Bern, 29. April 2009

Eidg. Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bundeshaus West 3003 Bern Sekretariat Bern, 29. April 2009 Vorentwurf einer Teilrevision des Schweiz. Zivi...
Author: Mina Acker
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Eidg. Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bundeshaus West 3003 Bern Sekretariat

Bern, 29. April 2009

Vorentwurf einer Teilrevision des Schweiz. Zivilgesetzbuches (Elterliche Sorge) und des Strafgesetzbuches (Art. 220): Vernehmlassungsantwort der Grünen Partei der Schweiz Sehr geehrte Damen und Herren Wir danken Ihnen für die Möglichkeit, zum Thema elterliche Sorge Stellung nehmen zu können. Vorbemerkung Die Debatte um die elterliche Sorge wurde in den letzten Jahren emotional und sehr polarisiert geführt. Dabei drehte sich die Diskussion häufig um die Streitfrage, welcher Elternteil wie viel «Recht am Kind» haben soll. Für die Grünen ist diese Fragestellung nicht zielführend. Von der Debatte über das „Recht am Kind“ sollte vermehrt zu einer Debatte über die „Rechte der Kinder“ und dementsprechend der Verantwortung und der Pflichten der Eltern ihren Kindern gegenüber gesprochen werden. Die elterliche Sorge ist kein materielles Gut, das wie ein Vermögen oder andere Güter «aufgeteilt» werden kann. Das Wahrnehmen der elterlichen Sorge ist ein dynamischer Prozess, der Kommunikation zwischen beiden PartnerInnen zum Wohl des Kindes voraussetzt. Diese Kommunikation wird verunmöglicht, wenn sich eine oder gar beide Seiten übervorteilt, manipuliert oder ohnmächtig fühlen. Wichtig ist es daher, Verfahren vorzusehen, welche den Respekt, die Empathie und die Selbstverantwortung der Eltern stärken und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Elternschaft wenn möglich autonom zu gestalten. Kinder brauchen Mütter und Väter. Sie leiden zwangsläufig unter elterlichen Machtkämpfen. Eine faire Regelung der elterlichen Sorge muss sowohl das durch die UNOKinderrechtskonvention verbriefte Recht der Kinder sichern, zu beiden Elternteilen Kontakt zu haben, als auch der emotionalen Verbundenheit der Eltern mit ihren Kindern gerecht werden sowie die bestmöglichen materiellen Voraussetzungen für das Heranwachsen der Kinder schaffen. Deshalb müssen die zentralen Fragen lauten: Wie kann das familiäre System vor, während und nach einer Trennung und Scheidung so neu organisiert werden, dass das Kindeswohl bestmöglich gewährleistet und ein einvernehmliches Wirken des ehemaligen Ehepaares in der Beschränkung auf die Rolle als Elternpaar gefördert wird? Die Grünen anerkennen den grundsätzlichen Revisionsbedarf. Das gemeinsame Sorgerecht ist heute nur mit Zustimmung und auf Antrag beider EhepartnerInnen möglich. Diese Regelung führt einerseits dazu, dass Mütter, die in der Realität immer noch hauptsächlich die Verantwortung für die Kinderbetreuung tragen, im Streit die alleinige elterliche Sorge übernehmen (können), was bei umstrittenen Trennungs- und Scheidungsprozessen von Vätern als zentraler Machtfaktor erlebt werden kann. Unter

dem drohenden Verlust der elterlichen Beziehung leiden gerade die engagierten und verantwortungsbewussten Väter am meisten, welche im Alltag eine intensive Beziehung zu ihren Kindern aufgebaut haben. Umgekehrt wenden sich Väter in solchen Situationen oft ab, entziehen sich ihrer erzieherischen und finanziellen (Mit-) Verantwortung und versagen damit ihren Kindern und den Müttern die geschuldete Unterstützung. Insgesamt verursacht damit die aktuelle Regelung auf allen Seiten viel menschliches Leid, unnötige Reibungsverluste und immense volkswirtschaftliche Folgekosten. Die Grünen begrüssen daher die Stossrichtung, welche der Bundesrat mit seinem Vorschlag einschlägt. Er geht ihres Erachtens mit seinem Vorschlag in die richtige Richtung. Es braucht jedoch noch Verbesserungen, damit tatsächlich erreicht werden kann, dass das familiäre System auf eine kooperative Weise neu organisiert werden kann, dass die elterliche Kommunikation funktioniert und dass der Gleichstellung von Frau und Mann Rechnung getragen wird. Die Grünen fordern deshalb insbesondere, dass der Prozess der elterlichen Einigung und der familiären Neuorganisation professionell unterstützt wird. Zudem fordern die Grünen, dass Rahmenbedingungen gefördert werden, welche partnerschaftliche Rollenmodelle aktiv fördern (Ausbau der familienexternen Kinderbetreuung, Anreize für Teilzeitarbeit für Männer, Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Väter und Mütter). Bereits vor der Trennung der Eltern brauchen Kinder partnerschaftliche Rollenmodelle, welche gewährleisten, dass Väter und Mütter zum Kindeswohl ihren Anteil der Betreuungsarbeit leisten können. Gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall bei Verheirateten Die Grünen unterstützen die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall. Gleichzeitig muss diese an drei Bedingungen gebunden sein: 1. Die elterlichen Pflichten müssen zwischen den Eltern fair verteilt sein. 2. Die Eltern müssen zeigen, dass sie in der Lage sind bzw. durch geeignete Unterstützung in die Lage versetzt werden können, den Tatbeweis einer minimalen Kooperationsfähigkeit zu erbringen. 3. Die Reorganisation des familiären Systems muss unter den neuen Bedingungen kooperativ ausgehandelt werden. Deshalb soll die gemeinsame elterliche Sorge im Regelfall nur gelten, wenn ein gemeinsamer Antrag über die Verteilung von Betreuung und Unterhalt vorliegt. Die Erarbeitung dieses Antrags muss durch geeignete Fachpersonen unterstützt werden können, was analog der unentgeltlichen Rechtspflege auch für finanzschwache Eltern zu ermöglichen ist. Solche Mediationsverfahren sind entgegen der ZPO in einer verbindlicheren Form vorzusehen. Erst im Einigungsprozess können die Eltern die Fähigkeiten entwickeln, sich trotz zerrütteter Ehe über die Kinderbelange zu verständigen. Die Wahl dieses Verfahrens kann entscheidend dafür sein, dass die Eltern die nötigen Fähigkeiten aufweisen. Die Kantone haben die fachlich qualifizierten Stellen zu bezeichnen (Schlichtungsstellen, Mediation etc.). Verständigen sich die Eltern auch nach einer Mediation nicht auf einen gemeinsamen Antrag, entscheidet das Gericht nach Massgabe des Kindeswohls, ob Betreuungsverhältnisse und Beteiligung am Unterhalt eine gemeinsame Sorge nahe legen oder ob die alleinige Zuteilung angezeigt ist.

Elterliche Sorge bei Unverheirateten Die Grünen begrüssen grundsätzlich eine Gleichbehandlung verheirateter und unverheirateter Eltern. Um obigen Überlegungen Rechnung zu tragen, schlagen wir folgenden Grundsatz vor: Unverheiratete Eltern sollen nur dann die gemeinsame Sorge haben, wenn die Eltern zum Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung entweder im Konkubinat leben oder wenn sie der Vormundschaftsbehörde eine genehmigungsfähige Vereinbarung über Betreuung und Unterhalt vorlegen. Die Erarbeitung dieses Antrags muss durch geeignete Fachpersonen unterstützt werden können (zumindest für Finanzschwache ohne Kostenfolge). Die Kantone bezeichnen die fachlich qualifizierten Stellen (gleiche Formulierung wie oben). Bemerkungen im Einzelnen Positiv zu werten ist, dass der Vorschlag des Bundesrates keinen Automatismus vorschlägt, sondern eine Regelung vorsieht, bei der wie bisher die Berücksichtigung des Kindeswohls in jedem Fall überprüft werden muss. Allerdings wird nirgendwo das Kindeswohl definiert oder aufgeführt, was darunter fällt. Art. 133a (neu) VE ZGB Zuweisung der elterlichen Sorge an einen Elternteil Hier ist als Teil des beeinträchtigten Kindeswohls unbedingt häusliche Gewalt namentlich zu erwähnen, insbesondere auch gegenüber einem Elternteil. Kinder sind in ihrem Wohlergehen immer massiv von häuslicher Gewalt betroffen und oft traumatisiert. Auch die vorliegenden Vereinbarungen bezüglich der Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge sollten auf dokumentierte häusliche Gewalt hin überprüft werden. Art. 134b (neu) VE ZGB Zuständigkeit für die Neuregelung Die Kindesschutzbehörden sollen im Kindesschutzrecht professionalisiert werden. Dass bei Uneinigkeit der Eltern für die Neuregelung der elterlichen Sorge und der damit zusammenhängenden Fragen das Gericht zuständig sein soll, ist ein Rückschritt und daher fragwürdig. Art. 298 VE ZGB Elterliche Sorge bei unverheirateten Eltern Eine unterschiedliche Regelung der elterlichen Sorge, je nachdem ob das Kindesverhältnis zum Vater durch Anerkennung (Folge: gemeinsame elterliche Sorge) oder Urteil (Folge: alleinige elterliche Sorge der Mutter) hergestellt worden ist, erscheint nicht gerechtfertigt. Längst nicht in allen Fällen, in denen das Kindesverhältnis durch Urteil hergestellt wird, widersetzt sich der mutmassliche Vater der Herstellung des Kindesverhältnisses. Der Prozessweg wird in vielen Fällen aus rein praktischen Gründen (z.B. nicht beibringbare Dokumente für die Anerkennung) beschritten. Die Bestimmungen von Art. 298b (neu) VE ZGB genügen, um in den Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist, die elterliche Sorge einem Elternteil allein zuzuweisen. Das führt zudem zu einer „schlankeren“ Regelung, indem die Art. 298c (neu)und 298d (neu) entfallen. Art. 298a VE ZGB Betreuung und Unterhalt Hier gilt das Gleiche wie bei Art. 133 VE ZGB: Die Kindesschutzbehörde (nicht das Gericht) soll die unterbreitete Vereinbarung genehmigen, sofern sie mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

Art. 298e (neu) VE ZGB Veränderung der Verhältnisse Dass im Falle der Nichteinigung der Eltern über die Neuregelung das Gericht an Stelle der Kindesschutzbehörde zuständig sein soll, ist ein „Rückschritt“ gegenüber dem geltenden Recht und angesichts der vorgesehenen Professionalisierung der Kindesschutzbehörden nicht vertretbar. Art. 298g (neu) VE ZGB Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge Die vorgesehene Regelung ist zu begrüssen; sie entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Was nicht alltägliche und dringliche Angelegenheiten sind, die der gemeinsamen Entscheidungsbefugnis der beiden Eltern unterliegen, ergibt sich ohne weiteres und bedarf keiner exemplarischen und schon gar keiner abschliessenden Aufzählung. Allerdings werden nicht alle Eltern – v.a. im Konfliktfall - diese Regeln für sich anwenden können. Hier wird die Gerichtspraxis mit der nötigen Flexibilität die nötigen Vorgaben machen und auf die konkrete Konfliktsituation der Eltern eingehen können. Eine solche Regelung über die Praxis ist einer starren gesetzlichen Regelung vorzuziehen. Art. 309 VE ZGB Feststellung der Vaterschaft Dass die Herstellung des Kindesverhältnisses zum Vater künftig in das Belieben der Mutter gestellt werden soll, erscheint im Lichte des Anspruchs des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung höchst problematisch. Eine Lockerung der bisher geltenden strengen Praxis, wonach diese Beistandschaft zwingend errichtet werden muss, wenn nicht in den ersten 1-3 Monaten nach der Geburt des Kindes das Kindesverhältnis durch Anerkennung hergestellt wird, ist vertretbar. Vorstellbar wäre eine einjährige Frist nach der Geburt. Die Intervention von Amtes wegen stellt jedoch sicher, dass auch rechtsunkundige nicht miteinander verheiratete Eltern das Kindesverhältnis herstellen und den Unterhalt regeln. Damit werden viele Folgeprobleme (Sozialhilfebedürftigkeit und Kürzung der wirtschaftlichen Sozialhilfe wegen fehlendem Unterhaltstitel, erfolglose Suche nach dem Vater, falsche Vorstellungen über Rechte und Pflichten der Eltern) vermieden. Art. 220 VE StGB Entziehen von Minderjährigen, Verweigerung des Besuchsrechts Fälle von Besuchsrechtsverweigerung kommen vor und sind oft sehr stossend. Trotzdem wird die vorgeschlagene Strafrechtsbestimmung bei verweigertem Besuchsrecht abgelehnt. Erstens widerspricht eine solche Regelung diametral dem Kindeswohlgedanken (Welchen Nutzen soll ein Kind haben, wenn seine Mutter eingesperrt oder mit einer hohen Busse bestraft wird, weil sie das Besuchsrecht verweigert hat? Wie soll abgeklärt werden, ob nicht das Kind von sich aus das Besuchsrecht nicht mehr einhalten will, wenn mit dem Strafrecht gedroht wird?) Zweitens müsste konsequenterweise auch eine Besuchspflicht eingefügt werden, die bei Nichtausübung mit griffigeren Sanktionen versehen wird als in Art. 273 Abs. 2 ZGB des geltenden Rechts vorgesehen. Das Problem des nicht oder unzuverlässig wahrgenommen Besuchsrecht ist zahlenmässig mit Sicherheit grösser als das Problem des verweigerten Besuchsrechts. Zusätzliche Forderung Das ZGB soll so angepasst werden, dass die oben dargestellten Verfahren gewährleistet sind. Dabei ist die für Art. 133 ZGB vorgesehene Vereinbarung umfassend zu definieren. (Eine Vereinbarung muss mindestens folgende Punkte regeln: Betreuung der Kinder, Unterhaltszahlungen, Verantwortung für Entscheidungen der elterlichen Vertretung, persönlicher Verkehr, Regelung bei Wohnortswechsel der Eltern sowie bei bedeutenden Änderungen im Erwerbsleben mit jeweiligen Auswirkungen auf Besuchsregelungen und Unterhaltszahlungen).

Wir bitten Sie, unsere Stellungnahme einzubeziehen, und verbleiben mit freundlichen Grüssen

Grüne Partei der Schweiz

Franziska Teuscher

Corinne Dobler

Vize-Präsidentin der Grünen Schweiz

Dossierverantwortliche