Grundlagen der THEORETISCHEN PHILOSOPHIE

Philosophische Fakultät Institut für Philosophie Lehrstuhl für Theoretische Philosophie Dr. Holm Bräuer MBA Grundlagen der THEORETISCHEN PHILOSOPHIE ...
Author: Hannelore Holst
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Philosophische Fakultät Institut für Philosophie Lehrstuhl für Theoretische Philosophie Dr. Holm Bräuer MBA

Grundlagen der THEORETISCHEN PHILOSOPHIE Sommersemester 2017

1

Philosophische Fakultät Institut für Philosophie Lehrstuhl für Theoretische Philosophie Dr. Holm Bräuer MBA

3. Erkenntnistheorie

627

WAS IST WAHRHEIT?

776

777

EIGENSCHAFTEN DER WAHRHEIT

778

Objektivität „Wahr-Sein“ vs. „Für-Wahr-Halten“

779

Zeitlosigkeit Wahrheit hat keine Geschichte, Glauben und Wissen hingegen schon.

780

Spachunabhängigkeit Übersetzung ändert die Wahrheit/Falschheit nicht

781

Transzendenz (Realismus) Es ist möglich, dass es Wahrheiten gibt, die wir prinzipiell nicht erkennen können.

782

Immanenz (Anti-Realismus) Wahrheit und Erkenntnis sind untrennbar miteinander verbunden.

783

WAHRHEITSTRÄGER

784

Sätze (abstrakte sprachliche Formen) Äußerungen (konkrete sprachliche Handlungen)

Wahrheit ist sprachübergreifend

785

Urteile (konkrete psychische Ereignisse) Überzeugungen (konkrete psychische Zustände)

Wahrheit ist objektiv und zeitlos.

786

Propositionen (abstrakte semantische Objekte)

Wie können wir Propositionen erfassen?

787

WAHRHEITSTHEORIEN

788

(1) Korrespondenztheorie (Realismus) Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt übereinstimmt.

789

(2) Epistemische Theorie (Antirealismus) Wahr werden diejenigen Erkenntnisse genannt, die „perfekt“ sind.

790

(3) Deflationismus Das Prädikat „ist wahr“ hat keine Bedeutung und lässt sich eliminieren.

791

Korrespondenztheorie

792

Wittgensteins Bildtheorie der Wahrheit

793

Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht.

Eine Satz ist wahr, wenn es eine Tatsache gibt, mit der er übereinstimmt.

794

Ein Satz ist ein Bild einer Tatsache.

795

Semantische Bedingung Die Teile eines Satzes stehen für Teile von Tatsachen.

796

Bedingung der Strukturgleichheit Die Teile eines Satzes sind genauso angeordnet wie die Teile der Tatsache.

797

die Katze | sitzt auf | der Matte

798

PROBLEME DER BILDTHEORIE

799

Universalienproblem Gibt es Eigenschaften oder Relationen, die Bestandteile von Tatsachen sein können?

800

DAS PROBLEM FEHLENDER KORRESPONDIERENDER TATSACHEN

801

Die Katze sitzt nicht auf der Matte. negative, wahre Sätze

802

Es gibt eine Katze, die auf der Matte sitzt. Existenzsätze

803

Die Katze könnte auf der Matte sitzen.

kontrafaktische Sätze

804

Höchstwahrscheinlich sitzt die Katze auf der Matte. probabilistische Sätze

805

Eine Katze ist eine Katze. Tautologien und mathematische Sätze

806

DAS SLINGSHOT ARGUMENT Frege, Church, Quine, Davidson

807

Alonzo Church (1903-1995) Einflussreicher amerikanischer Mathematiker und Logiker, der wichtige Grundlagen für die mathematische Logik, wie das Lambda Kalkül oder das Church-Turing Theorem, und die Informatik gelegt hat. “An Unsolvable Problem of Elementary Number Theory” (1936); Introduction to Mathematical Logic (1944/56); The Calculi of Lambda Conversion (1941) 808

Synonymie Wenn zwei Sätze dasselbe bedeuten, dann korrespondieren sie mit derselben Tatsache.

809

Substitution Wenn man einen Teilausdruck eines Satzes durch einen anderen ersetzt, der für dasselbe steht, dann korrespondiert der Satz, der sich daraus ergibt, mit derselben Tatsache wie der ursprüngliche Satz.

810

Scott ist der Autor von Waverly. Scott ist der, der 29 Waverly-Novellen geschrieben hat. Substitution

811

Scott ist der, der 29 Waverly-Novellen geschrieben hat. Die Anzahl von Scotts Waverly-Novellen ist 29. Synonymie

812

Die Anzahl von Scotts Waverly-Novellen ist 29. Die Anzahl der Verwaltungsbezirke von Utah ist 29. Substitution

813

Die Anzahl der Verwaltungsbezirke von Utah ist 29. Utah hat 29 Verwaltungsbezirke. Synonymie

814

Scott ist der Autor von Waverly. Utah hat 29 Verwaltungsbezirke.

… bringen dieselbe Tatsache zum Ausdruck

815

Fazit Jeder wahre Satz korrespondiert mit derselben Tatsache. Es gibt daher nur eine „große“ Tatsache, die mit jedem wahren Satz korrespondiert.

816

TARSKIS SEMANTISCHE THEORIE DER WAHRHEIT

817

Alfred Tarski (1901-1983) Tarski ist ein polnisch-amerikanischer Logiker. Er gilt als der Begründer der formalen Semantik („Modelltheorie“). Seine Arbeiten zum Problem der Definition der Wahrheit waren bahnbrechend und hatten einen großen Einfluss auf die Philosophie. „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen“ (1936); „The Semantic Conception of Truth and the Foundations of Semantics“ (1944) 818

Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht.

Ein Satz ist wahr, wenn es sich so verhält, wie er sagt.

„x“ ist wahr in L genau dann, wenn p.

819

T-Sätze „x“ ist wahr in L gdw. p

„Grass is green“ ist wahr im Englischen gdw. Gras grün ist. „Neapel liegt südlich von Rom“ ist wahr im Deutschen gdw. Neapel südlich von Rom liegt.

820

Wir können nur sagen, daß jede Äquivalenz der Form (T), die wir nach Ersetzung von ‚p‘ durch eine partikuläre Aussage und von ‚x‘ durch den Namen dieser Aussage erhalten, als eine partielle Definition der Wahrheit betrachtet werden kann, die erklärt, worin die Wahrheit dieser einen individuellen Aussage besteht. …

Tarski, Die semantische Definition der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik

821

DIE KONVENTION T

822

(T-1) „Gras ist grün“ ist wahr im Deutschen gdw. Schnee weiß ist.

T-1 ist zwar wahr, aber nicht adäquat.

823

Konvention T (Adäquatheitskriterium) Eine Wahrheitsdefinition für eine Sprache L ist genau dann adäquat, wenn sie Sätze des Schemas

(T) „x“ ist wahr in L gdw. p

impliziert, und zwar so, dass x ein Satz der Objektsprache L und p eine Übersetzung von x in die Theoriesprache ist.

824

(T-2) „Gras ist grün“ ist wahr im Deutschen gdw. Gras grün ist. Dieser T-Satz stellt eine adäquate Definition der Wahrheit für den deutschen Satz „Gras ist grün“ dar, denn „Gras ist grün“ (p) ist eine Übersetzung von „‘Gras ist grün‘“ (x).

825

Das ist aber noch nicht das, was wir eigentlich haben wollen: eine allgemeine Definition des Wahrheitsbegriffs für alle Sätze der untersuchten Sprache.

826

… Die allgemeine Definition muß in einem gewissen Sinne die logische Konjunktion all dieser partiellen Definitionen sein. Tarski, Die semantische Definition der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik

827

REKURSIVE DEFINITIONEN

828

Atomare Sätze (Rekusionsanfang) Falls S ein Satz der Form „F(a)“ in L ist, dann ist S in L wahr gdw. das Individuum, welches a bezeichnet, Element der Klasse von Individuen ist, welche F bezeichnet.

829

Komplexe Sätze (Rekursionsschritt) Falls S ein Satz der Form „G und H“ in L ist, dann ist S in L wahr gdw. G wahr ist und H wahr ist. Falls S ein Satz der Form „G oder H“ in L ist, dann ist S in L wahr gdw. G wahr ist oder H wahr ist. Falls S ein Satz der Form „Für alle x, Fx“ in L ist, dann ist S in L wahr gdw. F(i) für alle Belegungen i für die Variable x wahr ist.

830

Abschluss (Rekursionsabschluss) Nichts sonst ist wahr in L.

831

Zusammenfassung

832

Welche Form muss eine Theorie der Wahrheit haben? Sie muss Sätze der Form T liefern.

833

Wann ist eine Definition von „ist wahr in L“ adäquat? Wenn die Konvention T erfüllt ist.

834

Wie kann man eine allgemeine Definition dieser Art aufstellen? Durch eine induktive Definition, in der zuerst die Wahrheitsbedingungen für die Basissätze einer Sprache und danach aufbauend für alle anderen, komplexen Sätze formuliert werden.

835

EPISTEMISCHE WAHRHEITSTHEORIEN (ANTIREALISMUS)

836

Wahrheit gibt es nicht außerhalb unserer Erkenntnis. Es gilt daher, ein internes Kriterium für die Wahrheit unserer Überzeugungen zu finden.

837

Rationale Akzeptierbarkeit Eine Proposition ist wahr, wenn sie unter idealen Bedingungen von einer vollständig rationalen Person akzeptiert werden würde.

Charles Sanders Peirce

838

Wahr ist das, was vollständig vernünftige Menschen nach ausreichender Nachforschung für wahr halten.

839

Wahrheit übersteigt die Perspektive rationaler Personen grundsätzlich nicht.

840

Wahrheit ist eine immanente Eigenschaft unserer Erkenntnispraxis.

841

Konsenstheorie Eine Proposition ist wahr, wenn sie unter idealen Bedingungen für alle Mitglieder einer Sprechergemeinschaft rational akzeptierbar ist.

Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas

842

Wahrheit ist nicht nur eine immanente, sondern auch eine soziale Eigenschaft unserer Erkenntnispraxis.

843

PROBLEME

844

Idealisierungen Wir sind keine vollständig rationalen Personen. Auch die Bedingungen sind niemals ideal. Dennoch gibt es Wahrheit.

845

Akzeptanz Man kann etwas aus unterschiedlichen Gründen akzeptieren (Authentizität, Vernünftigkeit, Autorität). Der relevante Begriff der Akzeptanz muss hier lauten: Etwas als wahr akzeptieren. Aber das ist zirkulär.

846

Rationalität Eine Person ist rational, wenn sie in ihrem Denken und Handeln Prinzipien folgt, die Wahrheit erhalten bzw. zur Wahrheit führen. Man kann also den Begriff der Rationalität nicht explizieren, ohne dabei den Begriff der Wahrheit zu verwenden. Auch das führt in einen Zirkel.

847

Konsens Bestätigt Konsens nicht bestenfalls manchmal (und bestimmt nicht immer) eine Wahrheit, anstatt sie allererst zu begründen?

848

Kohärenztheorie Eine Überzeugung ist wahr, wenn sie ein Element in einem kohärenten System von Überzeugungen ist.

Blanshard, Neurath, Davidson

849

Wenn wir uns fragen, ob ein Satz oder eine Überzeugung wahr ist, haben wir dann nicht immer nur andere Sätze oder Überzeugungen, auf die wir uns dabei stützen können?

850

Kohärenz (1) Die Überzeugungen müssen logisch konsistent sein und dürfen sich nicht widersprechen. (2) Die Überzeugungen müssen in einem Schlussfolgerungs-, Rechtfertigungs- und Erklärungszusammenhang stehen.

851

PROBLEME

852

Alternativsysteme Zu jedem kohärenten System von Überzeugungen gibt es mindestens ein anderes, ebenfalls kohärentes System von Überzeugungen derart, dass beide Systeme sich gegenseitig logisch ausschließen.

853

Märchen und Geschichten Man kann kohärente Märchen erzählen. Man kann überhaupt irgendein beliebiges kohärentes System von Überzeugungen konstruieren, das nichts mit unserer Wirklichkeit gemein haben muss.

854

Holismus Eine Überzeugung kann nur in Bezug auf ein System von Überzeugungen auf ihre Wahrheit/Falschheit beurteilt werden.

kontraintuitiv

855

Zirkel Wie kann man erklären, was mit logischer Konsistenz, Schlussfolgerung oder Erklärung gemeint ist, ohne dabei schon den Begriff der Wahrheit in Anspruch zu nehmen?

856

Das Fitch Paradox Frederick Fitch, "A Logical Analysis of Some Value Concepts". Journal of Symbolic Logic Vol. 28. 2 (1963), S. 135–142

857

Das Fitch Paradox Aus der Position des Anti-Realismus – nämlich, dass jede Wahrheit prinzipiell gewusst werden kann (knowability principle) – folgt, dass jede Wahrheit bereits gewusst wird.

858

These des Anti-Realismus Wahrheit ist dem Wissen immanent, d.h. jede Wahrheit kann (prinzipiell) gewusst werden.

(AR) p → ◊Kp

859

Theoreme der epistemischen Logik Wissen impliziert Wahrheit. (Wissen ist faktiv.) (WW) Kp → p

Das Wissen einer Konjunktion impliziert das Wissen beider Konjunkte: (WK) K(p & q) → (Kp & Kq) 860

Theorem der Modallogik Notwendigkeitsregel* - Wenn es logisch wahr ist, dass nicht-p, dann ist es nicht möglich, dass p.

(N*) If

¬p, then ¬◊p

861

Indirekter Beweis für ¬K(p & ¬Kp) 1. K(p & ¬Kp)

Annahme

2. Kp & K¬Kp

aus 1 und WK

3. Kp

aus 2 und Konjunktionselimination

4. K¬Kp

aus 2 und Konjunktionselimination

5. ¬Kp

aus 4 und WW

6. ⊢ ¬K(p & ¬Kp)

indirekter Beweis aus 3 und 5

862

Indirekter Beweis für ¬(p & ¬Kp) 7. p & ¬Kp

Annahme

8. ¬◊K(p & ¬Kp)

aus 6 und N*

9. ◊K(p & ¬Kp)

aus 7 und AR

10. ⊢ ¬(p & ¬Kp)

indirekter Beweis aus 8 und 9

863

Jede Wahrheit wird gewusst 10. ¬(p & ¬Kp) 11. ¬(A & ¬B)  A → B Tautologie 12. p → Kp

aus 10 und 11

864

WAHRHEITSDEFLATIONISMUS

865

Das Wort „wahr“ liefert … durch seinen Sinn keinen wesentlichen Beitrag zum Gedanken. Wenn ich behaupte „es ist wahr, daß das Meerwasser salzig ist“, so behaupte ich dasselbe wie wenn ich behaupte „das Meerwasser ist salzig“. Hierin ist zu erkennen, daß die Behauptung nicht in dem Worte „wahr“ liegt, sondern in der behauptenden Kraft, mit der der Satz ausgesprochen wird. Danach könnte man meinen, das Wort „wahr“ habe überhaupt keinen Sinn.

Frege: Nachgelassene Schriften

866

Wenn wir von einem Satz sagen, er sei „wahr“, dann sprechen wir ihm nicht die Eigenschaft der Wahrheit zu.

867

Redundanztheorie Das Prädikat “ist wahr” ist überflüssig und trägt nichts zur Satzbedeutung bei. Es lässt sich in allen Aussagen eliminieren, ohne deren Inhalt zu verändern.

Frege, Ramsey, Ayer

868

Es ist wahr, dass Caesar ermordet wurde.

= Caesar wurde ermordet.

869

Es ist falsch, dass Caesar ermordet wurde.

= Caesar wurde nicht ermordet.

870

„Caesar wurde ermordet“ ist wahr.

= Caesar wurde ermordet.

871

„Caesar wurde ermordet“ ist falsch.

= Caesar wurde nicht ermordet.

872

Performative Theorie Das Wahrheitsprädikat ist kein eigenständiges Prädikat, sondern ein performativer Operator, mit dem wir so etwas wie Zustimmung ausdrücken.

Strawson

873

Mit dem Satz „Caesar wurde ermordet“ ist wahr sagen wir nicht mehr, als mit dem Satz Caesar wurde ermordet, aber wir tun etwas Zusätzliches:

874

Mit dem Satz „Caesar wurde ermordet“ ist wahr signalisieren wir unsere Zustimmung zu diesem Satz.

Die Wahrheitszuschreibung ist ein performativer Akt.

875

Disquotationale Theorie Das Prädikat “ist wahr” stellt den Realitätsbezug von zitierten Sätzen wieder her.

Quine

876

Wenn wir in einer Theorie etwas über sprachliche Ausdrucke (Sätze) sagen wollen, dann müssen wir diese Sätze zitieren.

877

Caesar wurde ermordet.

Hier benutzen wir den Satz, um etwas über die Welt zu sagen.

878

„Caesar wurde ermordet.“ enthält 3 Worte.

Hier erwähnen wir den Satz und sprechen über eine Eigenschaft, die er selbst besitzt.

879

Syntax „Caesar wurde ermordet.“ ist ein wohlgeformter Satz.

880

Semantik Besondere Schwierigkeit: Auch in der Semantik sprechen wir über einen Satz und dessen Eigenschaften, aber dabei geht es nicht um die Eigenschaften des Satzes selbst (Syntax), sondern um seine Bedeutung, d.h. seinen Bezug zur Welt.

881

„Caesar wurde ermordet.“ ist wahr.

Hier erwähnen wir den Satz und sagen zugleich etwas darüber aus, welchen Bezug er zur Welt hat. Wir müssen die Anführungszeichen setzen und zugleich eliminieren.

882

Wir brauchen das Wahrheitsprädikat in der Semantik, um den Realitätsbezug von zitierten Sätzen wieder herzustellen.

semantischer Aufstieg

883

Minimalismus Wenn man einen Satz nominalisiert, dann dient das Prädikat "ist wahr" dazu, daraus wieder einen ganzen Satz zu machen.

Paul Horwich

884

Caesar wurde ermordet.

Nominalausdruck die Aussage, dass Caesar ermordet wurde

885

E = m x c2, Nichts ist schneller als das Licht., …

Nominalausdruck Einsteins Theorie

886

Die Aussage, dass Caesar ermordet wurde, ist wahr. Einsteins Theorie ist wahr.

887

PROBLEME

888

Verallgemeinerungen Alles, was der Papst sagt, ist wahr.

„ist wahr“ ist nicht redundant (Der Wahrheitsminimalismus kann damit umgehen.)

889

Der Satz „Caesar wurde ermordet“ ist wahr.

= Caesar wurde ermordet.

Nicht wirklich korrekt wegen der Relativität auf eine Sprache.

890

Die Proposition „Caesar wurde ermordet“ ist wahr.

= Caesar wurde ermordet.

Trivial, da die Wahrheit einer Proposition genau so definiert wird.

891

WORIN BESTEHT RECHTFERTIGUNG?

892

In aller Regel sind gerechtfertigte Überzeugungen eher wahr als ungerechtfertigte.

893

Aber es gibt Überzeugungen, die gerechtfertigt und trotzdem falsch sind!

894

Und es gibt Überzeugungen, die ungerechtfertigt und trotzdem wahr sind!

895

Rechtfertigung ist ein geeignetes Mittel zur Erzielung wahrer Überzeugungen, garantiert aber keine Wahrheit.

Fallibilistische Auffassung der Rechtfertigung

896

EIGENSCHAFTEN DER RECHTFERTIGUNG

897

Die Rechtfertigung für eine Überzeugung kann durch den Erwerb zusätzlicher Informationen zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben werden.

Rechtfertigung ist zeitrelativ

898

Zwei Personen können zwar dieselbe Überzeugung besitzen, es ist aber nicht (noch nicht einmal meistens) so, dass beider Überzeugung gleichermaßen gerechtfertigt ist!

Rechtfertigung ist personenrelativ

899

Gerechtfertigt ist jemand, wenn er gute Gründe für seine Überzeugungen besitzt.

Rechtfertigung ist evaluativ

900

Eine Meinung kann mehr oder weniger gerechtfertigt sein. Rechtfertigung kann durch zusätzliche Belege und Evidenzen verstärkt oder abgeschwächt werden.

Rechtfertigung ist graduell

901

DEFINITION DER RECHTFERTIGUNG

902

(1) Die Rechtfertigung einer Überzeugung setzt voraus, dass es „Rechtfertiger“ für diese Überzeugung, d. h. Gründe für sie gibt.

903

(2) Überzeugungen und Gründe dürfen in keinem beliebigen Verhältnis zueinander stehen, d.h. die Gründe müssen die Überzeugung tatsächlich stützen.

904

(3) Gründe können eine Überzeugung nur dann stützen, wenn es gute Gründe sind.

905

Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, genau dann, wenn:

(1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) diese Gründe adäquat sind.

906

DIE DEFINITION DER RECHTFERTIGUNG IST NICHT HINREICHEND.

907

Irene glaubt, dass es regnet. Und sie hört, wie der Regen auf das Vordach ihrer Veranda tropft.

908

Irene hat einen Grund für ihre Überzeugung: sie hört, wie die Regentropfen auf das Verandadach trommeln.

909

Der Grund ist adäquat/ gut und stützt ihre Meinung: Das Hören von Regengeräuschen ist ein guter Indikator für die betreffende Überzeugung.

910

Allerdings ist Irene unaufmerksam. Sie glaubt, dass es regnet, weil sie es in der lokalen Wettervorhersage gehört hat, die in ihren Breiten sehr unzuverlässig ist.

911

Irene kommt jedoch nicht zu der Überzeugung, dass es regnet, weil sie die Regentropfen hört, was ein guter Grund ist, sondern weil sie die Wettervorhersage gehört hat, die ein schlechter Grund für ihre Überzeugung ist.

912

Damit eine Meinung gerechtfertigt ist, reicht es nicht aus, dass man für diese Meinung gute und stützende Gründe hat. Die Gründe und die Meinung müssen richtig aufeinander bezogen sein.

913

Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, genau dann, wenn: (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) die Gründe adäquat sind; und (4) S gerechtfertigt ist zu glauben, dass die Stützungsbeziehung besteht.

914

DIE KAUSALE THEORIE DER RECHTFERTIGUNG Alvin I. Goldman, William P. Alston

915

Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, genau dann, wenn: (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) die Gründe adäquat sind; und (4) die Gründe die Überzeugung verursachen.

916

EXTERNALISMUS

INTERNALISMUS

Rechtfertigung muss einer Person

Rechtfertigung setzt kognitive

selbst nicht kognitiv zugänglich sein.

Zugänglichkeit voraus.

Eine Überzeugung kann

Eine Überzeugung ist nur dann

gerechtfertigt sein, ohne dass die

gerechtfertigt, wenn die Person sie

Person selbst die Überzeugung

selbst rechtfertigen bzw. begründen

rechtfertigen bzw. begründen kann.

kann.

Epistemische Rechte ohne

Keine epistemischen Rechte ohne

epistemische Pflichten sind möglich.

epistemische Pflichten.

917

RECHTFERTIGUNGSTRILEMMA Agrippa-Trilemma, Münchhausen-Trilemma

WELCHE GRÜNDE SIND ADÄQUAT (ANGEMESSEN, GUT)?

918

Ein Kommissar ist mit der Untersuchung eines Mordfalls beschäftigt. Er glaubt, dass der Gärtner den Grafen umgebracht hat. Er begründet das so: Es gibt nur drei weitere mögliche Täter: den Fahrer, den Butler und den Koch. Alle drei haben handfeste Alibis und es besteht kein Zweifel daran, dass der Graf tatsächlich umgebracht worden ist und nicht Selbstmord beging oder eines natürlichen Todes starb.

919

Sind diese Gründe gute Gründe für die Überzeugung, dass der Gärtner den Grafen umgebracht hat?

920

Ist die Annahme, dass es nur drei weitere mögliche Täter gibt, gerechtfertigt?

921

Ist die Annahme, dass die Alibis der anderen wasserdicht sind, selbst wasserdicht?

922

Sind die Annahmen, dass der Gärtner kein gutes Alibi hat und der Graf tatsächlich umgebracht worden ist, gut begründet?

923

Eine gerechtfertigte Überzeugung setzt voraus, dass es für diese Überzeugung einen Grund G1 gibt.

Überzeugung

Grund1

924

Ob dieser Grund G1 adäquat (gut) ist, hängt davon ab, ob sich dieser selbst rechtfertigen lässt.

Grund1

Grund2

925

Welche Implikationen hat das?

926

Dogmatischer Abbruch Ü

G1

G2

G3

Es ist dogmatisch, an einer bestimmten Stelle mit dem Begründen aufzuhören.

927

Circulus Vitiosus Ü

G1

G2

G3

Ü

Eine sich selbst begründende Meinung macht das Rechtfertigen überflüssig.

928

Infiniter Regress Ü

G1

G2

G3

Menschen sind endliche Wesen und können keine unendliche Anzahl von Überzeugungen haben.

929

POSITIONEN

930

Fundamentalismus Es gibt bestimmte Überzeugungen (RegressStopper), die keiner weiteren Begründung bedürfen. „Dogmen sind nicht immer schlecht.“

931

Kohärentismus Ein Rechtfertigungszirkel kann vermieden werden, wenn wir unsere Überzeugungen und ihre Gründe vor dem Hintergrund eines ganzen Systems von Überzeugungen – vor dem Hintergrund einer Theorie – betrachten. „Ein Rechtfertigungszirkel ist nicht immer schlecht.“

932

Kontextualismus Es gibt keinen wirklichen infiniten Regress des Rechtfertigens. In der Praxis hängt es vom Kontext und unseren Konventionen ab, welche Gründe wir für adäquat halten. „Praktisch gibt es keinen infiniten Regress.“

933

FUNDAMENTALISMUS

934

Gewissheitsargument Wissen kann nur dann infallibel sein, wenn es auf einer unfehlbaren Rechtfertigung beruht. Unfehlbare Rechtfertigung ist jedoch nur möglich, wenn es unfehlbare basale Meinungen gibt.

935

Regressargument Da es Rechtfertigung wirklich gibt und diese weder durch einen Zirkel, noch durch einen infiniten Regress möglich wäre, muss es basale Meinungen geben.

936

Isolationsargument Wir besitzen empirisches Wissen. Nur wenn es unmittelbar durch die Erfahrung gerechtfertigte, basale Meinungen gibt, kann man dieses überhaupt erlangen.

937

TYPEN DES FUNDAMENTALISMUS

938

Intuitionistischer Fundamentalismus Die Basis der Rechtfertigung bilden selbstevidente Meinungen, die unmittelbar einleuchtend und nicht sinnvoll anzweifelbar sind.

Platon, Pythagoras, Euklid

939

Die Wissenschaftsgeschichte liefert jede Menge Beispielmaterial dafür, dass auch scheinbar selbstevidente Meinungen falsch sein können.

Die Sonne bewegt sich um die Erde. Euklidische Geometrie

940

Doxastischer Fundamentalismus Die Basis der Rechtfertigung bilden Meinungen über die eigenen mentalen Zustände.

Descartes

941

Lernen wir nicht zuerst, über die Welt zu urteilen, und dann erst über unser Erleben der Welt?

Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände allein können keine Überzeugungen über etwas anderes (die Welt) rechtfertigen. Es entsteht ein „Außenwelt-Problem“.

942

Empiristischer Fundamentalimus Die Rechtfertigung hat ihr Fundament im „Gegebenen“, d.h. den unmittelbaren Erfahrungen, die wir machen.

Klassischer und Logischer Empirismus

943

Das „Gegebene“ ist keine Überzeugung, sondern eine Art unmittelbares Erlebnis. Ein Erlebnis als solches aber kann nichts rechtfertigen. Nur die Überzeugungen, die ich mir aufgrund eines Erlebnisses bilde, können Gründe für Meinungen sein.

944

KOHÄRENTISMUS

945

„Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können.“ (Otto Neurath, 1932/33)

946

Eigenschaften der Kohärenz Logische Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) Inferentielle Beziehungen (Prämissen – Konklusionen) Explanatorische Beziehungen (Annahmen – Begründungen)

947

PROBLEME

948

Relativismuseinwand „Wer es ernst meint mit der Kohärenz als alleiniges Kriterium der Wahrheit, muss beliebig erdichtete Märchen für ebenso wahr halten wie einen historischen Bericht oder Sätze in einem Lehrbuch der Chemie, wenn nur die Märchen so gut erfunden sind, dass nirgends ein Widerspruch auftritt.“ Moritz Schlick, 1934 949

Isolationseinwand „Die anderen können ... nicht etwa einwenden, dass dieses Verfahren den Beobachtungen widerstreite, denn nach der Kohärenzlehre kommt es auf irgendwelche ‚Beobachtungen‘ gar nicht an, sondern allein auf die Verträglichkeit der Aussagen.“ Moritz Schlick, 1934 950

Konsistenz zu stark In der Regel sind die meisten realen und reichhaltigen Wissenssysteme oder Datenbanken an irgendeiner Stelle inkonsistent.

951

Komplexität Die Kohärenz eines umfangreichen Meinungssystems ist eine so komplexe Eigenschaft, dass wir sie in der Regel gar nicht erfassen, geschweige denn beweisen können.

952

KONTEXTUALISMUS

953

Kurt ist Hobby-Archäologe und findet einen alten Krug. Mehrere Anzeichen sprechen dafür, dass es sich um einen spätmittelalterlichen Krug handelt und Kurts Handbuch bestätigt diesen Eindruck. Kurt hat gute Gründe für die Annahme, dass es sich um einen spätmittelalterlichen Krug handelt. In seiner Situation gibt es keine besseren Gründe.

954

Maria ist professionelle Archäologin. Für sie sind Kurts Gründe allenfalls Indizien. Um zu einer begründeten Meinung zu gelangen, muss sie einige raffinierte Methoden anwenden. Kurts Indizien zählen für sie nicht. Sie sind inadäquat. Ihre Standards der Begründung sind in dieser Situation viel höher.

955

Ob ein Grund eine Überzeugung rechtfertigt und wie stark diese Rechtfertigung ist, hängt vom Kontext ab und variiert mit den Rechtfertigungsstandards, die in dem betreffenden Kontext relevant sind.

956

Wer von einem Kontext in einen anderen wechselt, kann plötzlich Rechtfertigung erwerben oder verlieren.

957

Gegen die Kugelform der Erde spricht, dass die Antipoden auf der jeweils anderen Seite des Globus mit dem Kopf nach unten hängen würden.

958

Dies ist nur solange ein gutes Argument, wie es die von uns heute akzeptierte Gravitationstheorie und Astronomie nicht gibt.

959

Gründe sind nicht absolut gut oder schlecht.

960