Vom Monolog zum Austausch Reverse-Freiwilligendienste zeigen, ob wir am Dialog interessiert sind

Vom Monolog zum Austausch – Reverse-Freiwilligendienste zeigen, ob wir am Dialog interessiert sind 1. Wie be-greifen wir die Welt? 2. Entwicklung(s)-H...
Author: Charlotte Busch
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Vom Monolog zum Austausch – Reverse-Freiwilligendienste zeigen, ob wir am Dialog interessiert sind 1. Wie be-greifen wir die Welt? 2. Entwicklung(s)-Hilfe-Geschichte 3. Freiwilligendienste und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit 4. Interkulturelles Lernen durch Freiwilligendienste 5. Reverse aus der Überzeugung heraus: Die überholten Vorstellungen sollen überwunden werden Das weltwärts-Programm war noch in der Konzeptphase, als verschiedene deutsche Anbieter von Freiwilligendiensten sich bei dem zuständigen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nach sogenannten Reverse- oder IncomingFreiwilligendiensten erkundigten. Laut Teilnehmenden an diesen Gesprächen wurden die Anfragen mit purem Unverständnis beantwortet und abgelehnt. Weshalb kann es so absurd erscheinen, jungen Leuten aus solchen Ländern, für die man weltwärts-Förderung beantragen kann, einen Freiwilligendienst zu ermöglichen? Vielleicht lässt sich das erklären, wenn man sich auf einen kleinen geistesgeschichtlichen Ausflug begibt. Ersten Aufschluss geben möglicherweise schon die verwendeten Begriffe. Darüber hinaus liegt vielleicht ein Teil der Antwort auch darin, dass die Konzeptphase unter Führung des BMZ stattfand. Das bedeutet, dass man sich den Diskussionsprozess um die unterschiedlichen Konzepte von Entwicklungshilfe vs. Entwicklungszusammenarbeit näher wird anschauen müssen. Denn an welchem Punkt dieser Prozess gerade in etwa stand, können Erfahrungen mit Projektverläufen der Entwicklungszusammenarbeit nachempfinden lassen. Wenn man zum Dritten diese Verläufe mit den Methoden der Interkulturellen Kommunikation beleuchtet, eröffnen sich neue Möglichkeiten, die Idee des ReverseFreiwilligendienstes als eine vielleicht erst bevorstehende Etappe in einem für Deutschland und deutsche Organisationen wichtigen Umdenkprozess zu begreifen. 1. Wie be-greifen wir die Welt? Begriffe bezeichnen nicht nur etwas. Sie erzählen auch eine Geschichte darüber, wie man versucht etwas zu (be-)greifen, etwas zu fassen zu kriegen. So dauert es mitunter eine ganze Weile, manchmal Jahrzehnte, bis sich Begriffe verfestigen, einbürgern, durchsetzen. Natürlich sind es nicht die Begriffe selbst, die irgendetwas täten. Die Menschen, welche sie verwenden, setzen Begriffe und drücken unweigerlich etwas damit aus. Ob bewusst oder nicht, die Begriffe, die wir wählen, lassen Rückschlüsse auf die unserem Denken zugrunde liegenden Konzepte zu. Damit soll nicht behauptet werden, dass die Verwendung eines einzigen Begriffes immer auf dasselbe Konzept zurückzuführen ist. Es ist etwas komplexer als das. Der Deutungsrahmen, in dem ein Begriff tatsächlich verortet ist, ist in der individuellen Erfahrungswelt des Einzelnen eingeflochten und unterscheidet sich somit immer von anderen (zumindest in Nuancen). Beispiele für zuweilen sehr umstrittene Begriffe sind „Neger“, „Nigger“, „Schwarze“, „Eingeborene“, „Einheimische“, „Farbige“, „Indigene Bevölkerung“, „Afroamerikaner“ etc. Je nachdem wer diese Begriffe in welchem Kontext verwendet, enthalten sie unterschiedliche Botschaften. Man stelle sich, um es durch Polarisierung zu verdeutlichen, einen Vertreter der Konföderierten zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges oder Abraham Lincoln vor. Heutzutage macht es einen sehr großen Unterschied, ob einer dieser Begriffe aus dem Mund oder der Feder von Barack Obama, Tracy Chapman, Winfrey Oprah, Joachim Gauck, Beate Zschäpe, Silvio Berlusconi, Nelson Mandela, Königin Elisabeth II., Ban Ki-moon, José Manuel Barroso, oder JeanMarie Le Pen kommt, um nur einige Personen der jüngeren Zeitgeschichte zu nennen: Begriffe transportieren die subjektiven Vorstellungen, die Menschen von Lebenswelten, Bildungsniveaus, finanziellen Möglichkeiten und z.B. dem Maß an Einfluss auf ihr Lebensglück haben. Im Verlauf der

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Geschichte verändern sich Bedeutung und Wirkung von Begriffen. Daran lässt sich dann auch eine allmähliche Veränderung der Vorstellungswelten erkennen. Die Debatte um die oben genannten Begriffe dauert noch immer an (vgl. Kritische Weißseinsforschung, im Deutschen u.A. von Susan Arndt). Dass das weltwärts-Programm beim BMZ angesiedelt wurde, lenkt den Blick auf die eingangs erwähnte Begriffsdebatte um Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit. Auch hier gab und gibt es jahrzehntealte Auseinandersetzungen um verschiedene Bezeichnungen für das internationale humanitäre Engagement deutscher Institutionen. 2. Entwicklung(s)-Hilfe-Geschichte Seit einigen Jahrzehnten werden die Begriffe „Entwicklungshilfe“ und „Entwicklungszusammenarbeit“ und die damit verbundenen Weltverständnisse diskutiert. Eine in letzter Zeit stärker werdende Strömung propagiert den Begriff „Weltdienst“. Der Prozess des Begreifens, des Neu-Fassens von Sachverhalten, erweist sich auch hier als kompliziert. Erkennbar wird dies besonders dann, wenn Organisationen sich bemühen, den im Begriff Entwicklungszusammenarbeit enthaltenen Aspekt der Zusammenarbeit umzusetzen. Die unternommenen Anstrengungen sind gewissenhaft, ernst gemeint und konsequent. Dennoch entsteht der Eindruck, dass Verantwortliche in den Organisationen mit so vielen Rückschlägen in diesem gut gemeinten Vorhaben nicht gerechnet haben. Widerspruch und Weigerung oder Ansprüche auf mehr Einflussmöglichkeiten auch in sensiblen Bereichen der Koordination von Seiten der Projektpartner_innen in den Einsatzländern überrascht und irritiert oder bestätigt Befürchtungen und Vorbehalte. Ein Scheitern des Versuches die Partner_innen zu beteiligen scheint sich abzuzeichnen. Aus der Perspektive des/der interkulturellen Prozessbegleiters_in ist jedoch auch eine alternative Interpretation möglich: Der Dialog wurde angestoßen. Die darauf erfolgten Reaktionen sind zunächst einmal Anzeichen für die Existenz von Kommunikation, also auch Ausdruck für eine nun erst einmal existierende Beziehung, egal, welcher Art diese ist. Die Irritation und der befürchtete Konflikt ist nicht von vornherein ein Anzeichen für das sich anbahnende Scheitern. Der Blick für die Suche nach den nun angemessenen weiteren Schritten bleibt damit frei. Anstoß und Motivation für die korrekte Bezeichnung war der Impuls die Zeiten des Kolonialismus und dann auch des Neokolonialismus zu überwinden und somit von der Hilfe durch Entwickelte an Entwicklungsbedürftigen hin zum gemeinsamen Einsatz für lebenswerte Lebensbedingungen auf der Welt zu gelangen. Dafür muss man natürlich in den Dialog gehen und Dialoge und Beziehungen beinhalten auch Widerspruch und Konflikte. Dass sie auftreten ist also ein Beleg für die Existenz von Beziehung und dafür, dass die Neuausrichtung des Konzeptes fruchtet. Auch für den Bereich der Reverse-Freiwilligendienste ist zu erwarten (bzw. es gibt bereits Erfahrungen damit), dass es Reibungen geben wird, wenn Freiwillige aus anderen Ländern in Deutschland ihre Ideen, ihre Arbeitskraft, ihre Sicht der Dinge und ihre individuellen Eigenarten mitbringen. Nach den ersten Freiwilligen wurden Projekte schon wieder eingestellt – weil es anstrengend war. Dazu nachfolgend mehr. Festzuhalten ist bis hier hin, dass mit dem Konzept der Entwicklungszusammenarbeit kein Anlass bestünde, überrascht zu sein. Denn autonom denkende und handelnde Partner_innen vertreten mitunter abweichende Meinungen. Davon überrascht zu sein wäre eher ein Hinweis darauf, dass das ältere Konzept zugrunde liegt. In der Vorstellungswelt der Entwicklungshilfe (s.o.) war eine erwartbare Reaktion der Südpartner_innen z.B. Dankbarkeit (mit unter auch Aspekte, wie Anerkennung der eigenen Hilfsbedürftigkeit etc.). Wenn es sich so verhält, würde es darauf hinweisen, dass ein neuer Begriff bereits Usus ist, nicht jedoch dessen Konzept. An die Oberfläche tritt dies jedoch erst im Zuge der Umsetzung, also wenn man den Dialog erst einmal gewagt hat. Es geht damit nicht um political correctness, oder um die korrekteste Eine-Welt-Theorie. Es handelt sich in erster Linie um ein Phänomen, das oftmals unbewusst und/oder kulturell erlernt und für diese Überlegungen nicht in Kategorien von richtig oder falsch zu bewerten ist. Diese Prozesse und ihre

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Nebeneffekte haben im Rahmen dieses Artikels die Frage zum Gegenstand, weshalb es dieses Artikels überhaupt bedarf. 3. Freiwilligendienste und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Der Zweck eines Freiwilligendienstes deutscher junger Menschen (von vornherein mit einer gewissen Mindestqualifizierung), schien von Anfang an unstrittig. Welchen Zweck es haben sollte, dass junge Menschen aus den Ländern, für die eine weltwärts-Förderung gewährt wird, einen Freiwilligendienst in Deutschland leisten, war dagegen nicht verständlich zu machen.1 Wenn man nun die eingangs angesprochene Begriffsentwicklung bezüglich der Hautfarbe oder der Herkunft von Menschen, und den Prozess, der sich an den Begriffen der Entwicklungshilfe und der -zusammenarbeit kristallisiert, auf interkulturelle Lernprozesse überträgt, kann man die Idee der Reverse-Freiwilligendienste in einen größeren Bezugsrahmen setzen. Die internationalen Freiwilligendienste sind in Deutschland zum Einen im Gefolge der Entwicklungsdienste, zum Anderen als Ausdruck für eine gelebte Partnerschaft, oft zwischen kleinen Initiativen an Schulen, in Kirchengemeinden, oder von Vereinen, Pfarreien, Ordensgemeinschaften etc. mit Projekten, Gemeinden, Schulen, usw. in Ländern entstanden, in denen es auf Grund der humanitären Situation nahe liegend und unstrittig sinnvoll zu sein schien, sich unterstützend zu engagieren. Auch hier zeigen die verwendeten Begriffe wieder den Unterschied auf: In alle anderen Länder konnte und kann man über das Instrument des (Schüler-) Austauschs oder des Auslandssemesters, -jahres o.ä. gehen. In einer Art Zwischenbereich liegen Aupair und Akademische Austauschprogramme – vermutlich wegen der Klarheit im Arbeitsauftrag und der zu erbringenden Leistung. Doch macht es denn überhaupt Sinn, einen „internationalen Lerndienst“, wie die Freiwilligendienste auch wieder in einem langen und diskursiven Prozess immer häufiger genannt wurden, nur in eine Richtung zu machen? Insbesondere wegen der internationalen und interkulturellen Dimension dieser Dienste sprechen drei Aspekte eindeutig dagegen: Erstens bekommt man es hier mit der Systematik der Vorurteile zu tun. Eine von deren zentralen Eigenarten besteht darin, die Tendenz zu haben, sich in subjektiv erlebten Kontexten eher zu bestätigen und damit zu bekräftigen, anstatt, wie vielfach erhofft, zu widerlegen oder gar aufzulösen. Daher kann man diesen Prozess sinnvoll nur durch einen ausgewogenen Austausch auffangen. So wird das Lernfeld insgesamt mit möglichst vielfältigen Begegnungen in vielen unterschiedlichen Kontexten breiter gemacht. Bisher ist die häufigere Perspektive die, der vermeintlich reicheren Beobachter. Sie steht unter dem starken (bis überwältigenden) Eindruck der unterschiedlichen Formen von Armut. Durch den Austausch wird diese Perspektive ergänzt durch diejenige der Menschen, die das Umfeld ihres Herkunftsortes als das Normale erlebt haben und sich in Deutschland über manches Andere wundern. Damit besteht zum Zweiten im Aufeinandertreffen unterschiedlicher kultureller Prägungen – trotz aller Vorurteile – die Chance, einen neuen Blick auf die eigene Lebenswelt vermittelt zu bekommen. Die Fragen und Zweifel, die Bewunderung und Lernbereitschaft durch Betrachter aus anderen Kulturen gibt Aufschluss über Stärken und Schwächen beider Kulturen. 4. Interkulturelles Lernen durch Freiwilligendienste Diese beiden Behauptungen entstammen den Instrumenten der Interkulturellen Kommunikation, die davon ausgeht, dass Fähigkeiten und Blickwinkel, die Menschen haben, in Erlebnisketten geformt und geprägt werden. Handlungsweisen ebenso, wie Haltungen entstehen aus lebensweltlichen, realen Herausforderungen, vor denen Menschen stehen oder in ihrer Geschichte standen. Überlebenswichtige Aspekte z.B. des Zusammenlebens oder auch des Umgangs mit der Umwelt und der Zeitbegriff sedimentieren von Generation zu Generation über Jahrhunderte und wirken auf die 1

Russland war erst strittig, dann wurde eine Förderung ausgeschlossen. Begründung: Ist kein Entwicklungsland. Brasilien galt für die weltwärts-Richtlinien als Entwicklungsland, hat vor zwei Jahren jedoch die Visa-Vergabe an alle Arten Entwicklungshelfer, auch weltwärts-Freiwilligendienste, eingestellt. Begründung: Wir sind kein Entwicklungsland.

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gesellschaftlichen und individuellen Verhaltensweisen ein. Weniger entscheidende Fähigkeiten werden in diesem Spezialisierungsprozess seltener angewandt und weniger gefördert. Mitunter wird ihnen gar mit einem gewissen Argwohn begegnet, nämlich dann, wenn sie Elemente enthalten, welche für die als überlebenswichtig empfundenen Fähigkeiten gefährlich werden könnten. Ein Beispiel dazu: Planvolles Handeln ist angesichts sich stetig wandelnder Anforderungen in der Realität der Welt eine gute Art und Weise um die Gefahr sich breit machender chaotischer Zustände abzuwenden. Menschen, denen es wichtig ist möglichst viele Bereiche ihrer Lebenswelt unter Kontrolle zu haben, werden die Möglichkeit von chaotischen Zuständen als potentielle Gefahr empfinden und zu verhindern suchen. Je größer diese Gefahr erscheint desto strikter werden die Vorkehrungs- oder Regulierungsmechanismen ausfallen. Dabei wird unter Umständen in Kauf genommen, dass eine gewisse Überregulierung die Folge sein kann. Was man unter den Begriffen der Bürokratie oder Pedanterie auch bei planvollen Menschen als Phänomen kennt, wird von Menschen mit einer anderen kulturellen Prägung ebenfalls registriert. Dort erscheint sie jedoch als die potentielle Gefahr, die es zu vermeiden oder in Schranken zu halten gilt. Die sich anbietende Fähigkeit um starre Regulierungskorsetts (übertriebene Planmäßigkeit) in Schach zu halten ist die Flexibilität. Nur sie scheint es möglich zu machen auf die immer neu gelagerten Anforderungen der wechselvollen Realität der Welt angemessene Reaktionen entwickeln zu können. Da sie die Gefahr eines Abgleitens in chaotische Zustände nicht so sehr fürchten wie die Überregulierung, lösen sie bei planmäßiger vorgehenden Menschen die Angst vor dem Chaos aus. Diese Angst/Problemlösungsstrategie-Dialektik bildet ganz bestimmte Fokussierungen ab. Hier ist es die Chaos-Ordnung-Dialektik. Auffällig ist dabei, dass die Notwendigkeit von Veränderung, bzw. Entwicklung mehrheitlich in solchen Ländern gesehen wird, zu denen aus deutscher Perspektive diese Dialektik besteht. Das spiegelt sich auch darin wider, dass kulturelle Gemeinsamkeiten oder Verschiedenheiten in diesen Dingen fast vollständig der Unterscheidung zwischen Ländern entsprechen, mit denen es Austausch gibt und Ländern, in denen man Freiwilligendienste oder Einsätze als Fachkräfte für Entwicklungszusammenarbeit absolvieren kann. Die Täuschung, die sich hieraus ergibt ist, dass eine Seite immer glaubt die richtigeren Lösungen zu haben und daraus die starke Tendenz entwickelt, dies den jeweils Anderen beizubringen. Das löst aus den oben beschriebenen Gründen jedoch Ängste aus und führt auch nur in dem Fall zum gegenseitigen Lernen, insofern man grundsätzlich davon überzeugt ist, dass die allermeisten Menschen, deren Verhaltensweisen und Überzeugungen sich von den Eigenen unterscheiden, gleichwohl sehr einleuchtende Gründe für ihre Positionen haben. Sobald man diese erklärt bekommt, verflüchtigt sich jeder Anschein des Seltsamen, Bedrohlichen oder Falschen.

Die Graphik zeigt die häufige Dynamik, dass flexible und planmäßige Leute sich oft nicht in ihren jeweiligen Stärken begegnen können, weil ihre Allergien, d.h. ihre Ängste ihnen den Blick darauf

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verstellen. Eher riskieren sie sich in ihre kulturellen Fallen treiben zu lassen. Umgekehrt, also von der Flexibilität als eigener Kompetenz ausgehend, stellt sich häufig dieselbe Dynamik ein.2 5. Reverse aus der Überzeugung heraus: Die überholten Vorstellungen sollen überwunden werden Fügt man die Beobachtungen zusammen, dass die Begriffe Freiwilligendienst, Entwicklungshilfe, Entwicklungszusammenarbeit, Lerndienst, Austausch und Weltdienst ihre je eigene Aussage über die dahinterstehenden Konzepte zu kulturellen Stärken und Schwächen beinhalten – für viele Bereiche wären darüber hinaus freilich wesentlich genauere Unterscheidungen nötig –, so ergibt sich aus interkultureller (bzw. transkultureller) Perspektive die Frage, welche Prozesse zunächst vollzogen werden müssen, um den Reverse-Freiwilligendienst als völlig gleichwertigen und finanzierungswürdigen Lerndienst einzustufen. Bei ebenso gründlicher Vorbereitung und Begleitung, wie es der bisherige weltwärts-Dienst weitgehend beinhaltet, bestünde sein Nutzen in der Förderung interkulturellen Lernens und der interkulturellen Begegnung (mit wesentlich mehr involvierten Deutschen, die mit diesen Reverse-Freiwilligen in Kontakt kommen). Die Konflikte, welche die tausenden jungen Deutschen in ihren Einsatzorten jedes Jahr erleben, verursachen und oft auch zu meistern lernen, fänden eine überfällige Entsprechung in deutschen Einsatzstellen. Konflikte wird es auch hier geben (s.o. Stichwort: Beziehung), aber auch Lernprozesse, wie man diese beigelegt bekommt. Ein Nebeneffekt wäre langfristig vermutlich sogar eine bessere Auswahl der Einsatzstellen in den Gastländern, weil man in den deutschen Einsatzstellen für ausländische Lerndienstleistende die Schwierigkeiten und die besten Rahmenbedingungen selbst erleben würde. In der Öffnung für Reverse-Freiwilligendienste besteht eine weitere Etappe auf dem Weg zum Verständnis der EinenWelt, in der jeder vom Anderen lernen kann, unabhängig von der gesellschaftspolitischen Entwicklung eines Landes oder seiner Einstufung als Industrie-, Schwellen- oder Entwicklungsland. Es wäre Ausdruck dafür, dass man von der Vorstellungswelt der Hilfe, welche immer Hilfsbedürftigkeit impliziert, zu einem Verständnis der Lernpartnerschaft, des Austausches gelangt ist. Dies beinhaltet den Aspekt der gemeinsamen Arbeit der Menschheit an der Fortentwicklung des Lebens auf diesem Planten. Mit dem Begriff des Weltdienstes gibt es zumindest schon mal einen Begriff dafür. Und weltwärts wäre etwas mehr WELT-wärts, statt nur ARMUT-wärts.

Maximilian Engl, Ehemaliger Freiwilliger in Argentinien und Russland, Diplomtheologe & Trainer für Interkulturelle Kommunikation

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Quelle: Leonel J.P. Brug

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