Bachelorarbeit. Birgit Hlebic Matrikelnummer:

Bachelorarbeit Birgit Hlebic Matrikelnummer: 0733366 ADHS bei Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen...
Author: Johanna Esser
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Bachelorarbeit

Birgit Hlebic Matrikelnummer: 0733366

ADHS bei Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Aspekte

Medizinische Universität Graz Institut für Pflegewissenschaft

Begutachterin: Mag.a Beatrix Wimmer Psychologin und Psychotherapeutin, 1090 Wien

Titel der Lehrveranstaltung: Gesundheitspsychologie, Geschlechtsspezifisches Gesundheitshandeln

Juni 2010

Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Weiters erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe. Graz, am 21. Juni 2010

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. ADHS ─ Begriffsklärung 3. Symptome der ADHS 3.1

Komorbide Störungen

3.2

Abgrenzung der ADHS von anderen Störungsbildern

3.3

Die Häufigkeit der ADHS

3.3.1 Die Dominanz des männlichen Geschlechts bei der Häufigkeit der ADHS 4. Ursachen der ADHS 4.1

Neurophysiologische Faktoren

4.2

Neuropsychologische Faktoren

4.3

Psychosoziale Faktoren

4.4

Weitere Ursachen

5. Diagnostik der ADHS bei Kindern und Jugendlichen 5.1

Kurzer Ausblick auf die Diagnostik im Erwachsenenalter

6. Entwicklung von ADHS über die Lebensspanne hinweg 6.1

ADHS im Kleinkind- und Vorschulalter

6.2

ADHS im Grundschulalter

6.3

Jugendliche mit ADHS

6.4

Erwachsene mit ADHS

7. Behandlung von ADHS 7.1

Pädagogisch-psychologische Therapien

7.2

Kognitive Verhaltenstherapie

7.3

Medikamentöse Therapie

7.4

Therapiebegeleitende Maßnahmen

8. Geschlechtsspezifische Merkmale und Verläufe der ADHS 8.1

Unterschiede in der Kernsymptomatik

8.1.1 Unterschiede in komorbider Symptomatik 8.2

Neuropsychologische, neurologische und biologische Unterschiede

8.3

Schlussfolgerungen für Diagnostik und Behandlung

9. Zusammenfassung 10. Literatur

1. Einleitung ADHS ─ Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung ─ ist die Bezeichnung für ein Störungsbild mit der Kombination von Aufmerksamkeitsschwäche, überschießender Impulsivität und oft extremer Unruhe und gilt als eine der häufigsten Störungen des Kindesund Jugendalters. Schon vor mehr als hundert Jahren wurden ADHS-ähnliche Symptome beschrieben: „Es gibt zum Beispiel einen normalen Charaktertypus, bei dem die Impulse anscheinend so schnell in Bewegungen umgesetzt werden, dass kein Platz für Hemmungen dazwischen ist. Dieses sind die ¸waghalsigen´ und die ¸sprunghaften´ Temperamente, die vor Lebhaftigkeit überfließen und im Gespräch sprühen…“ (James 1890, S. 800). Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, einen Überblick über den Forschungsstand zur ADHS zu geben und die Kernsymptome zu beschreiben, wobei mögliche Ursachen, Diagnostik, Verlauf über die Lebensspanne und Behandlungsmöglichkeiten berücksichtigt werden sollen. Weiters wird der Frage nachgegangen, welche geschlechtsspezifischen Merkmale der ADHS beschrieben werden und welche Schlussfolgerungen sich daraus ziehen lassen. Folgende Forschungsfragen sollen dabei beantwortet werden: 1. Wie wird ADHS in der Literatur beschrieben? 2. Werden geschlechtsspezifische Unterschiede beschrieben, und wie ist die Verteilung der Häufigkeit zwischen Mädchen/Buben? 3. Welche geschlechtsspezifischen Merkmale der ADHS lassen sich erkennen, und welche Schlussfolgerungen für Behandlung und Diagnostik ergeben sich daraus? Diese Bachelorarbeit ist eine Literaturrecherche, die herangezogene Literatur ist den der Arbeit angeschlossenen Literaturangaben zu entnehmen. Als Zitierstil wurde der HarvardStyle gewählt. In der Arbeit wird der Begriff der Jugendliche/junge Erwachsene mit ADHS verwendet, statt der/die Jugendliche/junge Erwachsene mit ADHS; gemeint sind aber sowohl Buben wie Mädchen. Beziehen sich bestimmte Aspekte entweder nur auf Mädchen oder nur auf Buben, so wird speziell darauf hingewiesen.

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Festgehalten sei auch, dass in dieser Arbeit durchgehend von ADHS gesprochen wird, sowohl in Aussagen über hyperaktive wie auch nicht hyperaktive Personen. Ansonsten wird spezifisch der jeweilige Typus angesprochen.

2. ADHS – Begriffsklärung Bereits seit über hundert Jahren beschreiben europäische Kinderärzte Kinder mit ADHSähnlichen Symptomen (Still 1920, In: Gawrilow 2009, S. 7). In den 1970er und 1980er Jahren findet die ADHS unter dem Namen Hyperkinetisches Syndrom der Kindheit bzw. Aufmerksamkeitsdefizitstörung Eingang in die gängigen Diagnosemanuale ICD (International Classification of Diseases) und DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorsders). Letzteres bezeichnet ein Qualifikationssystem der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, wurde zum ersten Mal 1952 in den USA herausgegeben und existiert mittlerweile in verschiedenen Sprachen (Gawrilow 2009, S. 77). Die Interantionale Klassifikation der Krankheiten der WHO (Weltgesundheitsorganisation) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin (Gawrilow 2009, S. 78). Seit den 1990er Jahren wird die Störung als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bezeichnet und gilt als eine der häufigsten Störungen des Kindes- und Jugendalters (DSM-IV 1994; ICD-10 1990). Die drei Kernsymptome der ADHS sind: 

Unaufmerksamkeit



Hyperaktivität



Impulsivität.

Kinder mit ADHS haben Probleme, sich längere Zeit auf nur eine Aufgabe zu konzentrieren, sind sehr leicht durch Reize aus der Umgebung ablenkbar und träumen oft. Außerdem sind sie motorisch überaktiv, zappeln viel, rennen und hüpfen mehr als Kinder ohne ADHS. Sie können häufig nicht abwarten und entscheiden meist, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Oftmals zeigen Betroffene auch Schwierigkeiten bei Aufgaben, die exekutive Funktionen verlangen wie Planen, Organisation von Arbeitsabläufen, flexiblen Aufgabenwechsel oder auch Selbstregulation, das heißt die Fähigkeit, sein eigenes Handeln, Denken und Fühlen zu kontrollieren und zu beeinflussen (Gawrilow 2009, S. 7). Wie Gawrilow (2009) aufzeigt, führen die drei Kernsymptome und Defizite in den exekutiven 6

Funktionen oft zu weitreichenden Schwierigkeiten im Umgang mit Familienmitgliedern, mit Gleichaltrigen und auch im Unterricht. Betroffene Kinder haben häufiger Interaktionsprobleme mit ihren Bezugspersonen und Probleme, Freundschaften mit Gleichaltrigen zu knüpfen (Gawrilow 2009, S. 7─8).

3. Symptome der ADHS In seinem Buch „ADHD and the nature of selfcontrol“ führt R. Barkley (1997) aus, dass die Probleme bei ADHS „vom Normalen ausgehend“ betrachtet werden müssten. Sie stellten nicht eine einzigartige Kategorie von Symptomen dar, sondern sollten als dimensionale Abweichung von altersgemäßen Standards der Entwicklung der Selbstregulation und Selbststeuerung gesehen werden. Damit treten diese Symptome auch in unterschiedlichen Ausprägungsgraden auf (Neuhaus 2003, S. 26). Die Kernsymptome der ADHS sind Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Unaufmerksamkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind: 

oft Schwierigkeiten hat, bei Aufgaben oder beim Spielen längere Zeit die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten,



häufig nicht zuzuhören scheint, wenn andere es ansprechen,



häufig Anweisungen nicht vollständig durchführt und Schularbeiten oder andere Aufgaben nicht zu Ende bringen kann,



häufig Schwierigkeiten hat, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren,



sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben beschäftigt, die länger andauernde geistige Anstrengung erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben),



häufig Einzelheiten nicht beachtet oder Flüchtigkeitsfehler bei den schriftlichen Arbeiten oder anderen Tätigkeiten macht,



häufig Gegenstände verliert, die für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt werden (z.B. Stifte, Turnbeutel, Aufgabenheft),



sich oft durch äußere Reize ablenken lässt,



in Bezug auf Alltagstätigkeiten häufig vergesslich ist.

Von diesen genannten Symptomen der Unaufmerksamkeit müssen mindestens sechs Symptome aufgetreten sein, um (nach DSM-IV-TR, APA 2008) Unaufmerksamkeit im Zusammenhang mit einer ADHS zu diagnostizieren (Gawrilow 2009, S. 9─10). 7

Hyperaktivität liegt vor, wenn ein Kind: 

häufig zappelt oder auf dem Stuhl herumrutscht,



häufig herumläuft oder exzessiv klettert in Situationen, in denen dies unpassend ist,



in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig aufsteht,



häufig Schwierigkeiten hat, ruhig zu spielen oder sich ruhig zu beschäftigen,



häufig „auf Achse“ ist oder oft handelt, als wäre es „getrieben“,



häufig übermäßig viel redet (Gawrilow 2009, S. 10).

Gawrilow (2009) führt weiter an, dass Impulsivität sich dadurch zeigt, dass ein Kind: 

häufig mit den Antworten herausplatzt, bevor die Frage zu Ende gestellt ist,



nur schwer abwarten kann, bis es an der Reihe ist,



unterbricht und andere häufig stört.

Von diesen genannten Symptomen der Hyperaktivität und Impulsivität müssen insgesamt mindestens sechs Symptome aufgetreten sein, um (nach DSM-IV-TR) Hyperaktivität/Impulsivität im Zusammenhang mit einer ADHS zu diagnostizieren (Gawrilow 2009, S. 10). Darüber hinaus müssen für die Diagnose einer ADHS folgende weitere Kriterien erfüllt sein (Gawrilow 2009, S. 10─11): 

Die Kernsymptome müssen seit sechs Monaten in mindestens zwei Lebensbereichen bestehen,



sie müssen vor dem Alter von sieben (nach DSM-IV-TR) bzw. sechs Jahren (nach ICD-10-GM) das erste Mal aufgetreten sein,



sie müssen inadäquat bezüglich der Entwicklungsstufe des Kindes sein und signifikante Beeinträchtigungen im sozialen und schulischen Bereich nach sich ziehen.

Im Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM-IV-TR) werden drei Subtypen der ADHS beschrieben: 

der ADHS-Mischtypus, der vorliegt, wenn die Kriterien der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität-Impulsivität während der letzten sechs Monate erfüllt sind,



der ADHS vorwiegend unaufmerksame Typus, der vorliegt, wenn die Kriterien der Unaufmerksamkeit, aber nicht die der Hyperaktivität-Impulsivität während der letzten sechs Monate erfüllt sind, 8



der ADHS vorwiegend hyperaktiv-impulsive Typus, der vorliegt, wenn die Kriterien der Hyperaktivität-Impulsivität, aber nicht die Kriterien der Unaufmerksamkeit während der letzten sechs Monate erfüllt sind.

Zu den weiteren, häufigsten Kennzeichen der ADHS gehören akademisches Underachievement, Non-Compliance, Aggressionen und Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen. Mit dem Begriff „akademisches Underachievement“ wird Minderleistung (beispielsweise in den Hauptfächern) trotz überdurchschnittlicher Intelligenz bezeichnet, das bedeutet, die Betroffenen zeigen Leistungen unter dem Niveau, das man bei ihrer gegebenen Intelligenz erwarten würde. Dies ergibt sich daraus, dass Kinder mit ADHS sich dem Unterricht weniger konzentriert zuwenden, und zwar sowohl in Phasen der Instruktion durch den Lehrer als auch in Phasen der Stillarbeit (Gawrilow 2009, S. 12). Der Zusammenhang von ADHS und Aggressionen ist in der Literatur gut belegt. Die Probleme, die diesbezüglich am öftesten mit der ADHS verbunden sind, sind das Nichtbefolgen von Regeln (NonCompliance), welche durch Autoritäten aufgestellt wurden, eine problematische Stimmungskontrolle, Streitsüchtigkeit und verbale Feindseligkeit. Kinder, die ADHS und Aggressionen zeigen, weisen ein größeres Risiko auf, interpersonelle Konflikte mit Eltern, Geschwistern, Lehrern und Mitschülern hervorzurufen als Kinder, die nur unter ADHS leiden (Gawrilow 2009, S. 12─13). Für viele Kinder mit ADHS ist es äußerst schwierig, Freundschaften mit ihren Klassenkameraden zu schließen bzw. aufrechtzuerhalten. Betroffene Kinder und vor allem jene, die zusätzlich aggressive Verhaltensweisen zeigen, werden von Gleichaltrigen oft abgelehnt. Außerdem zeigen sie häufig soziale Funktionsstörungen, sie verhalten sich also im sozialen Kontext nicht altersentsprechend, sondern wie jüngere Kinder (Gawrilow 2009, S. 13─14). Neuhaus (2002) weist darauf hin, dass kein Kind exakt dem anderen gleicht und bei keinem Kind immer alle Symptome auftreten; dies erklärt auch die häufige Verwendung von Wörtern wie „oft, häufig, meist, bisweilen“ bei der Schilderung von Verhaltensweisen (Neuhaus 2002, S. 16).

3.1 Komorbide Störungen Ungefähr zwei Drittel der Kinder mit ADHS zeigen neben den Kernsymptomen noch weitere Störungen. Die Häufigkeit solcher komorbider Störungen verteilt sich nach Gawrilow (2009) 9

wie folgt (Gawrilow 2009, S. 15): 

oppositionelle Störung des Sozialverhaltens: 50% Es ist konsistent trotziges, ärgerliches, feindliches oder rachsüchtigs Verhalten beobachtbar.



Störungen des Sozialverhaltens: 30-50% Zu beobachten ist ein wiederholt auftretendes Verhaltensmuster, bei welchem die grundlegenden Rechte anderer oder altersangemessene Normen bzw. Regeln verletzt werden.



affektive Störungen: 10-40% Es treten Stimmungsstörungen wie z.B. Depressionen oder depressive Verstimmungen auf.



Angststörungen: 20-25%



Lernstörungen, Teilleistungsschwächen: 10-25%



Tic-Störungen, Tourette Syndrom: bis zu 30% Eine Tic-Störung ist gekennzeichnet durch die unwillkürliche Kontraktion von Muskeln oder Muskelgruppen. Beim Tourette Syndrom – benannt nach Georges Gilles de la Tourette – kann das Auftreten motorischer (z.B. heftige Bewegungen) und verbaler (z.B. lautes Schimpfen) Tics beobachtet werden.

Alle komorbiden Störungen stellen für die Entwicklung der Betroffenen einen zusätzlichen Risikofaktor dar. Es zeigt sich, dass der Verlauf der ADHS für Patienten mit zusätzlichen komorbiden Erkrankungen meistens schwerwiegender ist als bei Patienten ohne komorbide Erkrankungen (Gwarilow 2009, S. 15).

3.2 Abgrenzung der ADHS von anderen Störungsbildern Bei einer Diagnosestellung muss sorgfältig abgewogen werden, ob tatsächlich eine ADHS oder eine andere Störung die auftretenden Probleme verursacht. Körperliche Erkrankungen, wie etwa Sehstörungen, Hörstörungen, epileptische Anfälle, Folgen eines Schädel-HirnTraumas oder auch Schlafmangel können ADHS-ähnliche Symptome hervorrufen. Ebenso kann die Einnahme von Medikamenten dazu führen, dass Kinder sich wie ADHS-Kinder verhalten, ohne dass die Diagnosekriterien für das Störungsbild eindeutig erfüllt werden (Gawrilow 2009, S. 15─16). 10

Von Bedeutung ist auch eine differentialdiagnostische Abgrenzung von oppositionellen Verhaltensstörungen und altersgemäßen Verhaltensweisen bei aktiven Kindern. Die Abgrenzung der ADHS von oppositionellen Verhaltensstörungen erweist sich aber als schwierig, da auch viele Kinder mit ADHS komorbid an solchen Verhaltensstörungen leiden (Gawrilow 2009, S. 16). Gerade bei jüngeren Kindern kann die Grenze zwischen normalem Bewegungsdrang und klinisch auffälligem ADHS-Verhalten schwer festgestellt werden. ADHS-typisches Verhalten kann auch eine Anpassungsreaktion auf schulische Überforderung oder belastende familiäre Verhältnisse sein. Allerdings trifft dann das geforderte Diagnosekriterium, dass die Störung schon vor dem sechsten bzw. siebten Lebensjahr aufgetreten sein muss, nicht zu. Emotionale Störungen (z.B. Angststörungen) können ebenfalls ADHS-typisches Verhalten auslösen und somit den ungerechtfertigten Verdacht auf eine ADHS-Diagnose nahe legen (Gawrilow 2009, S. 16).

3.3 Die Häufigkeit der ADHS Erst Mitte der 80er Jahre haben sich Ärzte in den USA darauf geeinigt, die übermäßige, von der „Norm“ abweichende Ausprägung bestimmter Verhaltensweisen von Kindern – überschießende Impulsivität, motorische Unruhe und mangelnde Aufmerksamkeit – als eine spezifische, mit Hilfe standardisierter diagnostischer Verfahren von „normalen“ Verhaltensweisen abgrenzbare Erkrankung zu bezeichnen. Als Ursache wurde eine wahrscheinlich genetisch bedingte „Stoffwechselstörung“ im Gehirn verantwortlich gemacht. Diese soll zu einer unzureichenden Freisetzung des Botenstoffes Dopamin führen, welche sich durch die Verabreichung von Medikamenten beheben lässt, die die Dopaminfreisetzung stimulieren (Amphetamine wie z.B. Ritalin). Diese Vorstellungen wurden rasch von Psychiatern und Kinderärzten in anderen Ländern übernommen; seitdem hat die Anzahl der Kinder stark zugenommen, bei denen diese als AufmerksamkeitsDefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADS bzw. ADHS) bezeichnete Erkrankung diagnostiziert wurde. In den USA stieg die Zahl der als behandlungsbedürftig eingeschätzten Kinder von unter einer Million im Jahr 1990 auf über zehn Millionen im Jahr 2000 (Hüther, Bonney 2010, S. 11─12). 11

Differenzen bei der Angabe der Prävalenz der ADHS in unterschiedlichen Studien oder in unterschiedlichen Ländern sind hauptsächlich durch verschiedene Diagnosekriterien bzw. verschiedene Ansätze der Diagnostik verursacht. Gawrilow (2009) führt an, dass laut einer Zusammenfassung und Bewertung epidemiologischer Untersuchungen weltweit etwa 6-10% aller Kinder von ADHS betroffen sind (Gawrilow 2009, S. 17). Während Forscher bis vor einigen Jahren davon ausgingen, dass die ADHS im Jugendalter langsam verschwindet und im Erwachsenenalter nicht mehr vorhanden ist, ist nun erwiesen, dass dies nicht der Fall ist. Es erweist sich jedoch als schwierig, die Prävalenz der ADHS im Erwachsenenalter eindeutig anzugeben, da bisher noch keine exakten epidemiologischen Untersuchungen der Häufigkeit von ADHS im Erwachsenenalter existieren (Trott 2000, In: Gawrilow 2009, S. 17). Aufgrund vorhandener Längsschnittstudien wird von einer Persistenz der ADHS bei ungefähr ein Drittel bis zwei Drittel der Betroffenen ausgegangen.

3.3.1 Die Dominanz des männlichen Geschlechts bei der Häufigkeit der ADHS Wie bereits in Kapitel 3.3 angeführt wurde, sind laut epidemiologischer Untersuchungen weltweit etwa 6-10% aller Kinder von ADHS betroffen, bei einem deutlich höheren Anteil von Buben im Vergleich zu Mädchen, wobei das Verhältnis 3:1 bis 6:1 beträgt (Wender 1995, In: Gawrilow 2009, S. 17). Gründe für die Dominanz des männlichen Geschlechts bei der ADHS werden vielfältig diskutiert und sind auch in der vorliegenden Arbeit noch näher zu beschreiben. Festzuhalten ist, dass der größte Teil der Forschung zu ADHS auf Untersuchungen von Buben basiert und dass auch heute noch meistens angenommen wird, die Störung betreffe vor allem Buben (Neuhaus 2003, S. 35). Ratey, Miller und Nadeau wiesen 1995 darauf hin, dass die Diagnose bei Mädchen und Frauen oft sogar den besten Klinikern einfach entgehe, weil sie häufig die typischen, ausgeprägten Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität in der Kindheit nicht zeigen; die Unaufmerksamkeit, emotionale Labilität, Unentschlossenheit, Ablenkbarkeit, die Ruhelosigkeit und das Träumen werden häufig ganz anderen Hintergründen zugeschrieben (Neuhaus 2002, S. 71). Im Lauf der Entwicklung verändert sich auch das Zahlenverhältnis: Während im Kindes- und Jugendalter Buben je nach Studie drei- bis sechsmal so häufig erkranken wie Mädchen, ist das Verhältnis im Erwachsenenalter weitgehend ausgeglichen (Alm, Sobanski 2010, S. 48). 12

4. Ursachen der ADHS Gawrilow (2009) weist darauf hin, dass sich die ADHS-Symptomatologie aus einer Vielzahl von Ursachen zu ergeben scheint; allgemein wird eine Interaktion biologischer und psychosozialer Faktoren vermutet. Umwelteinflüsse scheinen die Störung zu verstärken, aber kein ursächlicher Faktor zu sein (Gawrilow 2009, S. 19). Ebenso betont Holowenko (1999), dass hinsichtlich der Ätiologie über eindimensionale Konzepte, was die Ursache von ADHS betrifft, hinauszugehen sei (Holowenko 1999, S. 22). In der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass ADHS eine erbliche Störung ist, wobei es vielfältige Belege für die These des primären Einflusses genetischer Faktoren bei der Ausbildung der ADHS gibt (Gawrilow 2009, S. 19). Zwillingsstudien aus den letzten Jahren machen dies vermutbar, genauso wie die Untersuchungen einer Forschergruppe um Josef Biederman; diese Gruppe entdeckte 1995, dass Kinder von Eltern mit hyperkinetischen Störungen zu 57% ebenfalls mit dieser Problematik zu kämpfen haben (Neuhaus 2002, S. 56). Die Erblichkeitshypothese wird auch durch molekulargenetische Untersuchungen untermauert. Es wurden Gene lokalisiert, welche in die Dopaminregulation eingreifen; diese Gene scheinen bei ADHS-Patienten so verändert zu sein, dass sie eine Variation im Dopaminhaushalt bewirken können, was wiederum Auslöser für hyperaktives und unaufmerksames Verhalten sein kann (Gawrilow 2009, S. 20).

4.1 Neurophysiologische Faktoren Von unterschiedlichen Forschergruppen wurde in den letzten Jahren festgestellt, dass Kinder und Erwachsene mit ADHS im Vergleich zu Versuchsteilnehmern ohne ADHS Besonderheiten in einzelnen Hirnregionen aufweisen; dazu gehören etwa eine verringerte Größe des Frontallappens, des Corpus Callosum (der quer verlaufenden Verbindung zwischen den beiden Hirnhemisphären des Großhirns) sowie der Basalganglien. Außerdem konnte eine verminderte Durchblutung in den präfrontalen Hirnregionen gefunden werden. Diese Erkenntnisse lassen auf eine Verminderung des Glukosestoffwechsels in den präfrontalen Hirnregionen bei Patienten mit ADHS schließen (Gawrilow 2009, S. 20). Hüther und Bonney (2010) weisen darauf hin, dass es zahlreiche Befunde gebe, die eine 13

Vielzahl von Veränderungen einzelner Parameter im Gehirn von ADHS-Patienten beschreiben, dass aber nicht klar sei, welche dieser Veränderungen primär, also von Anfang an vorhanden waren, und welche erst später als sekundäre Folgen einer solchen primären Störung aufgetreten sind (Hüther, Bonney 2010, S. 57─58). Die bisher beobachteten Veränderungen einzelner neurobiologischer Parameter im Gehirn von Kindern, Jugendlichen – und auch Erwachsenen – mit ADHS sind nach Faraone und Biederman (1998) sowie Krause (2000) als „Anomalien“ auf verschiedenen Ebenen beschrieben worden: 1. Anomalien auf der Ebene einzelner Transmittersysteme 2. Anomalien auf morphologischer Ebene Untersuchungen mit Hilfe bildgebender Verfahren wie z.B. der Computertomographie ergaben u.a. die besonders rechtsseitige Volumenverringerung des Frontallappens, des Corpus Callosum und der Basalganglien. 3. Anomalien auf der Ebene der Wahrnehmung und Verarbeitung sensorischer Reize Neurophysiologische Untersuchungen zeigten u.a. eine verminderte Wahrnehmungsfähigkeit von optischen Reizen im linken visuellen Feld, Schwierigkeiten bei optischen, räumlich-konstruktiven und perzeptiven Leistungen sowie Störungen bei der Wahrnehmung akustischer Reize. 4. Anomalien auf der Ebene der globalen neuronalen Aktivität einzelner Hirnregionen Dabei zeigte sich mit Hilfe bildgebender Verfahren u.a. eine verringerte Aktivierbarkeit verschiedener Hirnregionen (präfrontaler Kortex, besonders linksseitig, Basalganglien, Parietallappen) durch Teststimuli, die inhibitorische Reaktionen auslösen sollten. 5. Anomalien auf der Ebene der Verhaltenssteuerung Neuropsychologische Untersuchungen ließen u.a. vermehrt impulsiv begangene Fehler bei Aufmerksamkeitstests, längere Reaktionszeiten bei erzwungenen Entscheidungen und Defizite der kognitiven Flexibilität und des Arbeitsgedächtnisses erkennen (Hüther, Bonney 2010, S. 58─59). Hüther und Bonney (2010) betonen, dass es sich bei der Mehrzahl der bisher im Gehirn von ADHS-Patienten beobachteten Besonderheiten oder Abweichungen vom „Normalen“ nicht um Ursachen, sondern um zwangsläufige Folgen einer besonderen Art der Nutzung des Gehirns während der Phase der kindlichen Hirnentwicklung handelt. Nach wie vor bleibe dabei offen, was primär dazu führt, dass bestimmte Kinder ihr Gehirn anders, eben auf die für 14

ADHS spezifische Weise zu nutzen beginnen. Nach Ansicht der maßgeblichen Experten auf dem Gebiet der ADHS-Forschung ist die Ursache in der unzureichenden Freisetzung bestimmter Botenstoffe im Gehirn dieser Kinder zu suchen, und zwar insbesondere des Botenstoffes Dopamin (Hüther, Bonney 2010, S. 61─62). Neuhaus (2003) betont ebenso die Rolle der Neurotransmitter und weist daraf hin, dass eine Dysregulation von Neurotransmittern in den aufsteigenden neuronalen Verbindungen vom Stammhirn über den Thalamus zum Frontalkortex und in den Basalganglien zu beachten ist; diese Verbindungen nutzen die Sympathikus-Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin zur Signalweiterleitung. Einerseits sind diese Bereiche verantwortlich für die Aufmerksamkeitssteuerung und für eine gezielte Aktivierung, andererseits hat das limbische System im Stammhirn große Bedeutung für die Regulierung der Stimmungslage. Die Basalganglien sind wichtig für die Aktivierung von Belohnungssystemen bei der Verhaltenssteuerung und für die Verautomatisierung von Fertigkeiten, im Frontalkortex wiederum reift normalerweise die Fähigkeit, aktuelles Verhalten zu überwachen, unangemessenes Verhalten zu verhindern sowie zu organisieren und zu planen, Aufmerksamkeit gezielt zu starten, auf bestimmte Dinge zu richten, zu stoppen oder zu wechseln (Neuhaus 2003, S. 39─40).

4.2 Neuropsychologische Faktoren Durch zahlreiche empirische Studien konnte die These untermauert werden, dass bestimmte neuropsychologische Fähigkeiten, nämlich die exekutiven Funktionen, bei Kindern mit ADHS eingeschränkt sind. Zu diesen Fähigkeiten gehören u.a. die Reaktionshemmung, das Arbeitsgedächtnis, Flexibilität im Denken und Verhalten, Sequenzierung von Verhalten und das Planen (Gawrilow 2009, S. 21). Russell Barkley (1997) nimmt an, dass besonders die Hemmung von Impulsen und damit die Hemmung dominanter Handlungsimpulse, die Hemmung laufender Handlungen sowie die Hemmung interferierender Handlungstendenzen betroffen sind. Nach Barkley sind diese Inhibitionsprozesse Grundlage für folgende wichtige exekutive Funktionen, die folglich bei ADHS-Betroffenen gestört sind: 1. das (nonverbale) Arbeitsgedächtnis, 2. die Selbstregulation von Affekten, Motivation und Aufmerksamkeit, 3. die Internalisierung und Automatisierung von Sprache, 15

4. die Analyse und Entwicklung von Handlungssequenzen. Ad 1. ADHS-Kinder haben Schwierigkeiten, vor allem nichtverbale Informationen im Arbeitsgedächtnis vorübergehend präsent zu halten und zu verändern. Ad 2. ADHS-Kinder haben Schwierigkeiten, ihre Emotionen, Motivation und Aufmerksamkeit zu kontrollieren. Ad 3. ADHS-Kinder haben Schwierigkeiten, Sprache so zu automatisieren, dass sie ohne bewusste Anstrengung gebraucht werden kann. Ad. 4. ADHS-Kinder haben Schwierigkeiten, Handlungsabfolgen auszuführen (Barkley 1997, In: Gawrilow 2009, S. 21).

4.3 Psychosoziale Faktoren Ging man früher davon aus, dass ein ungünstiges soziales Milieu ein verursachender Faktor sein könnte, so werden psychosoziale Faktoren heute nicht mehr als alleinige Ursache der ADHS diskutiert. Es wird davon ausgegangen, dass psychosoziale Faktoren in der Familie und in der Schule nicht primär zur Entstehung der ADHS führen, dass aber aufgrund der ADHS-Symptomatik eines Kindes Interaktionsstörungen mit Eltern, Geschwistern, Lehrern oder Freunden auftreten können (Gawrilow 2009, S. 22). Im biopsychosozialen Modell zur Entstehung der ADHS nach Döpfner (Döpfner et al. 2000, In:Gawrilow 2009, S. 22─23) gilt eine genetische Disposition als hauptsächliche verursachende Komponente der ADHS. Ungünstige Bedingungen in Familie und Schule können, neben den Kernsymptomen, eine Zunahme negativer Interaktionen im Umfeld bewirken; dies wiederum kann zur Verstärkung komorbider Symptome führen.

4.4 Weitere Ursachen Seit den 1970er Jahren stehen bestimmte Stoffe bzw. Zusätze in der Ernährung – z.B. Farbstoffe, Phosphate, Zucker, Milch, Eier – im Verdacht, ADHS-typisches Verhalten auszulösen. Dieser Verdacht konnte durch empirische Studien nicht bestätigt werden (Gawrilow 2009, S. 24). Weitere Zusammenhänge finden sich zwischen mütterlichem Rauchen und Alkoholkonsum 16

während der Schwangerschaft und späterer ADHS des Kindes; aus entsprechenden Studien können kausale Schlussfolgerungen aber nur bedingt gezogen werden (Gawrilow 2009, S. 25).

5. Diagnostik der ADHS bei Kindern und Jugendlichen Da sich die Symptome der ADHS im Lauf der Entwicklung verschieben oder völlig verändern können, kommt einer entwicklungsangepassten ADHS-Diagnostik große Bedeutung zu. Wesentlich ist dabei der Einsatz multipler Diagnosemethoden zu Hause und im Kindergarten bzw. in der Schule. Nach Gawrilow (2009) sollte die ADHS-Diagnostik im Kindesalter folgende Punkte umfassen: 

eine ausführliche Anamnese mit Ermittlung der Vorgeschichte des Kindes von Schwangerschaft und Geburt an,



eine Verhaltensbeobachtung zu Hause und im Kindergarten bzw. in der Schule,



eine Leistungs- und Aufmerksamkeitsdiagnostik,



die Erfassung der Emotionalität des Kindes,



eine neurologische Untersuchung (Gawrilow 2009, S. 43).

Hüther und Bonney (2010) betonen, dass eine Diagnose unter Gesichtspunkten der Kinderpsychiatrie grundsätzlich fünf Bereiche erfassen müsse (Hüther, Bonney 2010, S. 104): 1. psychiatrische Symptomatik 2. körperliche Gesundheit (auch Stoffwechselstörungen, Allergien, Nahrungsmittelunverträglichkeiten etc.) 3. intellektuelle Entwicklung 4. Teilleistungsschwächen (auch Wahrnehmungs- und Sinnesverarbeitungsstörungen) 5. familiäre Bedingungen und weitere Faktoren der sozialen Umgebung. Hüther und Bonney halten fest, dass bis heute keine ADHS-beweisende Diagnostik verfügbar ist und sich daher die Forderung ergebe, die genannten fünf Bereiche mit hoher fachlicher Kompetenz zu bearbeiten (Hüther, Bonney 2010, S. 107). Neuhaus (2003) hält es für wesentlich, dass die Diagnosestellung so früh wie möglich erfolgt; 17

dabei sollte die Diagnose möglichst anhand des multiaxialen Klassifikationsschemas psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO gestellt werden. Dieses Diagnoseschema ermöglicht eine komplexe Erfassung der Gesamtbeeinträchtigung eines Menschen und bietet die Möglichkeit zur differentialdiagnostischen Abgrenzung (Neuhaus 2003, S. 72─73). Im Kleinkind- und Vorschulalter sollten bei Verdacht auf ADHS eine ausführliche und genaue Befragung der Eltern und Kindergärtnerinnen sowie Verhaltensbeobachtungen erfolgen, denn gerade in diesem Alter kann eine übermäßige motorische Aktivität entwicklungsangemessen sein (Gawrilow 2009, S. 43─44). Mit dem Eintritt in die Schule treten meist die ernsthaftesten Probleme der ADHS-Kinder auf, da die Schulsituation an sich z.B. durch langes Stillsitzen oder längeres konzentriertes Bearbeiten von Aufgaben Schwierigkeiten verursacht. Eine Besonderheit der Diagnostik im Grundschulalter ist die direkte Beobachtung des Verhaltens des Kindes in einer spezifischen Situation, nämlich während des Unterrichts im Klassenraum (Gawrilow 2009, S. 44). Wenn bei Jugendlichen erstmals der Verdacht auf ADHS ausgesprochen wird, sollten die Betroffenen zunächst selbst befragt werden, wobei sowohl unstrukturierte Interviews eingesetzt werden können als auch Interviews, die dem Selbstbeurteilungsbogen für hyperkinetische Störungen (SBB-HKS von Döpfner et al. 2006) zugrunde liegen (Gawrilow 2009, S. 44). Zu berücksichtigen ist dabei nach Neuhaus (2003), dass Menschen mit ADHS „anders“ sehen und kaum „objektiv“ berichten können; die Selbstwahrnehmung stimmt oft nicht mit der Fremdwahrnehmung überein (Neuhaus 2003, S. 76). Daher sollten bei Jugendlichen auch alle für das Grundschulalter vorgeschlagenen Diagnoseinstrumente eingesetzt werden, wie z.B. Interviews mit Eltern und Lehrer, Ausfüllen von Rating-Skalen durch die Eltern und Lehrer, direkte Beobachtungen des Verhaltens des Jugendlichen, Erfassung der Leistungen (Gawrilow 2009, S. 45).

5.1 Kurzer Ausblick auf die Diagnostik im Erwachsenenalter Zur Diagnostik der ADHS im Erwachsenenalter wird die Anwendung von Interviews, Selbstbeurteilungsskalen, Fremdanamnesen und testpsychologischen Untersuchungen 18

empfohlen (Krause/Krause 2005, In: Gwarilow 2009, S. 45). Da beim gegenwärtigen Wissensstand von einer Erblichkeit der ADHS ausgegangen wird, sind Angaben zur Familienanamnese wesentlich (Gawrilow 2009, S. 46). Gerade bei einer Erstdiagnose der ADHS im Erwachsenenalter ist große Vorsicht geboten, weil einerseits eine Erstmanifestation der Erkrankung in diesem Alter nicht plausibel ist und andererseits jahrelange Anpassungsprozesse, welche die Kernsymptome verschleiern können, zu erwarten sind (Gawrilow 2009, S. 45). Generell ist es für die Krankheitsdiagnose wichtig, ob einige Merkmale bereits vor dem siebenten Lebensjahr aufgetreten sind und sich kontinuierlich bis ins Erwachsenenalter fortgesetzt haben; diese müssen zu Beeinträchtigungen in mindestens zwei Lebensbereichen führen. Eine vollständige psychiatrische Anamnese soll dabei ausschließen, dass eine andere psychische Störung oder medizinische Erkrankung vorliegt, da auch internistische oder neurologische Erkrankungen sowie die Einnahme bestimmter Medikamente oder Drogen ADHS-ähnliche Symptome hervorrufen können (Alm, Sobanski 2010, S. 46).

6. Entwicklung von ADHS über die Lebensspanne hinweg Noch bis vor etwa 20 Jahren vermutete man, dass ADHS ab dem Jugendalter nicht mehr zu beobachten sei. Aufgrund unzähliger wissenschaftlicher Studien lässt sich heute beweisen, dass ADHS sowohl im Kindes- und Jugendalter, als auch im Erwachsenenalter vorkommt. Ungefähr drei Viertel der Kinder zeigen auch als Jugendliche noch ADHS-Symptome, bei ca. 60-80% der Betroffenen besteht das Störungsbild bis ins Erwachsenenalter hinein (Gawrilow 2009, S. 33). Gawrilow (2009) weist darauf hin, dass sich die Symptome der ADHS im Lauf der Lebensspanne verändern: Die motorische Hyperaktivität nimmt ab, Aufmerksamkeitsstörungen hingegen bleiben bestehen (Gawrilow 2009, S. 33).

6.1 ADHS im Kleinkind- und Vorschulalter Babys mit ADHS zeigen ein hohes psychophysiologisches Aktivierungsniveau und 19

ungünstige Temperamentmerkmale. Sie haben häufiger Schlafprobleme und Fütterstörungen als Kinder ohne ADHS; in der Folge zeigen sich auch häufig gestörte Mutter-KindInteraktionen (Gawrilow 2009, S. 33─34). ADHS-Kinder im Vorschulalter sind dauernd in Bewegung und legen eine ziellose Aktivität an den Tag. Sie neigen dazu, ihren Bezugspersonen nicht zu gehorchen. Auf Spiele können Sie sich nur kurz konzentrieren, generell ist eine geringe Spielintensität zu beobachten (Gawrilow 2009, S. 34). Meistens sind diese Kinder von Anfang an „anders“ und fordern besonders viel Einfühlungsvermögen. Sie brauchen viel Aktion, aber keine Überreizung. (Regeln lernen, klare Formulierungen und noch viel klarere Signale sind Voraussetzung, gepaart mit eindeutiger Konsequenz, immer sofort „in der Situation“) (Neuhaus 2002, S. 155─159).

6.2 ADHS im Grundschulalter Da mit dem Eintritt in die Schule die größten Probleme auftreten, werden in dieser Altersstufe die meisten der ADHS-Kinder zum ersten Mal einer kinderpsychiatrischen Untersuchung zugeführt, bei der ADHS diagnostiziert wird (Gawrilow 2009, S. 35). Im Unterricht zeigen sich Unruhe und eine erhöhte Ablenkbarkeit; oft sind die Leistungsschwierigkeiten durch Unaufmerksamkeit und Lernstörungen so stark, dass Klassen wiederholt werden müssen. Das gehäufte gemeinsame, komorbide Auftreten von ADHS und Lernstörungen bzw. Teilleistungstörungen gilt als belegt; Kinder mit ADHS zeigen häufiger Störungen wie Legasthenie oder Dyskalkulie (Gawrilow 2009, S. 35). Wie Gawrilow (2009) weiter ausführt, lässt sich bei ADHS-Kindern häufig aggressives Verhalten feststellen, was wiederum dazu führen kann, dass sie von den Klassenkameraden abgelehnt werden. ADHS-Kinder haben oft große Schwierigkeiten, Freundschaften zu knüpfen bzw. aufrechtzuerhalten, sodass als Folge ein verstärkt erlebter psychosozialer Stress auftreten kann (Gawrilow 2009, S. 35─36).

20

6.3 Jugendliche mit ADHS Die Pubertät bringt für jeden Jugendlichen intensive Veränderungen mit sich. Bei Jugendlichen mit ADHS ergeben sich dabei noch spezielle Besonderheiten in der Entwicklung (Neuhaus 2003, S. 90). Im Jugendalter vermindert sich meist die motorische Unruhe, die Aufmerksamkeitsdefizite hingegen bleiben bestehen. Jugendliche mit ADHS verlassen aufgrund dauerhafter Unaufmerksamkeit und Lernstörungen, verbunden mit mangelndem Durchhaltevermögen und mangelnder Anstrengungsbereitschaft die Schule häufiger ohne Abschluss (Gawrilow 2009, S. 37). Entwicklungspsychologisch gesehen bleiben bei ADHS bestehen: 

der Egozentrismus des kleinen Kindes Es besteht mangelnder Perspektivenwechsel („Die Welt ist so, wie ich sie sehe“). Normalerweise dauert diese Phase vom 2.─12. Lebensjahr.



der Animismus Der kleinkindliche Animismus, in dem das kleine Kind die Wahrnehmung hat, dass alles, was lebt, den gleichen Gesetzen unterliegt wie es selbst, scheint beim ADHSJugendlichen noch lange anzuhalten, teilweise bis ins junge Erwachsenenalter. Bei normgesteuerten Kindern hört die Phase des Animismus infolge Reifung spätestens mit sieben bis acht Jahren auf (Neuhaus 2003, S. 93─95).

Darüber hinaus hält häufig die eidetische Entwicklungsphase, d.h. die Vermischung von Realität und Fantasie, die normalerweise vom 5. bis zum 8. Lebensjahr andauert, noch lange an (Neuhaus 2003, S. 95). Neuhaus (2003) weist darauf hin, dass dem Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit ADHS das reflektierte Abwägenkönnen mit ausreichend intensiver Analyse eines Gedankenganges verwehrt ist. Der Betroffene hüpft von einem Thema zum anderen, bringt spontan Widerworte und Gegenargumente, kann nur schwer etwas akzeptieren oder sich etwas merken, was ihm nicht logisch und überzeugend erscheint; er reagiert häufig aggressiv oder auch depressiv, macht seinem Unmut sofort Luft, egal in welchem Umfeld er sich befindet (Neuhaus 2003, S. 96). Gawrilow (2009) erwähnt, dass in einer aktuellen Studie der langfristige Verlauf komorbider oppositioneller Verhaltensstörungen und komorbider Störungen des Sozialverhaltens über zehn Jahre hinweg bei Buben mit ADHS untersucht werde. Die Untersuchung ergab, dass bei 21

(alleiniger) zusätzlicher oppositioneller Verhaltensstörung ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer depressiven Störung besteht. Wenn oppositionelle Verhaltensstörung und Störung des Sozialverhaltens gemeinsam vorliegen, kann dies ungleich häufiger zu Substanzmissbrauch, Rauchen und bipolaren Störungen führen (Biederman et al. 2008, In: Gawrilow 2009, S. 38).

6.4 Erwachsene mit ADHS Durch ihren Basischarakter und den frühen Beginn beeinflussen die chronischen Störungen der Aufmerksamkeits- und Selbstkontrollfunktionen nachhaltig die soziale Entwicklung und Anpassung eines Kindes. Um eine ADHS bei Erwachsenen erkennen zu können, sollte beachtet werden, dass die persistierenden Grundsymptome der ADHS mit fortschreitendem Alter immer mehr von oft leidvollen Lebenserfahrungen, von reaktiven oder komorbiden psychischen Störungen begleitet sein können. Die sekundären psychischen und psychosozialen Folgen der ADHS können bei Erwachsenen so ausgeprägt und facettenreich sein, dass sie sogar ohne Vorliegen einer komorbiden psychischen Erkrankung die zugrunde liegende Grundstörung zu verdecken mögen http://www.adhs.ch/adhs/diagnostik/diagnostik2.htm (17.06.2010). Gawrilow (2009) weist darauf hin, dass sich das Symptombild der ADHS verändert: nur 30 bis 60% der betroffenen Erwachsenen zeigen weiterhin körperliche Hyperaktivität, das markante Merkmal der äußerlichen Unruhe wandelt sich bei vielen Betroffenen zu einer innerlichen Unruhe, die von außen kaum zu beobachten ist. Außerdem kann sich sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen mit ADHS Hyperfokussierung zeigen, das heißt, dass sich die Betroffenen trotz der ADHS-typischen Unaufmerksamkeit in für sie spannende Tätigkeiten stark konzentriert hineinvertiefen können. ADHS-Erwachsene können sich beispielsweise so sehr in eine (berufliche) Beschäftigung vertiefen, dass sie Raum und Zeit vergessen (Gawrilow 2009, S. 39). Die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen und die damit verbundene leichte Ablenkbarkeit bleiben im Erwachsenenalter im Gegensatz zur Hyperaktivität bestehen und können in weiterer Folge zu Schwierigkeiten bei Ausbildung und Studium sowie im Beruf führen (Gawrilow 2009, S. 39). 22

Nach Gawrilow (2009) zeigen sich Störungen, die durch Impulsivität verursacht sind, im Erwachsenenalter vor allem durch gesteigertes Redebedürfnis, schnelles Sprechen, Wutausbrüche oder auch durch raschen Wechsel von Arbeitsstellen und Partnerschaften. Auch in Bezug auf das Essverhalten kann die Impulsivität festgestellt werden; erwachsene ADHS-Betroffene sind häufiger übergewichtig als Menschen ohne ADHS (Gawrilow 2009, S. 39─40). Eine Beeinträchtigung der Selbstkontrolle, wie sie bei der ADHS häufig vorkommt, führt bei Erwachsenen oftmals zu Unordnung und Desorganisation in Privatleben und Beruf. Weitere Kennzeichen der ADHS im Erwachsenenalter sind emotionale Labilität und Stressintoleranz. Diese können starke Stimmungsschwankungen bewirken, sodass die ohnehin schwächer ausgeprägte Selbstkontrolle in Stresssituationen noch geringer werden kann (Gawrilow 2009, S. 41). Bei Neuhaus (2003) wird darauf hingewiesen, dass schon 1962 von Anderson und Plymate beschrieben wurde, dass trotz großer Verschiedenheit im Erwachsenenalter charakteristische Zeichen von ADHS weiter bestehen (Neuhaus 2003, S. 19─20): 

emotionale Impulsivität,



niedrige Frustrationstoleranz,



Schwierigkeiten mit plötzlichen Veränderungen im Umfeld bzw. mit mangelnder Struktur,



schlechte interpersonelle Beziehungen,



Unreife,



Neigung zu Wutanfällen und Panikattacken.

7. Behandlung von ADHS In empirischen Untersuchungen wird auf die Wirksamkeit einer kombinierten Behandlung (Medikamente und kognitive Verhaltenstherapie) der ADHS hingewiesen. Die Palette der ADHS-Therapien oder –Trainings ist vielfältig; auf alle Fälle sollte am Beginn eine umfassende Beratung aller Betroffenen stehen (Gawrilow 2009, S. 51).

23

7.1 Pädagogisch-psychologische Therapien Pädagogisch-psychologische Therapien sollten einen Schwerpunkt bilden, da die ADHS gerade im schulischen Bereich negative Auswirkungen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen hat. Beinhaltet sein sollten vor allem Konzentrationstrainings, Gedächtnis- und Lernstrategietrainings sowie Selbstregulationstrainings. Pädagogisch-psychologische Forschung konnte beweisen, dass Kinder mit und ohne ADHS Gedächtnis- und Lernstrategien nicht automatisch bzw. intuitiv anwenden, sondern nur über Training erlernen können (Gawrilow 2009, S. 53─54).

7.2 Kognitive Verhaltenstherapie Kognitive Verhaltenstherapien sollten im Idealfall Kind- und Elterntrainings sowie Interventionen in der Schule umfassen. Ein verhaltenstherapeutisches Kindtraining sollte (nach Döpfner et al. 2000) folgende Trainingsbausteine beinhalten: 

Spieltraining zur Steigerung von Beschäftigungs- und Spielintensität vor allem bei Vorschulkindern,



Selbstinstruktionstraining zum Erlernen von Aufmerksamkeitsfokussierung,



Selbstmanagementtraining zur Unterstützung der Selbstbeobachtung des Verhaltens,



Selbstregulationstraining zur Verstärkung der Kontrolle des eigenen Denkens, Handelns und Fühlens (Gawrilow 2009, S. 59).

Äußerst wichtig ist es, dass die Kinder und Jugendlichen die im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie erlernten Fähigkeiten im alltäglichen Leben in der Schule und zu Hause auch umsetzen können. Außerdem sollte im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie auch immer ein Elterntraining durchgeführt werden, das nach Gawrilow (2009) folgende Punkte beinhalten sollte: 

Methoden des Kontingenzmanagements, d.h. das Erlernen und Üben von „Verstärkerplänen“,



Umgang mit der Auszeitmethode, d.h. das temporäre Entziehen zusätzlicher Stimulationen (Gawrilow 2009, S. 59─60).

Verhaltenstherapeutische Interventionen in der Schule sollten umfassen: 

den Umgang mit Token-Systemen, d.h. ein positiver Verstärker wird gegeben, 24

wenn erwünschtes Verhalten auftritt, 

das Response-Cost-Verfahren, d.h. ein positiver Verstärker wird entzogen, wenn unerwünschtes Verhalten auftritt (Gawrilow 2009, S. 60).

Hüther und Bonney (2010) erläutern, dass jede psychotherapeutische Behandlung von ADHS nur dann dazu beitragen kann, die im Gehirn der Betroffenen durch die bisherige Art der Benutzung entstandenen und verfestigten Verschaltungen zu verändern, wenn es dem Therapeuten gelingt, seinen Patienten zu motivieren, anders als bisher auf äußere Reize oder innere Antriebe zu reagieren. Zudem wird eine derartige Behandlung umso besser gelingen, je früher damit begonnen wird, wobei nicht nur das in seinem Verhalten gestörte Kind, sondern sein gesamtes Umfeld im Auge behalten werden muss (Hüther, Bonney 2010, S. 81─82).

7.3 Medikamentöse Therapie Neuhaus (2003) weist darauf hin, dass eine Pharmakotherapie als Monotherapie möglichst vermieden werden sollte, da die Kinder und Jugendlichen unbedingt flankierend auch Strategien zur willentlichen Kompensation ihres Grundproblems erlernen sollten. Die Relevanz des Einsatzes der medikamentösen Therapie habe sich in der letzten Zeit nach klinischer Erfahrung deutlich verändert; es komme zu einem wesentlich früheren und häufigeren Einsatz einer flankierenden Pharmakotherapie (Neuhaus 2003, S. 258─259). Eine Therapie mit Psychopharmaka besteht meist in der Verabreichung von Medikamenten mit dem Wirkstoff Methylphenidat (MPH, Handelsname z.B. Ritalin). Dieser Wirkstoff ist ein Psychostimulans und bewirkt eine bessere Aufmerksamkeit. MPH greift in den Dopaminstoffwechsel ein; es hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin an den Rezeptoren, sodass mehr Dopamin im synaptischen Spalt verfügbar ist. Die Wirkung tritt rasch ein – etwa 30 Minuten nach der Einnahme – und hält ca. drei bis vier Stunden an. Auf dem Markt sind auch Retard-Präparate, deren Wirkung länger anhält (sieben bis zehn Stunden) (Gawrilow 2009, S. 60-61). Die Stimulanzien-Medikation wirkt auch beim Jugendlichen und Erwachsenen, wie amerikanische Untersuchungen zeigen. Die behandelten Personen beschreiben eine verbesserte Fähigkeit, bei der Sache bleiben zu können, gleichmäßigere Aktivierung, exaktere Informationsverarbeitung, verbesserte Gedächtnisfähigkeiten sowie eine Abnahme des hochschießenden Erregungsniveaus (Neuhaus 2002, S. 194─195). Die am 25

häufigsten berichteten Nebenwirkungen sind Appetitlosigkeit oder –minderung, Schlafstörungen, zu starke und unerwünschte Sedation, starke Unruhe, Magenschmerzen und Kopfschmerzen (Gawrilow 2009, S. 61). Bei Kindern unter fünf Jahren hat sich eher ein Amphetaminsolfatpräparat in Saftform bewährt, auch deshalb, weil dieses Medikament mehr auf die Impulskontrollstörung wirkt (Neuhaus 2002, S. 196). Häufig wird erst eine kombinierte Behandlung mit anderen Medikamenten erfolgreich, besonders wenn noch eine zusätzliche psychiatrische Erkrankung vorliegt, z.B. eine Zwangserkrankung oder eine Angsterkrankung. Auch Erwachsene brauchen häufig Kombinationsbehandlungen, da ihre Problematik möglicherweise – so, wie sich entwickelt hat – unterschiedliche Hirnregionen betrifft (Neuhaus 2002, S. 272). Die möglichen Gefahren und Risiken einer Langzeitbehandlung von Kindern mit Psychostimulanzien lassen sich gegenwärtig nur schwer abschätzen, da gezielte Langzeituntersuchungen noch nicht vorliegen. Aus den USA, wo der Wirkstoff Methylphenidat bereits seit längerem und in größerem Umfang eingesetzt wird, sind bisher noch keine negativen Langzeitwirkungen bekannt (Hüther, Bonney 2010, S. 77). Eine Medikation mit MPH im jungen Alter wirft die Frage auf, ob dies zu einer stärkeren Suchtgefahr im Lauf des Lebens führen kann. Verschiedene amerikanische und deutsche Untersuchungen zeigten, dass mit MPH behandelte ADHS-Kinder im weiteren Verlauf ihres Lebens weniger häufig als unbehandelte ADHS-Kinder Suchtstörungen (z.B. Drogen- oder Alkoholabhängigkeit) entwickeln (Wilens et al. 2003, In: Gawrilow 2009, S. 61). Erklärt werden kann dies damit, dass durch die Behandlung mit MPH die Impulsivität der Kinder abnimmt, was zu einer Reduzierung der Suchtgefahr führt, da weniger impulsive Jugendliche weniger häufig zu Alkohol oder Drogen greifen (Gawrilow 2009, S. 61).

7.4 Therapiebegleitende Maßnahmen Therapiebegleitende Maßnahmen sollten parallel zu einer Therapie (Verhaltenstherapie und/oder Medikation) durchgeführt werden. Gerade bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen wirken sich sportliche Betätigungen positiv auf das Symptombild aus (Gawrilow 2009, S. 62).

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Eine weitere therapiebegleitende Maßnahme vor allem bei Erwachsenen stellt das Coaching dar. Coaching im Rahmen der Behandlung einer ADHS sollte nie als Konkurrenz zu psychologischen Theorien, sondern immer nur als Ergänzung gesehen werden (Gawrilow 2009, S. 62─63). In Bezug auf die Wirksamkeit verschiedener Therapieformen konnte anhand einer kontrollierten Längsschnittstudie (MTA Studie) aus den USA gezeigt werden, dass vor allem die Kombination von medikamentöser Therapie und Verhaltenstherapie positive Effekte hat (Gawrilow 2009, S. 64).

8. Geschlechtsspezifische Merkmale und Verläufe der ADHS Die Forschung zur ADHS beruht zum überwiegenden Teil auf Untersuchungen von Buben. Auch heute wird meist noch angenommen, dass die Störung in erster Linie Buben betreffe (Neuhaus 2003, S. 35). Zur Verteilung der Häufigkeit zwischen Mädchen/Buben sei auf Kapitel 3.3.1 der vorliegenden Arbeit hingewiesen. Aktuelle Studien zeigen, dass die Geschlechter-Diskrepanz in klinischen Populationen weit größer ist als in nicht-klinischen Populationen; dieser Unterschied wurde in vergleichenden Studien festgestellt. Verglichen wurde dabei die geschlechterspezifische Prävalenz von ADHS in Populationen, die ADHSDiagnostik und –Behandlung erfuhren, mit der geschlechterspezifischen Prävalenz in Populationen, die nicht durch ADHS-Diagnosen und –Behandlungen erfasst wurden. Daraus kann nach Gawrilow (2009) geschlossen werden, dass 1. Buben öfter als Mädchen eine ADHS-Diagnose bekommen und damit öfter eine Behandlung erhalten und 2. Mädchen seltener als Buben wegen einer möglichen ADHS-Diagnose vorstellig werden und dadurch auch keine Behandlung erhalten (Gawrilow 2009, S. 65).

8.1 Unterschiede in der Kernsymptomatik In Bezug auf das unausgewogene Geschlechterverhältnis bei der ADHS werden verschiedene Ursachen diskutiert. Mögliche Ursachen könnten z.B. an Unterschieden in der Kernsymptomatik liegen: 27

1. Bei Mädchen zeigt sich die hyperaktiv-impulsive Problematik geringer ausgeprägt. Da Buben generell motorisch aktiver sind als Mädchen, sollte dieser Unterschied auch bei ADHS-Patienten erwartet werden. 2. ADHS Mädchen sind somit häufiger als ADHS-Buben dem unaufmerksamen Typus zuzuordnen (Gawrilow 2009, S. 66). Da die augenscheinlichen Merkmale der Hyperaktivität-Impulsivität fehlen, ist davon auszugehen, dass die Betroffenen sowohl zu Hause als auch in der Schule weniger auffallen und die Störung somit später diagnostiziert wird als bei gleichaltrigen Buben. Aufgrund dieser relativen „Unauffälligkeiten“ kann angenommen werden, dass die Störung deshalb in vielen Fällen nie diagnostiziert wird (Gawrilow 2009, S. 66). Gegenüber Mädchen und Buben bestehen – bei ohnehin schon biologischen Unterschieden in der Entwicklung – interkulturell auch unterschiedliche Erwartungshaltungen. Wie Neuhaus (2003) ausführt, neigen Mädchen dazu, bei Schwierigkeiten ihre Probleme mit sich auszumachen oder zu kompensieren, um nicht abgelehnt zu werden. Kommt es bei Mädchen zu impulsivem Verhalten, wird es von außen rascher gegenkorrigiert und unterdrückt (Neuhaus 2003, S. 35). Schon 1997 stellten Biederman et al. auf der 9. CHADD-Konferenz (Children and Adults with ADD) in San Antonio eine Studie über die oft fehleingeschätzten, vorwiegend unaufmerksam-impulsiven Mädchen vor, die viel häufiger seien als zuvor angenommen. In dieser Studie wurde auch aufgezeigt, dass die betroffenen Mädchen oft mit ernsthaften Selbstwertproblemen zu kämpfen haben und ängstlich vermeidende, depressiv irritierte Zusatzstörungen mit Krankheitswert wie etwa Panikattacken oder Phobien entwickeln (Neuhaus 2002, S. 37). Neuhaus (2003) beschreibt, wie Mädchen mit ADHS reagieren: 

Sie neigen zur Selbstbezichtigung und Selbstanschuldigung und haben oft ein niedriges Selbstwertgefühl,



sie haben häufig Angststörungen,



mit hohem IQ zeigen sie mehr intern ausgetragenen psychischen Stress und geben ihre Schwierigkeiten nach außen oft nicht zu, 28



sie produzieren in der Pubertät vermehrt Symptome mit einer gravierenden Verstärkung der Stimmungslabilität und der emotionalen Reaktivität,



sie erleben Schmerz intensiver und reagieren oft hypersensibel mit unklaren Krankheitszeichen,



Mädchen mit ADHS vom kombinierten Typ zeigen sich übereloquent, immer beschäftigt, oft chaotisch,



Mädchen mit ADHS vom unaufmerksamen Typ erscheinen tagträumerisch, lethargisch, im Leistungsbereich eher passiv, schnell entmutigt. Sie haben mitunter Schwierigkeiten, sich gewandt und flüssig auszudrücken, sind eher scheu und ängstlich (Neuhaus 2003, S. 36─37).

Weiters können ADHS-Mädchen nach Neuhaus (2003) wie folgt beschrieben werden: 

Sie sind seelisch entwicklungsverzögert,



sie haben oft Schwierigkeiten mit der Selbstüberwachung,



sie haben oft Schwierigkeiten mit Mehrfachhandlungen,



sie haben oft Schwierigkeiten mit Übergängen von einer Situation in die andere,



sie haben ein hypersensibles Nervensystem mit Berührungsempfindlichkeit,



sie zeigen oft eine Hypersensibilität gegenüber Geschmack und Geruch,



sie leiden oft unter Blasenkontrollschwierigkeiten,



sie zeigen oft ein ausgeprägtes prämenstruelles Syndrom (Neuhaus 2003, S. 36).

8.1.1 Unterschiede in komorbider Symptomatik Unterschiede in der Komorbidität können ebenfalls dazu beitragen, die ADHSGeschlechterunterschiede zu erklären. Bei Buben lassen sich häufiger externalisierende komorbide Auffälligkeiten erkennen, d.h. nach außen, auf die Umgebung gerichtete Verhaltensstörungen, wie beispielsweise aggressives und oppositionelles Verhalten. Mädchen hingegen leiden häufiger an internalisierenden, d.h. nach innen, auf die Betroffenen selbst gerichteten Verhaltensstörungen; sie zeigen sich eher ängstlich und depressiv. Auch in Bezug auf die komorbiden Symptome lassen sich die augenscheinlichen Merkmale häufiger bei Buben als bei Mädchen beobachten, was wiederum eine ADHS-Diagnose bei Buben wahrscheinlicher macht (Gawrilow 2009, S. 67). 29

Dass Mädchen mit ADHS ein signifikant erhöhtes Risiko haben, an einer Depression zu erkranken, lässt sich ableiten aus einer Verlaufsuntersuchung mit 140 ADHS-Mädchen und einer Kontrollgruppe aus 122 Mädchen, die von Psychiatern und Kinderärzten in einem Lehrkrankenhaus in den USA untersucht wurden. Die Studienteilnehmerinnen waren zu Beginn der Studie zwischen sechs und achtzehn Jahre alt und wurden über mindestens fünf Jahre hinsichtlich der psychiatrischen, kognitiven, interpersonellen, familiären und psychosozialen Entwicklung weiterkontrolliert. Nach dieser Analyse wiesen Mädchen mit ADHS ein signifikant erhöhtes Risiko für sogenannte expansive Verhaltensprobleme, Stimmungsprobleme, Angststörungen und Suchtprobleme auf. Vom Leiter der Studie, Dr. Biederman, wurde darauf hingewiesen, dass besonders hinsichtlich von Depressionen die größten Unterschiede bestanden. Mädchen mit ADHS wiesen ein 5,4-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung depressiver Episoden gegenüber der Kontrollgruppe auf, unabhängig von anderen Einflussfaktoren wie z.B. einer depressiven Vorerkrankung der Eltern. Auffallend war ein früherer Erkrankungsbeginn der Depressionen gegenüber der Kontrollgruppe, längere Dauer der Erkrankung (3 Jahre im Vergleich zu 1,3 Jahren) sowie stärkerer Leidensdruck einschließlich Suizidalität http://www.adhs.ch/adhs/grundlagen/maedchen_adhs.htm (18.05.2010). Weitere Untersuchungen ergaben, dass Mädchen mit ADHS 3,6-mal häufiger die Kriterien einer Essstörung erfüllten als die Mädchen der Kontrollgruppe; dabei war ein 5,6-fach erhöhtes Risiko für die Bulimia nervosa bzw. ein 2,7-fach erhöhtes Risiko für die Anorexia nervosa feststellbar. Bei Vorliegen einer Komorbidität von ADHS und Essstörungen ergaben sich auch signifikant häufiger weitere Komorbiditäten wie Depressionen oder Angststörungen http://www.adhs.ch/adhs/grundlagen/maedchen_adhs.htm (18.05.2010).

8.2 Neuropsychologische, neurologische und biologische Unterschiede Was die Leistung in neuropsychologischen Testverfahren betrifft, scheint es keine Unterschiede zwischen Mädchen und Buben mit ADHS zu geben. Ebenso können hirnstrukturelle Unterschiede die Geschlechterdifferenz nicht hinreichend erklären (Gawrilow 2009, S. 68). Jedoch scheinen Versuche zu belegen, dass es biologische Ursachen für das vermehrte 30

Auftreten von ADHS bei Männern gibt. Anhand von Versuchen mit Ratten zeigte sich, dass die Dopamin-Rezeptoren-Dichte bei männlichen und weiblichen Versuchstieren unterschiedlich ist. Bei männlichen Tieren lässt sich zu Beginn der Pubertät ein mehr als vierfach höherer Anstieg der Dopamin-Rezeptoren-Dichte als bei weiblichen Tieren beobachten. Allerdings findet bis zum frühen Erwachsenenalter eine Angleichung zwischen den Geschlechtern statt; dies bedeutet, dass es bei den männlichen Tieren zu einer drastischen Reduktion der Dopamin-Rezeptoren-Dichte kommt. Diese Tatsache könnte erklären, weshalb die Unterschiede zwischen Mädchen und Buben vor allem während der Pubertät stark erkennbar sind (Gawrilow 2009, S. 68).

8.3 Schlussfolgerungen für Diagnostik und Behandlung Die Forschungsergebnisse zu Unterschieden der ADHS bei Mädchen und Buben lassen die Schlussfolgerung zu, dass eine Anpassung der Diagnostik notwendig ist. Diese erscheint angebracht, weil Frauen mit ADHS häufiger an dem rein unaufmerksamen Subtyp leiden. Jedoch wird das Merkmal Unaufmerksamkeit – sowohl in der Beobachtung als auch in Fragebögen und Interviews – nicht mit derselben Gültigkeit erfasst wie das Merkmal Hyperaktivität-Impulsivität (Konrad et al. 2005, In: Gawrilow 2009, S. 68). Ohan und Johnston (2005) machten auf die Notwendigkeit aufmerksam, die Diagnosekriterien der ADHS von DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) bzw. ICD (International Classification of Diaseases) an Mädchen bzw. Frauen anzupassen. Nach Ohan und Johnston (2005) sind Mädchen mit ADHS – im Unterschied zu Buben mit ADHS – durch folgende Merkmale charakterisiert: 

Sie reden und kichern übermäßig viel,



sie reden und flüstern, anstatt sich auf den Unterricht zu konzentrieren,



sie schreiben Mitteilungen oder Briefchen, malen und kritzeln während des Unterrichts,



sie reden oft ohne nachzudenken,



sie wechseln impulsiv Themen in einer Unterhaltung,



sie wechseln impulsiv und ohne nachzudenken Freunde,

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sie sind vergesslich bei sozialen Aktivitäten (Ohan, Johnston 2005, In: Gawrilow 2009, S. 68─69).

Die Unterschiedlichkeit im Verlauf der ADHS bei Mädchen und Buben hat auch Folgen bezüglich der Behandlungsmaßnahmen. Was medikamentöse Therapien betrifft, so ist festzuhalten, dass anhand empirischer Studien bisher keine Unterschiede in der Wirkweise von MPH (Mehtylphenidat) bei Mädchen und Buben feststellbar waren. Konrad und Günther (2007) weisen darauf hin, dass sich die meisten dieser Studien auf Jugendliche unter zwölf Jahren bezogen (Konrad, Günther et al. 2005, In: Gawrilow 2009, S. 69). Obwohl umfassende empirische Untersuchungen noch fehlen, gibt es Hinweise darauf, dass bei Frauen die Wirkung dieser Medikamente von hormonellen Schwankungen innerhalb des weiblichen Zyklus abhängig ist (Gawrilow 2009, S. 69). Gawrilow (2009) betont, dass Geschlechterunterschiede auch im Rahmen psychologischer Therapiemaßnahmen beachtet werden sollten, da folgende Unterschiede berücksichtigt werden müssen: 1. Unterschiede in der Kernsymptomatik Diese fordern auch unterschiedliche Therapieansätze. Bei Mädchen und Frauen, die dem rein unaufmerksamen Subtyp der ADHS zuzurechnen sind, sollte beispielsweise die Selbstwahrnehmung einen besonderen Stellenwert in der psychologischen Therapie einnehmen, da gerade diese Betroffenen oft unter einer negativen Selbstwahrnehmung leiden. 2. Unterschiedliche Komorbiditäten bei Mädchen und Buben Diese verlangen ebenfalls unterschiedliche Therapieansätze. So können etwa bei ADHS-Mädchen häufig komorbide Angststörungen beobachtet werden; diese lassen sich verhaltenstherapeutisch gut behandlen (Gawrilow 2009, S. 69).

9. Zusammenfassung ADHS gilt als eine der häufigsten psychiatrischen Störungen des Kindes- und Jugendalters. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie die ADHS in der Literatur beschrieben wird, lässt erkennen, dass es nicht um ein Syndrom geht, welches durch ein weitgehend identisches 32

Symptomenmuster gekennzeichnet ist. Die ADHS ist charakterisiert durch eine hohe Variabilität der beobachteten und im Einzelfall dominanten Symptome. Daraus ergibt sich auch, dass differentialdiagnostischen Erwägungen bei Verdacht auf ADHS eine wesentliche Rolle zukommen muss. Empfohlen wird heute meist eine „multimodale Therapie“, das heißt, dass die Behandlung auf mehreren Säulen beruht (Eltern- und Familienberatung bzw. –training, Verhaltenstherapie, medikamentöse Therapie) http://www.adhs.ch/adhs/diagnostik/diagnostik2.htm (17.06.2010). Die Forschung zur ADHS beruht zum überwiegenden Teil auf Untersuchungen von Buben. Weltweit sind etwa 6-10% aller Kinder von ADHS betroffen, bei einem deutlich höheren Anteil von Buben im Vergleich zu Mädchen, wobei das Verhältnis 3:1 bis 6:1 beträgt (Wender 1995, In: Gawrilow 2009, S. 17). Festgehalten werden kann, dass die Ursachen für das unausgewogene Geschlechterverhältnis bei der ADHS vor allem an Unterschieden in der Kernsymptomatik und auch in der komorbiden Symptomatik liegen (Gawrilow 2009, S. 66). Betroffene Mädchen sind weniger hyperaktiv, sondern verlieren sich eher in ausgedehnten Tagträumereien. Ab der Pubertät leiden sie häufig unter starken Menstruationsbeschwerden mit ausgeprägten Stimmungsschwankungen. Erwachsene Frauen mit ADHS sind unsicher, ängstlich und neigen zu Depressionen (Alm, Sobanski 2010, S. 48). Die augenscheinlichen Merkmale der Hyperaktivität/Impulsivität fehlen bei Mädchen meist, daher ist davon auszugehen, dass die Betroffenen weniger auffallen und die Störung dadurch später als bei gleichaltrigen Buben bzw. überhaupt nicht diagnostiziert wird. Da Mädchen mit ADHS häufiger an dem rein unaufmerksamen Subtyp leiden, wird eine Anpassung der Diagnostik notwendig. Die Unterschiedlichkeit im Verlauf der ADHS bei Mädchen und Buben hat auch Konsequenzen bezüglich der Behandlungsmaßnahmen (Gawrilow 2009, S. 66─69). Entgegen der weit verbreiteten Ansicht, ADHS sei eine Kinder- und Jugendkrankheit, besteht die Störung nicht selten auch im Erwachsenenalter fort; etwa jeder dritte Patient kämpft ein Leben lang damit. Verschiedene internationale Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass bis zu viereinhalb Prozent der erwachsenen Bevölkerung ADHS haben – nicht selten begleitet von weiteren psychischen und sozialen Problemen. Häufig gehen Suchterkrankungen mit dem Leiden einher, und auch die Persönlichkeitsentwicklung der Betroffenen kann beeinträchtigt sein (Alm, Sobanski 2010, S. 45). 33

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass bei den von ADHS betroffenen Kindern neben all den genannten Defiziten auch auffallende Merkmale positiver Art bestehen: Eine Stärke dieser Kinder ist oftmals ihre Kreativität und die Fähigkeit originelle Lösungen zu finden; sie sind neugierig und können witzig und einfallsreich sein (Krowatschek 2004, In: Gawrilow 2009, S. 8).

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10. Literatur Alm B., Sobanski E. Gedanken auf Abwegen. Gehirn & Geist 1-2/2010, Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg, S. 44─49. Gawrilow C. (2009) ADHS. Ernst Reinhardt Verlag, München. Holowenko H. (1999) Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Aus dem Englischen von Miriam Magall. Beltz Verlag, Weinheim Basel. Hüther G., Bonney H. (2010) Neues vom Zappelphilipp. ADHS verstehen, vorbeugen und behandeln. Patmas Verlag, München. James W. (1990) Principles of Psychology. London. (Ursprüngliche Arbeit veröffentlicht 1890). Neuhaus C. (2002) Das hyperaktive Kind und seine Probleme. 11., völlig überarbeitete und neu gestaltete Auflage. Urania Verlag, Berlin. Neuhaus C. (2003) Hyperaktive Jugendliche und ihre Probleme. Urania Verlag, Stuttgart. Internetadressen: http://www.adhs.ch/adhs/grundlagen/maedchen_adhs.htm (18.05.2010) http://www.adhs.ch/adhs/diagnostik/diagnostik2.htm (17.06.2010)

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