Zwischen Plan und Krise

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Author: David Siegel
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Altenpflege Pflegemanagement

Sicher planen – auch im Notfall: Ausgangspunkt allen Handelns ist die nettobasierte, kompetenz- und potenzialorientierte Einsatzplanung. Wie Sie sich für alle Eventualitäten rüsten und stets den Überblick behalten. Text: Karla Kämmer

Dienstplanung

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In der Einsatzplanung ist Realitätssinn gefragt. Zwar führen viele Ansätze zu einem Dienstplan. Die Qualität und Praxistauglichkeit des Ergebnisses wird allerdings sehr unterschiedlich sein, je nachdem, was Sie als maßgebende Berechnungsbasis auswählen. Der Pflegebedarf der Bewohner oder die Ist-Analyse des Pflegebedarfs bringen zwar aufschlussreiche Ergebnisse und Erkenntnisse und sind in einem weiteren Schritt zu verwerten – in erster Linie ist aber von dem auszugehen, was vorhanden bzw. vorgegeben ist: das durch Belegung und Pflegestufen refinanzierte und vom Träger auf dieser Basis festgesetzte Budget in Vollzeitstellen. Dieses Bruttobudget müssen Sie auf Nettostunden umrechnen, indem Sie die Ausfallzeiten abziehen. Dies erfolgt normalerweise hausübergreifend unter Leitung Ihrer PDL. Als gemeinsame Arbeitsgrundlage ist

das Buch „Der Regelkreis der Einsatzplanung“ von Michael Wipp zu empfehlen.

So berechnen Sie die Nettoarbeitszeit Um die Nettoarbeitstage in der direkten Pflege zu ermitteln, nehmen Sie von den 365 Tagen eines Jahres alle Tage ab, an denen ein Mitarbeitender nicht pflegt (Feiertage, Urlaub, Krankheit). Hier gibt es in der Berechnung viele Fehlermöglichkeiten, z. B. beim Feiertagsabzug oder bei der Berechnung organisatorischer Abwesenheiten.

Fehlerquelle: Feiertagsabzug und organisatorische Abwesenheit Es macht einen Unterschied, ob für einen Feiertag jedem Mitarbeitenden ein Tag von der Sollarbeitszeit abgezogen wird oder dies nur geschieht, wenn der Feiertag auf einen Wochenarbeitstag fällt

oder ohne jeden Sollabzug nur den Mitarbeitenden ein zusätzlicher freier Tag gewährt wird, die an diesem Tag tatsächlich arbeiten. Wenn ein Mitarbeiter an einem Tag fehlt (wg. Fortbildungen, Mitarbeitervertretung etc.) und die Einrichtung den Ausfall der geplanten Schicht durch einen anderen Mitarbeitenden ersetzt, dann bezahlt sie in diesen Fällen einen Mitarbeitertag zusätzlich, der keine (Pflege-)Leistung erbringt. Betrifft das nur einen Teil der Belegschaft, sind die Ausfalltage anteilig umzurechnen. Wie Sie die Tage erheben, sehen Sie unten in der Tabelle auf Seite 22. Gern vergessen wird auch, nicht oder nur teilweise refinanzierte Stellen für wohnbereichsübergreifende Tätigkeiten wie PDL, BT etc. mit den für die Pflege auf den Wohnbereichen zur Verfügung stehenden Stellen zu verrechnen und die

Auszug aus der GaDis® Nettoarbeitszeitermittlung; © Wolfgang Ganz www.UBGanz.de 2012; Quelle: Kämmer 2012

Abwesenheitsgrund Kategorie

Kürzel

Anzahl Mitarb.

Ø Häufigkeit je … Woche

Monat

Jahr

Gerontopsych. FB

Fortbildung

FB

5

3

Beauftragtentreffen

Fortbildung

FB

3

4

Praxisanleiter

Fortbildung

FB

2

2

BR/Einrichtung

Betriebsrat

BR

3

2

GBR-Treffen

Betriebsrat

BR

1

1

GBR-Ausschlussarbeit

Betriebsrat

BR

2

Orga-Tag WBL

Organisatorisches

OR

3

1

2

Altenpflege 3.13

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Anrechnungsfaktoren (je nach Bundesland) zu berücksichtigen.

So planen Sie die Besetzung Wenn Sie errechnet haben, über wie viele Nettostunden Sie verfügen, können Sie sie verplanen. Achten Sie immer darauf, dass die von Ihnen geplanten Schichten in Ihrer Länge und Anzahl mit der vorhandenen Mitarbeiterstruktur vertragsgemäß umgesetzt werden können. Gestalten Sie im Rahmen Ihrer Nettobasierten Dienstplanung die Einsatzplanung so, dass die Mitarbeitenden leicht ins Minus gehen. 20 bis 30 Minusstunden sind vertretbar. So ist in Krisenzeiten immer ein Puffer für Mehrarbeit vorhanden

Der richtige Überblick senkt Stress – und den Krankenstand Stimmen Sie den erforderlichen, bewohnerbezogenen Tagesablauf unter Berücksichtigung des Hilfe- und Begleitungsbedarfs, der Bedürfnisse und Bedarfe nun auf die (ggf. neue) Besetzungsstrategie ab. Nutzen Sie bei der schrittweisen Um-

Verplanen Sie nur 70 % der verfügbaren Zeit und reservieren Sie 30 % für unvorhergesehene Ereignisse setzung einer realistischen Arbeitsplanung im Zeitbudget Ihre Plan- oder Tourenplanung. Diese Arbeitshilfen schaffen

Ø Abw. Tage

Tage gesamt

4

60,00

1

12,00

1

48,00

1

72,00

1

12,00

1

48,00

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Überblick und Sicherheit und helfen den Mitarbeitenden, sich zu strukturieren und die richtigen Prioritäten zu setzen. Tatsache ist, dass die meisten Mitarbeitenden den Zeitbedarf, den sie für eine Leistung benötigen, unterschätzen. Das richtige Zeitgefühl zu erwerben bedarf einer gewissen Übung. Mit dieser achtsamen Arbeit an der Selbst- und Zeitorganisation stärken Sie das Kompetenzerleben und können den Mitarbeitern viele Erfolgserlebnisse vermitteln, weil sie sich Schritt für Schritt besser organisieren, sicherer werden und weniger frustrieren.

Verfügbare Zeit – auf dem Papier und in der Praxis Auch als Wohnbereichsleitung sollten Sie viel Sorgfalt auf die Verbesserung Ihres Zeitmanagements verwenden. Bevor Sie

am Arbeitsplatz praktisch loslegen, sollte Ihre persönliche Prioritätenliste für den Tag fertiggestellt sein. Analysieren Sie dazu immer wieder die Aufgaben und setzen Sie Prioritäten. Machen Sie die sich daraus ergebenden Arbeitsschwerpunkte auch Ihren Mitarbeitenden transparent. So erzeugen Sie Verständnis für ihre Vorgehensweise. Beherzigen Sie die Faustregel, nur 70 % der verfügbaren Zeit zu verplanen und 30 % für unvorhergesehene Ereignisse zu reservieren.

Beziehungsbasierte Pflege und nettobasierte Dienstplanung Für die effektive Umsetzung der nettobasierten Dienstplanung ist eine beziehungsbasierte Pflege (RBC) die am besten geeignete Voraussetzung, da sie auf intelligente Weise Anforderungen, Ressourcen und Rahmenbedingungen kombiniert und den gesamten Dienstleistungsprozess der Einrichtung ein-

Checkliste

Die tägliche systematische Situationsanalyse Reflektieren Sie jeden Tag konsequent Ihre Ausgangssituation! 1. Aktuelle Mitarbeitersituation ☐☐ Quantitativ: Wie sieht die tagesgenaue quantitative Personalbesetzung aus? ☐☐ Qualitativ: Welche Mitarbeitenden mit welchen Qualifikationen und Kompetenzen sind wo im Dienst? 2.  Aktuelle Bewohnersituationen

VincentzNetwork GmbH & CO KG, XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

☐☐ Welche Bewohner(innen) mit welchen Hilfebedarfen werden wo betreut?

☐☐ Sind freiheitsentziehende Maßnahmen zum Einsatz gekommen? ☐☐ Sind Schäden entstanden bzw. ist es zu Verschlimmerungen gekommen (z. B. Dekubitus, Wunden, Kontrakturen)? 3.  Aktuelle Organisationsbedarfe ☐☐ Steht die Ablaufplanung per Tourenplan/Plantafel? ☐☐ Was gelingt gut, woran ist das festzustellen?

☐☐ Welche akut-medizinischen Pflegesituationen/Fragestellungen gibt es? Bei wem? Welcher Art? Sind Vereinbarungen und Absprachen mit Ärzten getroffen?

☐☐ Wo gibt es Reibungsverluste in den Abläufen?

☐☐ Sind Bewohner(innen) aus dem Krankenhaus zurückgekommen?

☐☐ Wie steht es um die Kommunikation nach außen und innen: Bewohner(innen), Ärzte, Angehörige, Kooperationspartner und Bereiche/Teams?

☐☐ Bei welchen Bewohner(inne)n gibt es Anzeichen für eine Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes/für einen sich abzeichnenden Sterbeprozess (neu oder bekannt; Arzt informiert/mit dem Arzt abgeklärt; Familie ist informiert/Patientenverfügung besteht)?

☐☐ Wo stimmen die Ergebnisse nicht, laufen die Prozesse nicht plangemäß?

☐☐ Überblick über die A-Risiken (Dekubitus, Kontraktur, Sturz, gefährdete Kontinenz, Wunden, Mangelernährung und Flüssigkeitszufuhr) und Risikodichte bei welchen Bewohner(inne)n? In welchen Bereichen greifen die vorbeugenden Maßnahmen? ☐☐ Sind Gefahrensituationen aufgetreten (z. B. Stürze, Wanderungstendenz, psychische Dekompensationen/herausforderndes Verhalten/Eskalation)?

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bezieht. Sie bietet den Mitarbeitenden Autonomie und Handlungsspielräume – zwei wichtige Grundlagen für Arbeitszufriedenheit. Denken Sie beim Personaleinsatz nach Möglichkeit an den passenden Kompetenz- und Potenzialmix: Gestalten Sie – wo immer es geht – Schichtbesetzungen so, dass jeder seine Stärken einbringen kann. Kombinieren Sie auch Fachpflegepersonen und Assistenten entsprechend. In der beziehungsbasierten Pf lege übernimmt die Pflegefachperson die Verantwortung dafür, wie die zur Verfügung stehende Zeit mit der einzelnen hilfebedürftigen Person gestaltet wird.

Klare Regelungen für den Notfall Wenn mehr Arbeit zu erledigen ist als Zeit zur Verfügung steht, hat die Pflegefachperson auf der Basis Ihrer Notfallpla-

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Altenpflege Pflegemanagement

nung die Verantwortung zu entscheiden, was nicht getan wird. Als Leitung sind Sie aufgerufen, die Leitplanken des Vorgehens so zu definieren, dass für Fachpersonen und Teams klar ist, • in welcher Haltung gemäß Leitbild und Konzept auch in kritischen Situationen kommuniziert und gehandelt wird, • welche Rang- und Reihenfolge bezüglich der fachlichen Tätigkeiten prinzipiell einzuhalten ist, • welche Personen in welcher Kompetenz als Experten in welcher Notfallsituation die fachliche Weisungsbefugnis erhalten, • wie Informationen gesichert und an wen, in welcher Form und in welcher Verantwortlichkeit weitergegeben werden.

Da es in solchen Situationen im überwiegenden Teil um die Abwendung von gesundheitlichen Gefahren bei den Bewohner(inne)n geht, ist es sinnvoll, begründete, personenbezogene Schwerpunktsetzungen abzustimmen und situativ auch mit den Bewohner(inne)n bzw. ihren Angehörigen zu vereinbaren.

Für den Fall der Fälle: Mindestbesetzung und Unterschreitung Bei Unterschreitung der Mindestbesetzung in einem Wohnbereich muss sofort Ersatz organisiert werden. Immer sollte ein klarer Notfallplan greifen, bis eine ausreichende Personalsituation wieder gegeben ist. Eine Mindestbesetzung umfasst ca. 85 % bis 90 % des nach Nettoarbeitszeit veranschlagten Stundenkontingents pro Tag. Schwankungen ergeben sich u.  a. aus der räumlichen Situation

WBL

den Informationen gibt und sorgen Sie dafür, dass es allen bekannt ist.

Wird in Abwesenheit vertreten durch:

Klaren Kopf durch systematische Steuerung

Schichtführende Pflegefachperson Ist weisungsbefugt gegenüber folgenden Mitarbeitern: Pflegehilfspersonal, Mitarbeitende in der Hauswirtschaft, Azubis und BuFDis Muster für ein Bereichsorganigramm zur Weisungsbefugnis. Quelle: Kämmer 2012

und der Risikodichte in Hinblick auf den ggf. vergrößerten Verantwortungsbereich. Eine Mindestbesetzung ist so definiert, dass sie ausreicht, um vorübergehend und zeitlich eng begrenzt (max.

Schublade haben! Erarbeiten Sie in Qualitätszirkeln Notfall-Ablaufpläne unter strenger Berücksichtigung der qualifikationsspezifischen Prioritäten. Stellen Sie die gewohnten Abläufe und Arbeitstei-

Gerade im Notfall müssen alle Verantwortlichkeiten im Team klar sein – damit jeder weiß, was er zu tun hat. 2 Tage) die Bewohner(innen) ohne hohe Wahrscheinlichkeit eines erwartbaren Schadens zu versorgen. Für die Pflegefachpersonen ergeben sich folgende Schwerpunkte für ihr Handeln: 1. Was ist lebensnotwendig für die jeweilige Bewohnerin/den jeweiligen Bewohner in ihrer/seiner aktuellen gesundheitlichen Situation? 2. Wo entstehen Gefahren – auch potenziell – in der individuellen Pflegebedarfssituation, die es abzuwenden gilt? 3. Was ist für die individuelle Lebensqualität der einzelnen Person notwendig? Insbesondere die beiden ersten Punkte sind haftungsrechtlich relevant! Sie sollten immer einen Notfallplan in der

lungen kritisch auf den Prüfstand. Präsentieren Sie Ihre Ergebnisse in Teambesprechungen, damit im Notfall jeder weiß, was zu tun ist. Eine gute Idee ist es, den Plan in Absprache mit den Bewohner(inne)n einmal experimentell – wie beim Brandschutz – zu üben!

Notfallplan in der Schublade und klare Verantwortlichkeitenl Wenn eine Pflegefachperson die fachliche Verantwortung einer größeren Einheit übernehmen muss, sollten Sie die Verantwortungsübernahme in einer schriftlichen Verfahrensanweisung regeln. Wer hat das Sagen, wenn weder PDL noch Sie als WBL vor Ort sind? Nutzen Sie dafür ein Bereichsorganigramm, das Ihren Mitarbeitenden die entsprechen-

In kritischen Personalsituationen geraten Sie als Verantwortliche stark unter Druck. Arbeitsvolumen, Verantwortung und Stress nehmen zu. Hinzu kommt Angst: Angst zu versagen, Angst, nicht die richtigen Entscheidungen zu treffen, etwas Wichtiges zu übersehen, Angst, dass eine kritische Situation entsteht und Bewohner(innen) zu Schaden kommen, Angst, sogar selbst in der Presse zu landen oder in Haftung genommen zu werden. Gehen Sie die Akutsituation so systematisch wie möglich an und legen Sie eine Strategie für das Krisenmanagement hausübergreifend fest. Last but not least: Bauen Sie im Rahmen einer mittelfristigen Strategie ein Personalkonzept auf, das Notfallmanagement im Personalbereich schrittweise überflüssig werden lässt!

Mehr zum Thema  Literatur: Karla Kämmer (Hrsg.): Pflegemanagement in Zeiten des Fachkraftmangels. Vincentz Network, Hannover 2012. Michael Wipp, Peter Sausen, Dirk Lorscheider: Der Regelkreis der Einsatzplanung: Dienstpläne sicher und effizient erstellen. Vincentz Network, Hannover 2012 Weitere Beiträge: Mehr über die schwierige Situation der WBL, wie Sie Abläufe prüfen und auswerten und wie Sie mit den richtigen Planungswerkzeugen steuern, lesen Sie in Altenpflege 10/2012 bzw. 12/2012.

Karla Kämmer ist Inhaberin der Karla Kämmer Beratungsgesellschaft in Essen. Kontakt per E-Mail: [email protected]

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