1 Motorenschmierstoffe als Partner der Motorenentwicklung Gestern Heute Morgen

1 Motorenschmierstoffe als Partner der Motorenentwicklung Gestern – Heute – Morgen Christoph von Eberan-Eberhorst Abstract Internal combustion engi...
Author: Hede Kaufman
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Motorenschmierstoffe als Partner der Motorenentwicklung Gestern – Heute – Morgen

Christoph von Eberan-Eberhorst

Abstract Internal combustion engines and their lubricants are interdependent: modern high performance engines rely on superior quality engine oils; in fact they would not work without them. Engines and their lubricants have developed in parallel ever since the first motor car appeared on the road in 1886. Today engine oils are regarded as a design element of engines. This paper illustrates the progress made in engine design and in lubricant quality over a period of more that 100 years. It discusses the basic performance requirements and shows examples of how lubricant quality is defined by specifications and tailor-made test procedures. The historic development of production statistics for both vehicles and lubricants is reviewed and examples of oil stress calculations (so-called „oil stress factor”) are given. The interactions between engine fuel and lubricant performance as well as the action of lubricant additives are briefly discussed. As lubricant demands have steadily increased over the years, so has the number of approval test requirements and, of course, test costs. In recent years the direct and the indirect environmental impact of engine oils has become more important. Finally the most important future trends of engine lubricant development are summarized.

Kurzfassung Verbrennungskraftmaschinen und ihre Schmierstoffe stehen in einer engen Wechselbeziehung: moderne Hochleistungsmotoren benötigen qualitativ hochwertige Motorenschmierstoffe; ohne diese wären sie nicht zu betreiben. Motoren und ihre Schmierstoffe haben sich parallel entwickelt seit das erste Automobil im Jahre 1886 auf der Straße erschien. Heute wird der Motorenschmierstoff als Konstruktionselement des Motors betrachtet. In diesem Beitrag werden die Fortschritte im Motorenbau und bei der Schmierstoff-Qualität über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren aufgezeigt. Die Grundaufgaben des Schmierstoffs werden diskutiert und es werden Beispiele für die Beschreibung der Schmierstoffqualität durch Spezifikationen und durch maßgeschneiderte Prüfverfahren gegeben. Die historische Entwicklung von Produktionszahlen (auch aus dem Umfeld) sowohl für Fahrzeuge als auch für Motoröle wird kurz beleuchtet und es werden Beispiele für die Berechnung der Ölbelastung im Motor („Ölbelastungskennziffer“) gezeigt. Die Wechselwirkungen zwischen Kraftstoffqualität und Leistungsfähigkeit des Motorenschmierstoffs sowie die Wirksamkeit der Additive werden diskutiert. Mit der stetigen Zunahme der Anforderungen an den Motorenschmierstoff haben auch die für die Zulassung erforderlichen Prüfverfahren zugenommen, und natürlich auch die Testkosten. In den letzten Jahren haben Fragen der Umweltverträglichkeit von Motorenölen an Bedeutung gewonnen. Schließlich werden die wichtigsten Entwicklungstrends der Zukunft zusammengefasst. 1

1.1

Einleitung

Die Evolution des Automobils seit der Vorstellung des ersten „Motorwagens“ durch Carl Benz im Jahre 1886 (Bild 1.1) wurde im Jubiläumsjahr 1986 besonders ausführlich in den Medien gewürdigt [1] [2] [3]. Auch zu anderen Zeiten findet man regelmäßig Testberichte von neuen Modellen selbst in der Tagespresse. Das Konstruktionselement – oder besser: Funktionselement – Betriebsstoff fristet dagegen ein eher bescheidenes Dasein unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur den Fachleuten vorbehalten [4]. Das war schon immer so, außer bei Energiekrisen, Ölpreiserhöhungen oder spektakulären Vorkommnissen, wie dem sogenannten „Schwarzschlammproblem“, das Mitte der 80er Jahre Schlagzeilen in der Presse hergab. Alle Automobilbesitzer wissen, welches Auto sie fahren und sie können meist auch exakt begründen warum gerade dieses. Aber wer weiß schon, welches Motorenöl er benutzt und kann auch klar begründen warum? Die Tatsache, dass der Motorenschmierstoff dem Autofahrer heutzutage in der Regel keine Probleme bereitet, ist eben unser Problem. Es ist ja bezeichnend, dass die Standardnachschlagewerke des Maschinenbauingenieurs den Schmierstoff meist recht stiefmütterlich als „Hilfsmittel“ behandeln und dem Motorenöl nur 0,05 bis 0,7% des Textumfangs widmen [4].

Bild 1.1: Der Motorwagen von Carl Benz aus dem Jahre 1886 mit 0,9 PS-Motor, Patent No. 37435 Die Tatsache, dass die wenigsten Autofahrer etwas über das Öl in ihrem Motor wissen ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass die Qualitätsmerkmale nach SAE-Klassen und Fahrzeughersteller-Spezifikationen eher unübersichtlich geworden 2

sind, dass moderne Motoren kaum noch Nachfüllmengen benötigen und dass die Ölwechsel nach extrem verlängerten Serviceintervallen inzwischen kaum noch in Eigenregie an den Tankstellen durchgeführt werden. Ziel dieses Beitrags ist es, die Parallelität und Partnerschaft, ja die unbedingte gegenseitige Abhängigkeit der Entwicklung von Automobil und Betriebsstoff, speziell des Motorenschmierstoffs, zu beleuchten und die jeweiligen Entwicklungsfortschritte zu quantifizieren. Der Rückblick über mehr als 120 Jahre Kraftfahrzeug-Entwicklung erlaubt zwei gegensätzliche Feststellungen: es gab einerseits stetigen Fortschritt in der Weiterentwicklung, andererseits ist vieles schon mal dagewesen. Wir werden später noch Beispiele dafür sehen. Zum Thema Fortschritt fällt auf, dass dieser, schematisch als Funktion der Zeit dargestellt, einer durch Diskontinuitäten gekennzeichneten e-Funktion gleicht, mit einer asymptotischen Annäherung des Fortschrittparameters an einen endlichen Höchstwert (Bild 1.2).

Bild 1.2: Schematischer Verlauf einer technischen Entwicklung Dieser wohl nie ganz erreichbare Höchstwert einer technischen Entwicklung kann als der maximale Grad technischer Reife angesehen werden, der nach Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker [5] solange nicht erreicht ist, wie „… ein technisches Ding … außer den Wirkungen, die es erzeugen soll und um derentwillen wir es gebaut haben, Nebenwirkungen hat, die größer oder die auch nur nicht hinreichend viel kleiner als die erwünschten positiven Wirkungen sind“. Hier liegt eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Gesetzmäßigkeiten vor, die der Motorenölverschmutzung in Abhängigkeit von Zeit, Schmutzrate, Ölfüllmenge, Ölverbrauch und Ölnachfüllsystem gemäß Bild 1.3 zugrunde liegen [6]. 3

Bild 1.3: Verlauf der Ölverschmutzung über Ölverweilzeit Als Fortschrittsparameter kann man in Bild 1.2 z.B. die Automobilproduktion, die Hubraumleistung, das Leistungsgewicht, den Wirkungsgrad, die Abgasemissionsminderung oder den Verschleißschutz durch den Schmierstoff, d.h. die Lebensdauer, sehen. Der jeweilige Stand der Technik wird primär von den technologischen Möglichkeiten, den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, den Anforderungen des Markts und den relevanten gesetzlichen Regelungen bestimmt. Somit regeln diese Faktoren auch die Fortschrittsgeschwindigkeit. Die entscheidende Triebfeder für den Fortschritt, sowohl auf dem Automobilsektor als auch auf dem Gebiet der Betriebsstoffe ist der Wettbewerb in unserer freien Marktwirtschaft. Versorgungskrisen, Kriege, Naturkatastrophen, einschneidende neue Gesetze, z.B. bezüglich der Abgasemissionen, haben in der Regel Einbrüche des Fortschrittsverlaufs zur Folge. Erfindungen, Wettbewerb, Wirtschaftswachstum, Forschung und Fleiß führen zum Anstieg der Fortschrittskurve. Dies sind die wesentlichen Einflüsse auf das „Szenarium“. Der Theologe Helmut Thielicke [7] begründete 1962 sehr anschaulich, warum es „einen eindeutigen technischen Fortschritt gibt, den es … auf geisteswissenschaftlichem Gebiet nicht geben kann“. Er schrieb u. a.: „Ein technisches Produkt ist das Produkt ganzer Generationen von Technikern. In der Technik steht eine Generation auf der Schulter der vorausgehenden.“

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In diesem Übersichts-Beitrag muss ich mich auf einige historische Glanzlichter aus dem Bereich der Motoren und ihrer Schmierstoffe beschränken. Darüber hinaus werden im Laufe dieses Buches viele der wichtigen Detailfragen ausführlich behandelt, wie z.B. der Aufbau von Motorenölen, heutige Anforderungen an Schmierstoffe für Kfz-Motoren, internationale Spezifikationen und Klassifikationen. Schwerpunkt dieses Beitrags ist die historische Betrachtung der Wechselwirkung zwischen Motoren- und Schmierstoffentwicklung sowie ein Blick auf das in diesem Zusammenhang stehende Umfeld, auf den heutigen Stand der Technik und auf einige zukünftige Entwicklungstendenzen.

1.2

Entwicklung des Umfelds

Die quantitative Entwicklung der Motorisierung und der damit einhergehende Anstieg des Bedarfs an Betriebsstoffen mögen anderen Gesetzen folgen als die jeweilige qualitative Entwicklung. Es steht jedoch außer Zweifel, dass sich viele der heutigen Qualitätsanforderungen direkt oder indirekt aus dem enormen Wachstum des Automobilismus und aus veränderten Umweltbedingungen ergeben haben. Ein Blick auf einige Bestands- und Produktionsstatistiken sowie auf die Umgebung des Automobils ist deshalb nützlich: 1935 betrug der Weltbestand an Kraftfahrzeugen 35 Mio. (davon 25 Mio. in den USA), 1950 lag er bereits bei 62 Mio. (davon 45 Mio. in den USA) und 1986 hatte er ca. 350 Mio. erreicht. 2005 lag er bereits bei mehr als 850 Mio. Heute werden Neufahrzeuge von ca. 80 verschiedenen Firmen in rund 40 Ländern der Erde produziert. Die jährliche Weltproduktion lag im Jahr 2008 bei 69 Mio. Fahrzeugen, wobei die Pkw-Herstellung (einschließlich der Light Trucks in Amerika) um 5% auf 57 Mio. Fahrzeuge nachgab. Die Fertigung von Nutzfahrzeugen entwickelte sich dagegen mit knapp 12 Mio. Einheiten stabil (Quelle: VDA Jahresbericht 2009).

Bild 1.4: Jährliche Produktion von Fahrzeugen in den USA 1905 bis 1967

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