Das ist eine Kultur - revolution! TITEL

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Author: Barbara Weber
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„ Das ist eine Kulturrevolution! “ © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. Dieses Dokument ist lizenziert für Daimler AG, u9642316. Alle Rechte vorbehalten. © WirtschaftsWoche. Download vom 25.07.2016 15:36 von daimler.genios.de.

FOTO: STEFAN NIMMESGERN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE

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Autoindustrie

: Daimler-Chef Dieter Zetsche plant den radikalsten Konzernumbau der vergangenen Jahre. Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche erklärt er seine Pläne für autonomes Fahren, neue Führungsprinzipien und sagt, wie Schwarmintelligenz gegen Angreifer aus dem Silicon Valley helfen soll. E 22.7.2016/WirtschaftsWoche 30

© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. Dieses Dokument ist lizenziert für Daimler AG, u9642316. Alle Rechte vorbehalten. © WirtschaftsWoche. Download vom 25.07.2016 15:36 von daimler.genios.de.

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TITEL Ideenfindung – alles neu. „Das ist“, sagt er, „eine Kulturrevolution.“ Zetsche, 63, hat in den vergangenen zwei Jahren eines der erstaunlichsten Comebacks der deutschen Industrie bewerkstelligt: Aus dem verschlafenen Daimler, das hinter die Konkurrenz aus Audi und BMW zurückzufallen drohte, hat er einen der erfolgreichsten Dax-Konzerne geformt. Absatz, Umsatz, Rendite: alles auf Rekordniveau. Bis 2019 läuft sein Vertrag noch, er könnte nun in aller Ruhe die Früchte seiner Arbeit einfahren. Dafür aber ist Zetsche nicht der Typ, und so will er eines der stärksten internen Umbauprogramme starten, das sich ein deutscher Industriekonzern je vorgenommen hat.

A

m 1. Mai dieses Jahres steht Dieter Zetsche auf der Bühne einer Veranstaltung in Berlin und mimt einen indischen Schmetterling. An seiner Seite schwingt der Tänzer Eric Gauthier und leitet Zetsche sanft so an, dass der Daimler-Chef nach wenigen Sekunden wirkt, als habe er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht. „Moderner Tanz“, sagt Gauthier dazu, „ist Improvisation.“ Und das ist das Stichwort, bei dem auch an diesem Tag aus dem Vortänzer Zetsche wieder der Konzernlenker wird. Führung hat, sagt Zetsche nämlich dort, mehr mit Improvisation zu tun, als Konzernobere bisher dachten: „Wir sind hier auf einem sehr guten Weg, der uns helfen soll, vom Blatt spielend, in die neue Form der choreografierten Improvisation hineinzukommen.“ So, so. Choreografierte Improvisation also. Keine drei Monate nach diesem Auftritt ist aus den blumigen Worten harte Realität geworden: Zetsche, das verrät er nun im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, ist bereit, den 130 Jahre alten Daimler-Konzern neu zu formen. Führung, Entscheidungswege,

Das Projekt „Prototyp Daimler 2020“ nahm seinen Anfang vor einem knappen Jahr. Nach einem Trip ins Silicon Valley war der Führungsriege klar: Daimler muss agiler und flexibler werden. Kurz vor Weihnachten formte sich ein Team aus 144 Köpfen – teils vom Vorstand vorgeschlagen, teils aus 17 000 internen Bewerbungen gewählt. Die neuen Strukturen sollten explizit weder von „oben“ (Vorstand) noch von „außen“ (Unternehmensberatung) kommen. Das erste Mal in der Geschichte des Konzerns organisierten sich internationale Teams vollständig virtuell und brachten Dutzende Ideen vor einer Community von 1000 Daimler-Mitarbeitern zur Abstimmung. Ergebnis: Entscheidungsprozesse sollen auf zwei Ebenen reduziert werden, bisher gibt es bis zu sechs. Boni sollen sich zum Teil an kollektiven Erfolgen bemessen, Führungskräfte auch von Mitarbeitern bewertet werden. Und Ideen, die soll künftig nicht mehr nur der Chef haben – sondern ein Schwarm aus vielen Mitarbeitern. Nun ist die Idee, ein Unternehmen flexibel statt über starre Hierarchiestufen zu organisieren, so neu nicht: Porsche etwa hat per se nur drei Führungsebenen, Audi arbeitet parallel zur klassischen Abteilungsstruktur bei seinen Baureihen mit Projektorganisationen. Und die neuen Herausforderer aus dem Silicon Valley, wie Google, Apple oder Uber, organisieren sich von jeher als Schwarm. Doch bei Daimler mit seinen Gruppen, Abteilungen und Hauptabteilungen erfordert dies einen besonderen Umbau. „Wir denken, dass wir rund 20 Prozent unseres Unternehmens anders organisieren können, als wir es heute tun, zum Beispiel über Schwarmorganisation“, sagt Daimler-Personalleiterin Katrin Adt. Neben der Schwarmintelligenz gibt es

sieben weitere Führungsprinzipien, die Daimler in ein neues Zeitalter führen sollen. So sollen Führungskräfte lernen, loszulassen und auf andere Teammitglieder zu vertrauen. Sie sollen gleichzeitig stärker mit anderen Führungskräften zusammenarbeiten. Lebenslanges Lernen gehört deshalb genauso zur neuen Kultur wie ein 360-Grad-Feedback und offene Raumstrukturen. Anpacken will Daimler das ab dem kommenden Jahr. Diese Ideen in die Welt zu setzen, das war ein erster Kraftakt. Der zweite muss nun folgen: „Automobilkonzerne sind von einem hohen Grad an Arbeitsteilung zwischen sehr verschiedenen Kompetenzen, enormer Sachkapitalbindung und langen Fristen der Produktentwicklung geprägt. Kein Schwarm, sondern ein Wal“, sagt Wirtschaftssoziologe Dirk Baecker, Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten/Herdecke. Daimler-Chef Zetsche sieht dem Wandel dagegen entspannt entgegen: „Wir werden viel dazulernen, wir werden in einzelnen Bereichen aber auch auf die Nase fallen.“

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Keimzelle: Silicon Valley

WirtschaftsWoche 30/22.7.2016

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19 Dauert es nun länger als geplant, bis wir uns von unseren Autos herumfahren lassen können?

Nein, wir korrigieren unsere Zeitpläne nicht. Wir haben schon immer so geplant, dass wir dem Kunden nur Technik an die Hand geben, von der wir überzeugt sind, dass sie die Risiken auf das minimal mögliche Maß reduziert. Der Fahrdienst Uber investiert eine Menge Geld in selbstfahrende Taxis. Steckt dahinter auch ein Geschäftsmodell für Daimler?

An Autos ohne Lenkrad arbeiten wir nicht. Wir wollen dem Menschen immer die Wahl lassen, ob er selbst fahren möchte, vom Schutznetz der Assistenzsysteme umgeben, oder per Autopilot. Wenn wir bei Daimler von Robotaxis sprechen, sprechen wir von Car2Come. Ich muss also nicht zum Auto gehen, sondern es kommt auf Abruf zu mir. Überlassen Sie damit nicht ein Geschäftsfeld den Konkurrenten?

Konnektivität, autonomes Fahren, Elektromobilität und Sharing werden über den Erfolg in unserer Zukunft entscheiden. Die interessantesten Entwicklungen entstehen aus der Kombination. Wir müssen deshalb überall vorne dabei sein. Aber wie die neuen Dienste genau aussehen werden, kann ich heute noch nicht sagen. Wenn Wettbewerber schon heute sagen, wir werden im Jahr X 30 Prozent Umsatz mit Diensten um das Fahrzeug machen, ist das nicht faktenbasiert.

Herr Zetsche, der Fahrer eines Tesla ist im Autopilot-Modus bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ist der Traum vom selbstfahrenden Auto ausgeträumt? Ganz sicher nicht. Wir werden in naher Zukunft selbstfahrende Autos haben, und wir als Daimler werden ganz vorne dabei sein. Nur sind eben noch nicht alle Aufgaben gelöst. Wenn man diesem tragischen Vorfall etwas Positives abgewinnen möchte, dann, dass es nun eine intensive Debatte um den verantwortungsvollen Umgang mit der Technik gibt. Wir als Hersteller haben die Verantwortung, zu diesem Zeitpunkt nur so viel zu wagen, wie man technologisch auch beherrscht.

Angreifer im Blick Dieter Zetsche stellt viele DaimlerGrundsätze infrage, um gegen neue Wettbewerber bestehen zu können

Ein Ziel für die nahe Zukunft hatten Sie sich aber gesteckt: eine Milliarde Euro Umsatz mit Mobilitätsdiensten bis 2020. Aktuell setzen Sie erst 150 Millionen Euro im Jahr um. Ist das Ziel noch zu halten?

Wir sind mit Car2Go – unserem größten Mobilitätsdienst – zunächst schnell gewachsen, haben dann aber gemerkt, dass wir daran arbeiten müssen, profitabler zu werden. Diese Konsolidierung hat eine Wachstumsdelle mit sich gebracht, die wir gerade wieder überwinden. Wir können aber unser Umsatzziel von einer Milliarde Euro bis 2020 noch immer erreichen. Zumal wir noch einige neue Ideen haben. Bei unserer Marke Smart arbeiten wir derzeit beispielsweise an verschiedenen innovativen Dienstleistungsangeboten rund um das Auto. Das Nutzungsspektrum des Fahrzeugs soll erweitert werden mit Services, die das Leben der Menschen insbesondere in der Stadt erleichtern. Da gibt es viele Ideen, denken Sie beispielsweise an privates Carsharing im Freundeskreis. Das klingt wie ein Airbnb für Autos, eine virtuelle Mobilitäts-WG.

So könnte man das sagen. Machen Sie sich keine Sorgen, dass der Autohersteller bei diesen schönen neuen Geschäftsmodellen überflüssig wird?

Was wäre denn die Alternative zu neuen Geschäftsmodellen? Es hilft nicht, sich gegen die Digitalisierung

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zu wehren: Alles, was technologisch möglich und für die Kunden bequem ist, wird kommen. Gleichzeitig basieren alle diese Geschäftsmodelle letztlich auf der Hardware, dem Automobil. Wir können nur darüber nachdenken, wie wir diese Dinge als Erste umsetzen und anbieten. Wir müssen bereit sein, unser Kerngeschäft ständig zu überprüfen und an die Marktanforderungen anzupassen. Sie sind also bereit, Ihr eigenes Geschäftsmodell zu beerdigen, wenn es einem neueren Ansatz im Weg steht?

Absolut. Wir leben in einer disruptiven Welt. Wir wollen lieber der Disruptor sein als der Disruptierte. Bevor wir angegriffen werden, wollen wir uns lieber selbst angreifen. Andere werden es schließlich auch tun. Es geht darum, dass wir selbst erfolgreicher angreifen, als andere dies tun werden. Macht der Schnellere oder der Gründlichere das Rennen?

Der Schnellere. In den digitalen Feldern gilt eine moderne Form der Entwicklungsarbeit, wo vieles parallel läuft: Ideen haben, ausprobieren, Prototypen entwickeln und verbessern. Unser Leitsatz „Das Beste oder nichts“ darf uns dabei nicht im Weg stehen. Natürlich muss Verantwortung dabei vor Geschwindigkeit gehen. Aber: Wir können nicht alles erst auf den Markt bringen, wenn es perfekt ist. Im Digitalen, bei nicht sicherheitsrelevanten Themen, müssen wir uns auch mal mit 80 Prozent zufrieden geben und das Produkt schnell und ständig weiter verbessern. Das Streben nach Perfektion bei unseren Fahrzeugen einerseits und das schnelle Weiterentwickeln andererseits sind zwei Wege, die wir im Unternehmen nicht als Widerspruch verstehen dürfen, sondern als Treiber für unseren Erfolg. Trotzdem, die Sicherheit der Kunden steht immer im Vordergrund.

Und wer sorgt dafür, dass der Schwarm in die richtige Richtung schwimmt?

Dafür setzten wir Rahmenbedingungen: Welchen Werten folgen wir? Welche Haltung nehmen wir ein? Nicht die Entscheidungspyramide, sondern die Vernetzung steht im Vordergrund. Wir sehen darin eine Riesenchance. Wie sieht das konkret aus? Etwa bei der Entwicklung eines Motors?

„Wir leben in einer disruptiven Welt. Bevor wir angegriffen werden, wollen wir uns lieber selbst angreifen“

Wir werden das Werk Sindelfingen nicht morgen in einen Schwarm verwandeln, nein. In den acht Vorstandsbereichen haben sich bisher 30 Themenfelder herausgebildet, in denen wir diese Organisationsform anwenden wollen. Dort werden wir lernen, wie weit wir in der Anwendung gehen können. Also entscheiden letztlich doch immer noch am Ende Sie.

So ein System macht natürlich nur Sinn, wenn wir die bisherigen Entscheidungsprozesse radikal infrage stellen. Aktuell haben wir bis zu sechs Entscheidungsstufen. Bis 2020 wollen wir für jede Frage nur noch zwei Entscheidungsebenen haben. Etwa den Sach-

Das klingt nach einer Kulturrevolution bei Daimler

Das ist eine Kulturrevolution. Wir haben vor sechs Monaten einen Prozess angestoßen, an dem rund 1000 Mitarbeiter beteiligt sind. Das ging rund um den Globus, durch alle Alters- und Hierarchiestufen. Herausgekommen sind Prototypen für die Kultur des Unternehmens im Jahre 2020. Da sind viele revolutionäre Ideen entstanden. Die Ergebnisse haben wir gerade den Top-100-Führungskräften vorgestellt – und die waren begeistert, was in diesem Kreis nicht immer selbstverständlich ist. Ich bin überzeugt, dass wir bald ein grundlegend anderes Unternehmen sind. Daimler wird sehr viel schneller und beweglicher agieren als bisher. Wie soll das funktionieren?

Durch Schwarmorganisation zum Beispiel. Dieses Feld betreue ich als Mentor. Viele Start-ups und Techunternehmen arbeiten so. Die Methode ergänzt die hierarchische Führungspyramide durch crossfunktionale und interdisziplinäre Gruppen und ersetzt sie letztlich. WirtschaftsWoche 30/22.7.2016

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21 und so unsere Organisation noch agiler und innovativer zu machen. Durch neue Impulse aus der gesamten Mannschaft machen wir uns fit für die Zukunft. Dabei ist es nicht unser Ziel, Hierarchien abzubauen, sondern diese durchlässiger zu gestalten. Fachkompetenz soll gestärkt werden, bürokratische Hürden abgebaut und die bereichsübergreifende, hierarchieübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit aktiv gefördert werden.

bearbeiter und den Gruppenleiter oder gleich vom Sachbearbeiter zum Vorstand.

FOTO: STEFAN NIMMESGERN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE

Heißt das konkret, dass einige Führungskräfte in ihrer bisherigen Entscheidungsbefugnis beschnitten werden? Oder werden ganze Hierarchieebenen abgeschafft?

Nein. Vieles bei uns läuft gut und richtig. Das wollen wir weiter ausbauen. Wir wollen eine noch stärkere Vertrauenskultur schaffen und so noch schnellere Entscheidungen ermöglichen. Unsere Mitarbeiter sind motiviert und kompetent. Durch eine flexiblere und weniger hierarchische Organisationsstruktur wollen wir dieses Potenzial voll ausschöpfen. Jeder Einzelne kann so seine Kompetenzen noch besser einbringen und eine größere Wirkung entfalten. Aus einigen Prozessen haben wir bereits die überzähligen Entscheidungsebenen rausgenommen.

Wenn nur noch zwei Leute entscheiden – was entscheiden dann Sie noch?

Ich werde schon nicht arbeitslos. Wir schaffen die Rahmenbedingungen für Entwicklungen, die wir heute noch gar nicht genau kennen. Denn darum geht es: Keiner kann planen, was kommt. Dafür brauchen wir neue Organisationsformen und unsere gesamte Intelligenz, um schnell Chancen zu erkennen, Veränderungen zu verstehen und uns anzupassen.

Es gibt wenig gelungene Vorbilder für fast hierarchiefreie Unternehmen. Warum sollte das bei Daimler gelingen?

Wie sieht Ihr Fahrplan bis dahin aus?

Bis Ende 2016 wollen wir alle 150 Themen, die die Gruppen präsentiert haben, ausarbeiten und verabschieden. Ziel ist, bis 2020 alles umgesetzt zu haben – vielleicht klappt es auch schon früher. Wir werden viel dazulernen, wir werden in einzelnen Bereichen aber auch auf die Nase fallen.

Wir sind überzeugt, es ist der richtige Zeitpunkt, um unsere Führungskultur für die Zukunft auszurichten

Im Schwarm

Hand in Hand Die Zeit alleiniger Entscheidungen soll vorbei sein

Starre, hierarchische Strukturen sollen in vielen Bereichen des DaimlerKonzerns flexibleren Schwarmstrukturen weichen oder sie ergänzen. Das Prinzip dahinter: Aus den Einzelintelligenzen soll die Weisheit der Masse werden. Tatsächlich zeigt eine Reihe von Studien: Es fallen bessere Entscheidungen, wenn mehrere unabhängige Meinungen aufeinandertreffen und sich im Schwarm auf eine gemeinsame Position festlegen. Zu diesem Ergebnis kamen jüngst auch Wissenschaftler um Ralf Kurvers vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Für seine Studie wertete er 20 000 Aussagen von mehr als 140 Ärzten zu Brust- und Hautkrebs aus. Das Ergebnis: Die kombinierten Diagnosen mehrerer Mediziner waren tatsächlich treffsicherer als die alleinige Entscheidung des besten Arztes einer Gruppe.

Gibt es Kollegen, die sagen: „Dieter, weißt du, was du da tust?“

Natürlich. Wir wussten ja auch nicht – überspitzt formuliert –, ob die Mitarbeiter mit der Idee kommen, dass wir ab morgen keinen Vorstand mehr brauchen. Da hätten wir noch argumentieren können, dass das wegen der Corporate Governance in Deutschland doch hilfreich ist (lacht). Ihre Vorstandskollegen werden erleichtert sein ...

Im Ernst: Es wird immer Leute geben, die bremsen. Doch ich bin sehr optimistisch. Wir müssen uns verändern, weil der Druck von außen da ist. Die Ideen entstehen aber nicht Top-down, sondern aus dem Unternehmen heraus. Die jungen Mitarbeiter, die die Ergebnisse präsentiert haben, waren sehr authentisch. Das hätten wir als Vorstand so nie gekonnt. Zu sehen, was für ein Potenzial wir haben und wie es unsere Leute mitreißt, das war einfach fantastisch. Daimler war zuletzt sehr erfolgreich. Haben Sie da nicht viele Kollegen, die sagen: „Warum will der Zetsche alles ändern, es läuft doch?“

Wir könnten natürlich eine Flasche Champagner aufmachen und sagen: Alles super, wir sind historisch auf dem höchsten Erfolgsniveau, haben unser strategisches Ziel von zehn Prozent Ebit-Marge erreicht, die Marke entwickelt sich positiv – wir erreichen zunehmend jüngere Kunden. Alles klasse. Aber wir haben hier und jetzt die Chance, aus einer Position der Stärke die Grundlage für den Erfolg der nächsten 130 Jahre Daimler zu legen. Das begeistert mich, und das sehen wir im Vorstand als unsere gemeinsame Aufgabe an.

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TITEL sehr erfolgreiches Projekt. Was die Stückzahlen angeht, haben wir sicher erfolgreichere Modelle. Wie wollen Sie die CO2-Gesetzgebung in China erfüllen? Ab 2020 gilt dort ein Flottendurchschnitt von fünf Liter Verbrauch pro 100 Kilometer. Die Daimler-Pkw-Flotte erreicht aktuell aber erst 7,5 Liter.

Zu dieser gemeinsamen Aufgabe gehört die Einführung von Elektroautos. Schafft Daimler da den Anschluss?

Die Branche befindet sich definitiv auf dem Weg in die Elektromobilität. Die entscheidende Frage ist: In welchem Zeitraum? Als Hersteller muss man sicherstellen, nicht den richtigen Zeitpunkt zu verpassen. Das ist wie mit der umgedrehten Ketchup-Flasche. Wenn man draufschlägt, weiß man, irgendwann kommt was raus. Du weißt nicht, wann, aber wenn’s kommt, dann richtig. Dann ist es schlecht, wenn man nicht bereit ist. Ähnlich ist es mit der Elektromobilität. Es gibt Gerüchte, dass Daimler eine eigene Submarke für E-Autos entwickeln wird. Was ist da dran?

Rein elektrisch Das Angebot an teilund vollelektrischen Fahrzeugen aus dem Hause Daimler soll wachsen – schneller und umfangreicher als bisher geplant. Zetsche will auf dem Autosalon in Paris Details zu den neuen Modellen und seiner Strategie verkünden. Eine eigene Submarke für die reinen Elektrofahrzeuge ist mehr als wahrscheinlich.

Wir werden unsere Aktivitäten rund um die Elektromobilität deutlich ausweiten. Dafür haben wir unsere Planung erheblich anspruchsvoller gestaltet. Was spräche denn für eine eigene Submarke?

Marken sind eine gute Möglichkeit, um das Angebot nach innen und außen klar zu differenzieren. Siehe AMG, Maybach oder unser digitales Ökosystem Mercedes me. So gesehen kann es Sinn machen, der E-Mobilität auch eine Eigenständigkeit zu geben. Man kann das E-Auto auch nur als technische Variation des Antriebs definieren. Wahrscheinlich ist es aber viel mehr.

Sie wollen bis 2020 der volumenstärkste Premiumhersteller vor Audi und BMW sein. Fehlt dazu nicht ein starkes Modell im kleineren Segment, wie der Audi A1 oder Q2?

Hängt Ihre neue Vorliebe für elektrische Fahrzeuge auch mit dem chinesischen Markt zusammen? Die dortige Regierung plant ja drastische Abgasgrenzen.

Wir waren damals der erste Hersteller, der in China für China ein E-Auto gebaut hat. Denza hat uns viel politischen Kredit gegeben, in diesem Sinne war es ein

Es ist offenkundig, dass der Diesel derzeit in der Kritik ist. Da brauchen wir nicht drum herumzureden. Sachlich spricht aber nichts gegen den Diesel. Mit unserem neuen Dieselmotor OM 654 erfüllen wir die außerordentlich strengen künftigen Emissionsvorgaben schon jetzt. Die Umwelt muss beim Diesel für den CO2-Vorteil von rund 20 Prozent keinen Emissionspreis zahlen. Es wäre für Hersteller und die Gesellschaft absurd, auf den CO2-Vorteil zu verzichten. Wir spüren auch keine nennenswerte Veränderung in der Nachfrage nach Dieselfahrzeugen in Europa.

Wir haben Erfahrung mit den US-Behörden, und wir wissen, dass es besser ist, weniger zu kommunizieren, solange das Verfahren noch läuft. Daran halten wir uns.

Wir tragen zur Standardisierung bei den Ladesäulen bei, und wir diskutieren mit den anderen Unternehmen, ob wir uns darüber hinaus am Aufbau einer Ladeinfrastruktur beteiligen. Wir haben aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen.

Der Denza – Ihr elektrisches Modell aus dem Joint Venture mit BYD – war aber wenig erfolgreich.

Ihr Satz zum Diesel klingt nach Pfeifen im Walde: Sie haben gerade 2,6 Milliarden Euro in einen neuen Dieselmotor gesteckt, aber wenn Sie ehrlich sind, würden Sie sagen: Der Diesel ist tot.

Das US-Justizministerium hat Daimler aufgefordert, den Zulassungsprozess für Diesel in den USA zu überprüfen. Wie weit sind Sie damit?

Nehmen Sie Geld für den Aufbau der Elektroinfrastruktur in die Hand? Audi-Chef Rupert Stadler hat angekündigt, das zu tun.

China ist ein großer Treiber für die weltweite Ausbreitung der E-Mobilität. Zum einen brauchen die Städte emissionsfreie Fahrzeuge, zum anderen sehen die chinesischen Hersteller hier ihre Chance, zu westlichen Autobauern aufzuschließen.

In Europa, den USA und China sind wir in Zukunft gleichermaßen sehr gefordert. Wir haben mit den Verbrennungsmotoren riesige Fortschritte gemacht. Das wird aber nicht reichen. Wir setzen zusätzlich auf elektrifizierte Komponenten, um zum Beispiel beim Bremsen Energie zurückzugewinnen. Außerdem bieten wir Plug-in-Hybride an, die teilelektrisches Fahren ermöglichen, und natürlich batterieelektrische Fahrzeuge. In Europa setzen wir darüber hinaus auch weiter auf Diesel- und Ottomotoren und stellen diese auch nicht grundsätzlich infrage.

Video Welches Auto, bitte? Cabrio oder SUV? Benzin oder Diesel? Ein Kurzinterview mit Daimler-Chef Dieter Zetsche: wiwo.de/zetsche

Wir glauben, dass wir BMW und Audi schon vor 2020 überholen können. Aber Volumen darf nie Selbstzweck sein, sondern nur die Bestätigung, dass wir das attraktivste Gesamtpaket haben. Wir glauben, dass wir das auch ohne ein Modell im B-Segment schaffen. Wir haben die Premiumklasse mit unseren Kompakten sehr erfolgreich erweitert, und im Moment sieht es auch so aus, als würden wir es ohne ein B-Modell schaffen, schneller zu wachsen als die Konkurrenz. Herr Zetsche, vielen Dank für das Gespräch.

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WirtschaftsWoche 30/22.7.2016

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