Wissen verlieren ist nicht schwer

▼▼▼ Methoden und Instrumente zur Wissensbewahrung im Unternehmen Wissen verlieren ist nicht schwer... Meist schmerzt es erst hinterher. Nämlich dann...
Author: Gundi Reuter
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Methoden und Instrumente zur Wissensbewahrung im Unternehmen

Wissen verlieren ist nicht schwer... Meist schmerzt es erst hinterher. Nämlich dann, wenn schnelle Reaktionen auf unvorhergesehene Situationen gefragt sind. Dann wird schlagartig bewusst, dass das Wissen und die Erfahrung des bisherigen Produktionsleiters fehlen, der letzten Monat in Rente gegangen ist. Wissen ist mittlerweile unverzichtbar für den entscheidenden Wettbewerbsvorsprung. Egal ob es sich dabei um Wissen über Produktionsprozesse oder den Umgang mit Kunden handelt: Der Weggang von Mitarbeitern stellt immer eine besondere Herausforderung für das Unternehmen dar. Der Verlust kann durch den Einsatz von Methoden und Instrumenten des Wissensmanagements minimiert werden. Eine vollständige Vermeidung des Wissensverlustes ist jedoch unmöglich bzw. sehr kostspielig. Die Frage ist daher, mit welchen Instrumenten der Wissensabfluss kostengünstig verringert werden kann, damit die wesentlichen Nachteile nicht auftreten. Dieser Artikel gibt zur Beantwortung dieser Frage zunächst eine Übersicht über die grundlegenden Elemente des Wissensmanagements. Zusätzlich werden grundlegende Fälle und Merkmale der Wissensübertragung unterschieden. Zum Abschluss werden zwei Instrumente vorgestellt, mit denen das Fraunhofer IPA in der Praxis gute Erfahrungen beim Wissenstransfer gesammelt hat. Im Rahmen des Wissensmanagements werden zwei Arten von Wissen unterschieden. Das ist zum einen das explizite/kodifizierte Wissen, das bereits dokumentiert vorliegt und normalerweise in schriftlicher Form weitergegeben werden kann. Auf der anderen Seite gibt es das implizite/personalisierte Wissen, das an Menschen gebunden ist und nur durch diesen transferiert werden kann. Ein leicht nachvollziehbares Beispiel für implizites Wissen ist das Fahrradfahren. Rad fahren kann nicht aus einem Buch gelernt werden. Das Prinzip kann durch Lesen von Büchern zwar verstanden werden, aber wie es genau geht, kann nicht erklärt werden, dazu ist die eigene Erfahrung notwendig. Schätzungen zufolge liegen mehr als 40 % des Wissens nur in impliziter Form vor. Die Aufgabe des Wissensmanagements liegt darin, das implizite Wissen übertragbar zu machen und für das explizite Wissen den leichten Zugang sicherzustellen. Ein Modell kann helfen, effektiven Wissenstransfer und seine wichtigsten Parameter zu verstehen. Das Modell wurde am Fraunhofer IPA entwickelt und macht die Prozesse sichtbar, die beim Wissenstransfer ablaufen. Michael Wesoly ist Leiter der Gruppe für Wissenstransfer am Fraunhofer IPA in Stuttgart. Neben seiner Tätigkeit im Bereich Wissensmanagement und Wissenstransfer in der Produktion beschäftigt er sich mit der Restrukturierung von Unternehmen nach den Grundsätzen der Lean Production und Wertstromdesign. Aktuell führt er diese Ansätze in einem gemeinsamen Konzept zusammen, um die notwendigen Verbesserungen im Wissens- und Informationsfluss in den administrativen Bereichen effektiver umzusetzen.

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Ways and means of corporate knowledge preservation

Knowledge has a way of disappearing ... The pain doesn’t usually set in until afterwards; an unexpected situation arises, demanding a quick response. Then the penny drops – the knowledge and experience of the previous production manager, who retired last month, is gone. Knowledge has become indispensable in the race to get ahead of the competition. Irrespective of whether the missing knowledge is about production processes or how to deal with customers – each time an employee leaves a company, the company faces a special challenge. The loss can be minimized with the use of knowledge management tools and methods. However, it is impossible or very expensive to avoid the loss of knowledge completely. So which tools can stem the flow of knowledge out of the company at a reasonable price and prevent the worst problems? To answer this question, this article first takes a look at the basic elements of knowledge management and then at the different situations and circumstances surrounding knowledge transfer. It concludes with a presentation of two tools which the Fraunhofer Manufacturing, Engineering and Automation IPA has found in practice to be very useful for knowledge transfer. Knowledge management differentiates between two types of knowledge. On the one hand there is explicit or codified knowledge, which has already been recorded and can usually be passed on as a written document. On the other hand there is tacit or personalized knowledge which is tied to people and which can only be passed on by them. A simple example of tacit knowledge is riding a bicycle. It is not possible to learn how to ride a bicycle from a book. It is possible to understand the principle from reading a book, but a book cannot explain exactly how it is done; personal experience is required. It is estimated that more than 40% of knowledge is only available in tacit form. It is the task of knowledge management to make the tacit knowledge transferable and ensure easy access to explicit knowledge. To clarify effective knowledge transfer and its most important parameters, a model has been developed at the Fraunhofer Institute for Manufacturing, Engineering and Automation IPA which shows the processes that take place in knowledge transfer. This model distinguishes between three instances. The crucial factor is who initiates the knowledge transfer. This can be the knowledge seeker, who has realized that he has a knowledge deficit, the knowledge provider wanting to share and pass on his knowledge or it might a third party, for example a manager, who triggers the transfer. Different parameters must be taken into account, depending on where the knowledge transfer starts. This also makes a difference to the knowledge flow.

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Im Rahmen dieses Modells unterscheiden wir drei Fälle. Entscheidend ist, wer den Anstoß zum Wissenstransfer gibt. Das kann der Wissen Suchende selbst sein, der ein Wissensdefizit bei sich erkennt. Oder es ist der Wissen Gebende, der sein Wissen teilen und weitergeben möchte. Oder ein Dritter – beispielsweise ein Vorgesetzter – gibt den Anstoß für den Wissenstransfer. Je nach Ausgangspunkt des Wissenstransfers müssen unterschiedliche Parameter berücksichtigt und ein anderer Wissensfluss ausgelöst werden.

Fall 1: Pull vom Wissensnehmer Der Impuls für den Wissenstransfer geht vom Wissen Suchenden aus (Bild 1). Er erkennt den Wissensbedarf bei sich – meist vor dem Hintergrund eines konkreten Anwendungsfalls – und begibt sich auf die Suche nach einer entsprechenden Wissensquelle. Entscheidend bei der Befriedigung des Wissensbedarfes ist dabei neben der Qualität des Wissens besonders die Geschwindigkeit des Zugriffs auf die benötigten Informationen. Die Wissensquelle kann dabei eine Person oder bereits kodifiziertes Wissen sein. Bei bereits kodifiziertem Wissen stellt sich die Frage, ob die relevanten Wissenselemente vorhanden und verständlich sind. Beim Erfahrungstransfer von Alt auf Jung wird im Normalfall nicht alles Wissen kodifiziert vorliegen und daher der persönliche Transfer notwendig sein. Ist der Wissensgeber identifiziert und gefunden, kann dieser anhand des Bedarfs des Wissen Suchenden die Nützlichkeit seines Wissens für den Empfänger bewerten sowie den notwendigen Kontext zur Wissensaufnahme bereitstellen. Übertragungsmedium und Struktur des Wissens können dann gemeinsam festgelegt werden. Positiv bei der direkten Übertragung ist, dass der Wissen Suchende das Wissen aufnehmen und direkt auf Anwendbarkeit prüfen kann. Ist etwas unklar, wird er nachfragen, bis sein Wissensbedürfnis gestillt ist.

Fall 2: Push vom Wissensgeber In jedem Unternehmen gibt es neben den Wissen Suchenden auch Personen, die ihr Wissen gerne an andere Personen weitergeben (Bild 2). Dies erfolgt meist durch den Weitblick der Mitarbeiter, die dieses Wissen auf Grund anstehender Ereignisse (Versetzung, Rente etc.) weitergeben möchten. Die Dringlichkeit des Wissenstransfers ist häufig nicht hoch, da es sich eher um präventive Wissensweitergabe handelt. Da die Wissensabnehmer zum Zeitpunkt der Wissensexplikation im Regelfall noch nicht feststehen, kommt für den Wissenstransfer hauptsächlich die Kodifizierung des Wissens in Frage. Umso wichtiger ist es, die Bedürfnisse der potenziellen Wissensabnehmer zu identifizieren. Ansonsten transferiert der Experte sein Wissen am Bedarf der Abnehmer vorbei. Als Anhaltspunkt kann eine kurze interne „Marktforschung“ hilfreich sein, die eine sinnvolle Struktur für den Wissenstransfer bereitstellt. So wird die Abnehmerseite des Wissensmarktes in die Transferüberlegungen mit aufgenommen. Auf Grund seiner Erfahrungen ist es dem Experten auch möglich, selbst ein geeignetes Schema zu entwickeln. Dabei kann jedoch das Problem entstehen, dass der notwendige Kontext bei der Kodifizierung vom Experten vergessen wird. Die Anschlussfähigkeit des Wissens beim Abnehmer ist damit nicht mehr gewährleistet. Hier leistet eine Strukturierung gute Dienste, da sie sowohl dem Wissensgeber als auch dem Wissensnehmer hilft, den transferierten Inhalt leicht zu verstehen bzw. zu erfassen.

Fall 3: Push von dritter Seite Im dritten Fall werden Wissensbedarfe aus strategischen/übergeordneten Überlegungen festgestellt (Bild 3). Auch in diesem Fall ist die Bedarfserhebung der kritische Ansatzpunkt, da hiermit die Qualität des Wissenstransfers festgelegt wird. Im Normalfall wird die Notwendigkeit für den Wissenstransfer den Beteiligten nicht bewusst sein, da sie ansonsten bereits eigen-

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➋ Wissensträger suchen Look for knowledge holder

➊ Wissensbedarf erkennen Identify knowledge requirement

➏ Wissen direkt anwenden Apply knowledge directly



Wissensabnehmer Knowledge seeker

Wissen identifizieren Identify knowlege n Kontext Context n Bewertung Analysis

Wissensgeber Knowledge provider

➎ Wissen aufnehmen

➍ Wissen transferieren/Transfer knowledge

n Pull (Einsatzfall klar) Assimilate knowledge n Pull (Application known)

n Struktur/Structure n Medium/Medium n Verständlichkeit/Clarityä

Bild 1. Anstoß zum Wissenstransfer durch den Wissensabnehmer (Pull) Fig. 1. Knowledge seeker initiates knowledge transfer (pull)

Case 1: Pull from knowledge seeker The impetus for the knowledge transfer originates from the knowledge seeker (Fig. 1). He detects a requirement for knowledge – usually against the background of a specific application – and starts to search for an appropriate source. Crucial to satisfying the requirement for knowledge are the quality of the knowledge and the speed with which he can access the information he requires. The source can be a person or knowledge that has already been codified. In the latter case, the question arises whether the relevant knowledge elements are available and can be understood. If experience is being transferred from an older to a younger person, not all of the knowledge is usually available in a codified form and personal transfer becomes necessary. Once identified and located, the knowledge provider can assess the usefulness of his knowledge against the requirements of the knowledge seeker and provide the necessary context for the knowledge to be assimilated. Transfer medium and the way the knowledge is structured can be determined jointly. A positive aspect of direct transfer is that the knowledge seeker can assimilate the knowledge and test it for usefulness. If something is not clear, he can ask questions until his need for knowledge has been satisfied.

Case 2: Push from knowledge provider In any company there are knowledge seekers and there are people who like to pass on knowledge to other people (Fig.2). This usually takes place thanks to the farsightedness of employees who are prompted to pass on the knowledge by coming events (move to another job, retirement etc). The knowledge

➊ Wissensbedarf erkennen Identify knowledge require➋ ment Wissen

➎ Wissen bei Gelegenheit anwenden Apply knowledge as required

Wissensabnehmer Knowledge seeker

❹ Wissen aufnehmen n Push (Einsatzfall unklar) Assimilate knowledge n Push (Application not known)

Wissensgeber Knowledge provider

identifizieren Identify knowlege n Kontext Context n Bewertung Analysis

➌ Wissen transferieren/Transfer knowledge n Struktur/Structure n Medium/Medium n Verständlichkeit/Clarityä

Bild 2. Anstoß zum Wissenstransfer durch Wissensgeber (Push) Fig. 2. Knowledge provider initiates knowledge transfer (push)

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➊ Wissensbedarf erkennen Identify knowledge requirement Wissenstransfer anstoßen: Initiate knowledge transfer:





Wissenstransfer anstoßen: Pull Initiate knowledge transfer: Pull

Wissenstransfer anstoßen: Push Initiate knowledge transfer: Push

Initiator

Wissensabnehmer Knowledge seeker

Wissensgeber Knowledge provider

Bild 3. Anstoß zum Wissenstransfer durch einen Dritten Fig. 3. Third party initiates knowledge transfer

transfer is frequently not urgent, as it is more of a preventative matter. As the recipients of the knowledge are usually not known at the time when the knowledge is made explicit, the knowledge transfer can in most cases only take the form of a codification. It is therefore more important to identify the requirements of the potential recipients of the knowledge as otherwise they will be unable to use the knowledge transferred by the expert. A helpful starting point can be a brief internal “market research“ project to provide a meaningful structure for the knowledge transfer. This takes the receiving side of the knowledge exchange into account when the transfer is considered. As the expert is experienced, he can also draw up a suitable plan. However, this can give rise to the problem that the expert forgets the necessary context for the codification. The relevance of the knowledge is then lost to the recipient. Structuring is very helpful here as it helps both the knowledge provider and the knowledge seeker to understand and retain the transferred content.

Case 3: Push from a third party ständig die Fälle 1 oder 2 angestoßen hätten. Eine besondere Schwierigkeit ist daher die Motivation der beteiligten Personen, da mit dem Wissenstransfer Aufwände auf beiden Seiten verbunden sind. Wenn weder der Wissensgeber noch der Wissensnehmer den Anwendungsbezug und die Vorteile für sich sehen, wird ihre Motivation zur Wissensweitergabe recht gering sein. Hier ist besonders darauf zu achten, dass die Notwendigkeit für den Wissenstransfer nicht nur den beiden Teilnehmern klar bewusst gemacht wird, sondern auch das Engagement des Auslösenden über den Zeitraum des Wissenstransfers klar erkenntlich ist. Durch die Unterstützung des Wissenstransferprozesses durch sinnvolle Instrumente kann der Aufwand der Beteiligten reduziert und damit die (Motivations-) Hemmschwelle für den Wissenstransfer gesenkt werden. Der eigentliche Transfervorgang folgt den Abläufen der Fälle 1 und 2.

Instrumente zur Wahrung des Wissens im Unternehmen Es gibt zahlreiche Instrumente zur Bewahrung des Wissens im Unternehmen. VW nennt das Instrument Wissensstafette [2], EADS setzt die Methode Cygma [3] ein, der gezielte Einsatz von Mentoren hat sich bei überbetrieblichen Partnerschaften bewährt. Beispielsweise gibt es seit 1998 ein überbetriebliches Mentorenprogramm (Cross-Mentoring) der Unternehmen Commerzbank, Deutsche Bank, Lufthansa, Telekom, Bosch, Fraport, Merck sowie Procter & Gamble [4]. Das Fraunhofer IPA hat zwei Methoden der Wissensbewahrung entwickelt und mit Erfolg in Unternehmen eingesetzt. Dies ist zum einen das Instrument der „Wissensbausteine“, zum anderen das der „Rich-Media-Doku“, einer Form der visuellen Wissensweitergabe.

Wissensbausteine Die Methode „Wissensbausteine“ [5] arbeitet mit einem halb strukturierten Interview, das sicherstellt, dass alle wichtigen Aspekte des vorliegenden Wissens für nachfolgende Wissensabnehmer erhalten bleiben. Aus diesem Interview werden die Hauptaspekte textlich und bildlich aufbereitet und über das Intranet oder das Netzwerk unternehmensweit zugänglich gemacht. Konkret läuft die Methode in sechs Schritten ab [6, 7]: 1. Brainstorming: Gemeinsam mit dem Experten werden in einem Brainstorming die Wissensinhalte gesammelt, die immer wieder nachgefragt werden oder dem Experten wichtig erscheinen. Die Ergebnisse des Brainstormings werden parallel in einer Mindmap dokumentiert und dienen als Grundlage für die weiteren Bearbeitungsschritte.

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In the third case the requirement for knowledge is identified as the result of strategic or managerial considerations (Fig. 3). The knowledge gap analysis is crucial here too, as the quality of the knowledge transfer is established at this point. Normally, the parties involved will not know that the knowledge transfer is necessary, as otherwise they would have initiated case 1 or case 2 of their own accord. One problem in this case therefore is the motivation of the persons involved, as the knowledge transfer will mean a certain amount of effort on both sides. If neither the knowledge provider nor the knowledge recipient see any relevance or benefit to themselves, they will be insufficiently motivated to participate. Special care should be taken here to ensure that not only the necessity of the transfer is made clear to both the participants but also that the initiator is seen to be fully committed to the process throughout. By supporting the knowledge transfer process with the appropriate tools, the effort made by the participants can be reduced and the motivational inhibition threshold of the transfer lowered. The actual transfer then unfolds as described for cases 1 and 2.

Tools for corporate knowledge preservation There are numerous tools for preserving corporate knowledge. VW calls its tool a “knowledge courier“ [2], EADS uses the Cygma method [3]; mentors have been used specifically for this purpose in partnerships between different companies with some success. For example, since 1998, there has been a cross-mentoring program run by the Commerzbank, Deutsche Bank, Lufthansa, Telekom, Bosch, Fraport, Merck and Procter & Gamble [4]. Fraunhofer Institute for Manufacturing, Engineering and Automation IPA has developed two methods of knowledge preservation and deployed them successfully in companies. They are the “Knowledge Components“ method and the “Rich Media Doku“ method, form of visual knowledge transfer.

Knowledge components The “Knowledge components“ method [5] uses a semi-structured interview which ensures that all the important aspects of the knowledge in question remain intact for the successors to the knowledge. The main aspects identified in this interview are drawn up as text and as graphics and made accessible throughout the company on the Intranet or the network. In concrete terms, the method goes through six steps [6, 7]: 1. Brainstorming: Knowledge content that is frequently requested or which seems important to the experts is collected in a brainstorming session with them. The results are documented in parallel in a mind map and are used as the basis for the following steps.

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2. Cross-check: Anhand einer Checkliste, die unternehmensspezifischen Besonderheiten angepasst ist, wird das Ergebnis des Brainstormings überprüft und gemeinsam mit dem Experten gegebenenfalls ergänzt. Die Checkliste ermöglicht eine Kanalisierung des Wissens in eine gewisse Struktur, die bei Bedarf angepasst wird. Der Zeitaufwand für die ersten beiden Phasen beschränkt sich im Normalfall auf ein Interview von rund 4 Stunden je Wissensgebiet. 3. Erster Entwurf: Von dem Interviewer werden die besprochenen Inhalte in einem Wissensbaustein dokumentiert. Dabei werden zusätzlich die Texte und Informationen ausgewertet und verarbeitet, die der Experte zur Verfügung stellt und teilweise selbst noch erarbeitet. Besonders erfolgreich war die Integration von multimedialen Inhalten wie etwa Bildern oder kurzen Videos, die das Beschriebene noch anschaulicher machen. Das Ergebnis der Aufbereitung des Wissensbausteins ist ein Text von etwa 4 bis 8 Seiten. 4. Redigieren: Zur Qualitätssicherung der Wissensinhalte überprüft der Experte den Wissensbaustein auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Häufig wird bei dieser Überprüfung und Reflexion auch für den Experten mancher Sachverhalt noch klarer. Der Blick eines Externen in sein Wissensgebiet fördert die elementaren Bestandteile seiner Tätigkeit zu Tage. Ein Grund, dieses Instrument nicht nur beim Ausscheiden eines Mitarbeiters zu verwenden. 5. Referenzierung: Nach den letzten Änderungen durch den Experten, wird der Wissensbaustein in die vorhandene Wissensbasis eingefügt. Dies erfolgt durch die Referenzierung des Wissens anhand einer unternehmensspezifischen Wissensstruktur, die darüber hinaus als Navigationsstruktur durch die Wissensbestände dient. Eine Mehrfachreferenzierung (Einordnung des Wissensbausteins in verschiedene Strukturen) erlaubt den Zugriff auch aus verschiedenen Blickwinkeln heraus. So wird ein Mitarbeiter ein Wissenselement zu den Eigenschaften von Materialien gemäß seiner aktuellen Konstruktionsaufgabe eher unter dem Blickwinkel Produkt sehen (Welche Materialien werden in welchen Produktbestandteilen normalerweise eingesetzt?), ein anderer aus der Produktion wird eher auf Grund der Verarbeitungsprozesse auf dieses Wissenselement stoßen. Die Verschlagwortung ermöglicht den sinnvollen Zugriff auf das dokumentierte Wissen. 6. Freigabe: Zum Abschluss wird der Wissensbaustein von den Beteiligten freigegeben und damit der allgemeine Zugriff auf diesen Wissensbaustein durch die Mitarbeiter des Unternehmens ermöglicht. Sinnvoll ist eine Lösung, die mit einem Standard-Webbrowser arbeitet und so einen problemlosen Zugang erlaubt.

Rich-Media-Doku Die zweite Methode der „Rich-Media-Doku“ [8] eignet sich vor allem für den Transfer von „praktischem“, implizitem Wissen – etwa in Produktionsbereichen. So kann die Dokumentation des Erfahrungswissens langjähriger Mitarbeiter vereinfacht und gewährleistet werden. Kern der Methode ist die Bewahrung des relevanten Wissens in kurzen Videosequenzen, die mit erläuternden Texten im schnellen Zugriff sind. Technisch ist die Nutzung von Videos kein Problem mehr. Die Methode liefert einen schnellen und intuitiven Weg, um Erfahrungen zu transferieren. So muss dem Begleiteten nicht jeder Aspekt einer manuellen Tätigkeit bewusst sein. Durch die einfache Durchführung der Tätigkeit wird das Wissen festgehalten. Häufig kann der Nachfolger, der bereits erste Erfahrungen mit der Problematik gesammelt hat, auf dem Video die entscheidenden Handgriffe sehen. Zusätzlich kann durch eine textliche Strukturierung ein schneller Zugriff auf einzelne Videosequenzen gewährleistet werden. Um eine Akzeptanz bei den Wissen Suchenden zu schaffen, ist eine Dauer der Wissenseinheiten von 1 bis 1,5 Minuten nicht zu überschreiten. Zur Erstellung dieser „Wissenskonserven“ hat sich folgender Ablauf als zweckmäßig erwiesen [9]: 1. Drehbuch: Um eine grobe Strukturierung der Wissensinhalte zu erreichen und eine sinnvolle Planung der nachfolgenden Aufnahme zu ermöglichen, wird gemeinsam mit dem beteiligten Experten ein Drehbuch erstellt. Dies dient zum einen zum Sammeln der relevanten Wissenselemente, zum anderen auch zur Fokussierung auf die wirklich relevanten Fragestellungen. Zudem führt es langsam in den Prozess ein und nimmt so das Lampenfieber für die Aufnahmephase. 2. Aufnahme der Videosequenzen: Mit einer normalen Videokamera kann die Tätigkeit aufgenommen werden. Sinnvoll ist dabei entweder das erläuternde Erklären des Experten während der Tätigkeit oder das Abspielen des erläuternden Textes während der Aufnahmen, da in der Zusammenstellung Ton und Bild einander ergän-

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2. Cross-check: Using a checklist specially adapted to the company in question, the brainstorming results are reviewed and the experts add information if necessary. The checklist allows the knowledge to be channelled into a specific structure which can be adjusted if required. The time spent for the first two phases is normally no more than a 4 hour interview for each knowledge area. 3. First draft: The interviewer records the content discussed in a knowledge component. The text and information are analysed and processed, in some cases by the expert who supplied them. Integration of multimedia content such as pictures or short videos to illustrate the content has had particularly good results. A text of 4 to 8 pages results from processing the knowledge component. 4. Review: To guarantee the quality of the knowledge content the expert reviews the knowledge component for correctness and completeness. Frequently, some of the facts become clearer to the expert as he reviews and thinks about them. Having someone from the outside look at his area of knowledge reveals the basic elements of his work – a good reason to use this instrument at times other than when an employee is leaving the company. 5. Referencing: After the expert has made final modifications, the knowledge component is added to the existing knowledge base. This is done by referencing the knowledge with a company-specific knowledge structure, which is also used to navigate through the knowledge components. Multiple referencing (assigning the knowledge component to different structures) permits access from different angles. For example, an employee engaged in design work will see a knowledge element about the properties of materials from the product angle (which materials are normally used in which product components?); another employee in the production department will arrive at this knowledge element from the processing point of view. Assigning key words allows meaningful access to the documented knowledge. 6. Approval: Finally, the knowledge component is approved by those involved and enabled for general access by employees of the company. It is useful for the solution to work under a standard Web browser, which will allow easy access.

Rich Media Doku The second method, “Rich-Media-Doku“ [8] is suitable for the transfer of practical tacit knowledge – in production departments, for example. It simplifies and guarantees documentation of the experiential knowledge held by employees with many years of service. At the heart of the method are recordings of the relevant knowledge in short video sequences, readily accessible with explanatory texts. From a technical point of view, using a video does not present any problems. This method provides a quick and intuitive way of transferring experience. The person being recorded need not be aware of every aspect of a manual activity. The knowledge is preserved simply as the activity is carried out. The successor, who has already gained some idea of the issues involved can often see the key movements on the video. Furthermore, structured text allows speedy access to individual video sequences. To ensure that the method is well received by the knowledge seekers, the knowledge units should not last more than 1 to 1.5 minutes. The following procedure has proved useful for creating this “knowledge conserve“ [9]: 1. Script: The expert helps to draw up a script which will give a rough structure to the knowledge content and create a constructive plan for recording. This serves firstly to collect the relevant knowledge elements and secondly to focus on the really significant issues. It also introduces the process slowly and minimizes stage fright during the recording phase. 2. Recording the video sequences: The activity can be filmed with a normal video camera. It is helpful to have the expert explain the activity as he carries it out or to play an explanatory text during recording as sound and picture complement each other. The problem is that the activities are as a rule quite short, the explanations on the other hand take longer. The time factor is therefore dictated by the sound in the Rich Media Doku method. 3. Combination of media in the Rich Media Doku method: The text passages, the video and the sound are now processed for quick access. These elements are brought together into one programme and made available for use via a standard Web browser. The individual films can be divided into chapters to allow faster navigation. This gives the content structure and a starting point for knowledge recipients at a later date. Furthermore, the user can go

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zen. Das Problem dabei ist, dass die Tätigkeiten an sich im Regelfall recht kurz sind, die Erläuterungen jedoch ausführlicher sind. Der Ton wird somit zum Zeit vorgebenden Faktor in der Rich-MediaDoku. 3. Kombination der Medien zur Rich-Media-Doku: Die Textpassagen, das Video und der Ton werden nun für den schnellen Zugriff aufbereitet. Dazu werden diese Elemente in einem Programm gemeinsam verarbeitet und zur Nutzung in einem Standard-Webbrowser ausgegeben. Die einzelnen Kurzfilme können zur schnelleren Navigation zusätzlich mit Kapiteln versehen werden, die den Inhalt strukturieren und somit einen Anhaltspunkt für spätere Wissensabnehmer darstellen. Der Benutzer kann zudem jederzeit auf unverständliche Passagen zurückspringen und sich den Inhalt noch einmal anschauen.

Die in Unternehmen häufig vernachlässigte Wissensbewahrung ist aufgrund der demografischen Entwicklung inzwischen zu einem ernst zu nehmenden Problem geworden. Wirtschaftlich sinnvoll ist dabei nur die Bewahrung des unternehmenskritischen, wichtigen Wissens; welche Wissensinhalte des Unternehmens letztendlich relevant sind und bewahrt werden sollen, avanciert damit zur Schlüsselfrage. Die Auswahl der Inhalte anhand des potenziellen Wertes für das Unternehmen gestaltet sich schwierig. Der Wert einer Wissenseinheit ist im Vorfeld nicht exakt zu bestimmen, da er stark vom Vorwissen der aufnehmenden Person abhängig ist. Die Abwägung, welche Wissensinhalte bewahrenswert sind, kann daher nur im speziellen Unternehmenskontext und Mitarbeiterumfeld entschieden werden. Entscheidungshilfen für diesen Prozess stehen zur Verfügung. Das Fraunhofer IPA hat diesen Prozess mehrfach erfolgreich begleitet und kann aus dieser Erfahrung heraus eine zielgerichtete Auswahl aus der großen Anzahl der Wissensmanagementinstrumente treffen [10]. Zwei Instrumente, die den Wissenstransfer sinnvoll unterstützen, wurden in diesem Artikel näher vorgestellt. Die Bewahrung von Wissen im Unternehmen ist also ein aufwändiges, aber lohnendes Projekt. Auf die Bewahrung des Wissens gänzlich zu verzichten oder die Gefahr durch den Wissensverlust zu unterschätzen, ist hingegen eine sträfliche Unterlassung. Denn es schmerzt, wie eingangs ausgeführt, meist erst hinterher. Michael Wesoly, Stuttgart

LITERATUR [1] „The Delphi report on Knowledge Management – In Perspective, 1997“ dargestellt in http://www.gse. harvard.edu/~t656_web/Spring_2002_students/kothuri_ smita_knowledge_in_orgs.htm, 15.04.2004. [2] Haarmann, Anne-Rose; Burski, Lucie: Wenn das Wissen geht – die Wissensstafette bei Volkswagen. In: Wissensmanagement (2003) Nr. 8, S. 39–41. [3] Wilde, Marco: Der Experte geht, sein Wissen bleibt. In: Schraft, Rolf Dieter (Hrsg.) u. a.: Erfolgreiches Wissensmanagement – technikgetrieben oder menschenzentriert?: 4. Stuttgarter Seminar für Wissensmanagement in produzierenden Unternehmen, F 79, 24. September 2002, Stuttgart, S. 62–75. [4] http://www.zfbt.de/chance/mentoring/crossmentoring.pdf, 15.04.2004. [5] http://www.ipa.fhg.de/Arbeitsgebiete/BereichA/210/ referenzprojekte/wissensbausteine/ [6] Hanselmann, Jochen: Wissenstransfer zwischen Produkt-

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back to passages he has not understood at any time and watch the film again.

Companies frequently neglect knowledge preservation but recent demographic development has made it a serious issue. It only makes economic sense to preserve important knowledge that is crucial to the organisation; which parts of the organisation’s knowledge will prove to be relevant and need to be kept becomes a key question. It is difficult to select content based on its potential value for the company. The value of a knowledge unit cannot be determined precisely in advance, as it is strongly dependent on the existing knowledge of the recipient. It is only possible to weigh up which knowledge is worth keeping in the specific corporate context and with reference to the employees and their circumstances. There are decision making tools for this process. Fraunhofer Manufacturing, Engineering and Automation IPA has often successfully overseen this process and with the experience thus gained is in a position to make an appropriate selection from the large number of knowledge management tools available [10]. Two methods which help with the transfer of knowledge have been discussed in some detail in this article. Preserving knowledge in a company is therefore a labourintensive, but worthwhile project. Dispensing with knowledge preservation completely or underestimating the danger of losing knowledge almost amounts to criminal neglect. As I said at the beginning of the article: it only starts to hurt after the fact. Fraunhofer IPA Unternehmensmanagement Michael Wesoly Gruppenleiter Wissenstransfer Nobelstr. 12 70569 Stuttgart % +49 (0) 711 / 970-13 88 Fax: +49 (0) 711 / 970-10 02 E-Mail: [email protected] www.ipa.fraunhofer.de

REFERENCES entwicklungsprozessen. Heimsheim: Jost-Jetter Verlag, 2001. Stuttgart, Univ., Diss. 2001. [7] Westkämper, Engelbert; Hanselmann, Jochen; Fendt, Ruth: Wissenstransfer zwischen Produktentwicklungsprojekten. In: Industrie Meister 28 (1999) Nr. 11, S. 7–12. [8] http://www.rich-media-doku.de [9] Wesoly, Michael: Visuelles Wissensmanagement in der Produktion. In: Schraft, Rolf Dieter (Hrsg.) u. a.: Wissensmanagement wird konkret – praxisorientierte Lösungen für moderne Organisationen: 5. Stuttgarter Seminar für Wissensmanagement in produzierenden Unternehmen. Fraunhofer IPA Seminar F 94. 25. September 2003, Stuttgart, S. 76–98. [10] Wesoly, Michael; Stolk, Arco: Instrumente des Wissensmanagements. In: Bullinger, Hans-Jörg (Hrsg.) u. a.: Neue Organisationsformen im Unternehmen: Ein Handbuch für das moderne Management. Berlin u. a.: Springer, 2003, S. 685–704.

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