Transhelvetischer. Zwischen Traum und Wirklichkeit

Transhelvetischer Kanal Zwischen Traum und Wirklichkeit Text: Julian Schmidli, Bild: Matteo Gariglio Die Schweiz als Drehscheibe für den internationa...
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Transhelvetischer Kanal Zwischen Traum und Wirklichkeit Text: Julian Schmidli, Bild: Matteo Gariglio

Die Schweiz als Drehscheibe für den internationalen Schiffsverkehr. Die Idee scheint absurd. Doch bis vor wenigen Jahren lagen die Pläne dazu auf dem Tisch. Eine Spurensuche.

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Am Himmel ziehen Wolkenschiffe, gross wie Dampfer,

Der Rhein – ein Sprudeln, Strömen, Rauschen

angetrieben vom Wind, und wir ziehen mit ihnen. Wir

Mit dem Schiff durch die Schweiz, die Landschaften

folgen dem Lauf des Wassers durch die Schweiz. Und

an sich vorbeiziehen lassen. Sich treiben lassen. Ein

wir folgen einer Idee, so grössenwahnsinnig und ver-

wenig Panama-, ein wenig Suezkanal zwischen Genf

messen, dass sie schon fast wieder Sinn macht. Sie hat

und Basel. Den Gotthard entlasten, den Wasser­wegen

in den letzten Jahrhunderten so einige Ingenieure und

folgen. Das ist der Traum vom transhelvetischen Ka-

Raumplaner verrückt gemacht. Ihr Ziel: die Schweiz als

nal. Und warum auch nicht? Schiffe vermitteln das

Drehscheibe der Schifffahrt zu etablieren. Ihr Name:

Gefühl von Reise und Abenteuer, die Patina der See-

der Transhelvetische Kanal.

fahrerromantik blättert nur langsam. Und nicht zuletzt

Die Reise beginnt am Basler Rheinhafen, wo ein Schiff

erinnern sie an die grosse Abwesende im Schweizer

beladen wird, einer von vielen langen Flusstranspor-

Landschaftsportfolio – die Grande Dame aller Wasser-

tern, die täglich Öl, Kies und andere Rohstoffe den

wunder, die See.

Strom hochschleppen. Das metallische Ächzen der

Über Wanderwege und an kargen Industriegebieten

Kräne taktet die Stimmung hier, ein Hauch von Indust-

vorbei gehen wir dem Rhein entlang gegen den Strom,

rieromantik umweht den wichtigsten Port der Schweiz.

der Grenze nach bis Koblenz, wo die Wassermassen

Der Rhein ist ein bewährter Weg der Warenverschie-

der Aare hinzuquellen. Von da an geht es flussaufwärts

bung, 600 Lastwagenladungen in einem Schiff für einen

der Aare nach, die sich, wie ein kleiner Amazonas, an

Bruchteil des Energieverbrauchs. Kein Wunder haben

wilden Büschen und Bäumen vorbeischlängelt. Wäh-

sich immer wieder Träumer gefunden, die sagten: Wa-

rend man bei schlechtem Wetter ungestört spazieren

rum nicht, was wir gen Norden haben, auch gen Süden

kann, trifft man bei Sonnenschein immer wieder auf

bauen? Vom Genfersee aus fliesst die Rhone ins Mit-

Menschen. Statt langer Tanker sind hier Kajaks und

telmeer. Was fehlt, ist bloss das Mittelstück. Eine Ver-

Schlauchboote unterwegs. Und immer wieder junge

bindung quer durch die Schweiz, um die Autobahn der

Männer in Kapuzenpullis, die grobschlächtige Holz-

Schifffahrt zwischen Rhone und Rhein zu ermöglichen.

schiffe steuern, mit langen Stöcken bis zum Grund

Der Kanal als eingepferchter Bach in Yverdon

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stossen, kraftvoll, im Takt, gegen den Strom. Der Fluss

eine Autobahn über die Ebene. Hier rechnete man

wird hier zum Spielplatz, zum Ort der Interaktion mit

schon fest mit den grossen Schiffen, die kommen wür-

der Natur.

den, irgendwann.

Die Aare –  ein Treiben, Driften, Schäumen, Quirlen

Der Canal Oriental – ein Rieseln, Perlen, Säuseln

Der verspielte Flusslauf, die scharfen Kurven, die Un-

Der Canal Oriental, wie der Bach an dieser Stelle heisst,

tiefen und Stromschnellen wären für transhelvetische

ist ein begradigter Entwässerungskanal. In vergangenen Zeiten zogen hier Pfer-

Unternehmer eine ingenieurische Herausforderung. Die Brücken müssten erhöht werden, die Kurven begradigt,

Der Kanal

beladene

Flachboote

gegen den Strom. Heute sind es Bauern auf Trak-

das Ufer betoniert. Von Kob-

Seit 400 Jahren taucht der Plan eines

toren, und vereinzelt Ka-

lenz über Aarau, Olten und

transhelvetischen Kanals immer wieder

nalforscher wie wir.

Solothurn bis in den Bieler-

auf. Anfangs war er als sichere Alterna-

Über der Orbe-Ebene ent-

see – alles müsste vereinheit-

tive zu den piratenumschwärmten Meer-

laden sich lokale Gewit-

licht werden. Wie sonst sollten

wegen gedacht. Auf Geheiss der Berner

ter. Regen wie Fäden aus

Schiffe, gross wie Häuser, pas-

Regierung wurde zwischen Yverdon-

schwarzen Knäueln. Un-

sieren können?

Les-Bains und dem Genfersee der Bau

geheure Kräfte in Zeitlupe,

des Canal d'Entreroches initiiert. Schleu-

bis es knallt. Der kleine

Der Bielersee – ein Brausen,

sen und Häfen wurden gebaut. Doch

Kanal, dem so viel Grosses

Wallen, Schaukeln

12 Kilometer vor dem Ziel, bei der Klus

zugedacht wurde, macht

Wir laufen dem Bielersee ent-

von Entreroches, blieben die Arbeiter

eine neue Wendung – und

lang. Feiner Nebel schwebt

stecken, wurden die typografischen Hin-

verschwindet

über unruhigem Wasser, das

ternisse zu gross und das Geld knapp.

schwarzen Boden. An sei-

andere Ufer ist nicht mehr

Danach wurde der Wasserweg für lokale

ner Stelle breitet sich ein

erkennbar. Ansonsten nichts.

Transporte – vor allem Wein – benutzt,

Meer aus Torf aus. Der in-

Wir stellen uns vor: Statt Mö-

bis mit dem Aufkommen der Eisenbahn

tensive Geruch nach Erde

wen taucht aus dem Nebel ein

ein schnellerer Weg gefunden wurde. Im

strömt aus dem Boden.

900-Tonnen-Tanker auf. Sein

20. Jahrhundert schien eine Renaissance

Darüber

dröhnendes Hornen zerreisst

des Kanals wahrscheinlich: Politiker und

von seidenem Weiss.

die Stille. Ein Monster auf

die eigens gegründete Lobbyfirma Trans-

Und wie es zu jedem Meer

dem Bielersee. Traum oder

helvetica AG buhlten für einen industriell

gehört, steht an seinem

Albtraum?

genutzten Rhein-Rhone-Kanal, an den

Ende ein Hafenhaus. Von

Das Kernstück des transhel-

Flussufern wurde für Häuser ein Bau-

weitem ist es sichtbar, das

vetischen Kanals beginnt am

stopp eingegeben. Doch 1990 wurde das

Hafenhaus im Niemands-

anderen Ende des Neuen-

Projekt vom Parlament abgelehnt, 2006

land, das für den Kanal

burgersees.

der Baustopp aufgehoben. Und damit

gebaut wurde und heute

auch die transhelvetischen Träume.

da steht, ohne Hafen, ohne

Zwischen

den

Wohnhäusern des schmucken Städtchens Yverdon säuselt

40

de

im

ziehen

pech-

Wolken

Schiffe, ohne Wasser. Nur

ein kleiner Bach, eingepfercht durch Kopfsteinpflas-

ein kleiner, eingefallener Ziehbrunnen, der im Vorgar-

ter, in dem zuweilen der Abfall der Anwohner landet.

ten steht und die einzige Verbindung zum Kanal ist,

Er schleicht sich vorbei am prominenten Stadtschloss

der unterirdisch weiterfliesst. Neben dem Brunnen

und entschwindet, durch die Hintertür quasi, als un-

stehen zwei Platanen, gepflanzt, als das Haus in Be-

beachteter Entwässerungskanal. Dahinter entfaltet

trieb genommen wurde. Ihre Äste sind inzwischen ver-

sich die Orbe-Ebene; saftige Wiesen, blühende gelbe

narbte Stümpfe, ihre Mitten vom Blitz gespalten. Und

Rapsfelder und endlose Pappel-Alleen. 40 Kilometer

trotzdem leben sie weiter, von dem wenigen Wasser,

geht es hier durch Land und Gestein. 40 Kilometer

das ihre Wurzeln umzüngelt. Was wichtig ist, hat eben

graben, ausheben, sprengen, bis das Wasser in den

Bestand, sagt der heutige Bewohner des Hauses. Das-

Genfersee rauscht. Das war der Plan.

selbe gelte für den Traum des transhelvetischen Ka-

An einer Stelle trägt ein ungewohnt hohes Viadukt

nals. Tausendmal zu Tode erklärt, und trotzdem lebe

Auf dem Weg Richtung Mittelmeer

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Wolkenschiff über der Orbe-Ebene

er weiter, irgendwie. «Wenn ihr zum Ort wollt, wo alles endet – da geht's lang», sagt der Mann und zeigt Richtung Mormont, der einzigen Bergkette, die sich am Rande der Ebene aufschichtet. Wir steigen die Anhöhe des Mormont hinauf und suchen dahinter, in der Schlucht von Entreroches, nach den Überresten des Kanals, der inzwischen aufgeschüttet und, so will es die Ironie der Geschichte, in eine Bahnstrecke umgenutzt wurde. Alle Viertelstunde donnert hier ein Zug vorbei. Ansonsten herrscht die Stille am Berg. Weiter hinten im Tal schiesst er wieder aus dem Boden, der Wasserstrom, in Form eines leisen Waldbachs. Und hier wollten sie ein Schiff durchschleusen? Der Canal d'Entreroches – ein Dümpeln, Gurgeln, Rinnen Das Ende kommt unvermittelt. Keine riesigen Felsmassen sind zu sehen, keine unüberbrückbaren Schwierigkeiten auszumachen. Trotzdem haben sie hier gestoppt, die Kanalpioniere aus dem 17. Jahrhun-

GERLINDE KALTENBRUNNER

dert. Haben den Bettel hingeworfen und einen Sumpf zurückgelassen. Ein Tümpel, ein Biotop, das vielen Die Höhe der Frachtschiffe wurde beim Bau der Autobahnbrücke einkalkuliert.

Zuflucht bietet, wo das Wasser staut und unschlüssig

Profi-Bergsteigerin alpiniste professionnelle

vor- und zurückschaukelt. Und dann im Nirgendwo versickert. Welch vermessene Idee das war: Durch diese wunderbare Ebene und die steinige Schlucht eine Autobahn der Flusstanker zu ziehen – und damit die Schweiz zu einer Drehscheibe der Transportschifffahrt zu machen. Die Schweiz und der transhelvetische Kanal. Es Gluggere, Schwadere, Wabere. Ein Stäuben. Ein Fliessen. Ein Traum. Zum Glück? Julian Schmidli ist Autor und Journalist. Er mag Geschichten, die die ganze Welt erklären, Skitouren und schweren Wein. Matteo Gariglio ist freischaffender Fotograf und Filmemacher. Er mag kuriose Geschichten, dokumentarische Arbeiten, Farben und Olivenöl.

Ausflugstipp Das Kernstück des transhelvetischen Kanals, der 28 km lange Kanal zwischen Yverdon-les-Bains und Cossonay, lässt sich am besten per Velo oder zu Fuss erforschen. Besonders reizvoll ist dabei der Weg über die Klus von Entreroches über den Mormont.

Am Wegrand statt am Kanal: Dieses Haus wurde einst als Hafengebäude errichtet.

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Heiweh? Das kenni nid! Auf hoher See in den Tiefen von Bern Text: Noëmi Lerch, Bild: Hanin Lerch

Daniel Trösch war von 1981 bis 1986 Matrose bei der Schweizerischen Hochseeflotte. Heute betreibt er nebst verschiedenen anderen Tätigkeiten den Seemannskeller in der Berner Altstadt, wo jeden Freitag allerlei Volk zusammenkommt. Ihnen allen ist etwas gemeinsam: die Sehnsucht nach der Ferne.

Das Fernweh bleibt: Ehemaliger Matrose Daniel Trösch

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Der Wind steht gut, als ich in Bern aus dem Zug stei-

Ich folge ihm die Treppe hinunter in den Keller, wo

ge. Er kommt aus dem Süden und bringt Sand und

es kühl ist und der Geruch nach Öl wie ein Geist in

getrocknete Algenblätter mit. Zwischen den Pflaster­

der Luft liegt. An den Wänden, an der Decke Treib-

steinen der Altstadt sammeln sich Muscheln und auf

gut von tausend und einem Tag auf dem Meer: aus-

dem Rand des Gerechtigkeitsbrunnens wachsen Ko-

gediente Taue, Fotografien von schönen Frauen und

rallen, so klein, dass man sie fast nicht sieht. Der

Frachtschiffen aller Art, Rettungsringe, Steuerräder,

Seemannskeller liegt am Ende der Strasse, von hier

Anker, gewellte und verblichene Postkarten. Ich stel-

aus kann man die Aare riechen und der Keller wird

le mir vor, dass hier Geschichten wie Schatzkarten

zur Hafenkneipe, an seinem Eingang wehen die Fah-

ausgebreitet werden, ihre Ränder hängen über die

nen grosser Seefahrtsnationen. Aus einem Radio

Tischkanten herunter, so gross sind sie. Wir trinken

kommt Rumba und Meeresrauschen. Ich setze mich

Tonic Water und während der ehemalige Seemann

auf die Treppe neben dem Eingang und warte auf ei-

erzählt, liegen seine Arme auf dem Tisch, als wären

nen Mann mit Tattoos und Goldzähnen. Der Mann, der

sie mit jedem Tag auf dem Schiff ein wenig schwerer

sich mir dann als Dänu vorstellt, hat nichts von bei-

geworden.

dem, aber sein Händedruck verrät etwas aus seinem

Nach einer Lehre als Maschinenmechaniker wollte

Leben da draussen auf dem Meer.

Trösch unbedingt im Ausland arbeiten. Der Vater sei

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