Welche Rolle spielen Frauen im Islam?

MDR FIGARO-Spezial | 16.02.2016 Welche Rolle spielen Frauen im Islam? Die Übergriffe von Köln und auf dem Kairoer Tahrirplatz haben die Frage nach dem...
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MDR FIGARO-Spezial | 16.02.2016

Welche Rolle spielen Frauen im Islam? Die Übergriffe von Köln und auf dem Kairoer Tahrirplatz haben die Frage nach dem Frauenverständnis im Islam aufkommen lassen. Wir versuchen im MDR FIGARO-Spezial Antworten zu finden. von Bastian Wierzioch

Verschiedene Gesichter des Islam Bildrechte: dpa

Nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht beginnt bald das erste Verfahren gegen zwei Angeklagte. Die beiden Nordafrikaner müssen sich am 24. Februar vor dem Amtsgericht Köln wegen Diebstahls verantworten. Die Zahl der Strafanzeigen insgesamt stieg derweil auf 1.054, davon wurden 454 Anzeigen wegen sexueller Übergriffe erstattet. In der Silvesternacht hatten Männergruppen am Kölner Hauptbahnhof zahlreiche Frauen sexuell bedrängt. Bei den Tätern soll es sich überwiegend um Nordafrikaner und Araber gehandelt haben. "Das hat auch mit dem Islam zu tun", konstatierte nach den Übergriffen der deutsch-ägyptische Politologe und Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad. Wir fragen daher in einem MDR FIGAROSpezial: "Welche Rolle spielen Frauen im Islam?"

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Gleichberechtigung? Große Unterschiede in der arabischen Welt Die Muslima Huda Alqaisi, Deutsche mit jordanischen Wurzeln, arbeitet als Übersetzerin für den Leipziger Flüchtlingsrat. Sie wehrt sich gegen Vorurteile und Pauschalisierungen, wenn es um die Rolle von Frauen in der muslimischen Welt geht: "Allein die Frage nach den Herkunftsländern ist sehr, sehr allgemein, weil es sehr verschiedene arabische Länder gibt mit sehr vielen verschiedenen Kulturen. Ich komme zum Beispiel aus Jordanien. Da gibt es in der Hauptstadt Amman Frauen, die wirklich sehr, sehr hohe berufliche Positionen innehaben. Die Rollenverteilung ist dort optimal im Vergleich zu anderen Ländern. Nehmen wir das Extrembeispiel: Saudi-Arabien. Da gibt es schon große Unterschiede."

Extrembeispiel: Saudi-Arabien. Da gibt es schon große Unterschiede." Dennoch erlebt Huda Alqaisi in ihrem Berufsalltag Männer, die ihr zu wenig Respekt entgegen bringen, eben weil sie eine Frau ist: "Es gibt hier im Flüchtlingsrat bestimmte Regeln. Es gibt bestimmte Sprechzeiten, und wenn man sagt: Nein, sie müssen eine halbe Stunde später kommen, oder eine halbe Stunde eher kommen, dann wird man nicht respektiert. Man wird als arrogant bezeichnet oder als Sonja Brogiato, Sprecherin des Leipziger Flüchtlingsrats eine nicht gut erzogene Frau. Es gab auch die Situation, Bildrechte: dpa dass ich auf eine bestimmte Frage geantwortet habe, meine Antwort aber nicht akzeptiert wurde. Daraufhin sind diese Männer extra zu meinen männlichen Kollegen gegangen und haben dort gefragt.", erzählt die Übersetzerin. Deren Chefin Sonja Brogiato, die Sprecherin des Flüchtlingsrats, kennt diese Probleme und zeigt sich kompromisslos: "Jemand, der unbedingt von einem Mann beraten werden will, wird diesen Extraservice hier nicht bekommen", erklärt sie.

„Wir haben hier ein Angebot von hoher Qualität und Regeln. An die kann man sich halten oder nicht. Wenn man meint, dass will man nicht, kann man gerne woanders hingehen. Wir setzen hier respektvollen Umgang für alle durch.“ Sonja Brogiato, Sprecherin des Flüchtlingsrats Leipzig

"Tuharrash gamea" und Täter-Opfer-Umkehr Für kollektive sexuelle Übergriffe wie zu Silvester in Köln gibt es den arabischen Fachbegriff "Tuharrash gamea". Die Öffentlichkeit im Westen erfuhr von diesem Phänomen bereits vor etwa zwei Jahren durch Exzesse auf dem Kairoer Tahrir-Platz, als Demonstrantinnen massiv von Männergruppen belästigt und vergewaltigt worden sind. Die Ethnologin und Islamexpertin Susanne Schröter sieht Ursachen dafür in patriarchalischen und traditionellen Gesellschaftsstrukturen, die in den Herkunftsländern der Täter teilweise verbreitet sind: "Frauen werden in einem konservativen Segment der Gesellschaft für solche Übergriffe verantwortlich gemacht. Es wird also gesagt, wer auf so einem öffentlichen Platz ist, der kann nur eine ehrlose Frau sein und ehrlose Frauen sind

eine ehrlose Frau sein und ehrlose Frauen sind Freiwild. Dahinter steht die Trennung in Frauen, die wie Heilige behandelt werden, die eigenen Mütter, Schwestern, die zu Hause sind, die sich bedecken, und die anderen Frauen die eher modern sind, die Proteste gegen die sexuellen Übrgriffe auf auf Universitäten gehen, die arbeiten oder die auch Frauen in Kairo in Cafés gehen und sich amüsieren. Das sind dann Bildrechte: dpa angeblich ehrlose Frauen, und daraus legitimieren junge Männer dann die Recshtmäßigkeit ihrer Übergriffe. Wenngleich das natürlich in allen Gesellschaften nicht erlaubt ist, aber es gibt natürlich sehr viel Duldung solcher Phänomene."

Tabus, Frust und Konkurrentinnen Für die Übergriffe in der arabischen Welt aber auch in Köln sieht die Ethnologin und Islamexpertin Susanne Schröter noch mehr Ursachen: "Junge Männer in diesen Gesellschaften leiden unter der Tabuisierung der Sexualität, die eigentlich nur als eheliche Sexualität wirklich rechtmäßig ist. Dazu kommt, dass diejenigen, die arbeitslos sind, die kein Geld haben, auch nur sehr schwer eine Frau finden. Viele von diesen Männern sind weit in den Zwanzigern und sind immer noch unbeweibt und machen sich Gedanken, ob sie jemals eine Frau finden, das heißt sie haben einen irren sexuellen Frust. Dazu kommt ein relativ neues Phänomen, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft als Konkurrentinnen für Männer aufgetaucht sind. Das heißt, dass diese modernen Frauen, die gutausgebildet sind, die Jobs kriegen, die die Männer nicht kriegen, und die Männer jetzt eben auch noch einen gehörigen Brass auf Frauen haben, auf Frauen, die eben nicht zu Hause sind und sich brav unterordnen, sondern auf Frauen, die ihnen möglicherweise die Jobs tatsächlich abspenstig machen. Diese Gemengelage führt dazu, dass es eine gewaltige Aggression dieser jungen Männer auf Frauen im öffentlichen Raum gibt und dass sie die in sexuellen Übergriffen auslassen." Und welche Rolle spielt bei all dem die Religion?

„Der Islam legitimiert keine sexuellen Übergriffe. Im Gegenteil. Das ist verboten. Auf der anderen Seite ist diese Tabuisierung der außerehelichen Sexualität und die Unterordnung der Frauen durchaus auch etwas, was im Islam verankert ist. Es gibt einen Paragrafen, der die Gehorsamspflicht der Frauen festschreibt. Es gibt Verse, die außereheliche Sexualität verdammen. Da verzahnen sich religiöse und kulturelle Ebenen.“ Susanne Schröter, Ethnologin und Islamexpertin

Übung in Gleichberechtigung Deutschland hat 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Viele werden zurückgeschickt, viele müssen integriert werden. Die meisten haben einen muslimischen Hintergrund. Die Bundesregierung bereitet gerade ein milliardenschweres Integrationspaket für Flüchtlinge vor. Verschiedene Ministerien arbeiteten derzeit Maßnahmen dazu aus. Allein die Pläne des Was gehört zur Integration? Und wie kann man es vermitteln? Familienministeriums umfassen ein jährliches Bildrechte: dpa Ausgabenvolumen von rund 2,7 Milliarden Euro. Wie können damit gültige Werte - wie etwa die Gleichberechtigung der Frauen - Menschen vermittelt werden, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen? "Das erste wäre, dass man den jungen Männern, wenn sie hier ankommen, alltagspraktisch erklärt, wie das mit der Geschlechtergleichheit bei uns ist", meint die Ethnologin Schröter. "Es reicht nicht, das Grundgesetz vorzulegen, sondern man müsste tatsächlich auch detailliert erklären, möglicherweise einüben, wie man sich einer Frau, einem Mädchen gegenüber verhält. Und diejenigen aber, die das trotz aller Information nicht beherzigen wollen, da müsste man auch Konsequenzen zeigen, und müsste sagen, das sind Vergehen, die gehen bei uns nicht einfach so durch. Die führen doch zu anderen Konsequenzen als beispielsweise in Ägypten oder Tunesien oder Marokko."

Die Vorurteils-Maschine: Sexual-Straftaten von Ausländern Die Übergriffe in Köln waren Wasser auf die Mühlen von Asyl- und Islamgegnern. Bald nach Silvester brachte nicht nur Pegida-Anführer Lutz Bachmann den geschmacklosen und diffamierenden Slogan "Rapefugees not welcome" in Umlauf. Seine Unterstellung: Alle Flüchtlinge seien Sexualstraftäter. Dass diese Behauptung Unsinn ist, zeigt ein Blick in die Kriminalstatistik. Laut Bundeskriminalamt nämlich waren im Jahr 2015 nur knapp ein Prozent der von Asylsuchenden verübten Straftaten Sexualdelikte. Zu Sexualdelikten, begangen von Asylsuchenden, sagt auch Martin Rettenberger, der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, einer Forschungsund Dokumentationseinrichtung des Bundes und der Länder, in Wiesbaden: "Wenn wir Kriminalität uns angucken von denen, die im letzten Jahr zu uns gekommen sind, also von den Asylsuchenden, dann gibt es Statistiken, die nahelegen, dass der Anteil an Sexualdelikten da unter einem Prozent liegt. Das ist ungefähr der Anteil, den wir auch bei der deutschen

ungefähr der Anteil, den wir auch bei der deutschen Bevölkerung haben." Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht haben die Stimmung im Land beeinflusst

Auch Martin Rettenberger ist es wichtig, die jeweiligen kulturellen Hintergründen möglicher Täter zu analysieren: "Dazu gibt es Hypothesen und auch verschiedene Untersuchungen, die zumindest nahelegen, dass bestimmte negative Frauenbilder sexistische Einstellungen - oder solche die Gewalt gegenüber Frauen oder anderen Personengruppen - befürworten durchaus auch mal mit tatsächlicher Gewalt in Zusammenhang stehen können. Aber der Zusammenhang ist deutlich geringer als man vermuten würde. Also, ganz einfach gesprochen: Der Zusammenhang zwischen menschlichen Einstellungen und Verhalten ist relativ gering." Bildrechte: dpa

Die Sure der Leidenschaft In der Debatte um die Silvester-Übergriffe in Köln gibt es zahlreiche Pauschalisierungen und Vorurteile. Von Asyl- und Islamkritikern wird die Religion der Muslime per se als frauenverachtend dargestellt. Dass die Weltreligion komplexer und vielschichtiger ist, zeigt besonders ein Blick auf die Rolle der Sexualität im Islam. Welchen Stellenwert haben Sexualität und Erotik im Koran? Mystik und Erotik hängen eng zusammen - welche spirituellen Traditionen gibt es diesbezüglich im Islam? Weshalb kommen diese Traditionen heute vielfach nicht zum Zuge - sondern eine patriarchalisch dominierte Sexualität? Braucht der Islam Aufklärung - auch in punkto Sexualität und Erotik? Antworten auf diese Fragen gibt das MDR FIGARO-Spezial "Welche Rolle spielen Frauen im Islam?"

MDR FIGARO-Spezial Welche Rolle spielen Frauen im Islam? Sendung: 16.02.2016 | 18:05-19:00 Uhr Beiträge: * Die Stellung der Frau im Islam von Thyra Veyder-Malberg * Interview mit der Ethnologin Susanne Schröter * Beitrag: Asylsuchende und Sexual-Straftaten von Lydia Jakobi * Interview mit der Islamwissenschaftlerin Anja Pistor-Hatam

Zuletzt aktualisiert: 16. Februar 2016, 19:22 Uhr

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