Oberhand behalte.“20 Stützende Argumente dafür sind die Vereinigung der Völker durch den Handelsgeist,21 das Gelingen der Französischen Revolution mit der Entstehung des „republikanischen“ Frankreich, das, weil es eine Republik ist, den ersten Friedensbaustein zum Friedensgebäude des Ewigen Friedens liefern soll. Wie kommt Kant zu dieser Annahme einer positiven und sich zum Guten hin entwickelnden Naturtendenz, nachdem er doch in der Zeit vor der Französischen Revolution, nämlich 1786, in der Schrift „Über den mutmaßlichen Anfang der Menschheitsgeschichte“ der Auffassung war, daß der Krieg in der Absicht der Natur ein unentbehrliches Mittel zur Entwicklung der Menschheit sei?22 Kant meint ab 1795, daß die reine 329

Moral keinen ewigen Frieden garantieren kann, weil beim Menschen, der aus „krummem Holze geschnitzt ist“, der Rückfall in das Böse jederzeit möglich ist. Eine neue Basis bietet eine ins Säkulare transformierte theologische Geschichtsphilosophie, die die Entwicklung der menschlichen Gattung im Sinne eines beständigen Fortschritts zum Guten hin interpretiert. In der Schrift, die 3 Jahre später nach der Schrift „Zum ewigen Frieden“ erscheint, „Der Streit der Fakultäten“, wird die gegenüber früher veränderte Geschichtsphilosophie, die der Schrift „Zum ewigen Frieden“ bereits zugrundeliegt, entwickelt. In der Lehre der christlichen Offenbarung ist die Gnade dasjenige freie Geschenk Gottes, das vom Gläubigen erkannt werden kann und das die Natur vollendet. Die theologischen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung ermöglichen dem Gläubigen eine Erwartung des Reiches Gottes, das völlig verschieden vom irdischen Verlauf der Welt ist. Augustinus hat von der Civitas Dei gesprochen und deren Zustand von dem vom Bösen durchdrungenen Zustand der Civitas terrena unterschieden.23 Augustinus hat denn auch ein dauerhaftes System politischen Friedens für unmöglich gehalten.

4. Der moralische Kosmopolitismus Vom moralischen Kosmopolitismus erfahren wir, daß wir für die Freiheit und Gleichheit jedes Menschen auf diesem Globus verantwortlich sind, daß es dieselbe Wechselseitigkeit gegenüber jedem Menschen auf der Welt geben soll, wie wir sie gegenüber den Mitbürgern unserer staatlichen Gemeinschaft haben. Wenn es so wäre, würde dies bedeuten, daß wir z.B. für die Gleichberechtigung der Frauen in den moslemischen Ländern, für die Freiheit der Menschen in Nordkorea, in China und überhaupt für die Herbeiführung der Freiheit in jedem nichtdemokratisch regierten Land verantwortlich sind. Wir hätten so etwas wie einen Kreuzzug für die Menschenrechte durchzuführen. Ein solcher Missionarismus ist weder von der amerikanischen noch von der französischen Revolution vertreten worden. Die Franzosen haben mit ihrer Erklärung der Menschenrechte die Freiheit und Gleichheit der in ihrem Lande lebenden Menschen gemeint, ceteris paribus die Amerikaner. Das Individuum darf nicht absolut gesetzt werden. In den staatlichen Gemeinschaften läßt sich das Verhältnis der Menschen zueinander nicht ohne die analog gestuften organisatorischen Einheiten, in denen sie leben, beschreiben. Das Zusammenleben der Menschen gestaltet sich quantitativ von kleineren zu immer größeren Einheiten. Von der Familie über das Dorf und die Stadt bis zum Land und dem Nebeneinander-Bestehen der Staaten. Zwischen diesen Einheiten gibt es qualitative Verhältnisse, eine abnehmend innige Verbindung von der Familie über das Dorf, zur Stadt, zum Land und zu den Staaten. In den Familien hilft man einander in allen Lebenslagen. Im Dorf handelt man noch aus einer gewissen Nähe heraus und hilft sich in einigen Notfällen. Während die Stadt und das Land kulturelle Gemeinsamkeiten und geschichtliche Erfahrungen, in denen die Menschen verbunden sind, lebbar macht, würde dies für einen Weltstaat nicht mehr gelten. Die Freiheit bzw. die Gleichheit der Menschen, wie sie von einem Weltstaat aus gedacht werden könnte, wäre leer und uniform; denn die Rechte des Menschen als Menschen enthalten keine kulturelle Vielheit. Dieser Mängelzustand wird von Thomas Pogge geflissentlich ausgeblendet, wenn 330

er schreibt: „Der rechtliche Kosmopolitanismus ist mit einem konkreten politischen Ideal einer globalen Ordnung verbunden, unter der alle Personen gleiche gesetzliche Grundrechte und -pflichten haben. Sie sind Bürger einer universalen Republik.“24

5. Die Homogenisierungsdynamik eines Weltstaates Wie oben mit Kenneth Waltz schon ausgeführt, würde es in einem Weltstaat unweigerlich zwischen der Zentralgewalt und den ihr untergeordneten Großmächten zu einem fortdauernden Machtkampf kommen. Und zwar auch dann, wenn sie die Zentralgewalt, wie Otfried Höffe immer betont, freiheitlich verstünde. Freiheit und Sicherheit verhalten sich zueinander dialektisch und fordern sich wechselseitig. Auch die Macht eines freiheitlich programmierten Staates muß sich sicher fühlen. Machtdynamik und Sicherheitsbedürfnis würden jede Art von Subsidiarität, die Otfried Höffe als Element und Garantie föderaler Strukturen anführt, aushöhlen und vernichten. Höffe stützt die von ihm angenommene Subsidiarität des Weltstaats auf die Behauptung, daß zwischen der Binnengerechtigkeit von Demokratien und der transnationalen Sphäre nur ein gradueller Unterschied sei25 und sich somit die Subsidiarität der Bundesrepublik Deutschland ohne weiteres auch im Weltstaat einrichten lasse. Wie wenig eine solche Annahme realistisch ist, zeigt bereits die Entwicklung der EU, die sich ursprünglich auch auf Subsidiarität verpflichtet hatte, inzwischen aber in einen Zentralismus verfallen ist. In Analysen angelsächsischer Theoretiker wird des öfteren die Vermutung geäußert, daß der Staatenzusammenschluß der europäischen Union Inspirationsquelle für weitere Zusammenschlüsse von Nationen anderswo werden könne. Wer dies meint, sollte wissen, daß die EU durch ihre Dynamik bereits jetzt die demokratischen Strukturen der europäischen Nationalstaaten schwächt. Demokratische Legitimität kann sich nur dort bilden, wo – wie Peter Graf Kielmansegg ausführt – sich die wechselnden Mehr- und Minderheiten als einem politischen Kollektivsubjekt zugehörig begreifen; wo sich das sie verbindende politische Selbstverständnis in jene Formel: „We, the people“, fassen läßt. Das ist in der EU nicht der Fall.26 In einer Demokratie herrschen Konsenspraktiken und es gibt eine Kommunikationsgemeinschaft. Dies wäre in einem Weltstaat nicht möglich. Bereits in der EU herrscht als Zentralgewalt die Kommission zusammen mit den Staatsführern. Die Mitgliedstaaten eines Weltstaats müßten ihre Entscheidungszuständigkeiten auf einen kleinen Kreis von Staaten und von Politikern übertragen, der im Notfall auch Entscheidungen unter Zeitdruck ermöglichen müßte. Die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung wären aus vielen Gründen zugunsten der Effizienz der Exekutive sehr reduziert. Das Dilemma der EU, daß mehr Integration weniger Demokratie zur Folge hat, würde auch im Weltstaat greifen und zum völligen Erlöschen von demokratischen Freiheiten führen. Die Nähe oder Ferne der Verbundenheit der Menschen gestaltet auch ihre moralischen Pflichten. Während jeder unschuldige Mensch ein Recht auf die Unverletz-

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lichkeit seines Lebens hat, sind die Bestands- und Hilfsverpflichtungen entsprechend der Art der Verbundenheit stärker oder schwächer. Aus dem gleichen moralischen Wert, den die Menschen haben, folgt, wie David Miller ausführt, daß sie keineswegs auch dieselben Pflichten haben.27 Wenn z.B. ein Kind vermißt wird, herrscht Betroffenheit und Sorge, egal, wem das Kind auch gehört. Die Polizei hat die Aufgabe, es zu finden. Die Eltern, andere Verwandte oder Kinder, die es gekannt haben, haben dagegen eine gestaffelte Verantwortung und Sorge für das Kind. Bei den übrigen Menschen hängt das Wohl des Kindes von einer möglichen Beziehung ab, die sie zu diesem haben. Der Leser einer Zeitungsnachricht vom vermißten Kind wird den Tatbestand bedauern, ansonsten aber nichts unternehmen. Es braucht besondere Gründe, damit eine Pflicht der Sorge und des Suchens für das Kind bei einem Menschen entsteht. Ebenso sind auch besondere Gründe nötig, damit einem Bürger einer westlichen Industriegesellschaft eine tätige Verantwortung für die Religionsfreiheit oder für Frauenrechte z.B. in Saudi-Arabien zukommt. Es gibt keine negative und keine positiv-inhaltliche Verantwortung eines einzelnen Menschen für alle anderen Menschen, die es auf der Welt gibt. David Miller hat dies klar gesehen. Die Arbeiter eines westlichen Industriestaates sind in erster Linie zur Sicherung ihrer eigenen Existenz im Krankheitsfalle oder Alter verpflichtet und nicht gegenüber allen anderen Arbeitern oder Menschen auf der sonstigen Welt. Wenn zwischen Ländern und Kulturen unterschiedliche Auffassungen von der Arbeit und vom Sparen vorhanden sind, dann sind nicht jene, die aufgrund ihres fleißigen Arbeitseinsatzes besser dastehen als andere, diesen gegenüber zur Hilfe verpflichtet. Entsprechend diesem Beispiel gibt es variierende Pflichten der Wechselseitigkeit, die auf die jeweiligen politischen Gemeinschaften begrenzt sind und nicht gegenüber allen Menschen bestehen. Nicht zu vergessen sind Pflichten, die global sind, wie z.B. die Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Natur. Diese können in einem schonenden Umgang mit der Natur, einer Senkung der klimaschädlichen Abgase oder ähnlichem bestehen. Sie sind unterschiedlich, je nachdem es sich um Pflichten des Individuums oder der Staaten handelt. Trotzdem sind diese Pflichten nicht deshalb global, weil sie gegenüber einer globalen staatlichen Organisation, sondern weil sie von der globalen Natur ausgehen, die alle Menschen verpflichtet. Neben individuellen Umweltpflichten gibt es die Aufgaben der Staaten auf der Basis von Verträgen, z.B. den Kohlendioxidausstoß zu senken. Manchen Ökologen gehen die Vereinbarungen der Staaten zur Begrenzung des Kohlendioxidausstoßes nicht weit genug. Wer hier ernsthaft für einen Weltstaat zur Durchsetzung ökologischer Forderungen votiert, riskiert das Entstehen einer mächtigen Zentralgewalt, aus der sich leicht eine Diktatur entwickeln kann. Wenn ein solcher Weltstaat föderal wäre, dann bliebe die Frage nach seiner Durchsetzungsfähigkeit. Bei einer föderalen Ordnung werden die Teilstaaten des Weltstaates nach wie vor ihre Interessen verfolgen und Zwang von Oben ablehnen. Wenn es eine starke Zentralgewalt gäbe, dann ließe sich leicht absehen, daß sich diese Gewalt, um der steten Bedrohung durch untergeordnete Mächte gewachsen zu sein, mehr Macht aneignen würde als nötig und im Zuge ihrer Selbstbehauptung 332

auch die sonstige abweichende Vielfalt der anderen Kulturen zu zerstören suchte Die entsprechende Machtdynamik ist von Kenneth Waltz herausgearbeitet worden.28 Eine Weltstaatsordnung, die vorrangig die Rechte der Person im Blick hat, wäre unfähig, die staatsrechtlichen Grundlagen der Gewaltenteilung auszuarbeiten und zu bewahren, um eine Entwicklung zu einer Diktatur zu verhindern. Gerade die unterschiedlichen Kulturen des Weltstaats mit zentralistischer Tradition, wie z.B. die chinesische, würden den Zentralismus befördern und die Gewaltenteilung verhindern. Bereits die Einführung einer einheitlichen Währung in der EU, die Einführung des Euros, läßt den Homogenisierungszwang mit seinen negativen Folgen, wie z.B. dem Haß von Mitgliedern aufeinander, erkennen. Eine freie Wirtschaftsgesellschaft kann nicht von oben politisch verordnet werden. Selbst wenn einst wie durch ein Wunder ein passabler Weltstaat glückte, könnte er schon sehr bald von einer „seelenlosen Tyrannis“ (Kant) beherrscht werden oder in Anarchie umschlagen. Der zum Weltstaat führende Kosmopolitismus ist als eine gefährliche Utopie abzulehnen. Es gibt nationenübergreifende Probleme, zu deren Lösung alle Länder beitragen müssen. Zentralistische Weltstaatsversuche würden den diversen Verhältnissen schwerlich gerecht. Kein Gehör sollten wir Stimmen schenken, die nach einem Weltstaat USA rufen. Sibylle Tönnies argumentiert für einen Weltstaat aus dem absolutistischen Geist der Theorie von Hobbes.29 Sie sieht die USA, als einzige vorhandene Supermacht, schon als einen Weltstaat an, nur eben als einen solchen, der es nicht weiß und der bei verschiedenen Provokationen, wie z.B. beim 11. September 2001, seine Reaktionen nicht im Polizeimodus, sondern mit dem Einsatz von Militär gestaltet. Der Wille der USA, die Weltherrschaft zu übernehmen, werde zwar durch einen starken Isolationismus immer wieder gebrochen, trotzdem könnten die USA ihrer Aufgabe, einen Weltstaat zu bilden, nicht entfliehen. Eine andere Stimme, die in der Großmacht USA die Vorform eines Weltstaats erkennt, ist Torbjörn Tännsjö.30 Probleme der Menschheit wie Klimaerwärmung, Genozide, Korruption, globale Gerechtigkeit können seiner Ansicht nach mit den Kräften der einzelnen Nationen nicht gelöst werden; deshalb fordert er eine Weltregierung, die die USA ermöglichen sollen, indem sie ihre militärische Macht an eine UNO, die vorher schon durch fortlaufende Kapitulationen der Nationen als demokratischer Staat entstanden sein soll, übergeben. Es muß nicht mehr ausführlich dargelegt werden, daß die Weltstaatsidee theoretisch widersprüchlich und praktisch undurchführbar ist. Sie ist eine gefährliche Utopie und widerspricht den Bedürfnissen der individuellen Freiheit und sozialen Sicherheit der Menschen ebenso wie der Demokratie als Staatsform. Die Respektierung anderer Kulturen und Völker macht erforderlich, deren politischer und ökonomischer Organisation Achtung und Respekt entgegenzubringen. Wenn bei Erdbeben und Überschwemmungen Hilfe von außen erbeten wird, ist diese ebenso zu bringen wie im Falle eines Ertrinkenden, den man bemerkt und zu retten vermag. Eine humanitäre Intervention ist dann gerechtfertigt, wenn durch das Eingreifen die Gewalt vermindert und schließlich beseitigt wird. Dabei ist im-

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mer auch vorausgesetzt, daß die eingreifenden Mächte eigene Bodentruppen einsetzen und den Tod eigener Soldaten vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen in der Lage sind. Das beste Beispiel dafür gaben die USA in ihrem Eingreifen gegen Nazi-Deutschland. Fraglich im Sinne einer zu rechtfertigenden humanitären Intervention war der Krieg in Vietnam, denn der Krieg des Vietkongs bedeutete eher einen vietnamesischen Nationalismus als einen Genozid. So bleibt am Ende zu konstatieren, daß der moralische Kosmopolitismus gewogen und zu leicht befunden wurde. Was gut ist und bleiben sollte, ist der westlich orientierte demokratische Staat, zumal er Elemente der klassischen Souveränität an übergeordnete Instanzen – wie im Falle der EU – abgeben kann. Unverzichtbar ist er als die primäre Anlaufstation des Menschen, als seine entscheidende Integrationsinstanz. Die verfaßte politische Gemeinschaft findet im Handeln des Staates ihren Ausdruck und in den Menschen- und Grundrechten ihr Gegengewicht.31 Die Funktionsfähigkeit des Staates darf durch keine irgendwie gearteten moralischen Gründe aufs Spiel gesetzt werden. Die nicht zu gefährdende starke Mitgliedschaft der Bürger innerhalb einer Nation bildet die Basis internationaler Verflechtung und internationalen Handelns, sie bietet die Basis des Schutzes und der Verteidigung der Bürger. Anmerkungen 1) FAZ vom 12.9.15, S. 1. 2) Werner Becker, Das Dilemma menschlicher Existenz, Stuttgart 2000, S. 213 ff. 3) Chrysipp SVF 2, 38. Zitiert bei A. Horstmann, Kosmopolitismus, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 4, S. 1156. 4) Torbjörn Tännsjö, Global democracy; The Case for a World Governmnent, Edinburgh 2008. 5) Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999. 6) David Held, Principles of Cosmopolitan Order, in: Brock Gillian, Brighouse Harry (Hg.), The Political Philosophy of Cosmopolitanism, Cambridge 2005, S. 10-27. 7) Thomas Pogge, Kosmopolitanismus und Souveränität, in: Lutz-Bachmann, James Bohman, Weltstaat oder Staatenwelt?, Frankfurt 2002, S.125-171. 8) Jürgen Habermas, Kleine politische Schriften, Der gespaltene Westen, Frankfurt 2004. 9) William Scheuerman, Global Governance without Global Government? Habermas on Postnational Democracy, in: Political Theory 36, 2008, S. 133-151, bes. S. 138. 10) Sibylle Tönnies, Cosmopolis Now. Auf dem Weg zum Weltstaat, Hamburg 2002. 11) Rainer Wahl, Internationalisierung des Staats, in: Joachim Bohnert u.a. (Hg.), Verfassung-Philosophie-Kirche, Berlin 2001, S. 193. 12) Diese Erklärung ergibt sich aus einer Bekräftigung der Resolution des Sicherheitsrates (UN Doc.SR/Res 1973 vom 17.3.2011). Zitiert bei Manuel Fröhlich, Der Fall Libyen und die Norm der Schutzverantwortung, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 21. Jahrgang, 2011, S. 135. 13) Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet, München 2015.

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14) Mary Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt a. Main 2007, S. 216. 15) Otfried Höffe, Gerechtigkeit, München 2015, S. 97. 16) Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999, S. 396. 17) Kenneth Waltz, Theory of International Politics, Long Grove 1979. 18) Werner Becker, Das Dilemma menschlicher Existenz, Stuttgart 2000, S. 213 ff. 19) Kant, Zum ewigen Frieden, Ausgabe Weischedel, Werke Bd. VI S. 210. 20) Kant, Zum ewigen Frieden, ebenda, S. 225. 21) Kant, Zum ewigen Frieden, ebenda, S. 226. 22) Kant, Idee zu einer allgem. Geschichte in weltbürgerlicher Absicht; in: Werke Bd. VI S. 42. 23) Augustinus, De Civitate Dei. 24) Thomas Pogge, Auf Menschenrechten gründender institutioneller Kosmopolitanismus, in: Matthias Lutz-Bachmann (Hg.), Weltstaat oder Staatenwelt, Frankfurt 2002, S. 126. 25) Otfried Höffe, Gerechtigkeit, München 2001, S. 97. 26) Peter Graf Kielmansegg, Wohin des Wegs, Europa?, Baden-Baden 2015, S. 85. 27) David Miller, Cosmopolitanism: A Critique, in: Critical Review of International Social and Political Philosophy, Vol 5, 2002, S. 80-85. 28) Kenneth Waltz, Theory of International Politics, Long Grove 2002. 29) Sibylle Tönnies, Cosmopolis Now, Hamburg 2002. 30) Torbjörn Tännsjö, Global democracy. The case for a world government, Edinburgh 2008. 31) Udo di Fabio, Der Verfassungsstaat und die Weltgesellschaft, Tübingen 2001, S. 131.

Prof. Dr. Karl-Heinz Nusser ist a.o. Professor am Department für Philosophie der Universität München, Lehrbeauftragter an der Linde-Akademie der Technischen Universität München und an der Hochschule für Politik, München.

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