Richard Schantz (Hrsg.)

Ph i los 0 phi sc h e An a I y s e

Philosophical Analysis

Herausgegeben von / Edited by

W~hmehmung und Wirklichkeit

Herbert Hochberg • Rafael Hüntelmann • Christian Kanzian

Richard Schantz • Erwin Tegtmeier

Band 31/ Volume 31

ontos verlag F:rHnUurt I Paiü:; I Lancaste.r I NEN:! BllInswick

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ISBN 978-3-86838-42-2

2009

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Für meine Mutter

Inhalt

Einleitung: Wahrnehmung und Wirklichkeit

7

I. Johannes Haag: Sinneseindrücke und die ,Führung von außen'

19

2. Richard Schantz: Die Struktur der sinnlichen Erfahrung

59

3. Mark Textor: Feine Unterschiede und Demonstrative Begriffe

77

4. Frank Hofmann: Wahrnehmung als Rechtfertigung

95

5. Albert Newen und Ulrike Pompe: Begriff und Erkenntnis: Eine

Analyse von Objektwahrnehmung im Rahmen einer repräsenta­ tionalen Theorie

123

6. Sven Bernecker: Die Kausaltheorie der Wahrnehmung und der

direkte Realismus

155

7. Oliver R. Scholz: Das Zeugnis der Sinne und das Zeugnis anderer

183

8. Thomas Grundmann: Die Wahrnehmung kausaler Prozesse

211

9. Erwin Tegtmeier: Grossmanns Philosophie der Wahrnehmung

229

Albert Newen und Ulrike Pompe: Begriff und Erkenntnis: Eine Analyse von Objekt­ wahrnehmung im Rahmen einer repräsenta­ tionalen Theorie

ABSTRACT. McDowell vertritt die kantische These, dass jede Wahrneh­ mung eines Objekts Begriffe involviert. Gemäß Dretske, Evans u.a. dage­ gen ist der Inhalt meiner Wahrnehmung nichtbegrifflich, während nur das Wahrnehmungsurteil begrifflich ist. Ziel der Darstellung ist es, aufzuzei­ gen, in welcher Weise beide Thesen nur eine Teilwahrheit enthalten. Die Wahrnehmung von Einzeldingen gehört zwar zu den grundlegenden Alltagswahrnehmungen, aber trotzdem ist bereits dies ein komplexer Pro­ zess, in dem nicht nur modularisierte, bottom-up Prozesse im Spiel sind, sondern auch top-down-Einflüsse systematisch zu berücksichtigen sind. Die zentrale Arbeitshypothese besteht in einer Unterscheidung von drei Ebenen der Objektwahrnehmung, die die Rolle von Begriffen zu klären erlauben: i) Die Ebene der basalen Wahrnehmungsprozesse, ii) die Ebene des Wahrnehmungsinhalts und iii) die Ebene der Wahrnehmungsurteile. Im Einzelnen lassen sich die Ebenen wie folgt charakterisieren: Bei den Wahrnehmungsprozessen der ersten Stufe handelt es sich um basale, mo­ dularisierte Informationsverarbeitungsprozesse wie Kanten- und Farbde­ tektion. Auf der zweiten Ebene greifen Aufmerksamkeitsmechanismen, wie sie in Modellen von Anne Treisman oder Zenon Pylyshyn beschrieben werden, in den Prozess der Objekterkennung ein. Die einzelnen Merkmale des visuellen Feldes werden durch "binding"-Prozesse in Objekte unter­ gliedert. Es werden stabile Objektrepräsentationen aufgebaut, die den Wahrnehmungsinhalt ausmachen, der üblicherweise bewusst erfasst wird. Auf der letzten Ebene .stehen die Wahrnehmungsurteile, die wesentlich sprachliche Repräsentationen einbeziehen. Jegliches semantisches Wissen: das sich auf das Objekt bezieht, also sein Name, seine Funktion, usw. können - wenn nötig - abgerufen und Teil der bewussten Objektrepräsen­

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Albert Newen und Ulrike Pampe

Begriffund Erkenntnis: Eine Analyse von Objektwahrnehmung

tation werden. Für diese Unterteilung gibt es vielfältige empirische Evi­

denzen.

Die genaue Betrachtung der Interaktion der drei Ebenen ermöglicht eine

neue Stellungnahme zu dem Streit um die Rolle der Begriffe in der Ob­

jektwahrnehmung:Da neuere Studien belegen, dass die Ebenen I und 2

auch ohne die Ebene 3 (der Wahrnehnungsurteile) eine Objektwahrneh­

mung vollständig bestimmen, kann ein kognitives System Objekte wahr­

nehmen, ohne über Begriffe zu verfügen (hier hat Dretske Recht). Ande­

rerseits können Begriffe auch den Wahrnehmungsinhalt mitbestimmen

(contra Dretske), aber sie müssen es nicht immer (contra McDowell),

selbst wenn ein kognitives System über Begriffe verfügt. Wahrnehmungs­

inhalte können daher sowohl begrifflich als auch nichtbegrifflich sein, es

hängt einfach davon ab, ob Begriffe tatsächlich bei der Genese eines be­

stimmten Wahrnehmungserlebnisses eine Rolle gespielt haben (oder nicht).

1. Einleitung: Die Debatte über die Rolle von Begriffen bei Wahrneh­

mungen

In der Erkenntnistheorie gibt es eine umfassende Diskussion darüber, welche Rolle das Verfügen über Begriffe bei Wahrnehmung spielt: Sind Wahrnehmungen ohne Begriffte möglich (ohne dass begriffliche Repräsen­ tationen beim Aufbau eines Wahrnehmungserlebnisses beteiligt sind)? Diese Frage soll im Folgenden vor allem mit Blick auf Objektwahrneh­ mungen diskutiert und neu beantwortet werden. Kant hat in der Erkennt­ nistheorie die als kopernikanische Wende bezeichnete Position prominent gemacht, dass ohne das Zusammenspiel von Sinnlichkeit und Verstand keine Wahrnehmung von Objekten möglich ist. Dabei wird der Verstand als das Vennögen, Begriffe anzuwenden, aufgefasst. Kant vertritt somit die Position, dass ohne die Strukturierung von Sinnesdaten durch Begriffe - er nennt sie Kategorien - keine Objektwahrnehmung stattfinden kann. Ande­ rerseits hält er aber auch die Aufnahme von seiner Meinung nach völlig unstrukturierten Sinnesdaten für einen notwendigen Bestandteil und hat daher die These des unverzichtbaren Zusammenspiels von einer rezeptiven Aufnahme von Sinnesdaten und einer aktiven (spontanen) Strukturierung mittels Begriffen (neben der Strukturierung hinsichtlich Raum und Zeit)

I1

125

aufgestellt. Da es ein Gemeinplatz ist, dass Gedanken auf Begriffen basie­ ren, fonnuliert kann seine These wie folgt: "Gedanken ohne Inhalt sind leer. Anschauungen ohne Begriffe sind blind." (Kant KrV B75, A51). Diese lange Zeit dominierende erkenntnistheoretische Grundposition führte in Verbindung mit der Ausbildung der Sprachphilosophie zu Beginn des 20. Jh. dazu, dass Objektwahrnehmungen immer unmittelbar mit dem Verfügen über sprachliche Ausdrücke zur Klassifikation der Objekte bzw. mit der Fähigkeit, sprachliche Satzbeschreibungen der Objekte abzugeben, verknüpft wurde. Der Wahrnehmungsinhalt wurde meist als begrifflich strukturiert betrachtet. Ausgehend von den Arbeiten von Fred Dretske (Dretske 1969, 1981, 1988, 1995) ist dann die These ausgearbeitet worden, dass es nichtbegriffliche Inhalte einer Wahrnehmung gibt, die von den Wahrnehmungsurteilen strikt zu trennen sind. Dazu haben wesentlich auch die Arbeiten von Gareth Evans (Evans 1982) beigetragen. 1 McDowell (McDowell 1994) hat insbesondere Evans' Theorie in den Blick genom­ men und versucht, die Kantische Grundthese wieder zu beleben, dass Wahrnehmung stets begrifflich ist. Diese wichtige Diskussion leidet bisher unter zwei Defiziten: I. die Autoren berücksichtigen nur wenige (durchaus wichtige) phänomenologische Beobachtungen, während die enonnen Erkenntnisfortschritte in der Neuropsychologie der Wahrnehmung ver­ nachlässigt werden, und 2. es fehlt fast durchgängig eine klare Konzeption davon, was es heißt, über Begriffe zu verfügen. Wir möchten daher mit einer klaren Grundkonzeption des Verfügens über Begriffe unter Einbeziehen einschlägiger empirischer Erkenntnisse zur Wahrnehmung eine neue Antwort entwickeln, deren Grundlinie wie folgt charakterisiert werden kann: Dretske und Evans weisen (gegen Mc­ Dowell) zu Recht auf eine grundlegende Differenz zwischen Wahrneh­ mungsinhalten und Wahrnehmungsurteilen hin. Weiterhin ist es so, dass Wahrnehmungsinhalte nichtbegrifflich sein können. Aber McDowells Beobachtungen kann ebenfalls partiell Rechnung getragen werden, näm­ lich dadurch, dass bei einem kognitiven System, das über Begriff verfügt, Wahrnehmungsinhalte auch begrifflich bestimmt sein können. Anders als McDowell es behauptet, müssen sie es allerdings nicht in allen Fällen sein; I Zu den wichtigen Autoren gehören natürlich eine ganze Reihe anderer, z.B. auch Christopher Peacocke (Peacocke 1992b) und Tim Crane (Crane 2007). Zu dieser Debatte siehe den Band von Gunther (Gunther 2003).

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Albert Newen und U/rike Pompe

Begriffund Erkenntnis: Eine Analyse von Objektwahrnehmung

Begriffliche Repräsentationen können also, aber müssen nicht den Wahr­ nehmungsinhalt beeinflussen. Der Aufsatz ist so aufgebaut, dass zunächst einige minimale Kriterien für das Verfügen über Begriffe aufgezeigt werden, die dann als Grundlage für die Diskussion der zentralen Argumente für und gegen nichtbegriffli­ che Inhalte verwendet werden können. Im zentralen Teil wird dann unsere eigene Position entwickelt, die sich durch die Einbeziehung kognitions­ und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse auszeichnet

2. Minimale Kriterien für das Verfügen über Begriffe Wir möchten einige zentrale Merkmale für das Verfügen über Begriffe aufzeigen, die es erlauben, die Diskussion präziser zu führen. In der Aus­ einandersetzung mit den Argumenten für und gegen nichtbegriffliche Gehalte werden diese Merkmale nicht als allgemein akzeptiert vorausge­ setzt, sondern als Bezugsgrößen, die es ermöglichen, Klarheit in die Debat­ te zu bringen. Dabei ist es eine allgemeine Hintergrundannahme, dass bei der Verursa­ chung von Verhaltensweisen kognitiver Systeme Repräsentationen eine Rolle spielen können. Wenn Repräsentationen für eine Verhaltenserklä­ rung relevant werden, dann stellt sich die Frage, welcher Art die vorlie­ genden Repräsentationen sind: begrifflich oder nichtbegrifflich. Die Haupt­ intuition in Bezug auf begriffliche Repräsentationen (pder auch kurz: Begriffe) speist sich aus der Verwendung von Worten im Alltag, die in jedem Fall Begriffe zum Ausdruck bringen. Sie lautet: Die Hauptfunktion von Begriffen besteht darin, die Klassifikation von Objekten hinsichtlich ihrer Eigenschaften zu ermöglichen. Dies lässt sich genau spezifizieren: Begriffliche Repräsentationen haben eine interne Objekt-Eigenschaft­ 2 Struktur , so dass ein Teil der Repräsentation für ein Objekt und ein ande­ rer Teil für eine Eigenschaft steht. Diese Annahme wird u.a. durch ent­ wicklungspsychologische Studien (Baillargeon, Speike, Wassermann 1985) untermauert, die zeigen, dass das Erfassen der Permanenz eines In einer vollständigen Betrachtungsweise müsste man auch Ereignis-Eigenschaft­ Strukturen berücksichtigen. Eine entsprechende Verallgemeinerung der Überlegungen ist berücksichtigt in Newen/Bartels 2007. 2

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I

127

Objekts eine Fähigkeit ist, die Kinder zwar früh erwerben, aber doch erst zwischen dem 5. und 9. Lebensmonat erlernen: Die Kinder lernen erst in dieser Phase zu erfassen, dass ein Objekt, das hinter einem Schirm ver­ schwindet und an der anderen Seite wieder zum Vorschein kommt, dassel­ be Ding ist. Dabei ist zweierlei bemerkenswert: Das Erfassen von Objekt­ permanenz entsteht einerseits später als die Fähigkeit eines Babies, seine Umwelt wahrzunehmen, aber andererseits ist sie weit früher entwickelt als sprachliche Repräsentationen (siehe hierzu auch Mandler 2004). In einer ausführlichen Präsentation und Verteidigung einer neuen epistemischen Theorie der Begriffe (Newen/Bartels 2007) wird vorgeschlagen, dass Begriffe zu haben verlangt, dass ein kognitives System bei der Präsentation ein und desselben Objekts unterschiedliche Eigenschaften unterscheiden kann sowie, dass es bei der Präsentation verschiedener Objekte (mit min­ destens einer auffälligen, gemeinsamen, wahrnehmbaren Eigenschaft) in der Lage ist, die Objekte hinsichtlich dieser Eigenschaft(en) zu klassifizie­ ren. Dies eröffnet einen Weg für eine Definition des Verfügens über Be­ griffe, die basaler ist als der Verfügen über natürliche Sprache, aber kom­ plexer ist als das basale sensorische Diskriminationsvermögen. Genau darin liegt ein entscheidender explanatorischer Mehrwert einer Theorie der Begriffe im Unterschied zu zwei zentralen Gegenmodellen von Begriffs­ theorien: (1) Eine Gruppe von Theoretikern spricht wie Fodor (Fodor, 1998) schon dann von Begriffen, wenn eine sensorische Diskriminierung einer Eigenschaft und eine geeignete kausale Verursachung vorliegt. (2) Eine zweite Gruppe von Autoren wie z.B. Peacocke (1992a), nimmt an, dass Begriffe Abstraktionen von Gedanken sind, wobei letztere stets eine solch komplexe Struktur haben wie es für die natürliche Sprache charakte­ ristisch ist. Die zentrale Kritik gegen beide Ansätze lautet, dass eine Theo­ rie der Begriffe jeweils explanatorisch leer läuft: Im Fall von kausalen Begriffstheorien wie bei Fodor kommt es letztlich auf die sensorischen Diskriminationsmerkmale an, die uns zur Verfügung stehen. Eine Theorie sensorischer Diskriminationsmerkmale liefert jedoch bereits die kognitive Psychologie (Anderson 1996, Kap. 2). Im Fall von Begriffstheorien, die von Repräsentationen ausgehen, die die Komplexität der natürlichen Spra­ che aufweisen, kann man gleich das Verfügen über Begriffe unmittelbar durch geeignete sprachliche Ausdrücke charakterisieren (selbst wenn ein Begriff nicht zwingend mit dem Verfügen über einen sprachlichen Aus­

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Albert Newen und Ulrike Pompe

druck verknüpft ist). In diesem Fall fallt die Begriffstheorie im Wesentli­ chen mit der Sprachtheorie zusammen, so dass ein explanatorischer Mehr­ wert ebenfalls nicht zu sehen (bzw. sehr begrenzt) ist. Dagegen ist die skizzierte Grundidee einer alternativen Begriffstheorie in diesem Punkt gerade sehr fruchtbar. Es ist an anderer Stelle aufgezeigt worden, dass diese epistemische Theorie der Begriffe ideal verwendet werden kann, um den kognitiven Kompetenzen von Tieren (Vögeln und Affen) Rechnung zu tragen (zur Explikation der Begriffstheorie, s. Newen/Bartels 2007). Neben der Objekt-Eigenschaft-Struktur soll noch ein zweites Minimalkriterium für Begriffe herausgearbeitet werden: Begriffe weisen charakteristische Abgrenzungen zu "Nachbarbegriffen" auf. Ein Begriff von ROT liegt nicht schon dann vor, wenn ein kognitives System registrieren kann, dass in der Situation etwas Rotes gegeben ist; das kann auch ein Roboter mit einem Rotsensor, ohne dass wir ihm deshalb einen Begriff von ROT zuschreiben möchten. Wesentlich ist, dass das kognitive System die Eigenschaft, rot zu sein, als eine Eigenschaft eines Objekts repräsentiert, nicht als Signal für Gefahr und dabei diese Eigenschaft von "benachbarten Eigenschaften" unterscheiden kann, in diesem Fall wenigstens von einigen anderen Farben (z.B. blau und gelb). Diese Farbrepräsentationen bilden ein Netz von Ei­ genschaftsrepräsentationen, die als einer Dimension, nämlich der der Far­ be, zugehörig repräsentiert werden müssen, während rund zu sein und viereckig zu sein gerade ,der Dimension der Form zugeordnet werden müssen. Begriffliche Repräsentationen stehen somit nicht einzeln, sondern immer nur in einem minimalen Verbund zur Verftigung. Sie sind somit 3 partiell holistisch • Schließlich ist es eine dritte Grundintuition, dass Be­ griffe in verschiedenen, insbesondere auch in neuen Situationen anwendbar sind. Dies bringt Z.B. die Anforderung mit sich, dass die relevante Eigen­ schaft, die den Begriff ausmacht, in verschiedenen Situationen wiederer­ kennbar sein muss. Wir nennen diese Anforderung die Rekognitionsbedin­ 3 Der partielle Holismus schließt ein, dass mit Begriffen auch das Vermögen zu "Schlussfolgerungen" verknüpft ist. Im Unterschied zu Crane (Crane 2007) sind die Schlussfolgerungen allerdings nicht universell, d.h. sie sind nicht mit allen Satzbil­ dungsmöglichkeiten äquivalent. Bei Crane fällt das Urteilen mit Sätzen und das Ver­ fügen über Begriffe zusammen. Dagegen ist es sinnvoll und explanatorisch fruchtbar, ein partielles Schlussfolgerungsvermögen von einem universellen zu unterscheiden: Ersteres kann durch die Repräsentationsstruktur von mentalen Modellen (Johnson­ Laird 1987; Held, Knauff, Vosgerau [Hrsg.] 2006) realisiert werden.

Begriffund Erkenntnis: Eine Analyse von Objektwahrnehmung

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gung für Begriffe. Die Anwenbarkeit in verschiedenen Situationen wird letztlich gewährleistet durch eine gewisse Unabhängigkeit von Schlüssel­ reizen sowie die oben genannte interne Objekt-Eigenschaft-Struktur. Begriffliche Repräsentationen sollten somit mindestens die folgenden Merkmale erfüllen: 1. Sie haben eine interne Objekt-Eigenschaft-Struktur, 2. Sie sind zu einem gewissen minimalen Grade vernetzt organisiert bzw. partiell holistisch und 3. sie genügen der Rekognitionsbedingung für Be­ griffe. Auch wenn wir selbst diese Merkmale als zentral ftir Begriffe verstehen, so setzen wir diese Begriffstheorie nun nicht einfach voraus, sondern wen­ den Sie lediglich in der Diskussion an, um die Positionen zu erhellen.

3. Die zentralen Argumente für und gegen nichtbegriffliche Inhalte von Wahrnehmungen 3.1 Die Pro-Argumente Gehen wir zunächst von der These aus, dass Wahrnehmungsinhalte nicht­ begrifflich sind, wie sie Z.B. bei Evans klar formuliert ist: The informational states which a subject acquires through perception are non­ conceptual, or nonconceptualized; judgments based upon such states necessarily involve conceptualization; (...) The process of conceptualization or judgment takes the subject from his being in one kind of informational state (with a content of a certain kind, namely, nonconceptual content) to his being in another kind of cognitive state (with a content of a different kind, namely, conceptual content. (Evans 1982, 227)

Drei eng verknüpfte Argumente für nichtbegriffliche Inhalte von Wahr­ nehmungen sind die Reichhaltigkeit, die Unabhängigkeit und die Feinkör­ nigkeit der Wahrnehmungsinhalte: (1) Die Reichhaltigkeit der Wahrnehmungsinhalte: Nur ein Teil der enorm vielfaltigen Inhalte einer Augenblickswahrnehmung kann unmittelbar mit Hilfe von Begriffen repräsentiert werden.

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Albert Newen und U/rike Pampe

Wenn ich in einen vollen Hörsaal schaue, dann sehe ich u.a. sehr viele Menschen mit verschiedenen Gesichtern, unterschiedlicher Kleidung, verschiedenen Haltungen; ich sehe Stühle, Tische, u.v.m. Wenn man wie McDowell annehmen möchte, dass alle diese Wahrnehmungsinhalte im Augenblick der Wahrnehmung begrifflich bestimmt sind, dann ist das nur möglich, indem man voraussetzt, dass die Begriffe vollständig automati­ siert abgerufen werden; dies involviert, dass die Begriffe, so aufgefasst, im Wahrnehmungsaugenblick nicht alle dem Subjekt zugänglich sind. Hier tritt eine erste interne Spannung zu McDowells expliziten Thesen -auf, gemäß dessen Auffassung die Begrifflichkeit gerade darin besteht, dass diese Inhalte für aktives Denken und Reflektion zugänglich sind: It is essential to conceptual capacities, in the demanding sense, that they can be exploited in active thinking, thinking that is open to reflection about its own ra­ tional credentials. (McDowell 1994, 76)

Die Formulierung zeigt, dass er eine dispositionale Zugänglichkeit meint, die er ggf. auch in zeitlicher Abfolge auffassen kann. Wenn er eine Zu­ gänglichkeit im Wahrnehmungsaugenblick behaupten würde, so wäre dies offensichtlich mit unseren Alltagserfahrungen unverträglich, denn uns sind keineswegs alle Begriffe unmittelbar verfügbar, die wir zur vollständigen Beschreibung einer Wahrnehmungssituation prinzipiell benötigen würden - wobei es zunächst offen bleibt, ob wir denn über hinreichende Begriffe verfügen. Aber auch ein dispositionales Verständnis seiner These der Zugänglichkeit passt nicht zu unseren Alltagsbeobachtungen: Ich habe ein und denselben Wahrnehmungsinhalt von einer Situation, bei der der Kater "Sebbo" auf dem Stuhl liegt, unabhängig davon, ob ich das zentrale Objekt mit dem Begriff KATER, TIER oder LEBEWESEN kategorisiere. Ich komme offensichtlich zu verschiedenen Urteilen "Dieser Kater liegt auf dem Stuhl" versus "Dieses Tier liegt auf dem Stuhl" usw., aber dadurch ­ sogar durch sukzessive Änderungen in der Begriffsanwendung - verändert sich mein Wahrnehmungsinhalt nicht. Dieser letzte Punkt ist auch schon die Kernbeobachtung der zweiten Eigenschaft: (2) Die Unabhängigkeit der Wahrnehmungsinhalte: Damit ist eine Unabhängigkeit der Wahrnehmungsinhalte von den Wahrneh­ mungsurteilen gemeint.

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Sie wird z.B. durch die Müller-Lyer-IIIusion illustriert:

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