Leseprobe aus: Petermann Ç Petermann, Training mit sozial unsicheren Kindern

Vorwort zur 10. Auflage Soziale Unsicherheit bei Kindern umfasst eine Vielzahl von emotionalen und Verhaltensproblemen, die sich auf Sozialkontakt- und Trennungsängste beziehen. Diese Ängste im Kontext des Sozialkontaktes können bei Kindern so massiv sein, dass diese sozial isoliert sind. Sehr viele Kinder weisen in ihrer Entwicklung solche Störungen auf, wobei ein Großteil der Probleme nach einigen Jahren wieder verschwindet. Ein gewisser Teil verfestigt sich jedoch und weist eine ungünstige Prognose für das Jugend- und Erwachsenenalter auf. Häufig tritt dann eine soziale Phobie oder eine andere Angststörung auf. Das vorliegende Buch, das erstmals im Frühjahr 1983 erschienen ist, geht auf die Ursachen der sozialen Unsicherheit ein und stellt Symptomkonstellationen im sozialen und familiären Kontext dar. Das therapeutische Vorgehen beruht auf der Überlegung, dass Sozialverhalten multimodal behandelt werden sollte, das heißt durch Therapieangebote auf verschiedenen Ebenen (das einzelne Kind, die Kindergruppe sowie die Eltern). Das Buch bietet für diese kombinierte Behandlungsstrategie Praxisanleitungen und Materialien an, die sehr gut abgesichert sind. Weitere, über das Buch hinausgehende Materialien liegen vor. Sie beziehen sich auf Videogeschichten für das Einzeltraining, die 1996 völlig überarbeitet wurden. Die inhaltlichen Beschreibungen dieser Materialien mit Fotos aus den Videoszenen sind in diesem Buch abgedruckt. Konzeptuell blieb in der 10. Auflage unser therapeutisches Vorgehen weitgehend unverändert; allerdings wurde die Literatur grundlegend aktualisiert und das Glossar erheblich erweitert. Auf eine erweiterte Sichtweise möchten wir noch hinweisen: Wir ermutigten in den letzten Jahren verstärkt Anwender unseres Manuals, die Materialien auch zur Prävention einzusetzen. Dies erscheint uns angemessen, da soziale Unsicherheit und Angststörungen immer früher im Kindesalter auftreten. Dies hat zur Konsequenz, dass es nur durch eine frühzeitige Förderung sozial unsicherer Kinder möglich ist, deren Prognose günstig zu beeinflussen. Neu in die 10. Auflage wurde ein Kapitel zur Effektkontrolle zu diesem Trainingsprogramm aufgenommen. Seit 2006 führt die Erstautorin gemeinsam mit Frau Dipl.-Psych. Christine Ortbandt (Bremen) eine Wirksamkeitsstudie durch, deren Befunde seit Anfang 2009 schrittweise veröffentlicht werden. Bei dieser Studie handelt es sich um einen langfristigen Vergleich der erzielten Therapieeffekte auf der Basis einer Gruppenstudie, die als randomisierte Therapie- und Wartekontrollgruppenstudie unter anderem in der Psychotherapeutischen Ambulanz für Kinder- und Jugendliche der Universität Bremen realisiert wurde. Wir danken Frau Ortbandt ganz besonders sowie unseren AmbulanzVorwort zur 10. Auflage

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Mitarbeitern und den Kindern und Familien für ihre Unterstützung im Rahmen dieser Wirksamkeitsstudie. Wir hoffen, dass unsere Leser die vorliegende Auflage genauso positiv aufnehmen wie alle bisherigen. Wir wünschen uns, dass unsere Ausarbeitungen zur Qualitätssicherung in der Klinischen Kinderpsychologie und Kinderpsychotherapie beitragen und unser Manual auf diese Weise Kindern mit sozialen Ängsten hilft. Bremen, im Januar 2010

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Vorwort zur 10. Auflage

Ulrike Petermann und Franz Petermann

Soziale Fertigkeiten können nur erworben und eingesetzt werden, wenn die motivationalen Voraussetzungen (positives Selbstkonzept, Selbstvertrauen, Selbstsicherheit) vorhanden sind. Umgekehrt können gut geübte soziale Fertigkeiten die Selbstsicherheit und damit das Selbstvertrauen verbessern und zu einem positiven Selbstkonzept beitragen. Dieses Wechselspiel kann natürlich leider auch sozial unsicheres Verhalten verfestigen. Ziele unseres Therapieprogramms Aus dem in Abbildung 3 vorgestellten Modell sozial kompetenten Verhaltens lassen sich die Ziele unserer therapeutischen Arbeit ableiten: Das von uns entwickelte Programm zielt darauf ab, sowohl auf der motivationalen als auch auf der Handlungsebene die Voraussetzungen für sozial kompetentes Verhalten schrittweise aufzubauen. Das übergeordnete Therapieziel „sozial kompetentes Verhalten“ ist demzufolge davon abhängig, inwieweit Fortschritte im Hinblick auf folgende Teilziele erreicht werden können: (1) Zielsetzung auf motivationaler Ebene: Freisein von sozialer Angst ! Aufbau eines positiven Selbstkonzepts, ! Stärkung des Selbstvertrauens und ! Förderung selbstsicheren Verhaltens. (2) Zielsetzung auf Handlungsebene: Verfügen über soziale Fertigkeiten ! Förderung der Wahrnehmungs- und Rollenübernahmefähigkeit, ! Förderung der Interaktionsfähigkeit und ! Förderung der Selbstbehauptungsfähigkeit.

4.3 Theoretische Grundlagen des Trainings Unser Training repräsentiert ein multimodal und multimethodal angelegtes, kognitiv-behaviorales Programm mit begleitender Elternarbeit. Eine grundlegende Orientierung erfolgt auf der Basis der Hilflosigkeitstheorie von Seligman (2004). So ist bei der Behandlung sozial unsicherer Kinder die spezifische Problematik des Hilflosigkeitsverhaltens zu beachten, die in der mangelnden Reaktionsbereitschaft und der damit verbundenen Erwartung liegt, dass Reaktionen zu keinem gewünschten Ergebnis führen. Folglich müssen zum Aufbau der Reaktionsbereitschaft die zugrunde liegenden Erwartungen therapeutisch verändert werden. Die Frage ist, wie dies erreicht werden kann. Betrachtet man den Prozess, wie Erwartungen entstehen, so sind daran entscheidend Erfahrungen und persönlich bedeutsame Erlebnisse beteiligt (vgl. Kap. 3.4). Also müssen sich für eine Erwartungsänderung ebenfalls Erlebnisse ereignen, die betroffen machen oder 4.3 Theoretische Grundlagen des Trainings

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häufig auftreten, damit sich die Person mit den neuen und erwartungswidrigen Erfahrungen auseinander setzt. Erlebnisse setzen jedoch voraus, dass jemand handelt oder reagiert. Genau daran mangelt es hilflosen Personen. Die Erwartungs- und damit Verhaltensänderung gelingt also nur, wenn man die hilflose Person zu einer Reaktion, unter Umständen nachdrücklich, bewegt. Dieser Nachdruck, eine Reaktion zu zeigen, muss immer wieder erfolgen, bis die Erwartungshaltung hinsichtlich der Reaktionsunabhängigkeit (vgl. Kap. 3.4) modifiziert ist. Durch die Veränderung der Erwartungshaltung ist ein Kind zunehmend bereit, eigeninitiativ zu handeln, wodurch selbständiges Handeln und damit Lernfortschritte möglich werden. Lernprozess: Von der Hilflosigkeit zur Selbstwirksamkeit Insgesamt sind drei Schritte in diesem Lernprozess zu beachten, damit Handeln aus Eigeninitiative möglich wird: (1) Zunächst bedarf es großer Anstrengung seitens des Therapeuten, ein Kind zu einer Reaktion zu bringen. Er muss sich vielleicht sogar entschieden und energisch verhalten. Es kann vorkommen, dass von einem Kind in dieser Phase Widerstand geleistet wird. Es gilt jedoch, als Therapeut konsequent zu bleiben. Voraussetzung dafür ist, dass ein Kind nicht überfordert wird. Eine hierarchische Abfolge von zunehmend schwierigen Zielen und deren allmähliche Bearbeitung sind die Grundlage für ein solches Vorgehen. (2) Im weiteren Verlauf des Trainings wird die nachhaltige Aufforderung und die damit verbundene Anstrengung des Therapeuten immer weniger benötigt, bis nur noch ein kleiner Anstoß als Hilfestellung für aktives Verhalten erforderlich ist. (3) Schließlich reagiert ein Kind nach mehr oder weniger häufigen Verhaltensübungen von sich aus und ohne Hilfestellung. Den Erwartungen über die Unkontrollierbarkeit einer Situation stehen nun andere Erfahrungen gegenüber. Der Lernprozess ist abgeschlossen. Es ist deutlich geworden, dass in der Anfangsphase eine konsequent fordernde Vorgehensweise notwendig ist, um sozial unsicheres Verhalten zu verändern. Das Kind muss erfahren, dass – entgegen seinen bisherigen Erwartungen – eine Situation von ihm selbst beeinflussbar ist. Die Hilflosigkeitstheorie von Seligman weist somit auf die wohl sinnvollste Art der Intervention für sozial unsicheres Verhalten hin: ein lerntheoretisch orientiertes Training. Daher bevorzugen wir multimethodale verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen mit sowohl kognitiven als auch verhaltensübenden Methoden. Implikationen für die Trainingskonzeption. Die Hilflosigkeitstheorie legt in der Anfangsphase ein konsequent forderndes Vorgehen nahe, das jedoch – nach ersten Verhaltensänderungen – durch eine selbständige Verhaltenssteuerung des

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4 Interventionsverfahren

Kindes schrittweise ersetzt werden muss. Aus diesem Grund sollen dem sozial unsicheren Kind Selbstinstruktionstechniken vermittelt werden. Des Weiteren erhält ein Kind Informationen zur kognitiven Umstrukturierung, mit denen es soziale Anforderungen und Situationen zukünftig besser bewältigen kann. Um die Eigenständigkeit eines Kindes zu fördern, wird schon früh sozial kompetentes Verhalten im Training eingeübt und im Alltag erprobt. Die erwartungswidrigen neuen, positiven Erfahrungen und die Förderung der Selbstkontrolle tragen dazu bei, die ungünstigen Überzeugungen und irrationalen kognitiven Strukturen zu verändern; dadurch gelingt es einem Kind immer besser einzuschätzen, ob soziale Situationen kontrollierbar und Ängste begründet sind oder nicht. Im Einzeltraining werden neben kognitiver Umstrukturierung auch neue Erfahrungen durch angeleitete Übungen (Rollenspiele) ermöglicht. Vielfach vermitteln solche Übungen Sicherheit in einem Bereich, in dem bislang keine Erfahrungen vorliegen. In dem sich anschließenden Gruppentraining werden sodann gezielt Defizite im Sozialverhalten angegangen. Durch Informationen, Instruktionen und Verhaltensübungen, teilweise mit Videofeedback, werden einer Kindergruppe wichtige soziale Fertigkeiten nahe gebracht. Unterstützend wird parallel zum Kindertraining eine Elternberatung durchgeführt, um durch Veränderungen im familiären Umfeld Verhaltensfortschritte des Kindes langfristig zu stabilisieren. In den Modulen der Eltern- und Familienberatung werden Vorschläge zur Erarbeitung konkreter Problemlösungen unterbreitet.

4.4 Konzeption und Aufbau des Trainings Konzeption und Aufbau unseres Trainings lassen sich durch folgende Stichworte charakterisieren: ! zweigleisiges Vorgehen durch eine parallel zum Kindertraining verlaufende Elternberatung, ! altersspezifisches Vorgehen und entsprechende Materialien für die gezielte Förderung der Kinder, ! lernzielorientierte Strukturierung des Vorgehens und ! flexible Anwendung des Vorgehens, um der spezifischen Problemlage der Kinder gerecht zu werden. Die folgenden Abschnitte geben anhand dieser Stichworte einen Überblick über die Konzeption und Struktur des Trainings. Zweigleisiges Vorgehen: Kindertraining und Elternberatung Es ist davon auszugehen, dass sich einerseits das sozial unsichere Verhalten eines Kindes auf sein familiäres Umfeld auswirkt, andererseits die Familie an der Entstehung und Aufrechterhaltung des Problemverhaltens beteiligt ist. Eine aus4.4 Konzeption und Aufbau des Trainings

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schließlich symptomorientierte Behandlung des Kindes ist somit weder angemessen noch ausreichend. Daher gehen wir zweigleisig vor: Unser Konzept umfasst zum einen ein Training zum Abbau des Problemverhaltens und zum Aufbau sozialer Fertigkeiten beim Kind, zum anderen eine Elternberatung zur Veränderung der familiären Bedingungen und der Eltern-Kind-Interaktion sowie zur Verbesserung der elterlichen Erziehungskompetenz. Die Trainingssitzungen mit dem Kind werden von Elternkontakten begleitet, so dass eine inhaltliche Verzahnung möglich wird (vgl. Abb. 4). Kindertraining. Die Interventionen mit einem Kind sind in Einzel- und Gruppentraining untergliedert. Um Sozialverhalten zu modifizieren, ist ein Gruppentraining zur Verhaltenseinübung unabdingbar (vgl. Fiedler, 2005; Gallagher, Rabian & McCoskey, 2004). Die Begrenzung auf ein Gruppentraining allein erscheint aus folgenden Gründen nicht sinnvoll: (1) Sozial unsichere Kinder sind überfordert, wenn die Intervention mit einem Gruppentraining beginnt. Es besteht die Gefahr, dass manche Kinder ein noch ausgeprägteres Verweigerungsverhalten zeigen, als es ohnehin schon der Fall ist. Zudem kann ohne Einzeltraining keine angemessene, durch Vertrauen geprägte Kind-Therapeut-Beziehung aufgebaut werden. (2) Um Verhaltensübungen effektiv durchführen zu können, müssen alle Kinder die vergleichbaren Lernvoraussetzungen mitbringen. Das heißt, sie müssen über relevante Informationen zu sozial kompetentem Verhalten und über grundlegende Fertigkeiten verfügen, um von Verhaltensübungen profitieren zu können. Dies betrifft zum Beispiel das Wahrnehmen- und richtige Deutenkönnen des verbalen und nonverbalen Verhaltens von Interaktionspartnern. Es bezieht sich auch darauf, dass die Prinzipien der Selbstbeobachtung und Selbstinstruktion bereits erlernt wurden, um sie in relativ realitätsnahen Situationen, wie im Gruppentraining, anwenden und üben zu können.

Aus den genannten Gründen ist dem Gruppentraining ein Einzeltraining vorgeschaltet. Das Einzeltraining umfasst vier Module, das Gruppentraining sechs Module. Berücksichtigt man die Passivität oder Reaktionsverweigerung der Kinder, dann ist bei Schulkindern eine Sitzungslänge von 100 Minuten hilfreich. Diese Dauer wird für das Einzel- und Gruppentraining empfohlen. Gerade im Gruppentraining benötigen drei bis vier Kinder ausreichend Zeit für Verhaltensübungen. Nur bei Kindergartenkindern oder solchen mit kognitiven Einschränkungen sowie einer sehr ausgeprägten Angstsymptomatik ist eine kürzere Sitzungsdauer von 50 Minuten sinnvoll.

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4 Interventionsverfahren

4.4 Konzeption und Aufbau des Trainings

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!

Schulkind

Kindergartenkind

5 Sitzungen à 100 Minuten (minimal) mit den Eltern bzw. der Familie (abwechselnd) Interventionsphase

1 Sitzung à 50 Minuten und 1 Sitzung à 100 Minuten

Erstkontaktphase

2 Sitzungen à 50 Minuten in der Kindergruppe

Elternberatung:

6 Sitzungen à 50 Minuten

Kennenlernphase:

2 Sitzungen à 50 Minuten in der Kindergruppe

4 Sitzungen à 100 Minuten alternativ 8 Sitzungen à 50 Minuten

Einzeltraining:

Kennenlernphase:

Einzeltraining:

Diagnostik und Indikationsstellung:

1 Sitzung à 50 Minuten

2 Sitzungen à 50 Minuten

2 Sitzungen à 50 Minuten

Trainingsvorbereitung:

1 Sitzung à 50 Minuten

Diagnostik:

Diagnostik:

Trainingsvorbereitung:

Abbildung 4. Überblick über das Trainingskonzept und den Trainingsaufbau

Eltern

1 Sitzung à 100 Minuten

Nachgespräch:

!

6 Sitzungen à 100 Minuten alternativ 12 Sitzungen à 50 Minuten

Gruppentraining:

6 Sitzungen à 100 Minuten alternativ 12 Sitzungen à 50 Minuten

Gruppentraining:

Elternberatung. Für die fünf Module der Eltern- und Familienberatung werden minimal fünf Sitzungen mit jeweils 100 Minuten veranschlagt. Acht Wochen nach Therapieende erfolgt ein Nachgespräch. Im Folgenden verwenden wir zwar vorwiegend den Begriff Elternberatung, möchten jedoch darauf hinweisen, dass dies auch für die Beratung der Familie insgesamt stehen kann. Eine Familienberatung wird immer dann angestrebt, wenn die Kinder über acht oder neun Jahre alt sind, wenn Themen aus dem Kindertraining besprochen werden und wenn eine enge Verzahnung von Kindertraining und Elternberatung angestrebt wird. Altersspezifisches Vorgehen Bei einer Reihe von Angststörungen im Kindesalter wird in den Klassifikationssystemen gefordert, dass die Störung vor dem sechsten Lebensjahr begonnen haben muss. Spätestens mit der Einschulung werden die Probleme im Kontext einer Angststörung offensichtlich, besonders wenn stark vermeidendes Verhalten auftritt. Dennoch gibt es auch Fälle, in denen sich die Angststörung weit in das Kindesalter hinein unerkannt entwickeln kann, da die Kinder zwar „still“, aber ansonsten unauffällig sind. So ist es notwendig, ein Training für verschiedene Altersstufen zu gestalten. Das bedeutet, dass sich zwar die Trainingsziele und verhaltenstherapeutischen Methoden für Kinder unterschiedlichen Alters prinzipiell nicht unterscheiden. Dennoch muss eine altersspezifische Abstimmung des Vorgehens und der Materialien erfolgen. Hierbei ist vor allem der unterschiedliche kognitive Entwicklungsstand und die verschiedene emotionale Belastbarkeit zu berücksichtigen. Deshalb liegt das Training für sozial unsichere Kinder einmal in einer Version für Schulkinder und einmal in einer Version für Kindergartenkinder vor, um diesen Alters- und Entwicklungsunterschieden Rechnung zu tragen. Lernzielorientierte Strukturierung des Vorgehens Sowohl das Einzel- und Gruppentraining als auch die Elternberatung sind jeweils durch eine hierarchische Abfolge von Lernzielen gegliedert. Ebenso folgt der Aufbau jeder einzelnen Sitzung einer vorgegebenen Struktur (siehe S. 95f.). Diese strenge Strukturierung der Arbeit hat sich aus zweierlei Gründen als sinnvoll erwiesen: Zum einen bietet sie dem Therapeuten eine Orientierungshilfe, die es ihm erleichtert, das Behandlungskonzept zu erlernen, aber auch durchzuführen. Insbesondere hat sich aber das vorgeschlagene strukturierte Vorgehen aus der Sicht der Kinder und Eltern bewährt: Die hierarchische Abfolge von Lernzielen gewährleistet, dass Kind und Familie nicht überfordert werden, sondern Schritt für Schritt Erfolge erleben können. Die ritualhaft wiederkehrenden Elemente in den Sitzungen bedeuten darüber hinaus Vorhersehbarkeit von Ereignissen, Kontrollierbarkeit der Situation und damit Sicherheit für ein Kind.

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4 Interventionsverfahren

Flexibles Vorgehen Obwohl das Vorgehen eine festgelegte Abfolge von Lernzielen und eine vorgegebene Gliederung der Sitzungen aufweist, kann und muss man flexibel auf die Besonderheiten von Kind und Familie eingehen. So besteht die Möglichkeit, Vorgehen und Materialien zu variieren, wenn auch in Grenzen, und die Modulinhalte nach einem flexiblen Zeitraster zu bearbeiten. So lassen sich beispielsweise Fotogeschichten alternativ zu Videofilmsequenzen einsetzen, an Stelle von Rollenspielen sind auch Puppenspiele möglich oder Themen und Übungen werden über mehrere Sitzungen intensiv oder wiederholt bearbeitet. Da eine Reihe von Materialien nur mit Hilfe persönlicher Erlebnisse eines Kindes bearbeitbar sind, werden dadurch die Module automatisch individuell auf ein Kind und seine Lebenssituation abgestimmt. Entscheidend ist bei der Auswahl der Materialien und Themen jedoch immer, dass ein Kind und seine Eltern nicht überfordert werden. Möchte man das „Tempo“ und die Dauer der Bearbeitung einzelner Module flexibel gestalten, sollte man wie folgt vorgehen: ! Sind einzelne Ziele für ein Kind zu leicht, werden damit zusammenhängende Module zügig bearbeitet, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. ! Merkt man zum Beispiel bei einem lernbehinderten Kind, dass nachgeordnete Ziele und Module zu schwer sind, dann kann man komplexe Vorgehensweisen streichen. ! Ist ein Kind von der Menge der Inhalte eines Moduls überfordert, dann empfiehlt es sich, die Modulbearbeitung über mehrere Sitzungen zu verteilen; bei solchen Kindern sollten von Anfang an für das Einzeltraining acht oder sogar zehn Sitzungen veranschlagt werden. Wichtige und attraktive Materialien, wie zum Beispiel die Videosituationen oder die Wolkenköpfe, werden dann wiederholt eingesetzt. Diese Ausführungen unterstreichen, dass das Training mit sozial unsicheren Kindern einen Rahmen vorgibt, der im Sinne eines modularen Systems individuell ausgestaltet werden muss; hierfür hält unser Buch ausreichend Materialien und Methoden in jedem Modul bereit. Die Planung des Vorgehens setzt also einen komplexen Entscheidungsprozess aufgrund einer differenzierten Diagnostik voraus, der zu einer rezepthaften Anwendung des Vorgehens im Widerspruch steht.

4.4 Konzeption und Aufbau des Trainings

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