Der (Alb) Traum vom Fliegen

Luftverkehr 2050: Wohin geht die Reise? (© Flügelwesen/photocase) UMWELT Der weltweite Luftverkehr wächst rasant – mit dramatischen Folgen für das Klima. Sollten wir in Zukunft besser auf dem Boden bleiben oder geht Fliegen auch ökologisch und – leise ? // Fred Grimm Ohne Fliegen wäre ich ein anderer Mensch. Ein Flugzeug brachte mich nach New York, wo mein Berufsleben eine entscheidende Wendung nahm. Mehrere Flugzeuge trugen meine große Liebe und mich in Etappen bis ans Ende der Welt und zurück; eine lange Reise, an deren Ende die Gewissheit stand, dass wir auch den Rest unseres Lebens miteinander teilen würden. Ich durfte mit Muslims in Indonesien über Glauben und Freiheit diskutieren, in Australien einen uralten Baum umarmen und lernte Tokio schätzen, die höflichste Megametropole überhaupt. „Der Luftverkehr verbindet die Welt“, sagt Professor Andreas Strohmayer, Leiter des Instituts für Flugzeugbau der Universität Stuttgart. „Er bringt Menschen und Güter zusammen.“ „Netzwerke funktionieren nicht virtuell“, sagt Annegret Zimmermann, als Referentin für verantwortlichen Tourismus und Mobilität bei „Brot für die Welt“ in globaler Mission (siehe Interview). „Die menschliche Begegnung ist durch nichts zu ersetzen.“ Doch jeder, der in Kenntnis der Klimawirkungen für Kurztrips oder den Urlaub das Flugzeug nimmt, ist erst einmal ein großer Egoist. Auf den einzelnen Passagier gerechnet, vernichtet bereits ein Flug von Frankfurt nach San Francisco fünf Quadratmeter Arktiseis.

Eiswolken: schön anzusehen, aber schlecht fürs Klima (© Bernhard Mühr)

Starten im Minutentakt. Der Flugverkehr wächst und wächst. (© iStockphoto/guvendemir) Treibhausgase: in der Höhe noch schädlicher Prognosen zufolge wird der Flugverkehr im Jahr 2050 mehr als 20 Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß beitragen. In großen Höhen wirken sich Treibhausgase wie Stickoxide oder Wasserdampf verheerend aus. Sie verstärken den Ozoneffekt und tragen zur Bildung von Eiswolken bei. Eiswolken reflektieren die Wärmestrahlung der Erde und heizen so die Atmosphäre weiter auf. Laut Greenpeace erhöhen sich die negativen Klimaeffekte durch den Flugverkehr in Höhen ab 7000 Meter um das Vierfache. Zudem leiden Millionen Menschen unter Fluglärm. Studien berichten vor allem bei Kindern von dramatischen Folgeschäden. So soll Fluglärm den Leselernprozess deutlich verlangsamen sowie Depressionen und Herzerkrankungen begünstigen. Meine weiten Flüge fallen in eine Zeit, als vom Klimawandel noch nicht die Rede war. Gleichwohl haben sie meine CO2-Bilanz auf ewig ruiniert. Und sie stürzen mich in ein Dilemma: Wie gerecht wäre es, etwa

meiner Tochter jene faszinierenden Erfahrungen zu versagen, wie ich sie in fernen Ländern machen durfte? Wie gerecht ist das Fliegen gegenüber dem Großteil der Menschheit, der niemals in einem Flugzeug sitzen wird, aber von den Folgen des Klimawandels ungleich härter betroffen ist als wir? Und wie gerecht wäre es, vor zwanzig Jahren das günstige Round-the-World-Ticket für eine Weltreise genossen zu haben und heute hohe Preise zu fordern, damit Fliegen zum exklusiven Vergnügen wird? Es gehört zu den klassischen ökologischen Zielkonflikten, dass ausgerechnet die Wähler der Grünen besonders häufig fliegen. Eine Umfrage ergab, dass jeder zweite von ihnen in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal geflogen war, so oft wie kein Anhänger anderer Parteien. Und während es 70 Prozent aller Deutschen begrüßen, dass Fliegen dank Ryanair & Co. so billig geworden ist, findet das über die Hälfte aller (überdurchschnittlich gut verdienenden) Grünenwähler gar nicht gut. Wegen des Klimawandels.

BENZIN UND BATTERIE Das größte Potenzial für einen ökologischeren Luftverkehr wird zurzeit bei Hybridflugzeugen gesehen.

Anders als bei anderen klimaschädlichen Faktoren ist das Fliegen nicht gleichwertig zu ersetzen. Statt des Autos kann man die Bahn oder in der Stadt das Fahrrad nehmen, statt konventioneller ökologische Landwirtschaft betreiben oder Kohlekraftwerke durch erneuerbare Energien ersetzen. Doch wenn man nicht prinzipiell dagegen ist, dass wir uns die weite Welt anschauen können und die weite Welt uns, bleibt keine echte Alternative. „Wir haben eine große Verantwortung“, erklärt Strohmayer, der Flugzeugbau-Experte. „Die Treibhausgase, die durch den Luftverkehr in die Atmosphäre gelangen, verdoppeln sich alle 15 bis 20 Jahre.“ Mit den Fortschritten bei Aerodynamik und Treibstoffeffizienz allein lässt sich das Wachstum des Luftverkehrs nicht ausgleichen. Eine Flugzeuggeneration hält bis zu 30 Jahre vor, spart aber verglichen mit ihren jeweiligen Vorgängern laut Strohmayer nur etwa 15 Prozent Kraftstoff ein. „Wir brauchen einen radikalen Wandel.“

(© Boellstiftung) Hybrid, solar oder Wasserstoff Vor 20 Jahren brachte man an seinem Institut einen solargetriebenen Segelflieger in die Luft. Gerade wurde das Projekt ECO4, ein Viersitzer mit Hybridantrieb, der 40 Prozent weniger Kraftstoff verbraucht als vergleichbare Flieger, preisgekrönt. In diese Technologie setzt Professor Strohmayer seine größten Hoffnungen für die Zukunft. Solarbetriebene Flugzeuge müssten eine Spannweite von 500 Metern aufbringen, um energietechnisch mit einem Passagierflugzeug von heute mithalten zu können. Wasserstoffgetriebene Flugzeuge bräuchten gigantische Tanks. Das rein elektrische Fliegen scheitert an der zu geringen Leistungsfähigkeit und dem Gewicht der Batterien. „Bislang ist die Energiedichte der Batterien einfach zu klein für Großflugzeuge“, erklärt Strohmayer. Bei einer Kombination aus Benzin und Batterie, wie man sie von Hybridautos kennt, böten sich aktuell die größten Chancen für einen ökologischeren Luftverkehr. Airbus-Chef Tom Enders will in spätestens zwanzig Jahren ein „fast geräuschloses“, elektrisch betriebenes,

„emissionsfreies Passagierflugzeug mit rund 90 bis 100 Sitzen“ in der Luft sehen. Bislang schaffte es der hybrid-elektrische E-Fan von Airbus bei einem Test im Schneckentempo gerade mal über den Ärmelkanal. Ein Zweisitzer.

Ehrgeizige Klimaziele Der Innovationsdruck ist auf jeden Fall enorm. Im Herbst 2016 einigte sich die internationale Luftfahrtorganisation ICAO auf vermeintlich ambitionierte Ziele. Über 20 Jahre nachdem die Weltgemeinschaft im Klimaabkommen von Kyoto vom zivilen Luftverkehr einen Beitrag zur Treibhausgasreduzierung anmahnte, gab die ICAO endlich ein Versprechen ab: Nach 2020 sollen die CO2-Emissionen aus dem Flugverkehr nicht weiter ansteigen. Bis 2050 soll das Wachstum „klimaneutral“ erreicht werden, durch ein kompliziertes Ausgleichsverfahren, bei dem Investitionen in Klimaschutzprojekte die klimaschädlichen Flüge neutralisieren.

ROTE ZAHLEN Dortmund, Weeze, Erfurt, Paderborn ... In manche Deutschland gibt es insolvent. 19 Regionalflughäfen. Alleabhängig. arbeiten defizitär, sind bereits Und alle sind von Subventionen

Für die europäische Luftfahrt hatte die EU bereits vor einigen Jahren Zielmarken gesetzt: Bis 2050 75 Prozent weniger CO2- und 90 Prozent weniger Stickstoff-Ausstoß sowie ein Geräuschpegel, der um 65 Prozent niedriger liegt – verglichen mit den Werten des Jahres 2000. Bedenkt man die langen Entwicklungszeiten sowie die Kosten zwischen 50 und 100 Milliarden Euro, die nötig wären, um ein gänzlich neues, ökologisch optimiertes Passagierflugzeug auf den Markt zu bringen, braucht es da viel Glaubenskraft. „Die Frage nach der Realisierbarkeit ist absolut berechtigt“, bestätigt Professor Strohmayer. „Aber wenn man nicht beginnt, wird sich auch nichts ändern.“ Beim Forum Klimaschutz im Luftverkehr, das der Bundesverband der deutschen Luftfahrtindustrie BDL im April 2016 in Berlin veranstaltete, waren jedenfalls auffällig viele Prognose-Schaubilder zu sehen, auf denen die CO2- oder Stickstoff-Emissionen oder der Kerosinverbrauch ab 2035, 2040 plötzlich steil absank. Je weiter die Zukunft des Fliegens weg ist, umso ökologischer erschien sie. Auch gab man sich frohgemut, was die Entwicklung alternativer Kraftstoffe anbelangt. Dabei würden etwa die berühmten ölhaltigen Algen, die gerade in einem Forschungszentrum bei München als möglicher Kerosinersatz geprüft werden, eine sonnige, trockene Anbaufläche in den Ausmaßen Portugals benötigen, um auch nur den heutigen Bedarf des Luftverkehrs zu decken. Und sollte man wirklich großflächig Biomasse aus Zuckerrohr oder Mais anbauen, damit wir weiter jedes zweite Wochenende nach Mallorca fliegen können? „Wir dürfen bei den Biokraftstoffen nicht in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln treten“, sagt sogar der ausgemachte Flugfan Strohmayer. Doppelt unehrlich Seinem Wesen nach ist der Flugverkehr eine grenzüberschreitende Angelegenheit. Doch auch die bescheidenen Möglichkeiten, nationale ökologische Impulse zu setzen, werden hierzulande nicht genutzt. Das aktuelle Luftverkehrskonzept der Bundesregierung liest sich eher wie ein Förderplan für die ohnehin bereits großzügig subventionierte Luftfahrtindustrie. Im Gegensatz zu allen anderen Verkehrsträgern bleibt Flugbenzin steuerbefreit, werden auch die defizitären 19 deutschen Regionalflughäfen weiter staatlich unterstützt. Ein nationales Mobilitätskonzept, das die Zahl der Flughäfen zugunsten der Bahnverbindungen

minimiert, ist nicht mal entfernt in Sicht. Dabei liegt beim innerdeutschen Flugverkehr der CO2-Ausstoß pro Passagier um das 20-Fache höher als bei der Bahn. Die Diskussion über den Klimakiller Flugverkehr krankt an ihrer doppelten Unehrlichkeit. Trotz eindrucksvoller Ingenieurs- und Forschungsleistungen stößt der technische Fortschritt an seine Grenzen. Das klimaneutrale Fliegen bleibt auf Jahrzehnte hinaus eine Illusion – Jahrzehnte ungebremsten Wachstums. Gleichzeitig scheinen sich die Klimasensiblen eher an den Flügen der anderen zu stören. Von Köln nach Rom für 11 Euro – igitt! Aber die Ecolodge in der Dominikanischen Republik steht weiter auf dem Reiseplan, weil man da Fairtradekaffee zum Frühstück kriegt. Wer heute ein Flugticket bucht, sollte dies nicht mehr tun können, ohne eine Kompensationszahlung an Myclimate oder Atmosfair ausdrücklich ablehnen zu müssen. Nur jeder tausendste deutsche Passagier spendet derzeit über diese Organisationen für Klimaschutzprojekte wie Kleinwasserkraftwerke in Honduras. Weniger fliegen, bewusster fliegen und dann wenigstens für einen imaginären Ausgleich sorgen – das ist nur ein kleiner Anfang. Aber immerhin.

Fred Grimm, Schrot&Korn- Autor und -Kolumnist, hat Dauerfernweh und nimmt dagegen (meistens) den Zug. (© Rebecca Hoppe)

Zahlen rund ums Fliegen ZAHLEN RUND UMS FLIEGEN Passagiere, Preise, Profite Die Luftfahrtindustrie ist eine ökonomische Erfolgsgeschichte:

2010 zählte man weltweit 2,4 Milliarden Passagiere, 2015 3,3 Milliarden. 2034 sollen es sieben Milliarden sein. Für das Jahr 2016 erwartet die Branche Profite in Höhe von knapp 40 Milliarden Dollar, knapp fünfmal so viel wie noch 2011. Das hängt auch mit der Entwicklung des Preises für Flugbenzin zusammen. Pro Barrel zahlte man im Juli 2008 169,57 Dollar, im Dezember 2016 waren es nur noch etwa 45 Dollar. Auch die Flugpreise sind gesunken. Hätte einen der Flug Frankfurt–New York Mitte der 50er- Jahre noch 77 Prozent des jährlichen Durchschnittseinkommens gekostet, lag der Ticketpreis Mitte der 90er-Jahre bei einem Anteil von 1,2 Prozent. Doch in keinem anderen Sektor steigen die Emissionen von Treibhausgasen schneller. Fünf Prozent sind es pro Jahr. Wenn die Öko-Wende nicht gelingt, wird der Flugverkehr bis Mitte des Jahrhunderts mit seinem Ausstoß von Treibhausgasen zum Klimakiller Nummer eins.

Interview: „Es geht auch um Klimagerechtigkeit“

Annegret Zimmermann ist Referentin für Klimagerechtigkeit im Tourismus und Mobilität bei „Brot für die Welt“. (© Hermann Bredehorst/Brot für die Welt)

Will man die Welt kennenlernen, muss man sie sehen. Doch wenn wir fliegen, zerstören wir sie auch. Wie lösen wir das Dilemma auf? Den Wunsch, fremde Kulturen kennenzulernen, kann ich niemandem verdenken, gerade jungen Menschen nicht. Aber es geht auch um Klimagerechtigkeit, denn meist sind gerade die Menschen, die niemals fliegen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden. Es wäre besser – wenn überhaupt –, nur alle zwei bis drei Jahre zu fliegen und dafür länger vor Ort zu bleiben, um sich wirklich auf andere Kulturen einlassen zu können. Die internationale Luftfahrtorganisation ICAO hat versprochen, ab 2020 klimaneutral zu fliegen. Dann wäre alles gut, oder? Leider nicht. Zwar ist zu begrüßen, dass es erstmals überhaupt so eine Verabredung gibt. Letztlich aber

wird ein klimaneutrales Wachstum des Luftverkehrs wohl nicht erreicht. Die schädlichen Wirkungen des Fliegens sollen mit Klimaschutzmaßnahmen verrechnet und ausgeglichen werden, anstatt das Wachstum des Luftverkehrs zu bremsen. Das kann nicht funktionieren, denn so viele Kompensationsmöglichkeiten gibt es gar nicht. Können wir hier etas gegen die schädigenden Wirkungen des Luftverkehrs tun? Der Flugverkehr wird in Deutschland mit zehn Milliarden Euro im Jahr subventioniert. Die Luftverkehrssteuer dagegen bringt nicht mehr als eine Milliarde. Dabei müsste umweltschädliches Verhalten eigentlich verteuert und umweltfreundliches belohnt werden. Auch Kurzstreckenflüge machen wenig Sinn. In unserem alternativen Luftverkehrskonzept schlagen wir vor, 150 000 der innerdeutschen und grenznahen Flüge sofort sowie 200 000 weitere mittelfristig auf die Schiene zu verlagern. Rechnet man alle Wege zusammen, geht es mit der Bahn oft sogar schneller als mit dem Flugzeug.

Mehr zum Thema ‣ www.vcd.org/themen/flugverkehr Lobby für nachhaltige Mobilität mit vielen Fakten zum Fliegen ‣ www.atmosfair.de CO2 berechnen und kompensieren ‣ www.boell.de Wie wird Fliegen ökologischer? Das „Dossier: Fliegen“ gibt Antworten ‣ www.cleansky.eu EU-Forschungsprogramm für klimafreundlicheren Flugverkehr ‣ www.fluglaerm.de Sammelseite mit Fakten, Daten und Kontaktadressen für den Kampf gegen den Krach von oben

Strasdas, Wolfgang; Rein, Hartmut (Hg.): Nachhaltiger Tourismus, utb-Verlag, 2015, 343 Seiten, 24,99 €

Herrmann, Frank: FAIRreisen, Oekom Verlag, 2016, 328 Seiten, 19,95 €

Blinda, Antje; Orth, Stefan: Sorry, wir haben die Landebahn verfehlt, Ullstein-Verlag, 2013, 224 Seiten, 8,99 €

Erschienen in Ausgabe 03/2017 Rubrik: Leben&Umwelt

Kommentare

Mario Sedlak 05.03.2017

Stickoxide sind kein Treibhausgas. Der Artikel hätte vor Druck von einem Sachkundigen gelesen werden sollen. Gruß

Mario

Hartmut Rencker 05.03.2017

Solar und Wasserstoff sind Visionen, noch abwegiger als die seit 60 Jahren unmittelbar vor dem Durchbruch stehende Kernfusion. Dass das nichts wird, zeigte die Monate brauchende Weltumseglung mit einem fragilen Papierflieger, so langsam wie ein schneller Radfahrer. Starrflügler brauchen jede Menge Energie, mehr für den Auftrieb als für den Vortrieb. Die Zukunft gehört dem Lastenträger Zeppelin, der nur Vortrieb braucht, allerdings langsam und wetterempfindlich, dafür aber mit einer so großen Oberfläche, dass sich bei südlicher Sonne vielleicht Fotovoltaik nutzen ließe. Kaiser Wilhelm meinte vor über 100 Jahren, dass die Zukunft den Pferden gehöre. Vielleicht behält er recht. Aber 8 Milliarden pferde?

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