Zukunftskonferenz: Anspruch, Wirklichkeit und Perspektiven

Olaf-Axel Burow Zukunftskonferenz: Anspruch, Wirklichkeit und Perspektiven „Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst bekommen wir ei...
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Olaf-Axel Burow

Zukunftskonferenz: Anspruch, Wirklichkeit und Perspektiven

„Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“ Joseph Beuys

1. Zum besonderen Charakter der Zukunftskonferenz Unter den Verfahren partizipativer Zukunftsgestaltung nimmt die auf Marvin Weisbord zurückgehende Zukunftskonferenz eine besondere Stellung ein: Mit ihrem sechsphasigen Verlauf ermöglicht sie in vergleichsweise kurzer Zeit einen orientierenden Durchgang durch alle wesentlichen Dimensionen, die die Zukunft einer Organisation oder Region/Gemeinde betreffen: So tragen die Teilnehmer der Zukunftskonferenz in der ersten Phase unter der Leitfrage Wo kommen wir her? auf einem Zeitstrahl die Höhe- und Tiefpunkte aus der Geschichte ihrer Organisation/Region/Gemeinde ab; gestalten in der zweiten Phase Was kommt auf uns zu? in Form eines Mindmaps (ca. 4x6m) eine komplexe Landkarte erwarteter Zukunftsherausforderungen; analysieren in der dritten Phase Worauf sind wir stolz? Was bedauern wir? Stärken und Schwächen bezüglich der projizierten Anforderungen; entwerfen in der vierten Phase Was ist unsere Vision? Was wollen wir gemeinsam erschaffen? vielfältige Bilder der erwünschten Zukunft; klären in der fünften Phase Was ist unser gemeinsamer Grund? diejenigen Entwicklungsaufgaben und Ziele, die alle mit Engagement tragen wollen; und erarbeiten in der sechsten Phase Was wollen wir gemeinsam umsetzen? konkrete Maßnahmenpläne unter Benennung von eindeutigen Verantwortlichkeiten und verbindlichen Terminplänen. Mit diesem systematischen Durchgang beginnend bei Vergangenheit, weiter zu den erwarteten Umfeldeinflüssen, einer Analyse der gegenwärtigen Situation, über die Entwicklung von Bildern der erwünschten Zukunft bis hin zum Start konkreter Maßnahmen liegt hier ein einzigartiges Instrument partizipativer Zukunftsgestaltung vor, dessen umfassender Charakter sich auch in der Teilnehmer-

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zusammensetzung zeigt: „Das ganze System in einem Raum“ – so die Forderung Weisbords, bedeutet, dass ein weites Spektrum nicht nur von Mitgliedern der Organisation/Gemeinde/Region etc. aller Hierarchie- und Tätigkeitsebenen einbezogen werden soll, sondern auch Schlüsselpersonen aus dem Umfeld. Im Unterschied zu traditionellen Verfahren der Organisationsentwicklung, in denen externe Berater Organisationsdiagnosen erstellen und Maßnahmenpläne erarbeiten, wird hier – zumindest in der Theorie – der gesamte Diagnose, Entwurfsund Umsetzungsprozess in die Hände der Mitglieder der Organisation sowie von Personen aus dem unmittelbaren Umfeld (Kunden, Lieferanten, Mitbürgern etc.) gelegt. 2. Ziele der Zukunftskonferenz Dieses komplexe und zugleich komprimierte Vorgehen soll verschiedene Ziele auf mehreren Ebenen erreichen, von denen ich im Rahmen dieses Aufsatzes nur die Wesentlichsten benennen kann: -

durch die Auswahl von Schlüsselpersonen aus allen die Organisation/Region/Gemeinde tangierenden Bereichen, soll eine repräsentative Zusammensetzung gewährleistet werden

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hierdurch soll tendenziell das gesamte Wissen der jeweiligen Mitglieder sowie der Personen aus dem Umfeld so erschlossen und vernetzt werden, dass es zur Entwicklung kreativer Zukunftsentwürfe und/oder Problemlösungen genutzt werden kann

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die Zusammenarbeit in gemischten Gruppen soll zum Aufbau auch über die Konferenz hinauswirkender persönlicher Kommunikationsbeziehungen, also zur Netzwerkbildung beitragen

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durch die gemeinsame Arbeit soll nicht nur die Identifikation mit der Organisation/Region/Gemeinde gestärkt, sondern auch eine gemeinsame Wertebasis entdeckt bzw. geschaffen werden

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durch den Verzicht auf externe Experten sollen im Sinne des Empowerments Vertrauen in die Kompetenz der Teilnehmer signalisiert und damit die Selbstlösungsfähigkeiten der Organisation/Region/Gemeinde gestärkt werden

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das Design ist darauf ausgelegt, die oftmals zersplitterten Energien der Organisation/Region/Gemeinde in Form einer gemeinsam geteilten Vision zu konzentrieren und eine motivierende Aufbruchsstimmung zu erzeugen.

Soweit die ambitionierten Ziele, doch wie sieht die Wirklichkeit aus?

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3. Schneller Wandel in großen Gruppen? Anspruch und Wirklichkeit der Zukunftskonferenz Ganz im Trend nicht weniger Autoren/innen neuerer Großgruppenverfahren, wie sie etwa im Change Handbook1 dargestellt sind, behauptet auch der Erfinder der Zukunftskonferenz, Marvin Weisbord (2001), erstaunlich weitreichende Wirkungen als Folge einer einzigen, zweieinhalbtägigen Zukunftskonferenz; Wirkungen, die nicht selten bis zu einem kompletten Turn-around einer bislang in Stagnation und Depression verharrenden Organisation reichten und zur Erzielung sagenhafter Effizienzsteigerungen und sogar Gewinnmaximierungen beitrügen. Typisch für diese Heilsversprechen ist seine Einleitung zum Zukunftskonferenzartikel im Change Handbook S.46-47. Dort zitiert er einen CEO, John Mackey, der als Grund für die überragende Entwicklung seiner Firma angibt, dass er alle fünf Jahre (sic!) eine (sic!) Zukunftskonferenz durchführt.2 Die Tatsachen dieser im fünfjährigen Zyklus stattfindenden Zukunftskonferenzen und der objektiv feststellbaren Wachstumszahlen seiner Firma, können allerdings – anders als es Weisbord und andere Autoren suggerieren – keineswegs als empirische Belege für die behauptete Wirksamkeit von Zukunftskonferenzen gelten; jedenfalls wenn man wissenschaftliche Standards zugrunde legt. Alles andere wäre auch überraschend, denn spätestens seit der Desillusionierung über die vergleichsweise unspektakulären Wirkungen von Managementkonzepten in den achtziger und neunziger Jahren und den Untersuchungen von Argyris (1997; 1999) über „institutionelle Abwehrroutinen“, wären wir doch sehr erstaunt über die Existenz eines solchen vergleichsweise einfachen, wenig zeitaufwändigen und überaus wirksamen Wunderinstruments. Schließlich haben eine erdrückende Zahl von Untersuchungen zu komplexen und langfristig eingesetzten Instrumenten organisationellen Wandels belegt, dass viele Methoden nicht die versprochenen Ergebnisse erzielt haben, zum Teil sogar kontraproduktiv waren. Als ausgewiesenem Wissenschaftler dürften auch Weisbord diese ernüchternden Einsichten nicht fremd sein. Die Frage drängt sich auf: Warum greift er dann zu solchen Heilsversprechen?

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Holman P. & Devane T. (Hg.) (2002). Chance Handbook. Zukunftsorientierte Großgruppenmethoden. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag. 2 Weisbord M & Janoff S. (2002). Future Search (FS bzw. Zukunftskonferenz. Auf einer gemeinsamen Wissensbasis in Organisationen und Gemeinden handeln. In: Change Handbook, S.46-57

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Die Antwort liegt auf der Hand: Angesichts eines immer schneller sich drehenden Zykluses von Managementmoden, scheinen potentielle Kunden nur durch übersteigerte Versprechen kontraktbereit zu sein; möglicher Weise ein Grund dafür, dass der deutsche Pionier der Großgruppenverfahren, Matthias zur Bonsen3, die Zukunftskonferenz mit Erfolg unter dem Label „Schneller Wandel in großen Gruppen“ angeboten hat. Mögen solche Formeln in Bereichen der Wirtschaft ankommen, die unter aktuellem Lösungsdruck stehen, so rufen sie doch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive eher Zweifel hervor; ja sie bewirken den Verdacht mangelnder Seriosität und dies nicht von Ungefähr: So hat Weber (2005) in ihrer ausgezeichneten Untersuchung „Rituale der Transformation. Großgruppenverfahren als pädagogisches Wissen am Markt“ aufgrund einer breit angelegten empirischen Untersuchung ein Fazit gezogen, das unsere Skepsis bestätigt: „Einerseits steht das pädagogische Wissen am Markt – und lässt sich im Produktlebenszyklus als Managementmythos und mythisiertes Heilswissen >schnellen Wandels< fassen. Zweitens wird hier eine narrative Perspektive interessant: ein Wissen, das selbst in Transformation ist und als solche beschreibbar ist. Demnach ist also nach der Mode vor der Mode – und so mäandert das Wissen im Produktlebenszyklus, bringt neue Sichtweisen auf, treibt innovative Ansätze hervor, verwirft oder variiert sie wieder, moduliert das Wissen um in gesellschaftlichen Prozessen permanenter Wissens-Reorganisation.“4

Was bedeuten diese Ausführungen im Klartext? Weisbord produziert mit seinen Heilsversprechen einen weiteren Managementmythos, nämlich den, von den sagenhaften Wirkungen der Zukunftskonferenz. Interessanter Weise gewinnt Weber dieser Form der Mythenbildung allerdings einen positiven Aspekt ab: Durch die mit der Erprobung von Großgruppenverfahren wie der Zukunftskonferenz verbundenen Erfahrungen würden Innovationen gefördert, da diese Modezyklen zu einem permanenten Prozess gesellschaftlicher WissensReorganisation beitrügen. Stimmt das? Da wir seit über zwanzig Jahren im Profit- und Non-Profitbereich beginnend mit der Zukunftswerkstatt über Zukunftskonferenzen und verschiedene Großgruppenverfahren bis hin zu Bürgerkonferenzen gearbeitet haben und uns in Evaluationsstudien auch wissenschaftlich mit der Wirkung solcher Verfahren

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zur Bonsen, M. (1994). Führen mit Visionen. Gabler-Verlag. Weber S.M. (2005). Rituale der Transformation. S.373

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auseinandergesetzt haben5, bin ich in der Lage einige Anmerkungen zur Reichweite der Zukunftskonferenz machen. Zunächst muss festgestellt werden, dass es meines Wissens bislang keine wissenschaftlichen Standards genügende Untersuchung zu den Wirkungen von Großgruppenverfahren im Allgemeinen und der Zukunftskonferenz im Besonderen gibt. Allerdings haben wir selbst im Rahmen eines Schulentwicklungsprojektes die Zukunftskonferenz als Teil evolutionärer Personal- und Organisationsentwicklung (EPOS)6 eingesetzt und das gesamte Programm über mehrere Jahre evaluiert. Weiterhin haben wir dieses Verfahren in zahlreichen Organisationsentwicklungsprojekten eingesetzt und hier stichprobenartig Befragungen durchgeführt. Was haben wir dabei herausgefunden? Zunächst können wir festzustellen, dass es sich – entgegen des Neuigkeitsversprechens – bei der Zukunftskonferenz keineswegs um ein völlig neues Verfahren handelt, sondern eher um eine originelle Neukombination von Elementen, die aus anderen Gruppenverfahren bekannt sind. Von der auf Robert Jungk zurückgehenden Zukunftswerkstatt über die Encounter-Gruppen Carl Rogers aus den siebziger Jahren, der Planungszelle Peter Dienels und diversen Typen von Bürgerkonferenzen, um nur einige Verfahren zu nennen, gibt es eine Tradition von partizipativen Verfahren, die darauf abzielen, eine gemeinsame Wissensbasis für gemeinsames Handeln in großen Gruppen zu erzielen. Insofern ist der von Weber behauptete Prozess der permanenten Wissensreorganisation mit der Hervorbringung immer neuer innovativer Konzepte als relativ anzusehen. Eher handelt es sich um Pendel- nicht selten sogar Kreisbewegungen, in denen bereits Bekanntes wieder entdeckt und um einige neue Elemente ergänzt wird. Dabei spielt sicher auch eine mangelnde Vernetztheit der verschiedenen Szenen eine Rolle, denen es nicht selten an den nötigen Kenntnissen über parallele und zum Teil unabhängig voneinander stattfindende Entwicklungen fehlt, weswegen die Verfahren für nicht Wenige tatsächlich als „neu“ erscheinen mögen. Hinzukommt, dass die Beraterszene verständlicher Weise weniger an wissenschaftlichen Ableitungen als eher an praxisbezogenen Umsetzungsmöglichkeiten interessiert ist. Wenn man einige der als neu verkauften Verfahren wie z.B. Appreciative Inquiry betrachtet, dann entsteht hier der Eindruck, dass mithilfe eines kreativen

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dokumentiert in Burow & Neumann-Schönwetter (1998); Burow (2000); Burow & Pauli (2005); Burow & Hinz (Hg.) (2005) 6 Dargestellt in: Burow & Hinz (Hg.) (2005). Die Organisation als Kreatives Feld. Evolutionäre Personal- und Organisationsentwicklung (EPOS). Kassel: University Press. Darin: Kühnemuth K. (2005). Lernkulturwandel – von der belehrenden zur lernenden Organisation – Evaluationsdarstellung, S.137-156

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Namens und verbesserter Verpackung bekannte Einsichten als neu verkauft werden. Der beachtliche Markterfolg legitimiert solche Marketingstrategien durchaus. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich die Anbieter mit einem solchen Vorgehen mittelfristig einen Gefallen tun, da sie sich damit selbst unter das Diktat der Modezyklen stellen und immer unhaltbarere Versprechen liefern müssen. Wir plädieren daher dafür, Abschied von Heilsversprechen zu nehmen und stattdessen die zwar begrenzten, aber zweifellos beachtlichen Wirkungen der Zukunftskonferenz herauszustellen. Das eigentlich „Neue“ an der Zukunftskonferenz besteht nämlich nicht im „Schnellen Wandel“, sondern in der Bereitstellung eines relativ gut zu handhabenden Verfahrens, das es Organisationen, Gemeinden und Gruppen ermöglicht, nicht nur das für komplexe Zukunftsentscheidungen notwendige Wissen aus eigener Kraft heraus zu bündeln, sondern auch das für den Wandel nötige Engagement anzustoßen und gruppenübergreifende Umsetzungsnetzwerke zu schaffen. Das Versprechen schnellen Wandels weist auch insofern in die falsche Richtung, weil breit angelegte empirische Untersuchungen, wie zum Beispiel die von Jim Collins (2004)7 gezeigt haben, dass erfolgreiche Organisationen nicht durch spektakuläre Einzelmaßnahmen und charismatische Führerfiguren entstehen, sondern durch kontinuierliche, langfristige Arbeit aller Beteiligten an ihren grundlegenden Werten, Auffassungen und Kompetenzen. Erfolgreiche Organisationen/Regionen/Gemeinden verändern sich nicht im schnellen Wandel, sondern nach dem Schwungradprinzip: Zu Anfang geht es in einem sehr kraftaufwändigen Prozess darum, das Rad überhaupt in Bewegung zu bringen, bis eine kritische Masse erreicht ist, von der aus man dann immer weniger Kraft benötigt um den Schwung und damit Qualität und Effizienz kontinuierlich zu steigern. Die Zukunftskonferenz, wie wir sie verstehen, kann ein wichtiger Teil eines solchen Anschubvorgangs sein. Um die entfesselten Energien aber wirkungsvoll zu nutzen, bedarf es aber kontinuierlicher Weiterarbeit an der durch sie entstandenen Vision mithilfe geeigneter Instrumente. Insofern wäre die Formel: Nachhaltiger Wandel durch große Gruppen treffender. 4. Die Weisheit der Vielen nutzen Eine weitere zentrale Leistung der Zukunftskonferenz besteht nach unseren Untersuchungen darin, das im jeweiligen Feld vorhandene interne Wissen freizu-

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Collins J. (2004). Der Weg zu den Besten. Die sieben Management Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg. München: dtv (3.Aufl.)

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setzen und mit vielfältigen Sichten zu vernetzen, so dass die Beteiligten in die Lage versetzt werden, die Komplexität der jeweiligen Problemlagen angemessener zu erfassen und angemessenere Problemlösungsstrategien zu entwickeln Insofern beinhaltet die Future Search Conference das Potential einer „Research Conference“, einer „Forschungskonferenz“, die im Sinne der Aktions- und Handlungsforschung die Beteiligten in die Lage versetzt, zentrale Dimensionen selbst zu erforschen und aus dem im jeweiligen Feld vorhandenen Wissen, originelle Handlungsstrategien zeitnah zu entwickeln und umzusetzen, die oft denen von Experten überlegen sind und dies nicht von Ungefähr: Wie jüngst James Surowiecki (2005)8 in seiner Untersuchung „Die Weisheit der Vielen“ nachgewiesen hat, werden die Kompetenzen von Experten überschätzt. Anhand vieler Beispiele zeigt er, das vielfältig gemischte und gut informierte Gruppen, die nicht durch Experten oder Führer manipuliert werden, in ihren Urteilen fast immer klüger sind als Einzelne, weil große Gruppe über bislang ungenutztes kollektives Wissen verfügen; Pierre Levy (1996)9 spricht in anderem Zusammenhang deshalb von „kollektiver Intelligenz.“ Surowiecki führt aus: „Fachwissen und Fachkompetenz werden in vielen Zusammenhängen überbewertet“; er spottet über die „erbärmliche Leistungsbilanz der meisten Experten“ und führt vor, dass in der Praxis ausgerechnet „ein Maximum an Unordentlichkeit“ „oftmals als eminent weise“ dastehe. Was viele hochnäsige Denker lange nicht glauben mochten, Statistiker und Ökonomen, Sozialforscher und Biologen haben es bewiesen: Je bunter zusammengewürfelt die Urteile, desto präziser treffen sie im Schnitt die Wahrheit.“10 Ob es um das Schätzen des Gewichts eines Ochsen, der Anzahl von Murmeln in einem Glas oder die Untergangsstelle eines vermissten U-Boots im endlosen pazifischen Ozean geht, stets erweist sich eine zufällig zusammengesetzte Gruppe der Kompetenz eines einzelnen Experten überlegen. Diese Einsicht widerspricht den spontanen Einschätzungen vieler Führungskräfte, die oft noch ein äußerst negatives Bild von ihren Mitarbeitern haben und sich damit eines der wirkungsvollsten Instrumente für Wandel selbst nehmen. Die grotesken Fehlentscheidungen von vermeintlichen Managereliten, aber auch mancher Spitzen in Politik, Wissenschaft und Verwaltung sind kein Zufall: Komplexe Systeme lassen sich nicht durch Unterkomplexität angemessen steuern. 8

Surowiecki, J. (2005). Die Weisheit der Vielen. Warum Gruppen klüger sind als Einzelne und wie wir das kollektive Wissen für unser wirtschaftliches, soziales und politisches Handeln nutzen können. München: Bertelsmann. 9 Levy, P. (1996). Kollektive Intelligenz. München: Hanser. 10 Vgl. Salzwedel J. (2005) Lob der Unordnung. Der Spiegel, 42, S.184-185

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Aufgrund des rasanten Erkenntniszuwachses, aber auch der zunehmenden Arbeitsteilung und Spezialisierung verfügen wir zwar über immer mehr Informationen, sind aber als Individuen immer weniger in der Lage, komplexe Zusammenhänge zu durchschauen und einzelne Aspekte angemessen zu gewichten. Wenn wir aber zukunftsfähige Entscheidungen treffen wollen, dann muss an die Stelle von zusammenhanglosen Informationen Wissen treten. Unter Wissen verstehen wir bewertete Information. Zur Generierung von Wissen ist es nötig, vielfältige, ja widersprüchliche Sichten aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenzutragen. Warum diese Gewährleistung von Vielfalt für Organisationen aber auch ganze Gesellschaften, die häufig nur eng begrenzte Ziele verfolgen, überlebensnotwendig ist, zeigt uns Jared Diamond (2005) aus einer interessanten anderen Perspektive: In seinem faszinierenden Buch „Kollaps“ hat er die Ursachen für den Niedergang von Gesellschaften untersucht. Am Beispiel der traumhaft schönen amerikanischen Bergregion Montana zeigt er, wie unterschiedliche Bedürfnisse der Bewohner, die alle für sich genommen als durchaus berechtigt erscheinen, in ihrer Summe aber zu Wirkungen führen, die das Überleben der Region insgesamt gefährden. So erscheint Montana auf den ersten Blick als eines der letzten Naturrefugien mit einer atemberaubenden Landschaft und einer intakten Natur. Dieser Eindruck ist einer der Gründe, weswegen sich dort immer mehr Superreiche Luxusanwesen bauen, mit der Nebenwirkung, dass Grundstückspreise ins Unermessliche steigen, traditionelle Wirtschaftszweige unrentabel werden und das Leben für die Alteingesessenen unbezahlbar wird, so dass immer mehr wegziehen. Die Renditeinteressen der Bergbauunternehmen führen aufgrund fehlender gesetzlicher Limitierungen zur Einleitung von giftigen Abraumprodukten; die an schnell nachwachsenden Bäumen interessierten Waldbesitzer zerstören eine gewachsene Natur; die nach Ruhe und Erholung suchenden Städter tragen zur Auflösung funktionierender Sozialstrukturen bei, mit der Folge, dass in wachsendem Ausmaß der Gegensatz zwischen Arm und Reich das Leben der Region prägt. Die Analyse einer Vielzahl solcher Faktoren und deren Verknüpfung, die Diamond vornimmt, mündet in eine überraschende Erkenntnis: „Das scheinbar so unberührte Montana leidet also in Wirklichkeit unter zahlreichen Umweltproblemen: Giftmüll, Waldverlust, Bodenerosion, Wasserverschmutzung, Klimawandel, Verlust von Artenvielfalt und eingeschleppte Schädlinge.“11

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Diamond, J. (2005). Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt: S.Fischer.

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Der entscheidende Punkt ist aber, dass es sich hierbei nicht ausschließlich – wie es scheinen mag – um „Umweltprobleme“ handelt, sondern um die Folge unverbundenen Handelns einzelner Gruppen, die alle ihre berechtigten Interessen verfolgen. Den Einzelnen fehlt der Überblick über die Wirkungen ihres Handelns im Gesamtgefüge und es fehlt eine Instanz, die dafür sorgt, dass die Interessen von Natur und Gesellschaft gleichermaßen berücksichtig werden. Diese Instanz kann in einer Demokratie aber nur durch die Bürger/innen bereitgestellt werden. Nun zeigt aber Diamond, dass diese sich aufgrund ihrer entgegenstehenden Interessen nicht nur gegenseitig blockieren, sondern darüber hinaus einen massiven Widerstand gegen konfliktentschärfende Regulierungen durch den Staat entwickeln, so dass kompetente Politiker keine Chance haben, gewählt zu werden. Unter der Voraussetzung, dass es in solchen Konfliktfällen nicht ausschließlich um das Durchsetzen ökonomischer und machtpolitischer Interessen geht, erscheint die Zukunftskonferenz als eine Möglichkeit, Bewegung in die festgefahrenen Fronten zu bringen, bietet sie doch mit ihren sechs Phasen die Möglichkeit, unterschiedliche Sichten und Interessen zusammenzubringen, eine sich der Komplexität annähernde Gesamtschau zu ermöglichen sowie mit der Entdeckung des Gemeinsamen Grundes, eine Vision zu finden, die dazu geeignet ist, die unter dem Terminus Allmende-Klemme bekannten Probleme zu überwinden. 5. Methodische Weiterentwicklungen: Symbole zur Entdeckung des Gemeinsamen Grundes nutzen Ohne Zweifel besteht ein Verdienst Weisbords neben der Verbreitung seines hilfreichen Phasenmodells vor allem in der Beschreibung eines erstaunlichen Phänomens als Ergebnis vieler Zukunftskonferenzen, nämlich der „Entdeckung des Gemeinsamen Grundes“ (Discovering the Common Ground), so auch der Titel seines ersten Buches zur Future Search Conference. Allerdings halten wir die Art und Weise wie er diesen Gemeinsamen Grund im Anschluss an die Visionenphase herauszuarbeiten sucht, für zu aufwändig und wenig effektiv. Indem er sich nämlich darauf beschränkt, mithilfe einer Diskussion in der Großgruppe gemeinsam getragene Leitsätze herauszuarbeiten dominiert ein einseitig kognitiv-rationaler Erkenntnistyp die Suche nach der gemeinsam geteilten Basis, was den Vorgang häufig langwierig und anstrengend macht. Aufwand und Ertrag stehen oft in keinem angemessenen Verhältnis.

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Da wir von der Gestaltherapie und Gestaltpädagogik herkommen12, die einen besondere Akzent auf intuitiv-emotionale Erkenntniszugänge vermittels imaginativer Gestaltungsverfahren legt, haben wir schon in den frühen achtziger Jahren die Visionenphase der Zukunftswerkstatt umgestaltet: Im Anschluss an Entspannungsverfahren und eine Zeitreise in die erwünschte Zukunft ließen wir die Teilnehmer zunächst ein Symbol für ihre individuelle Vision zeichnen und darunter eine programmatische Unterschrift bzw. einen erläuternden Text setzen. In zahlreichen Workshops machten wir dabei immer wieder die gleiche Erfahrung: Die Teilnehmer/innen unterschiedlichster Organisationen gestalteten einige Grundtypen von ähnlichen Symbolen, die auf gemeinsam geteilte Bedürfnisse und Vorstellungen hinwiesen. Eine spannende, bislang offene Frage bleibt, ob es sich dabei um so etwas wie die von C.G. Jung beschriebenen Archetypen, also um universelle oder eher um kulturspezifische Symbole handelt. Im Anschluss an diese Phase der Selbstbesinnung auf die eigenen Werte und Wünsche veranstalten wir eine Ausstellung der in wenigen Minuten entstandenen Symbole. Die Reaktion der Teilnehmer/innen ist immer wieder verblüffend: Fast alle sind fasziniert von der erstaunlichen Übereinstimmung vieler ihrer Gestaltungen. Diese spontane Entdeckung eines zunächst in Symbolen verschlüsselten Gemeinsamen Grundes erweist sich als eine erstaunlich wirksame Kraft zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Bestrebungen: Die Einzelpersonen formieren sich zu einem Kreativem Feld. Die orientierende und ordnende Kraft der Symbole zeigt sich auch darin, dass die Teilnehmer/innen ohne langwierige Diskussionen, quasi „wortlos“ ihre gemeinsame Basis entdecken und in der Lage sind, eigenständig hochmotivierte Gruppen zu bilden, die daran arbeiten, gemeinsame Vorstellungen auszuformulieren und konkrete Umsetzungsprojekte zu erarbeiten. Diese Projekte werden in Form von 1 m x 80 cm großen Projektpostern vorgestellt, die vier Strukturierungselemente enthalten: -

die Umrisse einer leeren Wolke, die über allem schwebt und in die das Symbol skizziert wird, auf das sich die Gruppe zur Visualisierung ihres jeweiligen Projektes geeinigt hat

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eine Spruchblase, in der die Teilnehmer den Kern ihres Projektes in einem zugkräftigen Aussagesatz/ Slogan etc. zusammenfassen

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vgl. Burow O.A. (1988). Grundlagen der Gestaltpädagogik. Lehrertraining – Unterrichtskonzept – Organisationsentwicklung. Dortmund: Verlag Modernes Lernen; Burow O.A. (1993). Gestaltpädagogik – Trainingskonzepte und Wirkungen. Paderborn: Junfermann.

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einen Projektplan, in dem sie in Stichpunkten Ziele, Ablaufstruktur, Vorgehensweisen etc. eintragen

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eine Autorenzeile, in die sich die Projektplaner eintragen und eine Kontaktadresse zur Verfügung stellen

Die Veranstaltung endet mit einer Ausstellung der Projektposter, die anschließend fotografiert und ins Netz gestellt werden. Dieses Verfahren hat sich übrigens auch für die Durchführung von Open Space Konferenzen als äußerst geeignet erwiesen, da es ohne großen technischen Aufwand zu realisieren ist und sehr viel ansprechender wirkt als gedruckte Dokumentationen, die aufwändig und teuer zu erstellen sind. 6. Wie das Neue in die Zukunftskonferez kommt: Das Heisenberg-Pauli-Prinzip kreativer Erkenntnis Natürlich werden wir bei diesem Vorgehen bisweilen auch mit Widerständen konfrontiert, denn nicht Wenige halten die Arbeit mit Symbolen und das Malen mit Ölkreiden oder gar Acrylfarben für eine Zumutung und Spielerei. Schon der Begründer der Zukunftswerkstatt, Robert Jungk, hatte allerdings auf die Bedeutung von Kreativitätstechniken für die Entwicklung von visionären Zukunftsentwürfen hingewiesen, denn allzu oft verharrten wir in unserem Zeitgeistgefängnis und könnten uns zu wenig aus den engen Grenzen unserer routinisierten Denkmuster befreien, weswegen viele Entwürfe wenig innovativ seien. Wie kann man also Zukunftskonferenzen so gestalten, dass Neues entsteht? Offenbar besteht ein Schlüssel darin, nach neuen Wegen der Erkenntnis zu suchen, die die Grenzen des einseitig kognitiv-rationalen Zugangs überwinden. Ein jüngst erschienener Aufsatz des Wissenschaftshistoriker Ernst-Peter Fischer bestätigt uns in unserem Vorgehen und zeigt, was viele überraschen dürfte, dass nämlich die Arbeit mit inneren Bildern auch eine wesentlich Voraussetzung für den Erkenntnisfortschritt in den Naturwissenschaften ist. So hat er den Prozess nachgezeichnet, in dem es Heisenberg mit der Quantenformel gelang, die Physik zu revolutionieren. Ich möchte dies kurz skizzieren, um dann zu zeigen, welche Konsequenzen sich für die Veränderung der Zukunftskonferenz ergeben. Heisenbergs Leistung, die auf den ersten Blick lediglich als Ersetzung einer mathematischen Gleichung durch eine bessere erscheint, erweist sich, so Fischer, bei näherer Betrachtung als eine höchst kreative, denn er habe der mathematischen Beschreibung der Natur eine neue Dimension gegeben. Um diese zu erschließen habe es anderer Qualitäten als Fachverstand, Rationalität und technischem Vermögen bedurft. So musste Heisenberg sich von den traditionellen Bahnen mathematischen Denkens verabschieden und wie einst Kolumbus bereit

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sein zu einer Entdeckungsreise in eine unbekannte (innere) Welt. Als sich nach vielen Umwegen und Anstrengen eines Nachts plötzlich die Gültigkeit seines neuen Energiesatzes erwies und er die Gewissheit verspürte, einen Durchbruch errungen zu haben, blieb es nicht bei einer rationalen Einsicht, sondern wurde er als ganze Person ergriffen. Heisenberg schreibt: „Im ersten Augenblick war ich zutiefst erschrocken. Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren Erscheinung hindurch auf einen tief darunter liegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen, und mir wurde fast schwindlig bei dem Gedanken, dass ich nun dieser Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen sollte, die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte.“ (S.17)

Fischer bringt eine interessante Interpretation dieses Erlebnisses: „Was Heisenberg hier beschreibt, lässt sich nur als ein mystisches Einheitserlebnis bezeichnen und verstehen, vermittelt durch mathematische Symbole. Wir lesen von der unmittelbaren Erfahrungen einer anderen Wirklichkeit, die allerdings nicht – als Göttliches – höher, sondern – als Ästhetisches – tiefer liegt und somit dem Säkularen verhaftet bleibt.“ (S.17)

Der entscheidende Punkt in Heisenbergs Beschreibung sei, dass die Fragestellung nicht ein äußerliches Problem geblieben wäre, sondern in seinem Inneren angekommen sei und sie damit aus ihm selbst komme. Nur deshalb sei er in der Lage gewesen in einer Art Reinigung den mathematischen Ballast der alten Physik abzuwerfen. Nach diesem kreativen Durchbruch sieht Heisenberg den weiteren Weg, den er zu gehen hat, klar vor sich. Fischer fragt: „Aus welchen tieferen Quellen speisen sich die Überzeugungen eines Physikers?“ Speist sich die Quelle unserer Kreativität aus (archetypischen) inneren Bildern? Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, trifft er auf eine interessante Spur: So habe Heisenbergs Kommilitone, der Physiker Wolfgang Pauli, schon früh die verbreitete Ansicht abgelehnt, „dass Theorien durch zwingende logische Schlüsse aus Protokollbüchern abgeleitet werden.“ (S.18) Fischer schreibt: „Theorien erwachsen nach Paulis Erfahrungen vielmehr daraus, dass vorgegebene innere Bilder der Psyche mit äußeren Objekten und deren Verhalten zur Deckung kommen: Er spricht dabei von archetypischen Bildern, die innere Gewissheiten liefern, und fordert deshalb die Forscher auf, die archetypischen Grundlagen ihres Wissens zu erkunden (was sie bis heute unterlassen haben). Das Atom etwa ist für Pauli weder ein logisches noch ein empirisches Konzept,

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Burow sondern archetypisch – und dasselbe gilt für die Energie, mit der Heisenberg operiert.“ (S.18)

Pauli beziehe sich in seinen Überlegungen auf Johannes Kepler, der in seinen Schriften betont habe, dass ihm wissenschaftliche Einsichten dann gelängen, wenn die äußeren Bilder der Wahrnehmung mit den inneren Bildern übereinstimmen, die ihm seine Seele liefert. Mit C.G.Jung könne man von kollektiven Komponenten des Unbewussten sprechen, die darauf warteten ins Bewusstsein gehoben und Erkenntnis zu werden. Fischer meint hier einen Schlüssel gefunden zu haben, um die Quelle naturwissenschaftlicher Kreativität zu beschreiben: „Wem es gelingt, das uns gegebene Archetypische in Form von Symbolen ins Bewusstsein zu heben, den nennen wir kreativ.“

Pauli beschreibt den Kern einer solchen wissenschaftlichen Methode: Sie bestehe darin, sich „eine Sache immer wieder vorzunehmen, über den Gegenstand nachzudenken, sie dann wieder beiseite zu legen, dann wieder neues empirisches Material zu sammeln, und dies, wenn nötig Jahre fortzusetzen. Auf diese Weise wird das Unbewusste durch das Bewusstsein angekurbelt, und wenn überhaupt, kann nur so etwas dabei herauskommen.“

Fischer zufolge hat also Kreativität mit „seelischen Bildern zu tun, die uns zwar allen (kollektiv) zur Verfügung ständen, die dennoch naturgemäß zuerst in einem einzelnen Kopf auftauchten.“ Was folgt aus diesen Einsichten für unseren Zusammenhang, also der Frage, wie man Zukunftskonferenzen so gestalten kann, dass nicht nur das im Feld vorhandene Kreative Potential der Teilnehmer/innen freigesetzt werden kann und dass Neues entwickelt wird, sondern auch die Entdeckung des Gemeinsamen Grundes so befördert werden kann, dass sich zunächst lose miteinander verbundene Personen zu einem arbeitsfähigen Kreativen Feld höchster Energiekonzentration formieren? 7.Durch die Zukunftskonferenz zum Kreativen Feld Wenn wir die bisherigen Überlegungen mit unserer Theorie des Kreativen Feldes (Burow 1999/2000) verbinden dann wird klar, dass ein entscheidendes Instrument zur Freisetzung individueller und kollektiver kreativer Potentiale in der Arbeit mit und dem Austausch von inneren Bildern besteht. Die Arbeit mit inneren Bildern erfüllt in Zukunftskonferenzen dabei mehrere Funktionen: Das Aufdecken und Gestalten innerer Bilder kann uns aus Denkschablonen und Verhaltensroutinen befreien und in Kontakt mit unserem wirklichen Wollen 13

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sowie unserer „inneren Berufung“ bringen. Vorstellungen über erwünschte Zukünfte bzw. entsprechende Projekte erhalten durch den Ausdruck in Symbolen eine prägnantere Gestalt, werden – gewissermaßen in Form von „Veränderungszeichen“ - besser kommunizierbar und steigern die Motivation. Das in den Symbolen gebundene, mehr oder minder archetypische Wissen unterstützt die Entdeckung des Gemeinsamen Grundes insofern, als es die im Feld vorhandenen Vorstellungen/Kräfte/Bedürfnisse/Potentiale etc. ordnet und vereinheitlicht. Die individuellen Symbole drücken in verdichteter Weise nicht nur das Ziel der jeweiligen Person ab, sondern machen auch die „Energie und Leidenschaft“, die hinter ihrem Vorhaben steht, sichtbar. Die Person kann so zum Kristallisationskern im Feld, zu einer Art Magnet werden und Gleichgesinnte über intuitiv-emotionale Prozesse der Teambildung anziehen, die dem einseitig rationalen Zugang in Intensität und Nachhaltigkeit überlegen sind. Die individuellen Symbole bilden die Basis für die Schaffung gemeinsamer Symbole, die das Wollen der gesamten Projektgruppe prägnant werden lassen und den Gemeinsamen Grund in Form ausdruckstarker Bilder sichtbar und kommunizierbar machen. Die Arbeit mit inneren Bildern setzt starke Motivationskräfte frei, weil die Symbole eine neue, persönlichere, emotional prägnante Form der dialogischen Begegnung mit sich selbst und anderen ermöglichen Wie wir aus den Untersuchungen von Chris Argyris (1997/1999) wissen, bewirken top-down-geplante Maßnahmen der Organisationsentwicklung oft statt dem beabsichtigten Wandel den Aufbau institutioneller Abwehrroutinen: Die Organisation lernt, wie sie sich gegen Eingriffe von Außen schützen kann. Nachhaltig wirksamer Wandel kann also nur erfolgen, wenn die Mitglieder der Organisation von innen heraus motiviert sind, wenn sie die jeweilige Fragestellung oder Aufgabe in ihrem Innersten betrifft, ja sogar emotional bzw. körperlich ergreift, so wie es Heisenberg bei der Entdeckung seiner Quantenformel ergangen ist. Pauli hat uns an die alte Erkenntnis der Kreativitätsforschung erinnert, derzufolge kreative Durchbrüche nicht als geplante Maßnahmen etwa mit Hilfe von Zielvereinbarungen linear entstehen, sondern der (spiralförmig organisierten) Inkubationszeit bedürfen. Die jeweilige Frage muss immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden, bis sich endlich die neue Lösung zunächst als inneres Bild in den Einzelnen formt. Allzuoft vergessen wir noch, dass jeder von uns nur einen Teil des Elefanten hat. Deshalb beschreiben nicht schneller Wandel, sondern die Nutzung von Vielfalt und Unterschieden zur gegenseitigen Anregung sowie die Vernetzung des verteilten Wissens entscheidende Zielebenen der Zukunftskonferenz. Ein Erfolgskriterium besteht folglich dar-

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in, inwieweit es gelingt, bislang lose miteinander gekoppelte Fähigkeiten, Vorstellungen, Potentiale etc. zusammenzubringen und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten, so dass die Teilnehmer tragende Glieder eines Kreativen Feldes werden; eines Feldes, in dem aus der Weisheit der Vielen evolutionär13 Neues entsteht. Dieses Neue kann aber nur entstehen, wenn wir – im wahrsten Sinne des Wortes – wieder Farbe ins System bringen. Zukunftskonferenz, aber auch anderer Großgruppenverfahren weisen schon sehr gute Wege zu neuen Formen des kreativen Dialogs14, der Statusgruppen, Fachdisziplinen und Kulturgrenzen überwinden hilft. Um allerdings das ungenutzte Potential besser auszuschöpfen, bedarf es der Entwicklung neuer „Sprachen“, in denen sich die Teilnehmer verbal und nonverbal, mit narrativen, poetologischen und ikonographischen Mitteln gegenseitig darin unterstützen, neue gemeinsame Bilder zu schaffen, die anschließend in die jeweiligen Alltagsund/oder Fachsprachen rückübersetzt werden. Auf einen weiteren Aspekt hat uns der Begründer der Mega-Trends, John Naisbitt in seinem Buch „High Tech – High Touch“15 hingewiesen. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft sind wir von unseren rasant zunehmenden technischen Möglichkeiten so fasziniert, dass wir die andere Seite der Medaille, nämlich unsere emotionalen und spirituellen Bedürfnisse vernachlässigen. Managementtechniken scheitern auch deswegen, weil sie auf einem verkürzten Menschenbild beruhen, das davon ausgeht, man könnte Mitarbeiter für beliebige Ziele funktionalisieren. In der Arbeit mit inneren Bildern taucht diese verdrängte Seite auf, die aber erst unser Menschsein ausmacht. Wenn man also Menschen, Organisationen und Gesellschaften in Bewegung bringen will, dann benötigt man High Touch und High Tech; oder wie es mir John Naisbitt, im Berliner Technik-Museum an eine 150-Jahre alte Dampflokomotive gelehnt, mitteilte: „If you tell me: In every classroom a computer, I tell you: Bullshit! I say: In every classroom a poet!“16 Unsere Frage also lautet: Wie können wir Zukunftskonferenzen so weiterentwickeln, dass sie nicht zu einem Instrument der Anpassung an ökonomische Entwicklungen verkümmern, sondern einen Zugang zur Bildung von Kreativen Feldern ermöglichen.

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Vgl. Burow O.A. & Hinz H. (Hg.) (2005). Die Organisation als Kreatives Feld. Evolutionäre Personal- und Organisationsentwicklung. (EPOS). Kassel: University Press. 14 Vgl. Bohm D. (1998). Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussion. Stuttgart: Klett-Cotta. Und: Hartkemeyer J.F. & M. (2005). Die Kunst des Dialogs. Stuttgart: Klett-Cotta 15 Naisbitt J. (1999). High Tech – High Touch. Signum. 16 Burow O. A. (2000). Interview mit John Naishbitt auf der Zukunftskonferenz „Meeting the Best“ der VW-Coaching in Berlin. (Video-Mitschnitt.)

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Einen Schritt in dieser Richtung sind wir mit unserem Projekt 7000 Zeichen gegangen, in dem wir vorgeschlagen haben mithilfe von ca. 500 zeitgleich stattfindenden Zukunftswerkstätten oder Zukunftskonferenzen in einem Sommer der Bewegung eine ganze Stadt in ein Kreatives Feld zu verwandeln17 und die entstehenden Zukunftszeichen überall im Stadtgebiet auszustellen, so dass die Stadt als Ausstellung die unter der Oberfläche verborgene Bürgerphantasie sichtbar macht. Eine andere Möglichkeit, die wir unter dem Namen „Art-Coaching“18 entwickelt und in Gruppen von bis zu 200 Teilnehmern/innen erprobt haben, besteht im Rahmen biographieorientierter Personalentwicklung Expressive Selbstportraits in Acryl (1m x 80 cm) anzufertigen, die es dem Einzelnen ermöglichen, seine eigenen kreativen Potentiale entdecken und in der Begegnung mit anderen sein persönliches Kreatives Feld als Projektgruppe oder „Dream-Team“ zu gestalten. Wir nutzen hier neben Verfahren zur Herausarbeitung des „Persönlichen Mythos“19 und meditativen Elementen auch die Erweiterung der eigenen Phantasie durch die Auseinandersetzung mit Werken der Kunst20 Diese wenigen Anregungen sollen deutlich machen, dass im Strukturmodell der Zukunftskonferenz noch viele ungenutzte Möglichkeiten bzw. Leerstellen liegen, die man auf unterschiedliche Weise füllen kann. Weisbord kommt der Verdienst zu, die Grundlagen der Konferenz entwickelt und verbreitet zu haben, was auf seine Weise Matthias zur Bonsen für den deutschsprachigen Raum fortgeführt hat. Doch statt dieses Modell immer nur nachzuahmen, käme es jetzt darauf an, es weiterzuentwickeln. So wäre es sicher interessant, in der Visionenphase völlig auf die verbale Sprache zu verzichten und mit der Großgruppe ein gemeinsames Zukunftsbild zu gestalten. Auf diese Weise könnte man die aus der Managementtheorie bekannten allgemeinen „Bilder der Organisation“21 um die vorbewußten Bilder der Vielen ergänzen und so neue, nachhaltig wirksame Bilder kreieren, die von allen Beteiligten getragen werden. Sie könnten dazu beitragen, dass wir mehr über die latenten Wirkungen von Organisationen erfahren, aber auch einen neuen, verdichteten, unmittelbar verstehbaren Ausdruck des gemeinsamen Wollens schaffen. Ebenso wäre es sicher aufschlussreich, in der erste Phase die Geschichte der Organisation in eindrücklichen Bildern skizzieren 17

Im Rahmen der Bewerbung Kassels zur Kulturhauptstadt. Infos unter: www.7000zeichen.de 18 Unter www.selbstportrait.net wird des Verfahren dargestellt. Es steht ein Hintergrundtext zum Download bereit. 19 Dan P. McAdams (1996) hat einen sehr fruchtbaren Leitfaden zur Herausarbeitung des Persönlichen Mythos entwickelt, den wir in modifizierter Form im Rahmen von ArtCoaching einsetzen. 20 Vgl. Blanke T. (2002). Unternehmen nutzen Kunst. Stuttgart: Klett-Cotta. 21 Morgan G. (2002). Bilder der Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta.

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zu lassen. Auch poetische Bilder, Metaphern etwa mithilfe von Elementen des Storytelling22 könnten hier zum Einsatz kommen, um die Freisetzung neuer Formen kollektiver Kreativität und kollektiver Intelligenz anzubahnen. Die Arbeit mit der Sprache der Symbole, so vermute ich, ermöglicht eine deutliche Steigerung der Kreativität von Einzelnen und Organisationen. Oder anders herum: Indem wir in unseren Bildungseinrichtungen, in Politik, Wirtschaft und Verwaltung uns auf eine zweckrationale Sprache beschränkt haben, schneiden wir uns von den potentesten Quellen unserer Kreativität ab: Unseren inneren Bildern. Allerdings muss ich zum Abschluss diese sehr optimistische Prognose relativieren, um nicht selbst zum Mythenproduzenten zu werden: Wir dürfen bei aller Begeisterung für die neuen Möglichkeiten nicht vergessen, die Herkunft der entstehenden Symbole zu untersuchen. C. G. Jung behauptete ja, dass die von ihm gefundenen Archetypen universell seien und Fischer vermutet, wie oben erwähnt, dass Naturwissenschaftler in der Lage seien, das uns gegebenen Archetypische in Form von Symbolen ins Bewusstsein zu heben. Die Symbole wären dann „Widerspiegelungen“ von Naturphänomenen. Die Frage stellt sich, was es ist, das in den Gestaltungen der Teilnehmer/innen von Zukunftswerkstätten und Zukunftskonferenzen aufscheint: Sind es wirklich universell gültige Archetypen? Handelt es sich um einen Ausdruck genetisch verankerter allgemein menschlicher Grundbedürfnisse? Oder sind es individuell gebrochene Widerspiegelungen kulturspezifischer Verarbeitungen von Wirklichkeit? Und: Gibt es gruppendynamische Gesetzmäßigkeiten, die für eine Angleichung der Symbole etwa in Form eines heimlichen Lehrplans oder der illusionären Sehnsucht nach einem konfliktfreien Umgang miteinander sorgen? Die Auseinandersetzung23 mit solchen Fragen steht zweifellos an, ebenso wie die wichtige Herausforderung, Zukunftskonferenzen nicht als singuläre Veranstaltungen zu verstehen, sondern sie in einem längerfristigen Prozess der Organisationsentwicklung. Aber das wäre Thema für einen anderen Aufsatz.

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Loebbert M. (2003). Storymanagement. Der narrative Ansatz für Management und Beratung. Stuttgart: Klett-Cotta. 23 Erste Versuche in dieser Richtung finden sich bei G.Schulze und R.Dülmen.

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Autor: Burow, Olaf-Axel (Jg.1951) Prof. für Allgemeine Pädagogik am FB1 der Universität Kassel Kontakt: [email protected] Info: www.uni-kassel.de/fb1/burow

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