SOKRATES-ERASMUS AUSTAUSCHSEMESTER IN GDANSK (POLEN) MEDIZIN, 9.SEMESTER (WS 2003/04) ERFAHRUNGSBERICHT Georg Hopf INHALT: • Allgemeines • Vorbereitung • Unterkunft • Unterricht • Sprache • Finanzielles • Freizeit • Kultur • Kommunikation • Sicherheit • Kontakt ALLGEMEINES Die Medizinische Hochschule Gdansk ist eine der großen und angesehenen Hochschulen des Landes und bietet gerade für ausländische Studenten mit ihrem englischsprachigen Ausbildungsangebot ein akademisch lohnendes Ziel. Die Betreuung ist verlässlich und intensiv, ohne den Studenten den Freiraum zu nehmen. Gdansk (Danzig) und die unmittelbar anschließenden Großstädte Zopot und Gdynia (zusammen als Dreistadt bezeichnet) bilden gemeinsam ein Stadtgebiet mit rund 900 000 Einwohnern und damit eine der größten städtischen Ansiedlungen Polens. Landschaftlich reizvoll zwischen Ostsee und einer bewaldeten Hügelkette gelegen bietet die Dreistadt neben den Vorzügen einer Großstadt auch zahlreiche Möglichkeiten zur Erholung und Entspannung. Die Stadt ist historisch ein bedeutender kultureller und wirtschaftlicher Standort. Die nach den großen Zerstörungen im 2.Weltkrieg mit Liebe wieder aufgebaute Altstadt ist eine Touristenattraktion europäischer Geltung. Die in Danzig entstandene Gewerkschaftsbewegung Solidarität unter Führung des Friedensnobelpreisträgers Lech Walesa hat die politische Entwicklung der letzten 30 Jahre in Europa entscheidend mitgeprägt. VORBEREITUNG Das von mir in Danzig belegte 9.Semester ist das letzte reguläre Semester vor Absolvierung des Blockpraktikums im 10.Semester. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass alle Scheine in der Gastuniversität abgelegt werden müssen, um zeitgerecht im Sommer am 2.Staatsexamen teilnehmen zu können. 1

Da pro Auslandssemester nur maximal 5 Scheine vom Prüfungsamt anerkannt werden, habe ich ein halbes Jahr vor der Abreise in den entsprechenden Kliniken und Instituten vorgesprochen und die Möglichkeit des Vorziehens von Scheinen in Erfahrung gebracht. So konnte ich 4 Scheine vorziehen, was die Fächerwahl in Danzig erleichterte Nach Übersendung der Unterlagen an das Erasmusbüro der Medizinischen Hochschule Gdansk (Akademia Medyczna w Gdansku - AMG) erhielt ich rasch die Zusage des Studienplatzes und des Wohnheimplatzes. Eine Zusage für die gewählten Fächer war jedoch nicht dabei. Der Erfahrung anderer Austauschstudenten und meiner eigenen nach ist dies jedoch kein Grund zur Beunruhigung, da vor Ort die entsprechenden Kurse in Absprache mit dem Koordinator organisiert werden. Dabei wird auch auf individuelle Wünsche eingegangen. UNTERKUNFT Die AMG unterhält drei Wohnheime, die zu Fuß in ca. 10 Minuten von der Uniklinik zu erreichen sind. In einem der Wohnheime werden Einzelzimmer für Austauschstudenten bereitgehalten. Die Zimmer sind geräumig, mit Waschbecken, Kühlschrank, Wasserkocher und Möbeln ausgestattet. Toiletten, Duschen und Küche werden gemeinsam genutzt. Jedes Zimmer besitzt einen kleinen Balkon. Der Preis beträgt pro Person rund 130 Euro. Wählt man ein Dreipersonenzimmer ist der Preis wesentlich günstiger. Der Standard ist gut, Reinigungskräfte sorgen täglich in den Gängen und Sanitären Anlagen für Ordnung. Bettwäsche wird zur Verfügung gestellt; einmal im Monat wird Wäsche getauscht. Im Gebäude finden sich außerdem Waschmaschinen; Bügeleisen, Staubsauger und Ähnliches können unentgeltlich ausgeliehen werden. Natürlich kann man auch in der Umgebung in einer Wohngemeinschaft ein Zimmer anmieten, was jedoch mit einiger Vorbereitung, Ortkenntnis und auch größerem bürokratischem Aufwand verbunden ist. UNTERRICHT Der Unterricht an der AMG wird prinzipiell in Blöcken abgehalten. Die Unterrichtssprache ist für die Erasmus-Studenten Englisch. Wer jedoch ausreichend gute Polnischkenntnisse vorweist, kann nach Absprache mit dem Erasmus-Koordinator mit einer regulären Seminargruppe am Unterricht teilnehmen. Der Ablauf ähnelt sich in allen Fächern: Unterrichtsbeginn zwischen 8.00 und 9.00 Uhr, Visite, 1 – 2 Seminare, Patientenvorstellung, Untersuchung, ggf. Teilnahme im OP, Unterrichtsende gegen 14.00 Uhr. Den Studenten (nicht mehr als 4) ist jeweils ein Arzt zugeteilt, der die praktischen Abschnitte leitet und als Ansprechpartner agiert. Die Betreuung ist meist sehr intensiv, jedoch nicht in allen Kliniken. Die technische Ausstattung der Kliniken ist gut, wenngleich nicht mit der in deutschen Krankenhäusern vergleichbar. Konkret heißt das, dass das CT vielleicht kein Modell von 2000, sondern von 1996 ist. Die bauliche Substanz ist oft mangelhaft, was jedoch für die Ausbildung nur sekundär von Bedeutung ist. Ich selbst habe in den Fächern Neurologie, Neurochirurgie, Kinderchirurgie, Pharmakologie und Pädiatrie den Erasmus-Unterricht besucht. Die Kurse Augenheilkunde und Orthopädie habe ich in einer polnischen Seminargruppe absolviert. Die Bibliothek der AMG ist leider nur mit wenigen aktuellen englischsprachigen Lehrbüchern ausgestattet. Es empfiehlt sich also in den geplanten Fächern Bücher von zu Hause mitzubringen, da in den Buchhandlungen deutsche oder englische Lehrbücher nur schwer erhältlich sind. Oft kann man aber auch in den Kliniken selbst ein Buch für die Dauer des Kurses ausleihen. 2

SPRACHE Polnisch gehört zu den westslawischen Sprachen und gilt als eine sehr schwer zu erlernende Sprache. Besonders für den Anfänger ist der Einstieg beschwerlich, da die Aussprache und grammatischen Prinzipien sehr gewöhnungsbedürftig sind. Obwohl man gerade im Umfeld junger Studenten in Polen keine Probleme hat, mit Englisch oder Deutsch zu kommunizieren, lohnt es sich mit der Sprache zu beschäftigen. Gerade beim Patientenkontakt, aber auch im Alltagsleben ist ein Grundvokabular hilfreich. Empfehlenswert sind dazu sind die angeboten Erasmus Sprachkurse, die einen Monat vor Semesterbeginn stattfinden. Die AMG bietet einen zweimal wöchentlich stattfindenden Sprachkurs auf dem Geländer des Klinikums an. Eine weitere Möglichkeit ist ein Sprachtandem. Ein deutschlernender einheimischer Student findet sich rasch. Da ich schon vor meinem Ankunft in Danzig Polnisch sprechen konnte, war die Gewöhnung für mich persönlich weniger problematisch. FINANZIELLES Im Vergleich zu den aus Deutschland bekannten Preisen ist das Leben in Polen preiswert, wenn auch nicht billig. Der Studentenausweis ermöglicht 50 % Rabatt bei Straßenbahn, SBahn und Fernzügen, freien Eintritt in viele Diskotheken und Vergünstigungen in Museen und Sporteinrichtungen. Lebensmittel, besonders Obst und Gemüse, kauft man am preiswertesten auf den lokalen Märkten, wo die Bauern ihre Waren anbieten. Sprachkenntnis ist dort hilfreich. Im Geländer der Wohnheime befindet sich die Mensa, wo man für umgerechnet einen Euro ein komplettes Mittagessen (Vorsuppe, Hauptgericht, Getränk) erhält. Das Mensaessen ist – wie überall – nicht spektakulär und auch wenig abwechslungsreich. Daher kochen viele Studenten selbst. Sehr preiswert kann man auch in einer wohl nur in Polen zu findenden Einrichtung, den sog. „Milchbars“, essen. Dort erhält man für ein paar Zloty traditionelle polnische Gerichte (nicht immer die bestmögliche Zubereitung, aber meist gibt es in jeder Milchbar ein paar Spezialgerichte). In den Milchbars verkehrt der Querschnitt der polnischen Gesellschaft: vom armen Rentner, über den Studenten zum Geschäftsmann, der schnell etwas essen möchte. An Bargeld erhält man ohne weiteres an den zahlreichen Geldautomaten. Sinnvoll ist, zwei bis drei Monate vor der Abreise, die Einrichtung eines Girokontos bei der Deutschen Bank in Deutschland. Auf dem Markt von Danzig gibt es eine Filiale der Deutschen Bank, wo man gebührenfrei Geld abheben kann. In fast allen größeren Geschäften kann man per Geldkarte bzw. Kreditkarte bezahlen. FREIZEIT Das Freizeitangebot in Danzig entspricht dem einer Großstadt. Neben zahlreichen Studentenklubs, Diskotheken und Klubs gibt es eine Vielzahl von Sporteinrichtungen (Eishalle, Unisport), Kinos usw. Nimmt man das Angebot der benachbarten Großstädte Sopot und Gdynia hinzu, ist das Angebot riesig. Schnell findet man den Einstieg, da die ehemaligen polnischen Erasmusstudenten sich um die Gäste kümmern. Sie organisieren regelmäßig Treffs (Stadtrundgang, Länderabend mit gemeinsamen Kochen, Ausflüge in die Umgebung, Disko).

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In den Studentenklubs (auch die AMG hat ihren eigenen) wird fast täglich gefeiert, oft in einer für Deutsche faszinierenden Intensität. Getanzt wird körperbetont, Karaoke ist beliebt. Neben den Studentenklubs gibt es zahlreiche Klubs aller Spielarten. Wie in jeder Großstadt muß man für die etwas originelleren Lokalitäten den Rat Einheimischer nutzen und sich in den einschlägigen City-Magazinen erkundigen. Da die Polen sehr kontaktfreudig sind, gibt es dabei jedoch keine Probleme. Ein Manko der Dreistadt Gdansk-Sopot-Gdynia sind die relativ großen Entfernungen, die Nachts mit S-Bahn usw. nur sehr zeitraubend zu erreichen sind. Wer sein Auto mitbringt, profitiert davon. Die Umgebung von Danzig ist sehr reizvoll: das Meer und die kaschubische Seenplatte mit einsamen Seen und Wäldern sind sehr nah. Im Wintersemester hat man davon jedoch nur eingeschränkten Nutzen. KULTUR Danzig und die benachbarten Städte bieten neben Oper, Symphonie und Theater viele Konzerte aller Musikrichtungen, Galerien. Alles ist erschwinglich. Auch Museen, historische Bauten und Kulturdenkmäler findet man in Danzig und Umgebung zahlreich. Wer sich literarisch auf die Stadt vorbereiten möchte, sollte unbedingt Günter Grass’ „Danziger Trilogie“ lesen. KOMMUNIKATION Wichtigstes Kommunikationsmittel unter Studenten ist in Polen das Handy. Die gängigen Modelle in Deutschland funktionieren ohne Probleme, der Kauf einer polnischen Prepaidkarte (oft ohne Anmeldegebühr) ist ratsam um den Freunden die teuren Gespräche und SMS auf die deutsche Karte zu ersparen. Polnische Studenten helfen gern bei der Auswahl der günstigsten Tarife. Um Kosten zu sparen, wird viel per SMS verabredet und vereinbart. Bemerkenswert ist folgendes: Oft wird man vom Gesprächspartner nur einmal angeklingelt („puscic signal“). Das bedeutet so viel wie: Habe die Nachricht erhalten. Ja, einverstanden. Denke an Dich. Ein Rückruf wird nicht erwartet! Auf jedem Gang der Wohnheime steht ein Telefon, auf dem man angerufen werden kann. Mit diesem Telefon kann man selbst nur innerhalb der Wohnheime anrufen. Beim Portier findet man ein Kartentelefon. Am billigsten kauft man die dazugehörigen Karten bei findigen Studenten von der Polytechnischen Hochschule, die mit diversen Tricks die Karten aufladen. Diese Studenten kommen regelmäßig ins Wohnheim und laufen von Zimmer zu Zimmer. Internet ist in der Bibliothek und Dekanat zugänglich. Wartezeiten bis zu einer halben Stunde sind möglich. Im Januar wurde jedoch in den Wohnheimen DSL Leitungen in die Zimmer verlegt, so dass in Absehbarer Zeit der Internetzugang wohl kaum mehr ein Problem sein wird, da viele Studenten einen Computer haben. SICHERHEIT Um die oft auf Klischees beruhenden, besorgten Ratschläge meist polenunerfahrener Kommilitonen zu relativieren, sei folgendes aus meiner persönlichen Erfahrung gesagt: Man fühlt sich überall sicher und ist es auch, wenn man die wohl weltweit gültigen Grundsätze beachtet: Keine großen Bargeldmengen mit sich tragen, Geldkarten und Auswiese getrennt, Jacke usw. nicht unbeaufsichtigt lassen...

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Wie in jeder Großstadt gibt es auch in Danzig einige Viertel, die gemieden werden sollten. Eines dieser Viertel liegt auf dem kürzesten Weg (dunkler Wald, alte Abrisshäuser) vom Wohnheim zur Altstadt. Nachts sollte man nach Hinweisen der umsorgenden Einheimischen nicht allein unterwegs sein. Dies wird jedoch auch von einheimischen Studenten als relativ angesehen. Auf den Märkten und in Geschäften wird korrekt abgerechnet, während man in den typischen Touristenfallen mit laut lärmenden deutschen Reisegruppen auch mal ein, zwei Posten zuviel bezahlt. Auch hier ist die Kenntnis der polnischen Sprache hilfreich und schützend. Wer mit dem Auto anreisen möchte, kann dies ohne Probleme tun (wichtig: Grüne Versicherungskarte notwendig). Ich selbst habe mit meinem 7 Jahre alten Ford ohne Radio kein Aufsehen erregt. KONTAKT Bei Fragen kontaktieren Sie mich bitte unter [email protected]

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