Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken

DOKUMENTATION PRAXIS R. Hofmann H.-J. Wiesner Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken 5., überarbeitete und erweiterte Auflage B Prüfung d...
Author: Luisa Waldfogel
4 downloads 1 Views 2MB Size
DOKUMENTATION

PRAXIS R. Hofmann H.-J. Wiesner

Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken 5., überarbeitete und erweiterte Auflage

B

Prüfung des Behandlungserfolgs

Empfehlung zur Prüfung des Behandlungserfolgs von Entsäuerungsverfahren für säurehaltige Druck- und Schreibpapiere Vorwort Die vorliegende Empfehlung geht zurück auf eine Anregung von Herrn Prof. Dr. Banik, damals Studiengang Restaurierung und Konservierung von Grafik-, Archiv- und Bibliotheksgut an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, der im Zuge seiner Forschungen zur Evaluierung von Entsäuerungsverfahren das Fehlen einer entsprechenden Veröffentlichung als besondere Lücke vermerkt hat. In mehrjähriger Arbeit hat daraufhin eine Gruppe von Fachleuten aus Wirtschaft und Archiven bzw. Bibliotheken die Grundlage für diese Empfehlung geschaffen. Sie ist den bekannten Anbietern von Massenentsäuerungsverfahren zur Kenntnis und möglichen Stellungnahme gegeben worden, um von vornherein sachliche Konflikte aufgrund verfahrensspezifischer technischer Gegebenheiten minimieren zu können. Den Firmen, die sich durch konstruktive Stellungnahmen auszeichneten, gilt der besondere Dank. In der Empfehlung nimmt die Messmethode der Bruchkraft nach Falzung gemäß Bansa/Hofer eine wesentliche Rolle ein. Die Herren Dr. Bansa und Prof. Dr. Hofer (†) haben als Urheber ihr schriftliches Einverständnis zur Verwendung dieses Verfahrens erklärt. Basis für die chemische und physikalische Wirkungsprüfung sind Testpapiere bzw. aus ihnen gefertigte Testbücher (nachstehend beschrieben unter 3.1.1 und 3.1.2 bzw. im Anhang). Um Entsäuerungsverfahren zu testen, müssen diese Testpapiere den Papieren, die entsäuert werden sollen, in ihrer Beschaffenheit möglichst nahe kommen, d. h., sie müssen sauer sein. Den Schwerpunkt der Entsäuerungsmaßnahmen bilden saure Papiere, wie sie etwa zwischen 1850 und 1980 verwendet wurden. Da jedoch solche Papiere kaum noch marktgängig sind, ist es erforderlich, diese Testpapiere für die nachfolgend beschriebenen Prüfungen zunächst extra herzustellen und an möglichst zentraler Stelle zu lagern, zu verwalten und auf Anforderung zur Verfügung zu stellen. Dies sind nicht unerhebliche Kostenfaktoren, zumal die Testpapiere nach Möglichkeit nicht länger als etwa zehn Jahre verwendet werden sollten, da über längere

15

Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken Zeiträume eine nennenswerte Veränderung ihrer Eigenschaften zu befürchten wäre. Aus dieser Kostenproblematik resultiert auch die Notwendigkeit, sowohl die Zahl der Testpapiere, als auch die Zahl der notwendigen Prüfungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Testpapiere werden von der Firma Klug-Conservation, Immenstadt vertrieben. Es wird empfohlen, dass sich jeder Anbieter eines Entsäuerungsverfahrens einen entsprechenden Vorrat an Testpapieren bzw. Testbüchern zulegt. Die Lagerung der Testpapiere und Testbücher muss sich an den Vorgaben der DIN ISO 11799 orientieren, um die Stabilität der Eigenschaften über einen mittelfristigen Zeitraum gewährleisten zu können.

Einleitung Archive, Bibliotheken und vergleichbare Institutionen haben Schriftgut auf Papier – Akten, Bücher, Zeitungen, schriftliche Nachlässe u. Ä. – in ihrer Obhut, zu dessen dauerhafter Verwahrung sie aus kulturellen Gründen gehalten und zum Teil gesetzlich verpflichtet sind. Auch zahlreiche Privatpersonen verwahren Schriftstücke, etwa zur Familiengeschichte, und möchten diese dauerhaft gesichert wissen. Nachfolgenden Generationen soll dadurch die Perspektive eröffnet und zugleich bewahrt werden, sich über die Vergangenheit zu informieren und dadurch aus ihr lernen zu können. Diese Papiere sind allzu oft aus vielerlei Gründen in ihrem Erhaltungszustand gefährdet. Es können mechanische Schädigungen vorhanden sein, aber auch Schäden mit anderen exogenen oder endogenen Ursachen. Eine dieser Ursachen liegt im Herstellungsprozess moderner Papiere begründet. Im Zeitalter der Industrialisierung änderte sich auch die Papierherstellung grundlegend. Eine Neuerung galt der Leimung, die zur Manufakturzeit am fertig geschöpften Bogen, industriell aber durch Zusatz zur Masse (Fasersuspension) vor der Blattbildung erfolgte. Dabei kamen saure Substanzen (Aluminiumsulfat) zum Einsatz. Säure im Papier katalysiert die Hydrolyse der Zellulose, wodurch das Material brüchig wird. Klimatische Einwirkungen verstärken diese Vorgänge; die Luftverschmutzung ist eine weitere Quelle für Säure im Papier. Eine weitere gravierende Innovation stellte die Einführung von ligninhaltigen Fasern (Holzschliff) seit der Mitte des 19. Jahrhunderts dar.

16

Prüfung des Behandlungserfolgs Damit wurden die primär für die Papierstabilität verantwortlichen Zellulosefasern teilweise ersetzt, was sich noch zusätzlich negativ auf die Ausgangsstabilität und damit auf die Beständigkeit gegenüber Papierabbaureaktionen auswirkte. Das Problem des säurebedingten Papierabbaus hat sich in Archiven und Bibliotheken zu einem Massenproblem entwickelt. Neben der von Restauratoren seit langem angewandten Entsäuerung einzelner Blätter haben sich in den vergangenen Jahren technische Verfahren zur Papierentsäuerung etabliert, mit deren Hilfe der weitere Verfall des Kulturguts in größeren Quantitäten aufgehalten werden soll („ Massenentsäuerung“). Die Zielsetzung der Entsäuerung ist die signifikante Verbesserung der Dauerhaftigkeit der Papiere. Diese wird erreicht durch die Neutralisierung der vorhandenen Säure und durch das Einbringen einer alkalischen Reserve, die eine neuerliche Wirkung von Säure zumindest für einige Zeit unterbindet (Pufferung). Eine Verbesserung der physikalischen Eigenschaften des Papiers ist damit in der Regel nicht verbunden, wohl aber ist dem weiteren Verfall unter der Voraussetzung der sachgerechten Aufbewahrung gemäß DIN ISO 11799 Einhalt geboten. Ob ein Papier entsäuert wurde oder nicht bzw. mit welchem Erfolg, ist ohne nachprüfbare Messmethoden nicht zu erkennen. Diese Empfehlung legt Standards, Untersuchungstechniken und einheitliche Dokumentationsverfahren fest. Im Anhang finden sich Interpretationshilfen zur Auswertung der Messergebnisse. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass die Entsäuerungsverfahren immer mit Nebenwirkungen verbunden sind. Das Auftreten von Nebenwirkungen der Verfahren auf Archiv- und Bibliotheksgut als Ganzes (einschließlich Schrift, Druck, Einband usw.) ist ein Risiko, das besonders bei Massenverfahren auftritt und stark verfahrens- und materialabhängig ist. Die Empfehlung berücksichtigt solche, meist optisch, haptisch oder olfaktorisch erkennbare Nebenwirkungen einer Entsäuerungsbehandlung nicht. Deshalb sind – unabhängig von dieser Empfehlung – bereits bekannte, verfahrensspezifische Nebenwirkungen durch den jeweiligen Anbieter eines Entsäuerungsverfahrens anzuzeigen und durch den möglichen Auftraggeber vor einer Auftragsvergabe anhand geeigneter Muster zu überprüfen und individuell je nach Zielvorstellungen für den jeweiligen Auftrag zu bewerten. Seitens des Auftraggebers wäre dann zu entscheiden, ob die damit zusammenhängenden Risiken vertretbar erscheinen, wobei die kultur-

17

Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken geschichtliche Bedeutung der Objekte, ggf. auch ihr künstlerischer Wert zu bedenken sind. Ohnedies steht es ganz selbstverständlich jedem Auftraggeber frei, zusätzlich zu den Tests an den hier aufgeführten Testpapieren bzw. Testbüchern auch Tests an anderen, von ihm selbst bestimmten Papieren, nach Möglichkeit an Originalschriftstücken durchführen zu lassen. Völlig unabhängig davon, dass die Untersuchung von Nebenwirkungen nicht Gegenstand dieser Empfehlung ist, versteht sich jedoch von selbst, dass jedes Verfahren zur Entsäuerung von Papier auch die uneingeschränkte Erhaltung der auf diesem Papier überlieferten Information gewährleisten muss.

1

Anwendungsbereich Gegenstand dieser Empfehlung ist die messtechnische Beschreibung des Behandlungserfolgs von Entsäuerungsverfahren für säurehaltige Druck- und Schreibpapiere. Dabei wird zwischen der Verfahrenskontrolle und der Routinekontrolle unterschieden. Die Verfahrenskontrolle dient dem grundsätzlichen Nachweis, dass ein Verfahren seinen Zweck auch tatsächlich erfüllt. Die Routinekontrolle dient dagegen der Überprüfung der in der Verfahrenskontrolle festgestellten Wirksamkeit während der Durchführung eines einzelnen Auftrags. Die Routinekontrolle setzt die Verfahrenskontrolle also voraus und baut auf ihr auf. Es wird bei den Entsäuerungsverfahren unterschieden zwischen kontinuierlich ablaufenden Einzelblattverfahren und diskontinuierlich ablaufenden Chargenverfahren sowie Einzelbuchverfahren. Daneben kann die Norm auch zur Bewertung von manuellen Einzelblattverfahren in Restaurierungswerkstätten verwendet werden.

2

Begriffe Begriffe, die nachstehend nicht aufgeführt, aber dennoch in dieser Empfehlung verwendet werden, sind gemäß DIN 6730 definiert. Im Übrigen gelten die folgenden Begriffe: Bestandserhaltung: Alle aktiven und passiven Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lebensdauer schriftlichen und audiovisuellen Kulturguts eingesetzt werden können.

18

Prüfung des Behandlungserfolgs Broschur (Steifbroschur): Einbandarten, die entweder durchgehend aus gefalztem Karton (Umschlag) oder versteifend (Gewebe, teilbezogene Deckelpappen) gefertigt wurden und im Rückenbereich fest verklebt sind. Buchblock: Zusammengetragene Blätter oder Lagen mit gedrucktem oder geschriebenem Text oder mit Abbildungen, welche gebunden werden können oder gebunden worden sind. Charge: Definierte Mengen an Behandlungsgut, die bei Chargenverfahren unter gleichen chemischen und physikalischen Bedingungen zusammen behandelt werden. Chargenverfahren: Entsäuerungsverfahren, bei dem das Behandlungsgut in Chargen behandelt wird. Einbanddecke: Die mit dem Überzugsmaterial bezogenen und eingeschlagenen Deckelpappen mit einer mittig eingelegten Rückeneinlage, abgesetzt durch einen Gelenkbereich, der auch als Falz bezeichnet wird. Einzelblattverfahren: Entsäuerungsverfahren, bei dem ausschließlich ungebundene Dokumente behandelt werden. Einzelbuchverfahren: Entsäuerungsverfahren, bei dem eine Vereinzelung der Bücher erfolgen muss. Entsäuerung: Neutralisierung vorhandener Säure im Papier und Einlagerung einer alkalischen Reserve. Gleichmäßigkeit der Entsäuerung: Die mit dem jeweiligen Verfahren erreichbare Verteilung sowohl des angehobenen pH-Wertes als auch der alkalischen Reserve über das Blattformat. Konditionierung: Vorbereitende Maßnahme in einigen Entsäuerungsverfahren mit dem Ziel, physikalisch verbesserte Bedingungen zur optimalen Entsäuerungswirkung zu schaffen, z. B. Reduktion oder Bindung der Papierfeuchte durch Trocknung, Tieftemperatur, Vakuum usw. Kontinuierliches Verfahren: Entsäuerungsverfahren, bei dem das Behandlungsgut fortlaufend behandelt wird. Massenentsäuerungsverfahren: Maschinelles Verfahren der Entsäuerung von Papier, bei dem große Mengen in relativ kurzer Zeit bewältigt werden können. Nebenwirkungen: Meist nachteilige Veränderungen der Optik, Haptik oder des Geruchs von Behandlungsgut durch das Entsäuerungsverfahren. 19

Suggest Documents