Aus der Wirklichkeit. Saarland Sozialgipfel

18 GESELLSCHAFT Saarland Sozialgipfel Aus der Wirklichkeit Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Dudweiler spielten zu Beginn selbst erarbeitet...
Author: Ruth Fertig
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GESELLSCHAFT Saarland Sozialgipfel

Aus der Wirklichkeit

Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Dudweiler spielten zu Beginn selbst erarbeitete Szenen, mit denen sie bundesdeutsche Realität widerspiegelten | Foto: D‘Angiolillo

Unter dem Motto „Solidarität geht anders. Unser Land in Schieflage“ luden die mittlerweile 29 Mitgliedsverbände des Saarland Sozialgipfel Ende November in das Saarbrücker Jugendzentrum Försterstraße. Mit der Ortswahl fing es an, mit den Inhalten ging es weiter: Dieser Sozialgipfel fiel wohltuend aus dem für solche Veranstaltungen üblichen Rahmen. Zum Auftakt erklang Rockmusik (Joel Becks & Band), dann erklommen Jugendliche die Bühne, Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Dudweiler. Eine Woche lang hatten sie unter Leitung des Regisseurs und Schauspielers Jürgen Reitz geprobt und in Gesprächen mit Betroffenen eine witzige und entlarvende Szenenfolge auf die Beine gestellt, Motto: „Die Würde des Menschen ist antastbar“. Da marschierten sie dann alle auf, als wandelnde Stereotypen und Vorurteils­ träger: die gelangweilte Tussi vom Arbeitsamt, die frustrierte Hartzerin und ihr strebsamer Nachwuchs, der Unternehmer und sein puppiges Töchterlein, der glatte Politiker und die willfährige Reporterin. Und führten in kurzer Rede und Gegenrede vor, was schief läuft in unserer Gesellschaft. Das tat im Anschluss auch der Autor Markus Breitscheidel, der 18 Monate lang dem Beispiel Wallraffs folgend undercover recherchiert hatte: in der Szene der Arbeitsagenturen und Verleihfirmen, unter Billiglöhnern und Hartz-IV-Beziehern. In Gelsenkirchen-Mitte hatte er sich arbeitnehmer Heft 1/2011

arbeitssuchend gemeldet. Was er dann erlebte, schildert er in dem Buch „Arm durch Arbeit“, aus dem er nun las, aber auch das Gelesene kommentierte und mit Zahlen und Fakten anreicherte. So dass sich ein komplexes Bild einer deutschen Wirklichkeit ergab, die kaum einer kennt (oder kennen will), der davon nicht betroffen ist. Und die wohl auch keiner kennenlernen soll, denn gegen das Buch wurden gut 50 einstweilige Verfügungen erwirkt, die aber von Gerichten samt und sonders abgewiesen wurden. Und so erfuhr das Publikum von Fallmanagern, die von privaten Wachleuten vor ihren „Kunden“ beschützt werden. Von 800.000 Menschen, die im ersten Jahr von Hartz IV umziehen mussten, weil ihre Wohnung über der festgelegten Normgröße lag. Von „Einkaufen am Limit“ und warum das Flaschenpfand „die sozialste Errungenschaft von Rot-Grün“ ist: Weil am Ende des Monats der Regelsatz nicht mehr reicht, und viele ihr Budget mit gesammeltem Pfandgut aufbessern. Aber auch von den modernen Kopfgeldjägern erzählte Breitscheidel, die bis zu 2.000 Euro erhalten, für die Vermittlung einer Stelle, auch in einer Leiharbeitsfirma. Die ihn dann bis zu viermal

weiterverlieh, bevor er in Rüsselsheim bei Opel am Band landete. Vier Unternehmen also hätten an jeder Arbeitsstunde an ihm verdient. Und da sei er beileibe kein Einzelfall: So würden etwa die Einzelteile des Opel Astra an 65 Standorten weltweit hergestellt und in Rüsselsheim zusammengesetzt. Was Breitscheidel zu der klimapolitischen Überlegung veranlasste, wie viel CO2 ein Auto schon verblasen habe, bevor es vom Band rolle. In den 18 Monaten seines Experiments, bilanzierte der Autor, sei ihm keine einzige Stelle angeboten worden, deren Lohn über dem Existenzminimum gelegen habe. 1,8 Millionen Menschen erhielten mittlerweile jeden Monat Aufstockung vom Amt. „Wir zahlen also alle das, was die Unternehmen nicht mehr bereit sind zu zahlen“, so das bittere Fazit von Markus Breitscheidel, der auch in der anschließenden Politiker-Runde auf dem Podium für manche Erdung sorgen konnte. Von den fünf angekündigten Landespolitikern fanden allerdings nur drei den Weg ins JUZ (die Vertreter von Grünen und FDP hatten krankheitsbedingt abgesagt). Und die Anwesenden hatten kein leichtes Spiel beim sachkundigen Publikum, das sich vor allem aus den Mitgliedsverbänden (Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände, Arbeitsloseninitiativen) rekrutierte. Cornelia Hoffmann-Bethscheider musste gleich zu Beginn für die SPD geradestehen, als Moderator Wolfgang Wirtz-Nentwig von der SR-Wirtschaftsredaktion daran erinnerte, welche Partei die Hartz-Gesetze eingeführt hatte. Ihr Eingeständnis, damals gar nicht genau gewusst zu haben, welche Auswirkungen das einmal haben werde, löste höhnisches Gelächter aus. Aber auch Arbeitsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erzielte keine Zustimmung mit der CDU-These, dass der Ansatz schon richtig gewesen sei, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, auch wenn neben dem Fordern das Fördern zu kurz gekommen sei. Lediglich der Linken-Abgeordnete Prof. Dr. Heinz Bierbaum erntete Beifall, als er von der „Rutschbahn nach unten“ sprach, die Hoffnungslosigkeit, Resignation und Depression auslöse. Für ihn ist die soziale Schieflage im Land vor allem eine „Verteilungsfrage“: „Wir sind ein reiches Land, dessen Vermögen völlig falsch verteilt ist!“ Dem schloss sich auch Cornelia Hoffmann-Bethscheider an. Die künftige Neunkircher Landrätin forderte außerdem eine Eindämmung der Leiharbeit, einen Mindestlohn und einen 3. Arbeitsmarkt. Und so ganz weit weg war da auch die Arbeits- und Sozialministerin nicht: Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent befürworte sie, Steuersenkungen müssten verhindert werden.  Gabi Hartmann

GESELLSCHAFT Rücktritte in Deutschland

Störfall im Politikbetrieb 250 Rücktritte seit 1950 hat der Historiker Michael Philipp untersucht. Bei der Stiftung Demokratie Saarland sprach er über Spielarten und Motive, die Rollen von Parteien und Medien sowie über „das Leben danach“. Obwohl das Jahr 2010 reich an Rücktritten war – von Hessens Ministerpräsident Roland Koch bis zu Bundespräsident Horst Köhler –, kommt diese Maßnahme „im Allgemeinen zu spät oder zu selten vor“, stellte Michael Philipp fest. Dabei gebe es Unterschiede, genauer acht Kategorien von Rücktrittsgründen mit und ohne vorausgehenden Skandal, angefangen von biografischen Veränderungen über innerparteiliche Konflikte bis hin zum Protest gegenüber einer Regierungsentscheidung. Der Rücktritt nach einem Skandal gilt als „Störfall im demokratischen Betrieb“. Als Klassiker erweisen sich der Rücktritt von Hans Filbinger wegen seines Handelns als Marinerichter im Nazi-Regime, Willy Brandts Rücktritt wegen eines ganzen Kranzes von Gründen – von innerparteilichen Spannungen über die Innenpolitik dieser Zeit bis hin zur Enttarnung von DDR-Spion Guillaume. Klassiker sind auch der Rücktritt von Ministerpräsident Uwe Barschel aufgrund politischer Verfehlungen und persönlichen Fehlverhaltens oder der Lothar Späths wegen Vorteilsnahme. Alle Rücktritte folgten dabei einer eingeübten Choreographie. Michael Philipp nennt es die „Figur des Rücktritts“ der immergleichen Abläufe. Ein Verdacht wird öffentlich und damit das in ihm liegende „Erregungspotenzial“ moralisch angefacht. Sogleich folgt die Reaktion des Betroffenen mit einem Dementi, von wegen „haltloser Vorwürfe“ und dem Bekenntnis seiner Partei, dass sie „vollstes Vertrauen“ in dessen Person habe („Da ist nichts dran“). Doch die Praxis zeige, dass derlei Aussagen eher Signale für die Medien sind, erst recht zu recherchieren. Wobei gilt: „Ein guter Skandal hat eine Halbwertszeit von drei Wochen“, weiß Philipp. Auf weitere Dementi folgt nach und nach, getreu der Salamitaktik, das scheibchenweise Zugeben. Spätestens dann hat die Opposition ihre obligatorische Rücktrittsforderung zu stellen. Die Regel ist laut Philipp: „Frühestens 24 Stunden nach Aufkommen eines Skandals, höchstens eine Woche danach.“ Ist an einem Skandal etwas dran, hat er Potenzial, dann wird er von den Medien in Richtung

Kampagne betrieben. Dann wird es auch eng für die Partei des Betroffenen. Jetzt gilt jedes Wort. Sagt etwa ein Ministerpräsident über den Skandal eines Regierungsmitglieds „Das ist ein ernster Vorwurf“ oder verlautbart der Vorstand der Partei des Betroffenen „Das muss überprüft werden“, so steht der mehr oder weniger freiwillige Rücktritt spätestens zwei Tage später an. Denn der „entscheidende Faktor bei einem Rücktritt ist die Partei“, erklärt Philipp. Die Medien legen, so Phi-

vorzuwerfen“ als Standardformulierung gilt, wie auch die Reaktion der Opposition, die den Rücktritt als „erstes Anzeichen des Zerfalls der Regierung“ kommentiert. Entschuldigung? Nicht vorgesehen. Dabei kommen die meisten Zurückgetretenen wieder, so wie Gustav Heinemann, der nach seinem Rücktritt als Minister später Bundespräsident wurde. „Wenn sich Politiker das vor Augen hielten, würden sie vielleicht früher zurücktreten“, vermutet Michael Philipp und plädiert für „eine Kultur des Rücktritts“, um ein Amt nicht zu beschädigen. Allerdings gibt es keinen vorgegebenen Maßstab, der anzeigen könnte, wann und bei welchem Vergehen jemand zurücktreten muss. „Jeder Fall ist anders“, sagt er. Zumal hier vor allem symbolisch gehandelt wird. „Es geht nicht um den Vorwurf, sondern um das Verhalten während einer Skandalisierung“, um das Krisenmanagement, das manche besser und andere schlechter beherrschen. Konsequenterweise ist

Sehr überraschend war im Mai 2010 der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler (hier mit Ehefrau Luise). Wegen Kritik an seinen Afghanistan-Äußerungen sah er die Würde des Amtes missachtet | Foto: picture alliance

lipp weiter, den Preis für einen Rücktritt fest. Die Währung entspricht den Wählerstimmen, die dabei verloren gehen. „Je interessierter die Medien berichten, desto höher ist der Preis, einen Mann im Amt zu halten.“ Passiert das kurz vor der Wahl, bleibt der Betroffene; hat die Legislaturperiode jedoch gerade begonnen, muss er gehen.

Die meisten kommen zurück So wächst genug Gras darüber bis zur nächsten Wahl. Dann ist es Zeit für die Gattung der Rücktrittserklärung, wobei der Satz „Persönlich habe ich mir nichts

daher der Rücktritt nicht die Einsicht in fehlerhaftes Handeln. Vielmehr haben Rücktritte zwei Funktionen, fasst Michael Philipp zusammen: Erstens wird damit von einer Partei die Notbremse gezogen. Zweitens erfolgt eine praktische wie symbolische Reinigung der Regierungsarbeit: Der Sündenbock ist gefunden und muss gehen, „weil er das gute Regieren nicht verwirklicht hat“. Michael Philipp: Persönlich habe ich mir nichts vorzuwerfen. Politische Rücktritte in Deutschland von 1950 bis heute. Verlag Süddeutsche Zeitung. Preis: 19.90 Euro. ISBN 9-783-866-154-858.  Sabine Graf arbeitnehmer Heft 1/2011

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GESELLSCHAFT Vereinbarung von Familie und Beruf

SHG-Kliniken werden familienfreundlich

Zeit für die Kinder oder die Eltern haben – in Arbeitsgruppen werden Themen wie Arbeitszeit, Personalentwicklung, Serviceangebote oder Kommunikation behandelt | Foto: Oswald

Mit dem auf drei Jahre angelegten Projekt „Familie und Beruf“ haben sich die SHG-Kliniken Völklingen als erstes Krankenhaus im Saarland eine Zielvereinbarung gesetzt. Dabei arbeiten Verwaltung und Betriebsrat eng zusammen. „Natürlich ist das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht neu. Im Krankenhausbereich ist es in den letzten Jahren jedoch stärker in den Fokus gerückt“, weiß Oliver Steffen, Leiter der Projektgruppe „Familie und Beruf“ der SHG-Kliniken Völklingen. Dafür sorgt der traditionell hohe Frauenanteil der in Krankenhäusern Beschäftigten, verstärkt durch den demografischen Wandel. Die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen steigt, aber das Angebot an Arbeitskräften schrumpft. Klug ist beraten, wer sich den kommenden Herausforderungen stellt: „Daher muss das Thema in möglichst vielen Facetten betrachtet werden, um effektive Lösungen zu finden“, so die Verwaltungsdirektorin der SHG-Kliniken Völklingen, Gabriele Haser. Für Betriebsrat Kurt Knobloch ist die von Verwaltung, Betriebsrat und der Ärzteschaft unterzeichnete Zielvereinbarung schlichtweg „ein Alleinstellungsmerkmal“. Und zwar eins mit Wirkkraft, dafür sorgen zwei das Projekt von Grund auf bestimmende Übereinkünfte, betont er: „Man verpflichtet sich darin, alle Themen genau zu besprechen. Und man entscheiarbeitnehmer Heft 1/2011

det gemeinsam, was umgesetzt wird.“ Nicht irgendwann, sondern in einem Zeitraum von drei Jahren, so lange läuft das von der ZPT Saar und von do.it projektmanagement GmbH betreute Projekt. Geschäftsführerin der in Castrop-Rauxel ansässigen Firma ist die im Saarland aus anderen Projekten bekannte Angelika Kirstein. Die Entscheidung für eine externe Beraterin war bewusst, weil sich hier Fachkompetenz mit einem unbelasteten Blick verbindet, erklärt Oliver Steffen. Das zeigte bereits die Bestandsaufnahme der vorhandenen Leistungen, angefangen von Eltern-Kind-Parkplätzen im Parkhaus über günstige Einkaufspreise für das Personal im Bistro bis zum Angebot, von dort Essen mit nach Hause nehmen zu können. „Schön zu sehen, dass wir nicht bei Null anfangen, sondern schon einiges vorhanden ist“, so Kurt Knobloch. „Wir haben Angebote, diese sind aber nicht systematisch geordnet“, stellt Oliver Steffen fest. Wie man das Vorhandene nutzen und neue Entwicklungen anstoßen und vor allem umsetzen kann, dafür bilden sich Arbeitsgruppen, die sich mit den Themen Arbeitszeit, Personalentwicklung, Servi-

ceangeboten, Information und Kommunikation beschäftigen. „Die Arbeitsgruppen spitzen die Themen zu, welche im Einzelnen angegangen werden“, fassen Steffen und Knobloch zusammen. Denn das Projekt gelingt nur, wenn alle daran beteiligt und immer über dessen aktuellen Stand informiert sind. Dafür sorgen eine eigene Internetseite und die eigens für den Projektzeitraum eingerichtete Koordinationsstelle, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Vor allem bei der Befragung der 1.000 Beschäftigten ist „die starke Funktion des Betriebsrats“ gefordert, so Steffen. Papier mag zwar geduldig sein, doch hier sollen Fakten geschaffen, nicht Schlagworte von gestern wiederholt werden, stellt Steffen klar: „Im Projekt versuchen wir zu vermeiden, das Thema, in welche Richtung auch immer, einzuengen. Sei es in Richtung Frauenpower oder in Richtung der reinen Erfüllung von Mitarbeiterwünschen.“ Es geht um „gute Arbeit“, erinnert Kurt Knobloch: „Man muss das Projekt auf die Region bezogen sehen. Je besser ein familienfreundlicher Arbeitsplatz ausgestattet ist, desto höher ist auch die Arbeitsqualität vor Ort.“

Erfülltes Leben und berufliche Ziele vereinbaren Daher gilt nicht mehr Familie oder Beruf, sondern beides geht nur zusammen, erinnerte Oberärztin Dr. Claudia Birkenheier bei der Kick-off-Veranstaltung Anfang September: „Jungen Mitarbeitern geht es nicht mehr nur darum, am Arbeitsplatz kompetent zu sein, sondern zugleich das Privatleben so zu gestalten, dass man ein erfülltes Leben führen und seine beruflichen Ziele verfolgen kann.“ Pragmatisch, nicht ideologisch zu sein, ist das besondere Kennzeichen, betont der Projektleiter: „Neu ist, unter welchem Blickwinkel das Thema betrachtet wird. Es darf sich nicht nur auf Frauen mit Kindern beschränken. Wir betrachten das Thema in unserem Haus umfassend und beziehen dabei Fragen der Arbeitsorganisation, Personalentwicklung und Pflege von Angehörigen ein.“ Für Kurt Knob­ loch ist gerade dieser Punkt im Hinblick auf den demografischen Wandel „gerade im Saarland“ zentral: „Ich verspreche mir viel davon.“ Eine wichtige Voraussetzung ist, dass hier alle gemeinsam ein Ziel haben: „Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie Betriebsrat und Krankenhausleitung gemeinsam ein Thema angehen“, betont Oliver Steffen. Jüngst wurde das Projekt im Landeswettbewerb „Unternehmen Familie 2010“ ausgezeichnet, was man in Völklingen als Bestätigung des Vorhabens nahm.  Sabine Graf

GESELLSCHAFT Alleinerziehende am Arbeitsmarkt

Hohe Hürden Im Saarland sind überdurchschnittlich viele Alleinerziehende arbeitslos oder auf Sozialleistungen angewiesen. Wie man ihnen helfen kann, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, war Thema einer Fachtagung. Eingeladen hatte die Beschäftigungsund Qualifizierungsgesellschaft des Saarpfalz-Kreises (AQUIS) in Homburg. Prinzipiell schnell einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass es für die wachsende Gruppe der Alleinerziehenden dringend weiterer Hilfestellungen bedarf, um ihre Ausgangsposition am Arbeitsmarkt zu verbessern. Zum Hintergrund: Der Anteil der Alleinerziehenden in den Haushalten im Saarland liegt aktuell mit rund acht Prozent deutlich höher als im übrigen Bundesgebiet. Nach den letzten Daten des Mikrozensus waren es 2007 saarlandweit knapp 21.000 Betroffene, davon rund 90 Pro­zent Frauen. Die Armutsquote von Alleinerziehendenhaushalten (Saarland: 43 Prozent) verdeutlicht die Problematik, ein Blick auf ihren Anteil unter den Bezieher/innen von SGB-II-Leistungen (Hartz IV) ebenfalls. Dieser ist seit Einführung von Hartz IV im Saarland um rund zehn Prozent gestiegen. Betrachtet man die Situation aus der Perspektive der Kinder, so heißt das: Rund die Hälfte der Kinder im Sozialgeldbezug lebt in Bedarfsgemeinschaften von Alleinerziehenden. Was diese Daten auch angesichts der Diskussionen über schlechte Bildungschancen von weniger gut situierten Kindern bedeuten, liegt auf der Hand. Insgesamt also gibt es aus vielerlei Gründen dringenden Handlungsbedarf. Lothar Gretsch vom Ministerium für Arbeit, Familie, Prävention, Soziales und Sport vervollständigte die Erkenntnisse aus dem Anfang des Jahres 2010 vorgelegten Sozialbericht der Landesregierung und den dort enthaltenen Tiefeninterviews mit Alleinerziehenden. Diese spiegeln nur einen kleinen Ausschnitt aus der gesamten Gruppe, aber sie verdeutlichen die Hintergründe vor allem der schlecht Ausgebildeten und damit Armutsgefährdeten. Die wesentlichen Probleme werden (von ihnen selbst) zusammengefasst unter folgenden Punkten gesehen: Eine adäquate Kinderbetreuung fehlt oft, vor allem zu problematischen Randzeiten. Die (meist) Mütter fühlen sich oft chancenlos am Arbeitsmarkt, da sie häufig keine oder nur schlechte Ausbildungen haben. In ihrer Qualifikationsebene bringt eine zusätz-

gleitende Netzwerke aktiviert, persönliche Beratung und Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden. Nicht zuletzt sind die Betriebe gefragt, die nach Arbeitskräften suchen und dementsprechend eine höhere Flexibilität in ihrer Personalpolitik brauchen (Stichworte: Flexibilisierung, Qualifizierung, Unterstützung allgemeiner Art). Ein gutes Beispiel, wie man die Interessen eines Betriebes mit denen von Familien vereinbaren kann, ist die Firma

Die fehlende Kinderbetreuung ist eines der Haupthindernisse | Foto: Oswald

liche Erwerbstätigkeit kurzfristig kaum finanzielle Vorteile, dafür aber sehr hohen organisatorischen Aufwand. Meist sind die Befragten nicht oder nur wenig mobil und häufig gibt es gesundheitliche Probleme bei sich oder den Kindern, die eine Arbeitsaufnahme zusätzlich erschweren. Nicht zuletzt führt der Gedanke, trotz Kindern wieder zu arbeiten, bei vielen zu Konflikten mit sich selbst – da Frauen in diesem Fall alleine für die Erziehung der Kinder zuständig sind und sich dieser Verantwortung in der Regel stellen wollen. Hier wurde in der Diskussion immer wieder klar, dass Alleinerziehende keine homogene Gruppe sind. Hinter diesem Familienstand verbergen sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebensentwürfen und sozialem Status. So treffen die in der Studie genannten Probleme nicht bei allen gleichzeitig zu. Aus der Analyse ergaben sich jedoch eine ganze Reihe von zu verbessernden Faktoren, die sich durch die ganze Tagungsdiskussion zogen. Das Angebot an flexibler Kinderbetreuung muss weiter erhöht werden – möglichst kostenfrei. Günstig ist es, wenn die Frauen für sich eine Erwerbstätigkeit bzw. Ausbildung finden, die ihren Neigungen entgegenkommt – nur so ist gewährleistet, dass sie trotz der widrigen Umstände durchhalten. Dazu müssen sozialraumbezogene, be-

Hager, deren rund 1.100 Mitarbeitern allein in Blieskastel (von 11.000 Beschäftigten weltweit) ein besonderes „Care management“ zuteil wird. Man versucht mit einem Kranz von Maßnahmen die Vereinbarkeit zu fördern – ein Vorgehen, das unter anderen durch eine Auszeichnung beim diesjährigen IHK-Wettbewerb „Unternehmen Familie 2010“ anerkannt wurde. Was bei der Vorstellung allerdings ein wenig offenblieb, war der besondere Nutzen, den speziell Alleinerziehende von dem Programm haben – vor allem diejenigen, die (noch) nicht zu den HagerBeschäftigten zählen. Wie sinnvoll es tatsächlich ist, maßgeschneiderte Hilfen zu leisten, wurde in dem Beitrag der ARGE Saarpfalz deutlich: Dort versucht man derzeit, eine kleine Gruppe Alleinerziehender mit fallspezifischen Integrationsangeboten zu betreuen. Der Netzwerkgedanke steht im Vordergrund. Am Tisch sind alle notwendigen Hilfseinrichtungen und auch Betriebe, die sich an den Arbeitskräften interessiert zeigen. Wie die Ergebnisse dieser zugegebenermaßen sehr aufwändigen Betreuung aussehen, wird die nahe Zukunft zeigen. Insgesamt wurde deutlich, dass sowohl für die Betroffenen als auch für die Betriebe noch vieles zu tun ist, damit eine bessere Integration am Arbeitsmarkt erreicht werden kann. Gertrud Schmidt arbeitnehmer Heft 1/2011

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RU G ES B ER LI K LSCHAFT Wie Wohnungsgesellschaften die Zukunft sehen

Keine Neubauten mehr

Baujahrgänge aus den 1960er/70er, manche sogar noch aus den 20er Jahren. Das bedeutet Sanierungsbedarf. Die WOGE betreut 5.500 eigene Wohnungen und 500 für Dritte, vorrangig Land oder Kommunen, verteilt im Saarland bis hin nach Trier. Die SGS besitzt derzeit 6.698 Wohnungen innerhalb der Landeshauptstadt.

22 Millionen Euro für energetische Sanierung

In der Siedlung auf der Saarbrücker Folsterhöhe hat die SGS bereits einige Häuser saniert. Dort sind weitere Investitionen geplant | Foto: Saarbrücker Siedlungsgesellschaft

Ein schrumpfender Zwerg, der immer älter wird. Auf diese Bevölkerungsentwicklung müssen auch die Wohnungsgesellschaften im Saarland reagieren. Sie sind vor allem damit beschäftigt, ihre Altbestände zu sanieren. Nachgefragt werden Mietwohnungen immer mehr von Ein- und Zwei-Personenhaushalten mit niedrigem Einkommen. Neubauten rechnen sich nicht. Das Saarland gehört im bundesweiten Vergleich nicht gerade zu den reichen Ländern und steht in Rankings leider nicht sehr oft auf den vorderen Plätzen. Auf einer Liste aber ist ihm der Spitzenplatz traditionell gewiss. Nirgendwo sonst ist die Eigenheim-Quote so hoch wie hierzulande: 2009 lag der saarlandweite Schnitt bei rund 55 Prozent. Die meisten Saarländer wohnen in kleinen Häusern. „Selbst Mietwohnungen befinden sich zur Hälfte im Ein- und Zweifamilienhausbereich“, stellte die Soziologin Annette Spellerberg von der Technischen Universität Kaiserslautern kürzlich bei einer Fachtagung des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VdW) Saar fest. Das Thema der Tagung: „Zukunft Saarland – Den gesellschaftlichen Wandel gemeinsam gestalten“. Womit man zwangsläufig bei den zwei derzeit meist diskutierten Aspekten landet: das Schrumpfen und die zunehmende Überalterung der saarländischen Bevölkerung. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf das Wohnen in Mehrfamilienhäusern, in arbeitnehmer Heft 1/2011

Siedlungshäusern aus? Und welche Konsequenzen ziehen die Wohnungsgesellschaften daraus, die ja der VdW vor allem vertritt? Schon heute gibt es Leerstand, vor allem bei Eigenheimen, vor allem in ländlichen Gebieten. Doch auch im Segment Mehrfamilienhaus ist ein Überangebot an Wohnungen zu verzeichnen, vor allem in den saarländischen Städten. In den Wohnungsbedarf-Prognosen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung für die nächsten 15 Jahre, darauf wies Spellerberg kritisch hin, kommt der Geschossbau gar nicht vor. So als wäre Abriss, Rückbau, die Perspektive. Bei Reinhold Jäger, Chef der landeseigenen Wohnungsgesellschaft (WOGE) Saar, wie auch Christian Patzwahl, einer der beiden Geschäftsführer der Saarbrücker Siedlungsgesellschaft (SGS), stehen solche Überlegungen allerdings ganz hinten an. Beide Wohnungsunternehmen haben das gleiche Problem: Die Wohngebäude, die sie verwalten, sind überwiegend alte

Die WOGE hat 2002 eine Bestandsaufnahme und Analyse ihrer Objekte gemacht und diese je nach Zustand und Vermarktungspotenzial „zum Investieren“, „zum Verkauf“, „zum Abriss“ oder „zum Liegenlassen“ bestimmt. Konsequent war das auf zehn Jahre angelegte „Zukunftsprojekt“ energetische Sanierung für ausgewählte Objekte. Ziel war die Senkung des CO2-Ausstoßes um bis zu 60 Prozent, verbunden mit Instandhaltungs- und Modernisierungsarbeiten, bis hin zur Herstellung von Barrierefreiheit. Bis Ende 2011 sollen so mit einer Gesamtinvestition von rund 22 Millionen Euro zwölf Prozent des Gesamtbestandes (634 Wohneinheiten) energetisch saniert sein. Bei den bereits fertiggestellten Projekten in Völklingen, Saarbrücken und Neunkirchen haben sich für die WOGE die Erwartungen erfüllt: Objekte mit vorher 15 Prozent Leerstand seien laut Jäger nun voll vermietet. Bei den Mietern, die in der Bauphase begleitet und einbezogen wurden, hätten sich oftmals der soziale Zusammenhalt und die Identifikation merklich gesteigert. „Modernisierungen sind wichtig für die Stimmung“, sagt Jäger. „Dort, wo etwas getan wird, tun die Mieter auch was.“ Das denkmalgeschützte Carré „Oase im Ostviertel“ in Saarbrücken wurde zum prestigereichsten Vorzeigeobjekt der WOGE. Es spricht nach Angaben von Jäger gerade jene (begehrten) 25 bis 30 Prozent der Bewerber an, die Innenstadtlagen mit großen Wohnungen, Grün und Infrastruktur für kleine Kinder im nahen Umfeld suchen. Die SGS habe noch bis weit in die 1980er Jahre hinein vorrangig im Neubau ihre Aufgabe gesehen, um so den seit dem Krieg bestehenden Wohnungsmangel in der Landeshauptstadt zu beheben, erzählt Geschäftsführer Patzwahl. Ab den 1990er Jahren habe sie begonnen, intensiver an die Sanierung der vorhandenen Bestände heranzugehen. In die damals sehr schlecht ausgestatteten Altbauwohnungen und auch in die sogenannten Problembezirke wie Malstatt und Burbach habe man bis 2007/2008 sehr viel investiert. Aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch um neue Konzepte zu entwickeln, habe die SGS in den vergangenen Jahren die Investitionen zurück-

GESELLSCHAFT gefahren. Kurz vor Jahresbeginn hätten die SGS-Gremien nun ein sogenanntes Zukunftsinvestitionsprogramm verabschiedet, das, so Patzwahl, „vorsieht, dass wir jetzt kurzfristig und ganz massiv, intensiv unsere beiden Saarbrücker Großsiedlungen, die Folsterhöhe und den Eschberg, in Angriff nehmen.“ Ein Programm, das in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro in die Bestandsverbesserung stecken soll. Die Herausforderungen des demografischen Wandels seien schon seit zehn Jahren zu spüren, meint Patzwahls Kollege, SGS-Geschäftsführer Manfred Dörr. Darauf müsse man mit „mehr Qualität bei einem Verzicht auf Quantität“ reagieren. Die allgemeine Mietbereitschaft sei sogar gestiegen. „Aufgrund des Auseinanderdriftens der Einkommensverhältnisse stehen kommunale Siedlungsgesellschaften aber vor einem Dilemma“, sagt Dörr. „Wir möchten mehr Qualität bieten als die Arge an Transferleistungen zu bezahlen bereit ist“. Die primäre Aufgabe der kommunalen Siedlungsgesellschaft sei es nun einmal, breite Schichten der Bevölkerung mit gutem Wohnraum zu bezahlbaren Konditionen zu versorgen.

50 Prozent der Nachfrager bekommen Transferleistungen Die breiten Schichten aber sind heute ärmer. „Mittlerweile sind bei uns selbst fast 50 Prozent der Anfragen nach Wohnraum von Menschen, die Transferleis­ tungseinkommen beziehen“, erklärt Patzwahl. Die Haushaltsstruktur ändert sich ebenfalls. Die Anzahl der Ein- bis ZweiPersonenhaushalte nimmt generell zu, die der Haushalte mit Kindern ab. „Bei über 50 Prozent aller Anfragen von Haushalten mit einem oder mehr Kindern nach Wohnungen ist nur ein Erwachsener da“, so Patzwahl. Alleinerziehende, immer noch ist es meist die Mutter, sind von der Ausnahme fast zum Regelfall geworden. Die anderen sind Patchwork-Familien. Beides erhöht das Risiko, auf Transferleistungen angewiesen zu sein. Und mit Baumaßnahmen allein ist es nicht getan, wenn die Siedlung ihre Bestände modernisiert. „Ohne soziale Infrastruktur, ohne begleitende Maßnahmen kriegen sie das gerade in einer Großsiedlung nicht in den Griff“, sagt Patzwahl. Seit Jahren arbeitet die SGS eng mit den Gemeinwesenprojekten in ihren Siedlungen zusammen. Deren soziale Arbeit unterstützt sie jährlich mit 300.000 Euro, um so Probleme und Missstände frühzeitig zu erkennen und nach Möglichkeit zur beiderseitigen Zufriedenheit abstellen zu können. Ausgerechnet solche sozialen Infrastruktur-Maßnahmen aber werden vom

Bund bei seinen Förderprogrammen „Soziale Stadt“ jetzt zurückgefahren zuguns­ ten von Investitionen in Beton. Reinhold Jäger, nicht nur WOGE-Chef, sondern auch Präsident des VDW Saar, betont aber auch immer wieder: „Die Wohnungsbaugesellschaften sind kein Reparaturbetrieb der Gesellschaft.“ Die WOGE nimmt bisher noch kein Geld in die Hand, um soziale Dienste von Gemeinwesenprojekten in Anspruch zu nehmen. Schließlich müsse alles, was man inves­tiere, am Ende wieder von den Mietern refinanziert werden. „Unsere Aufgabe wird es sein, Nachbarschaften in Ordnung zu halten, bestehende Nachbarschaften zu pflegen und zu entwickeln“, sagt Jäger. „Wir können was tun, indem wir zum Beispiel Nachbarschaftsfeste anbieten.“ Schon in diesem Jahr soll es bei der WOGE eine Ansprechpartnerin geben, die Mieter mit Fragen etwa zur Rente oder sozialen Leistungen an entsprechende Stellen weitervermitteln kann. Außerdem wolle man „Netzwerke für Wohnen“ bilden, sich mit Wohlfahrtsträgern und Siedlungsgesellschaft vernetzen, um in Zukunft Beratungsleistungen gerade für den zunehmenden Anteil der Senioren anbieten zu können. Etwa im geplanten Mehrgenerationenprojekt im ehemaligen Saarbrücker Stadtbad. Doch für das ambitionierte Umbauprojekt sind die Investitionschancen immer noch schlecht. Stadtexperten wie der Berliner Albrecht Goeschel halten die Mehrgenerationen-Wohnform-Idee inzwischen für nicht mehr zukunftsweisend. „Jung hilft Alt“ funktioniere einfach nicht, weil Junge sich lieber untereinander helfen, so Goeschel. Die SGS ist mit einem solchen Projekt im Saarbrücker Nauwieserviertel bereits gescheitert. „Anfangs waren zwar alle begeistert, dann haben die Alten und Jungen schnell angefangen, sich zu streiten“, sagt Patzwahl. „Letztlich haben viele auch nur mitgemacht, weil sie gedacht haben, es wäre eine Möglichkeit für wenig Geld eine Wohnung in einer Toplage zu bekommen.“ Sich nun aber auf den Ausbau seniorengerechter Wohnungen zu konzentrieren, halten Jäger wie auch Patzwahl auch nicht für die zielführende Strategie. „Wir machen das nicht auf Halde, sondern bei Bedarf“, betont der SGS-Geschäftsführer, einig mit dem WOGE-Kollegen. Auch weil das sonst zur Ghettobildung führen würde. Wenn man 60-Jährigen Wohnungen mit behindertengerechten Toiletten anbietet, führt das sogar zu Abwehrreaktionen. „Die sagen sich dann, wir sind doch noch nicht alt und was sollen unsere Freunde denken, wenn sie zu Besuch kommen“, berichtet Patzwahl von Erfahrungen, die andere Wohnungsgesell-

schaften damit machen mussten. Neubauten, so viel ist gewiss, wird es bei den Wohnungsgesellschaften nicht mehr geben. Theoretisch könnte die SGS ja Loftwohnungen in der City bauen, um mit den Überschüssen durch die Vermarktung ihre Sanierungsprojekte zu finanzieren, sagt Patzwahl. Aber das gibt das Mietniveau nicht her, es fehlt die Kundschaft. „Ich kann in Düsseldorf eine hochwertige Neubauwohnung für zehn oder auch zwölf Euro pro Quadrameter problemlos vermieten.“ In Saarbrücken aber suche sich die entsprechende Klientel eher eine Altbauvilla am Staden, die dann schon für sieben Euro zu haben sei.

Saarländer bevorzugen eher traditionelle Wohnformen „Es kann immer auch mal ein Neubau dazukommen“, räumt Patzwahl Ausnahmemöglichkeiten ein. Wenn es um Projekte neuer Wohnformen gehe, um behindertengerechtes, inklusives Wohnen, um Senioren-WGs oder auch junge Menschen, die zum Beispiel in größeren Wohngemeinschaften zusammenleben wollen. „Wir wären gern bereit, noch mehr mit Projektgruppen zusammenzuarbeiten, wenn es sie denn gäbe, denn solche Dinge kann man nicht künstlich aufsetzen“, erklärt er. Die Wohnkonzepte im Saarland, das haben der Soziologin Spellerberg zufolge jüngste Studien ergeben, seien „häufiger häuslich-familiär und konventionell-situiert, weniger kommunikativ-dynamisch, anspruchsvoll und solide-bescheiden.“ Also wenig experimentell. Wie wirkt sich das aber langfristig auf das Stadtbild, auf das Lebensgefühl aus, wenn in Saarbrücken zwar noch „geliftet“ wird, aber keine neuen Wohnbauten mehr entstehen? Die Probleme für das Stadtbild ergeben sich nach Ansicht von Patzwahl eher durch die Situation auf dem privaten Wohnungsmarkt. „Wir haben in der Stadt Saarbrücken 70 Prozent Mietwohnungen und nur 30 Prozent Eigentumswohnungen und die spezielle Situation, dass wir viele kleine private Hauseigentümer haben, also Eigentümer mit nur einem oder zwei Häusern“, sagt der SGS-Geschäftsführer. Die aber seien derzeit alle nicht in der Lage, in ihre Gebäude zu investieren, da sich das durch den Mieterlös nicht refinanziere. Wenn das in den kommenden 15 Jahren so bleibe – eine düstere Vorstellung. Insofern leisteten die Wohnungsgesellschaften, folgt man Patzwahl, doch derzeit einen vorbildlichen Beitrag gegen den Niedergang: indem sie antizyklisch arbeiten und jetzt mit dem Zukunftsinves­ titionsprogramm kräftig investieren.  Silvia Buss arbeitnehmer Heft 1/2011

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