Rap zwischen Wunsch und Wirklichkeit:

KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 35 (2012)  No. 1 – 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Rap zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Konsequenzen einer Ausbl...
Author: Ruth Kaufer
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KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 35 (2012)  No. 1 – 2 Gunter Narr Verlag Tübingen

Rap zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Konsequenzen einer Ausblendung der Differenz von kommunikativer und extrakommunikativer Perspektive in der wissenschaftlichen Betrachtung von Rapmusik1 Ulrike Schröder

Rap between wishful thinking and reality: The consequences of suppressing the difference between the communicative and extra-communicative perspective on scientific reflection about rap music From a methodological point of view, the article questions the recurring claim that rap music has primarily social origins and social aims. Based on quantitative as well as qualitative research results, it will be shown that such postulations come from a mere extra-communicative angle suppressing the communicative perspective of the rappers themselves. In contrast, the study reveals that the common ground of rap music is in fact related to the idea of competition and the tradition of verbal dueling as a language game whose roots can be traced back to the Griots in West Africa. Through this prism we may conclude that the core of rap music has to be analyzed as a matter of style and not content.

1.

Einleitung

Trotz perspektivischer Pluralität scheint den wissenschaftlichen, essayistischen wie journalistischen Abhandlungen über ‘Hip Hop’ ein stets wiederkehrender Tenor inne zu wohnen: die soziale Bedingtheit seiner Entstehung sowie die daher rührende sozialkritische Motivierung seines verbalen Repertoires. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Topos durch die Betrachtungen und Beleuchtungen des Phänomens unabhängig von ihrem temporalen oder geographischen Standort. “Rap did for poor blacks in America in the 1980s what reggae had done for the ‘sufferers’ in Jamaica a decade earlier. It got them noticed again and it helped to forge a sense of identity and pride within the local community.” So etwa stellt sich die Situation für den Medienforscher Dick Hebdige (2004: 256) dar. In eine vergleichbare Richtung bewegen sich die Analysen auf deutschem Terrain. Aus Sicht des SPIEGEL (2010/43: 142) war Rap “ursprünglich mal eine Protestmusik, die den Unterprivilegierten eine Stimme verleihen sollte”, und für den Berliner Rapper Senol Kayaci war er vor allem “dazu gedacht, die wirklichen Hustler und Straßenkids aufzufangen und sie von der Gangsta-Schiene wegzubringen” (Kayaci 2006: 46) – ein Ansatz, dem auch der US-amerikanische Kommunika1 Ich danke Richard Jochums für seine Unterstützung durch seine schier unerschöpfliche Kenntnis zum Thema Rapmusik.

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tionswissenschaftler Murray Forman (2007: 32) zustimmt, wenn er Hip Hop als “wichtige Facette im Kampf gegen Bandenkriminalität und Aggression” begreift. Der Historiker Timothy S. Brown (2006: 139) glaubt daran, dass sich Rapper mit Migrationshintergrund in Deutschland als “resistance to racial discrimination and anti-immigrant sentiment” begreifen, wobei keinerlei Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Herkunftsorten vorgenommen wird. Die im Bereich Jugendkulturen forschende Semiotikerin Eva Kimminich (2007: 68) sieht in den zunehmend islamisch geprägten Raptexten französischer Rapper mit Migrationshintergrund gar ein Indiz für deren Verfechtung eines “Welt‘bürger’tums”. In ihrem Interview mit verschiedenen Rappern der Berliner Szene definiert die Süddeutsche Zeitung (28.6.2005) Rap als “multikulturelles Integrationsmodell” und fragt besorgt danach, ob dieser Ursprungsgedanke wohl in Zukunft noch eine Chance habe. In eine solch sozial-pazifistische Richtung geht auch das seltsame Fazit, das der Journalist Kages (2002: 127) zum US-Rap zieht: Hip Hop sei letztlich “eine versöhnliche politische Strategie der schwarzen Gemeinde, der ein humanistisches Menschenbild zugrunde” liege. Die Identität, die im Hip Hop konstruiert werde, gehe deshalb eher auf die soziale Situation des urbanen Ghettos als auf die ethnische Kategorie des Schwarzseins zurück. In diesem Sinne beschreibt Chang (2005: 13) Hip Hop analog zum Blues: Während letzterer sich aus den Bedingungen von Zwangsarbeit entwickelt habe, sei Hip Hop aus den Verhältnissen der Arbeitslosigkeit erwachsen. Hip Hop, darin stimmt auch der Source-Musikjournalist Bakari Kitwana (2002) überein, “conveys the message of poor people not having jobs and having inadequate education”. Selbst die renommierte Expertin aus den Reihen der African American Studies Tricia Rose (1994: 71) kommt nicht umhin, Hip Hop aus einer primär sozial-essentialistischen Sicht als “Afrodiaspric cultural form” zu beschreiben, “which attempts to negotiate the experiences of marginalization, brutally trunced opportunity and oppression within the cultural imperatives of African-American and Caribbean history, identity and community”. Für den aus Ostdeutschland stammenden DJ Opossum ist Hip Hop wegen seines sozialen Anspruchs sogar mit der kommunistischen Agenda der ehemaligen DDR vereinbar: Hip Hop war in den USA entstanden, kam also vom großen kapitalistischen Feind und war damit zunächst Tabu. Bis den Verantwortlichen dann schließlich doch noch auffiel, dass sich Hip Hop ja gerade gegen diesen Feind zur Wehr setzte und gegen die Auswüchse des kapitalistischen Systems aufbegehrte. (DJ Opossum 2006: 373)

Ich möchte keineswegs in Zweifel stellen, dass Hip Hop einen sozialen Hintergrund haben mag. Wogegen ich mich mit meinen nachfolgenden Ausführungen allerdings wende, ist die Verengung, Reduzierung und Uniformierung, die in den zitierten Äußerungen durchschimmert und nicht selten die Essenz ganzer Bücher zum Thema Hip Hop ausmacht. Dabei beschleicht einen der Verdacht, dass viele Beiträge ein sozial er- und gewünschtes Bild des Phänomens vermitteln. So muss man sich etwa fragen, warum zur Stützung der sozialkritischen Lesart stets die gleichen vier bis fünf Rapper (Afrika Bambaataa, BDP, KRS-One und Public Enemy) zitiert werden, die nicht unbedingt mit den Namen jener Rapper korrespondieren, die tatsächlich in den Plattenregalen der Konsumenten zu finden sind und die Verkaufslisten beherrschen. Meine Hypothese ist, dass sich die theoretischen Erörterungen zum Phänomen ‘Hip Hop’ nahezu ausschließlich von einer extrakommunikativen und z.T. damit einhergehenden stark ideologisch wie auch idealistisch geprägten Betrachtung leiten lassen, so dass hier die Frage nach einer Integration einer kommunikativen Perspektive zu stellen wäre, um Aspekte zu problematisieren, denen bislang nur marginalisierte Aufmerksamkeit zuteil wurde.

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Das führt uns als erstes zu der Frage, aus welchem Umfeld das Gros der bislang publizierten Schriften zum Thema stammt: Ein Panorama der in den vergangenen zwanzig Jahren veröffentlichten Bücher und Zeitschriftenaufsätze illustriert, dass der wissenschaftliche Diskurs über Hip Hop und Rap meist von den Cultural Studies ausgeht,1 was bedeutet, dass durch deren neomarxistische, ideologiekritische, postfreudianische, poststrukturalistische, diskursanalytische und mediensoziologische Fundierung viele Zugänge zum Phänomen per se politisch engagiert sind. Zwei Grundtendenzen lassen sich innerhalb der Cultural Studies ausmachen (Klein & Friedrich 2003: 53ff): a) In der u.a. von der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule beeinflussten und im Zusammenhang mit dem Erstarken der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung entstandenen nordamerikanischen Variante, die ihren Niederschlag in den African-American Studies sowie den Media Studies findet, wird Hip Hop oft als originär afroamerikanische, Identität stiftende Kultur verstanden und Rap als Sprachspiel des Widerstands im Kampf für eine schwarze Nation betrachtet, was je nach Forscherstandpunkt positiv oder negativ bewertet wird (u.a. Rose 1994; Hill Collins 2006) und im Extremfall zu afrozentristischen Positionen führt; b) Die Variante der Neueren Europäischen Studien dagegen folgt einer poststrukturalistischen Auffassung von Hip Hop als hybrider Kultur im Zwischenbereich von oraler Kulturtradition und reproduzierbarer Medientechnologie. In dieser Sicht wird Hip Hop in Anlehnung an Derrida als dynamisches Sinngebilde im permanenten Spiel von Aneignung, Verschiebung, Wiederaneignung und Umwandlung oder unter Rückbezug auf Lévi-Strauss als bricolage beschrieben (u.a. Hebdige 1979/2002; Scholz 2004; Androutsopoulos & Scholz 2002). Während die erste Strömung zwar einerseits das Sprachspiel rap als Kernelement der Hip Hop-Kultur anerkennt, bleibt sie andererseits jedoch mit der Annahme, dem Sprachspiel per se wohne eine politische Motivation inne, essentialistisch. Das binäre Modell von hegemonialer weißer Elitekultur und subversiver schwarzer Populärkultur präskribiert eine Dichotomie zwischen Unterdrückern und Unterdrückten, in der beide Gruppen als homogen und kohärent gezeichnet werden, pflegt ein romantisierendes Black Community-Ideal und deutet jegliche Konsumpraxis an sich schon als populärkulturellen Widerstand. Gelangt dieses Bild im Strudel der Analysen zu Glokalisierungsprozessen (Robertson 1992: 173f.) von Hip Hop nun in den Fokus der jeweiligen Zielkulturen, führt dies nicht selten zu simplifizierten Übertragungen, wie wir es im Falle des deutschen Hip Hop im Hinblick auf Rapmusik türkischer und arabischer Minderheiten beobachten können. Die zweite Strömung dagegen betont zwar den kreativen Aspekt im Spiel prinzipieller Vieldeutigkeit kultureller Botschaften sowie den bipolaren Wirkungsmechanismus global zirkulierender Kulturwaren, fixiert allerdings im Zuge ihres primär semiotischen Interesses das Verhältnis zwischen Zeichen und ihrer Bedeutung, wobei sie den Charakter kommunikativer Prozesse unberücksichtigt lässt und damit in ihrem poststrukturalistischen und textologischen Ansinnen allzu schnell die Perspektive der handelnden Individuen untergräbt. Mit Luttner et al. (2005: 49) ließe sich fragen, “inwieweit nicht die literaturwissenschaftliche Herkunft der Cultural Studies das tatsächliche ‘Lesen’ überbewertet”. Denn als interdisziplinäres Machwerk liefern beide Ansätze der Cultural Studies zwar ambitionierte Zusammenführungen von literaturwissenschaftlichen, soziologischen, medienpädagogischen und politologischen Impulsen, vernachlässigen jedoch eine Einbeziehung kommunikationstheoretischer Prämissen.2 Dazu würde gehören, in einem ersten

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Schritt zu klären, aus welcher Perspektive man sich dem Gegenstand nähert: von einem extrakommunikativen oder einem kommunikativen Standpunkt her?

2.

Kommunikative und extrakommunikative Betrachtungsweisen

Zwei Theoreme sind für unsere Fragestellung an dieser Stelle relevant: Das erste betrifft das Verständnis von Kommunikation als einer ganzheitlichen sinnhaften Untersuchungseinheit mit Berücksichtigung der gesamten Kommunikationssituation – dem unmittelbaren Kontext, dem sozioperzeptiven Kontakt, den nonverbalen Äußerungen, sowie der sprachlichen Interaktion – und unter Anerkennung der kulturellen, gesellschaftlichen und historischen Rahmenbedingungen, in die eine solche Sozialhandlung stets eingebettet ist. Damit gelangt Kommunikation als wechselseitige Kundgabe und Kundnahme in den Blick, deren Grundvoraussetzung wiederum die anthropologische Fundamentalstruktur menschlicher Erfahrung als Zweiteilung in innere und äußere Handlungen darstellt. Sie ist zugleich Quelle und Veranlassung aller zwischenmenschlichen Kommunikation (Ungeheuer 1987: 308). Anstelle einer verkürzten Sicht auf den Sprecher findet sich in der Perspektive Ungeheuers somit eine Gleichstellung von Sprecher und Hörer, wobei letzterer vom passiven Empfänger einer Nachricht zum aktiven Bedeutungskonstrukteur wird, der erst vor dem Hintergrund seiner “individuellen Welttheorie” (Ungeheuer 1987: 308) darüber entscheidet, ob und wie er Sinn konstruiert. Eine solche ‘individuelle Welttheorie’ repräsentiert die jedem Menschen zu eigene Erfahrungstheorie, wobei gesammelte Erfahrungen so systematisiert und erklärt werden, dass auch für die nachfolgenden Erfahrungen Vorannahmen als Komplex von ‘Vor-Urteilen’ (Ungeheuer 1987: 299) bereitstehen, die wiederum die Wahrnehmung der Folgegeschehnisse zu steuern vermögen. Auf diesen Aspekt haben schon früh zwei Vertreter einer funktionalistischen Sprachauffassung hingewiesen: Philipp Wegener (1885/1991) in seinen Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens und Gustav Gerber (1871) in Die Sprache als Kunst: Es bedarf kaum einer besonderen Ausführung, dass diese vorwärts und rückwärts weisenden Schlüsse vom Hörenden nicht aus den Worten an sich, sondern nur aus der Erfahrung geschöpft werden können, welche von den betreffenden Handlungen gemacht sind. Wo die Erfahrung fehlt, da fehlt eben das Verständnis der sprachlich angedeuteten Handlung selbst. (Wegener 1885/1991: 128) Darum versteht auch keiner den Anderen vollständig durch die Rede; er versteht ihn nur, soweit er seine Stimmung theilt, seine Weltauffassung; Erfahrung; soweit er im Stande ist, sich in seine Seele zu versetzen. (Gerber 1871: 249f.)

Die hier angesprochenen Voraussetzungen für das Fremdverstehen haben für die Entscheidung darüber, wer im Falle von Rapmusik eigentlich der anvisierte Hörer ist, entscheidende Folgen. Denn da unsere ‘individuellen Welttheorien’ zu einem beachtlichen Anteil ebenso an einen spezifischen Standort gebundenen intersubjektiven Charakter besitzen, wodurch ‘Kommunikation’ als Sozialhandlung überhaupt erst realisierbar wird, kann die Frage aufgeworfen werden, inwieweit die schützsche ‘Generalthese der reziproken Perspektiven’ mit ihren Idealisierungen von der ‘Vertauschbarkeit der Standpunkte’ und der ‘Kongruenz der Relevanzsysteme’ (Schütz 1971: 12ff) als Bedingung der Möglichkeit von Intersubjektivität und Kommunikation im Falle der hier zur Debatte stehenden Forscherstandpunkte noch gegeben ist.

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Damit gelangen wir zum zweiten ungeheuerschen Theorem, das im vorangegangenen Abschnitt bereits angeklungen ist: Auf der Grundlage des hier skizzierten Kommunikationsmodells führt Ungeheuer seine Unterscheidung zwischen ‘kommunikativer’ und ‘extrakommunikativer Betrachtungsweise’ ein, wonach jeder Mensch sprachliche Kommunikationsprozesse in zweifacher Weise erfährt: entweder als Kommunikator im Vollzug von Kommunikationsakten, die eingesetzt werden, um sprachliche Verständigung zu erreichen, oder als externer bzw. auf sich selbst reflektierender Beobachter, der außerhalb des Geschehens stehend sich bemüht, die beobachteten Mittel sprachlicher Kommunikation einzuordnen und zu klassifizieren (Ungeheuer 1972/2004, Schmitz 1998).3 Im Kommunikationsprozess selbst ergibt sich aus dem Wechselspiel zwischen kommunikativer bzw. partizipierender und extrakommunikativer bzw. beobachtender Einstellung folglich eine Sequenz “oszillierender Perspektiven der Beteiligten auf den Verständigungsprozeß” (Loenhoff 2000: 286). Für die Empirie bedeutet ein solch kommunikationswissenschaftlicher Ausgangspunkt zum einen die Anerkennung der Ergänzungsbedürftigkeit einer in vielen Untersuchungen häufig überrepräsentierten extrakommunikativen Betrachtungsweise durch eine kommunikative (Ungeheuer 1972/2004: 22; Schmitz 1998), zum anderen ein stets waches Bewusstsein darüber, in welchem der beiden methodischen Modi der Forscher gerade verfährt und welchen aussagebezogenen Einschränkungen er damit unterliegt. Dabei muss vorausgeschickt werden, dass es keineswegs um die Ersetzung der einen durch die andere Perspektive geht, sondern um deren Komplementarität als Einsicht in den prinzipiellen Doppelbezug allen Erlebens und Erkennens. Hinzufügen ließe sich daneben die Vermutung, dass oftmals die extrakommunikative Perspektive der am Kommunikationsprozess beteiligt Gewesenen der kommunikativen Wahrnehmung noch weitaus näher steht als die durch größere zeitliche und räumliche Entfernung vom Kommunikationsgeschehen zunehmend verblassten Zuschreibungen durch Außenstehende. Was stets ein Problem der sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung darstellt, scheint mir im vorliegenden Fall zum Hauptversäumnis zu werden, da bei den Interpretationen von Rapmusik unzulässige Schlussfolgerungen gezogen werden, wie ich im Folgenden darlegen möchte.4

3.

Zum Verständnis von Hip Hop und Rap

Aufgrund der Komplexität und Weitläufigkeit des Untersuchungsgegenstandes ist es keine leichte Aufgabe, eine knappe und griffige Bestimmung der beiden Schlüsselkonzepte ‘Hip Hop’ und ‘Rap’ unabhängig vom Forschungsinteresse des Betrachters und dessen Standort vorzunehmen, weshalb wir uns darauf beschränken wollen zu klären, woher die Ausdrücke stammen, was sie im Allgemeinen bezeichnen und wodurch sich Rap als Stilart von anderen (sub)kulturellen Stilen absetzt. Schon über den etymologischen Ursprung des Begriffs ‘Hip Hop’ ist in den meisten wissenschaftlichen Abhandlungen kaum etwas zu finden. In einem Artikel führt Safire (1992) die Reduplikation (third-order reduplication) in dem Ausdruck auf die Bewegungen von Kaninchen zurück, die auf diese Weise lautmalerisch beschrieben werde. In diesem Sinne findet sich der Ausdruck bereits in einem 1671 erschienen Theaterstück von George Villiers, bevor hippety-hop zu einem geläufigen Teil von Wortspielen unter Kindern wird.5 Toop (1991: 22f.) erklärt den Neologismus aus musikhistorischer Perspektive als Zusammensetzung aus den Konstituenten Hip (=’verrückt auf etwas sein’) und Hop (=’Tanz’) und

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lokalisiert ihn im Rahmen der schwarzen Musikrichtung Doo Wop (Toop 1991: 22f.), die ihren Höhepunkt in den fünfziger und sechziger Jahren erlebt. Eine Recherche mit Hilfe des Tools ngrams.googlelabs.com, das auf der Basis von 5,2 Millionen Büchern diachronische Nachforschungen zum Aufkommen und zur Frequenz bestimmter Ausdrücke erlaubt, belegt, dass der Ausdruck tatsächlich bis zu den dreißiger Jahren im Sinne von ‘hoppeln’ verwendet wird, bevor er dann im Kontext von Sprachtraining, Sprachspielen und Tanz allmählich eine zusätzliche Bedeutung gewinnt. Die etymologische Bedeutung von rap hingegen findet in den wissenschaftlichen Untersuchungen zu Hip Hop häufiger Erwähnung: to rap bedeutet ursprünglich ‘klopfen’ (Sokol 2005). Ein Blick auf googlelabs.com zeigt, dass der Ausdruck vor dem 20. Jahrhundert nahezu ausschließlich in dieser Verwendung meist in Theaterstücken als Anweisungen an den Regisseur und z.T. auch in Gedichten auftaucht. Mit der Zeit kommt es hier zu einer metonymisch-metaphorischen Bedeutungserweiterung, wobei der Ausdruck ins Verbale gewendet wird und nun ‘schwätzen’ (Dufresne 1997) bzw. ‘to express orally’ (Safire 1992) meint. Im Dictionary of Afro-American-Slang (1970) erlangt er die Bedeutung von ‘to hold conversation; a long, impressive monologue’. Ende der siebziger Jahre formiert sich nun in der südlichen Bronx von New York Hip Hop als ein Jugendstil, der Sprache, Musik, Tanz und Bild in den vier Elementen Rap, DJing, Breakdance und Graffiti synthetisiert. In dem überwiegend von Schwarzen geprägten urbanen US-Ghetto entfaltet sich die neue Freizeitbeschäftigung zunächst als Straßenkultur, wobei Wettkämpfe (battles) zwischen verschiedenen Gruppen (Crews) von Breakdancern in Begleitung von Musik aus Ghettoblastern den Rahmen bilden. Zu diesem Kontext tritt das Rapping hinzu, das vom MC (Master of Cerimony) realisiert wird. Die Zusammenführung dieser Ausdrucksformen wird von dem DJ Afrika Bambaataa expliziert, der mit der Gründung der Universal Zulu Nation eine Hip Hop-Bewegung ins Leben ruft, der er später als fünftes Element Knowledge hinzufügt. Auf struktureller Ebene sind den vier Elementen nach Rose (1994) die Formmerkmale flow (fließende Bewegung), layering (Überlagerung) und break (plötzlicher Wechsel) gemeinsam. Daraus wird bereits ersichtlich, dass sich Hip Hop durch ein Schlüsselkonzept auszeichnet, das im weiteren Verlauf unserer Erörterung eine entscheidende Rolle spielt und das inhaltlich keineswegs festgelegt ist: style: You make a new style. That’s what life on the street is all about. What’s at stake is honor and position on the street. That’s what makes it so important, that’s what makes it feel so good – that pressure on you to be the best. Or try to be the best. To develop a new style nobody can deal with. (Fab Five Freddy, zitiert nach Rose 1994: 38)

Auf sprachlich-stilistischer Ebene zeichnet sich Rap durch folgende Charakteristika aus, worin die sich der Musikstil gleichzeitig von anderen Richtungen abgrenzt (vgl. Scholz 2005; Klein & Friedrich 2003; Schröder 2007; Alim2009): (a) einen rhythmisch organisierten Rezitiermodus mit Reimen am Versende (Flow), (b) einen dialogischen und appellativen Sprachgebrauch mit vielen Vokativen und Imperativen, (c) genrespezifische Sprechakte wie boasting, dissing, freestyling, battling, storytelling, (d) einen expressiven, emotiven Stil, (e) den Gebrauch von African American Vernacular English, kulturspezifischem Slang, formularischen Ausdrücken wie “X is in the house”, Jargon und Genre-Begriffe wie battle, burner, fame, wack usw. (f) Intertextualität durch Bezüge zu schwarzen Idolen, Filmen, Konsumgütern, Musik und Samples. Auf inhaltlicher Ebene finden sich häufig Themen wie (a) Selbstdarstellung und -behauptung, wie sie sich u.a. in Lokalisierungen ausdrücken, (b) Rückbezüge auf die Hip Hop-

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Kultur und -Geschichte, (c) Schilderungen und Inszenierungen sozialer und städtischer Milieus, wie es zum Teil im Gangsta-Rap zum Ausdruck kommt, (d) Storytelling mit Schwerpunkt auf dem American Dream, (e) Party und Fun, (f) ethnische und soziale Politisierung und (g) Sex und Liebesbeziehungen.

4.

Fragwürdige Interpretationen als Folge einseitiger extrakommunikativer Betrachtungen des Untersuchungsgegenstands

Mit dieser Bestimmung der sprachlich-stilistischen und inhaltlichen Ebene geht es darum, einige grundlegende Kriterien herauszuarbeiten, die Hip Hop und Rap charakterisieren und über die weitgehende Einigkeit herrscht. Wie eingangs bereits angeklungen, widmet sich nun allerdings die Mehrheit der wissenschaftlichen Beiträge der Entstehung und Entwicklung von Hip Hop als einer politisch und sozial-ethnisch motivierten Protestkultur. Das Buch American Rap. Explicit Lyrics – US-HipHop und Identität (Kage 2002) etwa beginnt mit den folgenden Sätzen: Dieses Buch beschäftigt sich mit der US-amerikanischen HipHop-Kultur. Sie entstand in den Siebzigerjahren [sic!] in den verarmten New Yorker Stadtteilen Harlem und Bronx – beide vorwiegend von US-Bürgern “schwarzer” Hautfarbe bewohnt. Sie waren es auch, die HipHop erfunden und größtenteils definiert haben. Zwar brachten sich gerade in den Anfangsjahren – aber auch später immer wieder – Musiker hispanischer (die in den USA nicht als “weiß” gelten) und im Laufe der Achtzigerjahren solche angelsächsischer Abstammung in die Bewegung ein; der überwiegende Teil der Aktivisten blieb allerdings “schwarz”. (Kage 2002: 7)

Ich halte Aussagen dieser Art für problematisch, da hier Implikationen mitschwingen, die dem Standort des Forschers entspringen und keineswegs die individuellen Welttheorien, Verstehensweisen und Deutungspraktiken der am Produktions- und Rezeptionsprozess von Rap beteiligten Akteure widerspiegeln. Auf eine Unterscheidung zwischen kommunikativer und extrakommunikativer Betrachtung jedoch wird verzichtet. Im Gegenteil: Dem zu analysierenden Gegenstand und den am Kommunikationsprozess Beteiligten werden die Interpretationsmuster des Forschers oktroyiert: So evozieren die Ausdrücke erfunden und definiert die Vorstellung von Akteuren, die bewusst eine neue Kultur begründen wollten. Das vom Forscher auf den Akteur übertragene ‘Weil-Motiv’ (Schütz 1974: 125), das erst reflexiv im modo plusquamperfecti konstruiert wird, blendet mögliche Um-zu-Motive einzelner Akteure und deren subjektiven Sinn des Handelns völlig aus. Sich einbringen suggeriert ein Verständnis von Hip Hop als homogener Container und komprimiert die Beteiligten auf einen einzigen Akteur, dem dann zusätzlich durch die Verwendung des Ausdrucks Bewegung politische Motiviertheit unterstellt wird. Indem dieser Ausdruck im Sprachgebrauch häufig metaphorisch zur Verbindung der physischen Ausgangs- mit der politischen Zieldomäne gebraucht wird, entsteht ein highlighting-Effekt (Lakoff & Johnson 1980/2003: 10ff; 67), der den Blick des Lesers auf bestimmte Implikationen lenkt und andere Aspekte in den Hintergrund (hiding) treten lässt. Verengt wird diese eingeschlagene Richtung zusätzlich durch die Verwendung des Ausdrucks Aktivisten, den der Autor zwei Diskursdomänen entnommen hat:6 Zum einen führt die politisch und religiös radikalisierte (und höchst umstrittene) Rap-Gruppe Public Enemy diesen Terminus Ende der achtziger Jahre explizit in das Subgenre ‘Polit-Rap’ ein – in diesem Sinne generalisiert Kage, wenn er den Ausdruck auf alle Personen bezieht, die etwas mit Hip Hop zu tun haben; zum anderen wird der Ausdruck bevorzugt von politisch motivierten Vertretern der Kritischen Diskursanalyse verwendet, auf die sich der Autor an

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anderer Stelle explizit stützt. Summa summarum gewinnt der Leser bereits nach dem ersten Abschnitt des Buchs einen Eindruck von Hip Hop als Kreation einer politisch motivierten Gruppe von reflexiv handelnden Aktivisten – ein Konstrukt, das wohl kaum dem tatsächlichen Ursprungskontext entsprechen dürfte. Dies ist nur ein Beispiel für eine ganze Reihe von Sozialmythen, die sich um den Entstehungshintergrund von Hip Hop ranken und keineswegs mit den Motiven der Handelnden in Einklang stehen müssen. Werfen wir einen Blick auf einige der gängigsten mit diesem Sozialmythos verbundenen Interpretationschemata und hinterfragen wir ihre Konsistenz:  Polit-Rap als Ausgangspunkt: Ein immer noch weit verbreiteter Irrglaube ist die Überzeugung, politischer Rap stünde am Anfang der Entstehung von Hip Hop. Bock, Meier & Süss (2007: 321) z.B. schreiben, Hip Hop sei zunächst “politisch motivierte Emanzipationspraxis” gewesen, bevor diese Bewegung dann “mit zunehmender Kommerzialisierung eine Entpolitisierung erfährt”. Das gesamte Buch von Verlan & Loh (2006), das immerhin zum Standardwerk des deutschen Hip Hop zählt, setzt diesen Ursprungsmythos in den Mittelpunkt ihrer Abhandlungen.7 Tatsächlich ist die erste Phase der Rapmusik vom sog. Party-Rap geprägt, wie u.a. auch die weiter unten vorgestellte Auswertung der besten Singles 1979–1998 illustriert. In kommunikativer Perspektive konstruieren Sprecher und Hörer das später ‘neu’ genannte Genre gemeinsam – und zwar auf Partys, zu denen der Rapper hinzustößt, um den DJ zu entlasten, dessen und seine eigenen Fähigkeiten anzupreisen und auf das Publikum zu reagieren, indem er es in Partylaune versetzt, wie der weiter oben bereits kurz anzitierte erste erfolgreiche Rap-Track Rapper’s Delight ja durchaus widerspiegelt. Realitätsnäher als viele schriftliche Verklärungen der Anfangsjahre setzt die Dokumentation New York ’77 in Szene, welche Zufälle zur Entstehung von Hip Hop beigetragen haben, etwa der Stromausfall im Juli jenes Jahres, der u.a. sturmartige Plünderungen von Elektro-Geschäften zur Folge hatte und damit DJs, die in der Regel nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügten, ihr Equipment an die Hand gaben. Auch die Tatsache, dass Hip Hop als Straßenkultur im Zusammenhang damit steht, dass viele Schwarze aus der Bronx wegen ihrer Turnschuhe in die Clubs, in denen ein strenger Dresscode herrschte, nicht hineinkamen oder es dort oft viel zu heiß war und sich in Parks wie auf der Straße häufig die Möglichkeit bot, öffentlichen Strom anzuzapfen (Dufresne 1997: 39), wird im Rahmen sozial motivierter Erklärungen weggelassen.8  Herkunft der Rapper: Eine weitere Quelle des Sozialmythos ist die Herkunft der Rapper, die besonders aus der Retrospektive heraus im Hinblick auf die old school auf unterprivilegierte Schwarze aus der Bronx festgelegt wird. De facto stammen jedoch sehr viele Rapper aus der Mittelschicht, haben ein abgeschlossenes Studium und häufig bereits einen Elternteil, der Musiker war.9 So wurde u.a. dem ersten erfolgreichen Gangsta-Rap Straight Outta Compton (1988) von N.W.A.10 aufgrund des minimalistischen Ghetto-Videos und den harten Beats street credibility nachgesagt. Einer der Rapper, Eazy-E, behauptete sogar, das eigene Plattenlabel aus Gewinnen des Crack-Handels aufgebaut zu haben, was sich später als unwahr herausstellte. Ice Cube bekannte nach Verlassen der Gruppe, nie Gang-Mitglied gewesen zu sein; er hatte Betriebswirtschaftlehre und Architektur studiert.11 L.L. Cool J. äußert sich zum Ghettomythos wie folgt: “They’re hipped on that ghetto from the streets with […] I ain’t from the ghetto. I’m from Queens. The beat is from the street. The hardcoreness. Just being real ill and live and hart but I’m not from the ghetto. I live with my grandmother. Shit.” (LL. Cool J.; apud Toop 1991: 166).

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 Cross Bronx Expressway als soziales Motiv: Eine häufig behauptete, meines Erachtens bislang jedoch kaum bewiesene These vieler Werke zum Thema Hip Hop und Rap ist die Herstellung eines unmittelbar kausalen Zusammenhangs zwischen dem Bau des Cross Bronx Expressway, der den Beginn der Verwahrlosung und Vernachlässigung der Bronx markiert, und der Geburt von Hip Hop auf der Grundlage der daraus resultierenden wachsenden Sozialmisere. Die Entstehung von Hip Hop wird vor diesem Hintergrund gemeinhin als Aufschrei gegen die New Yorker Stadtpolitik der damaligen Tage interpretiert und der in den Augen vieler erste politische Rap The Message (1982) als Beleg dafür gesehen.12 Der Rapper Scorpio von Grandmaster Flash & Furious Five, von denen der Track stammt, hält diesen Ursprungsmythos jedoch für abwegig, da es aus der Perspektive der Handelnden, die fast ausschließlich Jugendliche im Alter zwischen 13 und 18 Jahren waren, lediglich darum gegangen sei, Spaß zu haben (Scorpio, zitiert nach Verlan 2006a: 121). Die These vom politisch bewusst agierenden Aufrührer kommt jenen Lesarten entgegen, die Raptexte als Ausdruck des Wertesystems schwarzer Bevölkerungsschichten in verarmten Stadtvierteln US-amerikanischer Großstädte verstehen und sie nach Widerstandsproklamationen und Ermächtigungsstrategien (resistance and empowerment) durchkämmen; dabei wird kultureller Wert am politischen Potential festgemacht, was die Handelnden selbst letztlich entmündigt. In dieser Perspektive ist es nur folgerichtig, unerwünschte Entwicklungen wie die Darstellung von Statussymbolen in Rapvideos als Vereinnahmung und Kommerzialisierung von originär authentischen Ausdrucksformen zu verdammen.13  Die fünf Elemente: Die Proklamation der fünf Elemente, welche die Hip Hop-Kultur ausmachen, geht – darauf wurde im vorangegangenen Abschnitt bereits kurz hingewiesen – auf einen einzigen politisch motivierten Hip Hop-Künstler zurück und keinesfalls auf einen Common Sense der Rapper selbst. Insbesondere das fünfte Element Knowledge spielt für viele Rapper außerhalb des politischen Spektrums keine Rolle. So ist Afrika Bambaataas Definition von 1982 “Rap is about survival, economics and keeping our people moving on” (apud Hebdige 2004: 253) nicht im Sinne eines jeden, der Rapmusik macht. Was in der Regel unterschlagen wird, ist, wie es Jacob (1997: 176) ausdrückt, dass Hip Hop von Anfang an zwischen den Polen black awareness und hustler attitude oszilliert. Dem wäre hinzuzufügen, dass im Vergleich zu dem proklamierten Einfluss der Black Power-Bewegung und ihren Protagonisten erstaunlich wenige Abhandlungen den Einfluss der Blaxploitation-Filme auf Hip Hop – insbesondere auf die seit Beginn mitlaufenden Mode-, Körper- und Plattencoverstile unter die Lupe nehmen, obwohl die intertextuellen Bezüge in Text und Bild ebenso verbreitet sind.  New York = Kingston: Einige Schriften (Chang 2005: 21ff; Hebdige 2004) etablieren eine Reihe gemeinsamer Wurzeln und Parallelen zwischen jamaikanischem Reggae und USRap im Hinblick auf ein originäres sozialpolitisches Anliegen, das in Verbindung mit einer globalen schwarzen Bewegung zu sehen sei. Sie führen dies u.a. auf den ersten DJ der Bronx, DJ Kool Herc, zurück, der 1967 von Kingston nach New York kam und die Tradition des soundsystem battle mitbrachte. DJ Kool Herc selbst jedoch glaubt nicht an diesen Ursprungsmythos. Im Gegenteil, er ist sogar davon überzeugt, dass Reggae in der Bronx keine Chance hatte und die Wurzeln des Hip Hop ausschließlich in der Funkmusik lägen (DJ Kool Herc, zitiert nach Dufresne 1997: 20).

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 Authentizität versus Kommerzialisierung: ‘Realness’ und Authentizität werden häufig im Gegensatz zur Kommerzialisierung von Hip Hop verstanden, wobei die entsprechenden Autoren den für sozialkritisch befundenen Anfängen nachtrauern (Verlan & Loh 2006: 19; Light 2004) und in den medialen Inszenierungen Diskriminierungsmechanismen am Werke sehen, die den schwarzen Rapper als hypermaskuline und kriminalisierte Figur entwerfen (Samuels 2004; Judy 2004; Spencer 1991). Tatsächlich ist dieser Bewertungsmaßstab fragwürdig, da, wie Klein & Friedrich (2003: 139ff) ganz richtig betonen, Authentizität keine unmittelbare Wirklichkeit, sondern vielmehr eine Herstellungspraxis darstellt, die sich performativ vollzieht. Erfahrung ist demnach per se immer schon vermittelte Erfahrung. Lokale Hip Hop-Kulturen entstehen in und über global zirkulierende Klang- und Bilderwelten und nicht, wie im Jugend- und Popdiskurs oft unterstellt, in Opposition zur globalen Kulturindustrie. Bei den hier kurz skizzierten, aus bestimmten Forscherperspektiven heraus konstruierten Ursprungsmythen steht, so ließe sich resümieren, das vermeintliche sozialpolitische Engagement von Rap im Mittelpunkt – eine These, die bei einem Wechsel von der Perspektive des Deutenden zu der des Handelnden der Wirklichkeit nicht notwendigerweise standhält. Damit soll nicht ausgeblendet werden, dass es politisch und sozial motivierten Rap gibt; allerdings macht diese Richtung wie bei anderen populärmusikalischen Genres einen Teilbereich aus – und zwar nicht den größten, wie u.a. eine von mir vorgenommene Auswertung der je ersten zehn Plätze aus dem Egotrip’s Book of Raplist (Jenkins et al. 1999), einem Standardwerk für Hip Hop-Fans und Plattenkäufer, zeigt. Demnach beträgt der Polit-Rap, Message-Rap oder Conscious-Rap lediglich 5% am Gesamtanteil. Die Leitthemen der zehn besten US-Singles pro Jahr von 1979–1998 ergeben ein ganz anderes Bild, als viele Bücher glauben lassen:14

Tab. 1:

Themenspektrum der je zehn besten US-Raptracks 1979–1998

Letztendlich sind es nicht die Themen, die entscheidend für das Profil der Rapmusik sind, wie schon in Abschnitt 3 angesprochen wurde: “But what counts more than the story is the ‘storytelling’ – an emcee’s verbal facility on the mic, the creative and often hilarious use of puns, metaphors, similes, not to mention the ability to kick some serious slang” (Kelley 2004: 130).

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Vom Kommunikationsinhalt zur Kommunikationspraxis: Rap als kulturell verankertes Sprachspiel

Gegenüber den dargestellten Thesen mit ihrem implizit essentialistischen, homogenisierenden und inhaltlich festgelegten Begriff von ‘schwarzer Kultur’ schlage ich einen dynamischen Kulturbegriff vor, der sich an Kommunikationspraktiken orientiert, die von den Kommunikationsteilnehmern im alltäglichen Gebrauch aktualisiert werden und bei deren Ausführung die Beteiligten zugleich auf ein gemeinsam geteiltes Wissen referieren, das in höherem Maße einen Platz in den jeweils individuellen Welttheorien der Akteure einnimmt als dies bei Außenstehenden der Fall ist. Vor diesem Hintergrund halte ich es für ebenso kontraproduktiv bestreiten zu wollen, dass der Stil des Rap im Zusammenhang mit besonders unter jungen US-Schwarzen verbreiteten Kommunikationspraktiken stehe. Allerdings möchte ich zum einen herausstellen, dass ich dabei weder eine homogene Ethnie im Sinn habe, noch verbinde ich damit eine im Sinne der oral history konstruierte afroamerikanische Tradition einer ‘schwarzen Rhetorik’, die keine klassen-, alters- oder geschlechtsspezifischen noch individuelle Unterschiede kennt, wie es etwa der Erklärungsansatz vom Signifying Monkey (Gates 1988) suggeriert.15 Wenn hier also von ‘Kulturpraktiken’ die Rede ist, geht es einerseits immer um Tendenzen, die stets nur gegenüber einer bestimmten anderen Gruppe überhaupt auszumachen sind; andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Zusatz ‘US’ bedeutsam ist, da sich zwar bestimmte kommunikationsstilistische Differenzen zwischen schwarzen und weißen US-Amerikanern abzeichnen mögen; gleichzeitig spielen aber auch viele Aspekte herein, die ihrerseits wiederum als typisch für die gesamte US-Kultur etwa gegenüber der europäischen beschrieben werden können. In vielen Studien zu Hip Hop finden sich neben dem inhaltlichen Schwerpunkt Hinweise auf den Ursprung von Rap in verschiedenen kompetitiv-dialogischen Sprachspielvarianten des Kommunikationsgenres ‘verbales Duell’ (Sokol 2005) wie playing the dozens oder rapping, die primär in den peer groups der schwarzen Stadtbevölkerung beheimatet sind. Dennoch beläuft es sich gegenüber dem behaupteten sozialen Ursprung von Rap, der in der Regel den Schwerpunkt der Abhandlungen charakterisiert, bei den Hinweisen auf die sprachspielerischen Vorläufer oft nur auf ein paar Anmerkungen und Absätze, denen wenige Seiten gewidmet sind.16 Diese Vernachlässigung des Kommunikationsgenres, in das Rapmusik eingebettet ist, halte ich für ein entscheidendes Versäumnis, da eben jener Ursprung nicht nur historische Kontinuitäten im Hinblick auf bestimmte Kommunikationspraktiken aufzeigt, sondern ebenso ein Schlüsselkonzept der Rapmusik hervorhebt und kulturell situiert, welches den Hypothesen der sozialkritisch motivierten Theorien diametral entgegensteht: “Competition was at the heart of hip hop” (Toop 1991: 15).17 Toop zeichnet den musikalischen Weg des Rap bis zu den Griots in Westafrika zurück, ohne dabei eine soziale Traditionslinie auszumachen, wie es etwa einige Untersuchungen der Black American Studies tun: Whatever the disagreements over lineage in the rap hall of fame or the history of hip hop, there is one thing on which all are agreed. ‘Rap is nothing new’, says Paul Winley. Rap’s forebears stretch back through disco, street funk, radio DJs, Bo Diddley, the bebop singers, Cab Calloway, Pigmeat Markham, the tap dancers and comics, The Last Poets, Gil Scott-Heron, Muhammad Ali, acappella and doo-wop groups, ring games, skip-rope rhymes, prison and army songs, toasts, signifying and the dozens, all the way to the griots of Nigeria and the Gambia. (Toop 1991: 19)

Toop sieht hier eine in schwarze orale Kulturpraktiken eingebettete Kontinuität wettkampforientierter Sprachspiele, deren gemeinsamer Nenner die Selbstpreisung bei gleichzeitiger

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Abwertung des Gegenüber darstellt, während andere die ‘Geburt’ des Hip Hop oder dessen ‘Erfindung’ konstatieren. Folgt man dieser Spur, trifft man auf eine Reihe aufschlussreicher Abhandlungen aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren, zumeist ethnographische und soziolinguistische Studien, die Sammlungen solcher Sprachspiele unter schwarzen Jugendlichen zusammengestellt haben (Abrahams 1962; Labov 1971; Kochman 1981; Mitchell-Kernan 1986). Zu solchen Sprechereignissen (black folk speech events) zählen Abrahams (1962), Labov (1971), Kochman (1981) und Mitchell-Kernan (1986) rapping und grandstanding, die vornehmlich auf Effekthascherei ausgelegt sind, wobei rapping über das verbale Attakieren hinaus auch im Sinne von ‘angraben’ verstanden werden kann; die nonverbale Variante wird dann silent rap oder pimp eye genannt; bopping, das sich auf die überzogene Form der Begrüßung durch Handschlag bezieht, wobei andere Körperbewegungen einbezogen sind’ showboating, das sich auf inszeniertes Entertainment bezieht, bragging als Akt der Prahlerei und showing off als Aufschneiderei, signifying im Sinne von Mitteilungen, die durch Anspielungen und Vergleiche erfolgen, sounding als Verursachung eines Klanges im Sinne von Zustimmung oder Kommentare wie “God damn!”, woofing als Austausch von Beleidigungen;18 marking als Hervorhebung durch überzogene Intonation, call and response als interaktives Erleben, das durch Interjektionen gesteigert wird wie bei einem schwarzen Gottesdienst; schließlich noch styling out als stilbezogene Selbstdarstellung und self-aggrandisment als Selbstüberhöhung. Hier haben auch die so häufig missverstandenen Kriegsmetaphern, die sich nicht nur in die Raptexte, sondern auch in die Namen der Rapper einschreiben, ihren Ursprung (Schröder 2007; 2012a; 2012b). Den Sinn solcher Sprachspiele beschreibt Kelley (2004: 128) im expliziten Gegensatz zu vielen sozialwissenschaftlichen Auslegungen in funktionaler Perspektive: “The goal of the dozens and related verbal games is deceptively simple: to get a laugh”. Die Wettkämpfe richten sich in der Regel gegen die Familie des Gegenübers und sind mit sexuellen Anspielungen und Slang versehen, wobei sich auch unterschiedliche formulaische Grundstrukturen unterscheiden lassen (Labov 1971: 307ff): (1)

I don’t play the dozens, the dozens ain’t my game But the way I fucked you mama is a god damn shame

Man vergleiche hierzu als Beispiel aus einem Raptext eine Zeile aus Ya Mama von The Pharcyde (1992): (2)

Ya mom is so fat (how fat is she?) Ya mama is so big and fat that she can get busy with twenty-two burritos, but times are rough I seen her in the back of Taco Bell with handcuffs

Interessanterweise zeigt uns ein Blick in die soziolinguistischen Abhandlungen zu Varianten des verbalen Duells in schwarz geprägten Vierteln US-amerikanischer Großstädte, dass es die Diskussion um die sozialpolitische Komponente der Sprachspiele schon damals gab. Kelley (2004: 119f.) sieht in vielen soziologischen und ethnographischen Studien der sechziger Jahre den Beginn eines Irrtums, der als Antwort auf die konservative Auslegung schwarzer Jugendkultur als nihilistisch, disfunktional und pathologisch die monolithische Erklärung von schwarzen Kulturpraktiken als Reaktion auf Rassismus und Armut gibt. Bereits Kochman (1981) beklagt, dass in vielen Studien schwarze Interaktionsmuster oft nur als Reaktion auf die unterdrückenden Kräfte der weißen Kultur interpretiert werden. So kritisiert er etwa die Auslegungen David Wolfs (1972) zur Vorliebe vieler schwarzer Jugendlicher für Basketball

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als vorschnell. Wolf versteht das Basketballspiel als Möglichkeit der verarmten schwarzen Schichten, ihrem Leben die Finsternis und Anonymität zu nehmen, ohne wahrzunehmen, dass seine Betrachtung von außen kommt. Gleichermaßen fehl schlagen in dieser Perspektive die in vielen Raptextanalysen anzutreffenden Versuche, die Aggressivität und ‘sexistischen’ Tendenzen vieler Inhalte auf maskuline Kompensationsstrategien zu reduzieren, wobei die mangelnde soziale Anerkennung und die damit verbundene Unterminierung der Männlichkeit im verbalen Ausfechten von Dominanz wiederhergestellt werde (Abrahams 1962; Schulz 1969). Kochman (1981) und Lewis (1975: 230) weisen demgegenüber darauf hin, dass Charakteristika wie Unabhängigkeit, Aggressivität und sexuelle Selbstbehauptung, die in solchen Sprachspielen zum Ausdruck kommen, typisch für schwarze Kulturpraktiken seien und nicht geschlechtsabhängig. Collins (1968: 3) demonstriert, dass der sexuell aufgeladene Slang, der häufig ursächlich jugendgefährdenden Raptexten zugeschrieben wird, tief in die schwarze und oralkulturell geprägte Sprachspielvariante eingeschrieben ist und von beiden Geschlechtern verwendet wird:19 (3)

Male: What’s happenin’, fox? Female: Nothing. Male: You mean with all that you got ain’t nothin’ happenin’? Female: Get lost nigger. Male: Come here you funky bitch. Female: What the hell do you want? Male: I want some leg, baby.

Kontextualisierungshinweise (Gumperz 1982; 1996), zu denen auch prosodische Hinweise wie Akzent und Intonation, Rhythmus, Tempo, Pausen, Überlappungen, Verschluss und Shifts zählen, geben dem unmittelbaren Gegenüber normalerweise die notwendigen Anhaltspunkte dafür, wie etwas zu interpretieren ist, wobei es – wie eingangs skizziert – letztlich dem Hörer mit seiner individuellen Welttheorie obliegt, wie er auf der Grundlage des Gehörten Sinn konstruiert. Interpretationen der oben genannten Art liegen demnach vor allem darin begründet, dass der angepeilte Hörer in solch einem Sprachspiel wie auch in idealisierter Form die angepeilten Hörer von Raptexten zunächst einmal Angehörige derselben Kommunikationsgemeinschaft sind, die Texte in der Regel aber so interpretiert werden, als richteten sie sich an die Allgemeinheit. Dem Ausgangsgenre am nächsten kommen in der Rapmusik inszenierte Dialoge wie z.B. in I Got a Man von Positive K oder nacherzählte Dialoge im Muster des storytelling mit Formeln wie I said – she said etc. inklusive der Nachstellung der direkten Rede durch prosodische Merkmale wie Intonation und Stimmhöhe, wofür der Track Just a Friend von Biz Markie ein Beispiel wäre. Zum anderen verweisen die vielen beefs, die es im Hip Hop gibt, auf einen konkreten Adressaten: einen gegnerischen Rapper, der entlang der Sprachpraxis des ‘Dissens’ (=disrespect) explizit verbal angegriffen wird, woraufhin er zum Gegenschlag ausholt, so dass sich solche beefs über mehrere Tracks erstrecken können.20 Dieser dialogische Sprechmodus von Rap ist es, was Rapmusik von anderen Musikstilen unterscheidet. Das zu Beginn dieses Abschnitts erwähnte competition-Prinzip steht dabei in den meisten Raptexten im Zentrum, weshalb das Thema ‘Selbstdarstellung und -behauptung’ in Tabelle 1 auf dem ersten Platz rangiert. Da sich dieser Aspekt jedoch in nahezu allen Raptexten findet, ist es kaum verwunderlich, dass es in thematischer Hinsicht oft Mischformen sind, die einen Track ausmachen. Abseits des ethnisch-religiös (islamisch) motivierten Message-Raps, der seinen Höhepunkt Ende der achtziger Jahre erlebte, geht es in vielen US-amerikanischen Raptexten gerade um das Gegenteil: um Partizipation am Amercian Dream und nicht um

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politischen Umsturz, wobei das Ostentative, das ja bereits in der Form des Sprachspiels angelegt ist, in Übereinstimmung mit dem Inhalt steht, wie kaum ein Track besser illustriert als Juicy von Notorious B.I.G.: (4)

It was all a dream I used to read Word Up magazine Salt’n’Pepa and Heavy D up in the limousine Hangin’ pictures on my wall Every Saturday Rap Attack, Mr. Magic, Marley Marl I let my tape rock ‘til my tape popped Smokin’ weed and bamboo, sippin’ on private stock Way back, when I had the red and black lumberjack With the hat to match Remember Rappin’ Duke, duh-ha, duh-ha You never thought that hip hop would take it this far Now I’m in the limelight ‘cause I rhyme tight Time to get paid, blow up like the World Trade Born sinner, the opposite of a winner Remember when I used to eat sardines for dinner.

Und hier ist es dann nicht mehr eine ‘schwarze’ Kulturpraxis; vielmehr verbinden sich hier Sprechstilpräferenzen mit uramerikanischen Werten, wie sie sich in den konzeptuellen Metaphern LIFE IS A SHOW / SPECTACLE / ENTERTAINMENT / GAME / SPORTS widerspiegeln, die von Kövecses (2005: 184) als konstitutiv für die US-Kultur beschrieben werden. So erstaunt es kaum, dass ein im Grunde recht mittelmäßiger Film aus den achtziger Jahren wie Scarface mit Al Pacino in der Hauptrolle, der den Aufstieg und Fall eines eingewanderten Kubaners zum steinreichen Gangsterboss in Miami begleitet, zu dem meist zitierten Film im Rap geworden ist, dem Namen von Rappern, Albentitel und -cover, Samples sowie unzählige intertextuelle Bezüge der Raptexte selbst gewidmet sind. Auf beatswagger.net gibt ein schwarzer Hip Hop-Fan zu diesem Phänomen Auskunft: hy is Scarface such a popular movie in the Hip Hop community? It has no direct relation with Hip Hop apart from Gangsta Image. But I mean it’s got a Latin flavor and no Hip Hop. also no black people in the movie. So why on the B-Disc of some Scarface DVDs they call Tony Montana- Scarface a Hip Hop legend ? look im anotha nigga in da hood da reason we look up to scarface so much is because the attitude he had. It relates to our every day lives it isnt jus the gangsta image or else we’d be idolizing boyz n da hood n menace II society. Scarface had the exact attitude of most niggaz in/from the hood, he was about the most important things too a G 1. Family 2. Money 3. Respect/Power if you sit back and think about it thats what everybody in the streets wants and that movie shows him on the top which gives out a sense of hope. Thats just if you’d ask me hope i answered yo question ma nigga (http://www.beatswagger.net/why-is-scarface-such-a-popular-movie-in-the-hip-hopcommunity/)21

6.

Rap in Deutschland vor dem Hintergrund der Authentizitätsdebatte

In ihrer Untersuchung zum Mediendiskurs über Hip Hop in Deutschland konstatieren Klein & Friedrich (2003: 71), dass die bereits im Hinblick auf den US-Hip Hop existierende Unterscheidung von Original und Fälschung auf Deutschland übertragen wird und an die

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Frage nach dem Ursprung der Rapper gekoppelt ist. Dabei ließen sich zwei Strömungen ausmachen: Die erste Assoziationskette Deutschland – Medien – Mittelklasse – Spaßorientierung – Politikverdrossenheit bezieht sich insbesondere auf den Rap der neunziger Jahre, der vornehmlich von deutschen Rappern der Mittelklasse vorgetragen wird und als ‘unauthentisch’ gebrandmarkt ist, da die deutschen Rapper nicht im Ghetto lebten und es ihnen an essenzieller sozialer Diskriminierungserfahrung fehle, weshalb Hip Hop in diesem Gewand als fake daherkäme. Besonders kritisch ins Visier gerät die Gruppe Die Fantastischen Vier, da sie die ersten Rapper sind, die Anfang der neunziger Jahre auf Deutsch rappen und kommerziell erfolgreichen Spaßrap produzieren: Da war nichts von dem Aufbegehren benachteiligter Jugendlicher, die mit ihren Körpern in die Fußgängerzonen tanzten: Es gibt uns noch. In bunten Farben und Formen strahlte es von den Wänden: Wir nehmen uns den Freiraum. Und die Beats und Raps hämmerten der Gesellschaft ins Gewissen: Macht endlich eure Augen auf und nehmt unsere Sorgen und Hoffnungen ernst. Davon war bei den Fantastischen Vier nichts mehr zu spüren, sie standen ja auch nicht im Abseits. Vergessen wurde aber, dass es benachteiligte Jugendliche auch in Deutschland gibt, die HipHop aus ihrer sozialen Situation heraus für sich entdeckt hatten. (Verlan 2006: 118)

Die zweite Assoziationskette USA – Ghetto – Gewalt – Politik – Authentizität – ethnische Minderheiten – Türken wird auf Rapper mit Migrationshintergrund projiziert, wobei beide Alternativen, die daraus erwachsen, d.h., sowohl der moralisch einwandfreie und politisch korrekte Hip Hop als auch der rassistische, sexistische Hip Hop mit Gewalt- und Kriminalitätserfahrungen sozialpolitisch interpretiert werden, auch wenn das im zweiten Fall eines erheblichen Kraftaufwandes bedarf: Man kann mit dieser Ästhetik viel Erfolg haben, Stars wie Sido und Bushido beweisen es. Es droht aber auch die Gefahr, sich in der Falle der Parallelgesellschaft endgültig einzurichten: Man bleibt unter sich, sucht Halt in der Herkunftskultur und lässt sich die Rolle des Buhmanns von jenen kaufkräftigen Mittelschichtskids versilbern, die man auf der Straße abgezogen hätte. (Haas, 1.4.2006)

Unsere These einbeziehend, dass es nicht der Inhalt ist, der das Spezifische des Genres Rap ausmacht, sondern der kulturell eingeschriebene Sprachspieltyp verbalen Duellierens, halte ich diesen Aspekt auch dann für den entscheidenden, wenn es um die Frage geht, inwiefern deutscher Rap ‘unauthentisch’ oder ‘entfremdet’ wirkt, und nicht den sozialen Hintergrund (der im Übrigen auch im Falle der Rapper mit Migrationshintergrund keineswegs der Situation schwarzer Jugendlicher in den städtischen US-Ghettos entspricht).22 Der Sprachspieltyp des verbalen Duellierens hängt demnach aufs Engste mit seiner Einbettung in die Oralkultur zusammen, welche bis heute speziell den Kommunikationsstil des Black English Vernacular prägt. Ong (1982/2004) stellt Oral- und Schriftkultur gegenüber und nennt dabei eine Reihe von für beide Ausdrucksformen typischen Merkmalen, die sich auf den Zusammenhang von Rap und Oralkultur übertragen lassen:23 So organisieren seinen Ausführungen zufolge orale Kulturen das Denken tendenziell stärker in mnemonischen Mustern, verfahren eher additiv als subordinierend, eher aggregativ, redundant, nachahmend und formelhaft als analytisch und sind im ständigen Redefluss begriffen, wobei Zungenfertigkeit das entscheidende Kriterium ist und nicht Kontemplativität. Orale Kulturen sind daher eher konservativ und traditionalistisch, zeichnen sich durch Nähe zum menschlichen Leben aus und schwelgen in einem kämpferischen, ostentativen Ton. Das Zentrum der Handlung liegt auf Seiten äußerer Vorgänge und nicht auf Seiten der Schilderung innerer Krisen des Helden, weshalb sie eher

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einfühlend und teilnehmend sind als objektiv und distanziert. Im Vordergrund steht der Hörer, denn Hören vereinigt, wogegen Lesen ideenzentriert ist und das Individuum von anderen isoliert. Der Schwerpunkt liegt auf Handlungen und Interaktionen durch einen Helden, während Schriftkulturen sich durch eine Tendenz zur Ontologisierung und Interiorisierung auszeichnen. Erst in diesem reflexiven Kontext wird der Antiheld geboren. Ben Sidran (1971: 3) spricht im Falle von oraler Kommunikation von “direct presence”. Die Kommunikation gibt nicht immer der referentiellen Funktion den Vorrang, sondern ist in höchstem Maße suggestiv. Rose (1994: 87ff) bezeichnet Hip Hop daher auch als technological orality. In einer ethnographischen Untersuchung führt Kochman (1981: 30) einen Vergleich zwischen den Kommunikationsstilen weißer und schwarzer Amerikaner durch und resümiert: Because white culture requires that individuals check those impulses that come from within, whites become able practionioners of self-restraint. However, this practice has an inhibiting effect on their ability to be spontaneously self-assertive. (Kochman 1981: 30).

Wierzbicka (2003: 125) versucht eine Darstellung dieses Unterschieds mit Hilfe ihrer semantischen Metasprache, die kulturspezifische Konzepte auf der Grundlage eines universell zugänglichen Basisinventars an semantischen Primitiva analysiert, um vorherrschende ethnozentristische und zirkuläre Beschreibungsweisen zu überwinden: Black American I think something I feel somethin because of this I think it is good to think this I want other people to think this Anglo-American I think something I don’t feel anything because of this I know other people don’t have to think the same I want to say what I think I want other people to think about it I want to know what other people think about it24

So wachsen die Jugendlichen in ihre jeweilige Sprachumgebung hinein: “Because you get the language by hangin around. The language, the language in the streets, man, it’s like when you go hang out in a certain area […] So that the language in the streets, it transfers, you feel me?” (JT The Bigga Figga, zitiert nach Alim 2009: 115). Und dies ist meinem Verständnis nach der Grund, weshalb der US-Rap authentischer wirkt. Als vornehmlich schriftlich geprägte Kultur ist vielen deutschen Jugendlichen dagegen das Sprachspiel des oral verwurzelten, dialogischen, aktiven, provokativen und konfrontativostentativen verbalen Duells zunächst fremd. So erstaunt es kaum, dass sich der deutsche ‘Studenten-Rap’ der neunziger Jahren demgegenüber eher durch eine hohe Autoreferentialität auszeichnet, immer wieder auf die Hip Hop-Community als solche rekurriert sowie auf den Metadiskurs und die Authentizitätsfrage, wie es sich u.a. in den Tracks Welcher Pfad führt zur Geschichte (Advanced Chemistry), Die neue Reimgeneration (MC Rene), Fenster zum Hof (Stieber Twins), Könnt ihr mich hör’n (Cora E) oder Hip Hop Musik (Die Fantastischen Vier) zeigt. Dies führt dazu, dass Inhalt und Form nicht in dem Maße miteinander korrespondieren, wie es im US-Rap der Fall ist. Wo der US-Rapstil dialogisch, suggestiv, emotiv, deskriptiv und narrativ ist, zeigt sich der deutsche Rap stärker von seiner argumentativen, metakommunikativen, distanzierten und reflexiven Seite (Schröder 2007).

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Im Gegensatz zu solcher der reflexiven Schriftkultur entstammenden Selbstbezüglichkeit und Diskursivität setzte sich in den vergangenen zehn Jahren immer mehr der harte Pimp- und Gangsta-Rap durch, der besonders auf Rapper mit islamischem Migrationshintergrund zurückgeht. Der neue Stil ist allerdings nicht wegen seiner so oft zitierten sozialen Erdung authentischer; tatsächlich ist auch hier die Ausgangskultur oral geprägt und das Bild des Mannes als soziales Opfer in der Regel kein erwünschtes. Zudem finden sich z.B. unter männlichen Jugendlichen in der türkischen Kultur ebenfalls Sprachspielvarianten des verbalen Duells, deren Ziel es ist, den Gegner in eine untergeordnete, passive weibliche Rolle zu drängen, was Dundes, Leach & Özkök (1986: 153) im Rahmen ihrer soziolinguistischen Untersuchung bereits in den achtziger Jahren als für islamische Kulturen typische “my-penisup-your-anus-strategy” bezeichnet haben (Schröder 2012b).

7.

Abschließendes Resümee

Wie Loenhoff & Schmitz (2012) ganz richtig feststellen, hat die von Ungeheuer proklamierte Differenzierung zwischen kommunikativer und extrakommunikativer Betrachtung weit reichende Konsequenzen für die Methodologie und die Theoriebildung eines jeden Forschers, der sich mit Kommunikation befasst, so dass Ergebnisse, die aus einer extrakommunikativen Betrachtung heraus gewonnen werden, nicht ohne zusätzliche Prüfungen im Bereich kommunikativen Verhaltens Anspruch auf Gültigkeit erheben können und umgekehrt. Die Auflösung der Einheit des Kommunikationsprozesses – im Fall von Rap insbesondere im Hinblick auf den vom Rapper intendierten und den vom Forscher konstruierten Hörer – führt zu einer Zuschreibung in extrakommunikativer Einstellung gewonnener Erkenntnisse auf vermeintliche Intentionen und Verstehenskonstrukte der Akteure. Forscher sollten deutlich machen, in welchem Modus sie sich gerade bewegen und imstande sein, dabei eine selbstkritische Haltung einzunehmen. Das impliziert ebenso eine Explizierung des jeweils eingeführten Interpretationsrahmens und dessen forschungstheoretischen Prämissen wie auch dessen Beschränkungen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes. Nur so kann eine Inanspruchnahme einer Allgemeingültigkeit der Aussagen vermieden werden. Wie dargelegt wurde, läuft die Inanspruchnahme von Hip Hop als Protestkultur Gefahr, ein solch facettenreiches Phänomen zu uniformieren und monokausal erklären zu wollen, wobei dann unliebsame Aspekte und Akteure, die nicht in dieses Bild passen, ausgeklammert werden. 8.

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Anmerkungen 1 Daneben stammen einige Werke aus den Reihen der Soziologie, Literatur- und Musikwissenschaft; nur sehr wenige Aufsätze wurzeln in sprachwissenschaftlichen und kommunikationstheoretischen Überlegungen. 2 Erst in den letzten Jahren werden im Rahmen der Studien zu hiphopography und bio-ethnographics langsam Fragen der Soziolinguistik und der Linguistischen Anthropologie laut (Alim 2009; Spady, Alim & Meghelli 2006). Alim (2009: 105) definiert demnach style als das zentrale Element von Hip Hop – eine Einschätzung, die von mir geteilt wird. Dennoch tauchen bei den Elementen, die er zu den mobile matrices der Hip Hop-Kultur zählt, neben Stil und Ästhetik auch Wissen und Ideologie auf. Dieses Konstrukt erscheint mir schon problematischer. 3 Ungeheuer (1972/2004) führt seine Unterscheidung zwischen kommunikativer und extrakommunikativer Betrachtungsweise zum einen auf die phänomenologische Philosophie zurück, konkret auf Heideggers (1927/1957) Differenzierung von ‘Zuhandenem’ und ‘Vorhandenem’, eine Dichotomie, die zuvor bereits von Husserl (1901/ 1921: 261ff) mit den Termini ‘fungierend’ und ‘thematisierend’ belegt wurde; zum anderen auf die sprachpsychologischen Ausführungen Bühlers (1934/1982: 48ff), dem es um eine Trennung von Akt- und Gebildelehre geht, die zu zwei geschiedenen, gleichwohl komplementären Betrachtungsweisen von Sprechen als subjektbezogener ‘Funktionsbetrachtung’ und Sprache als subjektentbundener ‘Stoffkenntnis’ führt (Bühler 1932: 100). Bühler zieht seinerseits die Unterscheidung Humboldts zwischen ‘Ergon’ und ‘Energeia’ wie auch die Saussures zwischen ‘Langue’ und ‘Parole’ heran. Allerdings gibt Ungeheuer der Diskussion eine neue Stoßrichtung, denn seine Dichotomie deckt sich nicht mit der Saussures, sondern eher mit der von Miller, Galanter & Pribram (1960) etablierten Begriffsdyade von ‘Images’ als organisiertem und akkumuliertem Weltwissen im Gegensatz zu ‘Plans’ als Handlungsinstruktionen, Verhaltensstrategien und -taktiken, die sich auf die Erfahrungsweisen der Akteure im Vollzug ihrer Handlungen beziehen; vgl. zur Problemgeschichte Kolb (2010). 4 Hier steht prinzipiell das Problem des Fremdverstehens im Raum, dem sich Schütz in seiner Differenzierung zwischen ‘Um-zu-‘ und ‘Weil-Motiv’ aus nähert: im Unterschied zum Um-zuMotiv veranlasst das Weil-Motiv den Entwurf des Handelns selbst und nicht den Vollzug der Handlung, d.h. es handelt sich um eine reflexive Zuwendung vom abgeschlossenen Handeln her, einem Denken im ‘modo plusquamperfecti’ (Schütz 1974: 125). Dem subjektiven Um-zu-Motiv kann sich nur der Handelnde selbst zuwenden, wogegen nicht nur der Handelnde selbst, sondern auch ein Beobachter prinzipiell imstande ist, idealtypisch einen objektiven Handlungssinn als Weil-Motiv zu konstruieren. Dennoch bleibt fraglich, ob der Forscher tatsächlich auf die gleiche Wirklichkeit des Handelnden rekurrieren kann. Simmel temporalisiert dieses Problem, wenn er als Kernproblem der Geschichtsschreibung den resultativen Zusammenhang ausmacht, in den Ereignisse nachträglich gestellt werden, wobei dem tatsächlich in Kontinuität verlaufenden Erleben eine wirklichkeitsfremde Form der Diskontinuität der Ereignisse als Erklärungsmuster zur Seite gestellt wird. Er fasst diese Problemlage in der Dichotomie vom ‘Leben-selbst’ und ‘Gegenüber-vom-Leben’ zusammen, beschreibt jedoch auch, wie beide Formen sich wechselseitig bedingen (Simmel 1957; apud Kolb 2010). 5 Dafür spricht auch die Anfangszeile des ersten erfolgreichen Raptracks Rapper’s Delight von der Sugarhill Gang: “I said a hip-hop, the hibbit, the hippidibby hip hop-hoppa, you don’t stopp the rocka to the bang-bang boogie, said up jump the boogie to the rhythm of the boogie da beat” 6 Dies wird im weiteren Verlauf der Argumentation deutlich. 7 Besonders fragwürdig erscheint in diesem Kontext die didaktische Rolle, die Verlan inzwischen mit seinem Reclam-Bändchen Rap-Texte. Für die Sekundarstufe: Die besten deutschen Rapper der 90er Jahre und ihre Texte eingenommen hat, da hier schon in der Schule ein verzerrtes Bild der Rapmusik vermittelt wird, das nur denjenigen Gruppen Raum gewährt, die politisch erwünscht sind. Ähnlich verhält es sich mit der Publikation

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Fear of a Kanak Planet (Güngör & Loh 2002), in dem hartnäckig die These vertreten wird, dass der deutsche Hip Hop immer nationalistischere Tendenzen annehme, wogegen der politisch korrekte Hip Hop der Anfangsphase, vorgetragen von deutschen sowie nicht-deutschen Rappern, die beide auf Englisch gerappt haben, bedauerlicherweise seine politische Kraft zugunsten einer Kommerzliaisierung und inhaltlichen Entleerung verloren hätte. Bewusst ausgeklammert wird hier die gesamte politisch unerwünschte Szene kommerziell erfolgreichen Gangsta- und Hardcore-Raps von Rappern mit meist islamischem Migrationshintergrund, die in den letzten zehn Jahren den deutschen Hip Hop-Markt beherrscht haben. Verlan & Loh (2006: 19) dazu: “Ich lasse deshalb weiterhin jene zu Wort kommen, die für HipHop sprechen, für die Kultur HipHop, so, wie wir sie kennen gelernt und beschrieben haben. Das mag mir den Vorwurf einbringen, ich hinge den alten Zeiten nach und betrauerte den Verlust der Werte und des Lebensgefühls der Old School. Ganz falsch ist das nicht, schließlich bin auch ich nicht mehr der Jüngste. Welche Wünsche und Ängste zwöfjährige Aggro Berlin-Hörer umtreiben, ist für mich tatsächlich nur noch schwer nachzuvollziehen, und – ehrlich gesagt – es interessiert mich nicht.” Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Interview, das die Süddeutsche Zeitung im Jahre 2005 mit Güngör, Loh und Bushido führt, bei dem sich der Rapper Bushido strikt gegen eine Einordnung der Berliner Rapper mit Migrationshintergrund in die Kategorie der Politagitation wehrt. Scorpio von Grandmaster Flash & The Furious Five, eine der ersten Rap-Formationen, kommentiert die Anfänge von Hip Hop aus der Innenperspektive wie folgt: “Auf der Straße, im Fernsehen, überall konnten sie all die schönen Sachen sehen, Fahrräder, Spielzeug, Swimmingpools, Klamotten, den ganzen Glamour der Siebzigerjahre, und nichts davon sollte für sie sein? Da haben sie sich aus Langeweile, und weil es sonst nichts gab, ihr eigenes Spielzeug erfunden: HipHop.” (Scorpio, zitiert nach Verlan & Loh 2006: 113). Auch Rick Rubin, Mitgründer von Def Jam Recordings äußert sich kritisch zur These des politischen Ursprungs von Rap: “Und die Leute hören das, um sich zu zerstreuen, sich auszutoben und um die Realität zu vergessen” (Rubin, zitiert nach Dufresne 1997: 64). Um einige Beispiele der ersten Generation zu nennen: Grandmaster Flasch stammt von den Antillen und hat ein Elektronik-Diplom; Run von Run DMC hat Soziologie studiert; die Beastie Boys stammen aus der weißen, jüdischen Mittelklasse wie auch 3rd Bass, der Rapper Pete Nice studierte an der Columbia University Englisch und unterhielt eine Rap-Radio-Show auf dem Campus; Kid von Kid & Play kommt aus der Mittelklasse und studierte Englische Literatur und Mode; Chuck D von Public Enemy studierte Grafikdesign, Flavor Flav spielt 14 Instrumente, und ihren ersten Auftritt hatten die Polit-Rapper Public Enemy auf dem Universitätscampus. Niggaz With Attitude Die US-Komödie CB4 ironisiert diese Verkaufsstrategie wie auch die Gangsta-Attitüde bereits 1993 mit ihrem an das Video von Straight Outta Compton angelehnte Video Straight Outta Locash. Solche Inszenierungen von vorgeblich authentischer Wirklichkeit verweisen auf ein weiteres Problem in vielen wissenschaftlichen Abhandlungen über Rap, in denen bestimmte Images oft mit einer bestimmten Gruppe oder einem bestimmten Rapper in Zusammenhang gebracht werden. Sowohl die Rapper selbst wie auch ihr Image jedoch sind ausgesprochen flexibel und wandelbar. Man betrachte z.B. den Imagewandel von Ice-Cube vom simplen GangstaRapper (Straight Outta Compton) über den Polit-Rapper (America’s Most Wanted), Black Muslim-Rapper (Death Certificate), West-Coast-Gangsta-Rapper der Neunziger (The Prediator und Lethal Injection) hin zum Filmstar mit Auftritten sogar in Familienkomödien. Textzeilen wie “Got a bum education, double-digit inflation // I can’t take the train to the job, there’s a strike at the station” zeugen erst einmal nicht von Sozialkritik, sondern stellen eher Schilderungen eines persönlich Betroffenen dar. Zu Recht weisen Luttner et al. (2005: 78) darauf hin, dass es kein Zufall sei, dass die Cultural Studies Fußball und Videoclips viel Aufmerksamkeit schenken, während schwer politisierbare Phänomene wie Musical-Fans keinerlei Aufmerksamkeit finden. Leider gibt es keine aktuellere Ausgabe des Bandes, der die letzten zehn Jahre einzufangen imstande wäre. Grundsätzlich jedoch lässt sich bei dem immer breiter werdenden Publikum und den aktuellen Verkaufslisten vermuten, dass US-Rap in den letzten zehn Jahren eher noch weniger politisch geworden ist als davor. Auf dem zweiten Album des Rappers Kool Moe Dee How Ya Like Me Now (1987), das in der Hochphase des sog. PolitRaps rauskommt, findet sich eine sog. Report Card, auf der Kool Moe Dee den unterschiedlichen Rappern Schulnoten gibt. Die Kriterien, die hier bewertet werden sind: Vocabulary, Articulation, Creativity, Originality, Versatility, Voice, Records, Stage Presence, Sticking to Themes, Innovating Rhythms. Auch hier findet sich keinerlei expliziter Hinweis auf den so viel zitierten Conscious-Rap bzw. Message-Rap. Gates entwickelt entlang der Parabel vom Signifying Monkey, der durch mehrdeutiges Sprechen den Löwen hereinlegt, eine Theorie von einer afroamerikanischen Tradition des ‘uneigentlichen Sprechens’, das auf rhetorische

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Strategien der schwarzen Sklaven zurückgehe, denen daran gelegen war, strategische Sprechweisen zu entwickeln, die von den Weißen nicht verstanden werden. Bei dieser Analyse zeichnet der Autor letztlich wiederum eine kontinuierliche Traditionslinie, die Sprechstile an gesellschaftspolitisch aufgeladene Intentionen koppelt. Dies gilt nicht für die Abhandlung von Sokol (2005), die sich dem Diskurstyp verbal duelling explizit zuwendet und für einen kulturübergreifenden Themenkatalog der rituellen Beleidigung und Selbststilisierung folgende Punkte nennt: a) gesellschaftlich stigmatisierte sexuelle Praktiken wie Promiskuität, Inzest oder Homosexualität; b) tabuisierte Körperzonen wie Geschlechtsorgane, Ausscheidungsorgane und Fäkalien, c) tabuisierte oder verbotene Formen der Gewalt wie Verstümmelungen, Folter, Sadismus und Vergewaltigungen und d) Herabsetzung hierarchisch hoch stehender oder im sozialen Gefüge zentraler Personen wie die Umwertung des Muttertabus. Toops (1991) Rap Attack ist eine der hervorzuhebenden Ausnahmen. In dem Buch gelingt es dem Musikjournalisten David Toop in einer mit einer Fülle an Hintergrundinformationen angereicherten Darstellung, die spezifische Entwicklung des Musikstils Rap im Kontext anderer Musikstile herauszustellen und auf historische Kontinuitäten hinzuweisen. Labov (1972: 306ff) hingegen differenziert an dieser Stelle geographisch zwischen sounding (New York), woofing (Philadelphia), joning (Washington), signifying (Chicago), screaming (Harrisburg) sowie cutting, capping und chopping (West Coast). Eine gelungene Abhandlung zum Reizwort bitch und dessen Polysemie findet sich in Leibnitz (2007), obwohl die Untersuchung zu wenig auf die semantische Inversion des Begriffs in der schwarzen Alltagssprache eingeht, so dass der Eindruck bestehen bleibt, bitch sei rapspezifisch. Ein Beispiel ist die Abfolge der Tracks a) The Bridge von MC Shan (1986), b) South Bronx von Boogie Down Productions (1986), c) Kill That Noise von MC Shan (1987), d) The Bridge Is Over von Boogie Down Productions (1987), e) Have A Nice Day von Roxanne Shanté (1987) und I’m Still #1 von Boogie Down Productions (1987). Zwischen Legalität und Illegalität wird dabei kaum unterschieden, was auch nicht weiter verwundert. Spätestens seit dem wegen seiner realistischen Zeichnung der Charaktere, der Handlung und des Drehorts mehrfach ausgezeichneten US-Fernsehepos The Wire von David Simon, das von 2002–2008 auf HBO ausgestrahlt wurde, dürfte auch jedem Außenstehenden klar sein, dass Drogenverkauf für die vorwiegend schwarzen Bewohner vieler Viertel US-amerikanischer Großstädte nicht nur die einzige Jobperspektive ist, sondern auch als normale Arbeitswelt wahrgenommen und gelebt wird. Das unterscheidet die US-Verhältnisse grundlegend von denen in Deutschland, wo Gangsta-Attitüden häufig mit der sadistischen Freude am Quälen oder Eliminieren Dritter vorgetragen werden, während diese Art von Glorifizierung in den USA eher von außen – etwa weißen Mittelschichtsjugendlichen – herangetragen wird. Die Akteure selbst verrichten derweil in der Regel lediglich ihr Alltagsgeschäft, bei dem Schießereien eher lästig sind, weil sie die Polizei anlocken. Man vergleiche hierzu etwa klassische US-Tracks wie Straight Up Menace (MC Eiht), Straight Outta Compton (N.W.A.) oder D’Evils (JayZ) mit Das ist Gangsta (D’Irie), Wenn es Nacht wird (La Honda) oder Klick Klack (Automatikk). Ein Beispiel für diese Entfremdung stellt die Diskussion um die Applizierbarkeit der Enthaltsamkeitsregeln der Zulu-Nation in Deutschland dar, die u.a. zur Folge hat, dass sich gegen einige pädagogisch und dogmatisch gesinnte Rapper der Anfangsjahre in Dortmund, initiiert durch die Gruppe Too Strong, die ‘Silo-Nation’ formiert, deren Motto ist: “Trink, rauch, mach, was du willst. Mehr nicht.” Die politisch völlig unkorrekten Gangsta-Rapper von Aggro-Berlin erklären schließlich Schlägerei zur 5. Säule des Hip Hop. Dabei handelt es sich auch um eine idealtypische Dichotomie. Es soll also keineswegs gesagt werden, dass der deutsche Mittelstandsrap der Schriftkultur entstammt und der US-amerikanische Rap der überwiegend schwarzen Rapper der Oralkultur. Selbstverständlich überlappen sich beide Einflüsse in beiden Fällen. Im unmittelbaren Vergleich jedoch zeigt sich, dass vor dem jeweils kulturgeschichtlichen Hintergrund das Aufkommen des USRap eine Fortsetzung einer Reihe von oralkulturellen Elementen darstellt, wogegen der neue Rapstil zunächst in Deutschland ‘einfällt’ und sich einem Kosmos aus Jugendlichen gegenübersieht, für welche die dieser Kultur innewohnenden Stilmuster vielen bislang bekannten Ausdrucksformen diametral entgegenstehen, wovon auch die ersten deutschen Tracks zeugen, die Blödelraps darstellen und das US-Original zu parodieren versuchen (z.B. Rapper’s Delight von Thomas Gottschalk, Frank Laufenberg und Manred Sexauer, Absolut gut von Frank Zander, HipHop von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, Zillertaler Hochzeitsmarsch – HipHop Remix von MC Eugster, Schi-Wax-Rap von Werner Grissmann, Trabi Rap von DRD, Ali Rap von Yarinistan oder Möllemann Rap von Kohl & The Gang). Solche Beschreibungen sind sicherlich hilfreich, um im vorliegenden Kontext einen solchen entscheidenden Unterschied kurz und bündig nachzeichnen zu können, auch wenn beide Autoren gleichzeitig den Fehler begehen, zu stark zu homogenisieren und dabei etwa klassenspezifische Präferenzen außen vor zu lassen.

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