Vorwort Einleitung 11. I. Heimat in der aktuellen soziologischen und philosophischen Diskussion Allgemein... 25

Inhalt Vorwort 9 0. Einleitung 11 I. Heimat in der aktuellen soziologischen und philosophischen Diskussion 17 1. Allgemein ........................
Author: Björn Koenig
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Inhalt Vorwort

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0. Einleitung

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I. Heimat in der aktuellen soziologischen und philosophischen Diskussion

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1. Allgemein ............................................................................. 25 a) Peter Blickle: Heimat. A Critical Theory of the German Idea of Homeland ............................................... 25 b) Karen Joisten: Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie..................................................................... 28 c) Christoph Türcke: Heimat. Eine Rehabilitierung. ........... 34 d) Bernhard Schlink: Heimat als Utopie ........................... 37 e) Ertrag ......................................................................... 38 2. Arnold Stadlers Werk im Kontext der literaturwissenschaftlichen Diskussion mit Blick auf das Genre „Heimatliteratur“ ............................................................ 41 a) Arnold Stadler und die Heimatliteratur ......................... 44 b) Gregory A. Knott: Arnold Stadler: Heimat and Metaphysics ................................................................... 49 c) Ertrag ......................................................................... 55 3. Das Verhältnis von Theologie und Literatur: Methodische Grundlagen ............................................................................... 56 a) Grundsätzliche Fragen ................................................. 56 b) Zur Entwicklung des Verhältnisses Literatur – Theologie ...................................................... 60 c) Ist der Mensch in Erzählungen immer schon unterwegs zu Gott? ......................................................................... 63 d) Ertrag ......................................................................... 67 II. Philosophische Bestimmung: Heimat als Antwort auf die Sinnfrage

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1. Die Frage des Menschen nach letztgültigem Sinn ................ 71 a) Reflexion auf unbedingte Freiheit nach Thomas Pröpper.............................................................. 71 b) Aufweis eines Sinnbegriffs bei Hansjürgen Verweyen ... 74 c) Ertrag der theologischen Reflexion auf die Sinnfrage .... 76 2. Die Sinnfrage nach Søren Kierkegaards „Krankheit zum Tode“ ........................................................................................ 78 a) Grundzüge der Kierkegaardschen Reflexion ................. 80 b) Die Formen der Verzweiflung und Entfremdung bei Kierkegaard .................................................................... 84 ba) Verzweifelt nicht man selbst sein wollen ................... 86 bb) Die Verzweiflung, verzweifelt man selbst sein zu wollen: Trotz .................................................................... 88 3. Fazit ...................................................................................... 90 4. Exkurs: Simone Weil – Die Gottesliebe und das Unglück .. 91 III. Heimat als Sehnsuchtsbegriff der (gebrochenen) menschlichen Existenz bei Arnold Stadler

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1. Klärung der Methodik der Interpretation .............................. 96 a) „Der Theologe in mir hat sich mit dem Schriftsteller noch niemals ernsthaft streiten müssen.“ – Welche Rolle spielt das „Theologe sein“ bei Arnold Stadler? .................. 96 b) Wie verhalten sich Äußerungen Stadlers als Person zu seinen Werken? ......................................................... 100 c) Die Frage von Leitmotiven ......................................... 101 ca) Leitmotivische Sätze ................................................. 101 cb) Wiederkehrende Textpassagen und Bilder ............... 106 2. Motive gebrochener Existenz – Verlust von Heimat und Sinnsuche im Werk von Arnold Stadler ................................. 109 a) Der Ausgangspunkt: Schmerz, Entfremdung ................ 109 Ich war einmal ............................................................... 109 Mein Hund, meine Sau, mein Leben............................... 110

Feuerland ....................................................................... 113 Der Tod und ich, wir zwei .............................................. 118 Sehnsucht ....................................................................... 120 b) Begriff „Heimat“ und verwandte Begriffe.................... 122 Der Heimatfriedhof als verdichtete Heimaterfahrung ... 125 Die Herkunftsfamilie ...................................................... 129 c) Heimweh – Fernweh: Wo wir auch sind – Sehnsucht nach dem Anderen ......................................................... 134 Sehnsuchtsort Meer ........................................................ 138 d) Religion: Ursache von Entfremdung und die Sehnsucht nach wahrer ewiger Heimat ............................ 141 3. „Nicht glauben können“ als Möglichkeit gelungener Existenz – Heimatlosigkeit als Grenzfall von Sinn(voller Existenz)? Ein Fazit ................................................................ 150 IV. Ausblick: Einheitserfahrung und Erlösung – Glauben ist möglich!

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1. Ein erstes „Ja“ zu allem: der Roman Komm, gehen wir ..... 157 2. Der endgültige Bruch mit dem Gebrochensein und die Erfüllung der Sehnsucht? – Das Werk Salvatore ................... 162 „Salvatore macht aus dem Film kein Buch:“ ................ 163 „Pasolini macht aus dem Buch einen Film“.................. 164 „Matthäus macht aus einem Buch ein Buch“ ................ 165 Die Theologen – moderne Schriftgelehrte ..................... 167 Salvatore – ein Glaubens- und Bekenntnisbuch sowie eine besondere Heimkehr ............................................... 169 3. Die Frage nach den Überarbeitungen von Arnold Stadler .. 172 4. Schreiben um zu/statt zu leben?.......................................... 179 V. Zusammenfassung

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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1. Werke und Texte von Arnold Stadler ................................. 191 2. Sekundärliteratur................................................................. 195

„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ (Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1973, S. 1628)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation unter dem Titel Die Heimat kann nur in der Beschreibung von Heimatlosigkeit enthalten sein. Heimat als theologisch anschlussfähiger Sehnsuchtsbegriff bei Arnold Stadler angenommen und für die Drucklegung leicht überarbeitet. Besonders herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Magnus Striet, der mein Interesse an Begegnungspunkten von zeitgenössischer Kultur mit Theologie teilt, für die Begleitung der Promotion. Seine kontinuierliche Betreuung mit hilfreichen Rückmeldungen und seine wertvollen Hinweise, u.a. zu Kierkegaard, waren motivierend und weiterführend. Seine der Freiheit verpflichtete Fundamentaltheologie ermöglicht die wissenschaftliche Beschäftigung mit anderen Kultur- und Wissenschaftsbereichen in besonderer Weise. Herrn Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff danke ich für das fundierte Zweitgutachten. Dass ich bis heute mit Begeisterung Theologe bin, verdanke ich darüber hinaus verschiedenen akademischen Lehrern, besonders aber Prof. Dr. Hansjürgen Verweyen, der mich schon in meiner Studienzeit begeistert und dessen fundamentaltheologischer Ansatz mich durch meine Zeit als Seelsorger und Ausbilder von Theologiestudierenden begleitet hat. Der Erzdiözese Freiburg danke ich für den großzügigen Druckkostenzuschuss und Herrn Volker Sühs vom Matthias-GrünewaldVerlag für seine gute, professionelle Betreuung der Drucklegung. Die Arbeit entstand berufsbegleitend über mehrere Jahre – ein nicht immer einfaches Unterfangen. Umso mehr bin ich dankbar, dass ich sie zu einem guten Abschluss bringen konnte. Mein Dienstvorgesetzter, Domkapitular Dr. Eugen Maier, hat mich sehr ermutigt, trotz der beruflichen Beanspruchung dieses Promotionsprojekt zu verfolgen. Meine Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen diözesanen Einrichtungen des Karl-RahnerHauses unterstützten mich durch ihr motivierendes Interesse. So manches weiterführende fachliche Gespräch und die intensiven Diskussionen im Vorfeld der mündlichen Prüfungen mit Markus Aronica waren inspirierend und hilfreich. 9

Besonders danke ich meiner Frau Christine, ohne deren Geduld, Motivation und fachlichen Rat die Vollendung dieses Projektes nicht denkbar gewesen wäre. Sie hat auch – trotz vielfältiger anderer Beanspruchungen – das Korrekturlesen übernommen. Ihr widme ich diese Arbeit. Freiburg, im Juli 2013 Pascal Schmitt

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0. Einleitung

„Volle Kanne Heimat – Jetzt!“1 – so warb die Partei Bündnis 90/Die Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im Frühjahr 2011. Das Plakat enthielt alle Motive traditioneller Heimatverbundenheit: Milchkanne, Kuh, Naturalien. Den kirchlich sozialisierten Betrachter ließ es darüber hinaus an Erntedank denken. Was ist geschehen, dass eine Partei, die sich als linksliberal, ökologisch und fortschrittlich versteht, mit einem Begriff wirbt, der über Jahrzehnte für Betulichkeit, ländliche Bürgerlichkeit und – gerade in linken Kreisen auf dem Hintergrund des nationalsozialistischen Missbrauchs – eine reaktionäre Weltsicht stand? „Heimat“, das scheint heute ein Begriff zu sein, mit dem sich für sehr viele Menschen Sehnsüchte und Hoffnungen verbinden. Damit eignet er sich zum Transport von Ideen, sei es politisch, ästhetisch2 oder kulturell. Der SPIEGEL machte das Thema „Heimat“ in seiner Ausgabe 15/2012 vom 7.4.2012 zum Titelthema. Dort wurde auch eine aktuelle Umfrage dargestellt3, in der gefragt wurde, was die Befragten vor allem mit Heimat verbinden. 33% nannten den Wohnort, 1

Siehe http://www.gruene-bw.de/wahl/kampagne.html, Zugriff vom 21.10.2011. Zur Verbindung von Heimat und Landschaft, auch mit Blick auf Kommerzialisierung und Werbung siehe JÜRGEN HASSE: Heimat und Landschaft. Über Gartenzwerge, Center Parcs und andere Ästhetisierungen, Wien 1993. 3 Vgl. DER SPIEGEL Nr. 15/2012 vom 7.4.2012, S. 63. 2

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31% die Familie und 18% den Geburtsort. 64% gaben an, dass Heimat im Zeitalter der Globalisierung für sie eher an Bedeutung gewonnen hat. In einer ähnlichen Umfrage 1999 waren es nur 56%.4 Das zeigt eindeutig, dass Heimat als Verortung im Nahraum wieder wichtiger wird und dass das Thema insgesamt an Bedeutung gewinnt. Die Grünen haben mit ihrer Wahlkampagne somit einen Nerv getroffen. Dennoch: Heimat ist mehr als der geographische oder menschliche Nahraum, Heimat kann die Vergangenheit der Kindheit oder eine erdachte Welt sein. Dass das Phänomen komplexer und differenzierter ist, lässt sich am Beispiel „Kaufhaus“ oder „Einkaufszentrum“ zeigen: Um die neue Unübersichtlichkeit der Welt zu strukturieren, lassen sich ganz neue „Heimaten“ entdecken und wahrnehmen. In Kaufhäusern gibt es immer mehr Markenshops, Artikel sind nicht mehr nach Warengruppen sortiert. Gab es früher bei den Kleinelektrogeräten eine Ordnung nach Typ, d.h. hier die Rasierapparate, dort die Rührgeräte und da die Haartrockner, so sind diese heute oft auf einer „Markeninsel“ konzentriert. Konnte man früher an einem Ständer alle Hosen, Jacken oder Kleider einer Farbe finden, so muss man sich heute zu verschiedenen Markenshops auf einer Etage begeben und dort jeweils nach Kleidungsstücken einer Farbe suchen. Was dem, der das Alte gewohnt ist, unübersichtlich vorkommt, ist für den neuen Kunden, der nur Kleider einer bestimmten Marke trägt, eine neue Markenheimat. Ähnliches lässt sich bei den reinen Markenläden beobachten: führende Modelabels findet man jetzt in separaten Ladenlokalen – eine Heimat für die jeweiligen Markenanhänger. Werbung und Marketing sind oft Seismographen für gesellschaftliche Entwicklungen. Aus dem Beobachtungsfeld Markenware lässt sich daher schließen: Der Mensch sucht nach Möglichkeiten, die Unübersichtlichkeit der Welt zu ordnen und dadurch beherrschund belebbar zu machen. Er hat Sehnsucht nach Sicherheit, Geborgenheit und Anbindung, auch wenn die hier zu Tage tretende Sehnsucht dem Menschen nicht bewusst ist und vermutlich kaum reflektiert wird. Heimat ist damit ein Thema, das im öffentlichen Diskurs vorkommt, das Menschen bewegt und sie herausfordert.5 Ist dieser 4

Ebd. Vgl. dazu auch den Künstler Stefan Strumbel, der in seinen Kunstwerken mit Attributen von Heimat spielerisch umgeht und diese entfremdet. Das Thema Religion schwingt dabei –

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Begriff und sind seine Bedeutungen aber auch in der theologischen Diskussion anschlussfähig? Oder – pointierter gefragt – lässt sich über „Heimat“ mit Menschen über die Frage nach dem Sinn des Lebens ins Gespräch kommen?6 Dies zu untersuchen, ist ein wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit. Da Literatur ein Medium ist, in dem sich Themen und Fragen verdichten können, wurde der Schriftsteller Arnold Stadler gleichsam als „Gesprächspartner“ ausgewählt, da das Thema Heimat in all seinen Facetten in seinem Werk eine wichtige Rolle spielt. Als vielfach ausgezeichneter und bekannter Schriftsteller unserer Zeit, der bis heute regelmäßig Werke veröffentlicht, steht er für eine Strömung aktuellen kulturellen Schaffens. Daher sind die Analyse und Interpretation der Bearbeitung des Themenfeldes Heimat im Werk von Arnold Stadler und die daraus folgenden Konsequenzen der zweite Schwerpunkt dieser Untersuchung. In einem ersten Durchgang wird sich diese Arbeit mit dem Begriff „Heimat“ in der aktuellen literaturwissenschaftlichen, soziologischen und philosophischen Diskussion befassen. Dies kann bei der Fülle des Materials nur kursorisch und exemplarisch geschehen. Dazu werden nach einem Gesamtüberblick beispielhafte Werke untersucht, die überdies immer wieder zitiert und einschlägig besprochen werden. Es gilt hier zu prüfen, wie der Heimatbegriff verwendet wird, und zwar im Blick auf die Frage, ob er eine Utopie, Vision oder Idee beschreibt. Wäre dies der Fall – und sei es auch von der negativen Seite, z.B. als Ideologie, dann wäre von daher die Frage nach einem Sehnsuchtsbegriff von Seiten der Theologie zumindest anschluss- bzw. kommunikationsfähig. In einem zweiten Schritt ist sodann zu fragen, unter welchen Gesichtspunkten das literarische Schaffen von Arnold Stadler untersucht werden kann. Dabei soll zunächst ein Blick auf die Frage geworfen werden, ob und inwiefern Stadlers Schaffen als Heimatliteratur verstanden werden kann. Der Ertrag dieser Untersuchung klärt, wo Stadlers Werk inhaltlich anzusiedeln ist. Dann ist zu klären, wie aus theologischer Perspektive mit Literatur generell zu wenn auch gebrochen - mit. So gestaltete Strumbel bei einer Ausstallung 2012 in Karlsruhe anlässlich des Jubiläums „900 Jahre Baden“ u.a. eine „Heimatkapelle“. Siehe den Katalog zur Ausstellung: STEFAN STRUMBEL: Holy Heimat [Ausstellungskatalog zur Ausstellung vom 28. Juli bis 25. November 2012, hg. von Badischen Landesmuseum Karlsruhe], Karlsruhe 2012. 6 Das evangelische Magazin Chrismon ist z.B. dieser Ansicht und gestaltete seine Ausgabe 06/2013 mit „Heimatgeschichten“.

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verfahren ist und welcher Umgang sich als methodisch adäquat erweist. In theologischen Untersuchungen von Literatur stößt man auf verschiedene Ansätze. Diese sollen kurz dargestellt und diskutiert werden, um so zu einem verantworteten Ansatz für die Beschäftigung mit dem Werk Arnold Stadlers zu gelangen und die eigene Methode transparent zu machen. Hier ist im Blick zu behalten, dass es beim Begriff Heimat nicht in erster Linie um einen theologischen oder religiösen Begriff geht. Die Suche nach religiösen Anspielungen, Motiven oder nach theologischen – wenn auch verfremdeten – Zitaten greift daher sicher zu kurz. Theologisch sind in einem dritten Durchgang Kriterien zu erarbeiten, um auf diesem Hintergrund ausgewählte Werke von Arnold Stadler zu untersuchen. Dabei wird die Sinnfrage im Vordergrund stehen. Demzufolge ist es einleuchtend, sich mit theologischen Ansätzen zu befassen, die eine Letztbegründung in der Theologie für notwendig erachten und daher philosophisch einen Sinnbegriff entwerfen, d.h. eruieren, wann und warum menschliches Leben sinnvoll ist bzw. „Leben in Fülle“ möglich ist. Dafür wurden die Ansätze von Thomas Pröpper und Hansjürgen Verweyen gewählt. Die Ergebnisse dieses Durchgangs ergeben die Sinnbegriffe, die Theologie ins Spiel bringen kann, wenn sie sich mit Fragen von Sinn und Sinndeutung beschäftigt. Somit ergeben sich wichtige Aspekte für die Untersuchung der Werke Arnold Stadlers. Anhand von Søren Kierkegaards Werk „Krankheit zum Tode“ werden dann Fragen der Existenzbedingungen und Möglichkeiten ge- oder missglückter menschlicher Existenz erläutert. Damit ist die Grundlage für die Textuntersuchung gegeben. Diese wird an ausgewählten Werken Stadlers durchgeführt, wobei auch die Frage nicht aus dem Blick zu verlieren ist, inwieweit sich in Stadlers Werk bis heute selbst Entwicklungen im Blick auf die Sinnfrage und ihre mögliche oder reale Lösung finden. Es ist transparent zu machen, wie die Werke Stadlers untersucht werden, dazu sind methodische Klärungen nötig, die zu Beginn des III. Teils erbracht werden. Des Weiteren sind Eigen- und Besonderheiten der literarischen Produktion Arnold Stadlers darzustellen und im Gesamtzusammenhang zu interpretieren. Dabei wird das Werk Stadlers nahezu vollständig in den Blick genommen. So können Ergebnisse, die weiterführender Untersuchungen bedürfen, erreicht und ggf. in den weiteren Verlauf der Untersuchung einbezogen werden.

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Bei der Textanalyse ist zu klären, ob und inwiefern der Heimatbegriff eine Chiffre für Sinn oder Lebensglück bzw. in seiner Brechung für Unglück oder verfehltes Leben ist. Dazu ist zunächst zu prüfen, welche Ausdifferenzierung das Themenfeld Heimat bei Stadler aufweist, welche Begriffe, Wortfelder und Äquivalente für Heimat verwandt werden oder im Anschluss an diese verwendet werden. Ließe sich das Motivfeld Heimat als Substitut einer universellen Sinnfrage verifizieren, könnte „Heimat“ im Werk Stadlers in all ihren Facetten sowohl theologisch fruchtbar gemacht werden als auch im Sinne eines Gesprächsangebotes im geisteswissenschaftlichen Diskurs einen Anknüpfungspunkt bieten. Dass theologisch erstphilosophische Konzepte herangezogen werden, ist nicht selbstverständlich, lässt sich mit Gregor Maria Hoff die Situation der Theologie in der Postmoderne doch so beschreiben: „Nicht nur katholische systematische Theologie heute weist einen erheblichen Problemüberhang ihrer diskursiven Inkompatibilitäten auf. Der Plural ihrer Referenzsysteme, Ansätze und Methoden erscheint so wenig aufzuheben, wie er den inhaltlichen Kontakt erschwert. Zwischen erstphilosophischen, idealistischen und sprachanalytischen Argumentationen, zwischen systemtheoretischen und dramatisch-theologischen Schulen, zwischen hermeneutischen und semiotisch-genealogischen Perspektiven, im Flashlight der verschiedensten Genetiv- und Adverbial-Theologien bestätigt sich jener konstitutive Pluralismus, der sich nicht mehr auf ein Sprachspiel oder eine diskursive Ordnung der Dinge reduzieren lässt.“7

Ist die Situation schon innerhalb der (Fundamental-)Theologie so komplex, scheint ein Diskurs mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen von vornherein aussichtslos. Diese Aussichtslosigkeit lässt sich ansatzweise nur dadurch unterlaufen, dass ein Denkweg im Blick auf die Sinnfrage vorgeschlagen wird, der bei der Bereitschaft aller Beteiligten, sich diskursiv darauf einzulassen, zumindest nachvollzogen werden kann. Diese Arbeit geht daher im Anschluss an neuere fundamentaltheologische Ansätze davon aus, dass erstphilosophisch fundiert ein Begriff von letztgültigem Sinn denkerisch eruiert werden kann8. 7 GREGOR MARIA HOFF: Theologie im Raum der Differenzen. Überlegungen im Anschluss an Josef Wohlmuth, in: PETER HARDT/KLAUS VON STOSCH (Hg.): Für eine schwache Vernunft? Beiträge zu einer Theologie nach der Postmoderne, Ostfildern 2007, S. 30–35, hier S. 32 (Kursiv schon im Original). 8 Vgl. z.B. GERHARD LARCHER/KLAUS MÜLLER/THOMAS PRÖPPER (Hgg.): Hoffnung, die Gründe nennt. Zu Hansjürgen Verweyens Projekt einer erstphilosophischen Glaubensverantwortung, Regensburg 1996; KLAUS MÜLLER: Fundamentaltheologie. Fluchtlinien und gegenwärtige Herausforderungen, Regensburg 1998; JOACHIM VALENTIN/SASKIA WENDEL

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Grundsätzlich lässt sich damit der christliche Glaube als philosophisch verantwortbar und sinnvoll erweisen. Es wird aber ernst genommen, dass Glaube und Sinnerfüllung nicht im Sinne einer mathematischen Formel denkerisch andemonstriert werden können und dass der Mensch auf der Suche nach Sinn ist. Ein so verantworteter Glaube kann sich selbstbewusst auf jede philosophische Diskussion einlassen und im Ringen um die Frage nach Wahrheit von Sinnangeboten wesentliche Beiträge einbringen. Dieser Ansatz vermeidet aber die vorschnelle Interpretation allen Denkens als auf Grund des christlichen Heilsgeschehens immer schon unbewusst oder anonym christlich, die letztendlich die Autonomie des Menschen nicht ernst nimmt. Daher wird in dieser Arbeit besonders darauf geachtet, ob und ggf. wo solche Interpretationsvoraussetzungen gemacht werden. Immer dann, wenn der christliche Glaube als Voraussetzung dafür gesehen wird, dass das Denken überhaupt zu sich selbst kommen kann, ist eine Diskussion „auf Augenhöhe“ mit nicht oder anders Glaubenden kaum möglich. Insgesamt versteht sich diese Untersuchung also als theologische Grundlagenforschung und fundamentaltheologischer Beitrag zur aktuellen Auseinandersetzung mit der Sinnfrage am Beispiel des Themenfeldes Heimat in interdisziplinärer Ausrichtung.

(Hg.): Unbedingtes Verstehen?! Fundamentaltheologie zwischen Erstphilosophie und Hermeneutik, Regensburg 2001; KARSTEN KREUTZER/MAGNUS STRIET/JOACHIM VALENTIN (Hgg.): Gefährdung oder Verheißung? Von Gott reden unter den Bedingungen der Moderne, Ostfildern 2007.

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II. Philosophische Bestimmung: Heimat als Antwort auf die Sinnfrage 1. Die Frage des Menschen nach letztgültigem Sinn Will man über Sinn, Sinnerfüllung und -deutung ins Gespräch kommen, muss man von einem Sinnbegriff ausgehen, der von allen Gesprächspartnern geteilt und verstanden wird. Zumindest letzteres, gemeinsames Verstehen, ist möglich, wenn Dialogpartner versuchen, sich auf die Gedankengänge des jeweils anderen einzulassen. Daher legt es sich für diese Arbeit nahe, zugunsten einer Diskussion unterschiedlicher Wissenschaften und Welterklärungen philosophisch einen Sinnbegriff zu bestimmen, da dieser prinzipiell von allen gedanklich nachvollzogen werden kann. Dabei ist es sinnvoll, bei der Subjektreflexion anzusetzen, um nicht hinter den aktuellen Stand der Philosophie zurückzufallen. Daher werden hier die Ansätze von Thomas Pröpper und Hansjürgen Verweyen zum Begriff letztgültigen Sinns skizziert werden, da sie die genannten Kriterien erfüllen und auch im wissenschaftlichen Gespräch miteinander stehen – auch in Auseinandersetzung mit Ostermann. Ist ein solcher Sinnbegriff ausgewiesen, könnte „Heimat“ dann in zwei Dimensionen beschrieben werden: a) als der Versuch einer – wenn auch oft gebrochenen - Antwort auf die Sinnfrage b) als Begriffsfeld, das zeigt, dass die Frage nach letztgültigem Sinn als Basis zur Verständigung mit agnostischen Menschen oder solchen „in der Revolte“1 wichtig ist und das Begriffsfeld selbst! bei Arnold Stadler eine solche Basis sein kann bzw. ist.

a) Reflexion auf unbedingte Freiheit nach Thomas Pröpper Thomas Pröpper gehört zu den Theologen, die die Frage nach dem letztgültigen Sinn des Glaubens stellen und die philosophische Verantwortung desselben vor dem Forum der Vernunft fordern2.

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Vgl. ALBERT CAMUS: Der Mensch in der Revolte, Reinbek 1953. Siehe dazu vor allem THOMAS PRÖPPER: Evangelium und freie Vernunft. Konturen einer theologischen Hermeneutik, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2001, in dem der Ansatz komprimiert und sehr dicht dargestellt und in der Diskussion mit Hansjürgen Verweyen präzisiert wird. Siehe auch DIRK VAN DE LOO: Hölzerne Eisen? Brückenschläge zwischen Poetischer 2

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Dabei – und darauf kommt es im Rahmen dieser Arbeit an – erarbeitet Pröpper einen Begriff von Sinn, auf den die Offenbarung des Glaubens eine Antwort sein kann. Grundstein ist eine transzendentale Analytik der Freiheit3. Dazu geht er vom Begriff der formal unbedingten Freiheit aus. Freiheit ist die unbedingte Bedingung für humane Vollzüge. Aber, und das ist ihr transzendentaler Erweis, ohne sie lässt sich die Reflexion der Vernunft nicht als möglich zeigen. Indem ich denke, verhalte ich mich zu etwas. Dieses Sichverhalten können und müssen ist innerstes Prinzip des Denkens – sobald ich denke, verhalte ich mich. Pröpper präzisiert: „Näherhin ist sie (Freiheit, P.S.) zu denken als unbedingtes Sichverhalten, grenzenloses Sichöffnen und ursprüngliches Sichentschließen: als Fähigkeit der Selbstbestimmung also, bei der sie 1. das durch sich Bestimmbare, 2. das (durch die Affirmation eines Inhalts) sich Bestimmende und 3. in ihrer formalen Unbedingtheit auch der Maßstab der wirklichen Selbstbestimmung ist.“4.

Diese so gefasste Freiheit ist nun aber auch unbedingt, nicht verursacht, d.h. das Denken als freies Sichverhalten hat diesen Impuls nicht von außen, nicht von anderen, sondern aus sich selbst heraus. Zwar gesteht Pröpper zu, dass real existierende Freiheit vielfach durch Umwelt und leibliche Verfasstheit des Menschen bedingt ist5, aber diese „materielle Bedingtheit“ hebt „ihre formale Unbedingtheit nicht auf“6. Denn: auch zu den Bedingtheiten kann die Freiheit sich wiederum verhalten. Wenn Freiheit aber die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ist, dann muss sie sich zu bestimmten Inhalten auch wirklich entschließen. Nur dadurch wird der Mensch Subjekt seiner Freiheitsgeschichte7 Aber zu was soll sich Freiheit entschließen? Zunächst soll sie sich selber bestimmen, sie ist autonom, „wenn sie sich zu sich selber entschließt und auf die Unbedingtheit des eigenen Wesens als Kriterium ihrer Selbstverwirklichung verpflichtet.“8 Als nächster Schritt entspricht dann aber – aus der autonomen Selbstbestimmung heraus – dem unbedingten Sichöffnen nur ein seinerseits Unbedingtes – andere Freiheit! Aus dieser Bestimmung erwächst der ethische Anspruch, dass andere Freiheit unbedingt Dogmatik und erstphilosophischer Glaubensverantwortung, Regensburg 2007, bes. S. 212– 252. 3 Vgl. PRÖPPER: Evangelium und freie Vernunft, S. 202. 4 Ebd., S. 15. 5 Vgl. ebd., S. 28. 6 Ebd. 7 Vgl. ebd., S. 28 f. 8 Ebd., S. 29.

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anerkannt werden soll. Und dies eben nicht nur als Appell, sondern als innere Bestimmung der zu sich selbst kommenden Freiheit. Und andere Freiheit anzuerkennen ist letztlich nichts anderes, als zu sagen: „Du sollst sein!“9 Nun reicht es nicht, dies nur zu sagen oder zu wollen, vielmehr muss sich dies auch in Taten und Symbolen zeigen. Dabei verweist die Verstrickung des Menschen in weltlichen Bezügen auf ein Weiteres: den Anspruch unbedingter Freiheit kann der Mensch immer nur bedingt verwirklichen, seine Anerkennung des Anderen, aber auch seine Selbstbestimmung bleiben unvollkommen. Abstrakter formuliert: die formal unbedingte Freiheit kann sich immer nur material bedingt verwirklichen. Diese Aporie ist – zumindest denkmöglich – lösbar: durch die Idee einer Freiheit, die nicht nur formal, sondern material unbedingt wäre. Sie allein könnte verbürgen, was der Mensch bei der Realisation der Freiheit immer schon intendieren muss: die unbedingte Anerkennung der Freiheiten. Damit ist Gott denkmöglich und zugleich bestimmt als unbedingte, sich öffnende und zur Vollendung kommen wollende Freiheit, die das unbedingte freie Sein von allem will. Pröpper präzisiert: „In der Idee Gottes wird also die Wirklichkeit gedacht, die sich Menschen voraussetzen müssen, wenn das unbedingte Seinsollen, das sie im Entschluß ihrer Freiheit für sich selbst und für andere intendieren, als möglich gedacht werden soll. Wohlgemerkt aber: wenn es als möglich gedacht werden soll.“10 Damit, das betont Pröpper, ist kein Gottesbeweis erbracht, denn ob diese Idee Gottes auch existiert, ist nicht ausgemacht. Aber es ist ein Sinnaufweis gelungen: es ist vernünftig, mit einer absoluten Freiheit zu rechnen, die die unbedingte Anerkennung der menschlichen Freiheit (sich selbst und anderen gegenüber) verbürgt. Ein Begriff letztgültigen Sinns wäre also eine sich absolut bzw. formal und material realisierende unbedingte Freiheit, die den Menschen „endgültig“ zu sich und zum Anderen befreit. Weil es ein Unbedingtes im Menschen selbst gibt und dieses Unbedingte realisiert werden soll, kann Gott den Menschen unbedingt angehen.11 Pröpper hält den Ausgang von der Freiheit als Grundlage der Sinnfrage deshalb für besonders geeignet, weil Freiheit das Thema der

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Ebd., S. 29. Ebd., S. 30. 11 Vgl. ebd., S. 22. 10

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Moderne ist und jeden Menschen angeht. Das mit ihr Gemeinte ist leicht ins Gespräch zu bringen. Für diese Untersuchung bleibt die Frage, ob und ggf. was dieser Sinnbegriff zur Interpretation der Werke Arnold Stadler beitragen kann und inwiefern Heimat als Sehnsuchtsbegriff mit dem Freiheitsgeschehen nach Pröpper in Verbindung gebracht werden kann.

b) Aufweis eines Sinnbegriffs bei Hansjürgen Verweyen Hansjürgen Verweyen geht es in seinem Ansatz12 darum, aufzuweisen, dass das in Jesus menschgewordene letzte Wort Gottes vernünftigerweise die endgültige Antwort auf die Frage des Menschen nach letztgültigem Sinn sein kann. Es geht um die Letztbegründung des Glaubens. Damit steht er vor mehreren Problemen: Zunächst ist nachzuweisen, dass der Mensch auf Offenbarung verwiesen ist, ein letztes Wort Gottes ankommen kann. Dazu ist aber ein Begriff von letztgültigem Sinn zu erschließen13, denn nur wenn ein solcher existiert, kann dieser Sinn, sollte er dem Menschen begegnen, auch als vernünftig erkannt werden. Der Aufweis dieses Begriffs von Sinn muss erstphilosophisch geschehen, das heißt vor der „reinen“ Vernunft, ohne Rückgriff auf geschichtliche Vorgegebenheiten und gedankliche Ableitungen. Dazu bedarf es für den Glaubenden hermeneutischen Verstehens, denn er muss sich bewusst sein, dass er durch den Glauben bereits zu einem Verstehen gebracht wurde14. Den Grund dafür, dass Offenbarung ihn treffen konnte, muss er in einem Rückgang auf die Vernunft vor dieser Offenbarung suchen. Als „Sinnproblem“15, das alle menschliche Vernunft betrifft, ermittelt Verweyen unter Rückgriff auf das nackte „cogito“ das Streben des Menschen nach Einheit. Der Mensch 12

Vgl. HANSJÜRGEN VERWEYEN: Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheologie, Düsseldorf 11991, Regensburg (vollständig überarbeitet) 3+42000 (nach letzterer wird im Folgenden zitiert). 13 Vgl. ebd., S. 151–185. 14 Dieser Punkt scheint mir bei Verweyen wesentlich, er wurde aber zu wenig beachtet, auch von Pröpper. Verweyen möchte, dass der Glaubende als Glaubender seinen Glauben rational verantworten kann und muss. Philosophisch geht das auch nicht anders, da der Gläubige nicht so tun kann, als glaube er nicht (mehr), vgl. Verweyen, GlW, S. 46 ff. Damit sind einige der Punkte, die Pröpper u.a. als Zirkelschlüssel kritisieren, nicht aufgehoben, sondern vielmehr nach Verweyens Konzept denknotwendig. Dagegen scheint mir bei Pröpper die Intention leitend, mit der Reflexion der Freiheit eine Grundbestimmung zu haben, die für Glaubende wie für Nichtglaubende Ausgangspunkt der Sinnreflexion sein kann. 15 VERWEYEN: Gottes letztes Wort, S. 142.

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kann nichts denken, ohne es in irgendeiner Weise als Form, als Einheit aufzufassen. Diese Suche nach Einheit bleibt letztlich jedoch immer erfolglos. Selbst das nackte Ich kann nicht gedacht werden, ohne dass der Mensch dieses ‚Ich‘ zum Objekt macht. ‚Ich‘ kann ich nur denken als ein Gegenüber. Die Sinnfrage ist dann die Frage nach der Möglichkeit des Vollzugs unbedingter Einheit trotz dem in der endlichen Vernunft immer zu setzenden Gegensatz, der immanenten Differenz. Der aus dieser Frage resultierende Begriff von Sinn wäre die Möglichkeit, Einheit des Menschen trotz Differenz zu denken. Dazu führt Verweyen den Bildbegriff ein. „Wenn nicht auch das völlig unbedingt eine Sein selbstwidersprüchlich erscheinen soll, muß sich aber eine Äußerung jenes Seins, die im menschlichen Ich ein ihm gegenüberstehendes selbstständiges anderes duldet, als seiner völlig unbedingten Einheit nicht widersprechend verstehen lassen. Dies scheint mir nur über den Begriff des Bildes möglich.“16 Oder, einfacher ausgedrückt: „Das unter dem Trieb nach unbedingter Einheit stehende Ich kann diese Einheit bei durchgehaltener Differenz von ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘ nur gewinnen, wenn ihm ein Gegenüber als der vollkommene Spiegel seiner selbst begegnet.“17 Dieses „zum Bild werden“ ist aber nur so möglich, dass eine andere Freiheit nichts anderes wollte, als zum Bild des Anderen werden. Dabei ist „Bild“ insofern ein Hilfsbegriff, als dass er das Gemeinte nur unzutreffend wiedergibt. Dass ein Mensch seine ganze Freiheit daran setzt, für den anderen ganz transparent zu werden, sich von ihm durchdringen zu lassen, ist eine notwendige Bedingung für den Begriff letztgültigen Sinns. Kann ein Mensch dies nun aber vernünftig wollen? Dazu rekurriert Verweyen auf das Unbedingte und zwar indem er darauf verweist, dass in der Elementarstruktur des menschlichen Bewusstseins, wie schon gezeigt, immer Einheit vorausgesetzt wird, auch wenn sie nicht eingeholt wird. Diese nicht ableitbare Unbedingtheit (des Einheitsgedankens) kann nicht aus dem Menschen stammen, sondern nur von einem Unbedingten selbst. Sollte dieses existieren, taucht das neue Problem auf, dass entweder dieses Unbedingte oder das Denken Schein ist. Beides kann nicht nebeneinander wirklich sein, da Unbedingtes sonst nicht unbedingt ist, anders gesagt, Einheit nicht Einheit, da sonst Zweiheit ist. Gelöst werden kann dieser Widerspruch nur, wenn Mensch und Welt 16 17

Ebd., S. 156. VERWEYEN: Gottes letztes Wort, erste Auflage 1991, S. 234.

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Bild des Unbedingten sind. Das aber bedeutet, dass der Mensch vernünftigerweise nur dann wirklich ist, wenn er ganz Bild des Unbedingten ist. Dies wäre ein Begriff letztgültigen Sinns. Die Sinn-Frage ist in der Verfasstheit unseres Bewusstseins grundgelegt. Wie lässt sich von ihm aus aber eine letztgültige Offenbarung erkennen? Verweyen beantwortet dies folgendermaßen: „Von einer letztgültigen Offenbarung kann dem [...] ermittelten Sinnbegriff zufolge nur dort gesprochen werden, wo ein Mensch seine ganze Existenz darangibt, Wort und Bild des Unbedingten zu sein. Dieses Wort dürfte sich aber nicht als Ausdruck eines den Menschen unnahbaren Gottes darstellen, sondern müßte als Einlösung jenes Versprechens erkennbar sein, das dem Menschen bei der interpersonalen Konstituierung seines Selbstbewußtseins zugesprochen wird. Die von diesem Wort Angesprochenen müßten sich bis in die Tiefe ihres Wesens anerkannt erfahren und dabei zugleich den unbedingten Anspruch und die feste Hoffnung vernehmen, alle Menschen so als Bilder Gottes zu entdecken, daß über die gegenseitige Anerkennung dieser unendlich vielen Bilder schließlich das Bild des Absoluten selbst zur Erscheinung kommt.“18

Auch wenn die Frage nach Offenbarung im Zusammenhang dieser Arbeit schon ein Stück zu weit geht, bleibt die Frage, in wie weit sich in den Werken Stadlers eine Sehnsucht nach Sinn ausdrückt und ob und ggf. wie sie sich mit „Heimat“ beschreiben lässt. Denn – und diese Aussage von Verweyen gilt auch für Pröppers Anliegen: „Die Suche nach einem Begriff von letztgültigem Sinn setzt voraus, daß es ein alle menschliche Vernunft betreffendes Sinnproblem gibt – nicht etwa bloß epochal oder regional dominierende Sinnfragen, die nach einer je spezifischen, aber keiner universal gültigen Antwort verlangen.“19

c) Ertrag der theologischen Reflexion auf die Sinnfrage Es ist hier nicht der Ort, die Ansätze von Pröpper und Verweyen grundlegend zu diskutieren, beide haben dies miteinander oder vermittelt über ihre Schülerinnen und Schüler immer wieder getan.20 18

Gottes letztes Wort, 3. Auflage, S. 194. Ebd., S. 142. 20 Vgl. aus der Fülle der Untersuchungen: GERHARD LACHER/KLAUS MÜLLER/THOMAS PRÖPPER (Hgg.): Hoffnung, die Gründe nennt. Zu Hansjürgen Verweyens Projekt einer erstphilosophischen Glaubensverantwortung, Regensburg 1996 sowie die schon genannten DIRK VAN DE LOO: Hölzerne Eisen?, PAUL PLATZBECKER: Radikale Autonomie vor Gott denken. Transzendentalphilosophische Glaubensverantwortung in der Auseinandersetzung zwischen Hansjürgen Verweyen und Thomas Pröpper, Regensburg 2003; HANSJÜRGEN VERWEYEN: Offenbarungsglaube und Ikonoklasmus. Denken mit Thomas Pröpper, in: KLAUS MÜLLER/MAGNUS STRIET: Dogma und Denkform. Strittiges in der Grundlegung von 19

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Hier interessiert der Ertrag für die Sinnfrage im Blick auf die Untersuchung von Literatur. Im Anschluss an Pröpper wäre darauf zu achten, ob und wie geglückte oder verweigerte Begegnung von Freiheiten stattfindet, inwieweit Endlichkeit und Vorläufigkeit der Begegnung menschlicher Freiheiten thematisiert wird und ob die Sehnsucht nach einer unbedingten Freiheit namhaft zu machen wäre. Im Anschluss an Verweyen ist die Frage wichtig, ob und inwiefern Einheitserfahrungen ersehnt oder erlebt werden, zerbrechen oder gesucht werden. Im Blick auf die dargelegte Methodik ist dabei klar, dass es nicht darum geht, nachzuweisen, dass evtl. aufbrechende Sinnfragen im Kontext von Heimat nur durch die christliche Offenbarung gelöst oder beantwortet werden können. Vielmehr ist im Blick zu behalten, dass es um die Möglichkeit von Anschlussfähigkeit der theologischen Diskussion bzw. deren Fragen im kulturellen Gespräch geht. Eine spannende Frage, die bei der Interpretation durchgängig zu beachten ist, ist, inwieweit sich Arnold Stadler (noch oder wieder) als Theologe versteht oder als Glaubender und ob das in den Werken zu sehen ist.

Offenbarungsbegriff und Gottesgedanke, Regensburg 2005, S. 3–15, und zuletzt Pröpper selbst in: DERS.: Theologische Anthropologie, 2 Bde, Freiburg i. Br. 2011, bes. Bd. 1, S. 437–441.

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