ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE

KRITERION, Nr.8 (1994), pp.3-19 Otto Neumaier ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE Im folgenden versuche ich zu klären, ob in der Philosophie so etwas ...
Author: Hennie Fiedler
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KRITERION, Nr.8 (1994), pp.3-19

Otto Neumaier

ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE Im folgenden versuche ich zu klären, ob in der Philosophie so etwas wie Arbeitsteilung besteht bzw. was sich daraus ergibt, wenn sie durchgeführt wird. Um dies zu klären, müssen wir aber zunächst zwei andere Fragen beantworten, nämlich einerseits, was überhaupt unter sozialer Arbeitsteilung zu verstehen Ist, und andererseits, was mit "Philosophie" gemeint ist. Die erste Frage' ist dabei wesentlich ausführlicher zu behandeln als die zweite, und zwar aus mindestens zwei Gründen: (i) Ziel der folgenden Überlegungen ist nicht eine Bestimmung von Philosophie im allgemeinen, sondern eine Klärung der Frage nach der Rolle der Arbeitsteilung in diesem Bereich. Dieses Ziel würden wir aus den Augen verlieren, wenn wir zu bestimmen versuchten, was Philosophie "ist" (was auf so engem Rawn ohnehin nicht geleistet werden kann). (ii) Seit Menschen philosophieren, versuchen sie auch zu bestimmen, was unter Philosophie zu verstehen ist. Diese Versuche haben allerdings bislang nicht zu einem einheitlichen Ergebnis geführt, das für unsere Diskussion vorauszusetzen wäre. Darum können und müssen wir den Begriff der Philosophie nur so weit bestimmen, wie dies für das Folgende nötig und nützlich ist.

1. Was heißt Philosophie'!

Der Ausdruck 'Philosophie' bezeichnet nicht unbedingt nur das, was von Vertretern des so genannten Faches an Universitäten gelehrt und erforscht wird, und erst recht nicht nur das Denken von "Großen" Philosophen; mit Schlick (1930) können wir darunter vielmehr bestimmte Tdtigkeiten und deren Ergelmisse verstehen; diese sind durch gewisse Merkmale zu bestimmen, unabhängig davon, von wem sie ausgeübt werden. In diesem Sinne ist die Philosophie also nicht ein geschlossener Raum, den zu betreten und zu pflegen nur bestimmten Menschen vorbehalten bleibt (d. h. solchen, die als Philosophen legitimiert sind), sondern ein etwas weiteres Feld, das prinzipiell jedem Menschen offensteht. Dennoch hat auch dieses Feld seine Grenzen, und die Frage ist, wie diese zu ziehen sind bzw. was als philosophische Tätigkeit anzusehen ist. Für Schlick besteht das philosophische Tun vor allem im Klären von Begriffen und Sdtzen. Das Auf-

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stellen von Sätzen, über deren Wahrheit oder Falschheit konkret entschieden werden kann, ist in seinen Augen keine philosophische Angelegenheit, sondern eine wissenschaftliche (im weiten Sinne). Eine Wissenschaft ist für Schlick "ein System von Erkenntnissen, d.h. von wahren Erfahrungssätzen; und die Gesamtheit der Wissenschaften, mit Einschluß der Aussagen des täglichen Lebens, ist das System der Erkenntnisse; es gibt nicht außerhalb seiner noch ein Gebiet 'philosophischer' Wahrheiten, die Philosophie ist nicht ein System von Sätzen, sie ist keine Wissenschaft." Trotzdem betrachtet Schlick die Philosophie' weiterhin als Königin der Wissenschaften, da sie die Bedeutung der in den Wissenschaften verwendeten Wörter und Sätze klärt. Geht es in den Wissenschaften um die Wahrheit von Aussagen, so ist die Untersuchung dessen, "was die Aussagen eigentlich meinen", eine philosophische Tätigkeit: "Inhalt, Seele und Geist der Wissenschaft stecken natürlich in dem, was mit ihren Sätzen letzten Endes gemeint ist; . die philosophische Tätigkeit der Sinngebung ist daher das Alpha und Omega aller wissenschaftlichen Erkenntnis.'" Damit ist natürlich nicht gemeint, daß die wissenschaftliche Tätigkeit sinnlos ist, wenn nicht zuvor die Philosophen den Sinn der dabei verwendeten Wörter und Sätze verbürgt haben; damit ist auch nicht gemeint, daß Physiker, Biologen usw. den Sinn ihrer Ausdrücke nicht selbst klären können; vielmehr meint Schlick: Wer sich darum bemüht, die Bedeutung von Ausdrücken zu klären, übt eine philosophische Tätigkeit aus, die das Fundament der Wissenschaften sichert, Andererseits erschöpft sich die philosophische Tätigkeit nicht im Klären von Begriffen, sondern sie trägt auch auf andere Weise dazu bei, das Fundament der Wissenschaften zu sichern. Eine Möglichkeit ist etwa die Integration von Ergebnissen der in der Spezialisierung auseinanderstrebenden empirischen W issenschaften, um so einen Gegenstandsbereich als

1. Schlick (1930: 35/). Im folgenden untersuche ich übrigcns die philosophische Tätigkeit nur insofern, als sie im Zusammenhang der modernen Wissenschaften steht. Dies läßt die Möglichkeit von philosophischen Tätigkeiten offen, die außerhalb davon stehen, Deren I3erücksichtigung würde unsere Diskussion jedoch nicht wesentlich ändern, sondern allenfalls verschärfen,

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KRITERION philosophische Tätigkeit gelten, d.h. die Untersuchung von Problemen bezüglich der Gültigkeit und (insbesondere) der Grenzen von Theorien. Typische Fragen, denen sich in diesem Sinne jemand stellen muß, der oder die eine empirische Behauptung aufstellt, sind etwa die folgenden: Woher weißt du das? Kannst du die Gültigkeit dieser Behauptung beweisen? Angenommen, deine Behauptung ist wahr; was zeigt sich dadurch bzw. was wissen wir dann? Die Erfüllung dieser (nur scheinbar negativen) Aufgabe schafft zwar nicht immer Freunde, auf jeden Fall aber mehr Klarheit. Zu diesen philosophischen Tätigkeiten gesellt sich u.a. aber auch die "Erziehung" von Problemen, d.h. die Behandlung von Problemen, die noch unreif für die Behandlung mit bestimmten Methoden sind, z.B. mit denen der empirischen Wissenschaften." In diesem Sinne gilt die Behandlung eines Problems so lange als philosophisch, bis das Problem reif für die Behandlung durch eine empirische Theorie ist; viele Theorien früherer Philosophen waren in diesem Sinne philosophisch, d.h.,sie stellten sich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das betreffende Problem reif zu wissenschaftlicher Bearbeitung wurde, als verkappte empirische Theorien heraus. Hier zeigt sich, daß durch die philosophische Tätigkeit praktisch nicht Probleme gelöst werden, sondern daß dadurch u.a. die Grundlagen dafür geschaffen werden, daß Probleme schließlich gelöst werden können. Sobald ein Problem lösbar, d.h. wissenschaftlich lösbar ist, ist es kein philosophisches mehr, bzw. es zeigt sich, daß es überhaupt kein philosophisches war. Das Problem ist dann "erwachsen" bzw, "reif' für die Behandlung durch eine andere Methode.' Wie erwähnt, können diese philosophischen Tätigkeiten (ebenso wie andere) prinzipiell von allen Menschen ausgeübt werden. Im folgenden geht es

ganzen zu erfassen bzw. zu überblicken.' Indem ein Gegenstandsbereich aus mehreren (spezialisierten) Perspektiven betrachtet wird, kann er in vielen Details genauer erfaßt werden als bei einer undifferenzierten, "ganzheitlichen" Sicht; andererseits entsteht jedoch das Problem, daß die Einzelbilder den Zusammenhang nicht erkennen lassen bzw. daß der Überblick über den Gegenstandsbereich als ganzen verlorengeht. Darum ist Vermittlung bzw. Integration notwendig, und wer sich darum bemüht, übt (ebenso wie durch das Klären von Begriffen und Gedanken) eine philosophische Tätigkeit aus, die den Bereich einzelner Disziplinen übersteigt bzw. Dinge betrifft, die mehreren oder gar allen davon gemeinsam sind. Die philosophische Tätigkeit der Integration ist vor dem Hintergrund des philosophischen Strebens nach allgemeinen Systemen zu sehen. Neben der Allgemeinheit durch Integration von Ergebnissen verschiedener empirischer Wissenschaften spielt für die Philosophie dabei auch eine Form von Allgemeinheit eine Rolle, die sich clurch die svstenuuische Behandlung von Problemen ergibt, d.h. durch den Versuch, mit möglichst wenigen Grundbegriffen und systematischen Unterscheidungen, mit Definitionen, Axiomen, Theoremen usw. möglichst viel zu erklären. Die philosophische Tätigkeit vollzieht sich also in einer "keimfreien Schreibrischatmosphäre", während die empirische Forschung zufälligen "Virusinfektionen" und anderen Eint1üssen ausgesetzt ist: Eine Gruppe von Forschern mag etwa versuchen, ein bestimmtes Problem zu lösen, ohne daß sie dabei wesentliche Fortschritte macht, untersucht dann einen scheinbar unbedeutenden Nebeneffekt, löst dabei ein ganz anderes Problem und glaubt schließlich, daß das gesamte Projekt von vornherein auf das letztendlich gelöste Problem ausgerichtet gewesen sei.' Philosophisches Denken bleibt von solchen Gegebenheiten relativ unberührt, setzt sich dadurch aber der Gefahr aus, daß es zu sehr idealisiert wird; in einer Zeit verstärkter interdisziplinärer Tätigkeit ist diese Gefahr allerdings geringer als früher. Darüber hinaus kann im Konzert der Disziplinen auch die Grundsatzkritik an empirischen Theorien als

4. Wir brauchen etwa nur an die verkappten naturwissenschaftlichen Überlegungen zu denken, die Aristotclcs z. 13. in den Parva Nat uralia und den Probiemata Physic« anstellt. 5. In diesem Sinne stellte schon Russcll (1912: 136) fest, "daß man einen Gegenstand nicht mehr zur Philosophie zählt, sobald definitive Erkenntnisse über ihn möglich werden; es bildet sich dann in der Regel eine neue und selbständige wissenschaftliche Disziplin." Gcnaucr wäre vielleicht von Aspekten ganzer Problemkomplexe zu sprechen, die sich als empirische Fragen in "unreifem" Zustand entpuppen, denn auch in bezug auf Probleme, die ab einem bestimmten Zeitpunkt von einzelnen Wissenschaften behandelt werden (können), bleiben doch weiterhin philosophische Fragen übrig (z.I3. solche bcgrifflichcr oder systematischer Natur).

2. Wer dies tut, muß in mehreren Disziplinen zu Hause sein, deren Probleme Cl' oder sie zwar nicht so detailliert behandeln kann wie die betreffenden Einzelwissenschaftler, bei denen Cl' bzw. sie jedoch Zusammenhänge sehen kann, die jenen oft mangels Übersicht verborgen bleiben. 3. Daß dies nicht nur möglich, sondern in der Praxis sogar die Regel ist, zeigt etwa Fleck (1935), und zwar anhand der Entdeckung der Wassermann-Reaktion zur SyphilisDiagnose. Fleck weist u.a. auch darauf hin, daß auf diese Weise ganze Disziplinen neu entstehen können. 4

ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE zeichnen. Zwar war er nicht der erste, der dies bemerkte, noch versuchte er als erster, dieses Phänomen theoretisch zu erklären." Allerdings hat er es nicht nur umfassender und systematischer untersucht als andere Autoren, sondern seine Ausführungen, eignen sich insbesondere auch hervorragend als Ausgangspunkt für unsere Diskussion der Arbeitsteilung in der Philosophie. Dabei ist freilich dreierlei zu beachten: (i) Naheliegenderweise können wir nicht alle Aspekte von Durkheims soziologischer Theorie berücksichtigen. sondern nur jene, die für unser Problem unmittelbar relevant sind. (ii) Ich behaupte nicht, daß Durkheims Vorstellungen über soziale Arbeitsteilung überhaupt in jeder Hinsicht auf die Philosophie umgemünzt werden könnten. Vielmehr übertrage ich sie darauf im Sinne einer Analogie, die uns hilft, bestimmte Zusammenhänge klarer zu sehen, die aber wie jede Analogie nur begrenzt anwendbar ist. (iii) Zwar geht Durkheim davon aus, daß er im wesentlichen soziale Tatsachen beschreibt und erklärt, doch sind manche seiner Überlegungen anscheinend nicht deskriptiv, sondern normativ, d.h., sie geben vor, wie eine Gesellschaft funktionieren soll, bzw. sie führen uns das Ideal einer Gesellschaft vor Augen. Dagegen verfolge ich hier einen hypothetischen Ansatz, d.h., die folgenden Überlegungen beziehen sich primär darauf, was wäre, wenn allgemein in der Gesellschaft und speziell in der Philosophie die soziale Arbeitsteilung nach Durkheims Vorstellungen durchgefühlt wird. Durkheims Ausgangspunkt ist die' Frage' nach dem inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft. Wie Durkheim zu zeigen versucht, kann dieser Zusammenhalt weder durch die Annahme eines Gesellschaftsvertrages. noch durch den Hinweis auf den Austausch von Gütern hinreichend erklärt werden . . Abgesehen davon, daß sich Menschen gewöhnlich nicht durch einen Vertrag zu einer Gesellschaft verbinden, hätten Verträge keine verpflichtende Kraft, wenn nicht "hinter den vertragsschließenden Parteien die Gesellschaft steht, die einzugreifen bereit ist, um den von diesen Parteien eingegangenen Verpflich-

freilich pnmar um Leute, die solche Tätigkeiten beruflich ausüben, d.h. auf eine bestimmte systematische und methodische Weise.' Diese Beschränkung liegt aus mindestens zwei Gründen nahe: (i) Auch wenn in einem weiten Sinne potentiell alle Menschen philosophieren, gilt im engeren Sinne doch das als Philosophie, was gewissen theoretischen Ansprüchen genügt und ein Problem tiefer durchdringt, als dies im alltäglichen Denken üblich ist.? Damit ist nicht gesagt, daß in diesem Sinne alles und (vor allem) nur das als Philosophie anzusehen ist, was von Menschen an universitären PhilosophieInstituten produziert wird. Entscheidend ist vielmehr, ob gewisse Kriterien für die philosophische Tätigkeit im engeren Sinne erfüllt sind. Durch diese Kriterien wird der Kreis der philosophisch Tätigen jedoch einigermaßen verkleinert. (ii) Die Entwicklung des philosophischen Denkens wird weitgehend (wenn auch nicht ausschließlich) durch Menschen geprägt, die sich im erwähnten Sinne beruflich damit beschäftigen. Diese Entwicklung gleicht jedoch in vielerlei Hinsicht jener der Wissenschaften; vor allem spielt hier wie dort die Speziallsierung auf einzelne Bereiche des Ganzen eine immer größere Rolle. Demnach bedarf die Philosophie selbst (ebenso wie die Wissenschaft insgesamt) der Integration ihrer Elemente, damit wir unseren Gegenstand und einander sowie nicht zuletzt auch uns selbst (besser) verstehen. Und damit stellt sich auch die Frage nach der Arbeitsteilung in. der Philosophie.

2. Was heißt Arbeitsteilung'! Viele dürften den Ausdruck 'Arbeitsteilung' primär mit der Organisationsform der Industriewelt sowie mit den dadurch verursachtenProblemen wie Mechanisierung und Entfremdung verbinden. Diese Probleme lassen sich nicht wegerklären, doch stellt sich die Frage, ob das, was wir auf diese oder ähnliche Weise gemeinhin als Arbeitsteilung bezeichnen, das ist, was in der Theorie als solche gilt. Daß dem nicht so ist, zeigt sich etwa durch einen Blick auf Emile Durkheims Buch Über soziale Arbeitsteilung, das 1893 zum ersten Mal erschienen ist. Durkheim hält darin als Tatsache fest, daß die modemen Gesellschaften sich durch zunehmende Arbeitsteilung aus-

7. Vielmehr verweist Durkhcim (1893) selbst nicht nur auf Rousscau (1755) und Smith (1759, 1776), sondern er 6. Ähnlich bcschältigcu sich etwa viele Menschen mit bemerkt ähnliche Vorstellungen bereits in der Politik und Fragen, die im weiten Sinne als physikalische anzusehen - der Nikomachischen Ethik des Aristotclcs. Andererseits sind; aber nur eine theoretisch anspruchsvolle Bcschälli- . werden die Vorzüge und Probleme der Arbeitsteilung bis gung damit gilt im engeren Sinne als Physik. heule wcitcrdiskuticrt; vgl. dazu z. B. Sachssc (1978) .

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KRITERION sentlich mit der sozialen Lebensweise der Menschen zusammenhängt. Eine natürliche Folge davon ist für ihn aber auch die Entstehung von Moral. Durkheim (1893: 56) hält es für unmöglich, "daß Menschen zusammenleben und regelmäßig miteinander verkehren, ohne schließlich ein Gefühl für das Ganze zu entwickeln, das sie mit ihrer Vereinigung bilden, ohne sich an dieses Ganze zu binden, sich W11 dessen Interessen zu sorgen und es in ihr Verhalten einzubeziehen. Nun ist aber diese Bindung an etwas, was das Individuum überschreitet, diese Unterordnung der Einzelinteressen unter ein Gesamtinteresse. die eigentliche Quelle jeder moralischen Tätigkeit. Damit sich nun dieses Gefühl präzisieren und bestimmen und auf die gewöhnlichsten oder bedeutsamsten Umstände auswirken kann, überträgt es sich in bestimmte Fonnein; und infolgedessen entsteht ein Korpus· moralischer Regeln." In Durkheims Augen besteht eine Gemeinschaft oder Gesellschaft in nichts anderem als in der Solidarität, welche die Personen miteinander verbindet, und diese Solidarität wird als Moral erlebt. Für Durkheim hängen Gemeinschaftsleben, Solidarität und Moral notwendig zusammen, Wenn eine Gruppe von Menschen nicht durch Solidarität und gegenseitigen Respekt zusammengehalten wird, dann beruht ihr Handeln auch nicht auf Moral bzw. dann sind die Regeln, die diesem zugrunde liegen, keine moralischen Regeln. Vielmehr noch: In einem solchen Fall handelt es sich gar nicht um eine Gemeinschaftbzw. Gesellschaft, sondern bloß um eine mehr oder weniger zufällige Ansammlung von Menschen. Selbst eine Familie gilt in diesem Sinne nur dann als Gemeinschaft, wenn sie durch gewisse Bindungen zusammengehalten wird. Durkheim setzt also implizit einen nonnativen Begriff von "Gesellschaft" voraus, auch wenn er explizit behauptet, es sei unmöglich, daß Menschen zusammenleben, ohne ein Gefühl für das Ganze und mithin Moral zu entwikkeIn. Wenn wir dies deskriptiv verstehen, erweist sich Durkheims Behauptung als falsch, denn de facto bilden Menschen nicht nur Gruppen, obwohl zwischen ihnen keine Solidarität besteht, sondern diese werden auch als Gemeinschaften bezeichnet. Wenn wir dagegen annehmen, daß Durkheims Begriff der "Gesellschaft" nonnativ zu verstehen ist; dann handelt es sich bei solchen Kontakten eben gar nicht um ein Zusammen-Leben, sondern bestenfalls um ein Nebeneinander- Leben. Dieser Begriff der Gesellschaft wirft eine Reihe von Problemen auf. So entsprechen ihm z.B. auch Gangsterbanden, deren Mitglieder zusammenwirken,

tungen Respekt zu verschaffen.i" Verträge können also die Gesellschaft nicht ursprünglich begründen, sondern setzen bereits einen gewissen Zusammenhalt von Menschen voraus, durch den 'eine Gemeinschaft bzw. Gesellschaft entsteht. Ähnlich setzt auch der Tausch laut Durkheim (1893: 108) voraus, "daß zwei Wesen wechselseitig voneinander abhängen, weil sie beide unvollständig sind; er macht diese wechselseitige Abhängigkeit nur äußerlich sichtbar. Er ist also nur der oberflächliche Ausdruck eines inneren und profunderen Zustandes. Weil dieser Zustand aber konstant ist, ruft er einen ganzen Mechanismus von Bildern hervor, der mit einer Beständigkeit funktioniert, die der Austausch gar nicht hat." Auch der Tausch setzt also bereits einen sozialen Zusammenhalt voraus, statt diesen zu begründen, geschweige denn, daß er jene Beständigkeit und Festigkeit aufwiese, die für den sozialen Zusammenhalt notwendig ist. Durkheiins eigene Erklärung für den Zusammenhalt einer Gesellschaft hängt mit den Aristotelischen Voraussetzungen seines Ansatzes zusammen. Aristoteles stellt ja in der Politik (1253a2f) fest, "daß der Staat zu den naturgemäßen Gebilden gehölt und daß der Mensch von Natur ein staatenbildendes Lebewesen ist." Menschsein schließt demnach von Na/ur aus das Leben in Gemeinschaften ein. Zwar wäre vielleicht theoretisch möglich, daß Menschen im biologischen Sinne als Einzelwesen leben könnten (obwohl auch in dieser Hinsicht naheliegt, daß Menschen zumindest zeitweise Partnerschaften eingehen, da sonst die Möglichkeiten zum Schaffen von Nachkommen ziemlich eingeschränkt wären). Menschsein heißt indes nicht bloß Spezies Homo Sapiens, im biologischen Sinne als Mitglied der da zu sein, sondern insbesondere auch, ein Leben als menschliche Person zu führen. Dafür ist jedoch unbedingt notwendig, daß wir über längere Zeit mit anderen Menschen zusammenleben und intensive Kontakte mit ihnen pflegen. Einen Beleg dafür bieten etwa die "Wolfskinder", denen autgrund ihres Aufwachsens abseits menschlicher Gemeinschaft wesentliche Merkmale einer menschlichen Person abgehen." Auch Durkheim (1893: 412f) bemerkt zu Recht, daß "das psychische Leben" im allgemeinen und die Entwicklung des Bewußtseins im besonderen we8. Durkheim (1893: 165). Die Kritik an der Fiktion des gesellschaftsbegriindenden Vertrages, die Durkheim (1893: 267ff.) in der Folge weiter ausführt, findet sich in ähnlicher Form bereits bei Hume (1748). 9. Ein Beispiel eines Wolfskindes aus neuerer Zeit wird etwa von Curtiss (1977) beschrieben.

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ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE Zweifellos fühlen sich die Angehörigen einer Gruppe aufgrund von Gemeinsamkeiten miteinander solidarisch. Um dies einzusehen, brauchen wir laut Durkheim (1893: 149) etwa nur zu bedenken, "welchen Grad an Energie eine Überzeugung oder ein Gefühl alleine dadurch annehmen kann, daß sie von einer Gemeinschaft von Menschen geteilt wird. [...] Wenn jemand in unserer Gegenwart eine Idee äußert, die auch wir haben, kommt die Vorstellung, die wir uns davon machen, zu unserer Idee hinzu, überlagert sie und vermischt sich mit ihr und vermittelt ihr ihre eigene Vitalität. Aus dieser Verschmelzung entsteht eine neue Idee, die die vorhergehenden aufsaugt und die folglich lebendiger ist, als jede einzelne getrennt genommen. Das ist der Grund, warwn in Massenversammlungen eine Emotion eine derartige Gewalt erreichen kann; die Lebhaftigkeit, die sie in jedem Bewußtsein hervorruft, tönt im Bewußtsein aller wider." Nicht nur solche Massenphänomene ·lassen sich durch Gemeinsamkeiten des Denkens erklären, sondern auch das Verhalten einer Gemeinschaft gegenüber Menschen, die gegen die sozial akzeptierten Regeln verstoßen, insbesondere gegenüber Verbrechern. Diese verletzen "die weitaus allgemeinsten kollektiven Gefühle", weshalb der darin zum Ausdruck kommende Widerspruch zur sozialen Ordnung von der Gesellschaft unmöglich geduldet werden kann, insbesondere wenn sich dieser Widerspruch "nicht nur in Worten äußert, sondern in Handlungen." In diesem Fall genügt nicht "eine einfache Rückkehr zur gestörten Ordnung", sondern "wir brauchen eine gewalttätige Genugtuung.i'U Die auf Gemeinsamkeit beruhende Solidarität bindet die Menschen nicht nur aneinander, sondern auch an die Gesellschaft, die sie bilden; diese wird dadurch definiert, d.h. gegenüber anderen Individuen und Gesellschaften abgegrenzt. Indem wir uns an die Gemeinschaft binden, wird unser individuelles Bewußrsein durch das Kollekti vbewußtsein geprägt. Laut Durkheim haben wir "zwei Bewußtseinsebenen 10. Solche Prinzipien, die letztlich auf die schon aus dem in uns: die eine enthält Zustände, die nur jedem von Buch Tobit (4,15) des AT bekannte Goldene Regcl zurückuns eigen' sind und die uns charakterisieren, während gehen, wurden etwa von Kaut (1785), Hare (1955) lind die anderen jedem Mitglied der Gesellschaft gemeinSinger (1979) vorgeschlagen. 11. Dies wurde von der Kritik auch dementsprechend sam sind. Die erste stellt nur unsere individuelle vermerkt. So bezeichnet etwa Luhmann (1977: 26) DurkPersönlichkeit dar und konstituiert diese; die zweite heims Behandlung von Egoismus und Altruismus "schlicht. stellt den Kollektivtyp dar und folglich die Gesellals einen Theorie-Defekt." schaft, ohne die er nicht existieren würde. Wenn ein 12. Politik (1261a23f); dieses Zitat fungiert als Motto des Element der letzteren unser Verhalten bestimmt, Buches von Durkheim (1893: 41). Zudem verweist

um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, und einander in vielen Fällen respektieren bzw. miteinander solidarisch sind. Wenn die Moral ein wesentlicher Faktor einer Gemeinschaft sein soll, dann liegt nahe, die von Durkheim angesprochene Solidarität nicht auf die Mitglieder einer Gemeinschaft von Handelnden zu beschränken, sondern diejeweils von einer Handlung Betroffenen einzuschließen. Von Moral ist demnach nur dann zu sprechen, wenn durch die Prinzipien einer Handlung die Interessen aller Wesen, die von einer Handlung auf gleiche Weise betroffen sind, in gleicher Weise berücksichtigt werden.'? Da diesem Anspruch vermutlich kaum eine Gesellschaft gerecht wird, erscheint Durkheims Gleichsetzung von Solidarität und Moral etwas problematisch. I I Dies ändert jedoch nichts daran, daß sein Ansatz eine Möglichkeit bietet, den Zusammenhalt von Gemeinschaften bzw. Gesellschaften zu erklären. Und Zwar beruht der Zusammenhalt einer Gesellschaft einerseits auf der Ahnlichkeit ihrer Mitglieder, andererseits jedoch auf ihrer Unähniichkeit. Während die erste Annahme kaum ,ein Achselzucken hervorrufen dürfte, erscheint die zweite vielleicht überraschend, obwohl bereits Aristoteles bemerkte, ein Staat bestehe "nicht nur aus vielen Menschen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind. Aus ganz Gleichen entsteht kein Staat"? Wie Durkheim zu zeigen versucht, werden Menschen durch ihre Unähnlichkeit nicht nur stärker zusammengehalten als durch ihre Ähnlichkeiten, sondern diese Art des Zusammenhalts erlaubt ihnen auch im Unterschied zu der auf Ähnlichkeit beruhenden Solidarität, daß sie sich an die Gemeinschaft binden und zugleich ihre individuelle Persönlichkeit entwickeln. Um diesen Unterschied zu erhellen, müssen wir die beiden von Durkheim unterschiedenen Arten der Solidarität etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Durkhcim (1893: 83, Fn. I) auch auf eine Stelle in der Nikomachiselten Ethik (1133aI6), an der Aristoteles ganz im gleichen Sinne feststellt, eine Gesellschaft bestehe "nicht aus zwei Ärzten, sondem aus Arzt und Bauern und überhaupt aus verschiedenen und ungleichen:"

13. Durkheim (1893: 150). Das Strafrecht dient demnach primär weder zur Vergeltung noch zur Abschreckung, sondern zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts, wie Durkheim (1893: 1521) noch genauer ausführt,

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"KRITERION d.h., es liegt uns nicht daran, "bei anderen eine von uns schlechtweg verschiedene Natur zu finden. Die Verschwender suchen nicht die Gesellschaft der Geizhälse, genausowenig wie aufrechte Charaktere die Gesellschaft von Heuchlern und Duckmäusern suchen. [...] Nur Unterschiede einer bestimmten Art fühlen sich demnach zueinander hingezogen, nämlich diejenigen, die sich gegenseitig ergänzen, statt sich einander zu widersetzen und auszuschließen. [...] Wie reich wir auch begabt seien, es fehlt uns immer etwas, und die Besten unter uns fühlen ihre Unzulänglichkeit. So suchen wir bei unseren Freunden die Fähigkeiten, die uns fehlen, weil wir, wenn wir uns mit ihnen vereinigen, in bestimmter Weise an ihrer Natur teilhaben und uns dann weniger unvollständig fühlen. So bilden sich kleine Freundeskreise, in denen jeder seine Rolle gemäß seinem Charakter einnimmt und ein unverfälschter Austausch an Diensten stattfindet. Einer schützt, der andere tröstet; dieser . berät, der andere führt aus. Diese [...] Arbeitsteilung bestimmt die Freundschaftsbeziehungen." Während die auf Ähnlichkeit beruhende Solidarität "nur in dem Maße möglich [ist], in dem die individuelle Persönlichkeit in der kollektiven Persönlichkeit aufgeht", setzt diese Art von Solidarität voraus, daß "jeder ein ganz eigenständiges Betätigungsfeld hat" und mithin seine individuelle Persönlichkeit bewahrt; das Kollektivbewußtsein läßt dem Individualbewußtsein einen Freiraum, "damit dort spezielle Funktionen entstehen, die es nicht regeln kann. Je größer diese Region ist, um so stärker ist die Kohäsion, die aus dieser Solidarität entspringt. Tatsächlich hängt einerseits jeder um. so enger von der Gesellschaft ab, je geteilter die Arbeit ist, und andrerseits ist "die Tätigkeit eines jeden um so persönlicher, je spezieller sie ist. Natürlich ist sie, wie eng wnschrieben sie auch sei, niemals ganz eigenständig. Selbst in der Ausübung unseres Berufes passen wir uns den Gewohnheiten und Praktiken an, die wir mit unserer Berufsgruppe gemeinsam haben. Aber selbst in dem Fall ist das Joch, das wir tragen, 14. Durkheim (1893: 1561). Diese Art von Solidarität viel weniger schwer, als wenn die ganze Gesellschaft bezeichnet Durkheim (1893: 182) als mechanisch, einerauf uns lastet, und es beläßt dem freien Spiel unserer . seits deshalb, weil sich "die sozialen Moleküle, die nur auf diese einzige Art zusammenhalten können, [...] nur in dem Initiative viel mehr Platz. Also wächst hier die IndiMaße bewegen, in dem sie keine Eigenbewegung haben, so vidualität des Ganzen zur gleichen Zeit wie die Indiwie es bei den Molekülen der anorganischen Körper der vidualität der Teile. Die Gesellschaft wird fähiger, Fall ist.", andererseits aber deshalb, weil "das Band, das sich als Ganzes zu bewegen, während zugleich jedes auf diese Art das Individuum mit der Gesellschaft verbindet, gänzlich dem gleicht, das die Sache an die. ihrer Elemente mehr Einzelbewegungen.hat,"!' Person bindet. In dieser Hinsicht betrachtet, ist das individuelle Bewußtsein einfach abhängig vom Kollek15. Durkheim (1893: 182) bezeichnet "die Solidarität, die tivtypus und folgt allen dessen Regungen, wie der besessich der Arbeitsteilung verdankt", als organische Sosene Gegenstand den Bewegungen folgt, die ihm sein Belidarität, da sie in Analogie zum Zusammenwirken von sitzer aufzwingt." Organen zu sehen sei, das "man bei den höheren Tieren dann geschieht das nicht im Hinblick auf unser persönliches Interesse, sondern wir verfolgen kollektive Ziele. Obwohl sich die beiden Bewußtseinsformen unterscheiden, sind sie dennoch aneinander gebunden, denn sie bilden zusammen nur ein Bewußtsein. [...] Daraus folgt eine Solidarität sui generis, die, aus Ähnlichkeiten erwachsend, das Individuum direkt an die Gesellschaft bindet. [...]Diese Solidarität besteht nicht nur aus einer allgemeinen und unbestimmten Anbindung des Individuwns an die Gruppe, sondern sie harmonisiert auch die Einzelheiten der Bewegungen. Da diese kollektiven Bewegungen tatsächlich überall die gleichen sind, erzeugen sie überall die gleichen Wirkungen. Jedesmal, wenn diese auftreten, bewegen sich die Willensakte folglich spontan und gemeinsam in die gleiche Richtung." 14 Da diese Alt von Solidarität darauf beruht, was allen Mitgliedern einer Gemeinschaft gemeinsam ist, geht ihre Entwicklung auf Kosten dessen, was jedem Individuum eigen ist. Diese Solidarität erreicht laut Durkheim (1893: 181f) "ihr Maximum, wenn das Kollektivbewußtsein unser ganzes Bewußtsein genau deckt und in allen Punkten mit ihm übereinstimmt: aber in diesem Augenblick ist unsere Individualität gleich Null. Sie kann nur entstehen, wenn die Gemeinschaft weniger Platz in uns einnimmt." Wenn uns daran liegt, "eigenständig zu denken und zu handeln, dann können wir [also] nicht sehr darauf aus sein, wie die anderen zu denken und zu handeln", dann sind wir vielmehr daran interessiert, den Einfluß des Kollektivs und der von ihm verlangten Solidarität möglichst zu begrenzen. Ganz anders verhält es sich mit der Solidarität, die auf der Ungleichheit von Menschen in einer Gesellschaft beruh!. Wie Durkheim (1893: 10 If) bemerkt, fühlen wir uns nicht nur zu Menschen hingezogen, die so denken und fühlen wie wir, sondern auch zu solchen, die uns nicht ähnlich sind: Indes kommt dafür nicht jede beliebige Unähnlichkeit in Frage,

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ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE Städte voraus, und die Städte entstehen immer haupt-. Wie ein Vergleich der beiden Arten von Solidarität sächlich mit Hilfe von Einwanderern, d.h. von Indizeigt, sind wir durch Ähnlichkeiten vor allem nach viduen, die ihre Geburtsstätten verlassen haben. [...] außen miteinander verbunden; eine bestehende GeDamit war eine neue Form der Tätigkeit entstanden, meinschaft verstärkt ihren inneren Zusammenhalt, die über den überkommenen Rahmen. der Familie indem sie sich abgrenzt. Die Bildung von Gemeinhinausging." schaften und das Zusammenleben darin ist jedoch Wie Durkheim betont, gewann die Arbeitsteilung eher dadurch bestimmt, daß sich die Menschen in im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung an ihren begrenzten Fähigkeiten voneinander unterBedeutung, sind die Menschen also in immer höhescheiden: Wie u.a. schon Hume (1751) und Herder rem Maße aufeinander angewiesen. Dadurch erhöhte (1772) gesehen haben, sind wir biologische Mängelsich einerseits die Konzentration' bzw. der Zuwesen und als solche' auf andere Menschen angewiesammenhalt der Gesellschaft, andererseits aber drang sen; indem wir Gemeinschaften eingehen, können wir die Arbeitsteilung allmählich in praktisch alle geselluns individuell besser entfalten, da wir unsere Grenschaftlichen Bereiche ein. Laut Durkheim (1893: 84) . zen im Allstausch mit anderen überschreiten bzw. wir "ihren wachsenden Einfluß in den ver-· können ausweiten können. Laut Durkheim (1893: 103) zeigt sich die "Arbeitsteilung" darum bereits in der Seschiedensten Gebieten der Gesellschaft beobachten. Die politischen, administrativen und juristischen xualität, die zwar "nur zwischen Individuen derselben Gattung" besteht, aber "ihren spezifischen Funktionen spezialisieren sich immer mehr. Das gleiche gilt für die künstlerischen und wissenschaftliCharakter und ihre besondere Energie" der "Unähnlichkeit der Naturen" verdankt: "Gerade weil chen Funktionen. Wir sind weit von der Zeit entfernt, Mann und Frau sich voneinander unterscheiden, als die Philosophie die einzige Wissenschaft war; sie hat sich in eine Vielzahl von Spezialdisziplinen aufsuchen sie sich mit Leidenschaft." Die "gegengeteilt, jede mit eigenem Ziel, eigener Methode und seitigen Gefühle" beruhen dabei nicht auf einem Gegensatz, sondern auf Unterschieden, "die sich eigenem Geist. [...] Nicht nur, daß der Gelehrte nicht voraussetzen und ergänzen." Mannund Frau sind für mehr gleichzeitig mehrere Wissenschaften pflegt, er Durkheim "nur die verschiedenen' Teile eines und überschaut nicht einmal mehr die Gesamtheit einer desselben konkreten Ganzen, das sie, indem sie sich einzigen Wissenschaft. Der Kreis seiner Untersuchungen verengt sich auf eine bestimmte Teilzahl vereinen, wiederherstellen." von Problemen oder gar auf ein einziges Problem." Die Sexualität ist zwar eine Quelle der Arbeitsteilung, doch kann deren Entstehung im ökonomischen Sinne damit nicht hinreichend erklärt. werden, denn menschliche Gesellschaften waren nicht von 3. Probleine mit dem Begriffder Arbeitsteilung Anfang anarbeitsteilig organisiert, sondern erst ab . einer gewissen Komplexität. Und zwar beginnt für Wie die zuletzt angestellte Überlegung zeigt, darf Durkheim (1893: 59) die Arbeitsteilung mit der EntArbeitsteilung nicht mit bloßer Spezialisierung verstehung des Handwerks, die u.a. auch die Gründung wechselt werden; sie beginnt zwar damit, beschränkt von Städten zur Folge hatte: "Solange das Gewerbe sich aber nicht darauf, sondern vereint die spezialirein landwirtschaftlich ist, hat es in der Familie und sierten Individuen zu Elementen eines größeren Ganim Dorf, das selbst nur eine Ni großer Familie war, zen, die aufeinander angewiesen sind bzw. einander sein unmittelbares Organ. [...] Da die ökonomische in Hinblick auf dieses Ganze ergänzen. Dies wird u.a. Tätigkeit sich nicht außerhalb des Hauses auswirkt, durch die biologische' Analogie nahegelegt, von der genügt die Familie, um sie zu regeln. [...] Aber das Durkheim ausgeht: Die Organe, aus denen ein komendet, sobald es Handwerker gibt. Um von einem plexer Organismus besteht, sind in bezug auf ihre Handwerk zu leben, braucht" man Kunden, und man Funktionen spezialisiert. Diese Spezialisierung ermuß das Haus auch verlassen, um mit den Konkurmöglicht. dem Organismus das Leben in einer komrenten in Verbindung zu treten, um gegen sie zu plexen Umwelt; kein Organ könnte dies jedoch für kämpfen oder sich mit ihnen zu verständigen. Übersich allein gewährleisten, sondern dafür ist erforderdies setzt das Handwerk mehr oder weniger direkt lich, daß sie zusammen den Organismus als ganzen bilden.l'': Angesichts dieser Auffassung ist es kein beobachten kann. Jedes Organ hat dort seine eigene Physiognomic und seine Autonomie, und trotzdem ist die Einheit des Organismus um so größer, je stärker die Individualisicrung der Teile ausgeprägtist,"

16. Aufgrund ähnlicher Übcrlcgungcn nahm Aristotclcs an, daß unsere Sinnesorgane nur insofern wahrnehmen, als sie Elemente eines lebendigen Organismus sind; nicht das

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KRITERION Wie Durkheim (1893: 434) betont, schließt ArWunder, daß Probleme wie Mechanisierung und beitsteilung jedoch Konkurrenz nicht aus, und zwar Entfremdung, die üblicherweise als Folge der soziadeshalb, weil die Mitglieder einer Gesellschaft nicht len Arbeitsteilung angesehen werden, in Durkheims in vieler Hinsicht einander ergänzen und voneinAugen eher dadurch verursacht sind, daß die Arbeitsander abhängen, sondern weil sie einander in ebenso teilung einseitig bzw. inkonsequent betrieben wurde vieler Hinsicht ähnlich sind und insofern miteinander und wird .' Arbeitsteilung setzt laut Durkheim (1893: konkurrieren: "Die Rolle der Solidarität besteht [also] 442) voraus, "daß der Arbeiter, statt sich ausschließnicht darin, die Konkurrenz zu unterdrücken, sondern lich mit seiner Aufgabe zu beschäftigen, seine Mitar[darin.] diese zu mäßigen." Auch wenn die Menschen beiter nicht aus den Augen verliert, auf sie einwirkt einander benötigen und mit verteilten Rollen zusamund von ihnen beeinflußt wird. Er ist also keine Mamenarbeiten, sind ihre Interessen doch nicht ausschine, die Bewegungen ausführt. deren Richtung sie tauschbar, sondern die Arbeitsteilung "beläßt sie nicht kennt, sondern er weiß, daß sie irgendwohin tendieren, auf ein Ziel hin, das er mehr oder weniger unterscheidbar und gegensätzlich. So wie innerhalb des individuellen Organismus jedes Organ zu jedem deutlich begreift. Er fühlt, daß er zu etwas dient. Dazu ist es nicht nötig, daß er weite Teile des sozia- . anderen in einem Gegensatz steht, auch wenn es gleichzeitig mit ihnen zusammenarbeitet, so versucht len Horizonts übersieht, sondern es genügt, daß er ihn hinreichend weit überblickt, um zu begreifen, daß jeder Kontrahent; obgleich er den anderen braucht, seine Handlungen ein Ziel haben, das nicht in ihnen das, was er benötigt, zu den geringsten Kosten zu selbst liegt." erhalten, d.h. möglichst viele Rechte gegen so weniDies ist indes nicht daseinzige Mißverständnis, das ge Verpflichtungen wie möglich einzutauschen. Es ist also nötig, daß der jeweilige Kostenanteil [...]. es in bezug auf die Arbeitsteilung zu bereinigen gilt. Ein anderes hat etwa mit ihrem Verhältnis zur Konfestgelegt wird, obgleich dies nicht nach einem vorkurren: zu tun. Laut Durkheim verringert die Arbeits- gefaßten Plan vorgenommen werden kann." Damit teilung ja den Konkurrenzkampf zwischen den die Menschen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft Mitgliedern einer Gesellschaft, denn sie ergibt sich hannonisch zusammenleben, müssen laut Durkheim aus der Unähnlichkeit von Individuen, während "die (1893: 269f) also "die Bedingungen dieser ZusamKonkurrenz zwischen zwei Organismen wn so heftimenarbeit [...] für die Dauer ihrer Beziehungen festger ist, je ähnlicher sie einander smd. Da sie die gleigelegt sein. Die Pflichten und Rechte eines jeden chen Bedürfnisse haben und die gleichen Ziele einzelnen müssen definiert sein. [...] Andernfalls verfolgen, rivalisieren sie überall. Solange sie über gäbe es jeden Augenblick Konflikte und neuerliche mehr Ressourcen verfügen als sie brauchen, können Schwierigkeiten." sie noch Seite an Seite leben. Erhöht sich aber ihre Dieser Hinweis auf die Notwendigkeit moralischer Zahl derart, daß ihr Hunger nicht mehr genügend Regeln für das Zusammenleben kann nicht darüber gestillt werden kann, so bricht der Krieg aus, und hinwegtäuschen, daß das Verhältnis zwischen den verläuft um so heftiger, [...] je größer die Zahl der bei den Kräften, die eine Gesellschaft· zuKonkurrenten geworden ist. Ganz anders verhält es sammenhalten, von Durkheim nicht völlig klar be. sich dagegen, wenn die zusammenlebenden Individustimmt wird .. Anscheinend sind sie in seinen. Augen en verschiedenen Gattungen oder Arten angehören. gegeneinander gerichtet und nur mit einem gewissen Da sie sich nicht auf dieselbe Weise ernähren und Energieaufwand im Gleichgewicht zu halten. Indes nicht dasselbe Leben führen, belästigen sie sich geist eher anzunehmen, daß die beiden Arten von Soligenseitig nicht; was dem einen zugute kommt, ist für darität in einem komplexeren Wechselspiel miteinandie anderen wertlos. Die Anlässe zu Konflikten ver-: der stehen, durch das sie gleicherweise für den mindern sich also im selben Maße wie die GelegenBestand und das Gedeihen einer Gesellschaft notheiten, sich zu begegnen, und das urn so mehr, je entfernter die Gattungen oder Varietäten zueinander Nachbarschaft miteinander leben. Die einen leben von den stehen." 17 Früchten des Baumes, die anderen von den Blättern, andere wieder von der Rinde und von der Wurzel. 1... 1 Die Auge sieht also, sondern wir sehen mit den Augen; vgl. Menschen unterliegen dem gleichen Gesetz. In einer lind dazu z.B. Von der Seele 412b19ff. derselben Stadt können die verschiedensten Berufe 17. Laut Durkheim (1893: 325ft) können sich Tiere und nebeneinander leben, ohne sich gegenseitig schädigen zu Pflanzen zudem "dem Lebenskampf um so leichter müssen, denn sie verfolgen verschiedene Ziele." Erst wenn [entziehen], je verschiedener sie sind. Auf einer Eiche sie ähnliche Ziele verfolgen, entsteht "die Gefahr, daß sie kann man bis zu 200 Insektenarten finden, die in guter sich gegenseitig bekämpfen."

nur

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ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE und den Sprechern aus den jeweiligen Teilmengen" beruht: Um einen Ausdruck wie 'Gold' völlig korrekt zu verwenden, müßten wir z.B. die Menge der Gegenstände, auf die er zu Recht angewendet wird.. eindeutig identifizieren und von allen anderen Gegenständen unterscheiden können. Nur wenige Menschen sind jedoch dazu fähig; den anderen bleibt nichts anderes übrig, als diesen im Rahmen der linguistischen Arbeitsteilung zu vertrauen bzw. sich auf sie zu verlassen. Ähnliches gilt für viele andere Ausdrücke einer Sprache. Solange die Kooperation zwischen den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft funktioniert, ist nicht nur ihre Kommunikation gewährleistet, sondern auch ihr gegenseitiges Vertrauen gerechtfertigt. Die "Rollen" sind dabei nicht einseitig bzw. ein für allemal verteilt (so daß manche "sprachkompetent" und alle anderen darauf angewiesen sind), sondern der Sprachgebrauch in einer Gerneinschaft beruht auf einem komplexen Wechselspiel "linguistischer Arbeitsteilung." Dies verweist uns darauf, daß die Funktionen innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft (wie bereits Durkheim bemerkte) nicht ein für allemal festgelegt, sondern bis zu einem gewissen Grad frei verfügbar sind. Die Mitglieder einer Gemeinschaft haben also die Wahl, welchen Beitrag zum gesellschaftlichen Organismus sie (gemäß ihren Fähigkeiten) leisten wollen bzw. können.'? Infolgedessen ist die Arbeitsteilung ein Faktor, durch den sich die Freiheit der Menschen in einer Gesellschaft erhöht, da sie nicht gezwungen sind, eine ganz bestimmte Tätigkeit auszuüben bzw. sich an das anzupassen, was "man" entsprechend dem Willen anderer zu tun hat. Vielmehr stehen jedem Menschen grundsätzlich mehrere Optionen offen. Da die Menschen auch diesbezüglich einander ergänzen und aufeinander angewiesen sind, verstärkt die Freiheit jedoch die Bindung der Individuen an die Gemeinschaft bzw. deren Zusammenhalt.

wendig sind. So beruht Z.B. die Identität einer Gruppe, durch die sie nach außen (gegenüber anderen Gruppen) definiert ist, nicht nur auf der Ähnlichkeit ihrer Mitglieder, sondern auch auf ihrer organischen Solidarität, d.h. darauf, wie sie zusammenarbeiten; in diesem Sinne umfaßt etwa auch die Philosophie insgesamt eine Vielfalt theoretischer und methodologischer Prinzipien, durch die sie sich z.B. von Religion, Kunst oder Physik unterscheidet. Andererseits wird eine Gemeinschaft im Inneren nicht nur durch organische Solidarität bzw, durch Arbeitsteilung differenziert und in ein Zusammenspiel verschiedener Funktionen gegliedert, sondern auch dadurch, wie ihre Mitglieder mit den Gegebenheiten umgehen, in denen sie einander gleichen; in diesem Sinne bestimmt z.B. auch die Art, wie philosophisch Tätige miteinander konkurrieren, das Leben in dieser Gemeinschaft. Ähnliches gilt für das Verhältnis von Kollektivbewußtsein und Individualbewußtsein. Dieses wird laut Durkheim ja von jenem eingeschränkt, während umgekehrt durch Arbeitsteilung die Rolle des Kollektivbewußtseins vermindert wird. Die Rollen sind nicht so einfach verteilt, wie ein Blick auf die Sprache zeigt; diese gilt ja als exemplarischer Fall dessen, was laut Durkheim zum Kollektivbewußtsein gehört, d.h. zu dem, was allen Mitgliedern einer Gemeinschaft gemeinsam ist, bzw. die als Ganzes nur im Kollektivbewußtsein existiert, da Jedes Individuum nur einen Teil des Sprachsysteins seiner Gemeinschaft. beherrscht. 18 In der Tat ist die Sprache ein Faktor, der uns aneinander angleicht, denn sofern uns daran liegt, uns mit anderen zu verständigen, ist nicht so wichtig, daß wir unsere individuelle Kreativität zur Geltung bringen, sondern es kommt auf Gemeinsamkeiten an, die uns die Kommunikation mit anderen ermöglichen. Die Kollektivität der Sprache schließt i~des Arbeitsteilung keineswegs aus: Wie . insbesondere Putnam (1975: 37ft) zu zeigen versucht hat, teilen sich vielmehr die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft die "Arbeit" der Beherrschung von Ausdrücken auf. Jede Sprache enthält Ausdrücke, deren Gebrauch genaugenommen nur inanehe Mitglieder der Sprachgemeinschaft beherrschen, während "ihre Verwendung durch andere Sprecher [...] auf einer spezifischen Kooperation zwischen diesen

19. Laut Durkhcirn (I R93: 394) unterscheidet sich die soziale "VOIl der physiologischen Arbeitsteilung durch ein wesentliches Merkmal. Im Organismus hat jede Zelle illre bestimmte Rolle und kann sie nicht wechseln. In der Gesellschall werden die Aufgabcn niemals in einer. derart unbeweglichen Weise verteilt. Selbst dort, wo die Organisationsstrukturcn am rigidesten sind, kann sich das Individuum innerhalb des Rahmens, in den es das Schicksal gestellt hat, noch mit einer gewissen Freiheit bewegen. Im frühen Rom konnte der Plebejer l z. 13. J noch alle Funktionen Irci übernehmen, die nicht ausschließlich den Patriziern vorbehalten waren."

I s. In diesem Sinne stellte etwa Saussure (191G: I G) in Anschluß an Durkhcim fest, daß das System einer Sprache (langue) "virtuell in jedem Gehirn existiert, oder vielmehr in den Gehirnen einer Gesamtheit von Individuen; denn die Sprache ist in keinem derselben vollständig, vollkommen existiert sie nur in der Masse."

II



KRITERION 4. Gibt es Arbeitsteilung in der Philosophie? Der Aspekt der Freiheit bringt uns zur Frage, wie es . denn mit der Arbeitsteilung in der Philosophie stehe. Diese Frage ist für die Philosophie allein schon deshalb relevant, weil diese Disziplin nach Ansicht von Durkheim (1893: 346) selbst das Ergebnis einer Arbeitsteilung im theoretischen Bereich ist, indem sie sich aus der Religion herausdifferenziert hat und mit dieser weiter kommunizieI1,. und weil sie ihrerseits mit den Wissenschaften jüngere Abkömmlinge bzw. Partner in der Arbeitsteilung hat. Allerdings war sich Durkheim (1893: 425) anscheinend sehr wohl bewußt, daß die Differenzierung wissenschaftlicher Disziplinen nicht oder noch nicht unbedingt zu einer auf Arbeitsteilung basierenden Gemeinschaft der Wissenschaften geführt hat, da er eine "in eine Vielheit von Einzelstudien zersplitterte Wissenschaft" beklagt, die "kein solidarisches Ganzes" mehr bildet. Zwar hat sich die Philosophie aus allgemeineren theoretischen Bemühungen entwickelt, zwar hat sie sich selbst weiter differenziert und manche ihrer Probleme. an empirische Wissenschaften weitergegeben, die aus ihr entsprungen sind, aber all diese Disziplinen und ihre Vertreter zeigen nicht jenen Austausch und Zusammenhalt, der sie zu einem größeren Ganzen vereinigte und rechtfertigte, im Durkheimscheu Sinne von Arbeitsteilung zu sprechen. Was wir in der Philosophie wie allgeinein in den Wissenschaften haben, ist Spezialisierung, d.h., das Ganze des Bemühens um Wissen bzw. Weisheit hat sich, wie Durkheim zu Recht bemerkt, "in eine Vielzahl von Spezialdisziplinen aufgeteilt, jede mit eigenem Ziel, eigener Methode und eigenem Geist", so daß heute niemand mehr "die Gesamtheit einer einzigen Wissenschaft" überblickt, geschweige denn, daß er oder sie "gleichzeitig mehrere Wissenschaften" pflegte; vielmehr verengte sich der Kreis ihrer Untersuchungen. "auf eine bestimmte Teilzahl von Problemen oder gar auf ein einziges Problem.'?" Diese Erkenntnis ist natürlich weder neu noch besonders aufregend; die darin angesprochene Spezialisierung erscheint nämlich in mindestens zweierlei Hinsicht unproblematisch: (i) Die Spezialisierung der Wissenschaften im allgemeinen und der Philosophie im besonderen ist nicht das Ergebnis :einer bewußten Entscheidung, 20. Was Durkheim (1893: 84) hier über die Differenzierung der Wissenschaften im allgemeinen sagt, läßt sich auch bei der Entwicklung feststellen, welche die Philosophie seitdem durchlaufen hat und die Gegenstandunserer Überlegungen ist.

sondern vielmehr von Versuchen, die Welt, in der wir leben, zu erkennen und damit umzugehen. (ii) Die Spezialisierung bietet eine Möglichkeit, bei diesen Versuchen Fortschritte zu machen, d.h. die Welt qualitativ und quantitativ besser zu verstehen und mithin differenzierter an die Probleme heranzugehen, mit denen wir konfrontiert sind. Wenn Durkheim recht hat, dann ist die Spezialisierung indes nur ein erster, notwendiger Schritt zu einem angemessenen Umgang mit einer komplexer werdenden Welt. Spezialisierung allein ist jedoch zu wenig. Vielmehr ist diese (zwnindest in Durkheims Augen) nur unter der Voraussetzung sinnvoll, daß sich die Indi~iduen wie Organe zu einem größeren Organismus verbinden. Ein Ergebnis der Evolution ist die zunehmende Spezialisierung von Zellen und Organen; diese geht jedoch einher mit einer ebenso zunehmenden Vernetzung dieser Zellen und Organe zu immer komplexeren Organismen, die Entsprechendes leisten. Im Unterschied dazu versuchen in Philosophie und Wissenschaft die einzelnen "Zellen" . und "Organe" oft genug, die Rolle eines ganzen Organismus zu spielen. Möglicherweise beruht dieses Problem auf der Kombination der Vorstellung von geistigem Eigentwn und Originalität mit Geltungsbewußtsein und anderen psychischen Gegebenheiten von Individuen. Das heißt, als philosophisch Tätige versuchen wir mit einem gewissen Recht, "eigenständig zu denken und zu handeln." Dementsprechend vernachlässigen wir nicht nur unsere individuellen Grenzen, sondern wir spielen auch die Rolle. der Gemeinschaft herunter. Wenn Durkheim (1893: 182) recht hat, dann bauen wir damit aber falsche Alternativen auf, denn wir haben ja die Möglichkeit der Arbeitsteilung, bei der "die Individualität des Ganzen zur gleichen Zeit [wächst] wie die Individualität der Teile. Die Gesellschaft wird fähiger, sich als Ganzes zu bewegen, während zugleich jedes ihrer Elemente mehr Einzelbewegungen hat." Sicher wäre es falsch zu behaupten, daß sich philosophisch tätige Menschen völlig "einsam" um Erkenntnis bemühen; dagegen spricht allein schon die Bedeutung, die das Argumentieren und mithin das Gespräch für das philosophische Denken hat. Indes spielt dabei auch eine Rolle, mit wem wir sprechen: mit uns selbst, mit gleichen oder mit ungleichen Menschen. Sicher führen philosophisch Tätige nicht nur Selbstgespräche, sondern sie gewinnen ihre Einsichten wesentlich auch durch das Gespräch mit anderen. Diese sind allerdings oft genug Menschen, die uns in relevanter Hinsicht ähnlich sind. Das heißt nicht, daß sie derselben Meinung sind wie wir; ganz

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ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE diese Gleichheit besteht: Für Freundschaften, die auf Nutzen oder Lust beruhen, ist wesentlich, daß den miteinander befreundeten Menschen gleicherweise an einem Nutzen bzw.: an einer Lust liegt, den bzw. die sie durch die Freundschaft erfahren; das bedeutet aber nicht, daß die Freunde allgemein Gleichheit suchen. Erst recht gilt dies für Freundschaften, die auf Tugend beruhen; in diesem Fall bilden bestimmte moralische Voraussetzungen die gemeinsame Basis der Freundschaft, doch bleibt gerade dann die Möglichkeit offen, daß die daran beteiligten Menschen sich in ihren wesentlichen Fähigkeiten und Neigungen voneinander unterscheiden. Vielmehr kommt es "bloß" darauf an, daß sie sich (in ihrer Gleichheit und Verschiedenheit) füreinander interessieren, einander achten, vertrauen usw. Wie erwähnt, sind solche Einstellungen normativ gesehen für Gemeinschaften aller Arten notwendig. In diesem Rahmen sind jedoch Gemeinschaften, die primär aus gleichen Mitgliedern bestehen, von anderen zu unterscheiden, die sich durch Unähnlichkeit, gegenseitige Ergänzung und Arbeitsteilung ihrer Mitglieder auszeichnen. Die vorhin erwähnte Annahme lautet, daß sich für philosophisch tätige Menschen anbietet, Gemeinschaften der ersten Art zu bilden. Indes stellt sich die Frage, inwiefern dies durch die philosophische Tätigkeit überhaupt nahegelegt werden könnte bzw. sollte. Ganz im Gegenteil ist zu vermuten, daß dies nicht der Fall ist, und zwar u.a. aus folgenden Gründen: (i) Laut Durkheim dominiert in einer Gemeinschaft von Gleichen das Kollektivbewußtsein, d.h. das, was allen Mitgliedern gemeinsam ist; deren individuelle Vorstellungen spielen dagegen höchstens eine untergeordnete Rolle. Da die Kritikfähigkeit als ein Merkmal des philosophischen Denkens gilt, ist dafür jedoch ein gut entwi ckeltes Individualbewußtsein bzw. eine gewisse Eigenständigkeit notwendig. Diese läßt sich zwar in einer arbeitsteiligen Gemeinschaft bewahren bzw. verwirklichen, jedoch nicht in einer Gemeinschaft, die im wesentlichen auf die Gleichheit ihrer Mitglieder gebaut ist. (ii) Wie bereits erwähnt, wird die philosophische Tätigkeit gerade aufgrund des Bernühens um Erkenntnis immer weiter spezialisiert. Dadurch wird die Unähnlichkeit zwischen den philosophisch Tätigen verstärkt, und diese sind in steigendem Maße aufeinander angewiesen. Selbst wenn sie versuchen, mehr oder weniger große Gruppen von theoretisch oder methodisch "Gleichgesinnten" zu bilden, enthalten diese in ihren Grundlagen also bereits einen

im Gegenteil baut die Philosophie wesentlich auf dem Widerspruch auf. Aber nicht alle philosophisch Tätigen werden in gleicher Weise als Kritiker oder Kritisierte für würdig befunden, sondern in erster Linie solche, die auf demselben Gebiet mit gleichen Methoden arbeiten, mit denen wir also aufgrund der Ähnlichkeit solidarisch sind. Dies ist nicht unbedingt als Vorwurf zu verstehen; vielmehr setzen Kommunikationund Verstehen ja Gemeinsamkeiten voraus (z.B. auch eine gewisse gemeinsame Kompetenz). Andererseits wird Arbeitsteilung dadurch aber nicht ausgeschlossen, und die Frage, was als Gegenstand philosophischer Gespräche in Frage kommt und von wem erwartet wird, daß er oder sie kompetent ist, darüber zu sprechen, könnte sehr wohl auch anders beantwortet werden, als dies der Fall ist. Wie die philosophisch Tätigen de facto damit umgehen, zeigt letztlich nur, "worauf es ihnen ankommt und worauf nicht" - um mit Wittgenstein (1977: *293) zu sprechen. Freilich wäre denkbar, daß die philosophische Tätigkeit gar nicht eine auf Unterschieden beruhende Gemeinschaft fordert bzw. fördert, deren Mitglieder einander ergänzen, sondern daß dafür eher eine Gemernschaft von Gleichen in Frage kommt. Durkheims Vorstellung von sozialer Arbeitsteilung beruht ja darauf, was Aristoteles über den Staat schreibt. In der Politik (126Ia23ff) unterscheidet dieser den Staat jedoch von anderen Gemeinschaften, z.8. von der Bundesgenossenschaft, die "ihrem Wesen nach um der gegenseitigen Hilfe da" ist; darum gründe sie "in der Quantität, auch wenn keine Unterschiede in der Art vorhanden sind." Indes beruht in gewissem Sinne selbst der Staat auf der Gleichheit der Menschen, die ihm angehören, und zwar insofern, als ein Staat laut Aristoteles iNikomach. Ethik 1155a22) durch Freundschaft zusammengehalten wird; die verschiedenen Arten von Freundschaft beruhen aber auf Gleichheit." Allerdings erhebt sich die Frage, worin

21. Lallt Aristotclcs (Nikomach. Ethik. 1I'\XbIIT) ist Gleichheit z. B. für Freundschalten wesentlich, die auf Lust oder Nutzen beruhen, "denn bcidc Teile tun und wünschen einander dasselbe oder tauschen eines gegen das andere, WIe etwa Lust und Nutzen." Zwar sind dies "Freundschaflcn geringeren Grades und weniger dauerhaft", doch beruht auch die freundschalt zwischen 7/1gendhajien - die Aristotcles (Politik 11'\6b6-29) als eigentliche Form der Freundschall ansieht - insofern auf Gleichheit, als solche Freunde "einander gleichmäßig das Gute" wünschen, wobei "jeder VOll beiden an sich gut und gut für den Freund" ist und "sich zuverlässig als liebenswert" erweist. Durkhcims früher erwähnte Vorstellung von Freundschalt widerspricht dem nur scheinbar.

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KRITERION "Spaltpilz" bzw. die Anlage zur Spezialisierung und zur Arbeitsteilung. (iii) Sofern wir es für wertvoll erachten, den Bereich der Philosophie weiterhin in seiner Gesamtheit zu betrachten bzw. zu berücksichtigen, erscheint es besonders unplausibel anzunehmen, daß die philosophische Tätigkeit die Bildung von Gemeinschaften fördere, die auf Gleichheit beruhen, Da sich die Philosophie defacto in viele Teildisziplinen differenziert hat, bedarf es nämlich der Arbeitsteilung zwischen diesen, um ihre Ganzheit zu bewahren. Zwar wäre denkbar, daß dies gar kein erstrebenswertes Ziel ist, doch liegt die Annahme näher, daß ein solcher Blick auf das Ganze wegen der umfassenden und allgemeinen Natur philosophischer Erkenntnisse sehr wohl notwendig ist. ~~ (iv) In vielen Fällen besteht das Neue an einer Erkenntnis darin, daß ein Gedanke, eine Fragestellung, eine Lösungsstrategie. eine Methode usw. von einem Gebiet auf ein anderes übeltragen wird. Dies gilt auch für die Philosophie.P Demnach setzt philosophische Einsicht aber oft genug die Kenntnis verschiedener Problembereiche und mithin die Ablehnung der Gleichheit als einer Basis philosophischer Gemeinschaften voraus. (v) Wenn wir die klassische philosophische Forderung des "Erkenne dich selbst!" ernst nehmen, dann müssen wir uns auch der Begrenztheit unserer Existenz stellen. Diese zeigt sich nicht nur in biologischer Hinsicht (wozu neben der erwähnten Sexualitdt xi.«. auch die Zeitlichkeit des Lebens gehört), sondern z.B. auch beim Erkenntnisvenuogen. Wie sehr sich auch alle Menschen bemühen, so werden wir doch nie "die" Erkenntnis der Wirklichkeit erlangen; wer sich darum bemüht, erkennt vielmehr, wie wenig er oder sie letztlich von sich und der Welt weiß .:..- und wie sehr er bzw. sie auch auf die Einsichten anderer angewiesen ist, um zumindest ein !Jißdien mehr zu erfassen.

22. So gesehen erscheint nicht nur die Integration verschiedener philosophischer Tätigkeiten wünschenswert, sondern aucü eine von Philosophie- und Wissenschaft, von Erkenntnisstreben und anderen kognitiven Bereichen, von all diesen und anderen psychischen Vermögen, von Psyche und Physis usw. Wer auf einer dieser Ebenen sowie zwischen ihnen zu integrieren versucht, übt demnach eine philosophische Tätigkeit aus; dicsc ist insgesamt wesentlich komplexer, als früher angedeutet wurde. 23. So wirkte z. B. nicht nur die Anwendung logischer Methoden auf klassische philosophische Probleme befruchtend, sondern auch die Betrachtung des Erkenntnisfortschritts in Analogie zur Evolutionstheorie; vgl. dazu z. B. Popper (1972; 1975).

Vor allem das philosophische Ziel der Erkenntnis und Selbsterkenntnis (sowie die Einsicht in die dafür notwendigen Voraussetzungen) legt die Bildung von Gemeinschaften nahe, die auf Zusammenarbeit und Arbeitsteilung beruhen. Deshalb ist erstaunlich, welch große Rolle de facto die auf Ähnlichkeit beruhende Solidarität in den "philosophischen Zellen" und in Zusammenhang damit die Konkurrenz und Rivalität zwischen diesen "Zellen" spielt; diese verwechseln sich oft genug mit dem ganzen Organismus und weigern sich dementsprechend, philosophisch Tätige, die anders sind, als gleichwertig zu akzeptieren, und zwar primär deshalb, weil sie anders sind." Dies ist insofern verständlich, als verschiedenen philosophisch Tätigen unter den gegebenen Verhältnissen oft die Voraussetzungen für ein gegenseitiges Verständnis fehlen; wie erwähnt, ist dies jedoch nicht notwendig. Wenn wir vom Bild der arbeitsteiligen Gemeinschaft ausgehen, so gehört dazu jedenfalls auch die Annahme, daß nicht alle Mitglieder einer solchen Gemeinschaft genau eine Menge von bestimmten Merkmalen gemeinsam haben müssen, tun als solche gelten zu können, sondern es ist auch möglich, daß zwischen ihnen nur Familienähnlichkeiten im Sinne von Wirtgenstein (1953: ~~66t) bestehen, daß also den Aktivitäten, Methoden, Sprachverwendungsweisen. InterJssengebieten usw., die insgesamt als Philosophie bezeichnet werden, nicht eine ganz bestimmte Menge von Merkmalen gemeinsam ist. Wenn wir an die Unterschiede zwischen Östlicher und Westlicher Philosophie oder zwischen verschiedenen Schulen des Denkens denken, dann erscheint dieser Gedanke nicht völlig unplausibel." Wenn in den "philosophischen Zellen" so großer Wert auf Einheit und Ähnlichkeit gelegt wird, so folgen daraus zwar "saubere Verhältnisse" in theo-24. Wir brauchen etwa nur an den Umgang zu denken, den Vertreter verschiedener philosophischer Schulen ort genug miteinander pflegen, bzw. an die lIaltung, die sie gegen die jeweils "anderen" einnehmen. 25. Dennoch benötigen wir Kriterien, um philosophische von anderen theoretischen Tätigkeiten zu unterscheiden, Mit Walsmann (1956) können wir etwa sagen, daß jeglicher philosophischen Tätigkeit das Bemühen um "tiefere Einsichten" gemeinsam ist (was auch immer jemand konkret darunter verstehen mag, daß in der Philosophie (anders als in den Künsten oder in der Politik) die Argumentation wesentlich ist; andererseits unterscheidet sich die Philosophie etwa von der Wissenschaft dadurch, daß ihre Methoden, Theorien, Ergebnisse usw. nicht im selbcn Maße sicher bzw. überprüfbar sind und daß das freie Spiel der geistigen Kräfte, das nicht auf ganz bestimmte lrgcbnissc zielt, eine wesentliche Rolle spielt.

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ARBEITSTEILUNG lN DER PHILOSOPHIE retischer und methodischer Hinsicht. doch wird dadurch nicht nur die Arbeitsteilung zwischen den ZeIlen behindert oder gar verhindert, sondern auch das philosophische Streben der betreffenden Menschen, da sie Informationen außer acht lassen, die ihre Sicht eines Problems ergänzen und zu neuen Fragestellun- . gen führen. Hier ist nochmals I zu betonen, daß ehe Spezialisierung allein im theoretischen Bereich wie auch sonst zunächst noch keine Probleme mit sich bringt: diese treten jedoch dann auf. wenn ehe damit verbundene' Beschränkung nicht durch Arbeitsteilung aufgefangen wird. In diesem Sinne bemerkte z.B. Wittgenstein mit Bezug auf die Verbreitung der wissenschaftliehen Methode, diese bedeute einerseits eine Bereicherung, durch ihre Vorherrschaft jedoch auch eine Verarmung: "Die eine Methode drängt alle anclern beiseite. Mit dieser verglichen scheinen sie alle ärmlich. Du mußt zu den Quellen niedersteigen, um sie' alle nebeneinander zu sehen, die vernachlässigten und die bevorzugten.t'-" Dies ist natürlich kein Argument gegen das Anwenden wissenschaftlicher Methoden, denn es wäre ebenso eine Verarmung, auf diese einfach zu verzichten: vielmehr müssen wir "aus allen Quellen trinken" bzw. diese so mixen, daß ein schmackhaftes bzw. nahrhaftes Getränk entsteht. Damit ist nicht gemeint, daß jeder philosophisch Tätige aus "allen Quellen" trinkt bzw, sich einem "reinen" Eklektizismus hingibt, sondern (weniger bildlich gesprochen) geht es darum, daß die philosophisch Tätigen ihre individuellen Grenzen einsehen und einander so ergiiuzeu, daß sie gemeinsam mehr sehen als alle für sich allein. Ich plädiere also nicht für ein Wechselspiel hcliciJiger Unähnlichkeiten: ein fruchtbares Zusammenwirken ist im Sinne von Durkheim (1893: 102) vielmehr vor allem von' Unterschieden zu erwarten, ehe einander ergänzen.:? Ebensowenig meine ich, daß

jeder tun und lassen kann oder soll, was er will. Um mit Wirtgensrein (1953: §133) zu sprechen, gibt es zwar "nicht eine Methode der Philosophie, wohl aber gibt es Methoden, gleichsam verschiedene Therapien." Auch wenn es so gesehen nicht die Methode der Philosophie gibt, sondern eine Vielfalt davon, ist die Philosophie nicht "gebührenfrei": philosophisch tätig zu sein, heißt vielmehr,sich an gewiss« Normen zu binden. insbesondere an die N0rl11 der WahrhattigjUlif, Wie Nietzsehe (1882: 576) betont, bedeutet dieser "unbedingte Wille zur Wahrheit [...] nicht 'ich will mich nicht täuschen lassen', sondern - es bleibt keine Wahl - 'ich will nicht täuschen, auch mich selbst nicht' - iuul hiennit sind wir auf dem Boden der Moral" Dieser Anspruch ist nicht nur für die Identität der philosophischen Tätigkeit wesentlich (und mithin für ihre Abgrenzung gegenüber anderen Arten des Denkens), sondern er schließt andererseits auch die Verpflichtung ein, sich über die eigenen . Grenzen nicht zu täuschen, und somit die Aufforderung zur Arbeitsteilung mit Menschen, die uns ergänzen."

26, Wiugcnsicin (I 1J7~: 11 ~), Ähnlich kritisierte schon Niet/sehe (IX72:,II(») d~IS Vorurteil, es gehe nur cincn angemessenen l Jmgang mit der Wirklichkeit. nämlich Wissenschalt lind Technik. Dieses Vorurteil werde durch das dami t zus.unmcnhäugcndc /heorctischc Weil hiId genährt. das seit Sokr.ucs die Weil erobert lind andere Ircnkwciscu vcrdr.ingt habe: IJnscrc gesamte I:.rI,iellllng h;it laut Nictzschc "dieses Ide;1I im Auge: jede andere l.xistcn> h~11 sich mühsam nebenbei emporzurlugen. als erlaubte. nicht als beabsichtigte l.xistcnz." 27. Auch wenn Iür Zusammelwrbeit notwendig ist. daß Menschen einander in ihrer l Jn.ihnlichkcil ergänzen. SI) EiL\[ dies doch die Möglichkeit offen, daß die philosophisch liiligcn zum Teil in. einem solchen (iegt.:ns;ltz zueinander stehen, dal.\ sie nicht zusanuucnarbcircn können. Auch in einem solchen ]-';111 besteht zumindest prinzipicl] die Möglichkeit, d~Iß sie voneinander lernen. Zwar sind die

5. Gntndefur Ar!ieifsfei!1/ng in der Philosophie

Die Möglichkeit und der Bedarf einer Arbeitsteilung im erwähnten Sinne ist in der Philosophie in mehrerlei Hinsicht festzustellen. Drei Beispiele mögen zur Illustration genügen: (i) Wie früher erwähnt, gehört zu den philosophischen Tätigkeiten u.a, die "Erziehung" von Problemen, dh. die Behandlung von Problemen. die noch lInreijfür die Bearbeitung mit bestimmten Me- . tueden sind. z.B. mit denen der empirischen Wissenschaften. Dazu zählen auch Fragen, die aufgrund ihres allgemeinen oder grundlegenden Charakters wohl auf absehbare Zeit Gegenstand philosophischer Überlegungen bleiben werden, wie etwa die Fragen der nonnativen Ethik, So ist etwa eine Antwort auf die Frage nach dem richtigen, gerechtfertigten HanMöglichkeiten des gegenseitigen Versieheus letztlich doch durch iiulividucllc Gegebenheiten begrenzt. doch kann dies kein l.limlcrnis d~i1'iir sein. daß wir die vorhandenen Möglichkeiten ausloten, soweit wir nur können. 2X. In diesein Sinne glaubt etwa auch Popper (llJX4: 22~). zur wissenschau Iichcn Ikrulsclhik gehöre die I.insicht. "d~11.\ wir. um Zll lernen. Fehler niöglichsr Zll vermeiden, gcl'!/(/c ,'011 IIIIS('/"CII Fehlern ICI"IICII müssen" und daß wir mithin "nndcrc Menschen ::'II/" 1~'lIfdccklillg IIlId KUI"/'ck/II" "011 Fehlern luauchcn (1I1id sie III1Sj: insbesondere auch Menschen, die mit anderen Ideen in einer anderen Atmosphäre au Igcwnchscu sind."

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KRITERION zwei Fragen dringend einer Antwort, nämlich einerseits, wie es bei der vorausgesetzten fundamentalen Rolle der Goldenen Regel kommt, daß sich so gut wie kein Mensch auch nur einigermaßen konsequent daran hält, und andererseits, ob uns diese Regel allein die Lösung auch nur eines moralischen Problems erlaubt. Anscheinend ist dies nicht' der Fall, denn sonst müßten wir mit brennenden Problemen unserer Lebensform ganz anders wngehen. Der Umstand, daß sich die Probleme schneller entwickeln als die Methoden zu ihrer Lösung, läßt also vermuten, .daß die Fragestellungen der Ethik durchaus noch "entwicklungsfähig" sind. Beide Symptome deuten darauf hin, daß wir an viele (wenn auch wohl nicht an alle) Fragen der Ethik zwn gegebenen Zeitpunkt nicht (nur) mit der Methode der logischen Sprachanalyse herangehen können, sondern daß wir sie allenfalls dafür vorbereiten können und daß wir dafür auch andere Methoden benötigen. Dies ist jedoch. ein Grund, in diesem Bereich (wie allgemein in der Philosophie, den Wissenschaften 11l1d der Gesellschaft) Gemeinschaften zu bilden, deren Mitglieder einander in ihren verschiedenen Fähigkeiten ergänzen und beim Versuch, Probleme zu lösen und Erkenntnisse zu gewinnen, die Arbeit untereinander aufteilen. (ii) Philosophische Diskussionen dienen primär der Kommunikation zwischen den Angehörigen des "inneren Kreises" (analog zum Informationsaustausch zwischen den Zellen im Zentralnervensystem eines Organismus), aber nicht so sehr den Menschen, die als "Kunden" der beruflich Philosophierenden anzusehen sind (bzw. dem Zusammenwirken mit 29. Popper (1963: 42). Bereits Anstoteies bemerkte jeanderen Organen). Eine Ausnahme sind vielleicht die doch, daß wir "nicht bei allen Fragen die gleiche Präzision philosophischen Praktiker, doch verfügen diese oft verlangen" können; für ihn ist es sogar ein Zeichen des nur über wenig Kontakte zwn "Zentrum"; vielmehr Gebildeten, "in jedem einzelnen Gebiet nur so viel Präzision zu verlangen, als es die Natur des Gegenstandes haben sie sich in eine philosophische "Öko-Nische" zuläßt"; vgl. Nikomach. Ethik 1094bI3-25. Laut zurückgezogen. Ich muß wohl nicht eigens betonen, Waismann (1956: 138) droht das strikte Streben nach Ge- daß innerphilosophische Diskussionen unbedingt nauigkeit sogar, "den lebendigen Gedanken im Keime zu notwendig sind; sie sind sozusagen die Spitze des ersticken. Dies ist leider eines der bedauerlichen Ergebphilosophischen Denkberges. Sie ergeben sich nisse des Logischen Positivismus, nicht vorhergesehen von seinen Begründern, jedoch nur zu augenfällig bei einigen zwangsläufig aus dem philosophischen Fragen und seiner Nachfolger." Damm ist die Philosophie für haben viele Unklarheiten beseitigt; vor allem aber Waismann (1956: 143) "nicht nur Sprachkritik: so auszeigen sie uns immer wieder, wie wenig wir letztlich gelegt, ist ihr Ziel zu eng gefaßt. Sie kritisiert, löst und wissen, und sind insofern sehr wohl auch ein Dienst übelwindet alle Vorurteile, sie lockert alle starren und am Kunden. In diesem Sinne betonte schon RusseU einengenden Gedankenfonnen, gleichgültig ob sie ihren (1912: 138), die Philosophie könne uns "zwar nicht Ursprung in der Sprache oder anderswo haben." 30. Frey (1970: 121) teilt diese Annahme u.a. mit . mit Sicherheit sagen, wie die richtigen Antworten auf die gestellten Fragen heißen, aber sie kann uns viele Walsmann (1956: 138), für den sich "der Genius des Philosophen. [...] uirgendwoaugenfälliger [zeigt] als an der Möglichkeiten zu bedenken geben, die unser Blickneuen Art von Frage, die von ihm in die Welt gebracht. feld erweitern und uns von der Tyrannei.des Gewohnwird. Was ihn auszeichnet und was ihm seinen Platz zuten befreien. Sie vermindert unsere Gewißheiten weist, ist die Leidenschaft des Fragens."

dein von wesentlicher Bedeutung für das Leben und Zusammenleben der Menschen, doch läßt sich diese Frage bis jetzt anscheinend nicht so behandeln wie manche Fragen der Logik. Diese "Unreife" ethischer Probleme zeigt sich in mehreren Symptomen, z.B. den folgenden: (a) Zentrale ethische Begriffe (wie "Handlung", "Moral", "Verantwortung", "Willensfreiheit" usw.) sind bis heute überaus unklar geblieben. Nun ist Klarheit, wie u.a. schon Popper bemerkt hat, durchaus "ein Welt an sich; Genauigkeit und Präzision aber sind es nicht. ·Es hat keinen Sinn, genauer sein zu wollen, als es unsere Problemsituation verlangt.l"? So wertvoll es auch in der Ethik ist, Klarheit anzustreben, so ist in der derzeitigen Problemsituation doch (noch) nicht an eine "logische Klarheit" bzw. Genauigkeit zu denken. (b) Wenn es zutrifft, daß Fortschritte im Denken "nicht sosehr durch neue Lösungen als vielmehr durch neue Fragestellungen bestimmt" sind" dann sind wir in der Ethik noch nicht sehr weit, da die heute diskutierten moralischen Prinzipien im wesentlichen auf die schon erwähnte Goldene Regel zurückgehen; Kants (1785) kategorischer Imperativ ist ebenso eine Weiterentwicklung davon wie Hares (1955) Prinzip der Universalisierbarkeit moralischer Normen oder Singers (1979) Prinzip der gleichen Erwägung aller von einer Handlung Betroffenen. Zwar ist denkbar, daß die Goldene Regel ein besonders fundamentales Prinzip ist, das bis heute immer wieder bestätigt wurde, doch harren in diesem Fall

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ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE darüber, was die Dinge sind, aber sie vermehrt unser Wissen darüber, was die Dinge sein könnten." Um zu diesen Möglichkeiten zu gelangen, müssen wir immer wieder von den Gewohnheiten ausgehen. Darum kann das, was gewöhnlich als Kern der Philosophie angesehen wird, nicht alles sein; sonst würde die philosophische Diskussion nämlich auf bestimmte Fragestellungen und Arten des Fragens reduziert, d.h., der "Genpool" philosophischer Fragen würde mangels Zugang an frischen Genen verarmen - ein Phänomen, -das im biologischen Bereich als Problem derInzucht bekannt ist.'! Ähnliches gilt auch für die vorhin angesprochene philosophische Praxis, die als zuständig für den Kontakt nach außen angesehen wird (nicht zuletzt auch von ihren Vertretern). Wenn wir die Durkheimsche Analogie ernst nehmen, dann gehört zur philosophischen Tätigkeit ebenso wie zum Handwerk auch der Kontakt mit den Kunden und die Verantwortung diesen gegenüber. Eben danun darf jedoch der Kontakt zum Kern der Philosophie nicht abreißen; gerade die philosophische Praxis benötigt die Vertiefung in der philosophischen Theorie, da sie sonst. verflacht.. Etwas überspitzt können wir in Anlehnung an Kant also sagen: Philosophische Praxis ohne philosophische Theorie ist blind, philosophische Theorie ohne philosophische Praxis ist leer. . (iii) Die Notwendigkeit einer Arbeitsteilung in der Philosophie läßt sich weiter etwa auch am Problem der Vermittlung von Begriffen und Ideen aufzeigen: lnfolge der Differenzierung und Spezialisierung der. Wissenschaften haben die einzelnen Disziplinen, ihre Teildisziplinen, deren Subteildisziplinen usw. ihre Terminologien entwickelt, die ihren jeweiligen Vertretern zur Kommunikation dienen, den Außenstehenden aber Probleme bereiten, und zwar nicht nur dadurch, daß sie wesentliche Ausdrücke nicht verstehen. sondern auch und gerade dadurch, daß Ausdrükke, mit denen sie aus anderen Kontexten vertraut sind, in einer Disziplin jeweils eine technische Bedeutung erhalten. Eine Fülle von Mißverständnissen ist die Folge, vor allem dann, wenn ein Ausdruck, der in einem bestimmten Kontext wohldefiniert ist, unmittelbar bzw. "naiv" in einen anderen Bereich übertragen wird.t? Nicht nur die Philosophie steht vor

. diesem Problem, sondern alle Teilbereiche der Gesellschaft. Besonders anschaulich zeigt etwa Ludwik Fleck am Beispiel eines immunologischen Befundes, wie sich ein und dieselbe Tatsache ändert, wenn Immunologen miteinander sprechen, wenn sie den Befund einem praktischen Arzt mitteilen und wenn dieser wiedenunden Patienten davon informiert.P Wie wir früher gesehen haben, stellt der Sprachgebrauch von Experten für sich ebensowenig ein Problem dar wie der Umstand, daß sich die anderen auf deren Kompetenz verlassen müssen. Und zwar ist dies so lange kein Problem, wie eine "linguistische Arbeitsteilung" im Sinne vonPutnani (1975:39) besteht, d.h. "eine spezifische Kooperation" zwischen den Angehörigen der "jeweiligen Teilmengen" einer Sprachgemeinschaft. Ebendas ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht oder zumindest kaum der Fall. Die Frage, ob eine Kooperation besteht, ist dabei jedoch noch nicht das einzige Problem: Wie die Erfahrung zeigt, sind vielmehr Kooperation und Vertrauen zwischen den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft nicht in jedem Fall hinreichend für eine erfolgreiche Kommunikation. In unserem Fall gehört zur Arbeitsteilung auch ein "Katalysator", d.h. jemand, der sich darum bemüht, von einer Sprachebene in die andere zu übersetzen bzw. dazwischen zu vermitteln. Auch dafür haben wir eine Analogie in der Biologie: Die Information der DNS wird bei der

31: In diesem Zusammenhang ist auch daran zu denken, daß Wiltgenstein (1953: §593) "eine l Iauptursachc philosophischer Krankheiten" in "einseitiger Diät" sieht, d.h. darin, daß wir unser "Denken mit nur einer Art von Beispielen" nähren. Auch dies ist ein Plädoyer lür Arbeitsteilung. 32. Wir brauchen etwa nur daran zu denken,auf welche Weise physikalische Begriffe wie "Masse", "Iiucrgic",

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"Kausalität" oder "Relativität" im Alltag verwendet werden. Umgekehrt entstehen freilich auch Probleme, wenn Ausdrücke aus dem alltäglichen Sprachgebrauch in den wissenschaltliehen übernommen werden und dort einen ganz anderen Sinn erhalten, Wie schon Willgenstein (1967: §438) bemerkt hat, ist es z.B. in den Wissensehaften üblich, "Phänomene, die gcnauc Messungen zulassen, zu definierenden Kriterien eines Ausdrucks zu machen; und man ist dann geneigt zu meinen, nun sei die eigentliche. Bedeutung ge(i/llden worden. l.inc Unmenge von Verwirrungen ist aufdiese Weise entstanden." Dieses Problem zcigt sich z. H. in der Art, wie 'Denken'. 'Intelligenz' und andere Ausdrücke der "Alltagspsychologic'' in der modernen wissenschaftlichen Psychologie verwendet (bzw, auf das alltägliche Verhalten der Mensehen rückprojizicrt) werden. Ich gehe darauf in Neumaler (1987) etwas ausführlicher ein. 33. Vgl. Fleck (1935:150rJ). Ein zusätzliches Problem besteht laut Fleck (1935) darin, daß wir mit der Vertiefung in ein Problem zunehmend von einem Denkstil abhängig werden, Dies hat u. a. zur Folge, daß Menschen, die ein Problem aus verschiedenen Perspektiven betrachten, dabei unterschiedliche "Tatsachen" sehen. hn Grund für die Notwendigkeit der Vermittlung theoretischer Inhalte ist mi t anderen Worten in der Thcoricabhiingigkeit von Begriffen bzw. in den unterschiedlichen Graden dieser Abhängigkeit zu sehen.

KRITERION Reduplikation nicht direkt auf eine andere DNS .die aber nur gemeinsam erreicht werden können. In diesem Sinne sind wir alle aufeinander angewiesen. übertragen, sondern zunächst durch einen .RNSWie schon Durkheim (1893: 394f) erkannte, könStrang abgelesen und von diesem weitergegeben, und nen wir uns als Mitglieder einer solchen Gezwar anscheinend deshalb, weil dies zuverlässiger und weniger aufwendig ist als eine direkte Infonnati-. meinschaft von Verschiedenen sogar individuell mehr entfalten, als wenn wir einen philosophischen Binonsübertragung. Demnach ist bei philosophischen (bzw. wissen- .'zelkampf führen. Dies hängt u.a. damit zusammen, daß uns die Spezialisierung im Rahmen eines größeschaftlichen) Theorien nicht nur der Zusammenhang ren Organismus mehr Flexibilität erlaubt: "Solange ihrer Entstehung zu berücksichtigen, und auch nicht die wissenschaftliche Tätigkeit noch nicht spezialinur der Kontext ihrer Rechtfertigung, sondern auch siert war, konnte der Gelehrte, da er ja fast die geder Kontext der Vermittlung, und zwar nicht nur der samte Wissenschaft umfaßte, seine Tätigkeit kaum internen Vermittlung zwischen den Angehörigen ändern, denn damit hätte er auf sie selber verzichten verschiedener "Zweige" des theoretischen Untermüssen. Heute kommt es oft vor, daß er sich hinternehmens, sondern auch der externen Vermittlung von einander verschiedenen Wissenschaften widmet, daß Einsichten nach "außen", also an Menschen, die er von der Chemie zur Biologie überwechselt, von diesen Bemühungen nicht notwendigerweise naheder Physiologie zur Psychologie, von der Psychologie stehen. Esistm.a.W. notwendig, die Annahmen und zur Soziologie." Diese Möglichkeit beruht auf der Ergebnisse auf einer Ebene in eine Sprache zu übersetzen, die andere Menschen (mit anderen' HinterVoraussetzung, daß sich auch andere Menschen um Aufgaben innerhalb einer solchen arbeitsteiligen grundannahmen) verstehen und auf eine Weise Gesellschaft kümmern" Allerdings ist mir natürlich interpretieren können, die den Intentionen jener, die sie äußern, grundsätzlich entsprechen. Wer sich wn bewußt, daß die philosophisch Tätigen insgesamt de diese Vermittlung bemüht, übt im Rahmen der wisfacto nicht unbedingt eine Gemeinschaft im Sinne senschaftlichen Arbeitsteilung eine philosophische von Durkheim bilden. Und wo sich "philosophische Tätigkeit aus. Zellen" bilden, spielt den früher angestellten Überlegungen zufolge die Ähnlichkeit ihrer Elemente oft eine größere Rolle als der Gedanke, daß sie einander 6. Ziele der philosophischen Tätigkeit in ihrer Unähnlichkeit ergänzen können. Indes liegt der Gemeinschaftsgedanke aus mehreren Gründen All diesen Überlegungen liegt die Frage zugrunde, nahe: wozu die philosophische Tätigkeit überhaupt dient. (i) Retrospektiv betrachtet ist das, was wir als PhiAuf diese Frage sind zahlreiche Antworten möglich, losophie bezeichnen, gewöhnlich nicht das Ergebnis von denen vermutlich mehrere legitim sind. Ebenso der Tätigkeit einzelner Individuen, sondern des wie Künstler ihre Werke oft für sich selbst schaffen, (beabsichtigten oder unbeabsichtigten) Zusamsteht es etwa Menschen zu, um ihrer selbst willen menwirkens von Generationen philosophisch tätiger philosophisch tätig zu sein. In diesem Sinne können Menschen, von Philosophen, welche die Arbeiten wir die Philosophie als Summe rein individueller voneinander lesen, ihre jeweiligen Ansichten miteine Bemühungen danun ansehen, woran jedem' einzelnen ander diskutieren usw. 35 Das heißt: Philosophen wa-. jeweils liegt. Aber: So persönlich das Schaffen von ren nie die einzigartigen Geisteshelden, als die sich Künstlern oder Handwerkern motiviert sein mag, so zwnindest manche von ihnen sehen. kann es doch auch zugleich im größeren Rahmen der künstlerischen oder wirtschaftlichen, der gesell34, Auch Wittgeristein hat in diesem Rahmen seine Interschaftlichen oder politischen Entwickltmg gesehen essen sukzessive von der Technik auf Mathematik, Logik und Philosophie verlagert. In diesem Sinne widerlegt er werden. Ähnliches gilt für die Philosophie: Wenn wir zunächst von dieser ausgehen und sie als Ganzheit praktisch seine theoretische Annahme, der Philosoph sei "nicht Bürger einer Denkgemeinde. Das ist, was ihn zum sehen, dann ergibt sich die Notwendigkeit der ArPhilosophen macht" (vgl. Wittgenstein 1995: 173). beitsteilung, dann ergibt sich, daß wir uns als Ange35. In diesem Zusammenhang ist etwa an Poppers (1963) hörige einer größeren Gemeinschaft sehen, die im Bild der kritischen Tradition jeglicher W isscnschaft Dienste der Philosophie zusammenwirken. Die philoebenso zu denken wie an Flecks (1935) Vorstellung vom Denkkollektiv oder Kulms (1962) These, daß wissenschallsophisch Tätigen teilen sich so gesehen die Aufgabe, liehe Erkenntnis jeweils an ein Paradigma gebunden ist, das Ganze der Philosophie zu fördernbzw. Ziele zu wobei die verschiedenen Paradigmata miteinander kaum erreichen, die für jeden und jede davon wertvoll sind, vergleichbar sind.

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ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE (ii) Prospektiv gesehen liegt die Bildung philosophischer Gemeinschaften, deren Mitglieder einander ergänzen, aus der Einsicht in die Möglichkeiten nahe, die sich aus der Arbeitsteilung ergeben. Der intensive Austausch einer Vielfalt von Infonnationen hat wohl nicht nur einen Erkenntnisschub zur Folge, sondern die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft dürften durch die Einsicht, daß sie in ihren Grenzen und Unterschieden aufeinander angewiesen sind, auch anders miteinander umgehen, als dies hin und wieder zu beobachten ist. Aus der Untersuchung, was sich ergibt, wenn die philosophisch Tätigen in einer Gemeinschaft arbeitsteilig zusammenwirken, folgt demnach, daß Arbeitsteilung in der Philosophie erstrebenswert ist. Wenn die Philosophie auf Arbeitsteilung beruht, dann erweist sich u.a. auch Durkheims Annahme als unplausibel, daß die Integration als philosophische Tätigkeit nicht länger möglich sei. Laut Durkheim (1893: 430) wird die Philosophie durch zunehmende Arbeitsteilung immer weniger fähig, "die Einheit der Wissenschaft zu sichern. Solange ein und derselbe Geist die verschiedenen Wissenschaften meistern konnte, solange war es möglich, die nötige Kompetenz zu erwerben, um deren Einheit. wiederherzustellen. In dem Maß aber, in dem sie sich spezialisieren, können diese großen Synthesen kaum mehr sein als verfrühte Verallgemeinerungen", da es den Menschen immer weniger möglich ist, "eine genügend genaue Kenntnis jener unendlichen Vielfalt der Phänomene, Gesetze und Hypothesen zu haben, die sie zusammenfassen müssen." Im Rahmen der Arbeitsteilung ist dies indes auch gar nicht nötig: Wer sich als Mitglied einer arbeitsteiligen Gesellschaft von philosophisch Tätigen um die Integration von Forschungsergebnissen bemüht, muß ja im Sinne von Durkheim (1893: 442) nicht alles wissen, sondern es genügt, daß er oder sie den Problemhorizont "hinreichend weit überblickt." Die Integration der Ergebnisse empirischer Wissenschaften zu einem Gesamtbild der Welt ist also weiterhin eine philosophische Tätigkeit; sie bedarf jedoch ihrerseits einer vielfältigen Arbeitsteilung der damit Beschäftigten, damit sie erfolgreich sein kann.l''

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36. Dieser Text ist eine überarbeitete, teils gekürzte und teils ergänzte Fassung eines Vortrages, den ich am Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck gehalten habe. Für Kritik und andere .wcrtvollc Anregungen danke ich den Teilnehmern an der Diskussion zu jenem Vortrag, insbesondere Winfricd Löffler; Dank schulde ich weiter auch Rupprecht und Sicgrid DUII sowie Ingo W. Rath.

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KRITERION

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