1. Teil: Grundlagen der Untersuchung

1. Teil: Grundlagen der Untersuchung 1. Abschnitt: Einführung A. Die Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge im System des Vergaberechts Der Sta...
Author: Silke Abel
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1. Teil: Grundlagen der Untersuchung 1. Abschnitt: Einführung A. Die Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge im System des Vergaberechts Der Staat beauftragt vielfach Private mit der Erfüllung seiner Aufgaben. Diese Handlungen gehören dem Bereich des öffentlichen Auftragswesens an. Mit einem Anteil von etwa 15 % am Bruttoinlandsprodukt und einem geschätzten Wert von 1,5 Billionen Euro jährlich in Europa1 und 250 Mrd. Euro in Deutschland2 hat die Vergabe öffentlicher Aufträge sowohl deutschland- als auch europaweit ein erhebliches wirtschaftliches Gewicht. Stand ursprünglich eher die Vergabe von Bau- und Lieferleistungen im Vordergrund, geht es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge heute ebenso häufig um die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen.3 Dabei wird zwischen der Vergabe von sog. vor- und nachrangigen Dienstleistungsaufträgen unterschieden, die je nach Einordnung nach unterschiedlichen Regeln vergeben werden. Es gibt – den Vorgaben von § 17 der Verordnung zur Vergabe öffentlicher Aufträge4 (Vergabeverordnung, VgV) entsprechend – jährliche statistische Gesamtaufstellungen über vergebene öffentliche Dienstleistungsaufträge. Im Jahr 2007 wurden von den obersten und oberen Bundesbehörden und vergleichbaren Bundeseinrichtungen in Deutschland 1.442 1

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Vgl. Angaben der Europäischen Kommission unter http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/06/523&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en. Vgl. Angaben der Industrie- und Handelskammer unter http://www.dihk.de/. Von den 250 Mrd. entfallen ca. 10 Mrd. auf den Bereich oberhalb der Schwellenwerte (ca. 5 %) und 245 Mrd. auf den Bereich unterhalb der Schwellenwerte (ca. 95 %). Das ergibt die Auswertung der jährlichen statistischen Gesamtaufgestellung für öffentliche Aufträge für das Jahr 2007, zu finden unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/euvergabestatistik-2007,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf. Ähnliche Zahlen werden auch von Marx, WiVerw 2007, S. 193, 197 f. genannt. Lutz, VergabeR 2007, S. 372, 378 spricht davon, dass ca. 20 % in den Oberschwellenbereich und 80 % in den Unterschwellenbereich fallen, belegt diese Aussage aber nicht. Vgl. Burgi, NVwZ 2007, S. 737. Der Anteil der Dienstleistungsaufträge im Oberschwellenbereich belief sich – wenn man ein Auftragsvolumen von 250 Mrd. zu Grunde legt – im Jahr 2007 auf ca. 27 %, während Liefer- und Bauaufträge jeweils einen Anteil von 36 % ausmachten (vgl. die jährliche statistische Gesamtaufstellung für öffentliche Aufträge, oben Fn. 2). Byok, WuW 1997, S. 197 sagt sogar voraus, dass öffentliche Dienstleistungsaufträge mittelfristig 80 % des öffentlichen Auftragsvolumens ausmachen werden. Vergabeverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Februar 2003 (BGBl. I S. 169), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 7. Juni 2010 (BGBl. I S. 724).

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Dienstleistungsaufträge oberhalb der Schwellenwerte vergeben. Der Wert betrug insgesamt ca. 923 Mio. Euro. Unterhalb der Schwellenwerte wurden Dienstleistungsaufträge im Wert von ca. 479 Mio. Euro von obersten und oberen Bundesbehörden und vergleichbaren Bundeseinrichtungen vergeben. Von den Bundesländern wurden im gleichen Jahr 1.343 Dienstleistungsaufträge oberhalb der Schwellenwerte vergeben, die einen Wert von ca. 1,9 Mio. Euro erreichten. Die Statistiken schwiegen dazu, wie hoch der Wert der Dienstleistungsaufträge im Unterschwellenbereich war, die von den Bundesländern oder anderen öffentlichen Auftraggebern vergeben wurden. Eine Aufschlüsselung in Dienstleistungskategorien erfolgte – entgegen der Vorgaben des § 17 Abs. 2 lit. b VgV – ebenfalls nicht, so dass nicht ersichtlich ist, wie viele Aufträge vor- bzw. nachrangige Dienstleistungen zum Gegenstand hatten. Die Vergabe öffentlicher Aufträge wird in einem eigenständigen Rechtsgebiet geregelt, dem Vergaberecht. Das Bundesverfassungsgericht definiert das Vergaberecht als die Gesamtheit der Normen, die ein Träger öffentlicher Verwaltung bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen, die er zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben benötigt, zu beachten hat.5 Die Vergabe öffentlicher Aufträge wird im nationalen Recht im vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen6 (GWB), der Vergabeverordnung und der Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung7 (Sektorenverordnung, SektVO) sowie in den kürzlich reformierten Vergabe- und Vertragsordnungen (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen8, VOB/A; Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen9, VOL/A und Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen10, VOF) geregelt. Insgesamt wird dieses komplizierte Geflecht von unterschiedlichen Gesetzen, Verordnungen und Vergabe- und Ver-

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Vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.6.2006, BVerfGE 116, S. 135. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 790). Sektorenverordnung beschlossen durch Artikel 1 der Verordnung vom 23. September 2009 (BGBl. I S. 3110). Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen, Hinweise für die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), Ausgabe 2009 in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Juli 2009 (BAnz. Nr. 155a), geändert durch Bekanntmachung vom 19. Februar 2010 (BAnz Nr. 36). Die VOB/A ist für die Vergabe von nachrangigen Dienstleistungen nicht relevant. Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen Teil A – VOL/A –, Ausgabe 2009 in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2010 (BAnz. Nr. 32). Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen – VOF –, Ausgabe 2009 in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 2009 (BAnz Nr. 185a).

tragsordnungen als „Kaskadensystem des Vergaberechts“ bezeichnet.11 Die Regeln im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und in der Vergabeverordnung konkretisieren unionsrechtliche Grundlagen.12 Außerdem basieren sie auf dem Grundgesetz13 (GG). Wegen seiner Stellung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist vielfach vom „Kartellvergaberecht“ die Rede.14 Auch das unionsrechtliche Primärrecht – insbesondere die Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union15 (AEUV) – und das Sekundärrecht in der Form von Koordinierungsrichtlinien geben Regeln für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen vor. Für die Vergabe öffentlicher Aufträge sind vor allem die sog. Vergaberichtlinien16 relevant. Dazu zählen die Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge17 (Vergabekoordinierungsrichtlinie, VKR) und die Richtlinie zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste18 (Sektorenkoordinierungsrichtlinie, SKR) sowie die sog. Rechtsmittelrichtli-

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Vgl. etwa Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, VgV §§ 1, 2 Rn. 3114. Zur Entwicklung des europäischen Vergaberechts Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, S. 14 ff. m.w.N.; Noch, Vergaberecht kompakt, S. 1 ff. m.w.N. Die europäischen Vorgaben wurden im Wesentlichen durch das Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄG) v. 26.8.1998, BGBl. I S. 2521, in deutsches Recht umgesetzt. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 8. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1926 (mit zukünftiger Wirkung)). Der Begriff „Kartellvergaberecht“ ist aber auf das deutsche Recht beschränkt, weil die Regelung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine deutsche Eigenart ist. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008, BGBl. II, S. 1038. Siehe (noch zu den „alten“ Vergaberichtlinien) etwa Rudolf, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, Einführung Rn. 16. Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge vom 31.3.2004, ABl. EG v. 30.4.2004, Nr. L 134/114. Sie ersetzt die „alten“ Vergaberichtlinien: Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18 Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. EG v. 24.7.1992, Nr. L 209/1 (DKR); Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Abl. EG v. 9.8.1993, Nr. L 199/1 (LKR); Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Abl. EG v. 9.8.1993, Nr. L 199/54 (BKR). Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. EG v. 30.4.2004, Nr. L 134/1. Sie ersetzt die „alte“ Sektorenrichtlinie: Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich

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nien19 (RMRL und RMRL-SKR). Zudem gibt es internationale Vergaberegelungen.20 Im deutschen Vergabewesen wurde ursprünglich das bloße haushaltsrechtliche Ziel der sachgerechten und vor allem kostengünstigen Aufgabenerfüllung verfolgt.21 Vergaberechtliche Vorschriften entfalteten keine Wirkung im Verhältnis zum Bürger. In den letzten Jahren hat sich das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe gewandelt. Insbesondere durch den Einfluss des europäischen Gesetzgebers hat es sich zu einem Rechtsgebiet mit Außenwirkung entwickelt, in dem der einzelne Bieter eigene Rechte geltend machen kann.22 Im Zuge dieser Entwicklung wurde die vormals haushaltsrechtliche Lösung vom deutschen Gesetzgeber reformiert und mit den §§ 97 ff. GWB ein System der Vergabe öffentlicher Aufträge geschaffen, das nicht nur das Vergabeverfahren an sich umgestaltete, sondern auch Rechtsschutzmöglichkeiten für Mitbewerber und unterlegene Bieter einführte.23 Dieses System beschreibt und definiert diejenigen Aufträge, die nach den strengen Regeln des Vergaberechts vergeben werden. Nach diesem System sollen grundsätzlich alle Auftragsarten vergaberechtspflichtig

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der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Abl. EG v. 9.8.1993, Nr. L 199/40. Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, ABl. EG v. 20.12.2007, Nr. L 335/31. Sie ändert die bisherigen Rechtsmittelrichtlinien: Richtlinie 89/665/EWG Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 33 und – für den Sektorenbereich – Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. EG v. 23.3.1992, Nr. L 76/14. Es gibt das EWR-Abkommen (Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. EG v. 3.1.1994, Nr. L 1/3); das Agreement on Government Procurement (Agreement on Government Procurement vom 14.4.1994, Abl. EG v. 23.12.1994, Nr. L 336/273 (deutsche Fassung veröffentlicht in Abl. EG v. 3.9.1996, Nr. C 256/1)); das General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) vom 30. Oktober 1947 in der Fassung vom 1. März 1969, konsolidierter Text in: Deutsches Handelsarchiv 1969, S. 2663; ergänzt durch Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen 1994 vom 15. April 1994, Abl. EG v. 23.12.1994 Nr. L. 336/20, in Kraft getreten am 1. Januar 2005) und das General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) vom 15. April 1994, Abl. EG v. 23.12.1994, Nr. L 336/191, in Kraft getreten am 1. Januar 1995). Vgl. Pünder, VerwArch 2004, S. 38. Vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.6.2006, BVerfGE 116, S. 135, 137 f. Vgl. zur Entwicklung des Vergaberechts statt Vieler Rudolf, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, Einführung, Rn. 29 ff.; Noch, Vergaberecht kompakt, S. 35 ff.

sein und die Pflichtigkeit soll nur in seltenen Ausnahmefällen nicht gelten.24 Befasst man sich jedoch eingehend mit dem Vergaberecht, so fällt auf, dass die Ausnahmefälle gar nicht so selten sind. Es gibt Auftragsarten, bei denen die Vergaberegeln aus verschiedenen Gründen nicht beachtet werden müssen. Dazu zählen die Vergabe von Aufträgen, die unterhalb der unionsrechtlichen Schwellenwerte liegen, die Vergabe von Aufträgen, die unter die Ausnahmetatbestände des § 100 Abs. 2 GWB und Art. 10 bis 16 VKR bzw. Art. 19 bis 21 SKR fallen, sowie die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen.25 In Bezug auf diese Konstellationen gibt es bereits eine Vielzahl von Beiträgen aus dem Schrifttum und der Rechtsprechung.26 Die sog. nachrangigen Dienstleistungsaufträge stellen eine weitere Ausnahme dar. Bei der Vergabe von nachrangigen Dienstleistungsaufträgen findet das einfachgesetzliche Vergaberecht zwar grundsätzlich Anwendung. Der anzuwendende Regelkatalog ist allerdings – wie später ausführlich zu zeigen ist27 – erheblich eingeschränkt, so dass nur wenige Regeln bei der Vergabe beachtet werden müssen. Das verwundert vor allem im Vergleich zur Vergabe der sog. vorrangigen Dienstleistungsaufträge, bei der die vergaberechtlichen Regeln umfassend beachtet werden müssen. Die Unterscheidung zieht also erhebliche rechtli24

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Vgl. Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178; (in Bezug auf Dienstleistungskonzessionen) Ullrich, ZVgR 2000, S. 85, 93. Vgl. zu den Ausnahmfällen vor allem die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, Abl. EG v. 1.8.2006, Nr. C 179/2. Vgl. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, die für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, Abl. EG v. 1.8.2006, Nr. C 179/2; Dreher, Vergaberechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte, NZBau 2002, S. 419 spricht diesbezüglich bildlich von „zwei Welten“: die helle Welt des Vergaberechts und die dunkle Welt des Vergabewesens. Vgl. etwa (zum Unterschwellenbereich) EuGH, Urteil v. 14.6.2007, MedipacKazantzidis, Rs. C-6/05, Slg. 2007, I-4557; EuGH, Urteil v. 20.10.2005, Kommission/Frankreich, Rs. C-264/03, Slg. 2005, I-8831 Rn. 32 f.; BVerfG, Beschluss v. 13.6.2006, BVerfGE 116, S. 135; BVerwG, Beschluss v. 2.5.2007, BVerwGE 129, S. 9; Dreher, NZBau 2002, S. 419; Fett, VergabeR 2007, S. 288; Huber, JZ 2000, S. 877; Wilke, NordÖR 2006, S. 481, 483 f.; (zu den Ausnahmen nach § 100 Abs. 2 GWB) OVG Koblenz, Beschluss v. 25.5.2005, NZBau 2005, S. 411; Prieß/Hölzl, LKV 2006, S. 481, Prieß/Hölzl, NZBau 2005, S. 367; (zu Dienstleistungskonzessionen) EuGH, Urteil v. 7.12.2000, Telaustria, Rs. C-324/98, Slg. 2000, I-10745; EuGH, Urteil v. 21.7.2005, Coname, Rs. C-231/03, Slg. 2005, I- 7287; EuGH, Urteil v. 13-10.2005, Parking Brixen, Rs. C-458/03, Slg. 2005, I-8585; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 26.7.2002, NZBau 2002, S. 634; OLG Frankfurt, Beschluss v. 27.10.2005, NZBau 2004, S. 692; Hausmann, VergabeR 2007, S. 325; ausführlich Ruhland, Die Dienstleistungskonzession; Wilke, NordÖR 2006, S. 481, 483 f. Siehe S. 66 ff.

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che und praktische Folgen nach sich.28 Zu den nachrangigen Dienstleistungen zählen gem. Anhang I B VOL/A bzw. VOF und Anhang II B VKR bzw. Anhang XVII SKR Dienstleistungen auf den Gebieten Rechtsberatung, Eisenbahnen, Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs, Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen, Arbeits- und Arbeitskräftevermittlung, Auskunfts- und Schutzdienste, Gaststätten und Beherbergungsgewerbe, Schifffahrt, Unterrichtswesen und Berufsbildung, Erholung, Kultur und Sport und sonstige Dienstleistungen (wie etwa Abschleppleistungen). Warum diese Dienstleistungen als „nachrangig“ eingeordnet werden, wird kaum begründet. Als einzige Begründung wird meist angeführt, dass die als nachrangig kategorisierten Dienstleistungen keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen.29 Allerdings überzeugt die Unterscheidung nicht. Ein Blick auf den Katalog der nachrangigen Dienstleistungsaufträge zeigt, dass es sich keinesfalls um unwichtige Dienstleistungen handelt, sondern dass wirtschaftlich wichtige Kategorien von der Einordnung betroffen sind. Schon allein die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen nachrangigen Dienstleistungen verbietet es, ihnen per se den grenzüberschreitenden Bezug abzusprechen. Auch verwundert es, dass ein wirtschaftlich relevanter Bereich des Vergabewesens weitgehend vergaberechtsfrei ist, während das Vergaberecht ansonsten strenge Regeln vorgibt. Die Unterscheidung wirkt sich nicht nur bei der eigentlichen Vergabe, sondern insbesondere auch beim Rechtsschutz der Betroffenen aus. Soll die Geltung des Vergaberechts davon abhängig gemacht werden, dass eine Dienstleistung als vor- oder als nachrangig eingeordnet wird? Zwar waren nachrangige Dienstleistungsaufträge in der Vergangenheit – zumindest oberhalb der Schwellenwerte – vielfach Gegenstand von Beschlüssen der Vergabekammern und Oberlandesgerichte.30 Jedoch wurde nie in Frage gestellt, dass und warum nur wenige Regeln bei der Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge zu beachten sind. Erst seit der jüngeren Vergangenheit befassen sich Judikative und Schrifttum mit den rechtlichen Problemen in diesem Be-

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So auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.5.2007, VergabeR 2007, S. 622, 627 f.; Anm. Gabriel, VergabeR 2007, S. 630, 632 f. Vgl. Erwägungsgrund 18, 19 VKR; ähnlich EuGH, Urteil v. 13.11.2007, Kommission/Irland (An Post), Rs. C-507/03, Slg. 2007, I-9777 Rn. 32; VK Saarbrücken, Beschluss v. 19.5.2006, 3 VK 03/2006; Brown, PPLR 2008, S. NA35, 38; Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 2 Rn. 46; Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts, S. 144. Ausführlicher zur Begründung der Unterscheidung unten S. 63 ff. Vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss v. 9.3.2007, VII-Verg 5/07 (Schleusendecksdienste); VK Saarland, Beschluss v. 19.5.2006, 3 VK 03/2006 (Laborleistungen); VK Nordbayern, Beschluss v. 24.2.2006, 21. VK-3194-2/06 (Rechtsberatung); VK Thüringen, Beschluss v. 24.4.2003, 216-4003.20-010/03-SLF (Schülerspeisung); VK Weimar, Beschluss v. 12.2.2001, 216-4003.20-001/01-GTH (Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle).

reich.31 Auf europäischer Ebene ist vor allem die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, relevant.32 Sie kann als Auslegungshilfe berücksichtigt werden.33 Festzuhalten ist jedenfalls, dass auf dem Gebiet der nachrangigen Dienstleistungsaufträge nach wie vor vieles unklar ist.

B.

Ziel und Gang der Untersuchung

Das Ziel der Untersuchung ist es, die Vorgaben zu ermitteln, die bei der Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge beachtet werden müssen. Im 2. Abschnitt des 1. Teils wird vorab geklärt, was der Begriff der nachrangigen Dienstleistungsaufträge beinhaltet. Eingangs wurde bereits erwähnt, dass es nur wenige einfachrechtliche Regeln gibt, die bei der Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge gelten. Zur Überprüfung dieser Aussage werden zunächst die einfachrechtlichen Normen, die allgemein für die Vergabe öffentlicher Aufträge gelten, untersucht. Das bestehende System, das zwischen verschiedenen Arten von Aufträgen unterscheidet, wird an dieser Stelle noch nicht in Frage gestellt. Es wird ein Katalog von einfachrechtlichen Normen ermittelt, die de lege lata bei der Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge beachtet werden müssen. Die Untersuchung stellt dazu im 2. Teil eingangs die Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts und des einfachen deutschen Rechts dar. Im 1. Abschnitt werden die Vorgaben aus der Vergabekoordinierungsrichtlinie und der Sektorenkoordinierungsrichtlinie sowie aus weiterem sekundären Unionsrecht umrissen. Dann werden die Vorgaben aus dem einfachen deutschen Recht untersucht. Dabei werden neben 31

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Vgl. im Wesentlichen EuGH, Urteil v. 13.11.2007, Kommission/Irland (An Post), Rs. C-507/03, Slg. 2007, I-9777; EuGH, Urteil v. 27.10.2005, Contse, Rs. C-234/03, Slg. 2005, I-9315; EuGH, Urteil v. 14.11.2002, Felix Swoboda, Rs. C-411/00, Slg. 2002, I10567; OLG Stuttgart, Beschluss v. 7.6.2004, VergabeR 2005, S. 247; Bitterich, EuZW 2008, S. 14; Brandi-Dohrn, NJW 1998, S. 857 ff. (in Bezug auf nachrangige Dienstleistungen, die nach der VOF vergeben werden); Brown, PPLR 2008, S. NA35, Lutz, VergabeR 2007, S. 372 ff.; Diehr, VergabeR 2009, S. 719 ff.; GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 14.9.2006, Kommission/Irland (An Post), Rs. C-507/03, Slg. 2007, I-9777; Otting, in: Pünder/Prieß, Brennpunkte des öffentlichen Personennahverkehrs, S. 141 ff.; Wustmann, VergabeR 2006, S. 720. Wilke, NordÖR 2006, S. 481, 483 f., der in seiner Abhandlung auch die Mitteilung der Kommission v. 1.8.2006 erörtert, übersieht schlicht, dass es zusätzlich noch die Ausnahme der „nachrangigen Dienstleistungsaufträge“ gibt und bespricht nur den Unterschwellenbereich und Dienstleistungskonzessionen. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, Abl. EG v. 1.8.2006, Nr. C 179/2. Vgl. Bitterich, NVwZ 2007, S. 890, 892. Ausführlich zu den Vorgaben aus den Grundfreiheiten unten S. 200 ff.

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den Vorgaben aus dem GWB, der Vergabe- und der Sektorenverordnung (2. Abschnitt) auch kurz die Vorgaben aus dem deutschen Wettbewerbsrecht berücksichtigt (3. Abschnitt). Der Fokus liegt bei der Vorstellung der Vorgaben aus der VOL/A und der VOF. Bei der Prüfung der Vorgaben aus der VOL/A (4. Abschnitt) wird besonderes Augenmerk auf das Problem gerichtet, dass nach dem Wortlaut der VOL/A im Bereich oberhalb der unionsrechtlichen Schwellenwerte neben den §§ 8 EG, 15 EG Abs. 10 und 23 EG VOL/A auch der erste Abschnitt der VOL/A für die Vergabe von nachrangigen Dienstleistungen gilt. Sodann werden die Vorgaben aus der VOF untersucht (5. Abschnitt). Das nationale Verfassungsrecht und das europäische Unionsrecht stehen als „Dach“ über allen rechtlich relevanten Sachverhalten.34 Daher wird im 3. Teil das höherrangige Recht analysiert. Welche Vorgaben gelten nach höherrangigem Recht für die Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge? Zum einen geht es – im 1. Abschnitt – um die Vorgaben aus dem Verfassungsrecht. Nach der Bejahung der Grundrechtsbindung der öffentlichen Auftraggeber werden die Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG untersucht. Anschließend werden die Vorgaben aus Art. 12 Abs. 1 GG und aus anderen Normen des Grundgesetzes erörtert. Zum anderen werden – im 2. Abschnitt – die Vorgaben aus dem unionsrechtlichen Primärrecht erörtert. Zunächst wird geprüft, ob das Primärrecht trotz der teilweisen Regelung im Sekundärrecht (Art. 21 VKR bzw. 32 SKR) Anwendung auf die Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge findet. Sodann wird untersucht, ob nachrangige Dienstleistungsaufträge überhaupt grenzüberschreitenden Bezug haben. Die Frage ist besonders wichtig, weil davon die Anwendbarkeit des höherrangigen Unionsrechts abhängt. Die Untersuchung befasst sich dann mit den einzelnen Vorgaben aus den Grundfreiheiten. Nach der Bejahung der Bindung der öffentlichen Auftraggeber an die Grundfreiheiten werden die einzelnen Grundfreiheiten analysiert. Die Untersuchung befasst sich besonders ausführlich mit der in Art. 56 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit. Im Anschluss daran werden die übrigen primärrechtlichen Normen, die für die Vergabe von nachrangigen Dienstleistungen relevant sind, behandelt. Dabei wird auch das europäische Wettbewerbsrecht erörtert. Hier wird sich vor allem darauf konzentriert, inwieweit die Vergabe eines öffentlichen Auftrags eine nach Art. 107 ff. AEUV verbotene Beihilfe darstellen kann. Im 4. Teil wird ermittelt, welche prozeduralen Möglichkeiten Betroffene – vor allem unterlegene Bieter – haben, um die Durchsetzung der Vergaberegeln zu erreichen. Es werden zunächst die vergaberechtlichen Primärrechtsschutzmöglichkeiten untersucht (1. Abschnitt). Es wird überlegt, ob überhaupt Primärrechtsschutz zu gewähren ist. Dabei wird zwischen nachrangigen Dienstleis34

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Vgl. zum Geltungsvorrang des Grundgesetzes Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung) und zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts beispielhaft EuGH, Urteil v. 5.2.1963, Van Gend & Loos, Rs. C-26/62, Slg. 1963, S. 1.

tungsaufträgen ober- und unterhalb der Schwellenwerte unterschieden. Sodann wird der Umfang der Primärrechtsschutzgewährung erörtert. Im Anschluss werden die Organe besprochen, die für den Primärrechtsschutz zuständig sind. Im zweiten Abschnitt werden kurz die sekundärrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten im Vergaberecht dargestellt. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten der Beteiligten außerhalb des Vergaberechts. Im 5. Teil der Untersuchung werden die Untersuchungsergebnisse zusammengefasst (1. Abschnitt). Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen wird die gegenwärtige Rechtslage bewertet und ein Reformvorschlag vorgestellt (2. Abschnitt). Insgesamt soll die Abhandlung die Fragen und Unsicherheiten auf dem Gebiet der nachrangigen Dienstleistungsaufträge beantworten und beseitigen. Das Haupterkenntnisinteresse der Arbeit liegt in der umfassenden Untersuchung dieses Rechtsbereichs und der Einordnung der nachrangigen Dienstleistungsaufträge in das geltende Recht. Bislang findet sich weder eine Aufstellung eines einfachrechtlichen Normenkatalogs für die Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge noch eine Zusammenfassung der Vorgaben aus höherrangigem Recht. Auch die Frage des Rechtsschutzes bei der Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge wurde in der Vergangenheit noch nicht umfassend diskutiert. Ein weiteres Erkenntnisinteresse liegt in der Erarbeitung eines Reformvorschlages.

C. Rückgriff auf Auftragsarten mit vergleichbarer rechtlicher Ausgangslage Die Vergabe von nachrangigen Dienstleistungen wurde bislang in der Literatur und Rechtsprechung nur wenig behandelt.35 Es gibt Auftragsarten, die eine vergleichbare rechtliche Ausgangslage haben. Diese Bereiche werden zwar im Gegensatz zu nachrangigen Dienstleistungsaufträgen vollständig von der Anwendung des europäischen und deutschen Vergaberechts ausgenommen. Die Parallelen sind aber nicht von der Hand zu weisen.36 Für diese Untersuchung wird auf die Literatur und Rechtsprechung zu diesen Bereichen zurückgegriffen. Sie sind 35

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Vgl. im Wesentlichen EuGH, Urteil v. 18.12.2007, Kommission/Irland, Rs. C-532/03, Slg. 2007, I-11353; EuGH, Urteil v. 13.11.2007, Kommission/Irland (An Post), Rs. C507/03, Slg. 2007, I-9777 Rn. 25 ff.; EuGH, Urteil v. 27.10.2005, Contse, Rs. C-234/03, Slg. 2005, I-9315; EuGH, Urteil v. 14.11.2002, Felix Swoboda, Rs. C-411/00, Slg. 2002, I-10567; OLG Stuttgart, Beschluss v. 7.6.2004, VergabeR 2005, S. 247; aus der Literatur befassten sich hauptgegenständlich mit nachrangigen Dienstleistungen etwa Bitterich, EuZW 2008, S. 14; Brown, PPLR 2008, S. NA35; Diehr, VergabeR 2009, S. 719 ff.; Otting, in: Pünder/Prieß, Brennpunkte des öffentlichen Personennahverkehrs, S. 141 ff.; Wustmann, VergabeR 2006, S. 720. Siehe schon oben S. 4 ff. So auch Prieß/Hölzl, LKV 2006, S. 481, 484; ähnlich Bitterich, EuZW 2008, S. 14, 15 ff.

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aus unterschiedlichen Gründen – etwa quantitativer oder begrifflicher Art – nicht dem Vergaberecht unterstellt. Weil die Gründe so unterschiedlich sind, ist die Übertragung nicht immer einfach.37 Die Übertragung wird aber häufig in Abhandlungen und Urteilen, die sich mit der Vergabe nachrangiger Dienstleistungsaufträge befassen, vorgenommen.38

I.

Aufträge unterhalb der unionsrechtlichen Schwellenwerte

Aufträge unterhalb der unionsrechtlichen Schwellenwerte sind gem. § 100 Abs. 1 i.V.m. § 127 GWB und § 1 Abs. 1 VgV von der Geltung des Vergaberechts ausgenommen. Die Schwellenwerte bei Dienstleistungsaufträgen liegen je nach Dienstleistungskategorie zwischen 499.000 Euro (vgl. § 1 Abs. 2 SektVO i.V.m. Art. 16 lit. a SKR) und 125.000 Euro (vgl. § 2 Nr. 1 VgV). Sie werden durch das sekundäre Unionsrecht festgelegt und beruhen auf Art. 7 VKR bzw. Art. 16 SKR.39 Die Berechnung der Schwellenwerte richtet sich ausschließlich nach der Vergabe- und der Sektorenverordnung.40 Eine Modifizierung durch die VOL/A oder VOF ist nicht möglich.41 Die Schwellenwerte müssen gem. Art. 78 Abs. 1 VKR bzw. Art. 69 SKR alle zwei Jahre überprüft und können angepasst werden.42 37 38

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Vgl. McGowan, PPLR 2008, S. NA48, 50. Vgl. etwa EuGH, Urteil v. 13.11.2007, Kommission/Irland (An Post), Rs. C-507/03, Slg. 2007, I-9777; Bitterich, EuZW 2008, S. 14; Brown, PPLR 2008, S. NA35, 38 f.; McGowan, PPLR 2008, S. NA48, 50; Pietzcker, Die Zweiteilung des Vergaberechts, S. 76 (der – umgekehrt – die nachrangigen Dienstleistungsaufträge als Vergleich zu den Aufträgen im Unterschwellenbereich heranzieht); GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 14.11.2006, Kommission/Irland, Rs. C-532/03, Slg. 2007, I-11353 Rn. 56 ff.; GA StixHackl, Schlussanträge v. 14.9.2006, Kommission/Irland (An Post), Rs. C-507/03, Slg. 2007, I-9777 Rn. 68. Vgl. auch Kraft-Lehner, Subjektive Rechte und Rechtsschutz des Bieters im Vergaberecht unterhalb der EU-Schwellenwerte, S. 52. Die EU-Schwellenwerte werden durch die EU jeweils für zwei Jahre verbindlich festgelegt. (vgl. Art. 78 VKR und 69 SKR). Eine Anpassung im deutschen Recht erfolgt aber in der Regel nicht sofort (vgl. Fett, VergabeR 2007, S. 288). Vgl. Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht VgV § 2 Rn. 3121. Vgl. BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2002, VergabeR 2002, 662, 663 f.; 1. VK Bund, Beschluss v. 2.5.2003, VK 1/25/03 (zur Vergabe nach der VOB/A); Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, VgV § 2 Rn. 3121. Vgl. Art. 78 Abs. 1 VKR (Neufestsetzung der Schwellenwerte): „Die Kommission überprüft die in Artikel 7 genannten Schwellenwerte alle zwei Jahre ab Inkrafttreten der Richtlinie und setzt diese, soweit erforderlich, nach dem in Artikel 77 Absatz 2 genannten Verfahren neu fest.“ Entsprechendes steht in Art. 69 SKR. Die angepassten Schwellenwerte werden in Verordnungen veröffentlicht (vgl. zuletzt Verordnung (EG) Nr. 1422/2007 der Kommission vom 4. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren (Text von Bedeutung für den EWR) ABl. EG v. 5.12.2007, Nr. L 317/34, f.).

Aufträge unterhalb der Schwellenwerte sind von der Geltung des sekundären Unionsrechts und der §§ 97 ff. GWB ausgenommen, weil sie – wie nachrangige Dienstleistungsaufträge auch43 – als nicht relevant für den Binnenmarkt angesehen werden.44 Die Argumentation ähnelt der Begründung, die für die Unterscheidung zwischen vor- und nachrangigen Dienstleistungen gegeben wird.45 Aufträge unterhalb der Schwellenwerte seien wirtschaftlich unbedeutend: Die Auftragswerte seien so gering, dass sich Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten nicht um die Vergabe bewerben würden.46 Ein Auftrag müsse ein gewisses Volumen erreichen, damit er für den Unternehmer rentabel sei und er den Aufwand einer Bewerbung – einschließlich erheblicher Transaktionskosten – in einem anderen Mitgliedstaat auf sich nehme.47 Nur in diesen Fällen sei es gerechtfertigt, Unternehmer und Auftraggeber mit der Durchführung von kosten- und zeitintensiven europäischen Ausschreibungsverfahren zu belasten. Der europäische Gesetzgeber habe nur das europarechtlich Unvermeidliche tun, aber nicht das gesamte Vergaberecht umgestalten und einem strengen Regelkatalog unterwerfen wollen.48 Bei den Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte führe eine umfassende europäische Ausschreibungspflicht eher zu einer Beschränkung des Marktes als zu einer Marktöffnung.49 Wie das Verfahren unterhalb der Schwellenwerte gestaltet werde, solle im Ermessen der Mitgliedstaaten, also in ihrem Entscheidungsspielraum verbleiben.50 Das könne auch aus dem Subsidiaritätsgrundsatz abgeleitet werden.51

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Zur mangelnden Binnenmarktrelevanz der nachrangigen Dienstleistungsaufträge siehe S. 63 ff. und S. 190 ff. Vgl. BT-Drucksache 13/9340 v. 3.12.1997, S. 15; dazu auch Bitterich, EuZW 2008, S. 14, 17; Breloer, Europäische Vorgaben und das deutsche Vergaberecht, S. 25; Dreher, NZBau 2002, S. 419, 420; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Vorbemerkung Vor §§ 97 ff. Rn. 50; Malmendier, DVBl. 2000, 963, 967; dazu auch kürzlich GA Sharpston, Schlussanträge v. 18.1.2007, Kommission/Finnland, Rs. C-195/04, Slg. 2007, I-3351 Rn. 85, 94. Siehe S. 63 ff. Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge v. 18.1.2007, Kommission/Finnland, Rs. C-195/04, Slg. 2007, I-3351 Rn. 94. Vgl. Breloer, Europäische Vorgaben und das deutsche Vergaberecht, S. 25; Dreher, NZBau 2002, S. 419, 420. Vgl. Pietzcker, in: Schwarze, Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, S. 62; Wollenschläger, NVwZ 2007, S. 388, 389. Vgl. Otting, in: Bechtold/Otting, GWB, § 100 Rn. 1; Breloer, Europäische Vorgaben und das deutsche Vergaberecht, S. 25. Vgl. Breloer, Europäische Vorgaben und das deutsche Vergaberecht, S. 119; GA Sharpston, Schlussanträge v. 18.1.2007, Kommission/Finnland, Rs. C-195/04, Slg. 2007, I-3351 Rn. 88. Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge v. 18.1.2007, Kommission/Finnland, Rs. C-195/04, Slg. 2007, I-3351 Rn. 88.

35

II.

Gesetzlich geregelte Ausnahmefälle nach § 100 Abs. 2 GWB

§ 100 Abs. 2 GWB beschränkt den sachlichen Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB weiter und sieht eine Reihe von Ausnahmefällen vor. Die Norm setzt die Vorgaben aus dem Unionsrecht um.52 Sie beruht auf Art. 10 bis 16 VKR bzw. Art. 19 bis 21 SKR. Der Katalog in § 100 Abs. 2 GWB ist abschließend.53 Die Ausnahmen sind eng auszulegen.54 Die Ausnahmetatbestände sind nicht analogiefähig.55 Ob tatsächlich ein Tatbestand des § 100 Abs. 2 GWB vorliegt, muss von den Nachprüfungsinstanzen von Amts wegen geprüft werden.56 Die Anwendung der Vergaberegeln wird für die in § 100 Abs. 2 GWB aufgeführten Ausnahmefälle als unpassend empfunden.57 Die Ausnahmefälle wurden zum großen Teil aus politischen Gründen in § 100 Abs. 2 GWB aufgenommen.58 Es ist kein einheitliches Prinzip erkennbar, das die Ausnahmen legitimiert.59 Arbeitsverträge werden gem. § 100 Abs. 2 Halbsatz 1 GWB von der Geltung ausgenommen, weil sie gar nicht die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags erfüllen.60 Aufträge, die in § 100 Abs. 2 lit. a, b und c GWB genannt werden, sind von §§ 97 ff. GWB ausgenommen, weil die jeweiligen Aufträge nach anderen Rechtsvorschriften vergeben werden: Aufträge über Truppenstationierungen (§ 100 Abs. 2 lit. a GWB) werden ausgenommen, weil sie auf der

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§ 100 Abs. 2 GWB beruht auf Art. 13 bis 16 VKR bzw. Art. 19 bis 28 SKR. Vgl. auch Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 545; Stickler, in: Raidt/Stickler/ Glahs, Vergaberecht, § 100 Rn. 12; Ziekow, VergabeR 2007, S. 711, 712 (allerdings nur zur Umsetzung der Vorgaben aus der VKR). Vgl. BT-Drucksache 13/9340 v. 3.12.1997, S. 15; OLG Düsseldorf, 5.5.2004, VergabeR 2004, S. 619, 622; Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 20; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht GWB § 100 Rn. 1274. Vgl. EuGH, Urteil v. 10.3.1987, Kommission/Italien, Rs. 199/85, Slg. 1987, 1039 Rn. 14; konkret zur Auslegung des § 100 GWB Boesen, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 39; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 100 Rn. 23 ff.; Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 20; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 545; Marx, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB Teil A, § 100 Rn. 4; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, § 100 Rn. 12; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, GWB § 100 Rn. 1275. Vgl. Ziekow, VergabeR 2007, S. 711, 712. Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 30.4.2003, Verg 61/02; einschränkend OLG Düsseldorf, Beschluss v. 30.3.2005, VII Verg 101/04 8, wonach auch Bieter (hier: eine Bietergemeinschaft) antragsbefugt sind. Ausführlich zum Rechtsschutz S. 262 ff. Siehe Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 523. Vgl. Anm. Schabel, VergabeR 2003, S. 38, 39. Vgl. (zu § 1a VOL/A a.F.) Marx, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 1a Rn. 38; Marx, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB Teil A, § 100 Rn. 3 spricht von einem „Sammelsurium“ von Gründen. Vgl. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 546.

Grundlage von NATO-Richtlinien vergeben werden61 oder sie beziehen sich auf UNO-Truppenstationierungen, SFOR-Truppen oder die deutsch-französische Brigade.62 Gemeinsame Projekte mit Drittstaaten werden gem. § 100 Abs. 2 lit. b GWB nicht den Vergaberegeln unterstellt, wenn und weil andere Verfahrensregeln aus internationalem Abkommen gelten.63 Ähnliches gilt für Aufträge einer internationalen Organisation, die in einem besonderen Verfahren vergeben werden (§ 100 Abs. 2 lit. c GWB).64 Die Ausnahmen in § 100 Abs. 2 lit. d und lit. e GWB dienen dem Schutz von innen- und außenpolitischen Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen.65 Allerdings ist fragwürdig, ob die Nichtausschreibung das geeignete Mittel zur Verwirklichung der Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen darstellt, weil die Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen auch durch Maßnahmen wie Sicherheitsüberprüfungen oder ähnlichem unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erreicht werden können.66 § 100 Abs. 2 lit. f und i GWB beziehen sich auf Aufträge, die von Sektorenauftraggebern vergeben werden.67 Während § 100 Abs. 2 lit. f GWB Eigengeschäfte der Sektorenauftragnehmer (Einkauf von Wasser bzw. Beschaffung von Energie oder Brennstoffen) vergaberechtsfrei ermöglichen soll, beruht die Ausnahme in § 100 Abs. 2 lit. o GWB (konzerninterne Dienstleistungsverträge von Sektorenauftraggebern) darauf, die Anwendung der Vergabevorschriften für Sektorenauftraggeber auf den Sektorenbereich zu beschränken. Entsprechendes muss für die weiteren Sonderregeln für Trinkwasser- und Energieversorger nach

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Vgl. 2. VK Bund, Beschluss v. 20.12.2005, VK2-159/05. Vgl. Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 23 f.; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 547. Vgl. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 550. Vgl. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 551. Vgl. Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 29; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, § 100 Rn. 17; zu beiden Ausnahmen Prieß/Hölzl, NZBau 2005, S. 367, 368. Die Ausnahme aus § 100 Abs. 2 lit. e GWB, die die Beschaffung von harten Rüstungsgütern von der Geltung des Vergaberechts ausnimmt, ist in Abhängigkeit von Art. 346 AEUV auszulegen. Inwieweit die unterschiedlichen Ausnahmevorschriften sich überschneiden können, zeigen Prieß/Hölzl, LKV 2006, S. 481, 483: Wenn Sicherheitsdienstleistungen „beschafft“ werden sollen, kommen mehrere Ausnahmetatbestände in Betracht: Sicherheitsdienstleistungen werden zum einen von Anhang I B VKR bzw. Anhang XVII B SKR erfasst. Zum anderen können sie gem. § 100 Abs. 2 lit. d GWB vom Vergaberecht ausgenommen sein. Auch gilt die Schwellenwertregelung des § 100 Abs. 1 GWB für Sicherheitsdienstleistungen. Dazu ebenfalls Stober, NJW 2007, S. 2008, 2010 ff., der kritisiert, dass Sicherheitsdienstleistungen nicht per se vom Vergaberecht ausgenommen sind. Vgl. ausführlich Prieß/Hölzl, LKV 2006, S. 481, 483; Prieß/Hölzl, NZBau 2005, S. 367, 373 m.w.N. Die Ausnahmen für den Sektorenbereich werden nun in der Sektorenverordnung weiter ausgeführt.

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§ 100 Abs. 2 lit. o bis t GWB gelten.68 Damit Mehrfachausschreibungen vermieden werden, müssen Aufträge an andere Auftraggeber nach § 100 Abs. 2 lit. g GWB nicht nach den Regeln der §§ 97 ff. GWB vergeben werden.69 Immobilienbezogene Dienstleistungsaufträge müssen nach § 100 Abs. 2 lit. h GWB nicht ausgeschrieben werden, weil sie Merkmale aufweisen, die die Anwendung von Vorschriften unangemessen erscheinen lassen.70 Wegen der Individualität der einzelnen Grundstücke können sie nur schwer verglichen werden und eignen sich daher nicht oder nur sehr beschränkt zur Vergabe im Wettbewerb.71 Aufträge über den Kauf, die Entwicklung, die Produktion oder Koproduktion von Programmen und die Ausstrahlung von Sendungen gem. § 100 Abs. 2 lit. j GWB werden ebenfalls ausgenommen, weil eine Vergabe nach strikten Vergaberegeln als unangemessen empfunden wird. Dienstleistungen im Fernseh- und Rundfunkbereich kommt eine kulturelle und gesellschaftspolitische Funktion zu, die nicht durch Vergaberegeln eingeschränkt werden soll.72 Die Ausnahme für öffentliche Telekommunikationsdienstleistungen in § 100 Abs. 2 lit. k GWB beruht auf der Sonderstellung, die der öffentliche Telekommunikationsmarkt innehat.73 Schiedsgerichts- und Schlichtungsleistungen sind gem. § 100 Abs. 2 lit. l GWB ausgenommen, weil die Auswahl von Organisationen und Personen auf eine Weise erfolgt, die nicht mit dem Vergaberecht zu vereinbaren ist.74 Insbe68

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Vgl. (zu § 100 Abs. 2 lit. i GWB a.F.) Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 55; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 565. Vgl. Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100, Rn. 43; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 566; Jasper, DB 1998, S. 2153. Vgl. Erwägungsgrund 24 VKR. § 100 Abs. 2 lit. h GWB betrifft nur Grundstücksgeschäfte, die in Verbindung mit Dienstleistungsaufträgen stehen. Die Einschränkung auf Dienstleistungsaufträge ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des GWB, jedoch aus einer europarechtskonformen Auslegung des 24. Erwägungsgrundes der VKR (dazu Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 49). Sind Bauleistungsaufträge involviert, richtet sich die Vergabe nach § 99 Abs. 3 GWB (vgl. Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 100 Rn. 49 ff.; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, § 100 Rn. 22). Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH, Urteil v. 18.1.2007, Stadt Roanne, Rs. C-220/05, Slg. 2007, I-385 und des OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.6.2007, NZBau 2007, S. 530 ist die Veräußerung von Grundstücksverträgen, die mit städtebaulichen Verträgen verbunden sind, vergaberechtspflichtig, weil alle Voraussetzungen eines öffentlichen Bauauftrags erfüllt sind und keine Ausnahmevorschrift einschlägig ist. Vgl. Otting, in: Bechtold/Otting, GWB, § 100 Rn. 17; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 570. Vgl. Erwägungsgrund 25 VKR; dazu auch Otting, in: Bechtold/Otting, GWB, § 100 Rn. 19. Die Ausnahme beruht auf Art. 1 Nr. 4 lit. c Abs. 2 SKR. Vgl. Erwägungsgrund 26 VKR.

sondere lässt sich das besondere Vertrauen zwischen den Parteien und dem Schiedsgericht oder Schlichter nicht über eine öffentliche Ausschreibung herstellen.75 Aufträge über die Vergabe von Finanzdienstleistungen gem. § 19 Abs. 2 lit. m GWB sind von §§ 97 ff. GWB befreit, weil ebenfalls ein besonderes Vertrauensverhältnis aufgebaut werden muss.76 Die ebenfalls unter lit. m fallende Aufnahme von Kapital und Krediten durch die öffentlichen Auftraggeber erfüllt gar nicht die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags.77 Forschungsund Entwicklungsdienstleistungen (§ 100 Abs. 2 lit. n GWB) müssen – jedenfalls wenn es sich nicht um Auftragsforschung handelt (vgl. § 100 Abs. 2 lit. n Halbsatz 2 GWB) – nicht nach Vergaberecht vergeben werden, weil die Besonderheiten im Bereich der Forschung dies erfordern.78 Die Zielsetzungen und die Mittel der Förderung sind im Einzelnen so unterschiedlich, dass eine Vergabe nach strengen Vergaberegeln der Zielsetzung der Union, die Forschung und Entwicklung zu unterstützen, um die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen der europäischen Industrie zu stärken, nicht gerecht würde.79

III. Dienstleistungskonzessionen Dienstleistungskonzessionen sind nicht vom sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts erfasst.80 Zwar werden Dienstleistungskonzessionen in Art. 1 Abs. 4 VKR bzw. Art. 1 Abs. 3 lit. b SKR genannt. Die Vorschriften enthalten 75 76 77

78 79. 80

Vgl. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 573; Otting, in: Bechtold/Otting, GWB, § 100 Rn. 21. Vgl. Otting, in: Bechtold/Otting, GWB, § 100 Rn. 23. Vgl. Erwägungsgrund 27 VKR; Eschenbruch/Röwekamp, in: Kulartz/Kus/Portz, GWBVergaberecht, § 100 Rn. 65; ausführlich zu Finanzdienstleistungen und zur Frage, wann sie unter die Ausnahme des § 100 Abs. 2 lit. m GWB fallen Stickler, VergabeR 2009, S. 376, 377 f. m.w.N. Vgl. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 Rn. 582 Vgl. Erwägungsgrund 23 VKR. Vgl. EuGH, Urteil v. 13. 10.2005, Parking Brixen, Rs. C-458/03, Slg. 2005, I-8585; EuGH, Urteil v. 21.7.2005, Coname, Rs. C-231/03, Slg. 2005, I-7287 Rn. 16 ff.; EuGH, Beschluss v. 30.5.2002, Verlagsvertrag, Rs. C-358/00, Slg. 2002, I-4685 Rn. 21 ff.; EuGH, Urteil v. 7.12.2000, Telaustria, Rs. C-324/98, Slg. 2000, I-10745; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, Abl. EG v. 1.8.2006, Nr. C 179/2; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8.9.2004, NZBau 2005, S. 650 f.; BayObLG, Beschluss v. 11.12.2001, NZBau 2002, S. 233 ff.; OLG Brandenburg, Beschluss v. 3.8.2001, VergabeR 2002, S. 45, 48, Boesen, GWBVergaberecht, § 99 Rn. 34; Bungenberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2: GWB, § 99 Rn. 52; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 99 Rn. 120; Hausmann, VergabeR 2007, S. 325, 327, 333; Knopp, DÖV 2004, S. 604, 605; Marx, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB Rn. 13; Ruhland, Die Dienstleistungskonzession, S. 194, 197; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, § 99 Rn. 33.

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jedoch nur eine Definition. Dass Dienstleistungskonzessionen von der Geltung des europäischen Vergaberechts ausgenommen sind, besagen auch Art. 17 VKR bzw. Art. 18 SKR.81 Der Begriff „Dienstleistungskonzession“ wurde – sowohl begrifflich als auch inhaltlich – in den letzten Jahren vom europäischen Unionsrecht geprägt.82 Eine Legaldefinition der Dienstleistungskonzessionen findet sich in Art. 1 Abs. 4 VKR bzw. Art. 1 Abs. 3 lit. b SKR.83 Dienstleistungskonzessionen sind Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Die Dienstleistung muss nicht im Allgemeininteresse liegen.84 Derjenige, der die Pflichten übernimmt, ist der Konzessionär.85 Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit muss sich auf Dienstleis-

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Art. 17 VKR: „Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 3 gilt diese Richtlinie nicht für Dienstleistungskonzessionen gemäß Artikel 1 Absatz 4.“ Entsprechendes steht in Art. 18 SKR. Teilweise wird eine analoge Anwendung des Vergaberechts angedacht (so zum Beispiel von Knopp, DÖV 2004, S. 604, 610; ähnlich auch Enzian, DVBl. 2002, S. 235, 238, die letztlich die Vorschriften der VOL anwenden will; ähnlich auch Böckel, LKV 2003, S. 393, 397; Schalast, MMR 2005, S. 581, 584). Eine solche ist aber mangels planwidriger Regelungslücke abzulehnen. Vgl. Burgi, DVBl. 2003, S. 949, 952. Von Ruhland, Die Dienstleistungskonzession, S. 25 wird diese Definition nur als „Begriffsansatz“ bezeichnet. Manche meinen, dass nur Aufgaben im Allgemeininteresse nicht ausschreibungspflichtig sind (vgl. VG Neustadt a. d. Weinstraße, Beschluss v. 6.9.2001, VergabeR 2002, S. 51, 53 f.). Diesem Standpunkt folgen GA Alber, Schlussanträge v. 18.3.1999, RI.SAN, Rs. C-108/98, Slg. 1999, I-5219 Rn. 50; Böckel, LKV 2003, S. 393; Schimanek, NZBau 2005, S. 304, 309 f. Nettesheim, EWS 2007, S. 145, 148 f., betont, dass Dienstleistungskonzessionen zwar nicht auf Tätigkeiten beschränkt sind, die der Daseinsvorsorge zuzuordnen sind oder dem Allgemeininteresse dienen; allerdings spricht er von „Gemeinwohlsicherungen“, die die unternehmerische Freiheit des Konzessionärs einschränken. Bei dieser Diskussion werden aber Fragen der Anwendbarkeit des Vergaberechts vermischt (so auch Gröning, VergabeR 2002, S. 24, 26; Opitz, NZBau 2003, S. 252, 254). Im Hinblick auf die europäische Praxis kann eine solche Einordnung nicht vorgenommen werden – entweder, weil gar keine Leistung der Daseinsvorsorge vorliegt oder weil ausdrücklich nicht an das Allgemeininteresse angeknüpft wird (vgl. Jennert, NZBau 2005, S. 131, 132). Zudem ist nicht ersichtlich, woher die Vertreter dieser Meinung entnehmen, dass nur solche Dienstleistungskonzessionen erteilt werden dürfen, deren Gegenstand im öffentlichen Interesse bzw. im Allgemeininteresse liegt. Eine solche Voraussetzung ist weder in der Richtliniendefinition noch in anderen Regelungen zu finden. Steinberg, NZBau 2007, S. 150, 155 schließt aus dem wiederholten Schweigen des EuGH zu der Frage, ob die Tätigkeit des Konzessionsnehmers im öffentlichen Interesse zu erfolgen habe und aus der Mitteilung der Kommission, dass ein solches öffentliches Interesse nicht zwingend erforderlich ist. Vgl. Enzian, DVBl. 2002, S. 235, 237.

tungen beziehen.86 Dabei überträgt der Staat die Zuständigkeit für eine Staatsaufgabe an einen privaten Unternehmer87, der als Gegenleistung ein Nutzungsrecht erhält und gleichzeitig das wirtschaftliche Risiko der Unternehmung trägt.88 Der Fiskus kann auf diese Weise öffentliche Aufgaben erfüllen, die er sich ohne Konzessionsvergabe nicht leisten könnte oder wollte.89 Im Gegensatz zur herkömmlichen Aufgabenprivatisierung behält sich der Staat bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession zumindest die Möglichkeit vor, die stets befristete und widerrufbare Übertragung der Konzession rückgängig zu machen.90 So verhindert er einerseits eine dauerhafte Aufgabenübertragung, aber entledigt sich andererseits des wirtschaftlichen Risikos, das eine Aufgabenerfüllung mit sich bringt. Er kann sich in eine Kontroll- und Aufsichtsrolle zurückziehen.91 Dienstleistungskonzessionen werden als modernes Privatisierungselement daher zunehmend gefragter.92 Weitere Tatbestandsvoraussetzungen müssen nicht erfüllt sein. 86

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Stellen die Dienstleistungen nur einen kleinen Teil der Tätigkeit dar und liegt der Schwerpunkt auf anderen, dem Vergaberecht unterfallenden Leistungen wie beispielsweise Bauleistungen, so ist Kartellvergaberecht anwendbar (vgl. auch Böckel, LKV 2003, S. 393, 394; Burgi, DVBl. 2003, S. 949, 951; Enders, NZBau 2002, S. 125, 127). Die Formulierung „Privater“ ist dabei nicht rechtstechnisch formal, sondern materiellrechtlich zu verstehen und erfasst neben natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts alle „nicht staatlichen Subjekte“ (vgl. Ruhland, Die Dienstleistungskonzession, S. 53). Vgl. EuGH, Urteil v. 13. 10.2005, Parking Brixen, Rs. C-458/03, Slg. 2005, I-8585 Rn. 41; EuGH, Urteil v. 7.12.2000, Telaustria, Rs. C-324/98, Slg. 2000, I-10745 Rn. 27 mit Verweis auf die Definition der Europäischen Kommission in KOM (90) 372; aus der nationalen Rechtsprechung OLG Brandenburg, Beschluss v. 3.8.2001, VergabeR 2002, S. 45, 48; dazu ausführlich Ruhland, VergabeR 2006, S. 731 m.w.N. Ist unsicher, wer das wirtschaftliche Risiko trägt, wird im Interesse eines fairen und transparenten Wettbewerbs von einem Dienstleistungsauftrag und nicht von einer Dienstleistungskonzession ausgegangen (siehe OLG München, Beschluss v. 21.5.2008, VergabeR 2008, S. 845 ff.). Vgl. Enders, NZBau 2002, S. 125, 126; Nettesheim, EWS 2007, S. 145, 146. Vgl. Burgi, DVBl. 2003, S. 949, 951; Schoch, DVBl. 1994, S. 962, 972. Vgl. Nettesheim, EWS 2007, S. 145, 146. Vgl. Ruhland, VergabeR 2006, S. 731, 732. In welche Privatisierungsform Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind, ist verwaltungsrechtsdogmatisch umstritten. Nettesheim, EWS 2007, S. 145, stellt fest, dass die im Privatisierungsprozess entstehenden Handlungsformen bislang keine hinreichenden dogmatischen Konturen erlangt haben. Einige Vertreter ordnen die Erteilung von Dienstleistungskonzessionen als funktionelle Privatisierung ein (vgl. etwa Schimanek, NZBau 2005, S. 304, 305); Ruhland, Die Dienstleistungskonzession, S. 114 f. klassifiziert Dienstleistungskonzessionserteilungen als „Mehr“ gegenüber funktionellen Privatisierungen, aber als „Weniger“ gegenüber einer materiellen Aufgabenprivatisierung; ähnlich auch Enzian, DVBl. 2002, S. 235, 236 f.; zustimmend Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 99 Rn. 209; teilweise wird die Erteilung einer Dienstleistungskonzession sogar mit Franchise-

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Jede Art von Dienstleistung kann konzessioniert werden.93 Typischerweise haben Dienstleistungskonzessionen Tätigkeiten zum Inhalt, die in den Verantwortungsbereich des Staates fallen und die Gegenstand von besonderen und ausschließlichen Rechten94 sein können.95 Auch Bereiche, die im engeren oder wei-

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Systemen verglichen (vgl. Ojeda, PPLR 1994, S. 1, 47 f.); allg. zu Privatisierungen auch Schimanek, NZBau 2005, S. 304 ff. m.w.N.; Schoch, DVBl. 1994, S. 362 ff. m.w.N. Dienstleistungskonzessionen erfreuen sich bereits großer Beliebtheit. Auf dem Gebiet der Abwasserbeseitigung – allerdings eine vorrangige Dienstleistung – sieht beispielsweise § 18a Abs. 2a WHG vor, dass die Abwasserbeseitigung Dritten übertragen werden kann. Die Übertragung kann dabei auch durch die Erteilung einer Dienstleistungskonzession erfolgen. Zu beachten ist, dass § 18a Abs. 2 WHG nicht ausdrücklich von „Dienstleistungskonzessionen“ oder anderen Privatisierungsformen spricht. Trotzdem wird gemeinhin davon ausgegangen, dass die Übertragung der Befugnisse im Rahmen einer Dienstleistungskonzession geschieht (vgl. Ruhland, Die Dienstleistungskonzession, S. 133 ff.). Dabei ist nicht immer klar, wie es sich zum Beispiel mit der Entgeltlichkeit verhält, wenn die Gebietskörperschaft das Nutzungsentgelt einzieht und hieraus eine Vergütung für die Abwasserentsorgungsleistung bezahlt. Ebenfalls als problematisch erwies sich ein Fall, in dem es um die Frage der Stadtentwässerung ging (vgl. VK Leipzig, Beschluss v. 29.2.2004, 1/SVK/157-03). Auch auf dem Gebiet der Abfallentsorgung werden zunehmend Dienstleistungskonzessionen erteilt. Nach §§ 16 bis 18 KrW/AbfG können Private, Verbände oder Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft die Beseitigung des Abfalls übernehmen. Auch in diesen Vorschriften wird nicht explizit von der Übertragung einer „Dienstleistungskonzession“ gesprochen. Auch auf dem Gebiet der Abfallentsorgung werden zunehmend Dienstleistungskonzessionen erteilt. Nach §§ 16 bis 18 KrW-/AbfG können Private, Verbände oder Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft die Beseitigung des Abfalls übernehmen. Auch in diesen Vorschriften wird nicht explizit von der Übertragung einer „Dienstleistungskonzession“ gesprochen. Vgl. zum europarechtlichen Begriff der besonderen und ausschließlichen Rechte (noch zur a.F. des EG-Vertrags) ausführlich Pernice / Wernicke, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. II, Art. 90 EGV, Rn. 28 ff. Vgl. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, S. 283, Rn. 785, Ruhland, Die Dienstleistungskonzession, S. 104 f.; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen v. 29.4.2000, Abl. EG C 121, S. 2, 4. Allerdings ist auch ein Trend absehbar, Dienstleistungskonzessionen nicht mehr nur im Bereich der „klassischen“ Daseinsvorsorge zu vergeben, sondern auch in anderen Bereichen (dazu Nettesheim, EWS 2007, S. 145, 146 f.). Zur Altpapierentsorgung etwa OLG Düsseldorf, Beschluss v. 27.10.2004, VergabeR 2005, S. 90 ff., das allerdings im vorliegenden Fall eine Dienstleistungskonzession ablehnt, weil die Leistung nicht unentgeltlich erfolgte; BayObLG, Beschluss v. 23.1.2003, Verg. 2/03; VK Thüringen, Beschluss v. 15.1.2004, 360-4003.20-030/03-GTH; zum Vertrag über die Versorgung mit Rundfunkprogrammen VK Darmstadt, Beschluss v. 7.10.2005, 69d VK – 39/2005 und 54/57/2005; zu Spielbankkonzessionen VK Stuttgart, Beschluss v. 6.5.2002, 1-VK-18/02; OLG Stuttgart, Beschluss v. 4.11.2002, 2 Verg 4/02; zum Betreiben einer Abschleppzentrale BayObLG, Beschluss v. 12.12.2001, Verg. 19/01; zum Betrieb eines Cateringunternehmens VK Leipzig, Beschluss v. 27.9.2001, 1/SVK/85-01.

teren Sinn mit dem öffentlichen Grund und Boden verbunden sind, werden häufig konzessioniert.96 Der Katalog der nachrangigen Dienstleistungen bezieht sich jedoch auch auf andere Dienstleistungskategorien. Er erfasst abschließend alle Arten von Dienstleistungsaufträgen und sieht keine Beschränkungen auf Dienstleistungen vor, die Gegenstand besonderer oder ausschließlicher Rechte sind. Jedoch werden auch nachrangige Dienstleistungen teilweise nicht als Auftrag, sondern als Konzession vergeben. So werden auf dem Gebiet des Verkehrswesens – solange Eisenbahndienstleistungen und Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs betroffen sind – und des Gesundheits- und Sozialwesens häufig Dienstleistungskonzessionen vergeben.97 Die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen erfüllt nicht die Voraussetzungen eines „öffentlichen Auftrags“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. a VKR bzw. SKR und des § 99 Abs. 1 GWB, so dass der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts nicht eröffnet ist. Dienstleistungskonzessionen erfüllen zwar fast alle Tatbestandsvoraussetzungen eines öffentlichen Auftrags, weil die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen vertraglich zwischen dem jeweiligen Hoheitsträger und dem Privaten schriftlich vereinbart ist und der Vertragsgegenstand eine Dienstleistung ist. Allerdings liegt kein entgeltlicher Vertrag vor. Das Nutzungsrecht stellt keine entgeltliche Gegenleistung dar.98 Es hat politische Grün96

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Vgl. zur Gestattung von Großflächenwerbung auf öffentlichem Grund und Boden VK Südbayern, Beschluss v. 28.12.2001 47-11/01, bestätigt durch BayObLG, Beschluss v. 21.2.2002, Verg. 1/02; zur Stadtmöblierung OLG Koblenz, Beschluss v. 6.11.2000, NZBau 2001, S. 283; zur Gestattung der Kabelfernsehnutzung in Wohnanlagen, die öffentlichen Wohnungsunternehmen gehören OLG Brandenburg, Beschluss v. 3.8.2001, VergabeR 2002, S. 45, 48; zur Gestattung eines Wochenmarktes OLG Naumburg, Beschluss v. 4.12.2001, NZBau 2002, S. 235, 236. Vgl. etwa zum öffentlichen Personennahverkehr OLG Karlsruhe, Beschluss v. 13.7.2005, NZBau 2005, S. 655, 656; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 6.12.2004, NZBau 2005, S. 239, 240; zum Betrieb eines Straßentunnels OLG Schleswig, Urteil v. 6.7.1999, NZBau 2000, S. 100; zum Betrieb eines gebührenpflichtigen Parkplatzes EuGH, Urteil v. 13.10.2005, Parking Brixen, Rs. C-458/03, Slg. 2005, I-8585; zur LKW-Maut Deutschland 2. VK des Bundes, Beschluss v. 25. 7. 2001, VK 2-20/01; zum Rettungsdienstwesen und zum Betrieb von Krankenhäusern VK Lüneburg, Beschluss v. 5.3.2007, VgK-07/2007 (Trägerschaft an Landeskrankenhäusern); zur sozialpädagogischen Familienhilfe OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.9.2004, NZBau 2005, S. 652, 654; nicht immer hingegen bei Sozialhilfe- und Kostenerstattungsvertrag, vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8.9.2004, VII – Verg. 35/04. Eine Legaldefinition der Entgeltlichkeit existiert nicht. Nach der Rechtsprechung bezieht sich das Entgelt auf die Gegenleistung, die vom öffentlichen Auftraggeber für die Ausführung der Leistung versprochen wird (vgl. EuGH, Urteil v. 12.7.2001, Milano et Lodi, Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5409 Rn. 77.) Ein Entgelt wird in der Regel nicht oder zumindest nur im geringen Umfang erhoben. Selbst wenn ein geringes Entgelt gezahlt wird, überwiegt meist die Gewährung des Nutzungsrechts. Die Zahlung stellt meistens nur eine sog. Anschubfinanzierung dar, um die Daseinsvorsorgeinfrastruktur aufrecht zu erhalten. (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 26.7.2002, NZBau 2002, S. 634, 635). Der

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de, dass es keinen zusätzlichen Tatbestand – wie etwa für die Vergabe von Bauleistungskonzessionen vorgesehen99 – für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gibt.100 Diesbezüglich sind Parallelen zu nachrangigen Dienstleistungsaufträgen erkennbar, die ebenfalls aus politischen Gründen (teilweise) nicht vom Vergaberecht erfasst sind.101 Auch gelten – wie bei den nachrangigen Dienstleistungsaufträgen – keine Schwellenwertregelungen. Allerdings wird dies bei den nachrangigen Dienstleistungsaufträgen mit der grundsätzlich fehlenden Binnenmarktrelevanz begründet, während das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Bezugs bei Dienstleistungskonzessionen in der Regel vermutet wird.102 Die Europäische Kommission hatte ausdrücklich vorgeschlagen, auch Dienstleistungskonzessionen in den Geltungsbereich der Richtlinien einzubeziehen.103 Dem Vorschlag der Kommission ist der Rat nicht gefolgt104, weil die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Übertragung von Nutzungsrechten eine Angleichung nur schwer möglich machten.105

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Charakter der Konzession, in deren Mittelpunkt ein Nutzungsrecht steht, wird dadurch meist nicht geändert (vgl. Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629). Bei der Gewährung einer Gegenleistung ist im Gegensatz dazu der Ertrag sicher. Die Risikoverteilung ist umgekehrt (vgl. Jennert, NZBau 2005, S. 131, 134). Der Ertrag hängt von der eigenen Leistung ab. Der öffentliche Auftraggeber gewährt keine Gegenleistung. Es ist typisch für die Konzession, dass der Auftragnehmer die Dienstleistung kommerziell nutzt und er das wirtschaftliche Risiko trägt (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.9.2005, Verg 44/04; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8.9.2004, Verg 35/04; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 26.7.2002, Verg 22/02; 1. VK Sachsen, Beschluss v. 11.8.2006, 1/SVK/073-06; VK Hessen, Beschluss v. 7.10.2005, 69d VK - 39/2005 und 54/2005 – 57/2005; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, GWB § 99 Rn. 1160). Die mit den Dienstleistungskonzessionen eng verwandten Baukonzessionen sind in Art. 56 ff. VKR und § 99 Abs. 5 GWB geregelt (dazu Enzian, DVBl. 2002, S. 235, 237). Durch die Regelung wird klar gestellt, dass Baukonzessionen dem Kartellvergaberecht unterfallen und dass dazu eine eigenständige Regelung erforderlich war. Vgl. Brown, PPLR 2008, S. NA35, 39. Siehe S. 63 ff. Siehe S. 190 ff. Vgl. Geänderter Vorschlag der Kommission vom 28. 8. 1991 für eine Richtlinie des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. EG v. 25.9.1991, Nr. C 250/4. Vgl. Gröning, NZBau 2001, S. 123, 124; Jennert, NZBau 2005, S. 131. Vgl. EuGH, Urteil v. 7.12.2000, Telaustria, Rs. C-324/98, Slg. 2000, I-10745 Rn. 47 ff. Zustimmend Bitterich, EuZW 2008, S. 14, 17; Jennert, NZBau 2005, S. 131.