Das Leben des Friedrich Schiller

Insel Verlag Leseprobe Damm, Sigrid Das Leben des Friedrich Schiller Eine Wanderung © Insel Verlag insel taschenbuch 3409 978-3-458-35109-2 1 Da...
Author: Swen Meissner
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Insel Verlag

Leseprobe

Damm, Sigrid Das Leben des Friedrich Schiller Eine Wanderung © Insel Verlag insel taschenbuch 3409 978-3-458-35109-2

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Das Leben des Friedrich Schiller vermittelt ein faszinierendes Lebensbild auf der Basis authentischer Zeugnisse: Schiller selbst kommt in ihm zu Wort – als Autor, als Liebhaber, Ehemann und Vater von vier Kindern, als Sohn und Freund, als der Weggefhrte Goethes. Nicht Friedrich Schillers Werke sind der Gegenstand dieses Buches, sondern die Umstnde und die Bedingungen ihrer Entstehung, der Alltag eines Schriftstellers, Gelehrten und Theatermannes. Sigrid Damm sucht bei ihrer Wanderung die Orte von Schillers kurzem Leben auf. Es ist ein Åberraschend kleiner Raum; Schiller hat nie die Schaupltze seiner Dramen – Frankreich, Schottland, die Schweiz – gesehen, nie Italien, hat niemals an einem Meer gestanden. Geldmangel hat sein Leben geprgt. Schiller war einer der ersten Autoren, die einen wesentlichen Teil ihrer EinkÅnfte als freie Autoren zu bestreiten versuchten und somit gezwungen waren, sich im kommerziellen Literaturbetrieb zu behaupten, ungeachtet dessen, daß er auch der citoyen war, der EhrenbÅrger der FranzÇsischen Revolution, und der Mann, den Kaiser Franz II. in den »heiligen rÇmischen Reichs-Adelsstand« erhob. Bei aller ußeren Kargheit war dieses Leben dennoch kein ›Leben im Kleinen‹. Der Mensch, dessen Lebensspuren Sigrid Damm folgt, spricht nicht nur von »Freiheit«, er ist frei, innerlich unabhngig. Die Rume, die seine Gedanken durchschreiten, kennen keine Grenzen. Ein verbindlicher Mann ist der Autor der Ruber auch spter nicht geworden. Er war eher ein Mann des schroffen Urteils, dabei ein fÅrsorglicher Sohn und Vater, fhig zu dauerhafter Freundschaft, zu Frauen wie zu Mnnern. Seine Freundschaft zu Goethe nannte er das wohlttigste Ereignis seines ganzen Lebens: sieben Wartejahre, in denen Goethe ihm die kalte Schulter zeigte; dann in den letzten Lebensjahren die ErfÅllung einer Arbeitsgemeinschaft, auch sie nicht frei von Spannungen. Sigrid Damm, geboren in Gotha/ThÅringen, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin und Mecklenburg. Von Sigrid Damm liegen im insel taschenbuch außerdem vor: VÇgel, die verkÅnden Land. Das Leben des Jakob Michael Reinhold Lenz (it 1399), Cornelia Goethe (it 1452), Christiane und Goethe. Eine Recherche (it 2800) und Goethes letzte Reise (it 3300). Als suhrkamp taschenbuch sind erschienen: Ich bin nicht Ottilie (st 2999), Diese Einsamkeit ohne berfluß (st 3175).

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insel taschenbuch 3409 Sigrid Damm Das Leben des Friedrich Schiller

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Sigrid Damm Das Leben des Friedrich Schiller Eine Wanderung Insel Verlag

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Frontispiz: Philipp Hetsch Friedrich Schiller als Regimentsmedikus, 1781/82 Deutsches Literaturarchiv, Marbach a. N.

insel taschenbuch 3409 Erste Auflage 2009 F Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2004 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der bersetzung, des Çffentlichen Vortrags sowie der bertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfltigt oder verbreitet werden. Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag Umschlag nach EntwÅrfen von Willy Fleckhaus Satz: Jouve Germany, Kriftel Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany ISBN 978-3-458-35109-2 1 2 3 4 5 6 – 14 13 12 11 10 09

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Das Leben des Friedrich Schiller

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Erstes Kapitel I

Ich gehe mit dem Gedanken um, Åber Friedrich Schiller zu schreiben. Entsinne mich, wie meine Schwester mir als Kind – ich ging noch nicht zur Schule – Schillers »BÅrgschaft« beibrachte. Es war das erste Gedicht, das ich auswendig konnte. Auf einem Bein hÅpfend lernte ich es. Die Geschichte von MÇros, der den Dolch im Gewande zu Dionys dem Tyrannen schlich, und, zum Tode verurteilt, den Freund ihm als BÅrgen ließ, um die Schwester dem Gatten zu freien, beeindruckte mich zutiefst. Sie hat wohl meine Vorstellung von Freundschaft fÅrs Leben geprgt. Und der Widerstreit von Versmaß und HÅpfrhythmus ist bis heute in mir. Dann kam von den Erwachsenen die Geschichte von den faulen pfeln in Schillers Schreibtischschublade, die Geschichte seines enormen Fleißes und fortwhrenden Krankseins. Wurde er nicht gegen den anderen, Goethe, ausgespielt? Ich sah ihn Tag und Nacht Åber seinen Papieren sitzen und Schnupftabak in die große Nase ziehen. Ich wandte mich dem anderen zu, der es weniger mit dem Fleiß hatte und mehr Heiterkeit versprach und den meine Großmutter einen SchÅrzenjger nannte. Spter, als ich an einer Universitt studierte, die den Namen Friedrich Schiller trug, nderte sich das kaum. Im Gegenteil, mit den jungen Romantikern wre ich gern vor Lachen vom Stuhl gefallen, wenn sie Schillers »Lied von der Glocke« rezitierten, mit ihnen mokierte ich mich Åber Schillers biederes Frauenideal. Goethe war mir stets nher, und ich solidarisierte mich mit Georg BÅchner, der Schillers Dramen9

figuren Marionetten mit himmelblauen Nasen und affektiertem Pathos nannte. Als ich als Studentin in Weimar ein Praktikum machte, Vierzehn- bis Achtzehnjhrige waren zu den »Weimartagen der Jugend« innerhalb von zwei Stunden durch Goethe-Haus, Schiller-Haus und FÅrstengruft zu fÅhren, begnÅgte ich mich stets mit dem Haus am Frauenplan. Erzhlte dort von der Freundschaft Goethes und Schillers. Mehrfach, entsinne ich mich, wurde ich dabei von lteren Herren unterbrochen, die sich mit dem Hinweis einmischten, ich solle doch sagen, wie es wirklich gewesen sei: Goethe habe Schiller umgebracht. Ich wußte damals nichts von Mathilde von Ludendorffs Machwerk »Der ungesÅhnte Frevel«, in dem sie behauptete, Schiller sei durch den in jÅdischem Solde stehenden Freimaurerorden vergiftet worden und Goethe habe als Logenbruder von der Ermordung Schillers Kenntnis gehabt und sei daher der Mitwisserschaft schuldig. Ich ahnte nicht, welche Verbreitung diese absurde Behauptung in der Zeit des Nationalsozialismus gefunden hatte. EmpÇrt wies ich die Einwnde der Herren zurÅck. Wenn ich das Goethe-Haus nach anderthalb Stunden verließ, nahm ich nicht den Weg zur FÅrstengruft, sondern den Åber die Esplanade – ein kurzer Blick auf Schillers Wohnhaus – zum Jakobsfriedhof. Ich betrat ihn stets durch die kleine Seitenpforte, neben der links das KassengewÇlbe liegt. In ihm habe Schiller seine erste Ruhesttte gefunden. Und 1827 sei er dann in das Mausoleum auf dem Neuen Friedhof in Weimar, in die FÅrstengruft, gebracht worden. Die Geschichte, daß zwanzig Jahre nach Schillers Tod der Weimarer BÅrgermeister Carl Leberecht Schwabe das KassengewÇlbe Çffnen, in den Åbereinandergeschichteten, eingefallenen Srgen nach den Gebeinen Schillers suchen ließ – und: unter den dreiundzwanzig geborgenen Totenschdeln 10

glaubte, den Schillers identifiziert zu haben –, erzhlte ich nicht. Auch nicht, daß Goethe den Totenschdel des Freundes Åber Monate in seinem Haus behielt, bis Herzog Carl August ihm einen Platz in der Weimarer Bibliothek in einem verschlossenen Behltnis zuwies. Obgleich im Studium und in der EinfÅhrung zum Weimar-Praktikum ausfÅhrlich von diesen Geschichten die Rede war, gerade hatte ein russischer Professor angeblich die Echtheit des Schillerschen Schdels nachgewiesen, schwieg ich darÅber. Entließ die Gruppe in das von BlÅten Åberste JunigrÅn des Jakobsfriedhofes. War mein Schweigen eine Art Solidaritt? Schiller konnte sich gegen dies alles nicht zur Wehr setzen. Theatererlebnisse. Unvergeßlich »Die Ruber« in lettischer Sprache, eine AuffÅhrung in Riga. Es war noch Jahre vor der LoslÇsung von der Sowjetunion. Auf der BÅhne wurde das Leben geprobt. Die Luft brannte. »Die Ruber« dann wieder und wieder. Die letzte Inszenierung sah ich in den Ruinen des Klosters Hirsau unter freiem Himmel in einer Augustnacht 2003; eine Inszenierung der LandesbÅhnen Sachsen, unspektakulr, ganz auf den Text gestellt. Mein Herz flog dem Autor zu, Schillers »Ruber« sind das StÅck seiner StÅcke. AuffÅhrungen von »Kabale und Liebe«, die kaum Spuren hinterließen. »Don Carlos«, einzig die Erinnerung an den donnernden Applaus bei dem Satz: Geben Sie Gedankenfreiheit. Eine beeindruckende Inszenierung der »Maria Stuart« im Deutschen Theater. Und jene »Wilhelm Tell«-AuffÅhrung im Naturtheater Bauerbach, einem kleinen Dorf im sÅdlichen ThÅringen unweit von Meiningen. Mit auslndischen Germanisten besuchte ich die AuffÅhrung. Es waren die Dorfbewohner, Arbeiter und Bauern, die auf der BÅhne unter freiem Himmel 11

standen. Geßler kam auf einem Pferd geritten; das Pferd bekam den meisten Applaus. Den »Demetrius« habe ich nie im Theater gesehen. Auch Schillers »Wallenstein«-Trilogie nicht. Im Herbst und FrÅhwinter 2002 fÅhren mich meine Lesungen aus den »Tage- und NchtebÅchern aus Lappland« an Schillers Lebensorte. Ein Zufall? Mir scheint es keiner zu sein. Mannheim, der Ort der UrauffÅhrung seiner »Ruber«, die Stadt, in der er als junger Theaterschriftsteller lebte. Ich stehe in einem kleinen Park plÇtzlich vor seinem Denkmal. Groß und abweisend wirkt es auf mich; in HÇhe meiner Augen Schillers Waden. Der Bildhauer Johann Heinrich Dannecker fllt mir ein, der nach Schillers Tod schrieb, er wolle ihn lebig machen, aber der kann nicht anders lebig sein, als colossal. ›Schiller muß colossal in der Bildhauerei leben‹, ich will eine Apotheose. Dresden. Neustadt, Kohlmarkt. Nicht weit davon begegnet mir Schiller auf einem hohen Sockel in einem Rondell, zu seinen FÅßen im Rund Szenen aus seinen Werken. Die eiserne TÅr ist wegen der Graffiti-SprÅher verschlossen. Ich sehe durchs Gitter, sehe zu ihm hinauf. Stolze Kopfhaltung, wallendes Haupthaar, nackte Schulter, ein dramatisch drapiertes antikes Gewand, das er mit einer Hand zusammenhlt. Seine FÅße stecken in rÇmischen Sandalen. Die nackten Zehen sehen mich an. Es hat geregnet. In den Falten des Gewandes badet ein kleiner Vogel; das ist das einzig TrÇstliche an diesem steinernen Anblick. Lesung in Jena. Wenigenjena, die Kirche, in der Schiller geheiratet hat. Vergeblich meine Bitte im Pfarramt, einen Blick hineinwerfen zu dÅrfen. Es werde gebaut. Schillers Gartenhaus, ich gehe durchs Haus, durch den Garten. Die umschließende Mauer. An ihr fÅhrte mich einst mein Weg 12

vom Westbahnhof zum Studentenheim wÇchentlich zweimal vorbei. Spter, entsinne ich mich, nach Abschluß des Studiums, als junge Assistentin, ich erwartete mein erstes Kind, hielt ich mich Çfter in diesem Garten auf, vor Abfahrt meines Zuges vom Paradiesbahnhof nach Saalfeld; die lrmabweisende Mauer, Geruch nach Quitten, Ruhe, eine Oase. Zwischen zwei Lesungen fahre ich am Wochenende nach Bauerbach. Das Naturtheater liegt verlassen. Hier betrat der junge Schiller erstmals den Boden des Landes, das ihm Heimat werden sollte: ThÅringen. Er betrat es als Deserteur, Unperson, Staatenloser, geflÅchtet aus seiner Heimat Schwaben. Bauerbach war auslndisches Territorium, bot ihm Schutz, Sicherheit. Erste Fremde. Ich gehe durchs Haus; seine Kammer, Bett, Arbeitstisch. Hier also schrieb er »Kabale und Liebe«, begann er den »Don Carlos«. Weimar. Das Denkmal der beiden Freunde auf dem Platz vor dem Theater. Der Nacken wird mir steif. Man weiß um den unterschiedlichen KÇrperbau der beiden, schlank der eine, beleibt der andere, Schiller hat Goethe zudem um Haupteslnge Åberragt. Aber gleich groß stehen sie nebeneinander. Der GrÇßenunterschied wird negiert. Einer Gerechtigkeit wegen? Welcher? Die Anmaßung, dem einen, Goethe, den Lorbeerkranz in die Hand zu geben, den andern nur danach greifen, ihn den Lorbeer nicht einmal berÅhren zu lassen. Die schulmeisterliche Geste, die man Goethe zugedacht hat, gleichsam beruhigend legt er die Hand auf die Schulter des Freundes. Schiller hat sein Gesicht abgewandt. Sie stehen beziehungslos nebeneinander. Das Offizielle, UnpersÇnliche; die klassische Klte des Standbildes. Lebendig ist es allein auf seinen steinernen Stufen. Mehrere HalbwÅchsige nutzen sie als Sprungbrett fÅr ihre KÅnste mit ihren Skateboards. Langsam biege ich in die Schillerstraße, die einstige 13

Esplanade, ein. Geruch von Åber Kohlefeuer gebratenen ThÅringer WÅrsten. Der Brunnen mit dem Gnsemnnchen. Ich stehe vor Schillers Haus. ZÇgere. Seit einer Klassenfahrt habe ich es nie wieder betreten. Dann der Entschluß. Ich gehe hinein. Die Rume zu ebener Erde. Das erste Stockwerk. Das zweite. Die Mansarde, Schillers Arbeits- und Sterbezimmer. Ich bleibe im TÅrrahmen stehen. Eine Gruppe von Abiturienten, dichtgedrngt. Kichern. Knarren von Dielen. Die Erklrungen der MuseumsfÅhrerin. Und mit einemmal weiß ich, weshalb ich das Schillerhaus Åber fÅnfzig Jahre gemieden habe. Auch ich stand damals eingekeilt zwischen meinen MitschÅlern, ich stand, entsinne ich mich, in dem schmalen Zwischenraum zwischen Schreibtisch und Bett. Dem Bett, in dem Schiller gestorben war. Diese rumliche Nhe erschien mir unzulssig; obszÇn, als Verletzung seiner Intimsphre. Ebenso das, was ich hÇrte und was ich jetzt wortwÇrtlich wieder hÇre, die FÅhrerin liest es von einer Karteikarte ab: den Bericht von Schillers Obduktion. Dann die Schdel-Geschichte. Ich warte, bis der Raum leer ist, das Knarren der Treppe sich verliert, die untere TÅr sich schließt. Ich bin allein. Trete ins Zimmer. Auch im Alleinsein diese Fremdheit. Die Vergeblichkeit, Åber Gegenstnde Nhe erzeugen zu wollen. Mein Blick fllt auf den Schreibtisch, auf die Stelle, wo Schillers Schnupftabakdose ihren Platz hat, wo der Federkiel liegt. Damals war die Stelle voller Flecken, Vertiefungen und Kratzer. Ich erinnere mich genau an dieses Detail. Es war das einzige, was mich wirklich berÅhrte, diese kleine Flche auf seinem Schreibtisch, die seine Spuren zu tragen schien. Ich sah ihn ein Messer nehmen, um die Feder zu beschneiden, sah ihn die Tabakdose Çffnen und schlie14

ßen. Kein Kratzer mehr, eine glatte Flche. Das Fatale der biographischen Annherung. FÅr jede Generation wird der Schreibtisch offenbar neu aufpoliert. Ich verlasse das Haus. Draußen im Novemberlicht stehe ich, Schillers Wohnhaus im RÅcken, unvermittelt vor Wieland FÇrsters Schiller-Statue. Ich gehe um die Bronze herum. Ein menschliches Maß. Ein nackter KÇrper in der Qual seiner physischen Existenz, die Arme erhoben, kein Gesicht, kein Kopf sichtbar. Es bleibt nichts als das Werk. Es ist die Person und ist nicht die Person; es ist das Werk, das aus ihr hervorging. Der KÇrper als Metapher fÅr das Werk. So, wie Wieland FÇrster Schiller geschaffen hat, Åber ihn schreiben . . .

II

Ich lese Schiller. Lese, lese. Der Dramatiker. Der Lyriker, Erzhler, Historiker, Kritiker, der Herausgeber, Theoretiker, der sthetiker und Philosoph. Der Bearbeiter von StÅcken, bersetzer. Der Briefschreiber Schiller. Vieles lese ich zum ersten Mal. Eine Wanderung durch seine Texte. Rume Çffnen sich. In manche blicke ich nur hinein, in anderen halte ich mich lange auf, durchwandere Satz fÅr Satz. Landschaften tun sich auf. Der Horizont der Gedanken dehnt sich. Abwehr und Faszination. Abwehr. Ich finde meine Vorurteile besttigt. Mich befremdet die Hochgestimmtheit von Schillers Ton. Befremdet sein Emporschwingen in die Welt der Ideale, seine Idealisation. Schiller, der Astralgeist. Der Idealist. Der Moralist. Mich irritiert der rhetorische Pomp, die Didaktik, der Ge15

stus des KÅnders, ermÅdet das Erhabene, Edle, Große, das er strapaziert. Jahrhundertferne. Faszination. Das Werk, die Kunstwelt, die sich vor mir ausbreitet. Der große Spannungsbogen von den frÅhen zu den spten Dramen, von den »Rubern« zu »Wallenstein« und »Demetrius«. Die BrÅche, Risse, AbgrÅnde. Schiller sagt sich von seinen »Rubern« los, bezeichnet seinen »Don Carlos« als Machwerk. Warum? Dann seine Abkehr vom Theater. FÅr zehn Jahre. Nebenwege, warum geht er sie? Was lßt ihn spter zurÅckkehren zum Eigentlichen, zur Poesie? Dann der unaufhaltsame Erfolg seiner Dramen auf den deutschen BÅhnen. Die Geschichte seines Erfolges, immer auch die Geschichte seiner Verunsicherung. Das Publikum als Richter? Die aufregende Landschaft von Schillers Gedankenwelt. Die Lauterkeit dieses Mannes. Mich berÅhrt am strksten seine Wahrheitssuche. Wie er sich die kleinen Bleigewichte an die FÅße bindet, die ihn erden und ihn bei seinen HÇhenflÅgen befhigen, die Geschichte seines Absturzes stets mitzuliefern; zeitgleich zuweilen, meist aber zeitversetzt. Schiller, der Weltverbesserer, der den Weg zu der Freiheit Åber die SchÇnheit gehen will, der in der sthetischen Erziehung des Menschen den SchlÅssel zur Weltvernderung sieht. Der dieser Idee vertraut und ihrer Ausarbeitung viel Lebenszeit widmet. Und sie zunehmend in Zweifel zieht, sie am Verlauf der Geschichte – den europischen Umwlzungen von 1789 und ihren Folgen – prÅft: unerbittlich Analyse des SchÇnen und Zeitanalyse verbindet. Beim erneuten Wandern durch Schillers Texte, diesmal in der Abfolge ihrer Entstehung, mache ich eine verblÅffende Erfahrung: wie eine Verkleidung, ein fremdes KostÅm fllt die Jahrhundertferne von ihnen ab.

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Erregungen, WidersprÅche, die mir aus seiner Biographie entgegentreten. Die Kargheit seiner Lebenslandschaft. Fast kÇnnte man von Ereignislosigkeit sprechen. Die Enge der ußeren Koordinaten. Die Lngen- und Breitengrade, innerhalb deren er sich bewegt, ergeben ein kleines deutsches Geviert: WÅrttemberg, Pfalz, Sachsen, ThÅringen. Kurze Reisen nach BÇhmen und Preußen; Karlsbad der Çstlichste, Berlin der nÇrdlichste Punkt. Von seiner eingeschloßeneÆnæ LebensArt spricht er. Die ThÅrschwelle sei die Grenze seiner WÅnsche und Wanderungen. Er bezeichnet seine Existenz als eine zwischen papiernen Fensterscheiben, im Gegensatz zu Goethe, der in die Welt hineingeworfen sei. Ist diese Existenz zwischen papiernen Fensterscheiben allein Schillers Krankheit und seinem Geldmangel geschuldet, oder ist sie nicht vielmehr die ihm auf den Leib geschneiderte, die ihm gemße Lebensform? Nie hat Schiller die Schaupltze seiner Dramen, das Frankreich der »Jungfrau von Orleans«, das Schottland seiner »Maria Stuart«; nie Spanien, Rußland, die Schweiz, nie das RÅtli und den Vierwaldsttter See, die Schaupltze seines »Wilhelm Tell«, gesehen. Er ist in seinem Leben nicht nach Italien gereist; niemals hat er an einer KÅste gestanden, nie das Meer gesehen. Schiller, ein Suchender in der Welt der BÅcher, ein Abenteurer auf dem Papier? Den Mangel an sinnlicher Welterfahrung hat er selbst stets beklagt, von sich als einem Thier gesprochen, dem gewiße Organe fehlen. Sich als eine Zwitter-Art zwischen dem Begriff und der Anschauung gesehen, zwischen der Regel und der Empfindung, zwischen dem technischen Kopf und dem Genie. Schillers frÅher Tod. Mit fÅnfundvierzig Jahren stirbt er. 17

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualitt, schreibt er und fÅgt hinzu: Diese muß es . . . wert sein, vor Welt und Nachwelt ausgestellt zu werden. Anders als Goethe, der der Welt und der Nachwelt in »Dichtung und Wahrheit« meisterlich-raffiniert aufgedrngt hat, wie er gesehen zu werden wÅnscht, hat Schiller niemals an eine Selbstdarstellung gedacht. Bis zum letzten Atemzug hat er an seinem Werk gearbeitet. Hat er nicht sogar Werk und Person entschieden voneinander abgegrenzt? Wenn mich je das UnglÅck oder GlÅck trfe, sehr berÅhmt zu werden, schreibt der Neunundzwanzigjhrige einer Freundin, wenn mir dieses je passirt, so seyen Sie mit Ihrer Freundschaft gegen mich vorsichtiger. Lesen Sie alsdann meine Schriften, und lassen den ›Menschen‹ Åbrigens laufen. Genau darauf aber richtet sich meine Neugier, von der meine Wanderung bestimmt sein wird: auf die Individualitt, die dieses Werk hervorbringt. Das Verwobensein der Schriften mit dem ›Menschen‹. Wie eines mit dem anderen verbunden ist, sich beflÅgelt, stÇrt, verwundet, beglÅckt, stranguliert und fÇrdert. Nicht das Werk ist Gegenstand meines Buches, es sind die Umstnde und Bedingungen seiner Entstehung. Dabei beschftigt mich die Verbindung von Werk und Leben nicht aus dem Blickwinkel der Nachwirkung, nicht aus der Sicht auf SchaffenshÇhepunkte oder besondere Ereignisse. Ich gehe den unspektakulren Weg, mein Blick richtet sich auf den Arbeitsalltag Schillers. Die Zeit als Erzhlraum zieht mich an. Ich wandere die Linien seiner Lebenszeit entlang, erschließe mir die Landschaft seiner Jahre.

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FÅr diesen Weg ist ein authentischer Zeuge mein Begleiter: Schiller selbst. Ich finde ihn in seinen Briefen. Sie sind Werkstattberichte, sind das Buch seiner Tage, fast ein Tagebuch, ein Psychogramm seiner Person; das Werk steht darin an erster Stelle. Suchen, Verwerfen, Krisen; und nach kurzem GlÅck Åber die Vollendung einer Arbeit erneute Schreibqualen. Schreiben als seine Daseinsform, das Tagesablauf, Lebensordnung, das die Gesamtheit seiner Existenz bestimmt. Jede Alltagsverrichtung, alles scheinbar Private ist ihm zu- und untergeordnet. Die ußeren Bedingungen dieses Schreibens: ein ewiger Kampf. Bestimmt von ExistenznÇten, Geldmangel. Ein LebenskÅnstler ist Schiller keineswegs. Aber er ist auch kein Poet in der Dachstube. Er versteht zu leben. Hat AnsprÅche. Sein Lebensstil Åbersteigt stets seine Verhltnisse. Ich sehe seinen allzu laxen Umgang mit Geld, besonders in jungen Jahren. Und als Folge davon: seine stndigen Schulden. Aber auch fehlende oder knausrige Mzene. Schiller fllt nichts zu. Um alles muß er bitten; erniedrigende Anfragen, diplomatisch gewundene Gesuche. Sein Schreiben ums Brot. Schiller ist einer der ersten Autoren, die einen wesentlichen Teil ihres Unterhalts durch Einnahmen als freie Autoren erzielen. Sein SichbehauptenmÅssen auf dem Literaturmarkt. Marktorientierung. Publikumsstrategien. VerfÅhrung durch den Markt. Distanz zu ihm. Ich sehe seinen Witz: er schreibt sich selbst Verrisse, die die beste Werbung fÅr seine Werke sind. Seine zunehmende Beherrschung der Kaufmanns Materie. Und das GlÅck großzÅgiger Verleger. Am Ende seines Lebens ist er einer der bestverdienenden deutschen Autoren. Schiller, der citoyen, der EhrenbÅrger der FranzÇsischen Revolution. Der Mann, der von Kaiser Franz II. in den heiligen rÇmischen ReichsAdelstand gehoben wird. 19

Schillers Stimme: ironisch, sarkastisch, bitter, heiter, verzweifelt, bÇse, scharf. Niemals ein Entweder-Oder, immer ein fÅr ihn charakteristisches Sowohl-Als-auch, der Blick von zwei Seiten. Sein stetes Geworfensein zwischen Erwartung und Enttuschung, Hochstimmung und Depression. Zwischen, wie er selbst sagt, Opiumsschlummer und Champagnerrausch. Der FÅnfunddreißigjhrige schreibt, daß er sich jetzt vor dem Extrem der NÅchternheit . . . zu fÅrchten habe wie ehemals vor dem der Trunkenheit. Ein Mann der Verbindlichkeit, des Ausgleichs war er nicht. Eher einer der Schroffheiten. Seine scharfen Urteile Åber Kollegen. Eine Schrfe, mit der er auch mit sich selbst ins Gericht geht. Die Anziehungskraft, die von all diesen WidersprÅchen ausgeht. Ich lasse den ›Menschen‹ nicht laufen. Meine Neugier. Schillers Verhltnis zu seiner Mutter, einer starken, beeindruckenden Frau. Sein Verhltnis zum Vater, zu den drei Schwestern. Schiller, der Mann, der Liebhaber. In jungen Jahren seine leidenschaftliche Beziehung zu der verheirateten Charlotte von Kalb; der Versuch, zu dritt zu leben. Seine Liebe zu zwei Frauen, den Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld. Auch da die Utopie eines gemeinsamen Lebens. Schließlich, nach den ungewÇhnlichen Experimenten, das Einschwenken in eine bedachte, wohltemperierte Ehe, die seiner Arbeit dient. Schiller als Vater. Ein heiteres Kapitel. Schiller und der Weimarer Herzog. Carl Augusts lebenslange Vorbehalte gegen den Autor der »Ruber«. Seinem Namen als Vorsteher eines Musenhofes macht er Schiller gegenÅber keineswegs Ehre. Carl Augusts großzÅgiges Mzenatentum beschrnkt sich allein auf Goethe. 20