Vorwort. Liebe Freunde des Max-Weber-Kollegs, Inhaltsverzeichnis:

Vorwort Liebe Freunde des Max-Weber-Kollegs, es ist wieder an der Zeit, Sie mit unseren Nachrichten des Max-Weber-Kollegs über die neuesten Entwicklun...
Author: Bärbel Kaiser
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Vorwort Liebe Freunde des Max-Weber-Kollegs, es ist wieder an der Zeit, Sie mit unseren Nachrichten des Max-Weber-Kollegs über die neuesten Entwicklungen am Max-Weber-Kolleg zu informieren. Die letzten Monate waren geprägt durch eine Thematik, die auch bundesweit in aller Munde war, nämlich die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern. Die Universität Erfurt hat sich unter maßgeblicher Beteiligung des Max-Weber-Kollegs mit dem Antrag auf Einrichtung einer Graduiertenschule zum Thema „Religion in Modernisierungsprozessen“ (Sprecher: Hans Joas) an der Ausschreibung beteiligt und war in der ersten Runde erfolgreich, d.h. wir wurden zur Ausarbeitung eines Vollantrags aufgefordert. Diesen Erfolg, der insbesondere für eine so kleine Universität wie die Universität Erfurt und die Geistes- und Kulturwissenschaften außergewöhnlich ist, auch wenn er letztlich nicht zur Förderung der Graduiertenschule geführt hat, werten wir als positives Zeichen für unsere bisherige Forschungstätigkeit. Genauso hat dies auch das Land Thüringen gesehen, das uns bereits mit Zusatzmitteln zur Ausarbeitung des Vollantrags unterstützt und darüber hinaus im Rahmen der Forschungsinitiative des Landes weitere Mittel in Aussicht gestellt hat. Aber auch in anderen Bereichen konnten wir Erfolge verzeichnen: Besonders erfreulich ist, dass eine Stiftung aus dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft dem Max-Weber-Kolleg aufgrund der Einwerbung des Graduiertenkollegs „Menschenwürde und Menschenrechte“ bei der DFG eine zusätzliche Fellowship für diese Thematik zur Verfügung gestellt hat. Diese wird seit dem 1.10.2007 von Theo Kobusch wahrgenommen. Ein weiterer bedeutender Erfolg war die Verleihung des Alexander von Humboldt-Forschungspreises an Paolo Prodi auf Vorschlag des Max-Weber-Kollegs (Hans Joas und Wolfgang Reinhard). Professor Prodi ist bereits seit Mai 2007 Gast des Max-Weber-Kollegs und wird bis März 2008 am Kolleg forschen. Des Weiteren war das Max-Weber-Kolleg erfolgreich bei der Einwerbung eines Projektes bei der GermanIsraeli Foundation zum Thema „Jüdisches Sprachdenken. The History of German-Jewish Contribution to Modern Linguistic and Cultural Theory“ unter Leitung von Gerald Hartung. Außerdem hat das Max-Weber-Kolleg die erste Antragsrunde eines Antrags für eine Kolleg-Forschergruppe zum Thema „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“ (Antragsteller: Hans Joas und Jörg Rüpke) überstanden. Der Vollantrag wurde Ende Oktober bei der DFG eingereicht. Eine Entscheidung wird im April 2008 fallen. Zur Förderung der internationalen Kontakte konnten schließlich in Zusammenarbeit mit dem internationalen Büro der Universität Erfurt (Manuela Linde) Mittel des DAAD eingeworben werden, um Sprachkurse, teaching assistants und Tutorien für ausländische Wissenschaftler an der Universität Erfurt zu finanzieren sowie ein Postdoc-Stipendium für einen ausländischen Postdoktoranden, für das sich Mihai-Dumitru Grigore qualifiziert hat. Aufgrund dieser vielen Erfolge hat das Max-WeberKolleg im letzten Jahr beträchtlich expandiert und sowohl die Zahl seiner Fellows als auch die seiner Doktoranden und Postdoktoranden deutlich erhöht. Aus diesem Grunde ist die Anmietung von zusätzlichen Räumlichkeiten in unmittelbarer Nähe des Max-Weber-Kollegs für Dok-

toranden notwendig geworden. Die neuen Fellows im Jahr 2007/08 sind: Professor Dr. Birgit Emich (Geschichtswissenschaft), Professor Dr. Theo Kobusch als Fellow für das Themengebiet „Europäische Geistesgeschichte“, Professor Dr. Jamal Malik (Religionswissenschaft/Islamwissenschaften) als „Erfurter Fellow“, Professor Dr. Dieter Thomä (Philosophie), ProBettina Hollstein fessor Dr. Saskia Wendel (Theologie). Darüber hinaus wurde PD Dr. Stephan Moebius als Juniorprofessor für Soziologie am MaxWeber-Kolleg zum 1.10.2007 ernannt. Die Vorstellung der neuen Fellows finden Sie auf den Seiten 2 bis 10. Die Projekte der neuen Kollegiatinnen und Kollegiaten, die ich aus Platzgründen hier nicht alle einzeln aufführen kann, finden sich auf den Seiten 18 bis 28. Eine besondere Freude für uns ist es, dass im Jahr 2007 bereits drei Promotionen abgeschlossen wurden, nämlich die Dissertationen von Andrzej Michalczyk, Hella Dietz und Andreas Pettenkofer. Die Berichte dazu finden Sie auf den Seiten 32 bis 36. Ganz herzlich bedanken wir uns bei allen Sponsoren und Förderern des Max-WeberKollegs, die auch mit Stipendien den Abschluss dieser Dissertationen unterstützt haben. Das Promotionsverfahren von Manfred Gehrmann, der seine Dissertation bereits eingereicht hat, wird am 12. Dezember 2007 abgeschlossen. Berichte zu den laufenden Projekten am Kolleg und zu den Tagungen, die wir in der letzten Zeit veranstaltet haben, finden Sie ebenfalls in diesem Heft. Selbstverständlich haben wir wie immer ein interessantes Programm zusammengestellt, das sicherlich wieder regen Zuspruch findet. Besonders würden wir uns freuen, Sie zu unserer Eröffnungsveranstaltung für das akademische Jahr 2007/08 am 12. Dezember 2007, 19 Uhr in der Begegnungsstätte Kleine Synagoge begrüßen zu dürfen. Ich wünsche eine anregende Lektüre, eine besinnliche Vorweihnachtszeit und einen guten Start in das Jahr 2008. Dr. Bettina Hollstein (Kollegreferentin)

Inhaltsverzeichnis: Projekte der Fellows ......................................... S. 2 Projekte der Kollegiat(inn)en ............................

S. 18

Tagungsberichte .............................................. S. 36 Personalia .......................................................

S. 41

Veranstaltungen .............................................. S. 43 Bewerbungsmodalitäten ..................................

S. 45

Ausgewählte Publikationen .............................. S. 46 Unsere Förderer ............................................... S. 48

Projekte der Fellows

Neue Projekte Hans Joas: Religionssoziologie Auch in diesem Berichtszeitraum stand für mich die Arbeit an religionssoziologischen und im weiteren Sinn religionstheo­ retischen Arbeiten im Vordergrund. Ein beträchtlicher Teil meiner Energie wurde dabei von der Ausarbeitung des umfangreichen Antrags „Religion in Modernisierungsprozessen“ absorbiert. Der Antrag wurde (unter meiner Federführung) von einer größeren Gruppe Erfurter KolHans Joas (Dekan) leginnen und Kollegen im Rahmen der sogenannten Exzellenzinitiative des Bundes an die Deutsche Forschungsgemeinschaft gerichtet und zielte auf die Einrichtung einer großen interdisziplinären Graduiertenschule zu diesem Themengebiet. Erfreulicherweise wurde die Antragskizze für so gut befunden, dass wir zur Einreichung eines Vollantrags aufgefordert wurden, der, den Richtlinien folgend – sage und schreibe – 141 Seiten umfasst. Letztlich kam es nun aber doch nicht zum Erfolg, was angesichts der schlechten Startchancen für eine junge, ostdeutsche und auf Geisteswissenschaften beschränkte Universität nicht wirklich überraschen kann. Es ist zu hoffen, dass die investierte Zeit und Energie nicht umsonst waren, da andere Fördermöglichkeiten für dieses Projekt realistisch sind. Es wäre aber irreführend, wenn ich nicht ausdrücklich darauf hinweisen würde, dass solche umfangreichen wissenschaftsorganisatorischen Aktivitäten sich auch als ablenkend von der eigenen wissenschaftlichen Arbeit erweisen. Mit einer Vielzahl von Aufsätzen und Vortragsmanuskripten (etwa zu Ernst Troeltsch; zu den Zukunftsperspektiven des Christentums; zur Rolle des Wertbezugs in den Grundsatzprogrammen der deutschen politischen

Parteien; zum Konzept der Wertgeneralisierung als einer Möglichkeit der Kommunikation über Werte; zur Frage, ob die USA „Trendsetter“ für religiöse Entwicklungen in Europa sind) habe ich meine eigenen längerfristigen Projekte in ganzer Breite weitergeführt. Einen beträchtlichen Arbeitsumfang brachten auch fremdsprachige Ausgaben meiner Bücher mit sich. Die vor fast dreißig Jahren abgeschlossene Monographie über den amerikanischen pragmatistischen Philosophen George Herbert Mead, einen der Begründer der Sozialpsychologie, erscheint nun in französischer Übersetzung. Dies ist selbst ein bemerkenswertes Zeichen für einen Wandel im französischen Geistesleben, in dem heute, nach dem Ende von Strukturalismus und Poststrukturalismus, Pragmatismus und Hermeneutik beträchtliche Anziehungskraft ausüben. Auch mein 2004 erschienenes Buch „Braucht der Mensch Religion?“ wurde (in diesem Fall ins Englische) übersetzt, ebenso der Band zu den kulturellen Werten Europas. Die englische Übersetzung der „Sozialtheorie“ (mit W. Knöbl, ebenfalls 2004 in deutscher Sprache erschienen) liegt vor und soll nach Abschluss der Korrekturarbeiten 2008 bei Cambridge University Press erscheinen. Wichtigste neuere Arbeiten von Hans Joas: - Säkularisierung und die Weltreligionen, Herausgeber zusammen mit Klaus Wiegandt, Frankfurt/Main: Fischer 2007. - Von der Ursprünglichkeit der Gabe. Jean-Luc Marions Phänomenologie in der Diskussion, Herausgeber zusammen mit Michael Gabel, Freiburg/München: Alba 2007. - Braucht Werterziehung Religion? Mit Beiträgen von Hans G. Nutzinger, Anja Stöbener, Stefan Meyer-Ahlen und Douglas R. McGaughey, Herausgeber, Göttingen: Wallstein 2007. - Die Zehn Gebote. Ein widersprüchliches Erbe?, Herausgeber, Köln: Böhlau 2006. - Die kulturellen Werte Europas, Herausgeber zusammen mit Klaus Wiegandt, Frankfurt/Main: Fischer 2005. - Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz, Freiburg: Herder 2004. - Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen, zusammen mit Wolfgang Knöbl, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004.

„Kontingenz und Moderne – Sozialphilosophische, ideengeschichtliche und historisch-soziologische Dimensionen“, Verbundprojekt unter der Leitung von Hans Joas (Sprecher, Erfurt), Christoph Menke (Potsdam), Peter Wagner (Florenz) und Michael Werner (Paris), Auszug aus dem Abschlussbericht an die VolkswagenStiftung Ziel des interdisziplinären Forschungsprojekts war es, die Bedeutung eines sozial- und politikphilosophisch fundierten Kontingenzbegriffs für die historisch-soziologische Analyse von langfristiger Gesellschaftsentwicklung unter Bedingungen der Moderne herauszuarbeiten. Dabei galt die besondere Aufmerksamkeit den Zusammenhängen zwischen historischen Erfahrungen von Kontingenz und semantischen Verschiebungen im Begriff von Kontingenz. Der ursprüngliche Antrag sah vor, diese Frage am Beispiel von drei Perioden größerer soziopolitischer und sematischer Transformation zu untersuchen: der „Sattelzeit“ um 1800 und ihren Folgen, den Jahren um 2

den Ersten Weltkrieg und der Periode nach 1968. Aufgrund der Empfehlungen der VolkswagenStiftung wurde der Zuschnitt des Projekts gleich zu Beginn entgegen den ursprünglichen Absichten im Wesentlichen auf den Zeitraum seit 1900 eingeengt. Die Analyse des vorherigen Zeitraums seit der Sattelzeit wurde im Wesentlichen durch vielfältige kritische Beschäftigung mit dem Werk Reinhart Kosellecks geleistet. Dabei gelang der Nachweis einer ungenügenden Differenzierung zwischen Historismus und Romantik und damit zweier verschiedener Formen von Kontingenzbewusstsein im Werk Kosellecks, sehr verschiedener Antwortmöglichkeiten

Projekte der Fellows des Geschichtsdenkens des 19. Jahrhunderts auf die „soziale Frage“ und einer untergründigen Abhängigkeit bestimmter Teile von Kosellecks Werk von einer linearen (und d.h. nicht kontingenzoffenen) Säkularisierungs­ theorie. Bezogen auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde insbesondere die Veränderung der Sicht auf historische Kausalität um 1900 und damit des Verhältnisses zwischen Philosophie und Geschichtswissenschaft untersucht; diese Veränderung war durch eine Krise des Positivismus und der Vorstellung linearen historischen Fortschritts ausgelöst worden. Wesentlich verstärkt durch die historische Erfahrung des Ersten Weltkrieges, veränderte sich damit ein weites Begriffsfeld. Diese Veränderung sollte auch nicht nachträglich zur notwendigen Phase in einem letztlich doch linearen Prozess der Modernisierung verklärt werden. Hinsichtlich der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt sich, dass weder das Jahr 1968 noch ein angeblicher Wandel zur „Postmoderne“ sich als epochale Einschnitte historisch verifizieren lassen. Kritik an der „Moderne“ fand nicht erst „postmodern“ statt. In der französischen

Ideengeschichte wandelt sich allerdings der Begriff der „Differenz“ von einem statischen Relationsbegriff zu einer Dynamik des „Immer-anders-Werdens“ in philosophischen Projekten, die diese Konzeption auch in ihrem Stil performativ zu zelebrieren versuchen. Es beginnt damit aber auch eine Entproblematisierung der Kontingenz – von der Frage ihrer Bewältigung zu den Chancen der Kontingenztoleranz. Für diese Prozesse spielen auch die Erfahrungen mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle. Die zahlreichen Publikationen, die aus diesem Projekt hervorgehen, liefern Bausteine einer Begriffs- und Erfahrungsgeschichte von „Kontingenz“ und eines kontingenzbewussten Verständnisses des sozialen Wandels; sie tragen damit zur Überwindung historisch irreführender Dichotomien wie vormodern/modern und modern/postmodern bei. Der dritte Projektteil wurde am Max-Weber-Kolleg bearbeitet durch Jens Badura und Michael Makropoulos. Der Bericht von Jens Badura ist bereits in den Nachrichten des Max-Weber-Kollegs, Nr. 7, erschienen. Den Bericht von Michael Makropoulos finden Sie auf Seite 30.

Birgit Emich: Stadtzerstörungen in der Frühen Neuzeit Die kriegerische Zerstörung von Städten ist zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen zu beobachten. Anhand solcher Zerstörungen dürften sich daher zahlreiche Aspekte, von der Waffentechnik über den Symbolgehalt der Stadt bis zur mentalen Verarbeitung von Gewalt und Katastrophen, synchron wie diachron vergleichend untersuchen lassen. Aus praktischen Gründen muss sich das Projekt zunächst auf Stadtzerstörungen im Alten Reich der Frühen Neuzeit beschränken. Prinzipiell ist es aber zeitlich und geographisch anschlussfähig. Während die Erforschung von Gewalt in der Frühen Neuzeit momentan blüht, Naturkatastrophen sowohl in wissenschaftlichen als auch in populären Veröffentlichungen große Aufmerksamkeit finden und um die militärischen Stadtzerstörungen des Zweiten Weltkriegs unlängst eine wenn auch eher politische als wissenschaftliche Debatte kreiste, sind frühneuzeitliche Stadtzerstörungen bislang nicht systematisch erforscht worden. Das Projekt möchte diese Lücke füllen. Es versteht sich als Beitrag zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Methodisch orientiert es sich am wissenssoziologischen Erfahrungsbegriff, der von der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit ausgeht. Erfahrungen sind nach diesem Ansatz sinnhafte Deutungen von Ereignissen, die immer auch kollektive Vorstellungen reproduzieren und zu erkennen geben. Folglich dürfte die Analyse einschneidender kriegerischer Ereignisse und ihrer Deutung einen Zugang zu mentalen Strukturen und sozialen Wissensbeständen eröffnen. Da um die Deutung der Ereignisse auch und gerade in der Publizistik und mit künstlerischen Mitteln gerungen wurde, ist das Projekt interdisziplinär ausgerichtet und offen für die Kooperation vor allem mit der Literatur- und Kunstgeschichte. Das Unternehmen ist vergleichend angelegt: Es bleibt nicht bei der Analyse einzelner Stadtzerstörungen stehen, sondern fragt nach der Entwicklung der Aspekte, die inhaltlich im Mittelpunkt stehen. Diese Aspekte lassen sich in drei Fragenkomplexe gliedern. 1. Was wird zerstört? Die Stadt als Ziel und Symbol. 2. Wie wird zerstört? Mi-

litärtechnik und die Bürokratisierung des Krieges. 3. Wie wird die Zerstörung verarbeitet? Deutungsmuster und Deutungsmacht. In einer ersten Projektphase wird zunächst eine Auswahl prominenter Stadtzerstörungen in den größeren Kriegen der Frühen Neuzeit behandelt: für den Dreißigjährigen Krieg die Zerstörung Magdeburgs 1631, für den Pfälzer Erbfolgekrieg die Verwüstung von Heidelberg 1689 und 1693, für den SieBirgit Emich benjährigen Krieg der Angriff auf Dresden 1760. Überdies soll eine vergleichende Untersuchung mehrfach betroffener Städte unternommen werden. Hierfür bietet sich Mannheim an, das 1622 durch Tilly und 1689 durch Frankreich zerstört wurde. Diese Perspektive dürfte den Blick auf den politischen Hintergrund und den Gegner schärfen und damit klären helfen, inwiefern diese Faktoren Ablauf und Deutung der Zerstörung beeinflussten. Umgekehrt ist zu fragen, ob und wie sich die Zerstörungen verschiedener Städte durch den gleichen Gegner und vor dem gleichen politischen Hintergrund unterscheiden. Auch hier bietet die Kurpfalz im Orléansschen Krieg ein ideales Beispiel: die Zerstörung von Speyer, Heidelberg und des bereits erwähnten Mannheim durch die Truppen Ludwigs XIV. Nach Abschluss dieser Phase wird zu entscheiden sein, in welche Richtung das Projekt auszubauen ist. In Frage kommt der geographische wie zeitliche Ausgriff innerhalb der Frühen Neuzeit, der etwa den Sacco di Roma 1527, die Demütigung Gents durch Karl V. 1540, die Zerstörung von Darmstadt oder Konstanz im Schmalkaldischen Krieg, Richelieus Angriff auf La Rochelle 1628 oder den Brand Moskaus 1812 erfassen könnte. Zu denken ist 3

Projekte der Fellows aber auch an eine Einbeziehung von Naturkatastrophen wie etwa der Erdbeben von Lissabon 1753 und Benevent 1688 oder von nicht militärisch ausgelösten Stadtbränden, etwa in London 1666 und Hamburg 1842. Und schließlich käme bei diesem prinzipiell in viele Richtungen anschlussfähigen Projekt auch eine Ausweitung bis hin zum Zweiten Weltkrieg in Betracht – v.a. Mannheim und Magdeburg ließen sich im Blick auf kriegerische Stadtzerstörungen epochenübergreifend untersuchen.

Wichtigste neuere Arbeiten von Birgit Emich: - Kriegsbilder, Bilder und Abbilder vom Krieg in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Beiträge der Doppel-Sektion auf dem 46. Deutschen Historikertag, Konstanz, 19.-22. September 2006, Herausgeber zusammen mit Gabriela Signori, erscheint voraussichtlich 2008 als Beiheft der Zeitschrift für Historische Forschung. - Geschichte der Frühen Neuzeit studieren (UTB, Reihe „Basics“), Konstanz 2006. - Territoriale Integration der Frühen Neuzeit. Ferrara und der Kirchenstaat, Köln/Weimar/Wien 2005.

Theo Kobusch: Person und Würde. Die Grundlagen des modernen Verfassungsstaates aus historischer Sicht Nur wenige rechtsphilosophische Begriffe werden derzeit so intensiv und kontrovers diskutiert wie der der Person und daneben der der Menschenwürde. Das mag auch daran liegen, dass diese in vielen Verfassungen Europas und darüber hinaus aufgenommenen Begriffe, nicht zuletzt auch in der 1948 verkündeten allgemeinen Menschenrechtserklärung, universalen Anspruch erheben und doch ihre Infragestellung durch Theo Kobusch das Bewusstsein einer kulturell bedingten Partikularität erleben müssen. Um so dringender bedarf es einer Analyse der philosophischen, juristischen und theologischen Implikationen, die selbst wieder historischer Natur sind, um sich all der Konnotationen solcher zentraler, für die Regelung menschlichen Zusammenlebens schlechthin konstitutiver Begriffe bewusst werden zu können. Es scheint, als habe es auch für die historischen Verfassungen immer solche ersten, allestragenden Begriffe gegeben. Man braucht nur an die Losung der Französischen Revolution ‚Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit‘ zu denken, für welch letztere zu bestimmter Zeit im Französischen des 19. Jh. die ‚solidarité‘ eingesetzt wurde, oder auch an jene ‚selbstevidenten‘ Prinzipien der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die in den unveräußerlichen, das Leben, die Freiheit und das Glücksstreben mitumfassenden Menschenrechten bestehen, um zu sehen, dass das Leben westlicher Gesellschaften oder Demokratien auf Werten solcher Art als auf ersten, ‚selbstverständlichen‘ Prinzipien beruht, deren historische Bedingtheit gleichwohl aufgewiesen werden muss. Im Rahmen eines größeren, umfassenderen Projektes, das sich die historische Aufklärung über die anthropologischen Grundlagen moderner Demokratien – die deren Geltung, nach einem berühmten Wort von E. W. Böckenförde, immer nur voraussetzen, nie aber garantieren können – zum Ziel gesetzt hat, steht die Untersuchung der beiden Grundbegriffe der Person und der Würde zuerst auf dem Programm. Sie ist die Aufgabe, der ich mich während des geplanten Erfurter Forschungsaufenthaltes widmen möchte. Dabei kann ich an die Ergebnisse meines Buches über die menschliche Person anknüpfen. 4

Gegenüber bestimmten aktuellen Konzeptionen der Person und der Menschenwürde, die diesen Begriffen einen maximalistischen Sinn unterlegen und sogar beanspruchen, die „Philosophie der Person“ zu vertreten, soll in dem vorgenommenen Projekt gerade der minimalistische Sinn jener Ausdrücke herausgearbeitet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass der Person- und Würdebegriff, wie er in modernen Verfassungen verwendet wird, historisch in den Kontext der praktischen Philosophie gehört, ganz gleich, ob man ihn auf J. Locke oder auf I. Kant zurückführt. Im Hintergrund des neuzeitlichen Personund Würdebegriffs steht unzweifelhaft der Freiheitsgedanke. Der aber ist selbst kontrovers. Haben wir das, was Freiheit ist, im Sinne des Liberalismus zu denken oder im Gegenteil in Anlehnung an die Philosophie Hegels, der den liberalistischen Freiheitsbegriff kritisiert, im Sinne kommunikativer Freiheit? Das ist die Frage, deren Beantwortung auch das Wesen der Personalität zutiefst mitbestimmt. Die zweite Aufgabe, die sich im Rahmen des größeren Projektes stellt, ist die besondere Untersuchung des Begriffs der Würde und der ihm immanenten, verborgenen Elemente. Wie ist der Zusammenhang zwischen der Würde und den Grundrechten nach unserem Grundgesetz zu denken? Gibt es in der Tradition einen solchen Zusammenhang? Welche Tradition des Würdebegriffs ist in unserem Grundgesetz und auch sonst in den Verfassungen Europas gemeint? Ist es die neuplatonische Bedeutung des Würdebegriffs, wie sie uns z.B. in der berühmten Oratio de hominis dignitate des Giovanni Pico della Mirandola begegnet, oder ist es der Begriff der Würde im Sinne Kants – zwei Bedeutungen, die in jedem Falle unterschieden werden müssen? Auch der Begriff der Würde in unserem Grundgesetz ist sowohl in einem maximalistischen wie auch in einem minimalistischen Sinne verstanden worden. Sicher ist nur das letztere Verständnis sachgemäß. Dann aber stellt sich die Frage, worin dieses Minimum, das durch den Staat geschützt werden soll, besteht, und vorher noch: Warum muss das, was unverletzlich ist, doch durch den Staat geschützt werden? Offenbar sind zwei verschiedene Elemente, etwas Verlierbares, das geschützt werden muss, und etwas Unverlierbares, das unverletzbar ist, in unserem Würdebegriff enthalten, zwei Elemente also, die es aufzuhellen gilt. In der Tradition, in einer bestimmten Tradition, sind diese beiden Elemente als die zwei Aspekte der Gottebenbildlichkeit des Menschen gedacht worden: als imago und similitudo Dei. Schon Origenes hatte diesen beiden aus dem Buch Genesis stammenden Begriffen einen verschiedenen Sinn untergelegt und die similitudo

Projekte der Fellows dei des Menschen in seiner Freiheit begründet gesehen. Auf diese Weise kommt ein weiteres Mal der Freiheitsgedanke ins Spiel. In dem vorgenommenen Projekt wird es darum gehen, die weitere Auslegungsgeschichte dieses Begriffspaares in Patristik und Scholastik zu verfolgen, um so zuletzt den historischen Hintergrund der dunklen Rede von der Würde in unserem Grundgesetz etwas aufhellen zu können.

Wichtigste neuere Arbeiten von Theo Kobusch: - Philosophen des Mittelalters, Herausgeber, Darmstadt: Primus Verlag 2000. - Christliche Philosophie. Die Entdeckung der Subjektivität, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006. - Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild, 2. erw. Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997.

Jamal Malik: Islam in South Asia. A Short History Das Thema „Islam in Südasien“ ist insbesondere in der jüngsten Vergangenheit verschiedentlich in die Schlagzeilen geraten, ohne dass die religiöse Vitalität und Varietätsbreite der Region, welche die Staaten Indiens, Pakistans und Bangladeshs umfasst, hinlänglich aufgearbeitet worden wäre. Zwar liegen zahlreiche – gerade auch in jüngerer Zeit verfasste – Studien zu einzelnen Aspekten in diachroner und synchroner PerspektiJamal Malik ve vor. Es fehlt allerdings eine systematische und synthetisierende Arbeit zur Geschichte islamischer Kulturen in Südasien, welche die neuesten Forschungserkenntnisse zusammenführt und die Entwicklungsstränge in einer Perspektive von longue durée zu plausibilisieren hilft – von den arabischen Er­ oberungen ab 711 über die Herrschaft turk- und afghanstämmiger Dynastien ab dem 13. Jahrhundert und den europäischen Kolonialismus bis zur Staatengründung im 20. Jahrhundert und der folgenden Islamisierungswelle. Diesem Forschungsdesiderat soll dieses Buchprojekt Abhilfe schaffen, indem politische, religiöse und kulturelle Bezüge zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften offengelegt werden, die unter den nachhaltigen kolonialen und nationalistischen Narrativen verschollen sind. Auf diese Weise sollen Geschichtsdeutung und Wirkungszusammenhang, mithin die Bedingungen für neue politische Formationen, die dynastieübergreifend unter der Ebene des Herrschertums wirken, zu Worte kommen. Das Buchprojekt Islam in South Asia. A Short History (Leiden: Brill) knüpft an das Einführungswerk Islam in the Indian Subcontinent von Annemarie Schimmel (Leiden: Brill 1980) an, geht jedoch in kritischer Weise darüber hinaus, indem nicht nur der Zeithorizont erweitert wird, sondern auch durch den methodischen Zugriff die Fragestellung im obigen Sinne modifiziert wird. Dabei orientiert sich das Projekt sowohl an der gegenwärtigen anglo-amerikanischen historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung als auch an sub-altern studies. Beiträge religionssoziologischer Theoriediskus­ sion stehen dem umfangreichen und nicht leicht zu bändigenden empirischen Material kontrastiv gegenüber. Wirkungsmächtige Bilder vom Islam in Südasien – sowohl muslimische als auch hinduistische und koloniale –, die bis in die Gegenwart die Vorstellungen prägen, sind einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Wie sich Selbstund Fremdwahrnehmung gegenseitig abgrenzen und

auch gegenseitig bedingen, ja sogar reflexive Selbstwahrnehmungen selbst religiöse Vergesellschaftungsformen hervorbringen, ist ein zentrales Thema des Vorhabens. Ziel ist es, Entwicklungslinien muslimischer Artikulation in ihren verschiedenen Manifestationsformen in muslimischen Minderheits- und Mehrheitsregionen herauszuarbeiten. Der Religionsgeschichte Südasiens unter besonderer Berücksichtigung der Muslime (Mystiker, Gelehrte, Intellektuelle, aber auch Herrscher, Händler, Missionare) und deren ganz verschiedenen Formen kultureller Artikulation (in Genres wie mystische Texte, kaiserliche Edikte, Rechtsgutachten, literarische Beiträge, Polemiken, Fürstenspiegel, koloniale Korrespondenz, aber auch Kulturartefakte) wird in Institutionsbildungsprozessen (etwa Religionsschulen, religiöse Stiftungen, mystische Orden, religiöse Reformbewegungen, aber auch Großreiche und Nationenbildung) mittels reichhaltiger Primär- und Sekundärliteratur unter der zentralen Fragestellung nachgegangen. Ob eine Typisierung des reichhaltigen Materials des Ideentransfers über diese Phase von nahezu 13 Jahrhunderten gelingt, ist allerdings aufgrund der noch ausstehenden Forschung zur regionalen Geschichte fraglich. Denn der Forschungsstand für die verschiedenen Regionen des Subkontinentes ist sehr unterschiedlich. Während für die politischen Zentren, allen voran Delhi, zahlreiche Detailuntersuchungen vorliegen, harren die politischen, aber nicht zwangsweise kulturellen Peripherien größtenteils wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Zentripetale Narrative sind naturgemäß leichter zugänglich; entsprechendes Material aus den anderen anliegenden Regionen ist bislang wissenschaftlich kaum zugänglich gemacht worden. Sprachliche Barrieren erschweren die Bearbeitung zusätzlich. Diese zum großen Teil normativen Texte unterschiedlicher religiöser Denker gaben ja den Impuls für die Kreativität südasiatisch-muslimischer Kultur. Aus der Analyse dieser lassen sich Kulturkämpfe nicht nur zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, sondern selbst zwischen Vertretern derselben Religion destillieren; gleichzeitig werden Kultursynthesen auch zwischen Vertretern verschiedener, sich anscheinend völlig widersprechender Religionen prominent. Es gilt, einerseits die Spannung zwischen religiöser Identität als einem relevanten Plausibilisierungs- und Mobilisierungsfaktor und anderen bisweilen weitaus wichtigeren Kennzeichen von Solidaritäts- und Sinnstiftung (wie etwa politische und soziale Zugehörigkeit, Geschlecht, Ethnie etc.) zu erfassen und andererseits die Dynamik religiöser Glaubenswelten und politischer Ordnungen zu berücksichtigen und für ein komplexeres Islambild fruchtbar zu machen. Die Untersuchung, wie sich diese shared traditions im Laufe der Zeit in exklusivistische Religionsdiskurse transformieren, ist 5

Projekte der Fellows ein wichtiger Bestandteil des Projektes. Diese bisweilen radikalen Abgrenzungsdiskurse der Identitätspolitiken, für die religiöse Repertoires bemüht wurden, führten bekanntermaßen zur Herausbildung unabhängiger Staaten und zogen eine der größten Völkerwanderungen in der Neuzeit nach sich. In Südasien, wo verschiedene religiöse Traditionen und deren Akteure (Islam und Hindutum, und schließlich durch den Kolonialismus auch Christentum) mit ihren lokalen und globalen Besonderheiten aufeinandertreffen, sich ergänzen, sich ablehnen oder sich überlagern, hat Religion eine wichtige Funktion im Hinblick auf kulturelle Wechselwirkungen und gesellschaftliche Ordnungen. Von besonderer Bedeutung ist daher die Debatte um religiöse und religiös formulierte Grenzen, an denen sich nicht nur Vertreter der beiden – und später der drei – großen Weltreligionen treffen, sondern auch Vertreter derselben religiösen Tradition. Wie diese Konfessionalisierungsgrenzen ausgehandelt, verschoben und überlagert werden, um so nachbarschaftliche Beziehungen zu ermöglichen, ist eine leitende Frage des Vorhabens. Dies bedeutet allerdings nicht, dass einem post-modernistischen Romantizismus das Wort geredet wird. Denn die Interventionen, Medien und Diskurse religiöser Spezialisten und Religionspolitiker, die einem religiösen Pluralismus abschwören, werden ebenfalls diskutiert und in den normierenden Kontext des Alltäglichen gestellt. Religion

wird somit, entgegen den wirkungsmächtigen kolonialen und auch post-kolonialen nationalistischen Modellen, als eines von mehreren Identitätsmerkmalen in einem umstrittenen und konkurrierenden Diskursfeld verstanden. Herausfordernd ist nicht nur die neue Forschungsperspektive. Auch ist das Einführungswerk gleichermaßen an wissenschaftliche Spezialisten wie an Laien gerichtet. Als solches formuliert das Narrativ, dessen 15 Kapitel chronologisch angeordnet und durch thematische Exkurse unterfüttert sind, neue Thesen und ist daher an Historiker, Religions-, Politik-, Sozial- und Kulturwissenschaftler sowohl der area studies als auch systematischer Wissenschaftstradition gerichtet. Es versteht sich als ein epistemologisch angereicherter Beitrag zum Verständnis eines hierzulande vernachlässigten Forschungsbereiches. Wichtigste neuere Arbeiten von Jamal Malik: - Madrasas in South Asia: Teaching Terror?, Herausgeber, London: Routledge (im Druck für 2008). - Sufism in the West, Herausgeber zusammen mit John Hinnells, London: Routledge 2006. - “Letters, prison sketches and autobiographical literature: The case of Fadl-e-Haqq Khairabadi in the Andaman Penal Colony”, Indian Economic and Social History Review 43:1 (2006), pp. 77100. - Religious Pluralism in South Asia and Europe, Herausgeber zusammen mit Helmut Reifeld, New Delhi: Oxford University Press 2004.

Paolo Prodi: “Du sollst nicht stehlen”. Zur Entstehung des abendländischen Marktes zwischen Mittelalter und Neuzeit (Alexander von Humboldt-Preisträger) In meinem Band (Eine Geschichte der Gerechtigkeit. Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat, Verlag C.H. Beck, München 2003) habe ich versucht, die Geschichte des Forums als Ort, wo die Streitigkeiten zwischen den Menschen ausgetragen werden, wo die konkrete Verwaltung der Gerechtigkeit stattfindet, zu beleuchten; nun will ich versuchen, das Forum als Markt, als den Ort, wo der Wert der Dinge festgelegt wird, zu betrachten. Es handelt sich um denselben physischen Raum, den Platz oder den Palast, in dem nach abendländischer Tradition die Ausübung der politischen Macht, die Verwaltung der Gerechtigkeit und der Austausch der Güter stattfinden. Um es mit einem Wort des Forcellini zu sagen: „Piazza, agora, locus spatiosus in urbe, in quo res venduntur, et negozia fiunt… forum boarium, olitorium, vinarium, piscarium… omnia fora rerum venalium… Item locus, in quo iurisdictio exercetur, conciones habentur ad populum, causae aguntur; foro, palazzo: qui saepe idem est locus cum foro negotiorum, quae occasione convenientium civium fiunt ut in foro romano“. Der Gebrauch des Wortes „Markt“ entwickelt sich, ohne hier näher auf seine philologische Bedeutung einzugehen, in den ersten Jahrhunderten des letzten Jahrtausends, um die eigentliche Handlung des Güteraustausches zu bezeichnen und nach und nach die Handels- und Markttätigkeit von jener der Politik und der Rechtsausübung zu unterscheiden. Es ist diese Symbiose, aus der der großartigen Intuition Max Webers zufolge die moderne Wirtschaft in der mittelalterlichen Stadt entsteht. Tausende von Seiten sind in den vergangenen Jahrzehnten über dieses Thema geschrieben worden, über die Umwandlungen, die im Mittelalter und in der Neuzeit im 6

Abendland stattgefunden haben. Auf der einen Seite haben die von Formalisierung und abstrakten mathematischen Modellen übersättigten und von einer nicht in ihre theoretischen Trichter passende Realität irritierten Wirtschaftswissenschaftler in den letzten Jahren immer mehr geschichtliche Ansätze zu schätzen gelernt und sind sich immer stärker der Verflechtungen zwischen wirtschaftlichen und ethischen Phänomenen des Marktes bewusst geworPaolo Prodi den. Auf der anderen Seite haben die von den Sozialwissenschaften angezogenen und vom marxistischen Schematismus des Interpretationsmonopols der „Produktionsweise“ befreiten Historiker immer mehr die Zusammenhänge zwischen Macht, Rechtsnormen und den kulturellen Bezugssystemen des Verhaltens wie die Entstehung des Individuums, die Trennung der politischen von der wirtschaftlichen Macht als Wurzel der ersten Differenzierung zwischen Staat und Markt erforscht. Insbesondere die Rechtshistoriker haben Forschungen über die Entstehung und Entwicklung der „ius mercatorum“ als System von Normen angestellt, die nicht nur vom formalisierten Recht, sondern auch von anthropo-

Projekte der Fellows logischen und ethischen Sedimentationen herrühren, ebenso über den engen Zusammenhang zwischen dem Austausch und der Gabe sowie über das Vertrauen. Auf dieser Grundlage sind in den letzten Jahren die neuesten Thesen über die Entstehung des modernen Begriffs des Reichtums, des Kapitals, des Geldes und des Kredits aufgestellt worden. Ein Thema, das, wie mir scheint, bis jetzt in diesem großen Werk der historiographischen Erneuerung nicht behandelt worden ist, betrifft die Transformation des Begriffs „Diebstahl“ als Entwendung fremder Güter, die parallel zur Entwicklung des Begriffs des Eigentums als Recht verläuft. Die Gründe für diese historiographische Lücke können verschiedener Art sein: In erster Linie, scheint mir, ist der Fortbestand eines Weberismus, der auf der oberflächlichen Polemik eines auf der protestantischen Reformation begründeten „kapitalistischen Geistes“ beharrt und die weitaus komplexeren Gedanken des Meisters über den lange währenden Einfluss der christlichen Kirche auf die Entstehung der abendländischen Rationalität außer Acht lässt, dafür verantwortlich. Selbst das große Thema des Wuchers ist in gewissem Sinn ein irreführendes Element gewesen, das fast nie im weiteren Rahmen des Gebots „Du sollst nicht stehlen“, das eigentlich seine Grundlage bildet, in der Theologie und in der Alltagsmoral untersucht worden ist. Erst in letzter Zeit sind, wie mir scheint, in den Traktaten des Mittelalters zwei parallele, aber unterschiedliche wirtschaftsethische Logiken hervorgehoben worden: die Logik des Vertrags und die Logik des Wuchers1. Letztliches Ziel der Forschung ist die Untersuchung der Entstehung der modernen Verfassungsordnung des Abendlandes im weiteren Sinne, als Gesamtheit der intellektuellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen, das heißt, jener Triebkräfte, die der europäischen Gesellschaft den Eintritt in die Moderne ermöglicht haben, wobei sowohl Überlegungen zu den intellektuellen Prozessen als auch die Ergründung der neuen politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Ordnungen, die die Entstehung des modernen Staates und des Marktes gekennzeichnet haben, eine Rolle spielen. In diesem Gesamtrahmen scheint das Problem des Kredits neben den großen Themen der Machtlegitimation, der Zugehörigkeit zum politischen Körper und der Bürgerschaft eine zentrale Stellung einzunehmen. Weder der moderne Staat noch der Markt sind denkbar ohne die grundlegende Erneuerung, die zwischen dem ausgehenden Mittelalter und dem Beginn der Neuzeit stattfand und einen neuen Begriff des Geldes im Sinne von Produktivität, als Samen eines immateriellen Reichtums, als Kapital, aber auch als Legitimation der Macht in der Doktrin des gemeinsamen Gutes, auch im Sinne des „Inter-esses“ der Gemeinschaftsmitglieder oder Bürger in

öffentlichen Dingen ermöglicht hat. In den vergangenen Jahren habe ich versucht, die Themen des politischen Pakts und der Norm vor der Behauptung des Rechtsmonopols seitens des Nationalstaats zu untersuchen. Nun möchte ich meine Überlegungen in Anbetracht des jetzigen Überwiegens des Vertrags gegenüber dem Gesetz im neuen Recht „à la carte“, das die neuen übernationalen Gebilde der Wirtschaftsmacht kennzeichnet, der Rolle des Vertrags bei der Entstehung des Marktes und des Kredits im Abendland widmen. Die aktuelle, von der Krise des souveränen Staates und der Beschleunigung des Globalisierungsprozesses gekennzeichnete Situation hat auch das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an einem von mir bereits vor Jahren ausgemachten Thema erweckt. Es mehren sich nicht nur die theoretischen Aufsätze von Wirtschaftswissen­ schaftlern über die Notwendigkeit einer Neubehandlung des Problems der Marktwirtschaft innerhalb eines über die reine Technik hinausgehenden kulturellen Rahmens, es vergeht auch kein Tag, ohne dass illustre Wirtschaftswissenschaftler und Politologen in an ein breites Publikum gerichteten Artikeln ein „mea culpa“ über die lange Vernachlässigung des Verhältnisses zur Ethik und zur Welt der Werte seitens der Wirtschaftswissenschaften und der politischen Ideen zum Ausdruck bringen. Der historische Ansatz kann keinen Ersatz für die wirtschaftswissenschaftliche und politologische Analyse darstellen. Er ist viel begrenzter und fest umrissen. Er untersucht die kulturellen Kontexte und die Normen, die das Wachstum des Marktes und des Kredits im Übergang zur Moderne ermöglicht haben, um den geistigen und kulturellen Prozess, in dem sich das heute durch den aktuellen historischen Übergang in Frage gestellte politische und wirtschaftliche System entwickelt hat, zu verstehen; nicht um Auswege zu finden, sondern um die Gründe der Krise unserer Epoche besser zu verstehen. Es ist eine bescheidene Aufgabe, die ich jedoch für wichtig halte, nicht zuletzt, um Irrtümer und Illusionen zu vermeiden. 1

G. Ceccarelli; L΄usura nella trattatistica teologica sulle restituzioni dei “male ablata” (XIII-XIV secolo), in Credito e usura fra teologia, diritto e amministrazione. Linguaggi a confronto (sec. XII-XVI), a cura di D. Guaglioni. G. Todeschini e G.M. Varanini, Ecole Française de Rome 2005, p. 11 (der ganze Band ist Ausgangspunkt meiner Überlegungen). Wichtigste neuere Arbeiten von Paolo Prodi: - Christianisme et monde moderne: Cinquante ans de recherches, traduit de l‘italien par A. Romano, Paris: Gallimard-Le Seuil 2006. - La storia moderna, Bologna: Il Mulino 2005. - Eine Geschichte der Gerechtigkeit. Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat, München: Verlag C.H. Beck 2003.

Dieter Thomä: Wohlergehen und Wohlfahrt. Historische und systematische Untersuchungen mit besonderer Berücksichtigung der Rolle der Familie Das Thema „Wohlergehen und Wohlfahrt“, das ich am Max-Weber-Kolleg behandeln will, hat einerseits eine deskriptive Seite, bei der es um die begriffliche Klärung des Verhältnisses von Wohlergehen und Wohlfahrt geht, andererseits eine normative Seite, in der es u.a. um Vorgaben für und Erwartungen an wohlfahrtsstaatliches

Handeln geht. Dass der offensichtlichen Nähe zwischen Wohlergehen und Wohlfahrt bislang kaum nachgegangen worden ist, hat Gründe, die weit in die Geschichte moderner Gesellschaften zurückreichen. Auf der einen Seite kommt es im Zuge dieser Entwicklung zu einer Abkehr der Philosophie der Person von der 7

Projekte der Fellows Frage nach dem Wohlergehen (oder Glück); dies hat im Wesentlichen mit den in der Moderne vorherrschenden Konzepten zur Deutung der individuellen Lebensführung zu tun: In der Perspektive Kants trat das Glück gegenüber der Autonomie in den Hintergrund; in der Perspektive liberaler Theoretiker (wie z. B. John Stuart Mills) erschien das Glück kaum anders denn als abhängige Dieter Thomä Variable der Freiheit. Unter diesen weithin geteilten Voraussetzungen ergibt es, so scheint es zumindest, keinen Sinn mehr, sich für die Fundierung von Wohlfahrtskonzepten auf das Wohlergehen als deskriptive Basis zu stützen; normativ kommt es zu einer Verschiebung von der Philosophie des guten Lebens zur Philosophie der Freiheit. Entsprechend lässt auf der anderen Seite der Wohlfahrts-Diskurs den Rekurs auf das Wohlergehen fallen. Im vorliberalen Modell war eine „Wohlfahrtspolicey“ vorgesehen, der auch die Zuständigkeit für das „Glück“ der Bürger zuerkannt wurde. Einer solchen Polizei wurde im 19. Jahrhundert gewissermaßen ‚das Handwerk gelegt‘. Auf der deskriptiven Ebene kommt es nun zu einer Koppelung der Wohlfahrt an materielle Faktoren; auf der normativen Ebene setzt die Diskussion um Umverteilung und Gerechtigkeit ein. Auf breiter Front kommt es – kurz gesagt – zu einer Rückführung von Wohlergehen auf Freiheit und zu einer Rückführung von Wohlfahrt auf Wohlstand. Zu konstatieren ist die Versachlichung der Wohlfahrt und die Entsachlichung des Wohlergehens. Diese Gegenläufigkeit von Wohlergehen und Wohlfahrt ist allerdings alles andere als selbstverständlich. Wenn etwa in der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 die berühmte Formel vom Recht auf den „pursuit of happiness“ festgehalten wird, so findet sich parallel dazu in der Verfassung der USA von 1787 die weniger berühmte Formel, der Staat sei um „general welfare“ besorgt. Die erste Formel macht das Glück de facto zum Ergebnis des eigenen Machens und stärkt die Ableitung des Wohlergehens aus der Freiheit; die zweite Formel setzt auf die Wohlfahrt im Sinne von Rahmenbedingungen für gelingendes Leben. Dass eine Verbindung zwischen Wohlergehen und Wohlfahrt besteht, liegt auf der Hand. Gleichwohl führt die hier referierte Deutung von Wohlergehen einerseits, Wohlfahrt andererseits in unterschiedliche Richtungen. Institutionell spiegelt sich diese Divergenz in der Doppelung von Liberalismus und Wohlfahrtsstaat. Deren Verhältnis wird typischerweise als Zielkonflikt gedeutet. Demnach verteidigt der Liberalismus die Freiheit (also

auch das von ihr abhängig gemachte Wohlergehen) gegen den Wohlfahrtsstaat, der umgekehrt vor sozialer „Anomie“ schützen soll. Der Wohlfahrtsstaat hat wegen der Umverteilung, auf die er angewiesen ist, Legitimationsbedarf; dabei trägt er liberalistischen Einwänden jedenfalls insoweit Rechnung, wie er Leistungen in Geldform gewährt, die Verwendung der Mittel also der Wahlfreiheit der Leistungsempfänger überlässt. Näher zu untersuchen sind nun die Komplikationen, die sich aus dieser Doppelung ergeben. Auf der einen Seite treten Krisen auf der Seite des individuellen Wohlergehens auf: Insbesondere erweist sich der Freiheitsbegriff, dem dieses Wohlergehen nachgeordnet wird, als fragwürdig. In dessen Kielwasser kommt es zu einer vorgängigen Privilegierung von Lebensformen, die der individuellen Steuerung zugänglich sind, also umgekehrt zu einer Diskriminierung von Lebensformen, die mit dem Angewiesensein auf andere verbunden sind. Darüber hinaus trifft man auf der Ebene der Entscheidungsfindung selbst auf Symptome der Desorientierung. Wenn Freiheit sich von Willkür unterscheiden soll, müssen sich Entscheidungen auf „commitments“ stützen, die ihrerseits in Sicherheiten über individuelle Lebensziele gründen. Diese Sicherheiten sind in Auffassungen des ‚guten Lebens‘ verwurzelt. Damit aber erweist sich die Ableitung des individuellen Wohlergehens von der Freiheit als hinfällig. Letztlich kann dies zu einer Transformation des Liberalismus führen, der sich nicht mit der Abfrage von individuellen Entscheidungen begnügen kann, sondern den Voraussetzungen einer selbstbestimmten Orientierung des Lebens Rechnung tragen muss. Auf der anderen Seite treten Krisen auf der Seite der allgemeinen Wohlfahrt auf. Insofern sich der Sozialstaat in liberaler Zurückhaltung auf die Ausschüttung von Finanzmitteln beschränkt, entwickelt er eine seltsame Affinität zur Konsumgesellschaft. Dagegen muss im Sinne eines liberalen Wohlfahrtsstaates auch auf die Eröffnung von positiven Betätigungsmöglichkeiten geachtet und die Partizipation der Betroffenen verstärkt werden. Dieser Reflexionsprozess führt zu einer Entökonomisierung des Wohlfahrtsbegriffs, also auch zu einer Wiederannäherung von Wohlfahrt und Wohlergehen. Zur Begründung dieser Wiederannäherung sollen im Rahmen dieses Projekts Argumente geprüft und verteidigt werden. Im Anschluss an diese eher allgemeinen Überlegungen sollen schließlich die Folgen analysiert werden, die die moderne Konstellation von Wohlfahrt und Wohlergehen auf eine besondere Form menschlicher Beziehungen hat: nämlich auf die Familie. Wichtigste neuere Arbeiten von Dieter Thomä: - Totalität und Mitleid, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag: 2006. - Vom Glück in der Moderne, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2003. - Heidegger-Handbuch, Herausgeber, Stuttgart: J.B. Metzler Verlag 2003.

Saskia Wendel: Homo Religiosus? Zur Verhältnisbestimmung von Reli­ giosität und Selbstbewusstsein Während meiner Tätigkeit am Max-Weber-Kolleg möchte ich mich der Arbeit an zwei Forschungsprojekten widmen, zum einen einem religionsphilosophischen Projekt

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zur Verhältnisbestimmung von Religiosität und Selbstbewusstsein, zum anderen einem fundamentaltheologischen Projekt zur theologischen Anthropologie.

Projekte der Fellows Im Rahmen des reli­gionsphilosophischen Projektes „Homo Religiosus? Zur Verhältnisbestimmung von Religiosität und Selbstbewusstsein“ führe ich meine bereits an der Universität Tilburg (NL) begonnenen Forschungen hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs und der Bedeutung von Religiosität weiter, und dies im Blick sowohl auf die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen des Aufkommens des kulturellen Phänomens „Religion“ als auch auf die Frage nach einer Kriteriologie für die Abgrenzung von Religion und Nichtreligion. Ich gehe dabei von der These aus, dass beide Fragen durch die zu leistende Bestimmung des Religiositätsbegriffs (im Unterschied zum Begriff der Religion) zu beantworten sind. Religiosität verstehe ich dabei im kritischen Anschluss an entsprechende Überlegungen Dieter Henrichs als Gefühl der Verdanktheit von einem Unbedingten, das im Selbstbewusstsein aufkommt und dem material bestimmte Religionen im Sinne von religiösen Überzeugungen, Praxen, Institutionen, Systemen entspringen. Zur Begründung und Durcharbeitung dieser These greife ich sowohl auf Traditionen der Transzendentalphilosophie und des Deutschen Idealismus (Fichte, Hegel, Schleiermacher) als auch auf phänomenologische Traditionen (MerleauPonty, Henry) zurück. Dabei steht die Klärung von drei Begriffen im Zentrum: die epistemologische Klärung des Begriffs des Gefühls und die damit verknüpfte Differenzierung von Erfahrung und Erleben im Blick auf das, was als „religiöses Gefühl“ bezeichnet wird, die bewusstseinsphilosophische Klärung der Begriffe „Bewusstsein“ und „Selbstbewusstsein“ und deren Bezug auf das philosophische Verständnis von Subjektivität – insbesondere vor dem Hintergrund naturalistischer Erklärungen des Aufkommens von Bewusstsein, aber auch von Religiosität – sowie die transzendentalphilosophische Bestimmung des Begriffs des Unbedingten in Unterscheidung zu den Begriffen „Transzendenz“ und „Unendliches“, durch die erst das Gefühl der Verdanktheit als ein genuin religiöses Gefühl gekennzeichnet werden kann. Diese Reflexionen richten ihr besonderes Augenmerk auf mehrere Fragen, die auftreten können, wenn man das Aufkommen von Religiosität an das Selbstbewusstsein zu binden sucht: 1) die Frage, ob mit dem genannten Verständnis von Religiosität auch ein substanzieller Begriff von Religion vertreten wird, 2) die Frage, ob Religiosität als „anthropologische Grundkonstante“ verstanden wird, was eine Unterbestimmung des Freiheitsverständnisses gerade im Blick auf Religiosität und Religion zur Folge haben könnte, 3) die Frage, ob Religiosität, gekennzeichnet als ein Gefühl, das im Selbstbewusstsein aufkommt, notwendigerweise der epistemische Status unmittelbaren Wissens zugesprochen werden muss, 4) die Frage, inwiefern Religiosität, verstanden als rein formaler Begriff, für den leiblichen Ausdruck des reli­ giösen Gefühls und für die materiale Bestimmung durch Zeichengebrauch offen sein kann; denn andernfalls könnte Religiosität gar nicht als Möglichkeitsbedingung „gelebter Religion“ fungieren. Das Projekt zur theologischen Anthropologie mit dem Titel „Das inkarnierte Subjekt als Bild Gottes“ greift die Forderung von Jürgen Habermas nach einer Übersetzungsleistung religiöser in säkulare Gehalte auf und konzentriert sich dabei auf das Motiv der Gottebenbildlichkeit und dessen Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung des Gedankens der Würde der Person. Dabei soll je-

doch deutlich werden, dass die geforderte Übersetzungsleistung keine „Einbahnstraße“ ist, denn die „imago Dei“-Lehre der jüdisch-christlichen Tradition hätte unbeschadet ihres biblischen Hintergrundes nicht ohne philosophische Einflüsse formuliert und weiter entwickelt werden können, wie sie umgekehrt auf die Formulierung etwa neuzeitlicher Subjekt- und Freiheitsphilosophien und deren Konzeptionen von Saskia Wendel Menschenwürde einen zentralen Einfluss hatte. Das Projekt will zudem einen Beitrag dazu leisten, eine theologische Anthropologie zu formulieren, in der die modernen Kernmotive Subjektivität und Freiheit als Bestimmungen des Daseins sowie die Bedeutung der Leiblichkeit für den Vollzug des Daseins eine zentrale Rolle spielen – eine wichtige Bedingung dafür, die Tragfähigkeit der christlichen Überlieferung auch vor dem Forum der modernen Vernunft rechtfertigen zu können und damit auch dafür, von theologischer Seite die Kompatibilität des Christentums mit der Moderne aufweisen zu können. Diese Aufgabe erscheint umso dringlicher, als Stimmen sowohl innerhalb wie außerhalb der christlichen Kirchen immer lauter werden, die diese Kompatibilität anzweifeln oder gar ablehnen. In dem Projekt geht es zunächst um eine Reformulierung des Gedankens der Gottebenbildlichkeit in den Bahnen neuzeitlicher Subjekt- und Freiheitsphilosophie insbesondere transzendentalphilosophischer Provenienz. Hier wird auch auf die antiken philosophischen Wurzeln der „imago Dei“-Lehre und auf die Bedeutung mittelalterlicher Intellekt- und Seelengrundspekulationen eingegangen. Im Rahmen dieser Überlegungen wird es auch erforderlich sein, sich mit aktuellen naturalistischen Bestreitungen etwa der menschlichen Freiheit auseinanderzusetzen. Diese Reformulierung soll durch phänomenologische Überlegungen zur Einschreibung der Leiblichkeit in den Gedanken der Gottebenbildlichkeit ergänzt werden sowie durch Überlegungen dazu, inwiefern zur Bestimmung des Menschen als Bild Gottes das Motiv der Einmaligkeit (Subjektivität) und der Freiheit des einzelnen Daseins unauflöslich mit dem Aspekt der wechselseitigen Anerkennung und der Beziehung (Personalität, Relationalität) verbunden ist. In einem letzten Schritt soll verdeutlicht werden, inwiefern das skizzierte Verständnis des menschlichen Daseins als Bild Gottes für weitere theologisch-anthropologische Reflexionen über die grundsätzliche Erlösungsbedürftigkeit desjenigen Daseins, dem einerseits als Bild Gottes eine unveräußerliche Würde zukommt, das andererseits aber unauflöslich in Schuld und Tod verstrickt ist, anschlussfähig ist. Wichtigste neuere Arbeiten von Saskia Wendel: - Christliche Mystik. Eine Einführung, Regensburg u.a.: Topos Plus 2004. - Affektiv und inkarniert. Ansätze Deutscher Mystik als subjekttheoretische Herausforderung, Regensburg: Pustet 2002.

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Projekte der Fellows Stephan Moebius: Die elementaren Diskurse der Gabe. Marcel Mauss’ paradigmatische Wirkung auf die Sozial- und Kulturtheorien (Juniorprofessor) Das Projekt ist ein längerfristig angelegtes Vorhaben, das sowohl die soziologiegeschichtliche Wirkung von Marcel Mauss (1872-1950) als auch die in seinem berühmten Essay über die Gabe (1925) angelegte allgemeine Theorie der Verpflichtung und Besessenheit behandelt. Der Neffe und Schüler des Soziologen Emile Durkheim prägte nach dem Ersten Weltkrieg nachhaltig die französische Soziologie, beStephan Moebius gründete in der Zwischenkriegszeit die Ethnologie in Frankreich und inspirierte mit seinem Werk unterschiedliche, auch gegenwärtig relevante sozial- und kulturwissenschaftliche Theorien. Bedeutung und Wirkungen des Denkens von Mauss auf zentrale Theorien und Thematiken der Geistes- und Sozialwissenschaften wurden bislang weder in Frankreich noch in der internationalen Forschung umfassend untersucht. In einem ersten Projektteil, den ich im Rahmen einer DFG-geförderten Stelle an der Universität Freiburg bearbeitet habe, wurden Mauss’ Denken in dem real-, soziologie- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext verortet, die für ihn selbst formenden Einflüsse herausgearbeitet, seine zentrale Rolle für die Institutionalisierung der Durkheim-Schule untersucht und seine politischen Schriften und Aktivitäten erforscht. Bei dem nun am Max-Weber-Kolleg zu bearbeitenden zweiten Projektteil stehen sowohl die disziplinären als auch interdisziplinären Wirkungen sowie handlungstheoretische und wertkonstitutive Implikationen des Maussschen Denkens im Vordergrund. Die Analyse der Wirkungsgeschichte von Mauss soll sich dabei auf zwei Dimensionen beziehen: Zunächst soll das Feld der Mauss-Rezipienten den einzelnen Fachdisziplinen zugeordnet werden. Behandelt werden hier die Soziologie, die Ethnologie und die Philosophie. Innerhalb und zwischen den Fachgrenzen werden dann bestimmte Diskurszusammenhänge des Gabe-Denkens aufgedeckt. Diese Diskurszusammenhänge entstehen aus den an Mauss’ Denken unmittelbar anschließenden und in mehreren Generationen geführten Debatten zwischen Vertretern anti-utilitaristischer, symbolisch-strukturalistischer und kreativ-schöpferischer Positionen und Denktraditionen, die in der zweiten Generation in einer praxeologischen Programmatik konvergieren. Die Forschungen sollen zum einen zur Verbreitung des kulturtheoretischen und praxeologischen Paradigmas der Gabe beitragen. Zum anderen sollen sie deutlich machen, dass in der Rezeption des Gabe-Theorems die für das Verständnis der Gabe konstitutiven Erfahrungen von Selbsttranszendenz, Besessenheit und Ergriffenheit bislang kaum Erwähnung gefunden haben (im Gegensatz etwa zu der im Gabe-Theorem ebenfalls zu 10

findenden Thematik der Reziprozität). Eine These lautet dabei, dass die werte- und sozialbindenden Dimensionen der Gabe nicht allein reziprozitätstheoretisch oder durch die formale Äquivalenz der Gabepartner erklärt werden können – eine Position, die insbesondere der strukturalistisch-symbolische Rezeptionspol vertritt. Vielmehr gilt es zu analysieren, welche handlungstheoretischen und wertkonstitutiven Implikationen und sozialen Bindungskräfte die in der Gabe angelegten und nicht auf Reziprozität reduzierbaren Erfahrungen des Ergriffenseins und der Selbsttranszendenz haben. Die Bearbeitung des Projekts wird durch eine DFGfinanzierte Mitarbeiterstelle unterstützt. Für den Herbst 2008 ist eine Tagung zum Thema „Die Bedeutung von Marcel Mauss für die Kulturwissenschaften“ geplant. Wichtigste neuere Arbeiten von Stephan Moebius: - Robert Hertz: Das Sakrale, die Sünde und der Tod. Religions-, kultur- und wissenssoziologische Untersuchungen, Herausgeber zusammen mit Christian Papilloud, Konstanz: UVK 2007. - Marcel Mauss, Konstanz: UVK 2006. - Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie, Konstanz: UVK 2006. - Gift – Marcel Mauss’ Kulturtheorie der Gabe, Herausgeber zusammen mit Christian Papilloud, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006. - Kultur. Theorien der Gegenwart, Herausgeber zusammen mit Dirk Quadflieg, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006. - Die soziale Konstituierung des Anderen. Grundrisse einer poststrukturalistischen Sozialwissenschaft nach Lévinas und Derrida, Frankfurt/New York: Campus 2003.

Kultur. Von den Klassikern der Kultursoziologie bis zur Gegenwart In Arbeit ist eine Monographie, die einen systematischen Überblick über Begriffe, Ansätze und Forschungsfelder der Kultursoziologie gibt, angefangen bei den soziologischen Klassikern bis hin zu aktuellen Kulturtheorien. Haben kulturtheoretische Fragestellungen bereits um 1900 im Mittelpunkt der Soziologie gestanden, so ist „Kultur“ schließlich seit dem so genannten cultural turn im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zum allgemeinen Leitbegriff der Geistes- und Sozialwissenschaften avanciert, die sich zunehmend als „Kulturwissenschaften“ verstehen. „Kultur“ ist fächerübergreifend einer der zentralen Schlüsselbegriffe gegenwärtiger Forschungen. Das Buch erscheint im transcript-Verlag Bielefeld in der Reihe „Einsichten. Themen der Soziologie“ und knüpft inhaltlich an das Buch Stephan Moebius/Dirk Quadflieg (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart (Wiesbaden: VS, 2006) an. Religion in der Gegenwart. Theorie und Forschung Geplant ist die Herausgabe eines zusammen mit Bernt Schnettler (TU Berlin) konzipierten Sammelbandes, der einen Überblick über aktuelle Ansätze sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung und Theorie zur Religion in der Gegenwart geben soll. Um deren Grundlegungen besser nachzuvollziehen, werden neben den gegenwärtigen Analysen ebenso unmittelbare „neoklassische“ Vorläufer vorgestellt. Wie nicht zuletzt die Beiträge zeigen sollen,

Projekte der Fellows hat die sozial- und kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Religion in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen. Dabei handelt es sich nicht einfach um einen Aufmerksamkeitszuwachs der Wissenschaft. Hier reflektiert sich vielmehr ein gesellschaftlicher und kultureller Wandel, in dessen Zuge Religion am Anfang

des 21. Jahrhunderts in ihren zahlreichen und wachsenden Gestalten und Ausdrucksformen eine – weithin ungeahnte – Renaissance erfahren hat. Der Band folgt einem Schema, das an den Forschungen bestimmter Wissenschaftler und deren für die Religionsforschung und -theorie relevanter Werke orientiert ist.

Laufende Projekte Winfried Brugger: Rechtsphilosophie des Grundgesetzes Ziel dieses Projektes ist ein Lehrbuch „Allgemeine Staatslehre“ in Form einer „Rechtsphilosophie des Grundgesetzes“. Dieses Projekt versucht die transnationalen Entwicklungen systematisch einzubinden und einen Aufbau des Lehrbuchs zu wählen, der das Verhältnis von Verfassung, Recht und Staat unter den gegenwärtigen Be-

dingungen angemessen erhellt. Hierbei werden wichtige verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Begriffe, Konzeptionen und Typen moderner Staatlichkeit behandelt sowie Reflexionen zum Normenbestand an Freiheits-, Gleichheits- oder Gemeinschaftsrechten des Grundgesetzes angestellt.

Winfried Brugger: Liberaler Kommunitarismus Im Zentrum des Projekts steht die (Re-)Konstruktion des liberalen Kommunitarismus als einer eigenständigen Theorievariante. Im zweiten Schritt soll anhand des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland dargelegt werden, wie sich liberaler Kommunitarismus in einer modernen Verfassung ausbuchstabiert. Im dritten Schritt sollen transnationale Öffnungen von Verfassungen thematisiert werden. Auch diese Entwicklung lässt sich kommunitaristisch interpretieren, denn der liberale Kommunitarismus geht zwar von einer „priority of the particular“ aus, zielt aber auf eine Über-

schreitung der Partikularmoral in Richtung Universalmoral ab. Wichtigste neuere Arbeiten von Winfried Brugger: - Das anthropologische Kreuz der Entscheidung in Politik und Recht, Baden-Baden: Nomos 2005. - Freiheit und Sicherheit. Eine staatstheoretische Skizze mit praktischen Beispielen, Baden-Baden: Nomos 2004. - Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, Mitherausgeber, Baden-Baden: Nomos 2002. - Demokratie, Freiheit, Gleichheit. Studien zum Verfassungsrecht der USA, Berlin: Duncker & Humblot 2002.

Hans G. Kippenberg: Sonderweg Europäische Religionsgeschichte Ein bleibendes Merkmal europäischer Religionsgeschichte (siehe dazu den Tagungsbericht, Nachrichten Nr. 7, S. 19) ist ein doppelter Pluralismus: neben einer Pluralität von Religionen (paganer Polytheismus, Christentum, Häresien, Judentum, Islam) ein Pluralismus gesellschaftlicher Ordnungen und Mächte (Religion, Wissenschaft, Philosophie, Recht, Kunst, Wirtschaft, Politik usw.).

Mein eigener Beitrag thematisiert die Interferenzen und Transfers von Recht und Religion. Mit der Rezeption des Römischen Rechts seit dem 12. Jh. sind die private Praktizierung von Ritualen und die Bildung religiöser Vereinigungen Tatbestände von Recht geworden. Die diesbezüglichen Juristendiskurse wurden für das Verständnis von Religion in den europäischen Gesellschaften folgenreich.

Hans G. Kippenberg: Religiöse Gewalt aus handlungstheoretischer Sicht Medien und Politik betrachten religiöse Gewalt als Auswuchs irregeleiteter „Kulte“ bzw. menschenverachtenden „Terrors“ und sprechen den Tätern genuin religiöse Überzeugungen ab. Das Vorhaben bearbeitet den Sachverhalt aus anderer Perspektive. Soziologen lehren, dass zu jedem Handeln eine Definition der Situation gehört, aus der es seine Berechtigung und seine Bedeutung gewinnt. Die Definition ergibt sich jedoch nicht zwingend aus der Situation selber, sondern wird ihr von den Akteuren erst gegeben. Dabei erklären sie die Werte und Vorbilder ihrer religiösen Gemeinschaft nicht unabhängig von der Situation, in der sie sich befinden, für praktisch verbindlich. Von einem zwingend notwendigen Zusammenhang zwischen Monotheismus und praktizierter Intoleranz kann man daher nicht ausgehen. Um religiöse Gewalt als situationsbezogene Handlung zu rekonstruieren, wird der Fokus nicht auf die Motive der Täter, sondern auf die Bedeutung der Tat gerichtet.

Die von mir untersuchten Fälle zeigen, dass Gewalthandlungen als heilsgeschichtliche Akte vollzogen werden können. Regelmäßig stützen sich die Täter auf moderne Endzeittheologien, die die Gegenwart als eine Epoche deuten, in der die Mächte des Bösen an Macht zunehmen, bis sie schließlich am Ende der Zeit gewaltsam vernichtet werden. Wir finden im Islam, Judentum und Christentum Gemeinschaften, die sich kraft dieser Geschichtsschau von der dominanten Kultur abwenden und Netzwerke eigener sozialer Institutionen aufbauen („Enklaven“). Allerdings ist ihre Definition der Situation im Blick auf die die daraus abgeleiteten ethischen Forderungen ambivalent. Neben einer militanten Gesinnungsethik, die vom Gläubigen den bedingungslosen Kampf gegen das Böse verlangt, gibt es auch die Forderung, der Gläubige möge sich seiner Verantwortung für das Sozialwerk bewusst bleiben und das Ende nicht herbeizwingen wollen, sondern Geduld üben. Diese Ambivalenz weicht dann jedoch 11

Projekte der Fellows einer gewalttätigen Eindeutigkeit, wenn die Existenz der sozialen Enklave von außen bedroht wird. Medien und staatliche Instanzen, die ihnen den Kampf ansagen, tragen daher ihrerseits zur Eskalation von Gewalt und zur Beschleunigung von Gewaltspiralen bei. Die Einzelvorhaben: 1.) In Vorbereitung ist eine Monographie mit dem Titel „Gewalt als Gottesdienst. Schauplätze und Handlungsskripte religiöser Gewalt“. 2.) Eine Edition mit Kommentar und Analysen der „Geistlichen Anleitung“ der Attentäter vom 11. September ist im Herbst 2006 auf Englisch erschienen; sie ist gegenüber der deutschen Ausgabe erweitert und überarbeitet. 3.) Ein Projekt „Islamische Diskurse über die Berechtigung von Gewalt“ wird im Rahmen des Verbundprojektes „Mobilisierung von Religion in Europa“ bearbeitet.

Wichtigste neuere Arbeiten von Hans G. Kippenberg: - The 9/11 Handbook. Annotated Translation and Interpretation of the Attackers’ Spiritual Manual, Herausgeber zusammen mit Tilman Seidensticker, London: Equinox 2006. - Wörterbuch der Religionen, Herausgeber zusammen mit Christoph Auffarth und Axel Michaels, Stuttgart: Kröner Verlag 2006. - Interdisziplinarität als Lernprozeß. Erfahrungen mit einem handlungstheoretischen Forschungsprogramm, Herausgeber zusammen mit Hans Joas, Göttingen: Wallstein 2005. - Die verrechtlichte Religion. Der Öffentlichkeitsstatus von Religionsgemeinschaften, Herausgeber zusammen mit Gunnar F. Schuppert, Tübingen: Mohr Siebeck 2005. - Terror im Dienste Gottes. Die „geistliche Anleitung“ der Attentäter des 11. September 2001, Herausgeber zusammen mit Tilman Seidensticker, Frankfurt/Main: Campus 2004.

Wolfgang Reinhard: Textkultur und Lebenspraxis Arbeiten zur europäischen Geschichte und zur Geschichte der europäischen Expansion haben gezeigt, dass und wie jahrtausendelanger Umgang mit bestimmten Texten, nämlich der Bibel und der antiken Literatur, die europäische Kultur mental geprägt und auf diese Weise wichtige Verhaltensmuster hervorgebracht hat. Die Europäer wurden dabei zu den besten Fremdsprachenphilologen der Welt. Außerdem führte die Notwendigkeit, Texte aus fremden Kulturen in den Horizont der eigenen zu übertragen – etwa die jüdische Bibel durch entsprechende Auslegung in das christliche Alte Testament zu verwandeln – zu dem Anspruch, generell andere besser zu verstehen, als diese sich selber verstehen können. Das befähigte die Europäer, fremde Völker nicht nur militärisch, sondern auch mental zu überwältigen und jenen die eigene Kultur aufzuprägen. Dazu gehören die Wissenschaften von fremden Völkern und Kulturen, die bezeichnenderweise in Europa entstanden sind. Binneneuropäisch entwickelte sich daraus eine allgegenwärtige Auslegungspraxis auf so unterschiedlichen Feldern wie Theologie und Philosophie, Rechtsanwendung und Psychoanalyse, bis hin zum

schulischen Sprachunterricht, vor allem dem deutschen Aufsatz. Insofern ist Hermeneutik zur abendländischen Lebensform geworden. Nun weisen das Judentum, der Islam, das hinduistische Indien, die Buddhismen, China und Japan aber ebenfalls normative Texte von zentraler kultureller Bedeutung auf. Also hat auch hier der ständige Umgang mit ihnen das Verhalten der Eliten und damit die betreffende Kultur nachhaltig geprägt, allerdings offenbar auf andere Weise und mit anderen Ergebnissen als in Europa. Ziel des Projekts ist es, in Zusammenarbeit vor allem mit Kollegen der Orientalistik und der Theologie den kulturell unterschiedlichen Umgang mit Texten und die unterschiedlichen kulturellen Folgen vergleichend zu untersuchen. Es handelt sich um ein Großprojekt, das seit 1986 vorbereitet wurde und seit 1998 betrieben wird. Derzeitiges Nahziel ist die Erstellung eines für 2008 geplanten Aufsatzbandes, in dem sieben Fachleute für die verschiedenen Kulturen im Vorgriff eine Zwischenbilanz des derzeitigen Wissenstandes versuchen sollen.

Wolfgang Reinhard: Kultur römischer Mikropolitik im frühen 17. Jahrhundert Bei diesem Projekt handelt es sich um die planmäßige Auswertung einer prosopographischen Datenbank zur römischen Kurie, vorletzter Arbeitsgang vor der Niederschrift eines Buches mit dem Titel „Papst Paul V. Borghese 1605-1621. Papstherrschaft – Familienklientel – Mikropolitik. Eine andere Papstgeschichte“. Diese alternative Papstgeschichte in historischanthropologischer Absicht bildet den Abschluss eines seit 1966 betriebenen Großprojekts zur römischen Mikropolitik. Die prosopographische Kuriendatenbank umfasst Datensätze zu 2338 Personen und 454 mit diesen verknüpfte Ämterlisten. Durch ihre quantifizierende wie qualifizierende Auswertung sollen grundlegende Erkenntnisse über mikropolitische Verhaltensmuster und ihren sozio-kulturellen Hintergrund einerseits, über die Zusammensetzung der Netzwerke andererseits gewonnen werden. Wie verlaufen zum Beispiel typische Kurialenkarrieren? Welche Rolle spielen Recht und Rechtsstudium dabei? Nach welchen Spielregeln vollziehen sich Nepotismus und Patronage? Was haben die 12

Formeln des Patronagediskurses in Briefen konkret zu bedeuten? Welche Rolle spielt das zentrale Netzwerk des Kardinalnepoten, der anstelle des zur Neutralität verpflichteten Papstes die Familienklientel dirigiert? Wie funktionieren die rivalisierenden Netzwerke der Kronen von Spanien und Frankreich, wie diejenigen der rivalisierenden kirchenstaatlichen Städte Bologna und Ferrara? Die möglichen Fragestellungen zählen nach Dutzenden. Wichtigste neuere Arbeiten von Wolfgang Reinhard: - Krumme Touren. Anthropologie kommunikativer Umwege, Autor und Herausgeber, Wien: Böhlau 2007. - Geschichte des modernen Staates, München: C.H.Beck 2007. - Menschen und Märkte. Studien zur historischen Wirtschaftsanthropologie, Herausgeber zusammen mit Justin Stagl, Wien: Böhlau 2007. - Unsere Lügengesellschaft (Warum wir nicht bei der Wahrheit bleiben), Hamburg: Murmann 2006. - Grenzen des Menschseins. Probleme einer Definition des Menschlichen, Herausgeber zusammen mit Justin Stagl, Wien: Böhlau 2005.

Projekte der Fellows

Abgeschlossene Projekte Hermann Deuser (10/2006 - 09/2007), Abschlussbericht (Auszug): Die für das akademische Jahr 2006/07 geplanten Arbeiten bezogen sich besonders auf diejenigen Kapitel des Lehrbuchs Religionsphilosophie, in denen die sozial- und kulturtheoretischen Religionsauffassungen moderner Autoren wie W. James, M. Weber, E. Troeltsch, N. Luhmann zu behandeln sind. Der inspirierende Austausch über die jeweiligen Forschungsprojekte am Kolleg hat dieses Vorhaben sehr unterstützt. So konnte ich M. Webers Text über „Religiöse Gemeinschaften“ (1913/14, hg. und kommentiert von Hans Kippenberg [2001/05]) in meine Ausarbeitungen einbeziehen und die entsprechenden Kapitel schreiben; die daran anschließende Bearbeitung der Stellung von E. Troeltsch wird unmittelbar folgen und ist durch das Gespräch mit Gangolf Hübinger bestens vorbereitet. Darüber hinaus aber hat die Herausforderung, meine eigenen Vorstellungen zur Religionsphilosophie zu präsentieren, dazu geführt, dass die einleitenden Kapitel zur Übersicht und zur Abgrenzung der Begriffe Religion und Religionsphilosophie und Religionsphilosophie und Theologie im Manuskript bereits fertiggestellt werden konnten. Es sind wissenschaftstheoretische Aspekte, die im Blick auf die – häufig als problematisch empfundene – Rolle der Religion (des Christentums, der Theologie) in der Moderne zur Klärung beitragen werden, darunter die Fragen nach Metaphysik und Religion, Religion und Evolution, Säkularisierung und Religiosität. Wesentliche Entdeckungen dazu verdanke ich der Diskussion sozialphilosophischer Forschungsprojekte am Kolleg und der dadurch angeregten eigenen Lektüre neuerer Sozialtheorien. Wichtige Ausarbeitungen zu diesen Themengebieten konnten durchgeführt werden. Genannt werden muss aber auch, dass sich über die eigenen Arbeitsplanungen und erreichten Ergebnisse hinaus auch überraschend neue Erfahrungen und Ideen ergeben haben. Sie resultieren aus den regelmäßigen und immer gemeinsamen Kolloquien zu den ganz unterschiedlich orientierten Arbeitsfeldern der Fellows bzw. der Kollegiatinnen und Kollegiaten. Aus diesen intensiven Diskussionsrunden ist gerade auch dann zu ler-

nen, wenn eine neue Thematik die eigenen Forschungsinteressen und ihre gewohnten Grenzziehungen erheblich überschreitet. Es kommt dann zu einer Fülle von Anregungen, neuen Bezügen, Literaturkenntnissen, kurz: zu dem, was wirklich den Begriff der Horizonterweiterung verdient. Voraussetzung dafür sind fachliche Qualifikation, Dialogfähigkeit und Diskussionskultur, wie sie in der Tat dem Max-Weber-Kolleg eigen sind. Wichtigste neuere Arbeiten: a) Metaphysik und Religion. Die Wiederentdeckung eines Zusammenhanges, Herausgeber, Gütersloh 2007 (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, Bd. 30). b) Søren Kierkegaard als Religionsphilosoph der Moderne, in: „Die Grenze des Menschen ist göttlich“. Beiträge zur Religionsphilosophie, hg. v. K. Dethloff/L. Nagl/Fr. Wolfram, Berlin 2007, 121-139. c) Christologische Motive in den Christlichen Reden (dritte und vierte Abteilung), in: Kierkegaard Studies. Yearbook 2007, hg. v. N.J. Cappelørn/H. Deuser/K.B. Söderquist, Berlin/New York, 293-317. d) Gottes Poesie oder Anschauung des Unbedingten? Semiotische Religionstheorie bei C.S. Peirce und P. Tillich, in: Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, Bd. 2 (2006): Das Symbol als Sprache der Religion, hg. v. Chr. Danz/W. Schüßler/E. Sturm, Wien/Berlin 2007, 117-134. e) „Und hier hast du übrigens einen Widder.“ Genesis 22 in aufgeklärter Distanz und religionsphilosophischer Metakritik, in: Opfere deinen Sohn! Das ‚Isaak-Opfer‘ in Judentum, Christentum und Islam, hg. v. B. Greiner/B. Janowski/H. Lichtenberger, Tübingen 2007, 1-17. f) Art. „Sinn“, in: Basiswissen Kultur und Religion. 101 Grundbegriffe für Unterricht, Studium und Beruf, hg. v. B.-I. Hämel/Th. Schreijäck, Stuttgart 2007, 132-134. g) Einleitung zur Kontroverse „Auferstehung der Toten - eine individuelle Hoffnung?“, in: Zeitschrift für Neues Testament 10 (2007), H. 19, 44.

Gerald Hartung (10/06 - 05/07), Abschlussbericht (Auszug): Die kurze Zeit meines Forschungsaufenthaltes am MaxWeber-Kolleg war durch intensive Gespräche mit den Fellows und Kollegiaten geprägt. Ich habe eine Fülle von Anregungen mitnehmen können, für die ich meinen Gesprächspartnern sehr dankbar bin. Die Unterstützung bei der Forschungsarbeit durch die Mitarbeiter des Kollegs war herausragend und verdient höchste Anerkennung. Die Arbeit am Projekt „Jüdisches Sprachdenken in Deutschland (1780-1933). Jüdisch-deutsche Beiträge zur Sprachtheorie und zum Kulturbegriff der Moderne“ selbst ist eine kleine Erfolgsgeschichte. In materialer Hinsicht hat sich die Forschungshypothese vollauf bestätigen lassen. Tatsächlich wird die Geschichte des jüdischen Sprachdenkens in Deutschland, die ihre Blütezeit zwischen 1780 und 1933 hatte, auch in unserer Zeit fortgeschrieben. Die jüdisch-deutsche Geistesgeschichte ist gekennzeichnet von einem gemeinsamen Ideentrans-

fer über anderthalb Jahrhunderte, von Kant und Mendelssohn bis zu Rosenzweig, Cassirer und auf ihren Wirkungslinien bis in unsere Tage. Die Erforschung dieser Zusammenhänge ist aber immer noch ein Forschungsdesiderat. Eine von mir vorgenommene Tiefenbohrung zum Thema „Sprachwissenschaft und Kulturtheorie/Lazarus Geigers Theorie der Sprachentwicklung im Kontext“ hat gezeigt, dass im Schatten des Darwinismusstreits in der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts eine Einheitstheorie von Natur und Geist entworfen wird, die den Kern des Sprachproblems – die Einheit in der Vielheit unter der Bedingung geschichtlicher Entwicklung – nicht mehr als Ursprungsfrage, sondern als Aspekt einer entwicklungsoffenen Zukunft der Menschheit behandelt. Die Implikationen dieses Paradigmenwechsels sind kaum zu überschätzen. Ein von mir organisierter (und von der Thyssen-Stiftung finanzierter) Internationaler Workshop am Max13

Projekte der Fellows Weber-Kolleg hat Vertreter verschiedener Disziplinen, von der Sprachwissenschaft über die Kulturwissenschaft bis zur Philosophie, Literaturwissenschaft, Judaistik und Theologie zusammengeführt. Die Beiträge dieser Veranstaltung werden im Frühjahr 2008 unter dem Titel „Judentum und Sprachdenken. 18. bis 20. Jahrhundert“ beim Fink-Verlag (Reihe: Makom) publiziert werden.

Teilnehmer des Workshops „Jüdisches Sprachdenken in Deutschland (18.-20. Jh.). Beiträge zur Sprach- und Kulturtheorie der Moderne“ vom 8. bis 10. März 2007 am MaxWeber-Kolleg

Zuguterletzt ist ein Antrag zur Finanzierung einer dreijährigen Forschungskooperation (Titel: Jüdisches Sprachdenken. The History of the German-Jewish Contribution to Modern Linguistics and Cultural Theory) zwischen dem Max-Weber-Kolleg und dem RosenzweigResearch-Center (Jerusalem), den ich im Herbst 2006 bei der German-Israeli Foundation gestellt habe, bewilligt worden. Von Januar 2008 an wird Dr. Sabine Sander als Projektmitarbeiterin am Max-Weber-Kolleg tätig sein. Wir werden gemeinsam in der Laufzeit des Projekts unsere Forschungsarbeit vorantreiben und Workshops zum Thema in Jerusalem und Erfurt durchführen.

Wichtigste neuere Arbeiten: a) Friedrich Adolf Trendelenburgs Wirkung, Herausgeber zusammen mit K. Ch. Köhnke, Eutiner Forschungen. Bd. 10, Eutin: Eutiner Landesbibliothek 2006. b) Vorboten des modernen Liberalismus. Zur Entstehung des Konzepts subjektiver Rechte in der Frühen Neuzeit. In: M. Kaufmann/L. Schnepf (Hg.): Politische Metaphysik. Frankfurt/M. 2007, S. 239-255. c) Das Lager als Matrix der Moderne? Kritische Reflexionen zum biopolitischen Paradigma. In: L. Schwarte (Hg.): Auszug aus dem Lager. Zur Überwindung des modernen Raumparadigmas in der politischen Philosophie. Berlin-Bielefeld 2007, S. 96-109. d) Toleranz und Politik. In: Ethische Reflexionen zu Themen des Rahmenlehrplans Ethik. Hg. v. der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport. Landesinstitut für Schule und Medien. Berlin 2007, S. 60-64. e) Noch eine Erbschaft Hegels. Der geistesgeschichtliche Kontext der Kulturphilosophie. In: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft. 113. Jg. 2. Hlbbd. Freiburg-München 2006, S. 382-396. f) Das Ende der Toleranz? Ein Versuch über die Geschichte des Toleranzbegriffs. In: G. Frank/A. Hallacker/ S. Lalla (Hg.): Erzählende Vernunft. Berlin 2006, S. 353366. g) Wozu Ethische Untersuchungen? Trendelenburgs Grundlegung einer Theorie der menschlichen Welt. In: G. Hartung/K. C. Köhnke (Hg.): Friedrich Adolf Trendelenburgs Wirkung. Eutiner Forschungen, a.a.O., S. 83-103. h) Theorie der Wissenschaften und Weltanschauung. Aspekte der Aristoteles-Rezeption im 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 60. Heft 2, hg. v. O. Höffe u. C. Rapp. Frankfurt/M. 2006, S. 290309. i) Albert Schweitzer als Kulturphilosoph. In: Michael Hauskeller (Hg.): Ethik des Lebens. Albert Schweitzer als Philosoph. Zug/Schweiz 2006, S. 88-111. j) Kritik am Lebensbegriff. Umrisse einer politischen Philosophie nach Foucault. In: K. Schwarzwald, T. Grave u. A. Philipps (Hg.): Kritik-Entwürfe. Beiträge nach Foucault (KritikMächte – Interdisziplinäre Perspektiven, Bd. 1., hg. v. V. Caysa). Münster 2006, S. 111-135.

Gangolf Hübinger (10/2006 - 09/2007), Abschlussbericht (Auszug): Die Zeit als Fellow am Max-Weber-Kolleg war zwei Publikationsvorhaben gewidmet: 1. Edition und Einleitung zu Max Webers letzter Vorlesung über „Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie)“, Sommersemester 1920 in München. (Erscheint als Bd. III/7 der Max Weber-Gesamtausgabe (MWG), München: Mohr Siebeck 2008.) 2. Probleme der Kulturgeschichte. (Erscheint in der Reihe „Grundkurs Neuere Geschichte“, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008.). Zum 1. Projektteil, Max Webers „Staatssoziologie“. Im Zentrum des Fellow-Jahres standen editorische Vorbereitung und Einleitung von Webers allerletzter Vorlesung im nachrevolutionären München vom Sommersemester 1920. Die beiden zu dieser Vorlesung vorhandenen Nachschriften wurden erstmals vollständig transkribiert. Disposition und Aufbau der Vorlesung wurden anhand dieser Nachschriften systematisch auf Parallelen und 14

Differenzen zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ hin geprüft. Das im Winter 1919/1920 verfasste dritte Kapitel in „Wirtschaft und Gesellschaft“ über „die Typen der Herrschaft“ galt bislang als Webers letztes Wort in Sachen Staats- und Herrschaftssoziologie. Durch die Edition der Nachschriften lässt sich nunmehr zeigen, dass Weber mit der Architektur seiner soziologischen Begrifflichkeit insbesondere zur Analyse demokratischer Herrschaft in modernen Massengesellschaften nach wie vor experimentierte. Die in der Erfurter Zeit geschriebene Einleitung zu dieser Edition ist in vier Abschnitte gegliedert. Sie stellt Webers Vorlesung über „Staatssoziologie“ erstens in ihre wissenschaftsgeschichtlichen Bezüge und verfolgt die Wanderung des Vorlesungstypus „Allgemeine Staatslehre und Politik“ durch die unterschiedlichen Disziplinen, vornehmlich Geschichtswissenschaft, Staatsrecht und Nationalökonomie. Sie verortet die Vorlesung zweitens im Kontext von Webers politischen Zeitdiagnosen seit dem

Projekte der Fellows Ersten Weltkrieg. Drittens werden die intellektuellen und biographischen Umstände von Webers Rückkehr in die akademische Lehre im revolutionären München dargestellt. Im vierten Abschnitt wird die Vorlesung in die Bezüge seines Spätwerks gesetzt; das betrifft insbesondere den Ort gegenüber „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ (1918), „Politik als Beruf“ (1919) und dem von ihm noch autorisierten Kapitel über die „Typen der Herrschaft“ für die neue Fassung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1919/20). Deutlich wird in der wissenschaftsgeschichtlichen Verortung, wie stark Webers „staatssoziologische“ Betrachtungsweise mit allen bisherigen Traditionen dieses etablierten Vorlesungstypus einer „Allgemeinen Staatslehre und Politik“ bricht. Zum 2. Projektteil, „Probleme der Kulturgeschichte“. Der ursprüngliche Titel dieses Teilprojektes lautete „Die kulturelle Doppelrevolution um 1900“. Damit bezeichne ich die Revolutionierung aller kulturellen Orientierungen durch die erkenntniskritisch fundierte Neuordnung des wissenschaftlichen Wissens einerseits und durch den Strukturwandel von der bürgerlichen Elitenkultur zur demokratisierten Massenkommunikationsgesellschaft andererseits. Die Frage, wie diese gleichzeitige kulturelle Revolution „von oben“ wie „von unten“ um 1900 zu einer prinzipiell neuen Art wissenschaftlicher, künstlerischer und politischer Selbstbeobachtung der Industriegesellschaften führte, stand im Mittelpunkt der Untersuchungen. Das stimulierende „Reizklima“ in den Diskussionsrunden des Kollegs, wofür ich Fellows und Kollegiaten außerordentlich danke, hat hier zu einer Erweiterung der Thematik geführt. Ich habe das Angebot angenommen, für eine neue Vandenhoeck-Reihe den umfassenderen Band „Probleme der Kulturgeschichte“ zu schreiben. Der Reiz liegt darin, in Anlehnung an das „Weber-Paradigma“ die Grundaufgaben der Kulturgeschichte primär über „die gedanklichen Zusammenhänge der Probleme“ und weniger über „die sachlichen Zusammenhänge der Dinge“ zu identifizieren. Für ein solches Buch, dessen Herzstück die kulturelle Doppelrevolution um 1900 bleiben wird, wurden die Feingliederung entworfen und die thematischen Schwerpunkte ausgetestet. Der folgende Aufbau hat sich dabei ergeben: (I.) Einleitung zur kulturanthropologischen Wende des Geschichtsdenkens seit Jacob Burckhardt; (II.) Probleme und Perspektiven der Kulturgeschichte in wissenschaftshistorischen und theo-

retischen Ausprägungen; (III.) Die kulturelle Doppelrevolution um 1900 als „Achsenzeit“ für die Wissenschaften vom Menschen wie für Massendemokratisierung und Medienrevolution; (IV.) Wissen, Religion und Herrschaft als spezifische Problemfelder kulturellen Wandels; (V.) in Anlehnung an die Debatten um die „kulturellen Werte Europas“ ein Kapitel über Europäische Kultur und Weltgeschichte, schließlich (VI.) ein Schlusskapitel über Prozesse kultureller Vergesellschaftung mit dem Ziel, Chancen einer neuen Kooperation von Kultur-, So­zialund Politikgeschichte aufzuzeigen und die nach dem „cultural turn“ theoretisch überdramatisierte Trennung von historischen Teildisziplinen zu überwinden. Kleinere Teilkapitel wurden im Fellow-Jahr bereits geschrieben. Recherchen wurden nicht zuletzt durch die Qualität der Seminarpapiere und die intensiven Diskussionen angeregt. Es ist beabsichtigt, nach Abschluss dieses Buches im kommenden Jahr die Arbeit an einer vergleichenden europäischen Geschichte der kulturellen Doppelrevolution um 1900 fortzuführen. Wichtigste neuere Arbeiten: a) Europäische Umwertungen. Nietzsches Wirkung in Deutschland, Polen und Frankreich, Herausgeber zusammen mit Andrzej Przylebski, Frankfurt/Main: Peter Lang 2007. b) Ernst Troeltsch: Fünf Vorträge zu Religion und Geschichtsphilosophie für England und Schottland. Christian Thought. Its History and Application (1923)/Der Historismus und seine Überwindung (1924), Herausgeber in Zusammenarbeit mit Andreas Terwey, Berlin: de Gruyter 2006 (Bd. 17 der Ernst Troeltsch – Kritische Gesamtausgabe). c) The Protestant Ethic in Protestant Thought. Max Weber in Protestant Memory, in: European Journal of Political Theory 5 (2006), S. 455-468. d) Geschichtskonstruktion und Gedächtnispolitik. Ernst Troeltschs Berliner Historik, in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.): „Geschichte durch Geschichte überwinden“. Ernst Troeltsch in Berlin, Gütersloh 2006, S. 75-91. Teilergebnisse befinden sich für unvermeidliche Sammelbände unter folgenden Titeln im Druck: „Theologie und Geschichtswissenschaft. Ihr Verhältnis in Geschichte und Gegenwart“; „Religion in den Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit“; „Säkularisierung. Ein umstrittenes Paradigma der Kulturgeschichte“; „Religiöse Kulturen im Verlag des Eugen Diederichs“.

Matthias Jung (04/2005 - 03/2007), Abschlussbericht (Auszug): Am Anfang dieses Berichts kann nur ein persönliches Wort des Danks stehen: Noch nie habe ich mich nämlich an einer akademischen Einrichtung derart wohl gefühlt wie am Max-Weber-Kolleg. Dazu hat vieles beigetragen: die konzentrierte und zugleich entspannte Arbeitsatmosphäre, die perfekte Logistik und freundliche Betreuung durch die Sekretariate, die angenehmen räumlichen Verhältnisse, vor allem aber die vielfältigen geistigen Anregungen, die ich den intensiven Diskussionen, Vortragsabenden und Seminaren am Kolleg verdanke. Mir scheint, dass es in Deutschland nur sehr wenige Orte intellektuellen Austauschs gibt, an denen derart offen, interdisziplinär und egalitär diskutiert wird. Für all dies meinen herzlichen Dank! Meine eigene Zeit am Kolleg war im ersten Jahr vor

allem durch die Arbeit an einem umfangreichen Projektantrag (zusammen mit Jürgen Trabant, FU Berlin) zum Thema „Anthropologie der Artikulation“ geprägt, der bei der VolkswagenStiftung eingereicht wurde. In diesem Projekt geht es um die interdisziplinäre Erneuerung einer integrativen Anthropologie, ausgehend von dem Leitgedanken des Menschen als eines Wesens, das sich artikulieren muss. Geplant waren zunächst Teilprojekte mit kulturwissenschaftlich-vergleichenden, sprachtheoretischen und philosophischen Schwerpunkten. In den Gutachten zu diesem ursprünglichen Projekt wurde eine stärkere Einbeziehung naturwissenschaftlicher Positionen gefordert und der Antrag wird daher entsprechend umgearbeitet werden; Kooperationspartner in Humanbiologie und speziell -genetik haben bereits Interesse 15

Projekte der Fellows signalisiert. Ob der Antrag in der neuen Form bei der VolkswagenStiftung oder einer anderen Förderinstitution eingereicht werden wird, ist gegenwärtig aber noch nicht abzusehen. Im Zusammenhang dieses Antragsprojekts habe ich mit der Ausarbeitung einer längeren Monographie zur Anthropologie der Artikulation begonnen, deren historisch-rekonstruktiver Teil bereits Buchstärke erreicht hat. Fertiggestellt sind neben einer systematischen Problemexposition die Kapitel über Herder, Humboldt, Dilthey und die amerikanischen Pragmatisten. Parallel hierzu habe ich in vielen Vorträgen und Aufsätzen zum Freiheitsbegriff, zum Verhältnis von Werten und Normen, zur Symboltheorie etc. die systematischen Konsequenzen meines Ansatzes erprobt. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt im Berichtszeitraum lag auf der Erstellung einer von der Thyssen-Stiftung finanzierten Vorstudie zur Frage der kulturellen Identität Europas und ihrer Präsenz, dies mit Blick auf die wichtigsten Forschungstrends und zentralen Desiderate in Deutschland und europaweit. Diese Studie konnte ich im Frühjahr 2007 fertigstellen, sie wird demnächst in Buchform publiziert werden. Seit Sommer 2006 arbeite ich (seit Frühjahr 2007 als stellvertretender Leiter) an einer u.a. von der Universität Erfurt angestoßenen Initiative europäischer Hochschulen mit, bei der es darum geht, europaweit allgemein- und persönlichkeitsbildende Elemente in die Fachcurricula der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge zu implementieren. An dieser Arbeitsgruppe, für die das Erfurter Studium Fundamentale eine wesentliche Anregung gebildet hat, sind mittlerweile ca. 15 europäische Universitäten beteiligt. Erwähnen möchte ich abschließend auch meine Mitarbeit in der Gründungsphase des Graduiertenkollegs „Menschenrechte und Menschenwürde“ im WS 2006/07, die ich als sehr bereichernd empfunden habe. Wichtigste neuere Arbeiten:

a) Making life explicit – The Symbolic Pregnance of Religious Experience, in: Svensk Teologisk Kvartalskrift, Bd. „Ernst Cassirer“, 2006, S. 16-23. b) Kognition-Emotion-Rationalität. Zur pragmatischen Hermeneutik religiöser Erfahrung, in: Religion und Kulturkritik, hrsg. von Thomas M. Schmidt und Matthias Lutz-Bachmann, Darmstadt 2006, S. 73-84. c) Humankapital als Kulturalisierung der Ökonomie? in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik 3 (2006), Themenschwerpunkt „Kultur und Ökonomie“, hrsg. von Bettina Hollstein und Matthias Jung, S. 319323. d) Obligatorische Normen und attraktive Werte, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik (ZDPE) 1/2007, S. 68-74. e) Verkörperte Freiheit – Der Beitrag des klassischen Pragmatismus, in: Naturgeschichte der Freiheit, hrsg. von Volker Gerhardt, Julian Nida-Rümelin und Detlev Ganten, Berlin etc. 2007, S. 435-456. f) Europas kulturelle Identität: Recht-Religion-Bildung (MS abgeschlossen, erscheint voraussichtlich Ende 2007). g) Gewißheit, Praxis, Kontingenz, Eine pragmatistische Perspektive, in: Glaubensgewißheit in religiösen Traditionen, Sammelband, hrsg. von der Östereichischen Akademie der Wissenschaften, voraussichtlich Wien 2007. h) Wilhelm Diltheys handlungstheoretische Begründung der hermeneutischen Wende, in: Gudrun KühneBertram/Frithjof Rodi (Hrsg.), Dilthey und die hermeneutische Wende, Göttingen, voraussichtlich 2008. i) „Leaving it implicit“ – Zur anthropologischen Prägnanz von Unbestimmtheit, in: Paradoxie und Metapher – Vom Darstellen des Undenkbaren, hrsg. von Ingolf Dalferth und Philipp Stoellger, Tübingen, voraussichtlich 2007. j) Das artikulierte Selbst im Kreuz der Entscheidung, in: Das anthropologische Kreuz der Entscheidung, hrsg. von Hans Joas und Matthias Jung, Baden-Baden, voraussichtlich Anfang 2008.

Birgit Schäbler (10/2006 - 09/2007), Abschlussbericht (Auszug): Das akademische Jahr 2006-2007 konnte ich als sogenannter „Erfurt Fellow“ am Max-Weber-Kolleg verbringen, um mich hauptsächlich dem Projekt „Zivilisation(en) im Diskurs, Modernität(en) im Disput: Europa und die islamische Welt in der Auseinandersetzung um die Moderne“ zu widmen. Darin geht es um eine „Beziehungsgeschichte“ zwischen Europa und der islamischen Welt, also auch um eine der neueren Formen der Geschichtsschreibung. Sowohl für den europäischen wie auch den geschichtstheoretischen Bezug erwies sich das Jahr am Kolleg als sehr fruchtbar. Bereits die Tagung „Europa im Blick der Kulturwissenschaften. Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme“ im Dezember gewährte interessante Einblicke in die gegenwärtige wissenschaftliche Europa-Diskussion, um die ich mich als Historikerin Westasiens mit entsprechend anderen Bezugspunkten sonst aufwändiger hätte bemühen müssen. Auch die Jahrestagung der Troeltsch-Gesellschaft vom 7. bis 9. März 2007 erwies sich als außerordentlich interessant und führte zu einer Veröffentlichung über „Historismus versus Orientalismus? Oder: Zur Geschichte einer Wahlverwandtschaft“, in der die Auseinandersetzung zwischen Ernst Troeltsch und C.H. Becker neu aufgerollt wird. 16

Die Diskussionen im Kolleg selbst erwiesen sich als außerordentlich fruchtbar; ihre Wirkungen werden über das Jahr am Max-Weber-Kolleg sicher weit hinaus reichen. Es war vor allem die Interdisziplinarität in der Zusammensetzung der Mitglieder des Kollegs, die mich anregte. Immer wieder aufs Neue das Ringen um die „Ordnung der Welt“ bzw. die Ordnung der Disziplinen, die sie erforschen, in den Diskussionen zu erleben, habe ich sehr genossen, zumal auch Disziplinen vertreten waren, mit denen ich sonst weniger im Kontakt bin. Über den amerikanischen Pragmatismus beispielsweise, den ich bislang nur vom Hörensagen kannte, der aber Probleme behandelt, die mich interessieren, und zwar in einer Weise, die sehr fruchtbar sein könnte, habe ich einiges gelernt. Die Atmosphäre des freien Diskutierens und auch des Austauschs außerhalb der Sitzungen war ausgesprochen anregend, wenn ich auch manchmal fand, dass die Frontstellung, die gegenüber bestimmten theoretischen Ausrichtungen gepflegt wurde, unnötig stark war. Diese Anregungen sind, denke ich, in mein Einleitungskapitel „Das Studium der Weltregionen (Area Studies) zwischen Disziplinen und der Öffnung zum Globalen: eine wissenschaftsgeschichtliche Annähe-

Projekte der Fellows rung“ eingeflossen, und auch in mein Gespräch mit Dipesh Chakrabarty, das anstelle eines Nachworts in derselben Buchveröffentlichung (siehe Literaturliste) fungiert. Auch die am Kolleg neu eingeführten Kurzvorstellungen von wissenschaftlichen Persönlichkeiten fand ich anregend. Sie gaben mir zudem Gelegenheit, einen am Kolleg sonst wenig gelesenen Intellektuellen vorzustellen: Edward Said. Vorträge/Reisen: Eine Einladung für eine Woche ans Centro Stefano Franscini auf dem legendären Monte Verità, um „Borders and Boundaries: Grenzüberschreitungen – Geschichte und globale Gleichzeitigkeit“ zu diskutieren, stellte das Gleichgewicht zu außereuropäischen Themen und Disziplinen, die am Kolleg weniger vertreten sind (wie die Anthropologie), wieder her und erwies sich als fruchtbare Unterbrechung. Ebenso die Tagung „Histories: Unsettling and Unsettled“, in der es um neue Formen der Geschichtsschreibung ging. Eine Reise nach Istanbul schließlich, die ich in meiner Eigenschaft als Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates des Orient Institutes (DGIA) durchführte, brachte den Orient wieder sehr nahe. Am Ende meines Jahres am Kolleg hatte ich Gelegenheit, ein Kapitel des Monographie-Projekts „Zivilisation(en) im Diskurs, Modernität(en) im Disput: Europa und die islamische Welt in der Auseinandersetzung um die Moderne“ in Lund (Schweden) vorzutragen und zu diskutieren. Für den Erfurt Fellow ist der Abstand zur eigenen Universität, deren Belastungen durch Lehre und Gremien man sich per fellowship ja gerade entziehen will, natürlich geringer. Trotzdem hat man gerade in den Wochen

zwischen den Kollegwochen durchaus Gelegenheit, konzentriert zu lesen, zu forschen und zu schreiben. Wichtigste neuere Arbeiten: a) Area Studies und die Welt: Weltregionen und neue Globalgeschichte, Herausgeberin, Wien: mandelbaum verlag 2007. b) „Das Studium der Weltregionen (Area Studies) zwischen Fachdisziplinen und der Öffnung zum Globalen: Eine wissenschaftsgeschichtliche Annäherung“ in: Birgit Schäbler (Hg.), Area Studies und die Welt. Weltregionen und neue Globalgeschichte, a.a.O., S. 11-44. c) „Das Wissen der Weltregionen. Birgit Schäbler im Gespräch mit Dipesh Chakrabarty. Statt eines Nachworts“, in: Birgit Schäbler (Hg.), Area Studies und die Welt. Weltregionen und neue Globalgeschichte, a.a.O., S. 252-258. d) „Writing the Nation in the Arabic-Speaking World, Nationally and Transnationally“, in: Stefan Berger, (ed.), Writing the Nation in Global Perspective, London: Macmillan 2007, pp. 179-196. e) „Konstruktionen des Selbst als Wissenschaft. Anmerkungen einer Nahost-Historikerin zu Leben und Werk Edward Saids“, in: Alf Lüdtke, Rainer Prass, „Gelehrtenleben. Wissenschaftspraxis in der Neuzeit“, Köln, Weimar, Wien (im Druck). f) „Historismus versus Orientalismus? Oder: Zur Geschichte einer Wahlverwandtschaft“, in: Maurus Reinkowski, Abbas Poya, Unbehagen an der Islamwissenschaft, transcript Verlag (im Druck). g) „Religion, Rasse und Wissenschaft: Ernest Renan im Disput mit Jamal al-Din al-Afghani“ in: clio-online, Europa Portal (erscheint).

Gerald Hartung, Alexander Thumfart, Birgit Schäbler, Gangolf Hübinger, Hermann Deuser, Wolfgang Knöbl und Hans Joas (v. l. n. r.) bei der feierlichen Eröffnung des akademischen Jahres am Max-Weber-Kolleg in der Kleinen Synagoge am 13. Dezember 2006

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Projekte der Kollegiaten

Neue Projekte der Postdoktoranden Dr. des. Mihai-Dumitru Grigore: Princeps Christianus. Ein religionswissenschaftlicher und politischer Beitrag zur heutigen Diskussion am Beispiel eines Vergleichs von Herrschaftstheorien des 16. Jahrhunderts. Neagoe Basarab und Machiavelli „Säkularisierte Bürger dürfen, soweit sie in ihrer Rolle als Staatsbürger auftreten, weder religiösen Weltbildern grundsätzlich ein Wahrheitspotenzial absprechen, noch den gläubigen Mitbürgern das Recht bestreiten, in religiöser Sprache Beiträge zu öffentlichen Diskussionen zu machen“ (Jürgen Habermas ). Mein Forschungsvorhaben nimmt als AusgangsMihai-Dumitru Grigore, seit punkt die Feststellung, Oktober 2007 als Postdokdass die heutige politische torand mit einem StipendiTheorie und Politikgeum des DAAD am Kolleg. schichte in Deutschland zu wenig mit dem politischen Denken des orthodoxen Europas der Frühneuzeit (d. h. vor allem des Balkans nach dem Niedergang Konstantinopels) vertraut ist. Das ist in mehreren Hinsichten bedauerlich: Das heutige Europa erstreckt sich auch auf die Länder des Balkans, muss also nolens volens in seiner Politik ebenfalls die politischen Traditionen dieser neuen Mitglieder berücksichtigen, was – wie gesagt – noch nicht der Fall ist. Die wissenschaftliche Landschaft Deutschlands ignoriert vollkommen eine Zeit und einen Raum, eben das Südosteuropa des 16. Jahrhunderts, die ebenso wie das Abendland, von Wandel und Umbrüchen geprägt sind und welche bis heute noch die Politik und Gesellschaft dieser „neuen“ europäischen Länder prägen. Dadurch kommt man zu problematischen Auffassungen, die heute unhinterfragt bleiben, z. B. ob die Modernität des politischen Denkens mit der Befreiung von der „unrealistischen“ Fessel der Religion gleich zu setzen ist. Oft besteht die Tendenz, einen modernen Staat als einen säkularen bzw. laizistischen zu beschreiben. Ob die Verbannung der (christlichen) Tradition aus der Politik sowie die vollkom-

mene Separation des politischen Apparats und der Religion bzw. der politischen Ethik überhaupt möglich und außerdem demokratisch ist, sind Fragen, mit denen sich mein Projekt u.a. auseinandersetzt. Das Projekt ist eine Reflexion sowohl über politische/ ethische Theologie als auch über politische Phänomenologie und spricht solche Aspekte wie Gott, Ethik und Säkularisierung in der Politik an. Ich will in dieser Studie bislang unhinterfragte Konzepte neu auslegen und kritisch bearbeiten. Mein Fallbeispiel lautet: In welchem theoretischen Rahmen kann man hinsichtlich des frühneuzeitlichen Europas von einem princeps christianus reden? Ich werde meinen Vergleich und meine Argumentation hauptsächlich an zwei Figuren des politischen Denkens orientieren: einerseits an Neagoe Basarab (Herrscher der Walachei zwischen 1512 und 1521) und Autor einer zu seiner Zeit in der orthodoxen Welt singulären (!) ars regnandi: „Învaţăturile lui Neagoe Basarab către fiul său Teodosie“ (Die Lehrworte von Neagoe Basarab an seinen Sohn Theodosius) und andererseits an Niccoló Machiavelli (gest. 1527), bekannter Verfasser u. a. des politischen Traktates „Il Principe“. Was mein Forschungsprojekt beabsichtigt, ist, eine neue politische Theologie zu erläutern, indem gezeigt wird, dass das politische, staatliche Leben nicht von der Religion der Regierten absehen kann und wie die Tradition (die Sitte) zumindest in den „neuen“ EU-Ländern eine immer noch gewichtige Rolle in der Politik spielt. Dies kann natürlich nur durch die kritische Auseinandersetzung mit politischen Systemen geschehen, welche das europäische Denken immer noch prägen. Soweit solche Systeme auch unterschiedliche Ansätze aufweisen, muss man versuchen, sie ins Gespräch zu bringen, kommunizieren zu lassen, um eben Missverständnisse und Ungereimheiten in einem Europa zu vermeiden, das eine gewisse Tendenz zur Einheit beansprucht. Zuallerletzt frage ich mich, ob das politische Engagement des Christentums durch die Kirchen eine plausible Möglichkeit ist oder nicht.

Dr. Andreas Kubik: Der Wandel in der Stellung zu den Menschenrechten in der neueren deutschen evangelischen Theologie Wenn die christlichen Kirchen und die christliche Theo­ logie heute ganz überwiegend für die Menschenrechte eintreten und gegen deren Verletzung Einspruch erheben, so ist doch die Erinnerung daran, dass sie – vor allem in Deutschland – sich lange Zeit sehr schwer mit dem Menschenrechtsgedanken getan haben, von gro­ßer Wichtigkeit. Sie verhindert, dass das Christentum die Menschenrechte allzu selbstverständlich als Erbbesitz in Anspruch nimmt. Das Projekt legt sich die Frage vor, warum ein theologischer Wandel in der Stellung zu den Menschenrechten stattgefunden hat und welche Begründungsmuster dabei 18

eine Rolle spielten, wo doch die Theologie in Deutschland über weite Strecken die Menschenrechte einst entweder in ihrer Gesamtheit oder zumindest im Hinblick auf wichtige Einzelrechte wie Glaubens-, Gewissens- oder Meinungsfreiheit abgelehnt hat. Das Projekt will damit einen Beitrag zur gegenwärtigen Verständigung über diesen zentralen Wertekomplex der Moderne leisten. Es versteht sich auch als ein Beitrag zum interreligiösen Dialog, insofern religiös motivierte Schwierigkeiten mit den Menschenrechten aus der deutschen und europäischen Geschichte gut bekannt sind und dieses Eingeständnis einen ganz anderen Ge-

Projekte der Kollegiaten sprächsraum eröffnen könnte als der perennierende Hinweis auf deren mangelhafte Verwirklichung anderswo. Der Arbeit geht es um eine genaue Nachzeichnung der Argumentationsfiguren, die für oder wider die Idee der Menschenrechte ins Feld geführt wurden. Das Projekt nimmt sich vor, mit historisch-systematischen Fallstudien zu arbeiten. Für die deutsche Theoriegeschichte drängt sich dafür das Umfeld jener realgeschichtlichen Stationen auf, an denen die Menschenrechtsfrage besonders virulent wurde, nämlich bei der dreimaligen Verabschiedung einer demokratischen und auf Grundrechten basierenden Verfassung: der Paulskirchenverfassung von 1848, der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und dem Bonner Grundgesetz von 1949. Im theologischen Umkreis der damals geführten Debatten sind die Begründungsstrategien zu suchen, mit denen allgemeine Menschenrechte abgelehnt oder befürwortet wurden. Es dürfte sich zeigen, dass der Wandel in der Stellung zu den Menschenrechten letztlich in tief greifenden Veränderungen theologisch-ethischer Theoriebildung im 19. und 20. Jahrhundert wurzelt. Mindestens vier Theorietypen, welche die theologische Ethik weithin bestimmten, hatten ein Wirksamwerden der Menschenrechtsidee

in der deutschen evangelischen Theologie verhindert: 1.) der lutherisch-konservative (Harleß, Vilmar, Stahl); 2.) der hegelianische (Rothe); 3.) der national-chauvinistische (Seeberg, Hirsch); 4.) der offenbarungstheologischskeptische (K. Barth, Gogarten). Erst in der gedanklichen Überwindung aller vier Momente konnte sich die Theologie – im Zusammenspiel mit den realgeAndreas Kubik, seit Noschichtlichen Ereignissen vember 2007 als Postdok– dem Menschenrechtsgetorand mit einem Stipendanken öffnen. „Wesentdium des Stifterverbands liche Voraussetzung für für die Deutsche Wissendie Rezeption des Gedanschaft am Kolleg. kens der Menschenrechte ist es, einen theologisch vermittelten Zugang zu dem sie tragenden neuzeitlichen Freiheitsethos zu gewinnen.“ (Gerhard Luf)

Dr. Sabine Sander: Sprache als Paradigma der Kulturtheorie der Moderne – Lazarus, Simmel und Cassirer Ausgangspunkt des Forschungsprojektes ist die Beobachtung, dass viele jüdische Gelehrte in Deutschland vom 18. bis ins 20. Jahrhundert – von Salomon Maimon über Moses Mendelssohn, Franz Rosenzweig, Hermann Cohen, Moritz Lazarus bis hin zu Georg Simmel, Ernst Cassirer, Ludwig Wittgenstein, Peter Weiss, Walter Benjamin und Theodor W. Adorno – in ihren philosophischen oder ästhetischen Sabine Sander, ab JanuKonzeptionen eine auffalar 2008 als wissenschaftlende Affinität zur Sprache liche Mitarbeiterin im Forhaben, was hier mit dem schungsprojekt „Jüdisches Begriff des „SprachdenSprachdenken“, gefördert kens“ beschrieben werden von der German-Israeli soll. Dieses „SprachdenFoundation, am Kolleg. ken“ äußert sich zum einen darin, dass im Zentrum von deren Überlegungen häufig ein Nachdenken über die Verfasstheit, mithin Bedingungen, Möglichkeiten, Besonderheiten und Grenzen von Sprache steht – bis hin zur Ausarbeitung von Sprachtheorien. Zum anderen beinhaltet „Sprachdenken“ auch eine gesteigerte Sensibilität für den sprachlichen Ausdruck. Am deutlichsten zeigt sich dies in der von einigen der genannten Philosophen bevorzugten Stilform des Essays. Das essayistische Umkreisen des Gegenstandes aus verschiedenen Perspektiven bis hin zum Ästhetischwerden der Theorie ist auch ein formaler Verweis darauf, dass definierte wissenschaftliche Termini den Gegenstand der Betrachtung nicht erfassen und ‚transzendiert‘ werden müssen. Bei Lazarus und mehr noch bei Simmel ist der

Essay die adäquate Form, um eine neue wissenschaftliche Disziplin, die Völkerpsychologie bzw. Soziologie, zu begründen. Beide Aspekte verweisen darauf, dass dieses „Sprachdenken“ die Sprache als Basisstruktur menschlicher Kulturalität begreift. Diese Affinität des Judentums zur Sprache ist zunächst naheliegend aufgrund der allen Juden gemeinsamen Grundlage der Heiligen Schrift. Das Hebräische im religiösen und das Jiddische im alltäglichen Umgang sind das Medium der kollektiven Identität. Die Sprache der Heiligen Schrift verbindet Juden in der Diaspora und ist ihr Gemeinsames in der ganzen Welt – auch ohne Bildung eines Staates oder einer Nation. Daher ist es naheliegend, die Geschichte des jüdischen Sprachdenkens auch als Beitrag zur jüdisch-deutschen Identitätsbildung oder als Möglichkeit der Aneignung fremder Kultur zu begreifen. Dieser Zusammenhang von Sprach- und Kulturtheorie der Moderne sowie die Annahme, dass das gegenwärtige Verständnis von der „kulturellen Existenz des Menschen“ (Oswald Schwemmer) aufs engste mit den Sprachtheorien jüdischer Gelehrter korreliert, soll am Beispiel von Moritz Lazarus, Georg Simmel und Ernst Cassirer herausgearbeitet werden. Klaus Christian Köhnke hat auf die Linie hingewiesen, die sich hier ausmachen lässt: Lazarus ist der Lehrer Simmels und Cassirer hörte in Berlin bei Simmel Kant-Vorlesungen, bevor er zu Hermann Cohen nach Marburg wechselte. Das Nachdenken über Sprache versteht sich nicht als Staatswissenschaft oder als Grundlage des deutschen Nationalstaates, sondern gilt in der Völkerpsychologie von Lazarus als Beitrag zu einer völker- wie religionsübergreifenden Verständigung. Gegen den im 19. Jahrhundert herrschenden Historismus wird Gesellschaft nicht als Zusammenschluss einer Nation, sondern als Funktionssystem aufgefasst. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern das gesellschaftliche Außenseitertum dieser jüdischen Gelehrten ursächlich für ihre Kritik am Historismus 19

Projekte der Kollegiaten gewesen ist: Opposition gegen die herrschenden Denkformen einer Zeit ist oft Sache der gesellschaftlichen Außenseiter, die als Fremde auf die herrschenden Denkweisen, Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten einen anderen Blick haben als diejenigen, die sich in der Kultur befinden – eine Überlegung, die sich anhand von Simmels und Alfred Schütz’ Aufsätzen über den Fremden erhellen lässt; der Fremde ist zugleich innerhalb und außerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe und nimmt somit einen Beobachterstandpunkt zweiter Ordnung ein. Es soll gezeigt werden, dass sich bei der Herausbildung der Kulturtheorie der Moderne eine Linie von Lazarus über Simmel bis Cassirer herausarbeiten lässt: Diese nimmt ihren Ausgangspunkt in dem Projekt einer Völkerpsychologie, in deren Mittelpunkt die Theorie des objektiven Geistes respektive der zweiten Natur des Menschen steht und in der Sprache sowie Gespräche als Möglichkeit einer völkerübergreifenden Verständigung begriffen werden. Bei Simmel erfährt diese Theorie eine Erweiterung in einen sozialtheoretischen Ansatz, der interes-

santerweise teilweise auch im Medium des Ästhetischen – im Rahmen der Philosophie der Kunst und des Programms einer „soziologischen Ästhetik“ – geführt wird. Bei Cassirer liegt ein ganzes Ensemble symbolischer Formen – von der Sprache über Mythos, Religion, Kunst, Geschichte u.a.m. – vor, wobei der Sprache das Privileg zukommt, ‚quer‘ zu den anderen symbolischen Formen zu liegen. Flankiert werden diese Überlegungen durch die Frage, weshalb jüdische Gelehrte und Dichter des 20. Jahrhunderts – erinnert sei an Adorno, Benjamin oder Weiss – der Kunst einen so großen Stellenwert einräumen, mithin ob die Hinwendung zur Kunst ein Reflex auf das Scheitern der optimistischen Sprachkonzeptionen des 18. und 19. Jahrhunderts ist. Umgekehrt sind die Sprachtheorien des 18./19. Jahrhunderts danach zu befragen, ob sich hier bereits Befremdlichkeiten andeuten oder ob diese vom bedingungslosen Glauben an das Wort und damit an Aufklärung geprägt sind. Verortet ist das Habilitationsvorhaben im Rahmen des Forschungsprojektes „Jüdisches Sprachdenken“ unter der Leitung von PD Dr. Gerald Hartung.

Dr. Claudio Viale: Can the Pragmatist Sociology of Religion Reformulate the Classical Pragmatist Philosophy of Religion? A Comparative Analysis of Josiah Royce’s and William James’ Religious Conceptions and their Sociological Consequences This project attempts to highlight the similarities and differences between James’ and Royce’s conceptions of religion. Although William James‘ The Varieties of Religious Experience and Josiah Royce’s The Problem of Christianity were conceived as the most divergent theoretical attempts within classical pragmatist philosophy and sociology of religion, a careful view, however, shows that behind these diClaudio Viale, seit April vergences great similarities 2007 als Gast-Postdoktotend to appear. In order to rand am Kolleg. analyze both, similarities and differences, I present two interpretative hypotheses. They revolve around the contemporary relevance and interrelation of philosophical and sociological conceptions

Dr. Detlef von Daniels: Ausgang vom Sozialen

Idee und Wirklichkeit der Menschenrechte im

Das Forschungsprojekt ist Teil des Graduiertenkollegs „Menschenrechte und Menschenwürde“, in dem die historisch-sozialen Entstehungszusammenhänge der Menschenrechte im Hinblick auf gegenwärtige Fragestellungen untersucht werden sollen. Das grundlegende Problem meiner Fragestellung lässt sich in einem Bild verdeutlichen: Als Napoleon die spanischen Bauern aus Leibeigenschaft und von der Inquisition befreite, wurde er von ihnen mit dem Ruf begrüßt „Lang leben die Ketten!“ und sah sich noch dazu einem blutigen Partisa-

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about religion and religious experience developed by the classical pragmatists Josiah Royce (1855-1916) and William James (1842-1910): 1) A critical hypothesis, since their respective expositions lack unity and coherence if considered from a general point of view. 2) A recon­ structive hypothesis, since the relevant central features of their philosophical conceptions on religion (distance from the agnosticism of the day, the proposal of simpli­ fying dogmas and creeds, the criticism of religious institutions, the relationship between religion and moral philosophy and the connection between religious experience and creati­vity) can be integrated into a genuine sociology or a pragmatist sociology of religion, i.e. one that puts forward a clear thesis on the social genesis of the self. In my judge­ment, such integration is crucial to the development of a pragmatist sociology of religion that aims to integrate genuine and legitimate religious inclinations – as I shall try to emphasize in relation to Catholic and Protestant traditions – with the construction of deeply democratic societies. In other words, a reconstructed pragmatist sociology of religion can contribute to a reformulation of the classical pragmatist philosophy of religion.

nenkrieg ausgesetzt. Dieses Paradox gehört ebenfalls zur Geschichte der Menschenrechte und muss mit bedacht werden. In dem Projekt wird es konkretisiert, indem zunächst drei fundamentale Probleme normativer Begründungen von Menschenrechten identifiziert werden. Sie enthalten erstens oft keine historische oder kulturelle Dimension (Warum gab es Menschenrechte nicht schon früher?), reflektieren zweitens die mögliche Dialektik bei der Verwirklichung von Menschenrechten nicht mit (das Napo-

Projekte der Kollegiaten

Detlef von Daniels, seit April 2007 als Postdoktorand mit einem Stipendium der DFG im Rahmen des Graduiertenkollegs „Menschenwürde und Menschenrechte“ am Kolleg.

leon-Dilemma) und bleiben drittens in Bezug auf Dilemmata der Interlegalität (Verschiedenheit der Rechtskulturen) stumm. Dem soll mit Hilfe einer alternativen Explikation abgeholfen werden. Ziel ist es, eine Begründungsform zu entwickeln, die offen ist gegenüber Einsichten in die sozialen Bedingungen der Entstehung von Menschenrechten. Dies soll in Form einer modifizierten Theorie des Naturzustands geschehen. Die grundsätzliche Idee ist, ausgehend von einem Naturzustand, zunächst einen nicht territorial verfassten, korporativen Zu-

stand als mögliche, wenn auch nicht ideale Lebensform einzuführen. Anders als bei den üblichen Modellen des Gesellschaftsvertrages werden also die Existenz von Freien und Gleichen auf einem Territorium, und damit Prämissen moderner Staatlichkeit, nicht schon vorausgesetzt. In dem korporativen Zwischenzustand können viele Leistungen, die üblicherweise „notwendigerweise“ einer staatlichen Organisation zugeschrieben werden, bereits erbracht werden. Eine staatliche Organisation auf liberaler Grundlage bedarf also einer gesonderten Rechtfertigung. Ansatzpunkt dafür ist, dass auch im korporativen Zustand prinzipiell die Möglichkeit besteht, auf die Bedingungen des Wohlergehens des Einzelnen zu reflektieren und eine ideale Ordnung zu entwerfen. Der Keim der Veränderung ist also in einer solchen Ordnung bereits angelegt. Dabei wird das Ideal zunächst so abstrakt angesetzt, dass unterschiedliche Vorstellungen darunter gefasst werden können. In den verschiedenen Weisen der Verwirklichung von Idealen können dann auch die drei Eingangs genannten Problemstellungen mitreflektiert werden.

Neue Projekte der Doktoranden Radu Harald Dinu: Religion und Gewalt. Gewaltdiskurse und Gewaltpraxis im rumänischen und kroatischen Faschismus In dieser vergleichenden Studie soll das Phänomen Gewalt im rumänischen und kroatischen Faschismus der Zwischenkriegszeit untersucht werden. Während die Bereitschaft und das Bekenntnis zu Gewalt zu den konstituierenden Merkmalen des Faschismus gehören, wurde dieser Aspekt vor allem im Hinblick auf den südosteuropäischen Faschismus noch nicht näher untersucht. Selbst in der vergleichenden Faschismusforschung haben die Legion „Erzengel Michael“ (Eiserne Garde) und die Ustaša bislang nur am Rande Beachtung gefunden. Dies gilt vor allem, wenn die Frage nach dem Gewaltverständnis und dem Gewalthandeln beider Bewegungen gestellt wird. Für die vergleichende Untersuchung liegt der Fokus auf den spezifisch diskursiven Voraussetzungen, Entwicklungsschritten und der Interpretation von physischer Gewalt. Ich gehe mit David Apter davon aus, dass gewaltsame Handlungen immer in einem diskursiven Kontext eingebettet sind und ohne diesen nicht verstanden werden können. Gleichzeitig kann faschistische Gewalt nicht allein aus dem diskursiven beziehungsweise ideengeschichtlichen Kontext heraus erklärt werden. Der viel beschworene Aktionismus faschistischer Bewegungen perpetuierte die Gewaltpraxis, wie umgekehrt auch die Ausübung von Gewalt die entsprechenden Theorien bestätigte. Ausgangspunkt für diese Untersuchung ist die Feststellung, dass in beiden südosteuropäischen Ländern faschistische Bewegungen entstanden, die einerseits Teil eines gesamteuropäischen Phänomens der Zwischenkriegszeit waren, andererseits eine Sonderstellung durch ihre spezifische Affinität zu orthodoxen bzw. katholischen Symbolen und Ritualen einnahmen. Während der ita­ lienische Faschismus und der Nationalsozialismus bisweilen als Ausdruck eines modernen Heidentums galten

und mit ihrem hohen Grad an Ritualisierung eine unmittelbare Konkurrenz für die etablierten Kirchen darstellten, kamen sich die Legion und die Orthodoxe Kirche beziehungsweise die Ustaša und die Katholische Kirche nicht nur personell, sondern auch inhaltlich sehr nahe. Im Gegensatz zu „politischen Religionen“, die den fehlenden transzendentalen Bezug (vertikale Achse) durch eine TransRadu Harald Dinu, seit zendenz mit Blick auf eine April 2007 als Kollegiat mit utopische Zukunft oder einem Stipendium der DFG eine diesseitige Heilserwarim Rahmen des Graduiertung (horizontale Achse) tenkollegs „Menschenwürersetzten, integrierten sode und Menschenrechte“ wohl die Legion als auch am Kolleg. die Ustaša beide Achsen in ihr Sinn- und Deutungssystem. So wurde im „UstašaStatut“ aus dem Jahre 1932 der Einsatz von Gewalt und Terror durch einen Gotteseid untermauert, während sich die Legionäre als „Kreuzritter“ verstanden, die „im Namen des Kreuzes gegen die gottlosen Judenmächte zu Felde ziehen“. So kommt zum einen die Frage auf, welchen Einfluss orthodoxe beziehungsweise katholische Traditionen auf die Gewaltdiskurse beider Bewegungen ausübten und welche legitimatorische Funktion sie besaßen. Zum anderen gilt es aufzuzeigen, welche Rolle die­ se Sinnstiftungsmuster für das Gewalthandeln und den Gewalthabitus spielten. Besonders aufschlussreich wird hierbei eine vergleichende Untersuchung des Toten- und

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Projekte der Kollegiaten Märtyrerkults sein. Weitere Gründe für einen Vergleich der beiden Gruppierungen bieten Gemeinsamkeiten, wie die zeitklimatischen Umstände und Krisenerscheinungen im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, welche für sie zur prägenden Erfahrung wurden. Auffällig hoch war in Rumänien der Anteil der von sozialer Marginalisierung bedrohten Studenten und Akademiker, jener (mehr oder weniger in direkter politischer Nähe zur Legion stehenden) „Jungen Generation“, die von namhaften Vertretern

wie Mircea Eliade und Emil Cioran geprägt wurde. Auch in Kroatien war die Ustaša von einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Studenten und jungen Akademikern geprägt, was auf den für faschistische Bewegungen so charakteristischen „jugendlichen Charakter“ verweist. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, inwieweit das „faschistische Jugendpathos“ ein vitalistisches Gewaltverständnis beinhaltete, das in der Gewalt einen von unmittelbarer Zwecksetzung unabhängigen „reinigenden“ und „befreienden“ Akt sah.

Ismail Ermagan: Der EU-Skeptizismus in der Türkei und dessen Vertreter. Eine Untersuchung der EU-skeptischen/gegnerischen Einstellungen und Gruppierungen in der Türkei Ein Land befindet sich seit über 40 Jahre auf dem Weg zur Europäischen Union (EU); ein demographisch (ca. 75 Mio.) und geographisch (780.000 km²) großes, überwiegend (97 %) auf dem asiatischen Kontinent liegendes und religiös mehrheitlich muslimisches Land: die Türkei. Vielleicht sind diese Merkmale die Ursache dafür – so EUEx-Erweiterungskommissar Günter Verheugen –, Ismail Ermagan, seit Okdass dieser mögliche Beitober 2007 als Kollegiat tritt unter allen Beitrittsbemit einem Stipendium der werbungen der am heftigsRobert Bosch Stiftung am ten diskutierte ist. Obschon Kolleg. die EU mit der Türkei Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005 gestartet hat, ist die Beitrittsfrage umstritten und ebenso zum Gegenstand politischer wie auch wissenschaftlicher Auseinandersetzungen geworden. Ziel dieser Arbeit ist es, die türkischen EU-Skeptiker darzustellen, die sowohl im türkischen als auch im europäischen wissenschaftlichen Diskurs bislang kaum beachtet wurden. Deren Untersuchung ist aber unerlässlich, zumal dadurch – unter Beachtung des Selbstverständnisses des jeweiligen Beitrittslandes sowie unter Berücksichtigung des Beitrittsprozesses selbst – erst eingeschätzt werden kann, ob ein solcher Beitritt überhaupt realistisch erscheint. In der Arbeit werden deshalb folgende grundsätzlichen Punkte betrachtet: die strategisch mächtigen politischen EU-skeptischen Gruppen und ihre am heftigsten vorgebrachten Argumente. Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit lautet, wie

und in welchem Umfang die EU-Skeptiker einen möglichen EU-Beitritt beeinflussen und aufgrund welcher Faktoren sie dies tun. Dabei gilt es auch zu analysieren, ob die Haltung der EU-Institutionen und -Mitgliedstaaten bei der Entstehung des türkischen EU-Skeptizismus eine Rolle spielt und wenn ja, welche. Die Arbeit basiert hauptsächlich auf zwei Theoriesträngen: erstens auf den EU-Erweiterungstheorien, nämlich Konstruktivismus und Intergouvernementalismus, und zweitens auf den demokratischen Transformations- und Konsolidierungstheorien unter der Maßgabe der Akteurstheorien. Der EU-Skeptizismus in der Türkei wird an erster Stelle von den Rechtsnationalisten vertreten. Anstelle der europäischen Normen unterstützten sie die türkischislamische Synthese als Ideologie. Zweitens kann man in­ teressanterweise die Kemalisten zu den EU-Skeptikern zählen. Obwohl das wichtigste Ziel des Kemalismus seit der Gründung der türkischen Republik die Verwestlichung ist, kann man neuerdings hören, dass der Kemalismus aufgrund seines nationalen Charakters ein wichtiges Hindernis auf dem Wege zur EU sei. In diesem Kontext ist es wichtig, auch die Haltung des türkischen Militärs zu untersuchen, da es sich selbst als Garant und Hüter des Kemalismus sieht. Drittens verhalten sich die Islamisten in der Türkei skeptisch gegenüber der EU, da sie der Meinung sind, dass die Identität der EU nicht als Wertegemeinschaft, sondern als „christlicher Club“ ausgeprägt sei und daher die Türkei nicht in die EU aufgenommen werden darf. Viertens sind auch nationalistische Linke gegen die EU, die die Verwestlichung und auch die EU als eine Form des „Imperialismus“ begreifen. Die Beitrittsfrage der Türkei ist schon seit langem ein wichtiges Thema in der internationalen Politik, und es sieht so aus, als ob es zumindest mittelfristig dabei bleiben könnte. Die Untersuchung der türkischen EUSkeptiker stellt in diesem Kontext ein wichtiges Forschungsdesiderat dar.

Fatih Ermis: Osmanisches Wirtschaftsdenken, 1750-1808 Das osmanische Wirtschaftsdenken ging aus einer Synthese älterer östlicher und westlicher Traditionen hervor. Weil die Osmanen ihre Kultur als letzte und vollkommene Phase aller früheren sahen, vertrauten sie – Ibn Khalduns These vom Kreislauf der Staaten verdrängend – auf die Ewigkeit ihres Systems (devlet-i ebed müddet) und wollten nicht glauben, dass es in den westlichen Ländern Informationen geben könnte, die zu lernen und zu über22

nehmen sich lohnte, obwohl sie frühere Kulturen (nicht nur islamische Traditionen, sondern auch griechische, byzantinische oder mongolische) durchaus verinnerlicht hatten. Dabei blieben ihnen die in Westeuropa betriebenen Wirtschaftspolitiken nicht völlig unbekannt. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts spitzte sich der Gegensatz zwischen autarker Entwicklung und dem Einfluss der westlichen Moderne zu. Es handelte sich um einen

Projekte der Kollegiaten Wendepunkt in vielen Hinsichten auch für Westeuropa. Einerseits entstand damals die Volkswirtschaftslehre als Disziplin mit dem Buch Adam Smiths, andererseits strahlten politische Ereignisse wie die Französische Revolution zu dieser Zeit auch auf das osmanische Reich aus. In diesem Projekt wird versucht, das osmanische Wirtschaftsdenken aus der Perspektive dieser Wende zu verstehen. Wenn man „das Osmanische Wirtschaftsdenken“ studieren will, stellt sich die Frage, ob es bei den Osmanen (oder in vorkapitalistischen Kulturen überhaupt) ein „Wirtschaftsdenken“ gab. Die Frage ist jedenfalls zu bejahen, wenn mit Polanyi nicht von einer formellen Definition, sondern von einer materialen Definition der Wirtschaft ausgegangen wird. Fragen wie die, ob die Osmanen eine theoretische Vorstellung von Vollbeschäftigung, von Ausbeutung der Arbeiter, von Nutzenmaximierung gehabt hätten, erscheinen im Rahmen dieses Ansatzes nicht als sinnvoll; dagegen gibt es einerseits eine Auseinandersetzung mit wirtschaftsethischen Fragen, die aus der erwähnten Auseinandersetzung mit der antiken philosophischen und juristischen Tradition und mit dem Islam und den ihm traditionell innewohnenden Vorstellungen zum richtigen Wirtschaften hervorgeht, andererseits eine Literatur zur Verwaltungspraxis und zu wirtschaftlichen Vorgängen in der Geschichte. Religiöse, philosophische, rechtliche Wurzeln des Wirtschaftsden-

kens und wenigstens einige wirtschaftspraktische Überlegungen scheint es in allen Hochkulturen geben zu müssen. Auch wenn sich entsprechende Texte nicht immer finden, liegen sie doch im Fall der Osmanen in gro­ßer Zahl vor. Die Schwierigkeit besteht darin, dass sie nicht systematisch, im Sinn einer methodisch vorgehenden Wissenschaft, aufeinander bezogen wurden, und zwar deshalb nicht, weil das Handeln in jedem Teilbereich seinen besondeFatih Ermis, seit April 2007 ren Normen unterlag. In als Kollegiat mit einem StiEuropa begann ein System pendium der Robert Bosch zu entstehen, als man jeStiftung am Kolleg. dem die Verfolgung seines Eigeninteresses zuschrieb, und es schloss sich, als dieses Eigeninteresse als Nutzen- und Gewinnmaximierung allgemein bestimmt werden konnte; damit löste sich das wirtschaftliche Handeln aus seinen spezifischen Bindungen.

Petra Häfner: Ein europäisches Sozialmodell? Der strukturelle Wandel der Alterssicherungssysteme in Mittel- und Osteuropa

Petra Häfner, seit Oktober 2007 als Kollegiatin mit einem Stipendium des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft am Kolleg.

Der Umbau der Rentensysteme in Mittel- und Osteuropa (MOE) unter Bedingungen von Europäisierung und Globalisierung ist Gegenstand aktueller soziologischer und politikwissenschaftlicher Debatten. Ob eine Entwicklung hin zu einem einheitlichen sogenannten europäischen Sozialmodell zu erwarten ist oder ob die MOE-Länder nach zumeist hoher Reformtätigkeit nach 1989/90 eher durch Konsolidierung geprägt sind und sich damit die vielfältige Ausprägung von Rentensystemen fortsetzt, stellt dabei eine

der zentralen Leitfragen dar. Innerhalb des Promotionsvorhabens sollen die drei Länder Litauen, Tschechien und Rumänien exemplarisch untersucht werden. Die jeweiligen Reformwege hin zu den aktuellen Rentensystemen sollen dabei als abhängige Variable im Spannungsfeld von nationalen Gegebenheiten und EU-Entscheidungsprozessen analysiert werden. Als unabhängige Variablen gelten auf nationaler Ebene die politischen, institutionellen und ökonomischen Rahmenbedingungen, in die die jeweiligen Reformen eingebettet sind. Demgegenüber steht auf der europäischen Ebene die EU-Politik, die beispielsweise über die offene Methode der Koordinierung (OMK) im Bereich Renten Einfluss auf

nationale Entwicklungen nimmt. Inwieweit das Instrument der OMK dazu dient, auf EU-Ebene getätigte Ziel­ vorgaben auf nationaler Ebene umzusetzen und damit zu einer Harmonisierung der Rentensysteme beizutragen, soll im Rahmen der Dissertation beantwortet werden. Da besonders im Politikfeld der Renten nationale Konfigurationen, Interessen und Traditionen eine maßgebliche Rolle spielen und mit der OMK ein soft-law-Instrument ohne verbindliche Rechtsetzung und Sanktionen gewählt wurde, drängt sich die Hypothese auf, dass sich ein einheitliches europäisches Sozialmodell in kurz- und mittelfristiger Perspektive kaum durchsetzen wird. Um diese Hypothese zu bewerten, sollen drei Teilschritte vollzogen werden. Zunächst gilt es, die Reformwege Litauens, Tschechiens und Rumäniens einzuordnen und die heutigen Rentenarrangements zu kategorisieren, wobei nicht zuletzt die in der wissenschaftlichen Literatur gängige Unterscheidung zwischen Bismarck- und Beveridge-Modell sowie Esping-Andersens Typologie von Wohlfahrtsstaaten herangezogen werden. Der zweite Schritt soll eine empirische Untersuchung der politischen, institutionellen und ökonomischen Rahmenbedingungen umfassen, um die spezifischen Reformwege erklären zu können. Abschließend soll an die aktuelle Europäisierungsdebatte angeschlossen werden und der tatsächliche EU-Einfluss über die OMK auf nationale Rentenpolitiken unter Berücksichtigung der politischen, institutionellen und ökonomischen Faktoren bewertet werden. Methodisch soll das Promotionsvorhaben als vergleichende Länderstudie konzipiert werden und sich dabei auf Sekundäranalysen stützen, welche durch Expertengespräche zur Generierung von Hintergrundwissen ergänzt werden.

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Projekte der Kollegiaten Cagri Kahveci: Die Transformation in den postsowjetischen Ländern: Das Beispiel Aserbaidschan Aserbaidschan gehört zu den Ländern, von denen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erwartet wurde, dass sie sich in rechtstaatliche Demokratien mit funktionierenden Markwirtschaften umwandeln. Nach einer kurzen enthusiastischen Phase einer zu sehr als Einbahnstraße verstandenen Auffassung einer „transition to democracy“ wurde klar, dass der tatsächliche Transformationsprozess nicht linear abläuft und nicht unverCagri Kahveci, seit August meidlich in eine Demokra2007 als Kollegiat mit einem tie mündet. Stipendium der Robert Aserbaidschan gilt ge­Bosch Stiftung am Kolleg. genwärtig mit seinen reichhaltigen Energieressourcen in diesem Sinne als ein Transformationsland, das jedoch vom Wege zur Demokratie in Richtung auf einen autoritären Staat abgedriftet zu sein scheint. Es gibt nur sehr wenige Beispiele für die Gewährleistung sicherer Rahmenbedingungen für tatsächliche Fortschritte auf dem Wege zur Demokratisierung. Im Hinblick auf die Transformation Aserbaidschans hin zu einer Demokratie stellt sich die zentrale Frage, inwieweit die neuen spezifischen Machtstrukturen – die Wiederbelebung neopatrimonialer Netzwerk- und Clanstrukturen, die Präsenz einer Rent-Seeking Ökonomie, die bestimmende Rolle inoffizieller Mechanismen der Entscheidungsfindung etc. – mit einer Reform auf der Basis (westlicher) demokratischer Werte und Grundsätze vereinbar sind und wie sich dieser Antagonismus in der Realität auswirkt. Ziel des Forschungsvorhabens ist es, einerseits die Europäisierung im Zuge der Transformation Aserbaidschans in eine Demokratie und andererseits die Konso-

lidierung autoritärer Machtstrukturen sowie die besondere Ausformung dieses Gegensatzes in der politischen Realität zu analysieren. In der Untersuchung soll der Fokus auf die Frage gerichtet werden, wie die politische Entwicklung in Aserbaidschan in Bezug auf die europäischen Einflüsse in der Zeit des Postkommunismus zusammenhängen. Der heutige Transformationsprozess wird also unter dem Blickwinkel der „Europäisierung“ betrachtet. Gleichzeitig zielt das Promotionsprojekt darauf ab, das Modell des Rentierstaates und die Charakterisierung des „neopatrimonialen“ Staates auf die Situation im heutigen Aserbaidschan anzuwenden. Dabei soll der Wirksamkeit der Rentierökonomie auf die Herrschaftsausübung im Staat spezielle Beachtung zukommen. Anders ausgedrückt, ist der Promotionsarbeit die Aufgabe zugewiesen, die Eigenschaften des Rentierstaatsmodells bei Anwendung auf das Beispiel Aserbaidschan zu beleuchten. Dabei sind von erheblicher Bedeutung die außenwirtschaftliche Abhängigkeit Aserbaidschans von den Erdöleinkommen, die undemokratische und patrimoniale Realität Aserbaidschans, die politische Kultur und die Entwicklungen während der Regierungszeit (Heidar und Ilhams) Aliyevs. Die Analyse dieser Zusammenhänge soll die Gründe für den immer stärker werdenden Autoritarismus aufzeigen. Dazu ist die Untersuchung der Beziehung zwischen Ölressourcen und ihrem Einfluss auf das politische Geschehen notwendig. Deshalb entspricht es dem Zweck des Forschungsvorhabens, einige Grundannahmen über die Öl-Demokratie-Dichotomie-Debatte in den Entwicklungsländern aufzuzeigen. Die relevanten Aspekte der regionalen und internationalen Umstände für die politische Entscheidungsfindung in Aserbaidschan werden in dem Promotionsprojekt berücksichtigt, ohne dass auf einzelne Akteure und einzelne Interessen detailliert eingegangen werden kann. Unter Berücksichtigung der Forschung über Rentierstaaten und anderer theoretischen Annahmen soll eine hypothetische Erklärungsgrundlage für die Besonderheiten aserbaidschanischer Politik entwickelt werden.

Gregor Klapczynski: Katholischer Historismus? Kirchenhistoriker der Modernismuszeit zwischen Entwicklungsdenken und Dogmenglaube Können katholische Theologen Historiker sein? Ist ein Sinn von Wirklichkeit, wie dogmengläubige Katholiken ihn unterstellen, mit historischem Wirklichkeitssinn vereinbar? Oder schließt die eine Wissenskultur die andere aus? Diese zugegebenermaßen pointierten Positionen deuten eine Problemkonstellation an, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in aller Schärfe aufbrach: Lassen sich Dogma und Geschichte zusammen denken? Nicht die katholische Kirche allein, sie aber in besonderer Weise sah sich durch die „Krise des Historismus“, um deren katholische Variante es im vorliegenden Projekt gehen soll, herausgefordert. Der binnenkatholische Kulminationspunkt wurde in der Modernismuskrise (ca. 1907-1914) erreicht: Ausgelöst durch eine Kette päpstlich-kurialer Erlasse gegen den so genannten „Modernismus“, den Papst Pius X. als die „Zusammenfassung 24

aller Häresien“ beschrieb, stellte sich die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wissen(schaft) mit bis heute unübertroffener Heftigkeit. Im Konzert der theologischen Disziplinen war naturgemäß die Kirchengeschichte, ein fragiles Bündnis von Theologie und Geschichte, besonders betroffen. Denn hier gingen historische Methode und religiöser Sinn, Wissenschaft und Glaube, eine besonders enge und ent-

Gregor Klapczynski, seit Oktober 2007 als Gastkollegiat am Kolleg.

Projekte der Kollegiaten sprechend pikante Verbindung ein. Die Aufmerksamkeit des vorliegenden Projekts gilt weniger der Geschichte der katholischen Kirchen- und Dogmengeschichtswissenschaft als solcher. Vielmehr interessieren die biographischen und wissenschaftlichen Problembewältigungsstrategien ausgewählter Fachvertreter. Auf der Grundlage biographischer Vorarbeiten soll die gelehrt-wissenschaftliche Produktion vor allem solcher Repräsentanten, die als historisch ambitionierte Theologen ins Visier der kirchlich-antimodernistischen Autorität gerieten (u.a. Albert Ehrhard, Hugo Koch, Sebastian Merkle, Joseph Schnitzer, Heinrich Schrörs), ver-

gleichend analysiert werden. Methodisch werden dabei Ansätze der neueren Geschichtstheorie, die es ermöglichen, auf die leitenden Prinzipien der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu reflektieren, mit solchen der Historiographiegeschichte kombiniert. Ziel ist es, das je konkrete Ineinander theologischer und historischer Wissenschaftsrationalitäten zu beobachten und, abgesichert durch theologie-, wissenschafts- und kulturgeschichtliche Einordnungen, angemessen zu deuten. Anders gewendet: Es wird gefragt, ob dem römischen „Antihistorismus“ der Modernismuszeit tatsächlich eine spezifische Form von „katholischem Historismus“ entsprach.

Jörg Lange: Konzentrationslager und Menschenrechte: Die Bedeutung des Menschenrechtsbezugs in deutschen Gedenkstätten Im Mittelpunkt des Projekts steht die Frage, welche Bedeutung Menschenrechte bei der Konzeption und der Arbeit deutscher Gedenkstätten, die an Orten ehemaliger Konzentrationslager errichtet worden sind, hatten und haben. Relevanz gewinnt die Beantwortung dieser Frage zunächst schon aus dem gegenwärtig beobachtbaren geschichtskulturellen Wandel im Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen, zu dessen Merkmalen ein zunehmender, explizit menschenrechtlicher Bezug gehört. Durch den wachsenden zeitlichen Abstand ist die Zeitzeugengeneration absehbar im Verschwinden begriffen, und damit einhergehend rückt anstelle der Frage nach direkter Schuld diejenige nach historischer Verantwortung in den Mittelpunkt. Feststellbar ist des Weiteren eine „Institutionalisierung und Nationalisierung negativen Gedenkens“ (Volkhard Knigge) in Deutschland. Gleichzeitig werden die bisherigen nationalen Rahmungen von Geschichtskultur durch die Realität der deutschen Einwanderungsgesellschaft infrage gestellt – wie auch durch auf den „Holocaust“ fokussierte „globalisierte Formen der Erinnerung“ (Daniel Levy/Natan Sznaider). Das „‚Wie‘ und ‚Wozu‘ des öffentlichen Erinnerns“ (Peter Reichel) sind als drängende Fragen aufgeworfen – und werden zunehmend mit dem Verweis auf die Menschenrechte beantwortet. KZ-Gedenkstätten sind aufgrund ihrer Schlüsselposition innerhalb der deutschen, aber auch internationalen Geschichtskultur durch diesen Wandel in besonderer Weise herausgefordert. Umso mehr erscheint es von Interesse, in welchem Ausmaß und in welcher Form sich diese Einrichtungen tatsächlich auf Menschenrechte beziehen. Die Frage nach einem Menschenrechtsbezug in Gedenkstätten stellt sich jedoch nicht allein aufgrund gegenwärtiger geschichtskultureller Veränderungen. Da die Entstehung der Menschenrechtserklärung von 1948 maßgeblich geprägt wurde durch den Eindruck der in den Konzentrationslagern verübten Verbrechen, wäre zu vermuten, dass sich die an diesen Verbrechensorten errichteten Gedenkstätten ihrerseits bereits bei der Gründung an den Menschenrechten orientiert haben. Schon deshalb ist es sinnvoll, die Planungs- und Gründungsphase der Gedenkstätten als Anfangspunkt des Untersuchungszeitraums zu wählen. Analysiert werden sollen Art, Umfang und Veränderung des Menschenrechtsbezugs von der unmittel­baren Nachkriegszeit bis in die Gegenwart. Die Men-

schenrechte werden dabei im Anschluss an Hans Joas als spezifische Werte verstanden, deren Entstehung auf einschneidenden (Unrechts-)Erfahrungen und deren Deutung basiert. Auf dieser Grundlage soll ein Analyseraster entworfen werden, mit dem nicht nur der Zugriff auf die Menschenrechte genauer bestimmt, sondern mit dem auch ein alternativ verwendeter Wertkomplex in seinem Erfahrungs- und Deutungszusammenhang transparent und zugleich vergleichbar gemacht werden kann. Jörg Lange, seit April 2007 Die Analyse ist auf deutals Kollegiat mit einem sche Gedenkstätten beStipendium der DFG im schränkt und wird schwerRahmen des Graduiertenpunktmäßig in Form zweier kollegs „Menschenwürde Fallstudien durchgeführt, und Menschenrechte“ am die exem­plarischen ChaKolleg. rakter beanspruchen. Dabei handelt es sich um die historische Untersuchung der Gedenkstätten Buchen­wald und Dachau. Diese nehmen nicht nur einen herausragenden Platz in der heutigen Gedenkstättenlandschaft ein, sondern sind auch von großer Bedeutung für die Geschichte der deutschen Gedenkstätten: Historisch verortet in der DDR bzw. in der Bundesrepublik waren sie – im Sinne einer enger gefassten Definition – jeweils Erstgründungen. Zugleich repräsentierten sie in paradigmatischer Weise die Memorialkultur des einen wie des anderen Deutschland und eignen sich deshalb in besondere Weise für einen Ost-West-Vergleich. Auf Basis der Analyseergebnisse werden in einem abschließenden Teil Grenzen und Möglichkeiten einer menschenrechtlichen Orientierung in Gedenkstätten diskutiert. Daraus sollen dann in einer dem Opfergedenken und der historisch-wissenschaftlichen Dokumentation angemessenen Weise konzeptionelle Eckpunkte für eine Gedenkstätte, die sich (auch) als expliziter Lernort für Menschenrechte versteht, markiert werden. 25

Projekte der Kollegiaten Christoph Lundgreen: Lex, ius, mos – aber keine Verfassung? Normenhierarchie und Metaregeln in der römischen Republik Ausgangspunkt ist die Problemstellung, die in meiner Magisterarbeit über die Einführung der schriftlichen Abstimmung in den Volksversammlungen der Römischen Republik auftauchte, nämlich, dass bei dem Versuch, verfassungsrechtliche Grundlagen herauszuarbeiten, häufig verschiedene „Kompetenzen“ miteinander konkurrierten. Dabei stellte sich die Frage: Welche Regel gilt wann? – eine Frage, die ich jetzt in meiner Dissertation mit einer Untersuchung der Regelungskompetenzen und Normenkonflikte im republikanischen Rom Christoph Lundgreen, seit vertiefe. Von Interesse April 2007 als Gastkolist, unabhängig von der legiat am Kolleg. „Herkunft“ oder historischen Authentizität von Regeln, der Konfliktfall: der Konfliktfall zwischen Individuen, der mit Berufung auf eine Regel entschieden wird, aber noch mehr der Konfliktfall von Regeln; wobei zu betrachten ist, welche Regel sich durchsetzt, gleichsam als Metaregel fungiert, was bei Regelverletzungen geschieht und wie (und durch wen) vielleicht auch neue Regeln geschaffen werden. Dabei ist generell skeptisch zu überlegen, ob man (im Sinne Mommsens) wirkliche Regeln rekonstruieren kann oder ob man auf Grund der Quellenlage nur historische Konstruktionen (einzelner Autoren) rekonstruiert. Die Arbeit an diesem Thema verläuft dabei parallel

in zwei Richtungen. Zum einen werden Begriffe wie „Regel“, „Norm“ oder „Regelkonflikt“ erörtert – wobei zu überlegen ist, inwieweit sich philosophische (u.a. Wittgenstein), soziologische (u.a. Popitz) und rechtstheoretische (u.a. Alexy) Ansätze fruchtbar verbinden lassen. Hier muss auch die Besonderheit des römischen Staatsrechts berücksichtigt werden, das keine klare Trennung von Rechts- und Sozial­normen kennt, sondern in dem mit dem mos maiorum und den exempla der Älteren Sitte und Tradition gleichwertig neben rechtliche Konventionen treten. Zum anderen wird mit dem althistorischen Material gearbeitet. Dazu habe ich eine Liste mit Regelkonflikten erstellt, ausgehend zunächst von der Römischen Geschichte des Livius. Mich interessieren dabei besonders die Fälle, welche die regierende Elite selber betreffen: die Triumphzüge, die Wahlen und die Kommandovergaben. Bei einer Untersuchung der Konflikte bei der Triumphzugvergabe lässt sich z.B. klar zeigen, dass von einem ius triumphandi, wie in kaiserzeitlichen Quellen (Valerius Maximus) behauptet, keine Rede sein kann. Neben der Arbeit an den anderen genannten Bereichen, haben sich zwei weitere Fragestellungen ergeben. Erstens soll überlegt werden, inwieweit Gesetze überhaupt als Mittel der Steuerung begriffen werden können, da z.B. Neuerungen nach Cicero immer nur dann gut sind, wenn sie eigentlich schon immer gegolten haben (de leg. Manil. 60). Zweitens stößt eine Untersuchung von Regelkonflikten auch auf das Phänomen der Ausnahme, was hier besonders spannend ist, da sich mit Carl Schmitt und Giorgio Agamben zwei der wichtigsten modernen Theoretiker der Ausnahme beide auf das römische Recht stützen. Zu diesem Teilaspekt wird 2008 ein Aufsatz erscheinen.

Anne Mazuga: Agency und Handlung – eine Verhältnisbestimmung Was ist eine Handlung? – Dies ist sicherlich eine der Grundfragen der philosophischen Handlungstheorie und es gibt zahlreiche Vorschläge, wie sie zu beantworten ist. Im analytischen Flügel der Handlungstheorie sind solche Antworten Versuche, notwendige und hinreichende Bedingungen zu formulieren, unter denen der Begriff Handlung korrekt verwendet wird. Besonders häufig werden dabei Absichten der Akteure, Intentionen oder Gründe als Bedingungen angeführt. Doch all diese Ansätze stoßen auf eine Reihe von hartnäckigen logischen und begrifflichen Schwierigkeiten. Es ist nicht so leicht zu bestimmen, was genau eine Intention oder ein Grund ist und wie sie zu Handlungen führen. Mit meiner Dissertation möchte ich eine Antwort vorschlagen, die diese Schwierigkeiten nicht auslöst. Mit der Forschungstradition teile ich zunächst zwei Kernannahmen: Handlungen sind ein Bereich des menschlichen Verhaltens und sie lassen sich von »bloßem Verhalten« wie etwa Niesen oder Schnarchen unterscheiden. Nun aber verzichte ich auf die Begriffe Absicht, Intention oder Grund und verarbeite stattdessen die Tatsache, dass man 26

zu Handlungen Aufforderungen aussprechen kann, zu »bloßem Verhalten« hingegen nicht. Mit der Ausführung von Handlungen kann man Aufforderungen gleichsam »beantworten«, entweder indem man sie befolgt oder indem man sie missachtet. So lässt sich der Begriff Handlung über den der Aufforderungszugänglichkeit charakterisieren. Auf dieser Explikationsbasis konstruiere ich ein Handlungsmodell, das sich an Interaktionen orientiert und Handlungen dialogisch darstellt: als Antworten auf mögliche Aufforderungen.

Anne Mazuga, seit April 2007 als Kollegiatin mit einem Stipendium der Jutta-Heidemann-Stiftung am Kolleg.

Projekte der Kollegiaten Dabei möchte ich zugleich zeigen, dass die Fähigkeit, Aufforderungen praktisch zu beantworten, identisch ist mit der Fähigkeit, selbstständig und unaufgefordert Handlungen auszuführen. Nur wer das eine kann, kann auch das andere. Diese Fähigkeit bezeichne ich (aus Mangel an einem deutschen Äquivalent) mit dem englischen Ausdruck als ‚Agency‘. Mit dem dialogischen Handlungsmodell soll auch die soziale Relevanz von Handlungen deutlich werden: Nur

weil man zu Handlungen Aufforderungen aussprechen kann, ist es möglich, für oder gegen die Ausführung bestimmter Handlungen zu argumentieren, etwa indem man die Zweckrationalität einer Handlung aufzeigt. Argumentationen sind ein gewaltfreier Weg, mit Konflikten umzugehen. Eine präzise handlungstheoretische Ausarbeitung des Begriffes Handlung ist daher nicht zuletzt für moralphilosophische Überlegungen und Theorien relevant.

Eva Range: Menschenrechte, soziale Bewegungen und transnationale Akteure in der Republik Südafrika Nach allgemeiner Einschätzung haben sich im Post­ apartheid-Südafrika soziale Bewegungen vornehmlich im Kontext von zwei innergesellschaftlichen Problemlagen formiert. Hierbei handelt es sich zum einen um den fehlenden Zugang zu Wasser, Elektrizität sowie sozialen Dienstleistungen für weite Teile insbesondere der schwarzen Bevölkerung; zum anderen um die Diskriminierung von gesellschaftlich marginalisierten Gruppen wie etwa Frauen, Eva Range, seit April 2007 Ausländern, Homosexuelals Kollegiatin mit einem len oder Landlosen (unter Stipendium der DFG im dieser Bezeichnung werden Rahmen des GraduiertenMenschen gefasst, welche kollegs “Menschenwürde über keinen oder aber über und Menschenrechte“ am keinen verlässlichen LandKolleg. zugang verfügen). Vor diesem Hintergrund ist es Anliegen des Dissertationsvorhabens zu untersuchen, wie sich im neuen Südafrika soziale Bewegungen organisieren, durch welche Diskurse die Teile eines Bewegungsnetzwerkes miteinander verbunden sind und wie die Bewegungen demgegenüber im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden – Letzteres soll als Indikator für die ihnen zugestandene Legitimität gelten. Zudem soll in besonderer Weise berücksichtigt werden, ob das Phänomen der transnationalen Vernetzung für den spezifischen Fall der südafrikanischen Republik tatsächlich die Bedeutung innehat, welche der internationale politikwissenschaftliche Forschungsstand nahelegt. Für das skizzierte Pro­ motionsvorhaben erweist sich der Ansatz von della Porta

und Diani (1999), nämlich soziale Bewegungen als Netzwerke aufzufassen, als besonders geeignet, um externe Akteure in die Analyse der nationalen Bewegungen mit einzubeziehen. In Ergänzung zu der aus der Soziologie stammenden sozialen Bewegungsforschung soll im Übrigen die politikwissenschaftliche Transnationalismus-Theorie hinzugezogen werden. Um einen möglichst repräsentativen Eindruck der sozialen Bewegungslandschaft in Südafrika zu erhalten, werde ich mich auf vier Fallbeispiele konzentrieren, die so gewählt sind, dass sie die beiden Felder ökonomische Marginalisierung und politische Diskriminierung von Minderheiten abdecken. Konkret handelt es sich um soziale Bewegungen, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzen, für die Rechte von Ausländern (Asylanten, legale und illegale Ausländer), von Landlosen und der „Armen“ (speziell beziehe ich mich auf solche Menschen, die keinen Zugang zu Wasser und Strom haben). Für jede der vier Bewegungen soll empirisch rekonstruiert werden, welche Akteure (Organisationsform) sich engagieren, wie diese untereinander verbunden sind (konkrete Netzwerke und/oder identitätsbezogene Netzwerke; Differenzierungen hinsichtlich der Intensität und zeitlichen Befristung von Beziehungen), über welche Interpreta­tionsrahmen die Bewegungen sich selbst und ihre Forderungen repräsentieren (framing), wie sie strategisch agieren (Aktionsform) und wie offen sich für die jeweiligen Bewegungen der Zugang zum Staat darstellt (politische Opportunitätsstruktur). Grundsätzlich soll in der empirischen Untersuchung besonders darauf geachtet werden, in welchem Maß bzw. auch in welcher Weise externe Akteure auf die zuvor genannten Parameter Einfluss ausüben und diese gegebenenfalls verändern. In methodischer Hinsicht habe ich mich für ein qualitatives Forschungsdesign entschieden. Die erforderlichen Daten sollen im Rahmen einer Feldforschung durch strukturierte Leitfadeninterviews erhoben werden.

Stefanie Westermann: Die nationalsozialistischen Zwangssterilisationsund „Euthanasie“-Verbrechen und ihre Opfer nach 1945 Etwa 400.000 Menschen wurden während des „Dritten Reichs“ Opfer von Schnellgerichtsverfahren, in denen ihre Lebensführung, ihre Intelligenz, ihr „sozialer Wert“ gemessen und für nicht ausreichend befunden wurden, von operativen Zwangseingriffen mit gesundheitlichen Risiken, von staatlichen Restriktionen, wie beispielsweise dem Verbot, Nicht-Zwangssterilisierte zu heiraten. Über 120.000 geistig behinderte und psychisch kranke Menschen wurden zu Objekten medizi-

nischer Versuche, wurden im Rahmen der „Euthanasie“ durch Giftgas, Mangelernährung und überdosierte Medikamente in spezialisierten Tötungseinrichtungen ebenso wie in regulären Heil- und Pflegeanstalten ermordet. Nach 1945 wurden die „Euthanasie“-Morde gesellschaftlich weitgehend verdrängt, die Zwangsste­ rilisationen oftmals nicht einmal als Verbrechen gewertet und die Opfer bis in die 1980er Jahre hinein 27

Projekte der Kollegiaten

Stefanie Westermann, seit Oktober 2007 als Kollegiatin mit einem Stipendium der DFG im Rahmen des Graduiertenkollegs „Menschenwürde und Menschenrechte“ am Kolleg.

aus „Wiedergutmachungsbemühungen“ bewusst ausgegrenzt. Anhand von Interviews und umfangreichen Egodokumenten von Zwangssterilisierten und Kindern, deren Elternteile im Rahmen der NS-„Euthanasie“ ermordet wurden, sowie Akten aus „Wiederaufnahmeverfahren in Erbgesundheitssachen“, die nach 1945 an Amtsgerichten in der britischen Besatzungszone bzw. den entsprechenden Bundesländern geführt wurden, untersucht die Dissertation den Umgang mit den nationalsozialistischen „Euthanasie“- und Zwangssterilisationsverbre­ chen und ihren Opfern

nach 1945. Sie will damit einen Beitrag zur Analyse des Verhältnisses zur nationalsozialistischen Vergangenheit leisten und hierbei insbesondere lange Zeit ausgegrenzte Opfergruppen, ihre Lebenswelten und ihre Perspektiven in den Fokus rücken. Dabei wird anhand der unterschiedlichen Quellen die Nachhaltigkeit einer „Erbgesundheitslogik“ zu zeigen sein, die noch Jahrzehnte nach 1945 den Umgang mit den Opfern ebenso wie das Selbstverständnis der Betroffenen prägte. Für die Opfer der nationalsozialistischen „Gesundheitspolitik“ blieb die erklärte „Minderwertigkeit“ und die damit empfundene Entwürdigung zumeist ihr Leben lang Referenzpunkt ihres Selbstbildes wie ihres Verhältnisses zur sozialen Umwelt.

Marc Zivojinovic: Der jugoslawische Titokult 1941-1991 Die politische Realität des zweiten, sozialistischen Jugoslawien wurde wesentlich durch den Personenkult um den Staats- und Parteichef Josip Broz Tito geprägt, der die charismatische Herrschaft Titos reflektierte. Ausgehend von Max Webers Konzeptionalisierung des Charismabegriffs soll mit dem Promotionsvorhaben der Frage nach Ursachen, Wirkungsmechanismen und Darstellungsformen des jugoslawischen Titokultes nachgegangen werden. Dabei gilt es jene Motive und Mythen zu untersuchen, auf die sich der Kult um den „Charismatiker“ Tito bezog, wie etwa der zum Gründungsmythos ausgebaute antifaschistische Partisanenkampf aller jugoslawischen Völker, die zur Staatsdoktrin erhobene „Brüderlichkeit und Einheit“ und ebenso das Narrativ der Verteidigung der jugoslawischen Unabhängigkeit gegenüber der stalinistischen Sowjetunion. Durch eine Analyse der Organisationsstrukturen des Personenkultes in Staat, Partei und Massenorganisa­ tionen kann auf die Trägerschichten des Kultes verwiesen werden, die diesem erst die notwendige soziale Resonanz verschafften. In diesem Zusammenhang wird zu zeigen sein, wie der Personenkult auf unterschiedlichen Vermittlungsebenen transportiert wurde, d.h. wie Zeitungen, Biographien, Lieder, Filme, Schulbücher und Massenfeste gezielt in den Dienst einer ubiquitären Verbreitung des Titokultes gestellt wurden. Dass die propagandistische Vermittlung des Personenkults eine gewisse Eigendynamik aufwies und sich immer wieder den veränderten Umständen anzupassen versuchte, wird bei der Betrachtung seiner Entwicklungsphasen deutlich, die in den Rahmen der innenund außenpolitischen Veränderungen eingeordnet werden können. Dabei ist vor allem der Frage nach den jeweiligen Funktionen des politischen Kultes in Hinblick auf Identitätsstiftung, Integrationsleistungen und Legitimationseffekte nachzugehen.

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Zwar führte die mit gro­ ßem propagandistischen Eifer inszenierte Beerdigung des Staatschefs im Mai 1980 den jugoslawischen Bürgern noch einmal die internationale Anerkennung Titos vor Augen, dennoch konnte die Fortführung des Personenkults durch seine Nachfolger die sich beschleunigende Erosion der wesentlichen Legitimationsgrundlagen nicht aufhalten. Hier soll die These überprüft werden, Marc Zivojinovic, seit Okdass durch das Festhaltober 2007 als Kollegiat ten am Titokult der gesellmit einem Stipendium des schaftliche Reformdiskurs Stifterverbands für die Jugoslawiens in wichtigen Deutsche Wissenschaft am Teilen blockiert wurde. Kolleg. Somit können in der Studie die verschiedenen Elemente des titoistischen Personenkults zu einer Charakteristik dieses spezi­fischen, wenn auch nicht singulären, Herrschafts­ instruments zusammengefasst werden. Die Frage, ob und wie der Titokult nachwirkt, verweist schließlich auf den heutigen Umgang mit der historischen Person Josip Broz Titos in den jugoslawischen Nachfolgestaaten, die zwischen Ablehnung und nostalgischer Verklärung oszilliert.

Projekte der Kollegiaten

Laufende Projekte der Postdoktoranden Dr. Daniel Bogner Seit Januar 2007 als Postdoktorand mit einem Stipendium des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft am Kolleg. Forschungsprojekt: „Gewalt und Menschenrechte in Algerien. Ein Beitrag zur Debatte um die universale Geltung der Menschenrechte“

Dr. Austin Harrington Seit Juni 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kolleg. Forschungsprojekte: „Theological Language in Social Thought“ und „Europa in Weimar: German Social Thinkers and the Idea of the West, 1914-1945“

Dr. Bettina Hollstein Seit April 1998 als wissenschaftliche Kollegreferentin am Kolleg. Habilitationsprojekt: „Das Phänomen Ehrenamt“

Dr. Christof Mandry Von April 2004 bis Februar 2006 als Postdoktorand mit einem Kurzzeitstipendium der ASKO Europa-Stiftung, seit März 2006 als Drittmittelmitarbeiter im Rahmen des vom BMBF finanzierten Verbundprojekts „Mobilisierung

von Religion in Europa“ am Kolleg. Forschungsprojekt: „Europa als Wertegemeinschaft? Religiöse Wertüberzeugungen als Ressource für politische Identität“

Dr. Astrid Reuter Seit April 2004 als Postdoktorandin am Kolleg, zunächst mit einem Kurzzeitstipendium der Universität Erfurt und dann mit einer Drittmittelfinanzierung der Fritz Thyssen Stiftung. Von Oktober 2005 bis Juli 2006 als Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin; seit August 2006 wieder am Kolleg, bis Sommer 2007 in Elternzeit. Forschungsprojekt: „Die Entzauberung der säkularen Gesellschaft. Der ‚Kopftuchstreit‘ als Brennpunkt einer neuen Debatte um das Verhältnis von Religion, Staat, Politik und Gesellschaft in Frankreich und Deutschland“

Dr. Magnus Schlette Seit April 2005 als Postdoktorand, zunächst finanziert durch ein Stipendium des Max-Weber-Kollegs, seit November 2005 mit einem Christoph-Martin-Wieland-Stipendium für Habilitationen der Universität Erfurt am Kolleg. Forschungsprojekt: „Selbstverwirklichung: Lebenspraxis zwischen Autokratie und Transgression. Die Philosophie des Protestantismus als Reflexionsgestalt der Moderne“

Laufende Projekte der Doktoranden Karina Becker

Mateusz Falkowski

Von April 2004 bis März 2005 als Kollegiatin mit einem Stipendium der Plansecur-Stiftung, von April 2005 bis April 2006 mit einem Stipendium der Universität Erfurt, von Mai bis August 2006 mit einem Stipendium der Jutta-Heidemann-Stiftung, seit Oktober 2006 als Gastkollegiatin am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Kleine und mittlere Unternehmen im Spannungsfeld von Autonomie und Standardisierungsdruck der neuregulierten Finanzmärkte“

Seit Oktober 2006 mit einem Stipendium der Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung am Kolleg. Dissertationsprojekt: „In the Underground. Sociological analysis of Samizdat publishing in communist Poland between 1977 and 1989“

Kathi Beier Seit April 2004 mit einem Stipendium der Jutta-Heidemann-Stiftung sowie einem DAAD-Stipendium von Januar bis Juni 2007 für einen Auslandsaufenthalt am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Selbsttäuschung und praktische Identität“

Bernadett Bigalke Seit Oktober 2005 als Kollegiatin mit einem Stipendium der Vereinigten Kirchen- und Klosterkammer am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Die Leipziger alternativ-religiöse Szene um 1900 am Beispiel der ‚Theosophischen Gesellschaften‘“

Anja Finger Seit April 2004 mit einem Stipendium der Vereinigten Kirchen- und Klosterkammer sowie einem DAAD-Stipendium für einen einjährigen Auslandsaufenthalt am Kolleg. Dissertationsprojekt: „(K)Ein sanfter Schlaf – zum religiösen Umgang mit einer bestimmten Form der NichtHandlung und seinen Folgen. Eine vergleichend-religionssoziologische Studie“

Susanne Herrmann-Sinai Seit April 2006 als Kollegiatin mit einem Stipendium der Universität Erfurt, seit Juni 2006 mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes am Kolleg; von Juli 2006 bis September 2007 beurlaubt wegen Elternzeit. Dissertationsprojekt: „Formenwandel und Entwicklung – oder was es heißt, einem Prinzip zu folgen. Eine Theorie moralischer Handlungspraxis in Auseinandersetzung mit Christine Korsgaard“

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Projekte der Kollegiaten Nora Kreft Seit Oktober 2006 zunächst als Gastkollegiatin, seit Oktober 2007 als Kollegiatin mit einem Christoph-MartinWieland-Stipendium der Universität Erfurt, seit November 2007 mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Liebe, Kreativität und persönliche Verwandlung“

Dorothea Reinmuth Seit April 2006 zunächst mit einem Christoph-MartinWieland-Stipendium der Universität Erfurt, seit August 2006 mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Die Performativität der Anerkennung. Potentiale und Grenzen neuerer Anerkennungstheorien (Taylor, Honneth, Fraser)“

Christian Scherer Von Januar 2004 bis Dezember 2006 mit einem Stipendium der Vereinigten Kirchen- und Klosterkammer, seit Januar 2007 als Gastkollegiat am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Die Rezeption des Wertkomplexes der Menschenwürde und Menschenrechte im deutschen Katholizismus von 1871 bis zum II. Vatikanischen Konzil“

Dominik Schlosser Seit Oktober 2006 mit einem Stipendium der Kirchen-

und Klosterkammer am Kolleg. Dissertationsprojekt: „,...the greatest driving force mankind has ever experienced.‘ Das Islamverständnis MuÎammad Asads“

Stephan Steiner Seit November 2006 mit einem Stipendium des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Leo Strauss und die Marburger Hermeneutik. Eine historisch-systematische Rekontextualisierung“

Christian Westerhoff Seit Oktober 2005 als Kollegiat mit einem Stipendium der Landesgraduiertenförderung am Kolleg. Dissertationsprojekt: „Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Rekrutierung und Beschäftigung osteuropäischer Arbeitskräfte in Deutschland und in den besetzten Gebieten“

Patrick Wöhrle Von April 2004 bis März 2007 mit einem ChristophMartin-Wieland-Stipendium der Universität Erfurt, seit Oktober 2007 als Gastkollegiat am Kolleg, von April bis September 2007 beurlaubt aufgrund der Annahme einer Vertretung an der Technischen Universität Dresden. Dissertationsprojekt: „Metamorphosen des Mängelwesens. Arnold Gehlens Anthropologie und ihre sozio­logische Wirkung“

Abgeschlossene Projekte Priv.-Doz. Dr. Michael Makropoulos: Kontinuität und Bruch der gesellschaftlichen Moderne nach „1968“ Von November 2003 bis Januar 2007 als Mitarbeiter im Rahmen des Drittmittelprojektes „Kontingenz und Moderne“, finanziert durch die VolkswagenStiftung, am Kolleg. Die Bearbeitung dieses Projektteils erforderte sowohl in historischer wie in systematischer Hinsicht zunächst eine erneute Reflexion auf das Verhältnis von Klassischer Moderne und Postmoderne. Kontingenz ist in der Klassischen Moderne sozialphilosophisch nicht nur als problematische, sondern auch als wünschbare oder zumindest tolerierbare ontologische Qualität moderner Wirklichkeiten thematisiert worden, die sich – so oder so – in der irreduziblen Auflösung der Einheit der Wirklichkeit in pluralisierte und kontextualisierte Wirklichkeiten manifestiert. Pluralität ist daher kein Spezifikum der Postmoderne, wie weithin angenommen wird. Charakteristisch für die Postmoderne ist vielmehr die diskursive Dominanz einer theoretischen Disposition, die Pluralität nicht als Defizit moderner Wirklichkeiten problematisiert, sondern als deren wünschbaren oder zumindest tolerierbaren Eigenwert positiviert und gegen die unifizierenden modernistischen Entwürfe der Klassischen Moderne setzt, zu denen auch die soziologische 30

Modernisierungstheorie gehört. Dem entsprechend ist es unzutreffend, die Klassische Moderne ausschließlich auf Kontingenzbewältigung hin zu deuten und die Positionen der Kontingenztoleranz, die es bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gab, der Postmoderne zuzurechnen. Die Postmoderne war vielmehr die normative Aufwertung der anderen Seite des klassischen Modernitätsbewusstseins nach dem vorläufigen Ende seiner modernistischen Erkenntnis- und Gestaltungstotalitätsansprüche. Die kurze, aber theoretisch ausgesprochen produktive Phase der postmodernen Kritik der Moderne hatte damit zumindest den einen historischen Ertrag, dass sie die moderne Obsession einer selbstgeschaffenen Einheit der Wirklichkeit gründlich in Zweifel gezogen hat. Deshalb hat die Postmoderne die Klassische Moderne auch nicht dadurch beendet, dass sie sie ablöste, sondern dadurch, dass sie sie vervollständigte, indem sie die theoretischen Optionen der Kontingenztoleranz gegen die Optionen der Kontingenzbewältigung samt ihrer politisch-sozialen Strategien modernisierungslogischer Funktionalismen ins Zentrum der Modernitätssemantik rückte. „Kontingenz“ bezeichnet also nicht einfach Andersheit, sondern Veränderlichkeit oder aber Veränderbarkeit, wobei gera-

Projekte der Kollegiaten de die planungskonträre Veränderlichkeit lange Zeit im Zentrum politisch-sozialer Versuche der funktionalistischen Kontingenzbegrenzung lag. Im Laufe des 20. Jahrhunderts und insbesondere seit den 60er Jahren ist Kontingenz dennoch zunehmend entproblematisiert worden. Manifest wird diese Entproblematisierung der Kontingenz zunächst in der historischen Transformation ihrer Semantik. Kontingenz, so könnte man sagen, ist von einem ontologischen zu einem soziologischen Problem geworden. Kontingenz ist darüber hinaus auch in dem Sinne zunehmend entproblematisiert worden, dass es in der politisch-sozialen Entwicklung der modernen Gesellschaften nicht mehr vorrangig um die Begrenzung, Bewältigung oder die Beseitigung von Kontingenz ging, sondern um ihre Normalisierung, Kultivierung und gezielte Steigerung. Dies geschah nicht zuletzt im Zuge kulturrevolutionärer Tendenzen um 1968, die in ihrem Kern nachholende Realisierungen der experimentellen Potentiale und des positiven Kontingenzbewusstseins der Klassischen Moderne waren. Auf diesem Hintergrund lassen sich nun spezifische sozio-kulturelle Phänomene von Modernität als einer etablierten Kontingenzkultur rekonstruieren. Empirische Referenz dieser Rekonstruktion sind jene artifiziellen Wirklichkeiten im 20. Jahrhundert, die als Ensemble technischer und ästhetischer Konstruktionen Realisierungen des potentiell schrankenlosen Möglichkeitsbewusstseins einer positiven Kontingenzkultur sind, also eines eigenperspektivischen Weltverhältnisses, in dessen Zentrum die allgemeine Prämisse steht, dass das, was ist, auch anders sein könnte. Die soziale Etablierung dieser Kontingenzkultur hat sich in zwei Typen vollzogen, die verschiedene Realisierungen der konstruktivistischen Disposition gezielter Kontingenzbegrenzung durch organisierte Kontingenznutzung sind. Den ersten Typ bildet die disziplinäre Vergesellschaftung als präskriptiv-heteronome Sozialisation, den zweiten Typ bildet die kommunikative Vergesellschaftung als performativ-autonome Integration. Das entspricht der prinzipiellen sozialen Entdramatisierung von Kontingenz, die mit der Transformation der sozialen Kontingenzsemantik von einer Unsicherheits- zu einer Möglichkeitssemantik korrespondiert und sich in den sozialpolitischen Risikodiskursen und Versicherungspraktiken manifestiert. Charakteristisch hierfür ist, dass seit der Klassischen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts ein Übergang von disziplinären zu kommunikativen Dispositiven der Normalisierung als allgemeinem Prinzip spezifisch moderner Sozialintegration stattfindet, der mit der Etablierung entfalteter wohlfahrtsstaatlicher Sozialpolitiken in den 70er und den 80er Jahren seinen vorläufigen Abschluss findet und gewissermaßen die staatlich-institutionalisierte soziale Seite der postmodernen Selbstauslegung der Moderne ist. Die Entproblematisierung der Kontingenz im 20. Jahrhundert manifestiert sich auf drei Ebenen. Theoriegeschichtlich bzw. sozialphilosophisch ist im Kontinuum von Klassischer Moderne und Postmoderne eine Dominanzverlagerung von Konzepten der Kontingenzbewältigung zu solchen der Kontingenztoleranz zu verzeichnen, der eine Verschiebung im Kontingenzkonzept entspricht: Wenn Kontingenz als Problem thematisiert wird, dann wird es zunehmend weniger als ontologisches und zunehmend mehr als soziologisches Problem gefasst. An die Stelle der ontologischen Kontingenz der Wirklichkeit tritt sozusagen die soziale Kontingenz in Gesellschaft. Damit

hängt die zweite Ebene zusammen: Sozialgeschichtlich hat in diesem Zeitraum etwa von den 20er bis zu den 70er Jahren eine Verschiebung der Kontingenzbewältigungsdispositive von solchen der Sicherheit zu solchen der Versicherung stattgefunden. Signifikant sind dafür die wohlfahrtsstaatlichen Sozialpolitiken, die sich nicht – wie noch im 19. Jahrhundert – gegen gefährliche Populationen, sondern gegen soziale Risikofaktoren gerichtet haben. Die dritte Ebene markiert dem gegenüber eine verallgemeinerte Disposition der individuellen und kollektiven Selbstentfaltung, die im Kontext der Technisierung und Ästhetisierung, also der Artifizialisierung gesellschaftlicher Erfahrung steht. Auf dieser Ebene kann man von einer etablierten Kultur der Kontingenz sprechen, in der zumindest die traditionellen Konzepte der Kontingenzbewältigung durch ihre definitive Aufhebung in Totalisierungsstrategien nicht zuletzt nach den totalitären Erfahrungen im 20. Jahrhundert geschichtlich und theoretisch erledigt zu sein scheinen. Dass diese Entdramatisierung der Kontingenz freilich nicht das Verschwinden der Kontingenz bedeutet, sondern nur das Ende ihrer Zentralität für die Selbstproblematisierung der Moderne, bildet den Ausgangspunkt für eine kontingenztheoretische Abhandlung zum Phänomen der Massenkultur als einer entfalteten und im lebensweltlichen Sinne unproblematisch gewordenen Kultur des generalisierten und normalisierten Möglichkeitssinns, die neben einer Reihe von aufeinander beziehbaren und einander ergänzenden Aufsätzen zur modernen Kontingenzsemantik den Hauptertrag dieses Projektteils bildet. Die Monographie wird im Frühjahr 2008 unter dem Titel „Theorie der Massenkultur“ im Fink-Verlag erscheinen.

Michael Makropoulos, Kathi Beier, Yulia Timofeeva, Christoph Liell und Andrzej Michalczyk (v. l. n. r.) während eines Ausflugs zum Nietzsche-Archiv in Weimar im Juni 2004

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Projekte der Kollegiaten

Abgeschlossene Projekte der Doktoranden Hella Dietz: Von der Opposition der Werte zu den Werten der Opposition – eine pragmatistische Rekonstruktion der zivilgesellschaftlichen Opposition in Polen Von Oktober 2003 bis September 2006 mit einem Stipendium der Studienförderung Klaus Murmann der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, von Oktober 2006 bis September 2007 als Gastkollegiatin am Kolleg. Sozialwissenschaftliche und historische Arbeiten zur Oppositionsbewegung in der polnischen Nachkriegszeit konzentrieren sich auf den Zeitraum 1956-1980 oder beleuchten den Umbruch 1989, der dann meist als konsequenter Bruch mit der Zeit vor 1989 interpretiert wird, sowie den anschließenden Systemwandel. Meine Dissertation rekonstruiert die Entstehung und Entwicklung von Ideen und Wertvorstellungen der polnischen Oppo­ sitionellen vor 1989 einschließlich der bislang meist vernachlässigten achtziger Jahre und zielt darauf, Brüche im Handeln der Oppositionellen vor 1989, aber auch Kontinuitäten im Handeln der (ehemaligen) Aktivisten bis in die Gegenwart hinein aufzudecken. Die Dissertation setzt sich damit zugleich ein theoretisches Ziel: Sie will, ausgehend von den metatheoretischen Einsichten von G. H. Mead und John Dewey sowie den Überlegungen von Hans Joas einen Beitrag zur Ausarbeitung angemessener theoretischer Instrumente zur Analyse der Entstehung und Entwicklung von Ideen und Werthaltungen leisten. Sie tut dies, indem existierende Ansätze – insbesondere der neueren Bewegungsforschung, aber auch der Analyse von Ritualen (Victor Turner) und der Idee der Wertegeneralisierung (Parsons) – auf ihr Erklärungspotential hin befragt, kritisiert und in Richtung einer (neo-)pragmatistischen Handlungstheo­ rie erweitert werden. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass sich Ideen und Wertvorstellungen als Ergebnis der Reflexion auf Erfahrungen rekonstruieren lassen. Diese Erfahrungen werden anhand von historischen und soziologischen Studien, vor allem jedoch anhand von in der deutschsprachigen Literatur wenig beachteten Originalquellen rekonstruiert – politische Texte, aber auch biographische Erinnerungen, literarische Zeugnisse etc. Im Hinblick auf diese Quellen war es allerdings notwendig, sich auf diejenigen zu beschränken, die nur kurze Zeit nach den Veränderungen publiziert (und somit möglichst wenig durch ex-post-Rationalisierungen oder spätere Interessenlagen verfälscht) wurden. Zu welchen Ergebnissen die Dissertation geführt hat, sei anhand eines Beispiels dargestellt. Innerhalb der polnischen Opposition lassen sich zwei Gruppierungen unterscheiden, die häufig dieselben Begriffe verwenden, aber darunter – im Anschluss an je unterschiedliche konstitutive Erfahrungen – Unterschiedliches ver-

stehen. Für die Oppositionellen um das spätere Komitee zur Verteidigung der Arbeiter, KOR, ist die Erfahrung der Revision des eigenen Selbstverständnisses zentral: Sie reflektieren und idealisieren ihre Erfahrungen während des Stalinismus, und sie beginnen einen „offenen Dialog“ mit den fortschrittlichen Katholiken. Im Zuge dieses Dialogs überwinden beide Gruppierungen den „totalen Konflikt“ (Adam Michnik) zwischen Katholiken und Linken und beginnen, im sozialistischen Regime einen gemeinsamen Gegner zu sehen, der Menschenwürde und Menschenrechte von Gläubigen und Atheisten gleichermaßen verletzt. Für diese Oppositionellen ist Pluralismus in der Folge immer mit der grundlegenden Anerkennung der Position des anderen verbunden – eine Haltung, die sich auch in den neunziger Jahren in Adam Michniks umstrittenem (und letztlich gescheiterten) Versuch wiederfindet, einen Dialog mit ehemaligen Vertretern des sozialistischen Regimes zu führen, die aber gemeinhin als Bruch mit den Werten der Opposition interpretiert wird. Die zweite Gruppierung, die Oppositionellen der Solidarność, übernehmen zwar viele Formulierungen und Ideen des KOR, für sie ist jedoch – trotz aller sonstigen Unterschiede – eine ganz andere Erfahrung konstitutiv: Die kollektive Identität der Solidarność bildet sich in den liminalen Erfahrungen (Schwellenerfahrungen) des Papstbesuchs und der Streiks auf der Danziger Werft, in denen Feindbilder nicht revidiert, sondern in der liminalen Gemeinschaft aufgehoben werden. Dieses Verständnis von Pluralismus zeigt sich beispielhaft an dem Satz „wir tolerieren andere, wenn sie mit uns sind“, es erinnert jedoch zugleich an Formulierungen der populistischen Rechten in den neunziger Jahren. Einerseits lassen sich somit bestimmte Kontinuitäten im Handeln von Akteuren identifizieren, andererseits kommt es jedoch bereits vor 1989 zum Bruch mit anderen Wertvorstellungen und Ideen aus der Zeit der Opposition: Entgegen der etablierten Lesart, die 1989 als verspäteten Sieg der Solidarność ansieht, überlebt die Solidarność die achtziger Jahre lediglich als Symbol, nicht jedoch als soziale Bewegung; denn die kollektiven Deutungsmuster von KOR und Solidarność verlieren unter den Bedingungen der achtziger Jahre ihre handlungsorientierende Kraft. Der Umbruch 1989 ist vielmehr der Sieg einer oppositionellen Elite, die mit Hilfe des symbolischen Kapitals der Solidarność (zumindest kurzzeitig) die Unterstützung großer Teile der Bevölkerung mobilisieren kann, sich aber vom Programm der „Selbstverteidigung der Gesellschaft“ bereits Mitte der achtziger Jahre verabschiedet hat.

Andrzej Michalczyk: Kirchlichkeit und Nationalität: Ein Spannungsfeld. Identitätsangebote und Identitätspraktiken in Oberschlesien 19221939 Von Oktober 2002 bis Dezember 2005 mit einem Ost­ europa-Stipendium der Marga und Kurt Möllgaard-Stif­32

tung, von Januar 2006 bis Januar 2007 als Gastkollegiat am Kolleg.

Projekte der Kollegiaten Am Beispiel des in den Jahren 1922-1939 zwischen Polen und Deutschland geteilten, katholischen Oberschlesien, einer ethnisch und sprachlich gemischten, aber zugleich beinahe monokonfessionellen Region, untersuche ich das Spannungsfeld zwischen Nationalisierungsbestrebungen der Nationalstaaten und einem möglichen Übergewicht konfessioneller und/oder regionaler Identitäten. Im Mittelpunkt der empirischen Arbeit stehen die Wahrnehmung und die Aneignung von gruppenbezogenen Identitätsangeboten sowie der praktische Umgang mit ihnen im Alltag eines europäischen „Zwischenraums“. In der Studie analysiere ich ritualisierte Formen des Gruppenverhaltens im breit gefassten kirchlichen Raum durch eine eingehende Beobachtung des Gottesdienstbesuches, der Fronleichnamsprozessionen sowie anderer kirchlicher Rituale im Kontext der Verbundenheit mit der Kirche. Die traditionelle Kirchlichkeit der Oberschlesier betrachte ich als eine Bühne, wo sich das Zugehörigkeitsgefühl der Oberschlesier manifestieren und unterschiedliche Identitätsaneignungen offenbaren konnten. Dabei geht es mir nicht um Identität im wörtlichen, sozialpsychologischen Sinne, sondern um das Verhältnis ihrer potentiellen Träger zu bestimmten Identitätsangeboten. Als Zugang zu dieser Problematik wählte ich kirchliche und – nur in ergänzendem Ausmaß – politische Feiern aus. Kirchliche Feste und politische Feiern können als der Ort gelten, an dem sich der Loyalitätsanspruch der Nation gegenüber konkurrierenden konfessionellen und sozialen Bindungen, aber auch ökonomischen Interessen behaupten musste. Die Studie stellt also einen Versuch dar, sich über den Umweg des Außeralltäglichen an den oberschlesischen Alltag heranzutasten und die Normalität durch die Beobachtung des Spektakulären und Dramatischen zu erfahren. Das Innovative der Arbeit besteht in der Verbindung von theoretischer Herangehensweise und der Konkretion, in der sich die unterschiedlichen Verhältnisse, die Wahrnehmungen und Aktionsweisen der Akteure erst zeigt und die erst die komplexen sprachlichen, nationalen und konfessionellen Zugehörigkeiten und Abgrenzungen erschließt. Mit diesem Ansatz geht ein zweites, in der Oberschlesienforschung wenig erprobtes Leitmotiv einher: Beide Teile der Region werden vergleichend dargestellt. Das Leben an der oberschlesischen Grenze, das von den deutschen und polnischen Nationalisten so gern als tägliche nationale Kampferfahrung und als gelebter Patriotismus dargestellt wurde, wies in der Realität vielfältige Schattierungen auf. Zwar war Oberschlesien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine hart umkämpfte Region und ihre Einwohner waren Objekt politischer Mobilisierung für das jeweilige nationale Projekt, dennoch war es gleichzeitig eine Region der kulturellen Begegnung und Vermischung. Ungeachtet dessen verlangten die Nationalstaaten eine ausschließliche Identifikation mit ihrer Trägernation und ihrem Staat. Die „nationalizing nation-states“, wie sie Brubaker bezeichnete, setzten auf Unterdrückung und Vereinheitlichung statt auf Kompromiss. Dennoch lässt sich gerade durch eine alltags- und mikrogeschichtliche Beobachtung unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten feststellen, dass selbst im „Zeitalter des Nationalismus“ die Wirksamkeit der Nationalisierungspolitiken begrenzt war. Eine Mehrzahl der einheimischen Oberschlesier blieb resistent gegenüber nationalpolitischer Mobilisierung und eignete sich die nationale Schwarzweiß-Einteilung nicht an. Mehrere Indizien deu-

ten darauf hin, dass sowohl im deutschen als auch im polnischen Teil Oberschlesiens nur eine kleine Gruppe der einheimischen Einwohner die Nationalisierungspolitik aktiv unterstützte. Es gab offensichtlich neben dem „externen Heimatland“, den „nationalisierenden Nationalstaaten“ und den verschiedenen Ethnonationalismen der Minderheiten eine wenig politisierte und kampfunwillige Alltagswirklichkeit außerhalb der politischen Elitendiskurse. Obwohl das oberschlesische Kohlerevier hoch industrialisiert war und die Prozesse der Modernisierung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant beschleunigt wurden, konnte der Nationalismus in dieser Region nur schwer Fuß fassen. Das „vormoderne“ Phänomen des zumindest partiellen Übergewichts konfessioneller gegenüber nationaler Identität reichte noch weit bis in das national geprägte 20. Jahrhundert hinein. Dies geschah in einer Gesellschaft, die einerseits relativ gut gebildet war und andererseits ihre Heimat in Kategorien des Regionalen (Oberschlesien) begriff und nicht nur des einheimischen Dorfes der „Hiesigen“. Auch wenn der Weg einer politischen Autonomie mit den Entscheidungen in Versailles verschlossen wurde, gab es sogar nach der hoch politisierten Periode des Plebiszits und der damit einhergehenden nationalen Mobilisierung soziale Gruppen, die dem konfessionell-regionalen Identifikationsangebot treu blieben. Viele Oberschlesier entschieden über ihre nationalen Positionen situationsbezogen – nicht die Identität war dabei situativ wandelbar, sondern die jeweilige Akzentuierung – und nicht selten opportun, so wie sich Wähler bei politischen Wahlen für eine Option aussprechen, ohne dass die Parteien mit einer zeitlich unbegrenzten Unterstützung rechnen können. Sie hielten lediglich am Katholizismus fest, der einen äußerst wichtigen, wenn nicht grundsätzlichen und primären Wert in ihrer Lebenswelt darstellte. In den Argumentationsmustern der in Polen lebenden Oberschlesier fällt auf, dass sich ihre alltägliche Kirchlichkeit von der Religiosität der eingewanderten Polen deutlich unterschied. Die Polen wurden von der oberschlesischen Bevölkerung als nicht fromm genug und zu kirchenkritisch wahrgenommen und ihre Religiosität als zu nationallastig empfunden. Deutschland bzw. Preußen wurde dagegen in der Provinz Oberschlesien oft mit Protestantismus assoziiert. Die Differenzen im Stellenwert der Kirche im Alltag schufen ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal gegenüber den ethnischen Polen und Deutschen. Dies führte wiederum zu einem konfessionell und regional geprägten Zusammengehörigkeitsgefühl der einheimischen Oberschlesier über die politisch verstandenen nationalen Kategorien hinweg. Dieses Phänomen wurde jedoch durch die moderne Erscheinung des Na­ tionalismus, der im Nationalstaat natürliche Verbündete fand, stark gefährdet. Der sprachliche Absolutismus, propagiert von nationalistischen Organisationen, Vereinen und Medien und unterstützt insbesondere durch die autoritären und totalitären Regime, stand im krassen Gegensatz zum oberschlesischen Alltag, in dem die mundartsprachige bzw. bilinguale Kommunikation die gewöhnliche Norm darstellte. Für die einheimische Bevölkerung Oberschlesiens besaß die im Alltag erlebbare Zweisprachigkeit keine ideo­ logische Bedeutung. Die zwei Sprachsysteme traten in unterschiedlichen Proportionen abhängig von Thema und Begebenheiten in Erscheinung. Des Deutschen bediente 33

Projekte der Kollegiaten man sich vorwiegend in der Armee, Schule, bei Amtsgängen und am Arbeitsplatz in der Industrie, manchmal auch in Handelsangelegenheiten. Nach dem Plebiszit verschwanden allmählich die amtlichen und schulbezogenen Kontexte des Deutschen im polnischen Teil Oberschlesiens. Auf beiden Seiten der Grenze blieb aber eine Kultur, die keine Voreingenommenheit gegen­über den zwei Sprachsystemen kannte. Ein Oberschlesier konnte von der Mundart ins Deutsche umschalten und umgekehrt, ohne dass es von anderen Oberschlesiern als Landesverrat wahrgenommen wurde. Nur in einem Lebensbereich spielte es eine äußerst wichtige Rolle, welche Sprache bei der Handlung eingesetzt wird, nämlich in den kirchlich-religiösen Praktiken. Dort wurde nicht die Mundart, sondern die jeweilige „Hochsprache“ angewendet. Trotz erheblicher Behinderungen durch die staatlichen Behörden blieb der Gebrauch der polnischen Sprache in Westoberschlesien und der deutschen Sprache in Ostoberschlesien im Bereich der Kirche bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erhalten. Gleichwohl konnte man beobachten, dass das katholisch-religiöse Identitätsangebot im Zuge der nationalen Mobilisierung allmählich an Bedeutung verlor und gleichzeitig der Einfluss der Sprache als identitätsstiftendes Element und mögliche Konfliktursache wuchs. Besonders ein Teil der oberschlesischen Jugend, die ihren ganzen Sozialisa­ tionsprozess bereits in einem der beiden Nationalstaaten durchlief, war bereit, die Sprache als ein „objektives“ Merkmal der nationalen Identität zu bewerten. Für eine Mehrzahl der Oberschlesier, und zwar auf beiden Seiten der Grenze, blieben jedoch die Verwendung der oberschlesischen slawischen Mundart und das oberschlesische spezifische Deutsch ideologiefrei. Dementsprechend determinierte die Sprache nicht die nationale Zugehörigkeit der Oberschlesier, sondern verstärkte, durch die regionale Mundart, ihr regionales Bewusstsein. Bei den Mundartsprechern konnte beobachtet werden, dass das polnische oder deutsche Nationalbewusstsein keinen primordialen Charakter besaß. Die nationale Ideologie sollte dennoch mit aller Härte durch die Nationalstaaten durchgesetzt werden. So ist am Vorabend des Krieges auch die letzte Bastion der „subjektiven“ Zuschreibung von Sprache und staatlicher Zugehörigkeit, die katholische Kirche, erfolgreich unterdrückt worden. Durch die Konkretion der Darstellung wurde ein differenziertes Bild der Einwohner Oberschlesiens gezeichnet. Die einheimischen Oberschlesier sowohl im polnischen als auch im deutschen Teil der Region wiesen unübersehbare Ähnlichkeiten im Hinblick auf den praktischen Umgang mit der neuen politischen Realität nach dem Plebiszit auf. Sie verhielten sich sehr flexibel gegenüber deutschen und polnischen Nationalideologien. Nationale Identitätsangebote wurden offensichtlich nur für eine bestimmte Zeit wahrgenommen und lediglich bedingt angeeignet. Die Oberschlesier zeigten sich äußerst anpassungsfähig und oft loyal gegenüber den immer wieder wechselnden Machthabern.

Durch die möglichst nahe Betrachtung der Oberschlesier komme ich zur Schlussfolgerung, dass auf beiden Seiten der Grenze analogische Verhaltensweisen zu beobachten waren. Anstelle einer wandelbaren und als sekundär empfundenen Hinwendung zum polnischen bzw. deutschen Identitätsangebot blieb ein oberschlesisches Zusammengehörigkeitsgefühl konstant. Das Bewusstsein einer Gruppenzugehörigkeit war auf die engere Heimat gerichtet und zeichnete sich durch tiefe, katholische Kirchlichkeit und den alltäglichen Gebrauch oberschlesischer Dialekte aus. Ein großer Teil der Einwohner verstand sich als katholische Oberschlesier – ihr Katholizismus unterschied sich dabei von dem, der in den zentralen Gebieten der Nationalstaaten praktiziert wurde. Die Mundart war ebenfalls ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal. Wer „po naszymu“, „unsere“ Sprache sprach, wusste, wer dazugehörte und wer nicht. Schließlich wiesen die „Lebensläufe“ beider Teile der Region ähnliche Entwicklungen auf: Die einheimischen Mundartsprecher waren sowohl in Deutschland als auch in Polen von den Mehrheitsnationen sozial diskriminiert. Dadurch war ein Minderwertigkeitskomplex bei vielen Einheimischen tief verankert. Durch die vergleichende Darstellung einer Randre­gion der Nationalstaaten wurde ein Beitrag zur Diskussion über die religiös-politischen Identitätskonstruktionen und -praktiken im europäischen Kontext geleistet. Es wurden spezifisch moderne Phänomene wie Nationalismus und Säkularisierung mit den Erscheinungen konfrontiert, die als vormodern gelten, wie etwa das Übergewicht konfessioneller und/oder regionaler Identität gegenüber dem nationalen und zugleich säkularen Identitätsangebot. Dabei wurde die Wirkungsmacht des Na­tionalen nicht grundsätzlich bestritten. Es bot sich jedoch auf der Basis des hier untersuchten „Zwischenraums“ ein differenzierteres Bild.

Hans Joas überreicht Oxana Stuppo und Andrzej Michalczyk (v. r. n. l.) den Doktorhut im Dezember 2006.

Andreas Pettenkofer: Kritik und Gewalt. Zur Genealogie der westdeutschen Umweltbewegung Von April bis September 2003 mit einem Stipendium der Jutta-Heidemann-Stiftung, von Oktober 2003 bis September 2007 als Gastkollegiat am Kolleg. 34

Die Arbeit untersucht, wie Protestbewegungen, die neue Problematisierungen hervorbringen und geltende Klassifikationsschemata verändern, entstehen und sich stabi-

Projekte der Kollegiaten lisieren; damit soll sie dazu beitragen, eine Alternative zu rationalistischen Theorien politischen Wandels zu entwickeln. Der erste, der Theorie gewidmete Teil beginnt mit einer Diskussion der rationalistischen Gelegenheitsstruktur-Theorie, die in der Protestforschung derzeit dominiert. Dieser Ansatz überschätzt die Leistungsfähigkeit rationaler Erwartungshaltungen erheblich; die mit ihm verbundene Normalisierungsrhetorik, die Protest immer schon an ein Idealbild ‚rationalen‘ politischen Handelns assimiliert, führt in die Irre. Stattdessen knüpft die Arbeit an Erklärungsansätze der klassischen Religionssoziologie an; wobei es ihr, anders als in der Parsons-Tradition, nicht darum geht, die religionssoziologische Beschreibung zur Diskreditierung von Protestteilnehmern zu nutzen. Diese Konzepte ermöglichen zunächst ein genaueres Verständnis für den Sinn, den das Protesthandeln für die Beteiligten haben kann: nicht nur den einer rationalen Zielverfolgung, sondern den einer Selbstprüfung und Selbsttechnik, aber auch einer ritualgestützten Glückserfahrung. Davon ausgehend erlauben sie eine bessere Erklärung des Strukturaufbaus in radikalen Protestbewegungen: Die genannten Handlungslogiken produzieren einen spezifischen Organisationstyp sowie eine übergeordnete ‚Feld‘Struktur, die sich – ohne polemische Assoziationen – als eine der Sektenkonkurrenz bezeichnen lässt. All dies kann nicht nur das Engagement derer erklären, für die der Protestgegenstand den Status des Sakralen hat; die entsprechenden Mechanismen können indirekt auch strategisch kalkulierende Protestteilnehmer binden. Der zweite Teil der Arbeit überprüft den Nutzen dieser Überlegungen in einer Fallstudie zur Genealogie der ‚grünen‘ Politik, also: zur Frage, wie es in den 1970ern zu einer historisch unwahrscheinlichen linken Problematisierung von ‚Umwelt‘ gekommen ist, und warum dieses Thema die westdeutsche Linke insgesamt umgeformt hat. Dazu rekonstruiert er die von Mitte der 60er bis Mitte der 80er dauernde Geschichte und Vorgeschichte des ‚linken‘ Flügels der westdeutschen Umweltbewegung. – Um diesen Prozess politischkulturellen Wandels zu erfassen, schneidet die Arbeit den Gegenstand anders zu, als das in der politologischen Protestforschung üblich ist: Die Untersuchung beschränkt sich nicht auf diejenigen Mobilisierungen, die bereits ‚Umwelt‘ bzw. ‚Atomkraft‘ als separates policy issue zugrunde legen; zunächst geht es um die Frage, wie sich diese Protestthemen und das mit ihnen verbundene Klassifikationsschema überhaupt herausbilden. In den Vordergrund treten dadurch Konti­ nuitäten zur Studentenbewegung der 60er Jahre sowie die Überschneidung dessen, was sich aus der Entfernung als eine selbständige Umweltbewegung darstellt, mit einem generalisierten staatskritischen Protest einschließlich einer ‚Friedensbewegung‘, die zwar Anfang der 80er Jahre einen Mobilisierungshöhepunkt erlebt, aber auch im restlichen Untersuchungszeitraum fast durchgängig aktiv bleibt. – Grundlage ist eine hermeneutische, auf einer Sequenzanalyse von Schlüsseltexten aufbauende Auswertung bewegungseigener Printmedien. Diese Medien erlauben einen Zugang zu den tatsächlichen Deutungs- und Entscheidungsprozessen der Beteiligten; sie bieten eine Möglichkeit, rationalistische Rückprojektionen zu vermei-

den und zu erkennen, wie ungewiss die Beschaffenheit der politischen Gelegenheiten zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung war. Die Untersuchung zeigt, dass sich die Entstehung der ‚grünen‘ Politik mit dem vorgeschlagenen Modell tatsächlich besser erklären lässt. Ein utilitaristischer Ansatz kann kaum zeigen, warum diese ökologischen Fragen zu diesem Zeitpunkt in dieser folgenreichen Weise problematisiert wurden (denn Ökologie wird hier nicht aufgrund von Sorgen über technikgenerierte Schadenspotentiale zum Thema; vielmehr sind diese Sorgen selbst ein Produkt eines auf anderem Wege angestoßenen Reflexionsprozesses). Ein solcher Ansatz kann auch die Stabilisierung dieses Protests nicht gut erklären: Die Erfolgsaussichten mussten gerade ab dem ‚Deutschen Herbst‘ 1977 ganz ungünstig erscheinen; dass der Protest sich später zum Teil als erfolgreich erwiesen hat, bedeutet nicht, dass sich das Engagement der Beteiligten auf eine rationale Erwartung dieses Erfolgs zurückführen lässt. Ausschlaggebend ist stattdessen ein Prozess der Sakralisierung, in dem die Technik-Katastrophe die Position besetzt, die zuvor der nationalsozialistische Massenmord innehatte. Er befördert eine fortschreitende kosmologische Generalisierung, die schließlich in einem umfassenden ‚grünen‘ Deutungsmuster resultiert; und er verleiht dem Protest eine Eigendynamik, die ihn von wechselnden politischen Gelegenheiten abkoppelt, und ermöglicht damit einen Strukturaufbau auch unter widrigen Bedingungen. Dabei wirken Gewaltereignisse als entscheidende Auslöser der Sakralisierung: Gewalt bildet hier nicht nur einen Ausgangspunkt für rationale Kritik, aus dessen distanzierter Betrachtung sich kollektive Lernprozesse ergeben; sie bleibt in die Kritik und in den mit ihr verknüpften Prozess der ‚Modernisierung‘ eingeschrieben, als eine konstitutive Kontamination, die zugleich ermöglichend und beschränkend wirkt.

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Tagungsberichte

Tagungen und Workshops am Max-Weber-Kolleg „Europa im Blick der Kulturwissenschaften“, Tagung vom 14. bis 16. Dezember 2006 am Max-Weber-Kolleg In welcher Weise ist Europa in den Kulturwissenschaften ein Thema, und inwiefern hat sich eine europäische Perspektive in ihnen durchgesetzt? Diesen Fragen war eine Tagung des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt gewidmet, die von dem Soziologen Hans Joas (Max-Weber-Kolleg) und dem Historiker Friedrich Jaeger (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) konzipiert und von der ASKO Europa-Stiftung unterstützt wurde. Die Tagung konnte dabei auf den Ergebnissen des Bandes „Die kulturellen Werte Europas“ aus dem Jahre 2004 aufbauen. Während dieser Band die Werte, die für eine herzustellende Identität Europas gemeinhin genannt werden, unter die Lupe nahm, und daher notgedrungen eine Reihe von Aspekten, die für die Identität Europas ebenfalls von Bedeutung sind, ausklammern musste, wurde hier ein anderer Weg gewählt. In dieser Tagung sollten die verschiedenen Kulturwissenschaften, die sich jeweils unterschiedlichen kulturellen Aspekten der Wirklichkeit widmen, auf ihr jeweiliges Verständnis von Europa hin befragt werden. Im Fokus eines solchen multidisziplinären Blicks auf verschiedene Kulturwissenschaften, die sich jeweils unterschiedlichen kulturellen Aspekten der Wirklichkeit widmen, sollte der Facettenreichtum Europas plastisch und anschaulich werden. Eine Prämisse für ein solches Vorgehen war, Europa als Leitthema der Geistes- und Sozialwissenschaften anzuerkennen. Als erstes Ergebnis dieser Gesamtschau auf die Kulturwissenschaften kann man feststellen, dass der Europabegriff in den jeweiligen Disziplinen sehr unterschiedlich ist. Während sich die Wirtschafts-, Rechts- und Politikwissenschaften sowie in Teilen die Soziologie in erster Linie auf die Europäische Union, ihre Institutionen, Probleme und Chancen sowie das Verhältnis dieses „Mehrebenensystems sui generis“ (Schuppert) zu den Nationalstaaten konzentrieren, betrachten beispielsweise Ethnologie, Geschichts- und Religionswissenschaften einen konkreten Kulturraum mit jeweils historisch variablen Grenzen nach Osten und auch nach Süden. Demgegenüber gibt es z.B. in Philosophie, Musik- und Kunstwissenschaften auch Tendenzen, Europa als historisch abgeschlossenes Projekt zu betrachten, das einer universalistischen Weltperspektive weichen muss oder sollte. So unterschiedlich diese Befunde zu sein scheinen, so weisen sie doch symptomatisch auf wesentliche Ursachen aktueller Krisen in Bezug auf die Einheit Europas hin, wie wir sie beispielsweise in der zweifachen Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sowie den Debatten um die Integration der Türkei wahrnehmen. Vor diesem Hintergrund scheint eine interdisziplinäre Herangehensweise, wie sie im Rahmen dieser Tagung beschritten wurde, besonders viel versprechend. Während die verschiedenen Disziplinen somit recht unterschiedliche Auffassungen davon haben, was Europa sein könnte – von einer Institution zur Regulierung eines gemeinsamen Binnenmarktes im Rahmen eines ökonomischen Systemwettbewerbs bis zu einer spezifischen, historisch gewordenen Kultur mit möglicher36

weise normativen Implikationen – war man sich darüber einig, dass Europa – zumindest bisher – ein Elitenprojekt ist, das eine besondere Bildung voraussetzt. Was Teil dieser Bildung sein müsste – Wissen über die europäischen Institutionen und ihre Regulierungsmechanismen oder Wissen über die kulturellen Wurzeln, Religionen und die Geschichte Europas oder Fähigkeiten, wie die Kompetenz, auf Märkten zu agieren, Demokratiekompetenz oder Mehrsprachigkeit, – das wurde wiederum sehr unterschiedlich gesehen. Europa ist zwar Thema der Allgemeinbildung in allen Schulformen, jedoch geht es dabei überwiegend um Institutionenkunde, was bei Schülern als komplex, wenig anschaulich und langweilig gilt. Als Desiderat in der Ausbildung von Lehrkräften wird daher kulturwissenschaftliche Kompetenz angemahnt. „Wenn man europäische Identität als Einladung an andere Kulturen versteht, sollte man wissen, in welches Haus man einlädt“ (Orgass). In diesem Kontext sind auch europäische Erfahrungen mit Totalitarismen und Holocaust zu thematisieren. Jedoch bestand auch Einigkeit darüber, dass es – zumindest derzeit – keine einende kulturelle Identität Europas – vergleichbar mit den nationalstaatlichen Identitäten – gibt. Vielmehr kann man von einer Mehrebenenidentität (als Thüringer, Deutscher, Europäer, Weltbürger) sprechen, wobei das Spezifische der europäischen Identität höchst unterschiedlich aussehen kann. Eine besondere Rolle spielen dabei die Aspekte der Geschichtlichkeit, der strukturellen Vielfalt und des Wandels, die die europäische Identität kennzeichnen sollen. Europa erscheint somit als kontingenter Raum von Möglichkeiten, die sich beispielsweise in der Vielfalt kultureller Praxen im Bereich der Musik manifestiert. Ein wesentliches Element der europäischen Identität könnte dabei ihre „Verwissenschaftlichung“ sein. Denn die durch die Einwirkung der Wissenschaft hindurchgegangene europäische Identität wird eine andere. Einen konstruktiven Beitrag hierzu hat diese Tagung leisten können. Die Ergebnisse der Tagung werden in Kürze als Sammelband beim Nomos Verlag erscheinen. Bettina Hollstein

Teilnehmer der Europa-Tagung im Dezember 2006

Tagungsberichte „Über das anthropologische Kreuz der Entscheidung in Politik und Recht“, Tagung vom 2. bis 3. Februar 2007 am Max-Weber-Kolleg Unter diesem Titel wurde vom 2. bis 3. Februar 2007 eine Tagung durchgeführt, die sich mit der Komplexität von Entscheidungssituationen und ihren vielfältigen Determinanten beschäftigte. Der Ausdruck „Es ist ein Kreuz...“ mit dieser oder jener Situation weist ja schon umgangssprachlich darauf hin, dass eine anstehende Entscheidung schwierig wird, etwa deshalb, weil es in ihr um moralisch komplexe, für die Identität der betreffenden Person(en) relevante und vielfältige Konsequenzen zeitigende Probleme geht. Häufig drängen sich dann den Handelnden höchst unterschiedliche Wertungsimpulse auf, die in verschiedene Richtungen weisen. Einen Vorschlag, diese Situation aus der Perspektive der Akteure selbst angemessen zu beschreiben und gleichzeitig zu systematisieren, hat Winfried Brugger in seinem Buch „Das anthropologische Kreuz der Entscheidung in Politik und Recht“ entwickelt. Dort liefert die anthropologische Metapher des Kreuzes den Hintergrund für ein Bild des Handelns, das von der Kreuzung vier verschiedener Perspektiven ausgeht, die allesamt vom Handelnden berücksichtigt werden müssen, wenn es sich um eine gelungene Entscheidung handeln soll: die horizontale Achse des Kreuzes entsteht durch die Verbindung des Blicks nach hinten, in die persönliche und/oder gesellschaftliche Vergangenheit, mit dem Ausblick nach vorn, in die zu gestaltende Zukunft; die vertikale Achse hingegen durch das ausgespannte Verhältnis zwischen den Grundbedürfnissen und Triebimpulsen einerseits, den kulturellen Werten, Normen und Idealen andererseits. Reichweite und Grenzen dieser Visualisierung und Systematisierung von Handlungsproblemen aus der Akteursperspektive auszuloten, war das Ziel der interdisziplinär besetzten Tagung, die Referenten aus den Disziplinen Rechtswissenschaft, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Psychologie und Philosophie vereinte. Nach einem Einführungsreferat von Winfried Brugger (Heidelberg/Erfurt), das den Begriff der Menschenwürde im anthropologische Kreuz der Entscheidung situierte, untersuchte Alexander Thumfart (Erfurt) den Würdebegriff aus einer historischen, von Cicero über Manetti und

Pico bis in die Gegenwart reichenden Perspektive. Joachim Funke (Heidelberg) arbeitete heraus, wie das Kreuz der Entscheidung beim kognitionspsychologischen Blick auf typische Denk- und Urteilsfehler, etwa beim induktiven Schließen, als strukturierende Matrix genutzt werden kann. Im Zentrum des Beitrags von Matthias Jung (Berlin/Erfurt) stand die Fruchtbarkeit des Bruggerschen Denkschemas für eine Anthropologie verkörperter, im Unterschied zu abstrakter Freiheit, während Gebhard Kirchgässner darauf abzielte, das ökonomische Verhaltensmodell der Nutzenmaximierung und das aktorenzentrierte Kreuz der Entscheidung einer wechselseitigen Kritik zu unterziehen. Rechtsanthropologische und rechtstheoretische Fragestellungen dominierten den zweiten Tag der Tagung, der mit einem Referat von Ernst-Joachim Lampe (Bielefeld) begann. Vor dem Hintergrund einer elaborierten Anthropologie des Rechts führte Lampe vor, wie sich das Kreuz der Entscheidung nutzen lässt, um den Bezug zwischen den Aktorenperspektiven des Straftäters und derjenigen der richterlichen Entscheidung aufzuhellen. Am Beispiel des Eigentumsrechts im Kreuz der Entscheidung analysierte Joachim Lege (Greifswald) die hochkomplexen Wechselbezüge zwischen rechtsdogmatischen und anthropologischen Dimensionen des Eigentums. Einen rechtspragmatischen Schwerpunkt hatte das abschließende Referat von Rolf Gröschner (Jena), in dem die strukturelle Vierdimensionalität des Kreuzes der Entscheidung herangezogen wurde, um einen unverkürzten Begriff richterlicher Entscheidungspraxis zu entwickeln. Die große Breite der vertretenen Fächer führte während der Tagung aber keineswegs dazu, dass die durchgängig lebhaften Diskussionen auseinanderliefen. Der Bezug zu den entscheidungstheoretischen Grundproblemen trat immer wieder deutlich hervor, und dies stellte nach Meinung vieler Teilnehmer den überzeu­gendsten Beweis für die heuristische und integrative Kraft des „Kreuzes der Entscheidung“ dar. Matthias Jung

„Das Werk von Wolfgang Reinhard und seine Wirkung auf die (historischen) Sozialwissenschaften“, Tagung anlässlich des 70. Geburtstages von Wolfgang Reinhard in Erfurt vom 11. bis 12. Mai 2007 Am 11. und 12. Mai 2007 ehrte die Universität Erfurt den Historiker Wolfgang Reinhard, indem sie eine wissenschaftliche Fachtagung zu seinem Lebenswerk veranstaltete. Die Tagung wurde vom Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt organisiert und von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert. Wolfgang Reinhard, der als Professor für Geschichte an den Universitäten Augsburg und Freiburg ein umfangreiches wissenschaftliches Werk vorgelegt hat, forscht und lehrt zurzeit als Fellow am Max-Weber-Kolleg. Sein Oeuvre reicht von Studien zur Reformation über die Verfassungs- bis zur Kolonialgeschichte. Darüber hinaus ist sein Wirken von großer Bedeutung für die historische Anthropologie. Viele seiner Publikationen wurden zu

Standardwerken. Nach Grußworten des Präsidenten der Universität Erfurt, Wolfgang Bergsdorf, und des Leiters des MaxWeber-Kollegs, Hans Joas, stellte Birgit Emich von der Universität Freiburg Wolfgang Reinhard als Forschenden, Lehrenden und Schulenbilder vor. Neben dem Verweis auf sein großes Engagement in der Lehre und die Fülle und Bedeutung seiner Publikationen zeigte Birgit Emich, dass Reinhard ein „Schulenbilder wider Willen“ sei. Seine wissenschaftlichen Anstöße seien vielfach prägend für die weitere Forschung in den jeweiligen Gebieten gewesen. So sei es zum Beispiel insbesondere ihm zu verdanken, dass es eine deutschsprachige Romforschung gebe. Justin Stagl von der Universität Salzburg wies auf die 37

Tagungsberichte Bedeutung Reinhards für die Historische Anthropologie hin. Dabei ging er vor allem auf die 2004 erschienene Monographie „Lebensformen Europas“ ein. In diesem umfangreichen Buch untersucht Reinhard den Umgang der Menschen in Europa mit Phänomenen der menschlichen Existenz wie Geburt, Tod, Hunger und Sexualität. Stagl unterstrich die besondere Herangehensweise Reinhards, der die eigene Kultur wie eine fremde betrachtet und sich dabei auf die „gewöhnlichen Leute“ konzentriert. Gleichzeitig verfällt Reinhard nicht in eine hyperhermeneutische Vorgehensweise, die die Bedeutung von Geschichte zu einer Geschichte von Bedeutung werden lässt. Anschließend setzte sich Jürgen Osterhammel (Universität Konstanz) mit Reinhards vierbändiger „Geschichte der europäischen Expansion“ auseinander, die zwischen 1983 und 1990 veröffentlicht wurde. Osterhammel beschrieb diese Publikation als ein Werk, welches das Enzyklopädische mit der Zuspitzung verbinde. Reinhard arbeite hier mit einem „theoriebewussten Common Sense“. Osterhammel macht in der Reinhardschen Kolonialgeschichte vier wichtige Anstöße aus: Erstens habe Wolfgang Reinhard auf den Raum als wichtige Dimension der historischen Forschung hingewiesen. Zweitens halte er dazu an, bewusster mit dem Parameter Zeit umzugehen. Es gelte die Ungleichzeitigkeit des Ähnlichen und die Gleichzeitigkeit des Disparaten wahrzunehmen und eine zeitliche Parzellierung der Kolonialgeschichte zu überwinden. Drittens lege Reinhard nahe, die Kolonialgeschichte als Einheit zu begreifen. So ist zum Beispiel nicht von einer Singularität der deutschen Kolonialgeschichte auszugehen. Schließlich habe Reinhard außerdem auf die besondere Tradition der Hermeneutik in Europa hingewiesen. Am zweiten Tag der Tagung betrachtete Wolfgang Knöbl von der Universität Göttingen die 1999 erschienene „Geschichte der Staatsgewalt“ in ihrer Bedeutung für die Sozialwissenschaften. In dieser vergleichenden Verfassungsgeschichte Europas stellt Reinhard die Entwicklung der europäischen Staaten von der Entstehung in der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart dar. In den 1970er Jahren etablierte sich im angloamerikanischen Raum eine Historische Soziologie, die sich mit der Entstehung des Staates auseinandersetzte. Ein Vergleich mit dem, was Reinhard zu diesem Thema schreibe, sei immer wieder fruchtbar, da er alternative Herangehensweisen aufweise, wie zum Beispiel seine Verknüpfung von Makro- und Mikropolitik. Reinhard misstraue wie Luhmann einem allzu rationalen Handeln des Staates, ohne Anhänger der Luhmannschen

Systemtheorie zu sein. Er sehe die Triebkräfte für die Entstehung des modernen Staates nicht allein in Außenpolitik und Krieg, sondern schreibe unter anderem der Konfessionalisierung eine wichtige Rolle zu. Der gegenwärtig am Max-Weber-Kolleg forschende Humboldt-Preisträger, Paolo Prodi (Universität Bologna), setzte sich mit der internationalen Reforma­ tionsforschung auseinander. Dabei skizzierte er neuere Forschungen, die auf dem von Reinhard und Schilling aufgestellten Konfessionalisierungs-Paradigma aufbauen, welches Reformation und Gegenreformation als eine tief greifende Veränderung der gesamten Gesellschaft begreift. Prodi strich in seinem Vortrag heraus, dass die Konfessionalisierung eng mit der Herausbildung des modernen Staates verknüpft gewesen sei. Gleichzeitig mit der Entstehung der Landeskirchen habe der Staat soziale Funktionen der Kirche übernommen. Der Souverän sei zum letzten Begründer des Gesetzes geworden. Auf der Grundlage seiner umfangreichen Forschungen zum Papsttum stellte Prodi die These auf, dass der Kirchenstaat ein Prototyp des modernen Staates gewesen sei. Wie bereits Wolfgang Reinhard aufgezeigt habe, ging mit der sogenannten Gegenreformation auch eine umfassende Neugestaltung der katholischen Kirche einher. Diese hatte sich der Herausforderung zu stellen, die Ordnung in einer Welt aufrecht zu erhalten, in der sich die Macht von den ursprünglichen Zentren fortbewegt hatte. Ein besonderer Vorteil dieser Tagung war die Möglichkeit, mit dem Geehrten selbst über Fragen, Kritik und Entwicklungsmöglichkeiten zu diskutieren, welche insbesondere am zweiten Tag ausgiebig genutzt wurde. Zum Schluss nutzte Wolfgang Reinhard selbst die Gelegenheit für eine persönliche Stellungnahme, in der er sein Werk in den Kontext seiner eigenen Biographie stellte und selbstkritisch auf (noch) nicht begangene Wege zur weiteren Entwicklung seiner Forschung hinwies. Insgesamt kann man sagen, dass die Tagung die enorme Bandbreite des Reinhardschen Werkes vor Augen geführt hat, von dem bedeutende Impulse für die historische – wie auch Teile der politikwissenschaftlichen und soziologischen – Forschung ausgegangen sind, dessen Potential aber für die Sozialwissenschaften, die unter Berücksichtigung einer historischen Tiefendimension arbeiten, noch lange nicht ausgeschöpft wurde. Die Ergebnisse der Tagung werden in Kürze in einem Tagungsband bei Wallstein erscheinen. Christian Westerhoff

Wolfgang Reinhard (vorn rechts) während der Tagung anlässlich seines 70. Geburtstages in der Thüringer Staatskanzlei

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Tagungsberichte „Enhancement and Genetics“, Tagung im Rahmen des Graduiertenkollegs „Menschenrechte und Menschenwürde. Entstehung, Geschichte und Anwendung eines zentralen Wertkomplexes der Moderne“ vom 22. bis 23. Juni 2007 in Jena

Teilnehmer der Tagung „Enhancement and Genetics“ im Juni 2007 in Jena

Vom 22. bis 23. Juni 2007 fand aus Anlass des fünfjährigen Bestehens des Ethikzentrums in Jena die internationale Tagung „Enhancement and Genetics“ statt. Mit dem Tagungstitel wurde dabei die besondere Relevanz dieses Forschungsbereiches, in dem es um den Umgang mit verschiedenartigen Möglichkeiten der Verbesserung menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften geht (engl. enhancement: Erweiterung, Verbesserung), hervorgehoben und in einen internationalen Diskurs gestellt. Nach der Eröffnungsrede von Prof. Dr. Klaus Dicke, dem Rektor der Universität Jena, verwies Prof. Dr. Julian Savulescu vom Uehiro Centre for Practical Ethics an der Universität Oxford mit seinem Vortrag „Enhancement and the Future of Medicine“ auf den zentralen bio- und medizinethischen Forschungsschwerpunkt, der sowohl in Oxford als auch am Ethikzentrum Jena vertreten ist. Die gemeinsam mit Lehrstuhlinhaber Savulescu eingeladenen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Anders Sandberg, Dr. Nick Bostrom und Dr. Stephen Clarke vervollständigten im Workshop zur öffentlichen Tagung das Themenspektrum mit Vorträgen über ethische und politische Fragestellungen im Zusammenhang mit technologischen Entwicklungen und in den Naturwissenschaften. Mit Anders Sandberg war dabei ein Mitglied des von der

Europäischen Union geförderten ENHANCE-Projektes vertreten, das sich der Untersuchung ethischer und philosophischer Probleme in Bezug auf physische, kognitive, psycho-pharmazeutische sowie lebensverlängernde Möglichkeiten von Enhancement widmet. Neben der internationalen Kooperation mit dem Uehiro Centre for Practical Ethics wurde mit den Beiträgen der weiteren Tagungsgäste insbesondere der interdisziplinäre Charakter im Rahmen von „Enhancement and Genetics“ hervorgehoben: Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Reinhard Merkel aus Hamburg behandelte in diesem Zusammenhang die grundlegenden Konzeptionen der gegenwärtigen Rechtsprechung, während Prof. Dr. Uwe Claussen, der Direktor des Instituts für Humangenetik und Anthropologie in Jena, in seinem Vortrag die Chancen und Risiken bei der Erforschung und technologischen Entwicklung innerhalb der Humangenetik erläuterte. Als Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik bezog sich Prof. Dr. Josef Römelt aus Erfurt kritisch auf eine Strategie des Enhancements, die als Glaube an die gottgleiche Schöpfergewalt des Menschen ideo­ logische Züge aufweisen kann. Im abschließenden Vortrag von Prof. Dr. Nikolaus Knoepffler, der als Leiter des Ethikzentrums und als Lehrstuhlinhaber der Nikolaus Knoepffler, Leiter Kernprofessur Angewandte des Ethikzentrums Jena Ethik zugleich auch Gastgeber dieser Tagung war, wurde ein „Escalation Model of Genetic Enhancement“ vorgestellt, welches die Struktur der teils komplexen Entscheidungsprozesse in diesem Kontext rational erschließen sowie mögliche Lösungsansätze für zukünftige und derzeit noch nicht im Detail vorhersehbare Fragestellungen vorbereiten soll. Falk Bornmüller

„European Business and Economic Ethics: Diagnosis – Dialogue – Debate. Is There a European Business and Economic Ethics Approach?“, Tagung des Berliner Forums vom 6. bis 8. September 2007 in Heidelberg Die Wirtschaft in Europa ist heute zunehmend durch europäische und globale Rahmenbedingungen geprägt, die die einzelnen Nationalstaaten beeinflussen. Als Folge davon hat sich auch der wirtschaftsethische Handlungsrahmen für Wirtschaftsakteure, Non-Profit-Organisa­ tionen, Regierungen sowie die Wissenschaft verändert und europäisiert. Dennoch gibt es – abgesehen von einigen binationalen Kooperationen und wissenschaftlichen Diskursen – auf dem Feld der Wirtschafts- und Unterneh-

mensethik praktisch keinen europäischen Diskurs, sondern überwiegend nationale Diskurskontexte. Vor diesem Hintergrund war das Ziel der o. g. Konferenz, die durch Nachwuchswissenschaftler/innen des Berliner Forums für Wirtschafts- und Unternehmensethik (Dorothea Baur, Franziska Birke, Jochen Fehling, Bettina Hollstein und Mi-Yong Lee-Peuker) organisiert wurde, eine spezifisch europäische Perspektive auf die Wirtschafts- und Unternehmensethik einzunehmen und wissenschaftliche

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Tagungsberichte Kooperationen in diesem Feld zu initiieren. Als Keynote lecturer für den ersten Teil (diagnosis) waren Adela Cortina, Universität Valencia (Spanien), sowie Luc van Liedekerke, Katholische Universität Leuven (Belgien), eingeladen, die beide einen Überblick über die Wirtschaftsethik bzw. die Unternehmensethik in Europa vorstellten. Cortina wies dabei insbesondere auf die spezifischen Wurzeln der Wirtschaftsethik in Europa hin, die in weit größerer Tiefe auf philosophische und kulturelle Traditionen zurückgreift als dies in den amerikanischen Business ethics-Diskursen der Fall ist. Van Liedekerke beleuchtete auf der einen Seite die Erfolgsgeschichte der europäischen Unternehmensethik und zugleich die Gefahren einer Stagnation dieser Diskurse auf rein formalen Gebieten und wies auf die Notwendigkeit hin, neben individuellen Entscheidungsunterstützungen auch die organisationellen und institutionellen Rahmenbedingungen für die Unternehmensethik zu stärken. Der zweite Teil (dialogue) bestand aus parallelen Sitzungen, die drei Themenkomplexe, nämlich „Methodologische Fragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik“, „Stakeholder management/Governance/CSR“ sowie „Benachbarte Sozialwissenschaften und interdisziplinäre Ansätze“, zum Gegenstand hatten. Die erfolgreichen Teilnehmer des Call for Papers stellten hier ihre Beiträge zur Diskussion. Im dritten Teil (debate) wurden drei Schlüsselkoordinaten der europäischen Wirtschafts- und Unternehmensethik diskutiert. Diese drei Schlüsselkoordinaten waren: 1. philosophische und religiöse Traditionen, 2. die Rolle von Staat-Markt-Beziehungen und 3. europäische Werte. Zu jedem dieser drei Koordinaten waren zwei bedeutende Wissenschaftler eingeladen worden: zum ersten Bereich Paul Dumouchel, Kyoto (Japan) und Johan Graafland, Tilburg (Niederlande). Sie setzten sich mit der Bedeutung von religiösen und philosophischen Traditionen für die europäische Wirtschafts- und Unternehmensethik auseinander. Diese Frage ist insbesondere vor dem Hintergrund aktueller Debatten um den clash of civilizations oder die Frage der Integration der Türkei in die EU von besonderer Aktualität.

Mi-Yong Lee-Peuker, Bettina Hollstein, Jochen Fehling, Dorothea Baur und Franziska Birke (v. l. n. r.)

Die zweite Koordinate – Staat-Markt-Beziehungen – ist von Bedeutung beispielsweise für die Fragen von privater und öffentlicher Verantwortlichkeit, das Verhältnis von Marktwirtschaft und Sozialstaat sowie die Rolle der un40

terschiedlichen Wohlfahrtsregime innerhalb der europäischen Union und der entsprechenden Integrationsmechanismen. Für diesen Bereich waren Bernard Perret aus Paris (Frankreich) eingeladen sowie Michael Wohlgemuth aus Freiburg (Deutschland). Die dritte Koordinate in diesem Teil befasste sich mit europäischen Werten und der Frage, wie Werte generalisiert werden können, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie in einem spezifischen kulturellen Kontext entstanden und an historische Situationen gebunden sind. Diese Fragen wurden von Hans Joas, Erfurt (Deutschland) und Chicago (USA) mit Bezug auf die Frage der Möglichkeit der Wertegeneralisierung, und Jan Tullberg, Stockholm (Schweden) diskutiert. Zum Schluss der Veranstaltung bot eine Podiumsdiskussion mit allen Hauptbeitragenden die Gelegenheit für einen direkten Austausch untereinander. Hier wurden noch einmal die wesentlichen Spezifika einer europäischen Reflexionsperspektive auf die Wirtschafts- und Unternehmensethik zum Gegenstand gemacht.

Podiumsdiskussion mit Michael Wohlgemuth, Bernard Perret, Paul Dumouchel, Dorothea Baur, Johan Graafland, Jan Tullberg, Luc van Liedekerke, Hans Joas (v. l. n. r.)

Insgesamt war die Konferenz aufgrund der Fülle anregender und qualitativ hochwertiger Beiträge sehr erfolgreich und bot durch ihre internationale Ausrichtung die Möglichkeit, Kooperationen anzubahnen. Ermöglicht wurde diese Konferenz durch die großzügige Unterstützung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, in deren Räumlichkeiten die Konferenz auch stattgefunden hat. Die Ergebnisse werden als special issue der Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu) in 2008 veröffentlicht werden. Bettina Hollstein

Personalia Kooperation mit Jerusalem Die German-Israeli Foundation hat den Forschungsantrag von PD Dr. Gerald Hartung zum Thema „»Jüdisches Sprachdenken«. The History of German-Jewish Contribution to modern linguistic and cultural theory” bewil­ ligt, der über drei Jahre zwei Projektstellen auf Post-DocNiveau finanziert, eine davon in Jerusalem, die andere am Max-Weber-Kolleg.

Meisterkurs Für die Durchführung des Meisterkurses mit Jean Greisch in Kooperation mit dem Forschungsinstitut für Philosophie Hannover und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt hat Professor Dr. Hans Joas 5.000 EUR vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eingeworben.

Gastprofessor aus Südafrika Professor Dr. Jaco Dreyer (Department of Practical Theology, School of Humanities, Social Sciences and Theology College of Human Sciences, University of South Africa) war vom April bis Juni 2007 als Gastprofessor am Max-Weber-Kolleg und forschte zum Thema „Approaches to Practical Theology”.

Vorsitz Professor Dr. Hans Joas wurde im September 2007 zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Rates der Katholischen Akademie zu Berlin gewählt.

Ehrung Die Universität Heidelberg hat Professor Dr. Wolfgang Schluchter die Große Universitätsmedaille für sein Engagement für die Universität Heidelberg auch nach seiner Pensionierung verliehen.

Habilitation Dr. Jens Badura, Postdoktorand im Projekt „Kontingenz und Moderne“, finanziert von der Volkswagen-Stiftung, wurde im Wintersemester 2006/07 in Paris erfolgreich habilitiert.

Ruf Dr. Thomas Beschorner, Absolvent des Max-Weber-Kollegs und seit 2002 Leiter der wissenschaftlichen Nachwuchsgruppe „Gesellschaftliches Lernen und Nachhal-

tigkeit“ GELENA an der Universität Oldenburg, hat einen Ruf an die Universität Montreal (Kanada) angenommen. Der Wirtschaftswissenschaftler wird dort zum Verhältnis von Wirtschaft, Ethik und Kultur forschen und lehren. Wichtiger Bestandteil der vom DAAD teilfinanzierten Professur besteht außerdem in der Wahrnehmung deutscher kulturpolitischer Aufgaben in Kanada.

Vertretungsprofessur Dr. Jens Greve, Absolvent des Max-Weber-Kollegs und seit April 2004 wissenschaftlicher Angestellter an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, übernimmt für das Wintersemester 2007/08 die Vertretung der Professur für Allgemeine Soziologie an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt.

Hochschuldienst Andrzej Michalczyk, Absolvent des Kollegs aus dem Jahre 2007, trat zum 1.10.2007 eine Stelle als Studienrat im Hochschuldienst an der Ruhr-Universität Bochum im Fachgebiet Neuere, Neueste und Ost-Mitteleuropäische Geschichte an.

Neue Stelle Michael Hohlstein, Absolvent des Max-Weber-Kollegs, hat im Anschluss an seine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Angestellter an der Radboud University of Nijmegen zum August 2007 eine Stelle an der Universität Konstanz im Rahmen des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs/SFB 485 ‚Norm und Symbol. Die kulturelle Dimension sozialer und politischer Integration‘ mit einem Projekt über ‚Widerstand gegen die Klosterreform des 14. und 15. Jahrhunderts in ordensübergreifender Perspektive‘ übernommen.

Neue Leitung Dr. Annette Feuchter, Absolventin des Max-WeberKollegs, hat die Leitung der Volkshochschule Südliche Bergstraße übernommen.

Digitale Publikation Die Dissertation von Dr. Roniere Ribeiro do Amaral, Gastkollegiat am Max-Weber-Kolleg im Jahr 2000, mit dem Titel „Milagre políticio: Catolicismo da libertação“ ist unter http://www.db-thueringen.de/servlets/ DocumentServlet?id=7878 in die Digitale Bibliothek Thüringen eingestellt worden.

Familiengerechtes Kolleg Wir freuen uns mit ihren Familien über die Geburt von Max Badura, geboren am 15.12.2006, von Weronika Falkowski, geboren am 9.3.2007, und von Felizitas Berenike Bogner, geboren am 23.11.2007. 41

Personalia Ehemalige Fellows und Gastwissenschaftler am Max-Weber-Kolleg Prof. Dr. Wolfgang Schluchter, Gründungsdekan, Soziologie, 01.04.1998-31.03.2002 Prof. Dr. Hermann Deuser, Evangelische Theologie, 01.10.2006-30.09.2007 Prof. Dr. Shmuel N. Eisenstadt (Israel), Soziologie, 01.06.-31.07.1998, 06.06.-08.07.1999, 20.06.-15.08. 2000, 01.07.-15.08.2001 Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf, Evangelische Theologie, 01.04.1998-30.09.1998 PD Dr. Gerald Hartung, Philosophie, 01.10.200630.05.2007 Prof. Dr. Gangolf Hübinger, Geschichtswissenschaft, 01.10.2006-30.09.2007 Prof. Dr. Toby Huff (USA), Soziologie, 04.06.30.06.2000 PD Dr. Friedrich Jaeger, Geschichtswissenschaft, 01.10.2004-30.09.2005 apl. Prof. Dr. Matthias Jung, Philosophie, 01.04.200531.03.2007 Dr. Erkki Kilpinen (Finnland), Soziologie, 01.05.31.05.2004 Prof. Dr. Wolfgang Knöbl, Soziologie, 01.10.200530.09.2006 Prof. Dr. Gudrun Krämer, Religionswissenschaft, 01.10.2004-30.09.2005 Prof. Dr. Dieter Langewiesche, Geschichtswissenschaft, 01.04.1998-30.09.2000 Prof. Dr. Chris Lorenz (Niederlande), Geschichtswissenschaft, 20.04.-20.05.2000 Prof. Dr. Egon Matzner (Österreich), Ökonomie, 01.04.1998-30.09.2001 Prof. Dr. Christoph Menke, Philosophie, 01.04.200330.09.2005

Prof. Dr. Wolfgang Mommsen, Geschichtswissenschaft, 01.10.2003-31.07.2004 Prof. Dr. Hans G. Nutzinger, Ökonomie, 01.10.200030.09.2003 Prof. Dr. Fabienne Peter, Ökonomie, 01.10.200330.09.2004 Bernard Perret, Ökonomie, 01.11.-30.11.2005 Prof. Dr. Josef Pilvousek, Katholische Theologie, 01.10.1998-30.09.2002 Prof. Dr. Sheldon Pollock (USA), Indologie, 01.06.30.06.2001 Prof. Dr. Jörg Rüpke, „Erfurter Fellow“, Religionswissenschaft, 01.10.2003-30.09.2004 Prof. Dr. Pietro Rossi (Italien), Soziologie, 01.11.199930.04.2000 Prof. Dr. Birgit Schäbler, Geschichtswissenschaft, 01.10.2006-30.09.2007 Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert, Rechtswissenschaft, 01.10.2000-30.09.2003 PD Dr. Bernd Stiegler, Leiter des Wissenschaftslektorats im Suhrkamp Verlag, 01.06.-31.08.2005 Prof. Dr. Ferenc Tallar (Ungarn), Philosophie, 04.10.31.10.2002 PD Dr. Alexander Thumfart, „Erfurter Fellow“, Politikwissenschaft, 01.10.2005-30.09.2006 PD Dr. Wolfgang Vögele, Evangelische Theologie, 01.04.30.09.2003 Prof. Dr. Gerhard Wegner, „Erfurter Fellow“, Wirtschaftswissenschaft, 01.10.2004-30.09.2005 Prof. Dr. Ansgar Weymann, Soziologie, 01.04.30.09.2005 Prof. Dr. Dorothee Wierling, Geschichtswissenschaft, 01.10.2001-31.01.2003

Das Max-Weber-Kolleg, zentral gelegen in der Erfurter Altstadt.

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Veranstaltungen Vorträge im Sommersemester 2007 Professor Dr. Hans Joas (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Trauma und Menschenwürde. Gewalterfahrung und die Entstehung von Wertbindungen ….……........… 17. April 2007 Professor Dr. Carl-Ludwig Holtfrerich (Freie Universität Berlin) Warum gibt es in der Bundesrepublik keine Vollbeschäftigung? ....................................…………….....… 18. April 2007 Professor Dr. Hartmut Berghoff (Georg-August-Universität Göttingen) Entbehrung und Entgrenzung. Konsum und Konsumpolitik im nationalsozialistischen Deutschland ....... 23. April 2007 Professor Dr. Winfried Brugger (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Menschenbild, Menschenrechte, Menschenwürde …………….………...….................................................... 8. Mai 2007 Professor Dr. Horst Dreier (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) Integration durch die Verfassung? Rudolf Smend und die moderne Grundrechtsdemokratie …...…........... 21. Mai 2007 Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen) Familienpolitik .................................................................................................................................... 25. Juni 2007 Professor Dr. Frank Ettrich (Universität Erfurt) Pfadabhängigkeit als methodologisches Problem einer historischen Makrosoziologie ................................ 3. Juli 2007 Professor Dr. Dr. h.c. Hermann Deuser (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Religion und Evolution ........................................................................................................................... 9. Juli 2007

Seminare im Sommersemester 2007 Professor Dr. Carl-Ludwig Holtfrerich (Freie Universität Berlin) Globalisierung und Arbeit („Wo sind die Jobs?“) …………………………….…………………......................... 19. April 2007 Professor Dr. Hans Joas (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) und Professor Dr. Nikolaus Knoepffler (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ethikzentrum) Menschenwürde und Menschenrechte (I) ………..………………..................…………………....……………….. 21. Mai 2007 Professor Dr. Hans Joas (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) und Professor Dr. Nikolaus Knoepffler (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ethikzentrum) Menschenwürde und Menschenrechte (II) ………..………………..................…………………....……………….. 9. Juli 2007

Tagungen/Workshops im Sommersemester 2007 Professor Dr. Hans Joas (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Das Werk von Wolfgang Reinhard und seine Wirkung auf die (historischen) Sozialwissenschaften. Eine Tagung anlässlich des 70. Geburtstags von Wolfgang Reinhard ..………..………..... 11. bis 12. Mai 2007 Dr. Bettina Hollstein et al. (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) European Business and Economic Ethics: Diagnosis – Dialogue – Debate. Is There a European Business and Economic Ethics Approach? Eine Tagung des Berliner Forums, organisiert in Zusammenarbeit mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften .............................. 6. bis 8. September 2007 Professor Dr. Hans G. Kippenberg und Professor Dr. Wolfgang Reinhard (beide Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Eurozentrismus. Workshop im Rahmen des BMBF-Projektes „Mobilisierung von Religion in Europa“ ............................................................................................................ 13. bis 14. Juni 2007

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Veranstaltungen Vorträge im Wintersemester 2007/2008 Professor Dr. Dr. h.c. Hermann Deuser (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main) Festvortrag im Rahmen der Eröffnung des akademischen Jahres am Max-Weber-Kolleg Menschenbilder und die Grenzen ihrer Entzauberung .................................................................. 12. Dezember 2007 Professor Dr. Nilüfer Göle (École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris) Public Islam. New Visibilities, Questions about Body and Space ....................................................... 14. Januar 2008 Professor Dr. Theo Kobusch (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Das Innere des Menschen ............................................................................................................... 21. Januar 2008 Professor Dr. Michael Geyer (University of Chicago) Krieg, Massaker, Genozid: Formen des Massentodes im Zweiten Weltkrieg ....................................... 28. Januar 2008 Professor Dr. Monika Wohlrab-Sahr (Universität Leipzig) Ostdeutsche Säkularität als Kontext religiöser Orientierung .............................................................. 4. Februar 2008 Professor Dr. Jürgen Trabant (Freie Universität Berlin) Weltansichten ................................................................................................................................. 6. Februar 2008

Seminare im Wintersemester 2007/2008 Professor Dr. Hans Joas (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) und Professor Dr. Michael Geyer (University of Chicago) Menschenwürde und Menschenrechte ....………………….…………………...……................................... 29. Januar 2008 Professor Dr. Hans Joas (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) und Professor Dr. Monika Wohlrab-Sahr (Universität Leipzig) Konversion ...................................................................................................................................... 5. Februar 2008

Tagungen/Workshops im Wintersemester 2007/2008 Professor Dr. Winfried Brugger, Professor Dr. Hans Joas, Professor Dr. Hans G. Kippenberg und Dr. Astrid Reuter (alle Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Religionskontroversen im Verfassungsstaat ........................................................................ 14. bis 16. Februar 2008 Professor Dr. Jean Greisch (Institut Catholique de Paris) und Professor Dr. Hans Joas (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg) Meisterkurs mit Professor Dr. Jean Greisch: „Fehlbarkeit und Fähigkeit. Die philosophische Anthropologie Paul Ricoeurs“, durchgeführt vom Forschungsinstut für Philosophie Hannover in Kooperation mit dem Max-Weber-Kolleg und der Theologischen Fakultät der Universität Erfurt ......................................................................................................................................... 3. bis 7. März 2008

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Bewerbung als Kollegiat(in) Das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien verbindet die Funktionen eines Institute for Advanced Study und eines Graduiertenkollegs. Das bedeutet: Die an das Kolleg berufenen Fellows arbeiten während ihres Aufenthaltes nicht nur an einem Projekt, das die Forschungsschwerpunkte des Kollegs konkretisiert, sondern unterrichten darüber hinaus auch Doktoranden und Habilitanden (Kollegiaten), die in ihren Arbeiten Aspekte dieses Forschungsprogramms behandeln. Es entstehen auf diese Weise intensive, weil in der Sache fundierte Betreuungsverhältnisse. Die Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Mitgliedern und Kollegiaten folgt dem Grundsatz des lehrenden Forschens und des forschenden Lernens sowie dem der aufgabenbezogenen Teamarbeit. Als Kollegiat(in) kann aufgenommen werden, wer ein hervorragendes Examen in einer der am Kolleg vertretenen Disziplinen oder in einem an diese Disziplinen angrenzenden Fach vorweisen kann und ein Dissertations- oder Habilitationsprojekt skizziert, das von den wissenschaftlichen Mitgliedern des Kollegs akzeptiert wird. Je nach disziplinärem Schwerpunkt können Kollegiaten zum Dr. rer. pol., zum Dr. jur. oder zum Dr. phil. promoviert werden. Jedem Kollegiaten wird ein Arbeitsplatz am Kolleg zur Verfügung gestellt. Es besteht Präsenz- und Residenzpflicht sowie die Verpflichtung, an den Lehrveranstaltungen des Kollegs – den öffentlichen Vorträgen, den Seminaren und Workshops – teilzunehmen. Deren Themen hängen mit dem Forschungsprogramm zusammen, folgen aber keinem formalisierten Curriculum. Die Lehrveranstaltungen werden in der Regel gemeinsam von den wissenschaftlichen Mitgliedern des Kollegs und den Gastprofessoren geplant und durchgeführt. Kollegiaten werden in der Regel zum Sommer- oder Wintersemester imma­ trikuliert. Bewerbungen sind jederzeit möglich. Spezielle Ausschreibungen werden auf der Internetseite des Max-Weber-Kollegs veröffentlicht. Die Annahme als Doktorand ist Voraussetzung, nicht aber Garantie für die Gewährung eines Stipendiums. Das Kolleg steht allerdings mit zahlreichen Stiftungen in Verbindung, so dass bei fachlicher Eignung die Bereitstellung eines Stipendiums sehr wahrscheinlich ist. Die Laufzeit eines Stipendiums ist drei Jahre, innerhalb derer die Promotion abgeschlossen werden muss.

Im Falle eines Antrags auf Annahme am Max-Weber-Kolleg werden folgende Unterlagen benötigt: - Lebenslauf; - Kopie der Hochschulzugangsberechtigung (Abiturzeugnis); - Kopie des ersten Hochschulabschlusses (Abschluss mit „sehr gut“, bei Juristen mit „voll befriedigend“); - ein Exemplar der Abschlussarbeit; - Gutachten eines Hochschullehrers; - Exposé des Dissertationsprojektes (ca. 5-10 Seiten). Die Bewerbung ist zu richten an den Dekan des Max-Weber-Kollegs Professor Dr. Hans Joas Am Hügel 1 D-99084 Erfurt. Für Rückfragen steht Ihnen Dr. Bettina Hollstein (bettina.hollstein@uni-erfurt. de) zur Verfügung.

Application for doctoral and post-doctoral study The Max Weber Center for Advanced Cultural and Social Studies combines the functions of an Institute for Advanced Study and a Graduate School. This means that Fellows appointed at the Center not only pursue research projects that contribute to the core themes of the Center but also offer guidance to doctoral candidates and to post-doctoral researchers working in similar fields of research. Intensive supervision relationships can therefore develop. Interaction between Fellows, doctoral candidates and post-doctoral researchers follows the basic academic principle of research driven by instruction and instruction driven by research. Applications for positions of doctoral and post-doctoral study at the Center are welcome from holders of excellent qualifications in any of the disciplines represented at the Center or in related disciplines. Successful applicants for the position of doctoral candidate may register for the awards of Dr. rer. pol, Dr. jur. or Dr. phil. according to their area of specialization. A work station is made available to every member of the Center. Residence in Erfurt and attendance at the Center’s seminars, workshops, and public lectures is mandatory. Successful applicants may matriculate either for the summer semester or for the winter semester. Applications can be made at any time. Special advertisements for positions are displayed on the webpage of the Center. Acceptance for the position of doctoral candidate is a prerequisite but not a guarantee for a scholarship. However, the Center is in contact with numerous sponsors, which means that allocation of a scholarship to an accepted applicant is highly likely. The duration of a scholarship is three years, within which time the doctorate must be completed.

All applications should include the following documents: - curriculum vitae; - copy of certificate of admission to first university degree; - copy of certificate of completion of first university degree, with class mark or final grade; - one copy of the final undergraduate or Masters dissertation; - one letter of recommendation; - outline of the research proposal (approximately 5-10 pages in length). Applications should be addressed to: Dekan des Max-Weber-Kollegs Professor Dr. Hans Joas Am Hügel 1 D-99084 Erfurt. Please contact Dr. Bettina Hollstein for further information (bettina.hollstein@ uni-erfurt.de).

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Ausgewählte neuere Publikationen

Winfried Brugger, Michael Karayanni (Hg.) Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law Reihe: Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 190 Berlin/Heidelberg/New York: Springer-Verlag 2007 ISBN: 978-3-540-73355-3 467 Seiten, EUR 96,25

Hermann Deuser (Hg.) Metaphysik und Religion Reihe: Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, Bd. 30 Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007 ISBN: 978-3-579-05357-8 288 Seiten, EUR 39,95

Gangolf Hübinger, Andrzej Przyłębski (Hg.) Europäische Umwertungen/Euro­ pejskie przewartościowania Reihe: Jan C. Joerden (Hg.), Studien zur Ethik in Ostmitteleuropa, Bd. 10 Frankfurt/Main: Peter Lang 2007 ISBN: 978-3-631-55968-0 310 Seiten, EUR 51,50

Gangolf Hübinger (Hg.) Fünf Vorträge zu Religion und Geschichtsphilosophie für England und Schottland Reihe: Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 17 Berlin: de Gruyter 2006 ISBN: 978-3-11-018232-3 268 Seiten, EUR 128,00

Hans Joas, Klaus Wiegandt (Hg.) Säkularisierung und die Weltreligionen Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2007 ISBN: 978-3-596-17647-2 512 Seiten, EUR 13,95

Michael Gabel, Hans Joas (Hg.) Von der Ursprünglichkeit der Gabe. Jean-Luc Marions Phänomenologie in der Diskussion Freiburg/München: Verlag Karl Alber GmbH 2007 ISBN: 978-3-495-48183-7 279 Seiten, EUR 38,00

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Ausgewählte neuere Publikationen

Hans Joas (Hg.) Braucht Werterziehung Religion? Göttingen: Wallstein Verlag 2007 ISBN: 978-3-835301-900 141 Seiten, EUR 19,00

Hans Joas (Hg.) Lehrbuch der Soziologie (3. überarbeitete und erweiterte Auflage) Frankfurt/Main: Campus Verlag 2007 ISBN: 978-3-593-37920-3 745 Seiten, EUR 39,90

Wolfgang Reinhard Geschichte des modernen Staates München: C.H. Beck 2007 ISBN: 978-3-406-53623-6 128 Seiten, EUR 7,90

Wolfgang Reinhard Globalisierung des Christentums? Reihe: Schriften der Philosophischhistorischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 41 Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2007 ISBN: 978-3-8253-5349-0 38 Seiten, EUR 12,00

Birgit Schäbler (Hg.) Area Studies und die Welt. Weltregionen und neue Globalgeschichte Wien: Mandelbaum 2007 ISBN: 978-385476-241-6 200 Seiten, EUR 17,80

Oxana Stuppo Das Feindbild als zentrales Element der Kommunikation im Spätstalinismus. Der Fall Sverdlovsk 1945-1953 Reihe: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Bd. 70 Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2007 ISBN: 3-447-05523-5 206 Seiten, EUR 48,00

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